Zur Beurteilung der Situation
3. April 1954
Informationsdienst Nr. 2172 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen weiterhin betriebliche Fragen. Die Stimmen zum IV. Parteitag der SED haben in ihrem Umfang nicht zugenommen.1 Über die politischen Aufgaben des IV. Parteitages wird verhältnismäßig wenig diskutiert. Verschiedentlich zeigt sich auch, dass von einem Teil der Werktätigen der IV. Parteitag in der Presse nicht richtig verfolgt wird. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass man erwartet, dass auf dem IV. Parteitag »der Beschluss über eine sofortige Preissenkung« gefasst wird.
Bei einem Teil der Arbeiter, besonders bei Angestellten und Intelligenz, zeigt sich Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit zu den Fragen des IV. Parteitages. So äußerten verschiedene Arbeiter vom VEB Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt, dass man erst abwarten muss, was nach dem Parteitag kommt, dann könne man darüber reden. In der Abteilung E-Werkstatt des VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, herrscht eine große Interesselosigkeit. Es werden fast keine Diskussionen geführt.
Von einem Teil der Werktätigen werden zu Ehren des IV. Parteitages Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen. So verpflichteten sich die Kollegen des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam, 225 Tonnen Kunstseide und 10 Tonnen Perlonfaser in einem Wert von 1 815 DM über den Plan hinaus zu produzieren, um wie im Rechenschaftsbericht des Genossen W. Ulbricht2 angeführt,3 die Voraussetzungen zu schaffen zur Durchführung einer Preissenkung. Gleichzeitig wollen sie alle Arbeiter, Techniker und Ingenieure in der DDR aufrufen, ähnliche Verpflichtungen zu übernehmen, um schnellstens den Lebensstandard der Bevölkerung zu verbessern.
Die Mehrzahl der Stimmen, die aus allen Schichten der Werktätigen in der Industrie kommen, befasst sich mit wirtschaftlichen Fragen (Verbesserung der Lebenslage).
Die bekannt gewordenen Stimmen über den Rechenschaftsbericht des Genossen W. Ulbricht sind in der Mehrzahl positiv. Besonders begrüßt man die vorläufige Beibehaltung des Kartensystems4 und die Neuwahl der Volkskammer im Herbst 1954.5
Über den Bericht der Zentralen Parteikontrollkommission, den Genosse Matern6 gab, wurden erst wenig Stimmen bekannt.7 Ein Arbeiter der Elektrikerabteilung des Kraftwerkes Dresden: »Die Partei hat betreffs Beibehaltung der Lebensmittelkarten einen richtigen Vorschlag gemacht. Dies zeigt, dass die Meinungen der untersten Schichten der Bevölkerung besser als vor dem 17.6.1953 beachtet werden.«
Ein Arbeiter vom Kreisbaubetrieb Torgau, [Bezirk] Leipzig: »Ich bin voll zufrieden, über den Vorschlag des ZK der SED auf Durchführung der Volkskammerwahlen im August.«8
Ein Arbeiter vom VEB IFA-Phänomen-Werk Zittau, [Bezirk] Dresden: »Der Genosse Matern hat in seiner Rede wichtige Ausführungen gemacht. Die leitenden Stellen in Partei und Regierung sollten sich dies zu Herzen nehmen.«
Ein Arbeiter vom VEB FSO Oberlungwitz,9 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Ausführungen des Genossen Mikojan10 sind ein erneuter Beweis der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft.11 Dies wird uns befähigen, unseren Kampf um die Einheit Deutschlands besser zu führen bzw. das Prestige der DDR in der kapitalistischen Welt bedeutend zu verbessern.«
Ein Bilanzbuchhalter (LDPD) aus Rostock: »Ich begrüße die Durchführung des IV. Parteitages als Mitglied der Blockpartei. Ich bin im letzten Krieg schwer verwundet worden und hasse nichts so sehr wie den Krieg, daher erwarte ich von dem IV. Parteitag entscheidende Maßnahmen zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands.«
Vereinzelte Stimmen wurden bekannt, die ihre Enttäuschung über die Beibehaltung des Kartensystems zum Ausdruck brachten. Ein Lehrer (parteilos) vom VEB Kaliwerk »Thomas Müntzer« in Bischofferode, [Bezirk] Erfurt: »Ich bin enttäuscht worden, dass die Lebensmittelkarten noch beibehalten werden. Ich hatte gerechnet, dass sie bereits zu Ostern wegfallen würden. Walter Ulbricht aber sagte klar, dass erst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen.«
Negative und feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt, sie zeigen besonders den Einfluss der westlichen Propaganda.
Ein Arbeiter von der Seebaggerei Wismar, [Bezirk] Rostock: »Wenn der IV. Parteitag vorbei ist, dann werden die Arbeitsbedingungen unerträglich werden. Die Preise werden dann so hoch steigen, dass sie den HO-Preisen angeglichen werden, dann ist kein Arbeiter mehr in der Lage, sich etwas zu kaufen.«
Ein Arbeiter vom VEB IKA Eisenach,12 [Bezirk] Erfurt: »Es ist richtig, wenn in diesem Jahr Wahlen durchgeführt werden. Ich bin bloß gespannt, ob dies auch freie Wahlen werden.«
Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Gas- und Wasserwerk in Neustadt, [Bezirk] Gera: »Im vorigen Jahr war schon immer die Rede von der Abschaffung der Karten.13 Und jetzt will man dies nicht machen. Wenn man dagegen sieht, was es in Westdeutschland alles gibt, merkt man wie weit wir zurückliegen.«
Ein Arbeiter vom »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg:14 »Bei uns in der Dreherei wird so diskutiert, dass man, wenn der IV. Parteitag der SED nicht wesentliche Veränderungen bringt, es einen riesen Krach gibt. Der 17.6.1953 ist noch nicht zu Ende.«
Über die Regierungserklärung der Sowjetunion vom 25.3.1954 werden von den Werktätigen in der Industrie nur noch wenige Diskussionen geführt.15 Die bekannt gewordenen Stimmen sind in der Mehrzahl positiv. Mehrere Kumpels vom Wismut-Schacht 25016 in Aue brachten zum Ausdruck, dass die Erklärung der Sowjetunion über die Souveränität der DDR ein weiterer Beweis für die konsequente Friedenspolitik der Sowjetunion ist und dass sie dazu beitragen wird, die internationalen Verhältnisse zugunsten der DDR zu klären.
Negative und feindliche Stimmen zur Regierungserklärung sind nur wenig bekannt. Ein Angestellter aus Frankfurt/Oder: »Die DDR war also bisher doch nicht souverän gewesen und immer von der SU abhängig. Der RIAS hat also doch recht, wir unterstehen Moskau.«
Über die Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 31.3.1954 wurden erst vereinzelte Stimmen bekannt, die aber in der Mehrzahl positiv sind.17 Ein Arbeiter vom Rohrwerk des Stahl- und Walzwerkes Riesa, [Bezirk] Dresden: »Ich kann die Sowjetnote nur begrüßen und wir sind alle der Meinung, dass nur die Westmächte beweisen können, ob sie wirklich für den Frieden sind. Meiner Meinung nach ist die Note ein harter Schlag für die westlichen Kriegspolitiker.«
Ein Arbeiter vom Berliner Reifenwerk: »Ich war mir anfangs nicht darüber klar, ob es sich hier um einen Aprilscherz handelt. Als wir es dann erfuhren, kann ich nur sagen, dass dies ein äußerst geschickter Schachzug der Sowjetunion ist. Geben die Westmächte dem Gesuch statt, so ist dem Pakt18 die Spitze genommen und er wird für die Westmächte als Kraftkonzentration wertlos. Lehnen sie aber ab, so müssen die Westmächte ganz klar Farbe bekennen und den aggressiven Charakter des Paktes zugeben, trotz aller bisherigen gegenteiligen Reden.«
Ein Arbeiter vom VEB Kali Chemie Berlin: »Das ist ja ein schöner Aprilscherz.« Von anderen Kollegen wurde aufgezeigt, dass der demokratische Rundfunk keine Aprilscherze dieser Art bringe. In der anschließenden Diskussion wurde dann zum Ausdruck gebracht, dass sich die Westmächte entlarven, wenn sie den Eintritt der Sowjetunion in den Nordatlantik-Pakt ablehnen. Die Sowjetunion hätte diesen Vorschlag schon auf der Außenministerkonferenz machen sollen.19
Ein Schlosser (parteilos) vom VEB Schiffselektrik Rostock: »Die Sowjetunion wird sich jetzt dem Atlantik-Pakt anschließen und dann die DDR links liegen lassen.«
Produktionsschwierigkeiten bestehen in einigen Betrieben infolge Material- und Kohlenmangel. Dadurch entstehen den Arbeitern Lohnausfälle, welche die Stimmung negativ beeinflussen.
Materialmangel besteht im VEB Fortschritt Loburg, [Bezirk] Magdeburg, im VEB Berliner Glühlampenwerk, im Kraftfahrzeugbetrieb Kreis Gransee, [Bezirk] Potsdam, und in der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock. Viele Kollegen der Werft lassen sich krankschreiben, da sie durch die Umbesetzungen infolge Arbeitsmangel Lohnausfall haben. Dadurch hat sich der Krankenstand wesentlich erhöht.
Kohlenmangel besteht im VEB Porzellanwerk Kloster-Veilsdorf, [Bezirk] Suhl.
Handel und Versorgung
Bei der HO Wismut Johanngeorgenstadt fehlen Motorräder, die stark gefragt sind. So wurden bisher bereits 95 Sparverträge zum Kauf von Motorrädern abgeschlossen, während die HO Wismut nur 96 Maschinen im Jahr erhält. Weiterhin kann diese HO Rechnungen über ca. zwei Mio. DM nicht begleichen, da sie die Ausgleichssumme von der Preissenkung im Sonderverkauf vom Ministerium für Finanzen (1 060 000 DM) noch nicht erhalten hat. Infolgedessen wird die HO Wismut in Johanngeorgenstadt nicht mehr an erster Stelle beliefert werden.
Landwirtschaft
Über politische Tagesfragen wird unter der Landbevölkerung wenig diskutiert, die gering bekannt gewordenen Stimmen zum IV. Parteitag sind überwiegend positiv. Meist sind es Äußerungen von Arbeitern und Angestellten der MTS und VEG sowie von Mitgliedern der LPG.
Zum Verlauf des IV. Parteitages wird sehr wenig Stellung genommen. Ein Mittelbauer aus Kreis Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Aufgrund dessen, dass die Lebensmittelkarten nicht wegfallen, war unsere Angst wegen dem Wegfall der freien Spitzen unbegründet.«20
Ein Bauer aus Kirschkau, [Bezirk] Gera: »Ich komme manchmal mit unserer Regierung nicht mehr mit. Voriges Jahr haben sie erst gepredigt, dass die Lebensmittelkarten dieses Jahr wegfallen sollen. Auf dem IV. Parteitag wurde nun beschlossen, dass sie noch bestehen bleiben.«
Größtenteils erwartet man vom IV. Parteitag Beschlüsse zur weiteren Verbesserung der Lebenslage. Ein Buchhalter einer LPG des Kreises Torgau, [Bezirk] Leipzig: »Ich erwarte vom IV. Parteitag Beschlüsse zur weiteren Stärkung der DDR und zur weiteren Hebung des Lebensstandards der Bevölkerung.«
Eine Bäuerin aus Schwickershausen, [Bezirk] Suhl: »Ich bin gespannt auf die Beschlüsse des IV. Parteitages, die bestimmt dazu beitragen werden, die Lebenslage der Bevölkerung weiter zu verbessern und somit die Herstellung der Einheit Deutschlands erleichtern.«
Negative bzw. feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Großbauer aus Löwenbruch, [Bezirk] Potsdam, äußerte: »Was haben wir schon davon, wenn der IV. Parteitag der SED stattfindet. Für uns Bauern kommt doch nichts dabei heraus. Wir werden genauso viel abgeben wie bisher, wenn nicht sogar noch mehr.«
Die gering bekannt gewordenen Stimmen zur Regierungserklärung vom 25.3.1954 sind überwiegend positiv. Allgemein wird diese Erklärung der SU begrüßt. Nachfolgendes Beispiel ist dafür typisch: Ein Traktorist aus Brüssow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich begrüße die Anerkennung der DDR als souveränen Staat. Das ist ein erneuter Vertrauensbeweis der SU gegenüber des deutschen Volkes [sic!].«
Über die neueste Note der SU an die Westmächte vom 31.3.1954 wird bis jetzt nur ganz vereinzelt diskutiert. Ein Arbeiter vom VEG Trossin, [Bezirk] Leipzig: »Die neuste Note der SU ist wieder ein Schlag gegen den Westen. Ich bin gespannt, ob die Westmächte auf diesen Vorschlag eingehen werden.«
Zu Ehren des IV. Parteitages verpflichtete sich die LPG Neukirchen, [Bezirk] Magdeburg, für 20 000 DM Schweinefleisch über den Plan zu liefern. Die LPG Höwisch, [Bezirk] Magdeburg, will das Rinder- und Schweinesoll vorfristig erfüllen und sechs Kandidaten für die SED werben.
Nach wie vor steht die Frühjahrsbestellung im Mittelpunkt des Interesses, deshalb wird mehr zu wirtschaftlichen Problemen Stellung genommen. Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, führen Bauern heftige Diskussionen wegen der Frühjahrsbestellung. Es wird die Meinung vertreten, dass es noch zu früh zur Aussaat ist, weil ca. 30 Prozent der großen Fläche Nassland ist. Dadurch könnte die Aussaat nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden. Es würden dadurch die Tüten der Drillmaschine verstopfen.
Im Kreis Gransee und in dem MTS-Bereich Damsdorf, [Bezirk] Potsdam, wurden die Planstellen für Nachtwächter gestrichen. Darüber werden heftige Diskussionen geführt, weil die Bevölkerung damit nicht einverstanden ist.
Übrige Bevölkerung
Die Diskussionen zum IV. Parteitag haben an Umfang nicht zugenommen. Zum Rechenschaftsbericht des Genossen Walter Ulbricht wurden uns wenig Stimmen bekannt. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Verbesserung der Lebenslage. Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird zum großen Teil von der übrigen Bevölkerung begrüßt. Über die politischen Probleme, die auf dem IV. Parteitag behandelt werden, wird wenig diskutiert.
Eine Hausfrau aus Leipzig äußerte: »Das Gerücht über den Wegfall der Lebensmittelkarten wurde durch den Genossen W. Ulbricht zerschlagen. Es ist auch gut so, dass sie noch nicht wegfallen, denn das hätte ein Ansteigen der Preise bedeutet. Jedoch bin ich der Ansicht, dass eine HO-Preissenkung erfolgen müsste.«
Eine Hausfrau aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Mitglied der DBD äußerte: »Ich begrüße den Vorschlag des stellvertretenden Ministerpräsidenten W. Ulbricht, denn es ist bestimmt der Wunsch vieler Hausfrauen. Das hört man am besten bei den Unterhaltungen der Hausfrauen, wenn sie beim Fleischer einkaufen. Dort wird auch diskutiert, dass man wenigstens alle Wurstwaren 1: 1 verkaufen solle. Wenn dies durchgeführt würde, würden sich alle werktätigen Frauen darüber freuen.«
Ein Schneidemeister aus Cottbus: »Zum IV. Parteitag in Berlin wird jetzt allerhand herauskommen, man hat dort gute Menschen hingeschickt. Dort ist auch die Sowjetunion anwesend. Alle Schwächen werden dort aufgezeigt. Wir wollen hoffen, dass uns der Frieden erhalten bleibt und das wird dort wohl das Hauptwort sein.«
Über die Regierungserklärung der SU vom 25.3.1954 wird unter der übrigen Bevölkerung nur noch ganz vereinzelt diskutiert.
Zur Note der Sowjetunion an die Westmächte vom 31.3.1954 wurden uns vereinzelt Stimmen bekannt. Ein Angestellter (ehemaliges Mitglied der NSDAP) aus Magdeburg äußerte: »Hiermit werden die Westmächte nicht gerechnet haben. Denn dadurch kommt die Sowjetunion in diesen Pakt und die Politik der Westmächte würde eine Änderung erfahren. Als Parteiloser erfahre ich immer mehr in der Angelegenheit und kann dementsprechend meine Gegenmaßnahmen treffen. Dieses Gesuch der Sowjetunion ist ein weiterer Schritt, den Frieden in der Welt zu erhalten.«
Ein leitender Funktionär der LDPD aus Dresden äußerte: »Ich freue mich ehrlich, dass die Sowjetunion einen so guten diplomatischen Schachzug gemacht hat, um dem Atlantikpakt beizutreten. Die Westmächte werden jetzt in Angstschweiß kommen.«
Nur ganz vereinzelt wurden uns negative bzw. feindliche Stimmen bekannt. Ein Mitglied der LDPD (Arzt) aus Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, äußerte: »Beim IV. Parteitag kommt doch nichts heraus. Das ist alles nur leeres Gerede. In Westdeutschland ist es doch anders. Konrad Adenauer21 ist hier der beste Kanzler. Er sorgt für das Wohl aller Menschen. Die westliche Demokratie hätten wir hier auch schon gehabt, wenn am 17.6.1953 nicht die russischen Truppen eingegriffen hätten. Ja, es herrscht hier keine Gerechtigkeit. Manche Menschen werden hier zu 20 bis 25 Jahren Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt. Es gibt eben nur Volksrichter,22 welche ehemalige Feldwebel waren.«
Ein parteiloser Friseur aus Großenehrich, [Bezirk] Erfurt, äußerte: »Die Genfer Konferenz kommt nicht zustande.23 In Indochina brennt es an allen Ecken und Enden, und es dauert nicht mehr lange, dann bricht bei uns der Krieg [aus]. Die Soldaten in Amerika und Japan sind bereit zum Losschlagen. Bei einer solchen Lage werden wir im Herbst nicht mehr von LPG sprechen, denn alles wird sich grundsätzlich ändern.«
Ein Zigarrenhändler aus Berlin: »Der ganze Parteitag ist eben ein Reinfall. Erst wurde versprochen, die Karten abzuschaffen, jetzt behalten wir sie vielleicht noch ein Jahr.«
Eine Hausfrau aus Hennersdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Die Worte von W. Ulbricht auf dem IV. Parteitag in Bezug auf die Beihaltung der Lebensmittelkarten entsprechen niemals der Wahrheit. Der Vorschlag ist nicht von der Bevölkerung gekommen, sondern die Regierung ist einfach nicht in der Lage, dies durchzuführen. So etwas wäre ja unmöglich, denn es gibt hier nichts.« Ähnlich äußerte sich eine Angestellte aus Parchim, [Bezirk] Schwerin. Diese fügte noch hinzu, dass die Regierung nicht mehr weiterkann und kurz vor dem Zusammenbruch steht.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:24 Karl-Marx-Stadt 3 100, Schwerin 3 100, Halle 2 750, Potsdam 2 000, Frankfurt 950, Neubrandenburg 210, Dresden 200, Erfurt 200. Inhalt: Hetze gegen Genossen Molotow,25 Regierung der DDR, SED, IV. Parteitag.
NTS:26 Karl-Marx-Stadt 31 810, Frankfurt 400, Dresden 36. Inhalt: Hetze gegen die Sowjetunion, Aufforderung zum Desertieren.
Hetzschriften KgU:27 Karl-Marx-Stadt 4 000, Gera einzelne. Inhalt: Hetze gegen Genossen Molotow, Regierung der DDR, »Freie Wahlen«.
CDU-Ostbüro: Frankfurt 1 000.
Am 28.3.1954 wurden in Berlin ca. 4 000 Flugblätter gefunden. Inhalt: Hetze gegen Genossen Molotow, Regierung der DDR, SED, »Freie Wahlen«. Zwischen diesen Flugblättern befanden sich beschriebene Postkarten, die unter Angabe des Fundortes an die aufgeschriebene Adresse in Westberlin geschickt werden sollen.
Am 31.3.1954 wurden in Berlin 233 Hetzschriften des SPD-Ostbüros (Sozialdemokrat)28 aufgefunden.
Der größte Teil der angeführten Flugblätter wurde mit Ballons eingeschleust.
Am 31.3.1954 wurden in Zwickau mehrere Hetzblätter angeklebt, die mit Schreibmaschine geschrieben waren. Inhalt: Hetze gegen die Erklärung der Sowjetunion vom 25.3.1954, IV. Parteitag, VP.
Antidemokratische Handlungen
In der Nacht vom 30. zum 31.3.1954 wurde auf dem Bahnhof Wittstock, [Bezirk] Potsdam, ein Transparent zum IV. Parteitag mit Ölfarbe überstrichen. Am 1.4.1954 wurde in Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt, ein Transparent zum IV. Parteitag zerstört. In Potsdam wurde am 1.4.1954 eine Fahne heruntergerissen; in Strahwalde, [Bezirk] Dresden, wurden am 2.4.1954 einige Fahnen heruntergerissen und zerfetzt.
Eine Hetzparole wurde in Lützow, [Bezirk] Rostock, angeschmiert. Inhalt: »Nieder mit der SED«.
»Geschenkpakete« aus Westdeutschland erhielten drei Rentner in Stavenhagen, [Bezirk] Neubrandenburg.29 Sie werden aufgefordert weitere Anschriften von »Bedürftigen« anzugeben.
In letzter Zeit erhielten Bewohner der DDR Briefe mit Empfangsbescheinigungen, die sie nach Erhalt eines angekündigten Paketes aus Westdeutschland als Empfangsbestätigung zurückschicken sollen. Alle Bestätigungen sind an die gleiche Adresse gerichtet.
Am 2.4.1954 wurden beim Kabelverteiler der Feuerwehr des VPKA Dresden mehrere Klemmschrauben von Kabelendverschlüssen herausgeschraubt und damit die Verbindung gestört.
Am 1.4.1954 wurde in einem Zylinderkopf eines Traktors des MTS-Stützpunktes Kleinbardau, [Bezirk] Leipzig, Sand gestreut, sodass der Motor blockierte.
Hetzbriefe: Am 1.4.1954 einige Hetzbriefe des Ostbüros der SPD in den Bezirken Dresden, Magdeburg, Karl-Marx-Stadt, Potsdam, Rostock, Frankfurt und Gera aufgefunden. Inhalt: Hetze gegen den IV. Parteitag.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 27.3.1954 tranken zwei Kollegen des Stahl- [und] Walzwerkes Hennigsdorf zwei Flaschen Malzbier, die sie im Speisesaal der Walzenstraße gekauft hatten und bekamen danach Magenschmerzen und Erbrechen. Eine gleiche Flasche wurde am 29.3.[1954] in der Walzenstraße gefunden, die wahrscheinlich von einem Kollegen dort hingeworfen wurde. Eine chemische Untersuchung ergab, dass im Bier 50 Prozent Phenol enthalten waren, das schwere gesundheitliche Schäden nach sich zieht.
In der 13. Schule im Bezirk Prenzlauer Berg, Berlin, wurden vor Kurzem bei einem Pioniergruppen-Nachmittag von einer Schülerin ein Ausweis und eine Anstecknadel des »Sternchenclubs« abgegeben. Diese Ausweise wurden von zwei Schülerinnen verteilt, die die Ausweise angeblich von einem Onkel aus Westdeutschland haben. Das gleiche Sternzeichen befindet sich auf einer Westberliner »Kleinillustrierten«, die sich das »Sternchen« nennt.30
Westberlin
Stimmen zum IV. Parteitag
Einige fortschrittliche Westberliner Rentner und Unterstützungsempfänger erhoffen vom IV. Parteitag verstärkt Maßnahmen zur Herbeiführung der Einheit Deutschlands und in Auswirkung davon eine Verbesserung ihres Lebensstandards. Andere Rentner sind der Meinung, dass der IV. Parteitag ihnen auch nicht helfen kann. In Westdeutschland sind die USA Besatzer und die machen alle fortschrittlichen Maßnahmen ungültig.
In kleinbürgerlichen Kreisen im Bezirk Reinickendorf vertritt man die Ansicht, dass durch den IV. Parteitag »die alten Funktionäre aus dem ZK der Partei abgeschafft werden. Dabei wird man vor allem die alten Sozialdemokraten aus der Parteileitung ausbooten.«
Einige Mitglieder der SPD in Westberlin, mit denen ein Gespräch über den IV. Parteitag angeknüpft werden sollte, zeigten sich völlig desinteressiert und gingen auf keine Diskussion ein.
97 Kündigungen wurden am 27.3.1954 im Postfuhramt/Westberlin an die Kraftwagenführer ausgesprochen, die nach 1945 Angestellte geworden sind. Aus Empörung darüber wurde am 29.3.1954 eine Protestkundgebung am Funkturm durchgeführt, wo ca. 800 Personen anwesend waren. Der Gewerkschaftsvertreter bezeichnete dort die Politik der Postverwaltung als Katastrophenpolitik. Er führte weiterhin aus, dass die Kündigungen nicht nur Entlassungen, sondern auch Umgruppierungen in der Gehaltsstufe nach sich ziehen sollen. Von der Kundgebung wurde eine Protestresolution an die Bundespostdirektion verfasst und einstimmig angenommen.
In einem Restaurant in Berlin-Neuköln unterhielten sich drei Gäste darüber, dass die Beamtenversicherung in Westberlin in nächster Zeit 180 Angestellte entlassen will.
Einschätzung der Situation
In den Diskussionen zum IV. Parteitag stehen an erster Stelle die wirtschaftlichen Fragen über Lebensmittelkarten und Preissenkung. Darüber wird überwiegend zustimmend gesprochen. Im kleinen Umfang zeigt sich besonders in Berlin, vorwiegend unter Angestellten, dass sie über [die] Beibehaltung der Lebensmittelkarten enttäuscht sind.
Zur Note der SU vom 31.3.1954 wird erst wenig, aber meist positiv diskutiert.
Die feindlichen und negativen Diskussionen sind gering.
Feindliche Flugblattverbreitung hält weiterhin verstärkt an.
Anlage 1 vom 3. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2172
Stimmen zum IV. Parteitag der SED aus dem demokratischen Sektor von Groß-Berlin
In den bekannt gewordenen Meinungsäußerungen wird von einem Teil der Bevölkerung die Beibehaltung der Lebensmittelkarten als richtig empfunden. Als Begründung wird in den meisten Fällen zum Ausdruck gebracht, dass die Abschaffung der Lebensmittelkarten mit einer Preiserhöhung verbunden gewesen wäre.
In der S-Bahn von Falkensee nach Berlin unterhielten sich einige Personen dahingehend, dass gegen die Beibehaltung der Lebensmittelkarten nichts einzuwenden sei, weil damit die Preise bestehenbleiben. Unter anderem wurde der Wunsch geäußert, dass die Rationen erhöht werden müssten und das Abgabeverhältnis verbessert werden müsste (bei Fleisch wirklich Fleisch, keinen Knochenabzug).
Ein Friseurmeister aus der Dunckerstraße: »Mir ist es gleich, ob die Lebensmittelkarten abgeschafft werden oder nicht.« Unter anderem brachte er zum Ausdruck, dass aus den Äußerungen seiner Kundschaft zu entnehmen sei, dass man mit der Beibehaltung der Lebensmittelkarten einverstanden ist. Bei Abschaffung der Lebensmittelkarten würden die Preise erhöht, was für die Leute mit einem geringen Einkommen eine große Belastung bedeuten würde.
Eine Rentnerin aus der Hagenstraße: »Mit der Beibehaltung der Lebensmittelkarten bin ich und viele andere einverstanden. Dadurch können die Preise auf dem jetzigen Stand gehalten werden.«
In der Nähe der Werner-Seelenbinder-Halle unterhielten sich einige Personen. Dabei wurde geäußert, dass man bei Beginn des Parteitages mit der Aufhebung der Lebensmittelkarten gerechnet hätte. Mit der Beibehaltung der Lebensmittelkarten ist man einverstanden, jedoch müsste wenigstens die Grundkarte aufgebessert werden. Unter anderem wurde erzählt, dass Geflügel und Schokoladenwaren verderben würden, weil es die Leute nicht kaufen könnten. Man sollte diese Waren lieber im Preis herabsetzen.
Ein anderer Teil der Bevölkerung bringt darüber eine gewisse Enttäuschung zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang wird geäußert, dass Partei und Regierung die Aufhebung der Rationierung nicht hätte versprechen dürfen.
Ein Angestellter der Staatlichen Plankommission äußerte, dass es nicht gut sei, wenn man der Bevölkerung erst sagt, die Rationierung wird aufgehoben, dies aber später nicht durchführt. Die Abschaffung des Kartensystems wurde schon für 1952/53 angekündigt.31
Ein Angestellter brachte zum Ausdruck, dass die Beibehaltung der Lebensmittelkarten ein Aprilscherz sei. Nach dem Fünfjahrplan sollten diese schon 1953 abgeschafft werden und nach dem 17.6.[1953] sei es wieder erklärt worden. Er zweifelte den Artikel in der »Berliner Zeitung« an, wonach verschiedene Werktätige sich freuen, dass die Karten noch nicht aufgehoben werden.32 Er möchte den Werktätigen sehen, der sich über die Lebensmittelkarten freue.
Nur ganz vereinzelt wird zu politischen Fragen Stellung genommen. Ein Kalkulator äußerte sich zur Rede des Genossen Walter Ulbricht wie folgt: »Es kann sein, dass wir nochmals strammstehen müssen, wenn der Westen so weiterrüstet. Walter Ulbricht hat sich ja schon in diesem Sinne geäußert.«33
Ein anderer Angestellter äußerte, dass ihn in der Rede des Genossen Walter Ulbricht etwas erschüttert hätte. Dies sei die Andeutung, dass wir vielleicht nochmals ein Gewehr in die Hand nehmen müssten, dass wir eine neue Wehrmacht bekämen. Er aber nehme keine Knarre mehr in die Hand. Er sei dafür, dass man mit allen Mitteln für den Frieden kämpfe, aber auf keinen Fall mehr zu den Waffen greife.
Ganz vereinzelt auch wurden negative Äußerungen bekannt. Im Ministerium der Finanzen sind z. B. negative Diskussionen darüber in Erscheinung getreten, dass die Delegierten mit so prunkvollen Mappen ausgestattet wurden. Es wurde zum Ausdruck gebracht, dass dies alles ihr Geld sei.
Ein Angestellter der Abgabeverwaltung (SED) äußerte: »Aufgrund des Parteitages beschränkt man uns in unseren Rechten. Wir müssen an engen Tischen sitzen und ständig Platz machen, wenn die gewissen Herrschaften (gemeint ist ein Teil der Delegierten, die dort essen) erscheinen. Das Volk muss dann verschwinden.« In gleicher Weise drückt er sich im Beschwerdebuch aus.
Anlage 2 vom 3. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2172
Stimmung der Republikflüchtigen in Westdeutschland und Westberlin
Diese Berichte befassen sich vor allem mit der wirtschaftlichen Lage republikflüchtiger Personen und der wirtschaftlichen Lage in Westdeutschland. Von einem Teil wird zum Ausdruck gebracht, dass das Leben in den Lagern34 furchtbar und trostlos ist. Dies wird hervorgerufen durch die in Westdeutschland bestehende Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Wird eine Beschäftigung von diesen Menschen gefunden, so ist die Ausbeutung derselben grenzenlos, weil sich der Arbeitgeber mit ihnen alles erlauben kann. Sie stellen jetzt fest, dass es bei uns in der DDR in jeder Beziehung besser ist und äußern den Wunsch, in die DDR zurückkehren zu können. Es bestehen aber bei diesen Menschen noch Unklarheiten über den Weg, den sie gehen müssen, um zu uns in die DDR zurückzukehren. Hier einige Beispiele positiver Art:
Ein Gewerbetreibender aus Berlin-Schöneberg äußerte: »Was versprechen sich denn nur die vielen Flüchtlinge, die hierher kommen? Die sollen sich alles reiflich überlegen, in die ungewisse Zukunft zu fliehen und alles, was sie haben, im Stich zu lassen. Was nützen uns denn die vollen Schaufenster. Wir können ja doch das Allerwenigste davon kaufen. An Weihnachts-Heiligabend verkauften wir weit unterm Einkaufspreis, um nur Geld in die Finger zu bekommen, sonst hätten wir wieder, wie schon so oft, trockenes Brot essen müssen. Das ist die reine Wahrheit. Im ganzen Dezember war ein so schlechtes Geschäft, und jetzt ist es auch nicht besser. Viele gaben schon ihre Gewerbe ab und kämpfen mit dem Sozialamt um Unterstützung. Die Flüchtlinge werden sich alle noch umsehen. Wenn sie erst mal, wie man so sagt, warm geworden sind. Wie es in der Ostzone ist, weiß ich ja nicht. Jedenfalls geht es einem meiner Bekannten im Ostsektor besser als uns.«
Ein Jugendlicher aus Holsterhausen äußerte: »In unserer Gegend wohnen etliche Leute, die der DDR den Rücken gekehrt haben. Weshalb sie nach hier, nach dem ›goldenen Westen‹ kamen, wollen sie nicht wissen. Viele wollen wieder zurück, denn in der DDR wird mehr für die Jugend getan, sei es im Sport oder wenn einer ein Köpfchen hat, kann er auf Staatskosten studieren. In nächster Zeit will man der westdeutschen Jugend die Militärjacke anziehen und unter den Befehl amerikanischer Offiziere stellen. Statt Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland, antwortet man in Bonn mit Wiederaufrüstung.«
Ein Angestellter aus Berlin-Mariendorf: »Wir sind zweimal abgelehnt und haben wenig Aussicht auf Anerkennung. Meine Frau arbeitet in der Küche für sage und schreibe eine Mark 8 bis 10 Stunden. Sie merkt endlich, dass hier die Ausbeutung des Menschen grenzenlos ist. Ich bin mir nur nicht im Klaren, wie es bei mir weitergehen soll. Man kann bloß sagen, armes Deutschland. Ich befasse mich mit dem Gedanken, wieder zurückzukommen, damit man wieder Deutscher ist, denn als Nichtanerkannter ist man hier staatenlos und ohne Rechte. Ja, das ist Tatsache. Wenn man alles populär machen würde, wie es auch in den Lagern aussieht, dann würden aus dem Osten wohl sehr wenige nach den Westen kommen.«
Eine Hausfrau aus Berlin SW 1135 äußerte sich: »Es ist das Allerbeste, wenn wir schnellstens wieder zurückkommen. Hier im Lager ist es ja schlimmer wie im Zuchthaus. Und wie sieht es mit Arbeit in Westdeutschland aus? Arbeit gibt es genug, hat man uns gesagt, wenn der EVG-Vertrag erst anläuft.36 Aber dafür gebe ich meine Arbeitskraft nicht her. Hitler hat die Arbeitslosigkeit auch durch Aufrüstung abgeschafft. Aber nachher sind 6 Millionen und noch mehr ins Massengrab gegangen. Mein eigenes Grab möchte ich mir auch nicht graben. Deshalb möchten wir jetzt, nachdem wir sehen, dass es wohl das Allerbeste ist, wieder zurück. Lieber lasse ich mich einsperren, wie noch einen Monat hier im Elendslager [zu] hausen.«
Bei dem anderen Teil der Republikflüchtigen kommt zum Ausdruck, dass es sich hier um Personen handelt, die wegen ihrer feindlichen Einstellung und begangener Verbrechen gegen unsere DDR flüchtig wurden. Es ist zu erkennen, dass sich dieser Teil vollkommen über die wirklichen Zustände in Westdeutschland hinwegsetzt. Hierzu einige Beispiele:
Ein Rentner aus Herten äußerte: »Wann die Wiedervereinigung Deutschlands kommt, liegt in der Zukunft, wir können nichts dazu tun. Ich kann für meine Person nicht klagen, ich bin gut aufgenommen, auch eine schöne Rente, bin gesund, das herrliche Essen nach Wunsch, schmeckt vorzüglich und hier ein freier Mensch, vor allem sorgenfrei. Als Sowjetzonenflüchtling mit Ausweis stehen mir zu einer neuen Existenz alle Tore offen mit Aufbau-Darlehen.«37
Ein Arbeiter aus Hamburg-Wandsbeck: »Wenn man sich die Tatsache zugrundelegt, dass Hamburg in der Katastrophenzeit zu 2/3 vernichtet wurde und die Mehrzahl der Leute noch in Kellern, Nissenhütten38 und Wohnbaracken untergebracht sind, bekommen wir schon eine Wohnung. Hierüber hört man oft auch Kritik und mit Recht. Aber wir sind letzten Endes ja auch ein Opfer des totalen Krieges. Zu der Wohnung bekommt auch jede Familie von uns noch eine Einrichtung geschenkt. Was wollen wir denn noch mehr, es bedarf nur ein Hinterhersein, sonst kann man lange warten. Kein Besitzer in der Ostzone lebt besser als wir, und obendrein beherrscht uns das sichere Gefühl der Freiheit, brauchen des Nachts nicht ein Ohr als Wachposten auf Motorengeräusch wachhalten.«
Ein Amnestierter,39 der sich nach Hamburg absetzte, äußerte: »Ich habe in Hamburg 300 Westmark erhalten und wenn ich Zuzug bekomme, erhalte ich noch einmal 300 Westmark. Es soll wieder ein Gesetz herauskommen, wonach die Ostzonenflüchtlinge wieder eine höhere Summe Geld bekommen, man rechnet mit 800 Westmark und für jeden Tag, den ich gesessen habe, auch noch etwas. Jedenfalls sorgt der Staat für uns sehr gut.«40
Anlage 3 vom 3. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2172
[ohne Titel]
Verwirrung der Bevölkerung durch Briefe des »Völkischen Bundes«41
Mit dem Ziel, die Bevölkerung zu verwirren und Unruhe zu stiften, schickt der »Völkische Bund« durch die Post (Poststempel Hennigsdorf 26.3.1954) an verschiedene Personen (in Schwerin und Torgelow) Schreiben mit dem Betreff: »Ablehnung einer Anfrage wegen Mitarbeit«. Hierin wird den Betreffenden mitgeteilt, dass die Berichte angekommen seien, eine Mitarbeit aber abgelehnt wird, da der Betreffende Delikte begangen habe, die dem »politischen Terror des Bolschewismus« dienen. Es wird gedroht, bei nochmaligem Erscheinen, den Betreffenden den »Sicherheitsorganen« auszuliefern.
»KgU« droht Aktivisten
Die »KgU« will unsere Wirtschaft sabotieren und damit eine Verschlechterung des Lebensstandards herbeiführen. In einem Brief (Poststempel Hilden, den 27.3.1954) an die Reichsbahndirektion Halle werden vier Aktivisten aufgefordert, nach der Losung: »Arbeite langsam und so viel, dass Du Deine Familie ernähren kannst« zu arbeiten. Es wird ihnen angedroht, dass die Kollegen sie »zur Rechenschaft« ziehen, wenn sie weiterhin Aktivistenleistungen vollbringen.
Eine andere Methode wendet die »Widerstandsgruppe Mecklenburg (KgU)« zur Erreichung dieses Zieles noch an, indem sie Ausschnitte aus unserer Presse über Einzelverpflichtungen an die Betreffenden sendet, die diese Verpflichtungen eingegangen sind mit der Drohung, dass die Zeit kommt, wo sie »gerichtet« werden, wenn sie weiterhin so aktiv arbeiten. Briefe dieser Art werden an Personen in der Industrie und Landwirtschaft versandt.
Hetzschriften
Von der »KgU« werden Hetzschriften versandt, die an Mitarbeiter unseres SfS gerichtet sind. Diese Hetzschriften haben zum Inhalt, einmal Drohungen gegen unsere Mitarbeiter auszusprechen, zum anderen die Aufforderung, Verräter an der Sache der Arbeiter und Bauern zu werden.
Anlage 4 vom 3. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2172
[ohne Titel]
RIAS gegen Verkaufsstellen-Ausschüsse des Konsums (Sendung »Werktag der Zone« am 3. April 1954)
Um Einfluss in den Verkaufsstellen-Ausschüssen des Konsums zu gewinnen, fordert der RIAS die Konsummitglieder auf, am 3. und 4. April 1954 bei den Wahlen der Verkaufsstellen-Ausschüsse keine Mitglieder der SED zu wählen.
Hetze des RIAS gegen die Verordnung zur Verbesserung der Arbeit an den allgemeinbildenden Schulen42 (Sendung »Berichte und Kommentare« am 2. April 1954)
In den letzten Tagen wird vom RIAS verstärkt gegen die oben genannte Verordnung gehetzt. Das Ziel dieser Hetze ist, die sich vor allem an die Lehrkräfte wendet, die nicht politisch organisiert sind, diese in Missstimmung und im Gegensatz zu der Verordnung unserer Regierung zu bringen. Durch die Hetze soll weiter erreicht werden, dass die Lehrkräfte an unseren Schulen den Lehrerberuf aufgeben, um somit einen verstärkten Mangel an Lehrkräften an unseren Schulen zu erreichen. So hetzte der RIAS, dass im Bezirk Erfurt jetzt »50 Lehrkräfte gekündigt wurden«. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt sollen »30 Lehrkräfte entlassen worden sein«. Diese »Entlassungen« wären angeblich alle aufgrund der »Verordnung zur Verbesserung der Arbeit« an den allgemeinbildenden Schulen erfolgt
Westpresse
Laut »Telegraf«43 vom 3.4.1954 wird der VI. Parteitag der SPD vom 20. bis 25. Juli 195444 in Westberlin durchgeführt. Die Hauptreferate werden von Ollenhauer45 und Willy Eichler46 gehalten.