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Zur Beurteilung der Situation

18. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2210 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Fragen wird nur im geringen Umfange diskutiert. Die Genfer Konferenz steht im Mittelpunkt der vereinzelt bekannt gewordenen Diskussionen.1 Der Umfang ist etwas geringer geworden. Die Stimmen sind meist positiv und befassen sich größtenteils mit der Abreise des USA-Außenministers aus Genf.2 Ein Kumpel aus dem Wismut-Schacht 6b in Oberschlema:3 »Dass Dulles4 von der Konferenz abgehauen ist, ist ein Erfolg für uns und beweist, dass die friedlichen Kräfte gewachsen sind. Da Dulles mit seiner Politik nicht weiter konnte, blieb ihm gar nichts anderes übrig.«

Verschiedentlich wurde über wirtschaftliche und betriebliche Fragen diskutiert.

Missstimmung

Im VEB Silikat-Werk Bad-Lausick, [Bezirk] Leipzig, wurden die Prämien für das I. Quartal 1954 an technische Angestellte und das kaufmännische Personal ausgezahlt. Daraufhin entstanden bei den Ein- und Ausfahrern heftige Diskussionen, wo zum Ausdruck kam: »Wir bekommen für unsere schwere Arbeit im Jahre 30,00 DM Prämie und die Angestellten erhalten im Jahre rund vier Monatsgehälter als Prämie.«

In der Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, beschwert sich ein Teil der Kumpel darüber, dass sich die BGL und auch die Parteiorganisation zu wenig um ihre Alltagssorgen kümmern und auch zu wenig politische Aufklärung geben. Ein Aktivist, beschäftigt als Schmelzer, brachte Folgendes zum Ausdruck: »Was interessiert es die Funktionäre, wenn wir alle Kumpel in der Wärme sonntags 16 Stunden arbeiten müssen. Sie gehen schön spazieren. Sie interessiert es nicht, dass wir unterplanmäßig besetzt sind, jedoch dieselbe Arbeit leisten müssen.«

Im Oberbauwerk der Reichsbahn in Bützow, [Bezirk] Schwerin, sind 50 Prozent der Lagerarbeiter aus der DSF ausgetreten, die übrigen Arbeiter wollen ebenfalls austreten. Man begründet es damit, dass der Mitgliedsbeitrag erst nur 0,50 DM betrug und jetzt nach dem Einkommen berechnet wird. Damit sind sie nicht einverstanden. Einige Arbeiter sagten: »Eine Freundschaft wird nicht mit Geld bezahlt, sondern kann auch ohne Geld gefestigt werden.« Eine gleiche Tendenz besteht im Bahnbetriebswerk Parchim, [Bezirk] Schwerin.

Eine neue technische Arbeitsnorm wurde in der Abteilung I des Stahl- und Walzwerkes Gröditz, [Bezirk] Dresden, eingeführt.5 Dazu wurde folgende ablehnende Stimme bekannt, die von einem Schmelzer stammt: »Wir sind mit einer Normerhöhung einverstanden, aber nicht so, wie es bei uns gemacht wird. Erst wurde gesagt, dass die Norm um 10 Prozent erhöht wird, aber nun sind es plötzlich 17 Prozent geworden.«

Über lange Wartezeit beklagt sich ein Hamburger Schiffseigener, der seit ca. 14 Tagen mit seinem Kahn auf der Spree vor dem VEB Kalichemie Berlin-Niederschöneweide liegt, und dessen Ladung (Schwefelkies) bisher nicht gelöscht wurde.

Produktionsschwierigkeiten traten vereinzelt wegen Materialmangel auf. Im VEB Jachtwerft Berlin-Köpenick wurde der Produktionsplan für das I. Quartal 1954 nur mit 59,4 Prozent erfüllt, da Materialien und Ausrüstungen nicht rechtzeitig geliefert wurden. Außerdem war durch die Konstruktionsabteilung und die Betriebstechnologie die Produktion schlecht vorbereitet worden.

Im VEB Berliner Bremsenwerk wurde der Produktionsplan bis zum 15.5.[1954] nur mit 12 Prozent erfüllt. Der Jahresplan wurde erst im Dezember 1953 bestätigt, wodurch die Vorplanung und die Beschaffung von Materialien sowie Fachkräften zu spät erfolgten. Außerdem wirkt sich der Materialausschuss störend aus. So waren z. B. 17 Bremszylinder vom Karl-Marx-Werk Magdeburg6 nach der Bearbeitung unbrauchbar.

Der VEB Industriebau Berlin musste das Objekt Postaufbau in Biesdorf stilllegen, da durch Fehlplanung für die Fertigstellung dieses Baues eine Summe von 60 000 DM fehlt.

Produktionsstörung: Am 16.5.1954 fiel das Kraftwerk Großkayna, [Bezirk] Halle, durch einen Sammelschienenkurzschluss aus. Die Ursache hierfür wird noch ermittelt. Es entstand ein Sachschaden von ca. 10 000 DM.

Handel und Versorgung

Immer wieder wird aus den Bezirken berichtet, dass verschiedentlich die Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren nicht vollauf gewährleistet ist. Das ruft Verärgerung bei der Bevölkerung hervor und es kommt zu Äußerungen wie z. B.: »Es wird ja immer schlechter statt besser. Nicht einmal den richtigen Grund dafür bekommt man zu erfahren. Hier bei uns ist großer Mist, man bekommt weder Fleisch noch Wurst. Es wird nicht mehr lange dauern, da wird es wieder sein wie 1945/46 (ein Arbeiter aus Großenhain, [Bezirk] Dresden)«.

Bei der DHZ Lebensmittel in Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, lagern 3 Tonnen Schokoladenerzeugnisse im Werte von 240 000 DM (Einkaufspreis), die aufgrund der hohen Preise nicht abgesetzt werden können. Im Kreis Schleiz, [Bezirk] Gera, werden die Konsum-Verkaufsstellen mit Schokoladenerzeugnissen überbeliefert. Da aufgrund der hohen Preise das Absetzen schwierig ist, kommt es vor, dass diese Waren verderben.

Im Auslieferungslager der Kreiskonsumgenossenschaft Schleiz, [Bezirk] Gera, wurden 110 kg genussuntaugliche Margarine festgestellt, die der technischen Verwertung zugeführt werden müssen.

Landwirtschaft

Unter der Landbevölkerung wird wenig zu aktuellen politischen Problemen Stellung genommen. Über die Genfer Konferenz wird im ganz geringen Maße diskutiert. Ein MTS-Schlosser aus Beeskow, [Bezirk] Frankfurt: »Mich interessieren mehr die hiesigen Probleme, als die Fern-Ost-Gespräche. Aber wichtig sind sie doch für den Weltfrieden, denn einmal wird es doch zu einer Einigung kommen.«

Vorwiegend besteht das Interesse für wirtschaftliche und persönliche Belange, aus diesem Grunde stehen diese Fragen im Mittelpunkt der Gespräche. In einigen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt führen Bauern heftige Diskussionen über den Futtermangel. Verschiedentlich sind Bauern gezwungen, ihr Vieh deshalb schon jetzt auf die Weide zu treiben. Im gleichen Bezirk wird verschiedentlich von den Bauern bemängelt, dass es kein Nutzvieh zu kaufen gibt. Ein Bauer aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bemerkte hierzu: »Wenn wir kein Nutzvieh vom Handelskontor zu kaufen bekommen, können wir eben kein Rind abliefern. Das wird aber seine Auswirkung in der Versorgung der Bevölkerung mit Rindfleisch haben.«

Die Gemeinde Ristedt, [Bezirk] Magdeburg, wurde von einer Unwetterkatastrophe betroffen. Es mussten Felder mit Roggen, Tabak und Raps umgebrochen und Kartoffeln darauf gepflanzt werden. Der Rat des Kreises besteht darauf, dass das Soll auch von den Kulturen, die vernichtet wurden, erfüllt werden müsse, was zur Verärgerung der Bauern führt. Dazu äußerte ein Bauer: »Uns fehlt das Vertrauen zu den unteren Regierungsstellen. Wenn die oben diese Missstände kennen würden, würde es anders aussehen, denn alle haben den neuen Kurs begrüßt und wollen mithelfen, ihn nach besten Kräften zu verwirklichen.«7

In der Gemeinde Satow, [Bezirk] Neubrandenburg, sind Bauern empört, weil bei der LPG der Dünger auf den Feldern lagert und sie entweder gar keinen oder zu spät welchen bekommen.

In der Gemeinde Jüdenberg, [Bezirk] Halle, sind die Bauern verärgert, weil zu wenig gegen die starke Wildschweinplage unternommen wird, durch die großer Schaden angerichtet wird.

Im Kreis Putbus, [Bezirk] Rostock, klagen die Erntehelfer über die schlechte Unterbringung und Verpflegung. Darüber äußerte sich eine Angestellte von der MTS Garz, [Bezirk] Putbus: »Die Erntehelfer in Grabow, die aus Sachsen sind, sagen, dass sie bei trocken Brot, Salz und Zwiebeln nicht arbeiten können und wenn es nicht besser wird, wollen sie wieder abfahren. Auch ist ihre Unterbringung sehr schlecht. Des Öfteren müssen zwei Personen in einem Bett schlafen, da die Betten sehr primitiv sind, fallen sie oft auseinander.« Ein LPG-Bauer aus Lanken, [Kreis] Putbus: »Bei uns wollen die Helfer nicht mehr arbeiten, weil sie bisher noch kein Geld erhalten haben. Neun Helfer hatten am 11.5.[1954] nachmittags die Arbeit schon niedergelegt.«

Von den LPG und örtlichen landwirtschaftlichen Betrieben

In der LPG Oettelin, [Bezirk] Schwerin, haben zwölf Mitglieder ihre Austrittserklärung eingereicht, mit der Begründung, dass die Arbeitseinheiten nicht hoch genug bezahlt würden.

Im Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, klagen die Genossenschaftsbauern darüber, dass die MTS zu viel Bruch beim Düngerstreuen haben. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Streuketten aus Guss hergestellt sind.

Aus dem Bezirk Potsdam wurde berichtet, dass sich der Leiter der örtlichen landwirtschaftlichen Betriebe in Menz wie ein ehemaliger »Gutsherr« aufspielt. (Er wird in der Gemeinde »Baron von Terlewitz« genannt.) Diese Bezeichnung besteht nicht zu Unrecht, wenn er mit dem Kutschwagen durchs Dorf fährt, soll er ganz den Eindruck eines »Gutsbesitzers« machen. Er feiert auch große Feste, so z. B. hat er unter großem Aufwand seine silberne Hochzeit gefeiert. Woher aber die Mittel kommen, ist der Bevölkerung unverständlich.

Übrige Bevölkerung

Unter der übrigen Bevölkerung sind keine wesentlichen Veränderungen in der Stimmung zu verzeichnen. Zur Genfer Konferenz wird nur vereinzelt Stellung genommen und meist ein guter Ausgang erwartet, wie das nachstehende Beispiel zeigt: Ein parteiloser Pfarrer, 70 Jahre alt, aus Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Das Zustandekommen der Genfer Konferenz ist ein großer Sieg der Friedensbewegung und ich hoffe, dass man in Genf zu einer Einigung kommt und es auch möglich sein wird, das deutsche Problem durch Verhandlungen zu lösen. Es liegt nun an uns, unsere Stimme zu erheben.«

Negativ zur Genfer Konferenz äußern sich hauptsächlich die bürgerlichen Kreise und selbstständigen Handwerker. So erklärte z. B. ein Tischlermeister aus Vahldorf, [Bezirk] Magdeburg: »Erst sitzen sie in Berlin und jetzt in Genf.8 Die Kerle leben alle auf unsere Kosten. Man müsste sie alle mit den Köpfen zusammenschlagen, mehr sind sie nicht wert.«

Der Einfluss der Kirche zum II. Deutschlandtreffen in verschiedenen Gemeinden des Kreises Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, ist bemerkenswert. In Bahnsdorf und Sorno wird die Teilnahme mit der Begründung abgelehnt, dass die Teilnehmer in Berlin nicht nur hungern, sondern auch in Westberlin demonstrieren müssten, wo sie dann zusammengeknüppelt werden.9 Ferner, dass in Berlin ein neuer Krieg beginnt. Diese Argumente werden von den Pfarrern unter der Jugend verbreitet.

Die Verknappung von HO-Fleischwaren, die mit dem Deutschlandtreffen in Zusammenhang gebracht wird, steht weiterhin im Vordergrund der Diskussionen.10 Eine Hausfrau aus Steinigtwolmsdorf, [Bezirk] Dresden, sagte hierzu Folgendes: »Es ist ein Elend, dass es jetzt nichts gibt. Mit den Karten kommt man nicht aus und man hat sich danach eingerichtet. Die werden alles nach Berlin schaffen, denn dort kommt eine Menge zusammen und uns wird es abgezwackt.«

Ähnliche Diskussionen werden in den Randgebieten Berlins geführt. Nach einem Bericht aus der Kleingarten-Kolonie Berlin-Johannisthal herrscht in diesem Ort eine große Aufregung, da die HO-Fleischerei seit Tagen überhaupt keine Ware geliefert bekam.

Im Bezirk Berlin-Mitte wird von den Abgabeverwaltungen die Nachsteuer für 1952 und 1953 eingetrieben. Der Pächterin des Kulturraumes im Friedrichstadtpalast wurden im Zuge dieser Nachsteuer die gesamte Einrichtung im Werte von 8 000 DM gepfändet, einschließlich der Privatmöbel. Diese Maßnahme brachte Unruhe und erregte Diskussionen unter Kleingewerbetreibenden.

Von den Delegierten des Nationalkongresses11 wurde die teilweise schlechte Unterbringung der Verpflegungsstätten bemängelt. Die Verpflegungsstätten der im Bezirk Friedrichshain Untergebrachten z. B. lagen in Weißensee und in Treptow.

Am 16.5.1954 fand im Sorbischen Gebiet des Kreises Kamenz, [Bezirk] Dresden, in Rosenthal eine Wallfahrt der katholischen Jugend vom Bistum Meißen statt. An dieser Wallfahrt nahmen ca. 11 000 Jugendliche teil. Diese waren aus den verschiedensten Teilen der DDR nach Rosenthal gepilgert. Der Bischof von Meißen sprach zu den Jugendlichen.

Am 13.5.[1954] gegen 16.00 Uhr schlug in Graal-Müritz, Bezirk Rostock, ein Flakgeschoss ein. Vermutlich soll es von einem Düsenjäger stammen. Aus Rövershagen wird dazu gemeldet, dass dort die leere Hülse von einem Flakgeschoss in einem Garten gefunden wurde und Kleinvieh verletzt habe. Untersuchungen werden noch durchgeführt.

Feindtätigkeit

Am 15.5.1954 brach im Gebiet Grünewalde, [Kreis] Gorden, [Bezirk] Cottbus, der Waldbrand erneut aus, nachdem das Feuer am 13. und 14. Mai eingedämmt werden konnte. Circa 250 Hektar Hochwald und Schonung fielen den Flammen zum Opfer.

Am 2.5.1954, 23.00 Uhr, brach im Lager der Baugenossenschaft Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, ein Brand aus. Schaden ca. 100 000 DM. Ursache noch unbekannt.

Am 9.5.1954 wurden 1 m neben der Straße Pirna, [Kreis] Posta, [Bezirk] Dresden, auf einer kleinen Fläche ca. 200 bis 300 Kartoffelkäfer gefunden, die dort ausgelegt sein müssen, da sich in der Nähe kein Kartoffelfeld befindet.

Die Tätigkeit der Westsender

Der RIAS und andere Westsender versuchen zzt. mit aufgebauschten Meldungen und Lügen über die Lage der Lebensmittelversorgung in der DDR, besonders über die Versorgung mit Fleisch, die Bevölkerung zu beunruhigen. Gegen das II. Deutschlandtreffen wird weiter gehetzt, man versucht damit, die planmäßigen Vorbereitungen in finanzieller und organisatorischer Hinsicht zu stören. Außerdem sollen die Jugendlichen für den Besuch der Westsektoren gewonnen werden.

Der RIAS versucht besonders mit Argumenten über die bis jetzt aus der Republik flüchtig gewordenen Bauern die in Westdeutschland lebenden Bauern davon abzuhalten, das Angebot unserer Regierung anzunehmen und in die DDR zu übersiedeln.12 Eine weitere Sendung richtet sich gegen die Planwirtschaft in der DDR, dabei argumentiert der Londoner Rundfunk13 besonders mit Lügen über die »Unwirtschaftlichkeit« des Eisenhüttenkombinates »J. W. Stalin«. Die Lügen über administrative Normenerhöhungen in der DDR werden immer wiederholt, um die Arbeiter zu beunruhigen.

Propaganda des UFJ14

Der UFJ verbreitet laufend Hetzschriften, in denen die Bevölkerung aufgefordert wird, sich an der sogenannten deutschen Selbsthilfe15 zu beteiligen. Es handelt sich dabei um eine Art »Widerstand« gegen unsere Regierung, gegen die Partei und gegen die Wirtschaft, der vom Gegner als »sinnvoll« bezeichnet wird, weil diese Art Sabotage und Schädlingsarbeit dem Einzelnen nur schwer nachzuweisen ist. So wird z. B. in einer als »Leuna-Echo«16 bezeichneten Hetzschrift die Belegschaft u. a. aufgefordert, in den Leuna-Werken alle Selbstverpflichtungen abzulehnen, sich nicht an Wettbewerben zu beteiligen, auf Feierschichten [zu] bestehen, Neuerermethoden abzulehnen und langsamer zu arbeiten.

In einem Hetzblatt an die Bevölkerung des Bezirkes Leipzig mit der Überschrift: »Leipziger Allerlei« wird gleichfalls zum »Widerstand« nach dem unter »Selbsthilfe«17 bekannten Anweisungen (8 Punkte) aufgefordert. Da diese sogenannte Selbsthilfe unter Punkt 8 auch verlangt, Informationen an den UFJ zu schicken, versucht der UFJ in einer Hetzschrift mit dem Titel »Spionage oder Selbsthilfe«? die Bedenken der Leser zu zerstreuen. Der UFJ versucht darin zu beweisen, dass die Übermittlung von Nachrichten an den UFJ nicht als Spionage zu betrachten sei. In einer weiteren Hetzschrift des UFJ mit der Überschrift »Wir warnen« wird versucht, fortschrittliche Menschen, welche die Sicherheitsorgane im Kampf gegen die Agenten und Saboteure unterstützen, mit Drohungen einzuschüchtern. Außerdem wird zur Beobachtung aller Partei-, Staats- und Wirtschaftsfunktionäre aufgefordert.

Einschätzung der Situation

Zu den verschiedenen politischen Fragen wird weiterhin nur im geringen Umfange diskutiert, hauptsächlich in den Betrieben und vorwiegend positiv.

Die meisten negativen Diskussionen werden über wirtschaftliche und betriebliche Fragen (meist Mängel) in den Betrieben und auf dem Lande geführt.

Das Gleiche trifft zu in Fragen der Versorgung mit Lebensmitteln, besonders Fleischwaren, womit die Bevölkerung jetzt oft unzufrieden ist.

Anlage 1 vom 17. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2210

Stimmung der Delegierten beim II. Nationalkongress

Abgesehen von der Bemängelung einiger Referate seitens einzelner Delegierter sind alle Delegierten von diesem Kongress tief beeindruckt. Das trifft insbesondere bei den westdeutschen Delegierten zu, die nicht nur ihre große Hoffnung auf Einheit, Frieden und Freiheit in diesen Kongress legen, sondern auch ihrer Begeisterung über die Einrichtungen und Lebensverhältnisse in unserer demokratischen Ordnung Ausdruck verleihen.

Hierzu einige Beispiele: Bemängelung der Rede Nuschkes18.19 Ein SED-Mitglied, Vorsitzender des DRK Bezirksausschusses Erfurt, sagte: »Mir hat die Rede Nuschkes nicht gefallen. Er war zu krass in seinen Ausführungen. Gerade jetzt, wo die Kirche sich in den Friedenskampf einzuschalten beginnt, muss Nuschke provozieren und Dibelius20 angreifen. Das wird meines Erachtens nicht gut auf die Kreise der Kirche einwirken.«

Über die Richtigkeit der Politik in der DDR erklärte ein westdeutscher Arbeiter aus Nürnberg, Bayern, Folgendes: »Ich selbst habe einen sehr guten Eindruck von der Politik der DDR bekommen und werde meine ganze Kraft dafür einsetzen, dass alle Mitglieder unserer Partei von dem historischen Kongress für Einheit, Frieden und Freiheit überzeugt werden.«

Ein anderer Arbeiter aus Westdeutschland (Angehöriger des Betriebsrates) sagte: »Ich freue mich, dass immer mehr Arbeiter aus Westdeutschland in die DDR kommen. Diesmal habe ich drei neue mitgebracht.«

Über das Verhalten einiger Angehöriger der Verkehrspolizei aus Halle sagt ein Delegierter aus Heidelberg: »Die VP-Angehörigen haben einen sehr preußischen Ton an sich. Sie sagten zu mir, wenn Sie nicht sofort langsamer fahren, müssen wir ihren Wagen sicherstellen, denn Sie befinden sich hier nicht in Westdeutschland oder in Westberlin.«

Einige Delegierte beklagen sich über die schlechte Beflaggung Berlins zum Nationalkongress. Wieder andere über die Anpöbelung seitens Jugendlicher in der Gaststätte »Café Nord«, Schönhauser Allee.

Im Quartier Berlin-Pankow, Neue Schönholzer Straße 1 wurde ein Delegierter von den Söhnen des Quartiergebers ins Kino nach Westberlin eingeladen, weil es hier angeblich nur Filme über »Arbeit und Aktivisten« gäbe.

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblattverbreitung

Ostbüro der SPD:21 Dresden 770, Cottbus 4 000, Erfurt 600, Karl-Marx-Stadt 360.

NTS:22 Dresden 20, Cottbus 1 000, Wismut-Freital 41, Karl-Marx-Stadt 115 Stück.

»Freie Junge Welt«:23 Dresden 240, Cottbus einige Exemplare.

Verschiedener Art: Dresden 94, Gera einzelne, Halle 14, Karl-Marx-Stadt 30.

In tschechischer Sprache: Erfurt 130, Karl-Marx-Stadt 68.

KgU:24 Frankfurt 1 000.

Inhalt der Flugblätter: Hetze gegen die Partei, Regierung und gegen das II. Deutschlandtreffen.

In Bendeleben, Kreis Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, wurden fünf Plakate zum II. Deutschlandtreffen abgerissen.

Anlage 2 vom 17. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2210

Zur Vorbereitung des II. Deutschlandtreffens der FDJ

Die uns bekannt gewordenen Stimmen über das II. Deutschlandtreffen sind meist negativ (entspricht nicht der Gesamtstimmung).25 Ein Arbeiter vom VEB Steinzeug Werk Crinitz,26 [Bezirk] Cottbus: »Es ist schon eine Landplage mit diesen Festivals. An allen Ecken wird Geld gesammelt.«

Ein Angehöriger der MTS Wilmshagen, [Bezirk] Rostock: »Ich lasse meinen Jungen nicht nach Berlin fahren, denn wir wollen nicht, dass er dort kaputtgeschlagen wird.«

Einige Jugendliche aus der MTS Karstädt, [Bezirk] Schwerin: »Wir wollen in Berlin nicht noch mal hungern, wie es das letzte Mal der Fall war, wo wir einige Tage keine Verpflegung erhalten haben.«

Der FDJ-Sekretär der Lehrwerkstatt des Sprengstoffwerkes Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg: »Die Jugendfreunde, die sich jetzt noch nicht einzeichnen und den Teilnehmerbetrag von 15,00 DM noch nicht entrichten wollen, können nachher doch noch mitfahren. Sehr wahrscheinlich werden sie noch gebettelt, dass sie mitfahren, und der Betrag für Fahrt und Kleidung wird ihnen vielleicht auch noch erlassen.«

Im VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera, Fertigungsstätte Saalfeld, erklärten einige Jugendliche: »Unsere Eltern gestatten es nicht, dass wir mit nach Berlin fahren, da es dort zu Zwischenfällen kommen könnte.«

Im VEB Triptis,27 [Bezirk] Gera, vertreten einige Jugendliche die Meinung, »wenn nicht alle Jugendlichen, die sich gemeldet haben, am Deutschlandtreffen teilnehmen können, werfen wir dem Sekretär die FDJ-Dokumente vor die Füße«.

Ein Haushaltswarenhändler aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Für das Deutschlandtreffen kann ich nur eine Mark geben. Die Regierung der DDR hat mich auch mit keinem Pfennig unterstützt. Mein Bruder in Westdeutschland dagegen hat so viel Kredit bekommen, dass er bauen konnte.«

Drei Jugendfreunde aus Flieth, [Bezirk] Neubrandenburg: »Wir fahren nicht mit nach Berlin. Wir haben Angst, dass man uns in Berlin wegfängt oder erschießt.«

Eine Jugendfreundin von der MTS Vollrathsruhe, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich fahre nicht zum Deutschlandtreffen, sondern nach München zum Flüchtlingstreffen.«28

Aus Bautzen, [Bezirk] Dresden, wird berichtet, dass ein Gerücht verbreitet wird, wonach es in Berlin einen zweiten 15. August [1951] geben wird. Deshalb haben sich bereits 40 Jugendliche aus den Teilnehmerlisten streichen lassen. Im Stahlwerk und in der Baumwollspinnerei Riesa, [Bezirk] Dresden, haben sich aus ähnlichem Grunde 50 Prozent der Jugendlichen aus der Liste streichen lassen.

Am 1. Pfingstfeiertag findet in Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg, das traditionelle Motorradbergringrennen statt,29 an dem ein großer Teil Jugendlicher auch aus den Kreisen Templin, Prenzlau und Strasburg teilnehmen will. Deshalb haben sich bisher z. B. im Kreis Teterow von 750 festgelegten Teilnehmern erst 250 eingetragen.

Im Kreis Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, wurde festgestellt, dass die Jugendlichen aus Verwaltungen, Schulen, Konsum und HO sich oft mit Entschuldigungen, wie Familienfestlichkeiten, Vorbereitung zur Prüfung, Ferienplätzen usw., vom Deutschlandtreffen fernhalten wollen.

Im LEW Hennigsdorf und im Stahlwerk Hennigsdorf lehnt ein großer Teil FDJler die Fahrt nach Berlin ab, da ihnen die 15, 00 [DM] zu teuer seien. Oft wird das Argument gebracht, dass man mit der S-Bahn fahren kann und dann nur 0,50 DM zu bezahlen braucht.

Von der Forstfachschule Tharandt, [Bezirk] Dresden, haben sich von 280 FDJlern nur zwölf in die Teilnehmerlisten eingezeichnet. Als Grund hierfür wird angegeben, dass die Schüler ein »zu geringes Stipendium« und einen kurzen Urlaub hätten. In der Landwirtschaftsschule Bannewitz, [Bezirk] Dresden, haben sich von 85 FDJlern nur vier in die Listen eingezeichnet.

Im Bezirk Neubrandenburg wurde das Werbesoll bisher zu 70 Prozent erfüllt. Im Kreis Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, beträgt das Soll 1 000 Jugendliche. 160 haben sich bisher eingezeichnet, Im Kreis Belzig, [Bezirk] Potsdam, beträgt das Soll 1 000 Jugendliche, bisher wurden 300 Teilnehmer geworben.

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