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Zur Beurteilung der Situation

21. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2266 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird nur sehr wenig diskutiert. Vereinzelt wurde gegen das Verbot der Freien Deutschen Jugend in Westdeutschland Stellung genommen und dagegen Protest erhoben.1 So fanden z. B. Protestversammlungen in einzelnen Abteilungen des VEB Teerverarbeitungswerk Rositz, [Bezirk] Leipzig, in den Soda-Werken Karl-Marx, [Bezirk] Halle (anwesend: 900 Kollegen), und im VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden, statt.

Im Mittelpunkt der Diskussionen steht weiterhin die Hochwasserkatastrophe,2 worüber im Anhang berichtet wird. Daneben wird besonders über verschiedene wirtschaftliche und betriebliche Fragen gesprochen, die meist Verärgerung unter den Kollegen hervorrufen.

Von den Kollegen des Karl-Marx-Werkes Potsdam-Babelsberg,3 Halle 46, wurde während einer Dampferpartie ein Kollege, der erst kürzlich aus München in die DDR kam und während des Ausflugs gegen die DDR hetzte, der Grenzpolizei übergeben. Diese ließ ihn wieder frei. Am nächsten Tage stellte sich der Freigelassene wieder unbekümmert an seinen Arbeitsplatz, worauf sich die gesamten 250 Kollegen der Halle weigerten, weiterzuarbeiten. Sie forderten die Entfernung des betreffenden Kollegen, andernfalls wollten sie die Arbeit niederlegen. (Der Betreffende wurde entlassen.)

Einige Kumpels des Revier 4 Schacht 13 in Aue sind über die Schachtleitung unzufrieden, da sie angeblich die Arbeit hemmt. Ein Kumpel äußerte dazu: »Wir können wühlen, soviel wir wollen, immer ist eine Bremse da. Hast Du Bohrstangen, geht die Förderung nicht, geht die Förderung und hast du Bohrstangen, ist keine Luft oder kein Wasser da. Seit einiger Zeit klappt es mit der Förderung und der Luft, seitdem fehlt es jedoch an Bohrstangen. Die Leitung weiß davon, unternimmt jedoch nichts.«

Unzufrieden über den Lohn sind

  • Die Arbeiter der Abteilung Presserei des VEB Plasta in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, da sie bei achtstündiger Arbeitszeit kaum DM 10,00 verdienen. Bei der letzten Abrechnung erhielten verschiedene Familienväter wöchentlich DM 40,00 ausgezahlt. Der größte Teil der Maschinenarbeiter will deshalb kündigen,

  • Kollegen der Mathias-Thesen-Werft, da der Lohngrundkatalog nicht den genauen Anfangslohn und die Entlohnung während der weiteren Qualifizierung der Arbeiter enthält. Einige Arbeiter erklären dazu, dass ein gelernter Arbeiter nach den niedrigsten Lohngruppen bezahlt wird,

  • die Fahrkartenausgeber bei der U-Bahn, die alle von der Gehaltsgruppe 3, Leistungsstufe II in die Gehaltsstufe 4 hochgestuft wurden. Der größte Teil erhält dadurch den gleichen Lohn wie vorher, nur wenige Kollegen haben eine Leistungsstufe. Darüber wird unter den Kollegen sehr erregt diskutiert, denn nach ihrer Meinung leisten alle Ausgeber die gleiche Arbeit. Aufgrund dieser Höhergruppierung wird von den Zugführern der U-Bahn in verstärktem Maße die Forderung nach Erhöhung des Stundenlohnes um 0,05 DM erhoben.

Die Entlohnung bei der Reichsbahn bemängeln Rangierer des Bahnhofes Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, die sich deshalb eine neue Arbeitsstelle suchen wollen; Eisenbahner des Bahnhofs Weißenfels, [Bezirk] Gera, wo z. B. der Fahrdienstleiter äußerte: »Unsere Sorgen und Nöte sind nur, dass wir mehr Geld bekommen. Es ist aber zwecklos, etwas zu sagen, man kriegt ja doch keine Unterstützung.«

Schlechte Stimmung wegen Herabsetzung der Prämien im Wettbewerb des II. Quartals besteht unter den Kollegen der Verkehrsbetriebe Dresden, Bahnhof Coswig. Die bisherige Prämiensumme wurde von 25,00 auf 20,00 DM, die Brigadeprämie von 50,00 auf 40,00 DM gekürzt, ohne dass dafür eine Begründung gegeben wurde.

Massenbedarfsgüterproduktion: Im VEB Stahlgabelwerk in Meiningen, [Bezirk] Suhl, hat die Belegschaft beschlossen, die Massenbedarfsartikelproduktion bis zum Jahresende um 100 Prozent überzuerfüllen. Im VEB »Welton« Meiningen wurde bis heute der Plan für Massenbedarfsgüter noch nicht mit 50 Prozent erfüllt. In der Werft Wismar, [Bezirk] Rostock, wurden für die Herstellung von Eimern 1,2 Stunden berechnet (je Eimer), gebraucht werden jedoch vier Stunden. Der verantwortliche Produktionsdirektor hat bisher dagegen nichts unternommen.

Unterschiede in den Preisen für Putzschaufeln bestehen beim VEB Stanzwerk Berlin, Grünberger Straße und bei der Privatfirma Sellmann Berlin-Adlershof. Beim VEB kosten die Schaufeln ohne Griff DM 23,00 pro Stück, bei der Privatfirma kosten sie mit Griff ungefähr DM 14,00.

Ersatzteilmangel besteht beim VEB Taxi, Saalfeld, [Bezirk] Gera, für EMW Personenwagen. Es fehlt besonders an Reifen.

Materialmangel

Im VEB Saxonia Leisnig,4 Kreis Döbeln, [Bezirk] Leipzig (410 Beschäftigte), mussten aufgrund von Anlieferungsschwierigkeiten an Wolle 14 Webstühle stillgelegt werden. Wenn keine Verbesserung eintritt in der Belieferung, müssen weitere Webstühle ruhen.

Im VEB Fortschritt Neustadt,5 [Bezirk] Dresden, mangelt es an Blechen verschiedener Stärke, Rundstahl und Federringen. Laut Plan sollten im Juli 140 Räum- und Sammelpressen hergestellt werden, bis zum 17.7.[1954] wurde jedoch noch keine dieser Pressen fertig.

Im VEB Sanarwerk Königsbrück, [Bezirk] Dresden, fehlt es an Schrauben, wodurch die Produktion stockt.

Im VEB Nähmaschinenwerk Schwerin6 fehlt es an verschiedenen Stahlsorten.

Die Arbeiten des Bauhofs Hagenow für die BSG des »Ernst-Thälmann«-Werkes in Lübtheen,7 [Bezirk] Schwerin, gehen sehr schleppend voran, weil es laufend an Materialien fehlt.

In den Ketten- und Nagelwerken Weißenfels, [Bezirk] Halle, fehlt es besonders an Drähten und Bandeisen, wodurch Exportaufträge mangelhaft erfüllt werden können.

Im VEB »7. Oktober« in Berlin8 bestehen Schwierigkeiten in der Anlieferung von Großguss- und Normenteilen sowie Elektromotoren.

Im VEB Gaselan,9 Zweigwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder wird das Material vom Hauptwerk in Berlin sehr schleppend angeliefert, wodurch die Arbeiter mit Nebenarbeiten beschäftigt werden, die Arbeitsmoral stark sinkt.

Im VEB Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, bestehen weiterhin Materialschwierigkeiten.

Absatzschwierigkeiten hat der VEB Flachsröste und Weberei Vetschau, wo Waren im Werte von 300 000 DM lagern, die trotz Verträgen mit der DHZ Industrie/Textilien in Karl-Marx-Stadt nicht abgesetzt werden können.

Handel und Versorgung

Die Bezirke Schwerin, Magdeburg, Halle, Rostock berichten weiterhin über Schwierigkeiten in der Belieferung mit Frühkartoffeln, die sich besonders in den Städten dieser Bezirke bemerkbar machen. Aus dem Bezirk Magdeburg kommt die Meldung, dass diese Schwierigkeiten in fast allen Kreisen verstärkt auftreten. In Wernigerode z. B. wurden für die I. und II. Juli-Dekade erst 29 Prozent angeliefert. Diese Mengen reichen noch nicht einmal für die Großküchen und Kinderferienlager aus.

Über Zigarettenmangel der billigen Sorten, insbesondere der vielgefragten Sorte »Turf«, berichten die Bezirke Suhl, Gera und Erfurt.

Die Gastwirte und Kraftfahrer in Gotha, [Bezirk] Erfurt, beschweren sich darüber, dass sie keinen Bohnenkaffee erhalten. Demzufolge sind die Kraftfahrer gezwungen, statt Bohnenkaffee Bier zu trinken.

In einigen Kreisen des Bezirkes Suhl sind die Fischwaren sehr knapp. Im Kreis Schmalkalden mangelt es außerdem an HO-Fleisch und Tee. Unter den Kumpeln der Maxhütte,10 die Sparverträge abgeschlossen haben und diese bereits erfüllt haben, herrscht große Unzufriedenheit darüber, dass überhaupt keine Motorräder geliefert werden.

In der Kreiskonsumgenossenschaft Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, lagern ca. 500 kg Schmalz, die die Verderbsgrenze erreicht haben. Desgleichen lagern dort noch ca. 6 t Fleisch- und Wurstkonserven, wovon ein Teil überlagert ist und die Verfallsgrenze erreicht hat. Ursache sind die Absatzschwierigkeiten wegen der zu hohen Preise für die Landbevölkerung und die laufende Anlieferung trotz dieser Absatzschwierigkeiten.

In der DHZ Leder Bautzen, [Bezirk] Dresden, lagern ca. 2 000 Paar Schuhe in Kisten verpackt auf dem Hof, der Witterung ausgesetzt, weil die Lager überfüllt sind. Es handelt sich um Schuhe im Werte von DM 80,00 bis 100, die von der Bevölkerung wenig gekauft werden. Infolge der langen Lagerzeit sind der DHZ 152 000 DM Verzugszinsen und 33 000 DM durch laufenden Transport an Mehrkosten entstanden. Außerdem sind die Schuhe durch Nässe verzogen bzw. vermodert und müssen zum Trocknen ausgelegt und neu geputzt werden.11

Landwirtschaft

Die Landbevölkerung diskutiert nur im geringen Umfang über die politischen Tagesfragen. Zurzeit steht die Unwetterkatastrophe im Mittelpunkt der Diskussionen, worüber im Anhang berichtet wird. Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen, wie es folgende Beispiele beweisen. Im Kreis Herzberg, [Bezirk] Cottbus, ist das Gerücht aufgetaucht, dass aufgrund der Unwetterkatastrophe das Getreidesoll um 50 Prozent gesenkt wird.

Die Mitglieder der LPG Warnitz,12 [Bezirk] Schwerin, beschweren sich über das Verhalten des LPG-Vorsitzenden. Sein Verhalten wird mit dem eines Großbauern verglichen. Nach Angaben soll er saufen, die werktätigen Bauern belügen und täuschen, sie zur Arbeit antreiben und ihnen mit Hinauswurf aus der LPG drohen. Ferner beleidigt er die Mitglieder der LPG in schlimmer Weise und dergleichen mehr.

In den LPG des Kreises Niesky, [Bezirk] Dresden, bestehen große Schwierigkeiten durch Arbeitskräftemangel, beim Einbringen der Ernte. In der LPG Seifersdorf, [Bezirk] Dresden, können zwei Gespanne nicht benutzt werden, weil keine Kutscher vorhanden sind.

In der LPG Wilmersdorf, [Bezirk] Potsdam, lagerten noch 100 Ztr. altes Getreide. Der Vorsitzende der LPG wurde angesprochen, das Getreide auf das neue Kontingent abzuliefern. Dieses wurde abgelehnt und das Getreide frei verkauft (noch nicht überprüft).

Im Kreis Jena, [Bezirk] Gera, können keine Traktoren bei der Rapsernte eingesetzt werden, weil der Boden zu nass ist. Für den Einsatz mit Sensen fehlen die notwendigen Kräfte. Einzelne Personen benutzen die Schlechtwetterperiode als Beweismittel gegen die Anbaupläne. Dazu äußerte ein Mitglied der LDP in der Gemeindevertretersitzung Folgendes: »Wie das Wetter in letzter Zeit bewiesen hat, sind alle Pläne nutzlos. Jeder Bauer ist vom Wetter abhängig und die Pläne sollten in Zukunft unterlassen werden.«

In der MTS Schletta, [Bezirk] Dresden, sind durch die Anweisung, dass der Drusch von Elektroenergie auf Traktorenantrieb umzustellen ist, Schwierigkeiten entstanden, weil diese Maßnahme erst kurz vor der Kampagne bekannt gegeben wurde.

Unter den Bauern von Markersbach und Burkhardswalde,13 [Bezirk] Dresden, herrscht große Unzufriedenheit über die am 17.7. und 18.7.1954 eingesetzte Jagdkommission,14 die sich statt mit dem Wildbestand mit übermäßig viel Alkohol im Gasthaus beschäftigt hat.

Auf einer Bauernmesse in Ifta, [Kreis] Eisenach, [Bezirk] Erfurt, wurde festgestellt, dass für die Landwirtschaft nicht genügend Sensen und Elektrogeräte für 120 und 110 Volt vorhanden sind.

Im Kreis Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg, herrscht unter einigen Bauern wie in den Gemeinden Bagemühl und Radewitz große Missstimmung über die zum Teil vor vier Jahren begonnenen Siedlungsbauten, die bis zum heutigen Tag nicht fertiggestellt wurden, und teilweise dem Verfall ausgesetzt sind.

Übrige Bevölkerung

Im Mittelpunkt der Diskussionen steht die Hochwasserkatastrophe; darüber berichten wir im Anhang. Über politische Tagesfragen wird nur ganz vereinzelt diskutiert. Bei den uns bekannt gewordenen Stimmen, handelt es sich um Diskussionen von Menschen, die unserer DDR gegenüber feindlich eingestellt sind. Ein ehemaliger Händler aus Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Die Volkskammer hat aber mit ihrem dämlichen Schreiben eine schöne Schlappe erlitten.15 Es ist ja lachhaft, überhaupt sowas zu schreiben. Unsere werden sich schon noch umgucken, was da noch kommt. Ich möchte nicht in deren ihrer Haut stecken. Es wird auch höchste Zeit, dass diese Rasse verschwindet.«

Ein Angestellter aus Geithain, [Bezirk] Leipzig: »Wir reden soviel von der Genfer Konferenz.16 Dabei kommt sowieso nichts Gescheites heraus. Es ist wirklich eine Schande, dass man dafür so viel Zeit vergeudet. Man sollte sich lieber mit Sachen befassen, wo man von vornherein sieht, dass etwas dabei herauskommt. Ich bin der Meinung, dass man mit den westlichen Außenministern auf friedlichem Wege niemals zum Erfolg kommen kann.«

Diskussionen, die sich mit wirtschaftlichen und persönlichen Belangen beschäftigen

Aus dem Kreis Wolgast, [Bezirk] Rostock, wird berichtet, dass die Bevölkerung sehr unzufrieden mit der Belieferung von Gemüse und Obst ist. Eine parteilose Hausfrau sagte hierzu Folgendes: »Man sieht doch, dass der ›Neue Kurs‹ Erfolge bringt, denn die Versorgung klappt gut« (höhnisch).17

Die Bezirksstelle für Statistik in Neubrandenburg ist seit ca. 15 Monaten unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen untergebracht. Anfangs sollten die Arbeitsräume nur sechs Wochen benutzt werden. Unter den Kollegen herrscht große Missstimmung, es wurde die Forderung gestellt, die Arbeitsräume zu sperren, da sie nicht mehr gewillt sind, weiterhin in diesen gesundheitsschädigenden Räumen zu arbeiten. Da bis jetzt nichts geschah, erhoben einige Kollegen die Forderung, die Arbeit in diesen Zimmern abzulehnen. Die Arbeitsmoral ist bei allen Kollegen erheblich gesunken.

Einige Rentner aus Ilmenau, [Bezirk] Suhl: »Es ist nicht richtig, die Preise für das Gemüse und Obst zu hochzusetzen. Wir müssen von unseren DM 74,00 Rente die üblichen Ausgaben bestreiten und von den übrigen 45,00 DM müssen wir leben. Aber wir würden auch gern einmal Kirschen oder Gemüse kaufen, aber dazu fehlt das Geld.« Aus Magdeburg wird uns berichtet, dass Rentner zum Ausdruck bringen, dass es höchste Zeit wird, ihnen zu helfen. Es wäre unmöglich, dass man Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, zumutet, jetzt mit DM 65,00 oder etwas mehr auszukommen.

Einschränkungen des Wismutsperrgebietes:18 Die VP im Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, kann keine bindende Auskunft auf die Anfragen der Bevölkerung erteilen. Darüber sind die Einwohner missgestimmt und bringen zum Ausdruck, dass eine sehr schlechte Zusammenarbeit zwischen VP und Presse bestände, da die Presse bereits vor acht Tagen einen Artikel darüber geschrieben hat.19

Im Hauptpostamt Löbau, [Bezirk] Dresden, haben im letzten halben Jahr 42 Kollegen gekündigt. Dadurch sind die Zeitungszustellung und das Austragen der Post gefährdet. Begründungen der Kündigungen: »Die Entlohnung für die schwere Arbeit ist zu gering« (DM 220–250 monatlich).

Im Ferienlager Gasthof Kettingswalde, [Bezirk] Dresden, sind zwei Kinder an Scharlach erkrankt. Das Lager befindet sich in Quarantäne.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:20 Dresden 14, Karl-Marx-Stadt einige.

KgU:21 Frankfurt 25.

NTS:22 Suhl 3 000, Halle 342, Karl-Marx-Stadt und Dresden einige.

FDP-Ostbüro: Potsdam 5 000.

In tschechischer Sprache: Dresden 37.

Antidemokratische Tätigkeit

Im VEB Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera, wurde in der Nacht vom 16. zum 17.7.1954 eine Hetzparole mit Hakenkreuzen angeschmiert. Im Stahlwerk Riesa, [Bezirk] Dresden, wurde an ein Walzengerüst eine Hetzlosung angeschmiert. In der Thälmannwerft in Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, wurden in einer Toilette Hetzparolen festgestellt.

Durch unbekannte Täter wurden auf dem Ost-Friedhof in Gera der Gedenkstein eines jüdischen Urnengrabes, in welchem die Asche von 446 ermordeten Juden beigesetzt ist, und drei Grabsteine von jüdischen Gräbern umgestürzt.

Schädlingstätigkeit

In von der Konsumfleischerei Pulsnitz, Kreis Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, gelieferter Wurst befand sich ein Stück Glas.

Durch Verschulden des Leiters des Industrieladens des Ministeriums für Leichtindustrie, VEB »Lößnitzer Schuhfabrik« ist ein Sachschaden von 142 000 DM entstanden. Der Beschuldigte hat es während der Zeit des Hochwassers unterlassen, trotz mehrmaliger Hinweise durch die Bevölkerung, die gefährdeten Räume zu leeren und die Schuhwaren sicherzustellen.

Vermutliche Feindtätigkeit

In dem VEB Energieverteilung in Suhl, Sitz Meiningen, mehren sich in letzter Zeit die Republikfluchten, darunter auch von leitenden kaufmännischen und technischen Angestellten, z. B. der Gasingenieur (SED) und der Justitiar (CDU). Vonseiten des Personalleiters wird vermutet, dass hier eine organisierte Feindtätigkeit von Westdeutschland vorliegt, da alle Flüchtigen bereits drüben wieder überwiegend in der Energiewirtschaft tätig sind oder nach kurzer Zeit Arbeit haben.

Auf der neuen Straße nach Meuselwitz, zwischen Stockhausen und Gleina, Kreis Zeitz, [Bezirk] Halle, wurde ein 14-jähriger Junge durch ein Infanteriegeschoss mit einem Bauchschuss verletzt (Ermittlungen laufen noch).

Einschätzung der Situation

Die Hochwasserkatastrophe steht weiterhin im Vordergrund in allen Bevölkerungskreisen. Besonders unter den Werktätigen zeigt sich eine große Bereitschaft zur Hilfe und zur Behebung der Schäden.

Über die verschiedenen politischen Fragen wird jetzt nur sehr wenig gesprochen. Viel häufiger sind Gespräche wegen Mangel in der Produktion, in der Materialversorgung und in der Versorgung der Bevölkerung festzustellen.

Teilweise besteht Unzufriedenheit in Lohnfragen.

Der Umfang der feindlichen Flugblattverbreitung ist verhältnismäßig gering.

Anlage 1 vom 21. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2266

Bericht über die Hochwasserkatastrophe

Die Hochwasserkatastrophe steht im Mittelpunkt der Diskussionen unter der gesamten Bevölkerung. Die Diskussionen über die Solidaritätsaktionen stehen dabei im Vordergrund. Man kann feststellen, dass die Solidaritätsaktionen große Ausmaße angenommen haben. Meist verpflichtet man sich, Prozente des Gehaltes bzw. Lohnes für die Hochwassergeschädigten zu spenden, dies trifft überwiegend bei Arbeitern und Angestellten zu. Ebenfalls sind die Sachspenden sehr reichlich. Im geringeren Umfang werden Produktionsverpflichtungen bekannt. Von der Landbevölkerung wurden uns sehr viele Beispiele bekannt, wo Getreide, Futtermittel usw. gespendet wurden.

Ein Transportarbeiter aus den Buna-Werken, [Bezirk] Halle, verpflichtete sich, in den Monaten Juli, August und September 1954 je zwölf Stundenlöhne für die von der Katastrophe Geschädigten zur Verfügung zu stellen.

Im VEB IKA Annaberg,23 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, spendeten die Kollegen für die Hochwassergeschädigten bisher DM 2 500. Außerdem erklärten sich einige Kollegen bereit, im VEB Sternradio Rochlitz bei der Entschlammung des Betriebes aktiv mitzuarbeiten. Die Belegschaftsmitglieder des VEB Walzkörper in Bad-Liebenstein spendeten DM 1 000 und 12 Ztr. Kartoffeln für diesen Zweck.

Die Kollegen vom VEB Plasta in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, spendeten bis zur Stunde DM 1 045; die Aktion ist noch nicht abgeschlossen. Weiterhin verpflichtete sich die FDJ-Betriebsgruppe von diesem Werk, einen Sondereinsatz durchzuführen und den Erlös den Geschädigten zur Verfügung zu stellen. In dem Zweigwerk ALFI/Fischbach,24 [Bezirk] Suhl, beträgt die gesammelte Summe ca. DM 2 300.

Im BKW »Franz Mehring« wurden im freiwilligen Arbeitseinsatz zusätzlich 20 t Kohle und Kohlenholz als Brennmaterial gesammelt.

Aus dem Kreis Tangermünde, [Bezirk] Magdeburg, wird gemeldet, dass im landwirtschaftlichen Sektor ca. 10 000 DM gesammelt wurden. An Naturalien wurden 30 dz Kartoffeln, 117 dz Getreide, 20 dz Futtermittel, drei Kälber und anderes mehr gespendet. An diesen Aktionen sind alle Schichten der Bauern beteiligt.

In der Gemeinde Matgendorf, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde vonseiten der Volkssolidarität eine Sammlung durchgeführt. Die Gemeinde ist eine Altbauerngemeinde und außerdem sehr religiös. Bei der Sammlung spendeten fast alle Altbauern durchschnittlich DM 10,00.

In Berlin-Mitte wurden von der Bevölkerung derart viele Sachspenden für die Hochwassergeschädigten abgegeben, dass keine Möglichkeit mehr besteht, diese in den zur Verfügung stehenden Räumen unterzubringen. Aus diesem Grunde musste diese Annahmestelle geschlossen werden.

Diskussionen über die Ursachen der Unwetterkatastrophe

Diese Diskussionen sind etwas geringer geworden. Nach wie vor steht ein großer Teil der Bevölkerung auf dem Standpunkt, dass die Atombombenversuche der USA die großen Regenfälle ausgelöst hätten.25 Einzelne Personen bringen die Regenfälle mit der Sonnenfinsternis in Verbindung.26 Andere Menschen verneinen vorstehende Ursachen mit der Begründung, dass es schon immer Hochwasser gegeben hätte. So sagte z. B. eine parteilose Hausfrau aus Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe die Meldungen in der Presse und im Rundfunk genau verfolgt und ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Hochwasserkatastrophe mit den Wasserstoffbombenabwürfen in Verbindung zu bringen ist«.

Ein CDU-Mitglied aus Heringsdorf, [Bezirk] Rostock: »Soll Menschenhand ungestraft solche Verbrechen begehen? Wie lange soll diese Meute von Verbrechern ihr Treiben fortsetzen. Das mit den Atombombenversuchen sind doch Auswüchse von tierischem Sadismus. Tollwütige Hunde tötet man, was tut man aber mit den Tieren aus dem weißen Haus?«

Ein sechzigjähriger Einwohner aus Spremberg, [Bezirk] Cottbus: »Hoffentlich stellt jetzt die USA die Herstellung von Wasserstoffbomben ein. Da japanische Wissenschaftler festgestellt haben, dass die Wirkung dieser Bombenversuche die Stratosphäre beeinflusst haben und sich zum Nachteil für die Bevölkerung in der ganzen Welt auswirken«.

»Ich bin nicht der Meinung«, sagte ein Arbeiter aus Frankfurt, »dass die Wasserstoffbombe nach vier Monaten noch solche Unwetterkatastrophen herbeiführen kann, wie es unsere Zeitung schreibt. Ich habe schon oft gelesen, dass auch nach Sonnenfinsternissen Katastrophen eingetreten sind. Man will eben den Amerikanern unbedingt etwas anhängen.«

Ein Arbeiter von der MTS Wriezen, Kreis Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Solche Naturereignisse soll man nicht politisch auswerten. Auch früher hat es solche Dinge gegeben. Man kann die Zeitungen auch mit anderen Dingen vollschreiben«.

Anlage 2 vom 21. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2266

Auswertung der Westsender

Industrie

Der Londoner Rundfunk27 beschäftigt sich in seinem Interview mit R. Bialek28 mit der Planwirtschaft in der DDR. Erwähnt werden dabei Wartezeiten zu Anfang des Jahres durch die »verspätete Beschlussfassung« über den Volkswirtschaftsplan. Der Sender hetzt, dass die zu Anfang des Jahres eingetretenen Verlustzeiten dann am Ende des Jahres »durch Verschärfung der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft« aufgeholt würden.

In einer Sendung über die Arbeitsschutzbestimmungen hetzt der RIAS, dass für den Arbeitsschutz kein Geld vorhanden sei und außerdem durch bürokratische Maßnahmen jede Arbeitsschutzbestimmung illusorisch würde.

Meldungen des Senders »Freies Berlin«: Beim »Bau der Jugend« in Trattendorf29 seien 20 Leiter abgelöst worden.

Die DDR habe von der SU einen Sonderauftrag zur Lieferung von Generatoren, Transformatoren usw. im Werte von 6 Millionen Rubel für ein sowjetisches Atomkraftwerk erhalten.

Bulgarien habe die Tabaklieferungen an die DDR fast völlig eingestellt, was zu Produktionsstockungen in der Zigarettenindustrie führe.

Reichsbahn

RIAS berichtet über eine Tagung von Vertretern des Ministeriums für Eisenbahnwesen mit den Werkleitern der RAWs. In Verdrehung der dort gemachten Ausführungen setzt der RIAS die Hetze über eine angeblich katastrophale Lage im Eisenbahnwesen fort. RIAS hetzt, dass der stellvertretende Minister zur Abänderung der Zustände Normenerhöhungen vorgeschlagen habe.

Sender »Freies Berlin« versucht, die Arbeiter der RAW in der DDR mit der Meldung zu beunruhigen, dass in Kürze mit großen Entlassungen zu rechnen ist. Als erstes Beispiel wird das RAW Potsdam genannt.

Landwirtschaft

Mängel in der Versorgung unserer Landwirtschaftsmaschinen mit Ersatzteilen benutzt der RIAS zu einer Hetze gegen unsere volkseigene Industrie. Gehetzt wird über die Produktion neuartiger Landmaschinen, gegen das Prämiensystem und die Produktion von Ersatzteilen. Zum Prämiensystem heißt es, »die leitenden Funktionäre erhalten ihre Prämien für den Ausstoß von Fertigmaschinen, ob sie brauchbar sind oder nicht« und es wird weiter gehetzt, dass die VEB aufgrund des Prämiensystems keine Ersatzteile herstellen, da es dafür keine Prämien gäbe. Einige MTS wären aus diesem Grunde dazu übergegangen, die benötigten Ersatzteile in der Privatindustrie zu bestellen.

Zur Verleumdung der LPG verbreitet der Sender »Freies Berlin« Meldungen, dass in mehreren Gemeinden des Kreises Herzberg Nichtmitglieder der LPG aus ihren Wohnungen, die der LPG gehören, herausmüssen.

Hochwasserkatastrophe

Gegen beschlossene Hilfsmaßnahmen unserer Regierung zur Überwindung der Hochwasserschäden hetzt der RIAS. Er spricht die »Befürchtung« aus, dass durch die »Anweisung über die allseitige Hilfe von Betrieb zu Betrieb nur nach Rücksprache mit den staatlichen Organen« naturnotwendigermaßen bürokratische Schwierigkeiten, die eine schnelle, direkte Hilfe verzögern, entstehen. Gleichzeitig wird über Planschwierigkeiten und »Krise in der Energieerzeugung« gehetzt.

RIAS kommentiert in einer weiteren Sendung in verleumderischer Art die Ausführungen unseres Ministerpräsidenten Otto Grotewohl30 im »ND« vom 18.7.1954 zur Hilfe für die Hochwassergeschädigten.31 Unter anderem wird versucht, die Landbevölkerung gegen unsere Regierung zu beeinflussen, es heißt u. a.: »Es hat den Anschein, als ob gerade die Landbevölkerung in den vom Hochwasser bedrohten Gebieten am stärksten unter der verantwortungslosen Taktik der Pankower Verwaltung32 zu leiden hat.« Dieser Satz bezieht sich auf die Meldung, dass Betriebe bereits den erlittenen Produktionsausfall eingeholt haben.

Zu den Worten des Genossen Otto Grotewohl, dass Schadenmeldungen ungenau gegeben wurden, hetzt der RIAS, dass unsere Regierung die untergeordneten Verwaltungsstellen durch die Beschuldigung, falsche Angaben gemacht zu haben, zwingen wolle, ihre bisherigen Aufgaben ohne Berücksichtigung des tatsächlich im Bereich der jeweiligen Verwaltung entstandenen Schadens durchzuführen.

Arbeit der Staatsorgane

Im Rahmen einer Sendung über die Behandlung kranker Häftlinge in den Strafvollzugsanstalten der DDR berichtet RIAS über »erschreckende Notstände, wie jetzt in der SVA Untermaßfeld bei Meiningen«. Bei einer dort vorhandenen Typhusepidemie seien 120 Gefangene erkrankt und acht davon verstorben. Die Lage kranker Gefangener wird dabei in den schwärzesten Farben geschildert. Die Hetze wird fortgesetzt mit Ausführungen über angebliche zahlreiche Fälle von Tbc-Kranken. Die Hörer werden aufgefordert, die Schilderungen aus den SVA an andere Personen weiterzugeben.

In einer Sendung über die KVP versucht der RIAS, die Angehörigen der KVP zum geheimen Widerstand aufzuputschen. Die KVP-Angehörigen sollen sich kritisch mit allem Gesagten auseinandersetzen und die »materialistische Dialektik, die alles vereinfacht«, abzulehnen. Sie sollen aus den Ereignissen des 20. Juli 1944 »Lehren« ziehen.

RIAS meldet, dass gegen Heinz Keßler33 in einer internen Besprechung mit Mitgliedern des ZK, Funktionären der KPP, des Zentralrates der FDJ und Generalleutnant Mielke34 vom SfS eine »Parteiuntersuchung« eingeleitet worden wäre. Als Begründung werden vier Punkte angeführt.

In Verbindung mit einer Hetzsendung zur Massendemonstration am 19.7.1954 auf dem Marx-Engels-Platz35 gibt der Sender »Freies Berlin« erneut die Losung »freie Wahlen« heraus. Es heißt: »Über der heutigen Kundgebung im Lustgarten stand unsichtbar die Parole ›freie Wahlen‹. Die Parole, die in der Sowjetzone von Mund zu Mund geht und deren Verwirklichung das Ende der kommunistischen Diktatur würde.«

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