Zur Beurteilung der Situation
8. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2063b zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Viererkonferenz1 steht weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen (siehe Anhang).
Zum Jahr der großen Initiative2 wurden von den Kumpels des Werkes »Deutschland«,3 Bezirk Karl-Marx-Stadt für das 1. Quartal 1954 bisher insgesamt 1 144 Einzelwettbewerbe, 16 Brigadewettbewerbe und ein Panzerwettbewerb4 abgeschlossen.
Materialmangel besteht im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin«, wo in den letzten Tagen der Plan der täglichen Roheisenerzeugung nicht erfüllt werden konnte. Der Grund liegt am Mangel von sowjetischen Erzen. Gleichfalls ist der Koks aus der ČSR total festgefroren, sodass am 6.1.1954 der Ofen III wegen Koksmangel ausfallen musste. Auch im VEB Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig bestehen Schwierigkeiten in der Anlieferung von Scharstahlplatinen. Das von der Maxhütte Unterwellenborn gelieferte Material besitzt eine Ausschussquote von 2 bis 41 Prozent.
Die Wurzener Teppichfabrik, [Bezirk] Leipzig, ist gezwungen, ihre Produktion einzustellen, wenn nicht schnellstens die benötigten Rutenmesser aus Westdeutschland eintreffen. Bemühungen der Betriebsleitung bei dem DIA Berlin ist seit zwei Jahren erfolglos verlaufen. Kleinere Privatbetriebe haben diese Materialien jedoch erhalten.
Waggonmangel herrscht immer noch im Zementwerk Karsdorf, [Bezirk] Halle. Dies wirkt sich auf die gesamte Produktionserfüllung aus. Der Produktionsplan 1953 konnte nur knapp erfüllt werden. Unter der Belegschaft macht sich eine starke Unzufriedenheit dadurch bemerkbar, da sie dadurch Nachteile im Lohn verspüren.
Die Einstellung der Gaslieferung für Industrie führte in einigen Betrieben zu Produktionsstockungen. Im VEB Spritzgusswerk Harzgerode, [Bezirk] Halle, führte die Einstellung der Gaslieferung zu einer Stilllegung der Gießerei. Der voraussichtliche Schaden beläuft sich auf ca. 30 000 DM. Auch in den Leipziger Eisen- und Stahlwerken und im VEB Schumann & Co5 in Leipzig bestehen Produktionsschwierigkeiten durch zu geringe Gaslieferung. Im letzten Betrieb kann ein großer Teil der Arbeiter deshalb nicht arbeiten.
Handel und Versorgung
Die Nachfrage in HO-Sportartikel Suhl nach Skiern, Bindungen und anderen Wintersportgeräten ist sehr groß. Die Sportler sind verärgert, dass es nicht einmal in den Wintersportorten Sportartikel zu kaufen gibt.
Landwirtschaft
Diskussionen über die bevorstehende Viermächtekonferenz halten auch unter der Landbevölkerung an (siehe Anhang).
Zum Jahr der großen Initiative beschlossen die Traktoristen der MTS Groß-Leuthen, [Bezirk] Cottbus, in Hochkampagnezeiten im Zwei- und Drei-Schichtensystem zu arbeiten. Die hierfür erforderlichen Fahrer wollen sie selbst werben und qualifizieren. Weiterhin wurden Verpflichtungen eingegangen, jeglichen Leerlauf zu vermeiden, um Brennstoff einzusparen.
Mangel an Schneeketten für Traktoren der MTS: Dem Bezirk Gera mit 16 MTS wurden fünf Paar Schneeketten zugeteilt.
Beispiele mangelnder Zusammenarbeit, die negative Auswirkungen haben: Am 31.12.1953 wurden von der VEAB Rathenow, [Bezirk] Potsdam, 235 Schweine und 32 Rinder aufgetrieben. Vom Schlachthof konnte das Vieh wegen Überfüllung nicht aufgenommen werden. Da die Futtermöglichkeiten der VEAB völlig unzureichend waren, nahm das Vieh an Gewicht schnell ab. Die Schweine wurden mit Schnee und die Rinder mit Stroh gefüttert.
Ein werktätiger Bauer aus Klaushagen, [Bezirk] Neubrandenburg, ließ sich vom Erfasser überzeugen, seine zum Soll fehlenden Kartoffeln (25 Ztr.) abzuliefern. Von der VEAB Lindensee wurden diese nicht abgenommen, da keine Lagerräume vorhanden sind. Der Bauer äußert: »Von mir erhält die VEAB keine Kartoffel mehr.«
Stimmung der übrigen Bevölkerung
Die Diskussionen über die bevorstehende Viermächtekonferenz stehen weiterhin im Mittelpunkt der Gespräche (siehe Anhang).
Organisierte Feindtätigkeit
Flugblätter: in sehr geringer Zahl (wurden im Bezirk Cottbus und Gera verbreitet).
Postwurfsendungen traten sehr vereinzelt in Karl-Marx-Stadt und Rostock auf.
Zerstörung: In der Zeit vom 31.12.1953 bis 4.1.1954 wurden in dem VEB Ziegelei Kleinau, [Bezirk] Magdeburg, von einem Kettenbagger vier Treibriemen zerschnitten.
Einschätzung der Situation
Die Lage hat sich gegenüber den Vortagen nicht verändert.
Anlage vom 8.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2063
Anhang zur Stimmung über die bevorstehende Viererkonferenz
Die Diskussionen unter der Bevölkerung über die bevorstehende Viermächtekonferenz halten weiterhin an und stehen im Mittelpunkt. In einem großen Teil der Diskussionen kommen die ständigen Bemühungen der SU bei der Lösung des deutschen Problems zum Ausdruck sowie die Hoffnung, dass die Konferenz endlich die Einheit Deutschlands und einen gerechten Friedensvertrag bringt. Ein großer Teil bringt durch Unterschriften seine Forderung nach Teilnahme deutscher Vertreter aus Ost und West an der Berliner Konferenz zum Ausdruck.6 Ein Angestellter der Verkehrsbetriebe Calbe: »Die SU hat schon immer die Interessen Deutschlands vertreten. Hoffentlich schafft sie es, die Westmächte zu überzeugen, damit wir noch in diesem Jahr die Einheit und einen Friedensvertrag erhalten.«
Ein Mitglied der LPG Jahnsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist gut, dass sich die Westmächte dem Vorschlag der SU angeschlossen haben.7 Ich würde es begrüßen, wenn es noch gelingen würde, dass Vertreter aus Ost und West zu den Verhandlungen gehört würden.«
Sechs Ärzte aus dem Bezirk Gera schrieben an das Büro der Viermächtekonferenz, indem sie den Außenministern vorschlagen, die deutsche Frage auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens friedlich zu lösen.8 Gleichzeitig wird die Zurückziehung der Atomgeschütze9 und der EVG-Verträge10 gefordert.
Planungsleiter im VEB Halbzeugwerke Auerhammer, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich glaube, die Westmächte können sich winden wie sie wollen, die Viermächtekonferenz wird uns doch der Einheit Deutschlands näherbringen.«
Die Stimmen, die an einem erfolgreichen Ausgang dieser Konferenz zweifeln, sind etwas stärker als an den Vortagen in Erscheinung getreten. Negative Stimmen zur Konferenz sind nur in geringem Maße bekannt geworden. Abteilungsleiter im Kaliwerk »Marx-Engels« Unterbreizbach,11 [Bezirk] Suhl: »Ich erhoffe mir von dieser Konferenz noch keine Einigung in der Deutschlandfrage. Der Anfang zu einer Verständigung wird aber bestimmt gemacht.«
Geschäftsmann aus Bernau, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Sollen die erst einmal hier freie Wahlen durchführen, da werden sie sich wundern, wie die ausfallen, und die hätten hier dann abgewirtschaftet.«
Tischlermeister aus Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin: »Ich unterschreibe lieber nicht. Meiner Meinung nach ist es besser, wenn man sich neutral verhält.«