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Zur Beurteilung der Situation

2. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2100 zur Beurteilung der Situation

Stimmung der Bevölkerung in der DDR

Den vorliegenden Berichten zufolge, hat sich die Stimmung der Bevölkerung der DDR, bis auf nachfolgende Punkte, nicht wesentlich verändert.

Durch wieder örtlich auftretende Stromabschaltungen wird zum Teil die Stimmung der Bevölkerung, besonders der Landbevölkerung, negativ beeinflusst.1 So wurden z. B. in den Kreisen Flöha, Werdau und Brand-Erbisdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, in den letzten Tagen wiederum Stromabschaltungen vorgenommen. Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, hat sich die Stimmung in den Landgemeinden infolge der in letzter Zeit wieder häufigeren Stromsperre verschlechtert.

In den Dienststellen der Reichsbahn im Republikmaßstab zeigt sich in letzter Zeit ein Ansteigen der Krankheitsfälle. So z. B. unter den Rangierern des Bahnhofes Bad Schandau sind 25 Prozent Krankmeldungen. Im Bahnhof Beutersitz,2 Reichsbahnamt Senftenberg, 21 Prozent und im Reichsbahnausbesserungswerk »Wilhelm Pieck« Karl-Marx-Stadt 13,7 Prozent.

Feindtätigkeit

Am 1.2.1954 wurden in einem Wagen der Reichsbahn auf dem Bahnhof Griebnitzsee 25 000 Flugblätter sichergestellt. Inhalt war gegen den sowjetischen Außenminister gerichtet. Am 1.2.1954 wurden in verschiedenen Zügen der Berliner S-Bahn insgesamt ca. 30 000 Hetzschriften sichergestellt. Flugblätter in geringem Maße wurden in den Bezirken Frankfurt/Oder, Magdeburg und Suhl festgestellt.

In der Zeit vom 31.1. bis 1.2.1954 wurden in verschiedenen Zügen der Reichsbahn Beschmierungen von Schildern und Plakaten, Vernichtung von Plakaten, Beschriftungen mit Hetzlosungen und Ähnliches festgestellt. So wurden z. B. in den Zügen 657, 649 und 647 der Reichsbahn von Falkenberg nach Lauchhammer sowie im Personenzug 493 von Cottbus nach Leipzig ein Ansteigen von Schmierereien mit Hetzlosungen an Reklameschildern usw. festgestellt. Sie haben im Allgemeinen folgenden Inhalt: »Du fährst im Leben besser, wenn du RIAS hörst« und »Frohe Fahrt dem Westen.«

Auf der Ausstellung »Grüne Woche« 1954 in Berlin am Funkturm,3 hat der RIAS, der Nordwest-deutsche Rundfunk und der Londoner Rundfunk4 in Halle 1 Ost/Ostpreußen gemeinsam einen großen Eckstand errichtet. Hier treibt man durch Tafeln, Bilder und Texte Hetze gegen die DDR. Der RIAS hat auf diesem Stand eine Koje eingerichtet, in welcher Besucher der DDR telefonieren können. In einer zweiten Koje wird den Besuchern der DDR mit »Rat und Tat« zur Seite gestanden. Mehrere Angehörige des RIAS sind in den Hallen verteilt und versuchen mit Besuchern der DDR in Gespräche zu kommen und fordern sie dann auf »zwecks präziser Beratung« die Koje 2 aufzusuchen. Für spezielle Beratung hat der Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen5 im Hotel »Funkturm« ein Beratungszimmer eingerichtet.

Zur Viermächtekonferenz6 bringt der Sender RIAS7 in einer Sendung am 1.2.1954 »Jugend spricht zur Jugend« unter anderem: »… vielleicht einigen wir uns aufs Abwarten, das wird die beste Lösung sein. Wir müssen genau verfolgen, was sich hier in Berlin abspielt und wenn es Möglichkeiten gibt, Äußerungen, Entscheidungen und Handlungen von der Viererkonferenz gegen die SED auszunützen. Dann solltet Ihr gar nicht lange zögern, sondern Gebrauch davon machen.«

Über das Memorandum der Regierung der DDR8 berichtet der Sender Hamburg9 am 1.2.1954 unter anderem: »… das Memorandum der Grotewohl-Regierung10 auch nur in einem Punkte der Ausdruck der deutschen Meinung sei, wehren sich nicht nur der deutsche Bundestag, die deutsche Bundesregierung, die drei Westmächte, sondern es wehrt sich ganz gewiss vor allem die 18 Millionen Bevölkerung der Sowjetzone dagegen. Eine Regierung, die nicht gewählt und von niemandem bestätigt ist, hat ein Schriftstück überreicht. Das Volk, das ganze deutsche Volk aber, steht hinter den Deutschlandplänen des Westens.«

Stimmung der Bevölkerung im demokratischen Sektor von Groß-Berlin

Das Memorandum der Regierung der DDR wurde in vielen Betrieben und unter der Bevölkerung diskutiert. Es liegen viele positive Stimmen vor. Im VEB Werk für Fernmeldewesen11 sprach der Genosse Walter Ulbricht12 zum Thema Viererkonferenz und Memorandum der Regierung der DDR. Die anschließend vorgeschlagene Entschließung wurde ohne Stimmenthaltung angenommen.

Eine Angestellte aus Berlin O 112:13 »Ich habe das Memorandum unserer Regierung gelesen. Hoffentlich werden jetzt Vertreter Deutschlands zugelassen. Soviel ich weiß, sollen österreichische Vertreter zugelassen werden, wenn der Punkt 3 der Tagesordnung diskutiert wird.14 Warum lässt man österreichische zu und deutsche Vertreter nicht? Sind wir etwas Schlechteres? Wir haben doch das Recht, an einer Konferenz, die über Deutschland spricht, teilzunehmen, insbesondere, wo wir schon neun Jahre Waffenstillstand haben.«

Die Reden des Genossen Molotow15 bezüglich des Entwurfes eines Friedensvertrages16 stärkten die Hoffnungen eines Teiles der Bevölkerung. Hausfrau aus Berlin-Köpenick: »Das Radio brachte uns eine interessante Meldung. Hoffentlich bekommen wir bald einen Friedensvertrag. Molotow hat ganz klar die faschistische Gefahr im Westen und den unbedingten Friedenswillen im Osten aufgezeigt. Da wird so manchem das Verständnis noch aufgehen.«

Eine Reihe Betriebe und Teile der Bevölkerung protestieren gegen die ablehnende Haltung des amerikanischen Außenministers betreffs Teilnahme deutscher Vertreter an der Konferenz. Von Siemens-Plania wurde diesbezüglich eine Entschließung angenommen. Eine Ausnahme macht die Brigade »Ernst Thälmann« von der Abteilung 410, die einstimmig die Entschließung ablehnte. Dieselbe Brigade lehnte ebenfalls einstimmig die Durchführung eines Wettbewerbes zu Ehren des IV. Parteitages17 ab.

Ein großer Teil der Bevölkerung verhält sich passiv oder zweifelt an einem günstigen Ausgang der Konferenz.18 Ein Einwohner von Berlin-Pankow: »Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung einen Einfluss auf diese Konferenz hat. Diese Konferenz hat nur dann Erfolg, wenn die Vier sich einigen können.« Ein Kollege vom VEB Bergmann-Borsig: »Man kann doch noch gar nichts sagen, bei den verschiedenen Meinungen der Großmächte kann doch keine Einigung erzielt werden.«

In stärkerem Maße wird über die Feindparole »freie Wahlen« diskutiert.19 Kollege vom VEB Bergmann-Borsig: »Wenn es zur Wahl kommt, geht ihr Wasser saufen.«

Ein Angestellter aus Berlin N 9:20 »Eden21 hat einen guten Plan vorgetragen,22 hoffentlich sagt Molotow nicht ›njet‹.« Arbeiter aus Berlin: »Eden hat einen fabelhaften Vorschlag unterbreitet, wenn Molotow nicht ›njet‹ sagt, ist die SED total erledigt, denn der Hass ist so groß, dass sie kaum Stimmen kriegen würden.«

Es wird mitgeteilt, dass täglich mehr Journalisten aus Westdeutschland und dem Ausland das Pressezentrum der DDR besuchen. Die Journalisten äußern, dass sie vorzüglich aufgenommen werden (bewirtet) und die Information gut sei. Sie sprechen von einer Überlegenheit unseres Pressezentrums gegenüber dem Westberliner Kathreiner-Haus.23

Kohlenmangel: Folgende Dienststellen wurden wegen Kohlenmangel nicht geheizt: Altes Stadthaus, wo Genosse Ebert24 arbeitet, Gebäude des Sportausschusses am Werderschen Markt, Klosterstraße 64–76, die 5., 8. und 9. Grundschule von Berlin-Lichtenberg, wo der Schulunterricht ausfallen musste. VEB Kälte schickte am 1.2.1954 die um 21.00 Uhr angetretene Schicht wegen Kohlenmangel nach einer Stunde nach Hause, das HO-Hotel Johannishof hat wenig Gäste infolge Kohlenmangel. Von der DHZ wurde dem Abteilungsleiter der allgemeinen Verwaltung beim Hauptmagistrat mitgeteilt, dass der Bestand an Kohle für Berlin nur noch für drei bis vier Tage reicht, wenn die Reichsbahn keine Kohle heranbringt.25

Stimmen aus Westberlin

In verschiedenen bekannt gewordenen Meinungsäußerungen wird die Hoffnung auf eine Einigung der vier Großmächte zum Ausdruck gebracht. Auch die Teilnahme deutscher Vertreter wird in einzelnen Beispielen unterstützt. Ein Geschäftsinhaber aus Berlin-Steglitz: »Zur Lösung des deutschen Problems innerhalb der Konferenz wäre es sicher von Vorteil, wenn Vertreter aus Bonn und Ostdeutschland ihre Meinung dort darlegen. Wenn sich Amerikaner, Franzosen, Engländer und Russen, die doch eine ganz verschiedene Meinung haben, in einer Aussprache zusammenfinden, müsste das doch den Deutschen untereinander ebenfalls gelingen.«

Ein Erwerbsloser äußerte sich vor dem Arbeitsamt Charlottenstraße, Bezirk Kreuzberg: »Die Viermächtekonferenz, die ich sehr pessimistisch betrachtete, wird doch einen Erfolg in dem Kampf um die Einheit Deutschlands bringen. Die Misswirtschaft des Schreiber-Senats26 muss endlich einmal ein Ende haben. Es ist kein Wunder, wenn die SED und die Regierung der DDR sagen, in Westberlin und Westdeutschland herrscht der Faschismus. Die ehemaligen Nazigenerale sind ja wieder an der Macht. In der DDR sieht man, dass es aufwärtsgeht und die Lebenslage sich ständig verbessert.«

Eine Jugendliche aus Westberlin: »Als ich den Wortlaut des Eden-Planes hörte, staunte ich über die klare und meines Erachtens nach einzig richtige Form, das Deutschlandproblem anzupacken. Molotow machte aber einen Gegenvorschlag, der mir zeigt, dass der Eden-Plan nichts taugt.«

Ein schwedischer Korrespondent einer bürgerlichen Zeitung: »Ich bin überzeugt, dass Adenauer27 und die Amerikaner keine Einigung über das Deutschlandproblem wünschen. Die Stellung von Dulles28 hat sich als überraschend schmal erwiesen. Dulles ist der elastischen, äußerst geschickten, reich mit Tatsachenmaterial gespickten Argumentation nicht gewachsen. Durch die Schwäche Dulles haben die Gegner der EVG29 starken Auftrieb erhalten. Es ist fraglich, ob die EVG diese Konferenz überdauern wird.«

Ein Zahnarzt aus Westberlin brachte zum Ausdruck, dass er mit den Vorschlägen des Genossen Molotow bis auf den Punkt Teilnahme Chinas30 einverstanden sei. Den Krieg bezeichnet er als ein großes Verbrechen, als solches zieht er auch den EVG-Vertrag an.

In anderen Meinungsäußerungen macht sich der ständige westliche Einfluss und die Hetze gegen die SU und DDR stark bemerkbar. Solche Stimmen richten sich meist auch gegen die Vorschläge des Genossen Molotow. Ein Angestellter aus Westberlin: »Die Wahl einer deutschen Regierung soll ja das deutsche Volk erst noch durchführen. Hoffentlich recht bald und möglichst mit bestem Erfolg, d. h. keine ›roten Wahlen‹. Dann erst kommen wieder anständige Menschen und vor allem dazu fähige Verwaltungsbeamte ans Ruder und die verfluchte Zonengrenze fällt.«

Ein Angestellter aus Westberlin: »John Foster Dulles ist der energischste und hervorragendste Diplomat, das ist jedem bekannt. Dass er sich aber in so einer feinen und klaren Form für Deutschland einsetzt, hätte bestimmt kein Deutscher geglaubt. Er ist der Mann, der endlich mal auf den Tisch haut und dem Gegner seine Zähne zeigt.«

Eine Hausfrau aus Westberlin: »Uns geht es vor allen Dingen um ›freie Wahlen‹ in ganz Berlin und ganz Deutschland. Dies ist nur unter westlicher Kontrolle möglich.«

Ein Arbeiter aus Berlin-Neukölln: »Molotow hat wohl Instruktionen von Moskau mitgebracht, um die Sache in die Länge zu ziehen, ohne dass für uns die wichtigsten Fragen gelöst werden. Der Schluss wird wahrscheinlich die Vertagung sein.«

Ein Arbeiter aus Westberlin: »Über alles wird verhandelt bei der Viererkonferenz, Österreich, Asien, ›Rotchina‹, Korea, Abrüstung, bloß nicht über Deutschland.31 Da sagt Molotow njet. Da hat er Angst um seine lieben Volksgenossen in der Ostzone. Die HO-Läden haben sie mit Lebensmitteln vollgestopft, die Volkspolizisten überschlagen sich vor lauter Freundlichkeit. Alles Fassade und verschwindet wieder nach der Konferenz.«

Stimmen aus Westdeutschland

Ein großer Teil der Bevölkerung Westdeutschlands verfolgt den Verlauf der Konferenz mit Interesse, erwartet jedoch kein positives Ergebnis. Ein Arbeiter aus Konstanz: »Nun sind wir gespannt, was bei der Konferenz in Berlin herauskommt. Viel erwarten wir nicht, dann sind wir nicht so sehr enttäuscht.«

Eine Hausfrau aus Telgte: »Nun ist jeder gespannt, ob bei dem Gespräch in Berlin wenigstens die Einheit Deutschlands zustande kommt. Was sprechen denn die Berliner davon? Dem Russen scheint Asien bedeutend wichtiger zu sein als das Schicksal des kleinen Europas, des besetzten Deutschlands.«

Eine Hausfrau aus Dahlheim:32 »Ich kann mir denken, dass Millionen in der Ostzone die hoffnungsvollsten Gedanken für die Berliner Konferenz hegen, aber stellt die Erwartungen nicht zu hoch, sie bringt keinen Erfolg, weil niemand da ist, der unseren Willen verwirklicht und um Deutschlands Wohl und Wehe verhandeln will und weil das nicht ist, weil sie alle mit eigennützigen Gründen und verschiedenen Begriffen über Freiheit und Frieden sich zusammensetzen, ist alles Theater.«

Bei einem Teil der Bevölkerung Westdeutschlands zeigen sich der starke Einfluss der Westpresse und die systematisch betriebene Sowjethetze. Ein Arbeiter aus Oberhausen: »Nun, mit der Konferenz in Berlin sieht es mau aus. Die Vier werden sich nicht einig, besonders der Russe, der kommt mit seinen alten Reden und Verträgen, was vor acht Jahren in Potsdam33 war und mit den Chinesen, der hat da nichts zu suchen in der Konferenz. Es ist bloß für die vier Minister anberaumt und nicht für die Chinesen. Also die Konferenz verläuft im Sande wegen der Russen. Der Russe hat einen Vogel. Wir verfolgen jeden Tag die Verhandlungen, der Russe hat Angst, dass ihm etwas passiert, der ist so schwer bewacht von Polizei und Russen. Na klar, sagen wir alle, es wird bei der Viererkonferenz nichts herauskommen, schade um die Zeit und das Geld.«

Ein Angestellter aus Mutterstadt: »So, jetzt beginnt in Berlin das große Rennen für uns Deutsche. Molotow ist ja in Berlin in der Wilhelmstraße mit sieben Limousinen eingetroffen. Auch sind drei Panzerdivisionen zum Schutze der Bevölkerung von Ostberlin stationiert worden, aber das ist egal und wenn der Iwan zehn Panzerdivisionen aufführt, wir fürchten uns nicht. Die Hauptsache, die vier Außenminister einigen sich und Deutschlands Einheit wird hergestellt. Wird der Iwan abziehen und mit ihm die ganze Gesellschaft? Das ist die Frage, denn seine Kultur werden wir nicht verdauen.«

Ein gewisser Teil der westlichen Bevölkerung lehnt die Besatzungsmächte, die Adenauer-Regierung und zum Teil auch die Regierung der DDR ab. Ein Arbeiter aus Venne: »Was wird bei der Konferenz herauskommen? Ich habe keine Hoffnung. Adenauer ist für die EVG, der Russe scharf dagegen. Ich habe so das Gefühl, die Russen und auch der Ami wollen den Zustand solange wie möglich halten, nur moderner wie in Indien.«

Eine Angestellte aus Minden: »Es wäre wunderschön, wenn es zu einer Einigung käme, dann gebe es vielleicht einmal wieder eine verantwortungsvolle Regierung, denn Bonn ist genauso wenig ernst zu nehmen wie Pankow.34 Bei uns ist es nur ein Postenhandel, versippt bis ins letzte Glied.«

Eine Hausfrau aus Bremen: »Von der Berliner Konferenz verspreche ich mir rein gar nichts. Franzosen und Engländer sind sich ja doch längst einig, dass ein geteiltes Land bequemer zu drücken ist.«

Eine Angestellte aus Kordel: »Meines Erachtens ist die ganze Geschichte von westlicher Seite und besonders von Herrn Adenauer Schaumschlägerei. Ich kann nicht glauben, dass er oder Frankreich oder England die Wiedervereinigung ernstlich wollen, weil man das nicht sagen kann, stellt man unannehmbare Bedingungen und erreicht dasselbe, nämlich es bleibt bei der Trennung.«

Ein geringer politisch fortgeschrittener Teil erkennt die Betrugsmanöver der westlichen Presse- und die Rundfunkpropaganda und ist bemüht, durch den demokratischen Rundfunk einen klaren Überblick zu bekommen.

Ein Arbeiter aus Düsseldorf: »Die Herren westlichen Außenminister haben sich ja nun doch gezwungenermaßen bequemen müssen, mit Molotow zu verhandeln. Traurig ist bloß, dass dort keine deutschen Vertreter aus Ost und West sind. Die Eröffnungsansprache von Molotow war ja ausgezeichnet. Wir haben sie im Mitteldeutschen Rundfunk gehört. Hier ist es ja leider so, dass die Reden von Molotow nicht wörtlich wiedergegeben werden.«

Anlage vom 2. Februar 1954 zum Informationsdienst Nr. 2100

Stimmung zur Viermächtekonferenz

Betriebe

Ein nicht geringer Teil der Werktätigen in den Betrieben begrüßt die Vorschläge des Genossen Molotow zur Teilnahme deutscher Vertreter.35 In Versammlungen spricht man sich gegen die ablehnende Haltung der drei westlichen Außenminister aus. Hier werden auch Entschließungen für die Teilnahme deutscher Vertreter und Protestresolutionen gegen die ablehnende Haltung verfasst. Im »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg wurde in allen Abteilungen eine Kurzversammlung durchgeführt, wo Protestresolutionen an die westlichen Außenminister verfasst wurden. Protestresolutionen wurden auch im VEB Schraubenfabrik Finsterwalde,36 [Bezirk] Cottbus, im VEB Zellwolle und Märkische Ölwerke in Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, verfasst.

In den Betrieben VEB Dampfhammerwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden, VEB Cosa37 und VEB Lausitzer Kabelwerk Niederoderwitz, [Bezirk] Dresden, sowie im38 VEB IKA Sonneberg, [Bezirk] Suhl, wurden Resolutionen angenommen, die sich für die Zulassung deutscher Vertreter aussprechen. Im VEB Böhlen,39 [Bezirk] Leipzig, wurde eine Protestversammlung durchgeführt.

Auch in einer Reihe Einzelbeispiele spricht man sich für die Teilnahme deutscher Vertreter und den Vorschlägen des Genossen Molotow aus. So sagte der Arbeiter [Name 1] aus Leipzig: »Ich fordere, dass die vom Außenminister Molotow vorgeschlagenen Punkte behandelt werden und deutsche Vertreter bei der Behandlung der Deutschlandfrage gehört werden.«

Der Arbeiter [Name 2] aus Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich verfolge mit großem Interesse die Verhandlungen in Berlin und bin der Meinung, dass die Vorschläge von Außenminister Molotow gut sind und dass sie einen Erfolg für das deutsche Volk versprechen.«

Ähnlich sind die Meinungsäußerungen zum Memorandum der Regierung der DDR. Der Arbeiter [Name 3] vom VEB Blechbearbeitungsmaschinenwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Ich begrüße das Memorandum unserer Regierung und muss ihm voll zustimmen. Jeder, der sich damit befasst und die Situation Deutschlands vor Augen hat, muss zugeben, dass nur dieser Weg zur Klärung der deutschen Frage führt.«

Von der Belegschaft des VEB Halbmondteppichfabrik Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde ein Telegramm an den sowjetischen Außenminister Molotow gesandt, worin zum Ausdruck gebracht wird, dass das Memorandum den tatsächlichen Wünschen und Forderungen der Belegschaft entspricht. Außenminister Molotow wird gebeten, sich für die Verwirklichung des Memorandums einzusetzen.

Teilweise werden solche Meinungsäußerungen bekannt, die sich gegen die Vorschläge des Genossen Molotow richten. Der Wagendienstleiter [Name 4] vom Bahnhof Saalfeld, [Bezirk] Gera: »Der amerikanische Außenminister vertritt vollkommen die Interessen der Umsiedler. Nicht die Oder-Neiße-Grenze, sondern die Grenzen von 1937 müssen wiederhergestellt werden.« Ein Elektroschlosser aus den Kleiderwerken Schwerin: »Es ist ganz richtig, dass die drei westlichen Außenminister nicht ihre Zustimmung geben, dass deutsche Vertreter mit an der Konferenz teilnehmen können, denn da würde bestimmt nichts herauskommen.«

Die Jugendliche [Name 5] aus dem VEB Pumpen und Gebläsewerk Leipzig: »Warum lässt man nicht freie Wahlen, wie es Dulles vorgeschlagen hat zu. Unserer Presse nach zu urteilen, dürfte es gar keine Bedenken geben, wer gewählt wird.«

Landwirtschaft

Von einem Teil der Landbevölkerung wird gegen die Ablehnung der Teilnahme deutscher Vertreter an der Berliner Konferenz vonseiten der westlichen Außenminister Protest erhoben. Dies kommt zum Teil in der Abgabe von Unterschriften unter Protestresolutionen und in Diskussionen zum Ausdruck. Von den Belegschaftsmitgliedern der MTS Stove, [Bezirk] Schwerin, wurde einstimmig eine Protestresolution angenommen, wo man gegen die Antwort der Westmächte, Verweigerung der Teilnahme deutscher Vertreter, Stellung nahm. Sie forderten eine gesamtdeutsche Beteiligung und unterstützen die Vorschläge der SU.

Der Neubauer [Name 6] aus Gösen, [Bezirk] Gera: »Hoffentlich wird die deutsche Frage von der Konferenz gelöst. Ich unterstütze die Forderung, dass deutsche Vertreter auf der Konferenz mitgehört werden. Sie sollen aber nicht versuchen, gegen die Oder-Neiße-Grenze zu arbeiten, denn so gut, wie ich es jetzt hier habe, hatte ich es zu Hause nicht.«

Demgegenüber gibt es auch noch einen Teil, die sich zu dem Vorschlag des Genossen Molotow zur Teilnahme deutscher Vertreter in negativer bzw. feindlicher Form äußern, oder Unterschriften unter Protestresolutionen ablehnen. Die Mittelbäuerin und Lebensmittelhändlerin [Name 7] aus Lehmitz,40 [Bezirk] Gera: »Ich unterschreibe nicht, denn ich bin für eine Entwicklung, wie sie in Westdeutschland besteht, eingestellt.«

Der Arbeitsvorbereiter [Name 8] (SED) vom MTS-Lehrkombinat Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Deutschland hat kein Recht, an der Konferenz teilzunehmen, denn wir haben den Krieg verloren und haben unsere Schulden zu bezahlen.«

Traktorist [Name 9] (parteilos) der MTS Züsedom, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Vorschläge von Molotow sind eine Holzhammerpolitik. Mit dieser Politik und seinen Phrasen werden sich die Westmächte nicht einlassen und man wird nichts erreichen.«

Der Großbauer [Name 10] aus Gießmannsdorf, [Bezirk] Cottbus: »Warum fordern wir Teilnahme deutscher Vertreter? Was wir wollen sind ›freie Wahlen‹ und eine richtige Regierung.«

Weiterhin wird von einem Teil der Landbevölkerung das Auftreten des sowjetischen Außenministers auf der Berliner Konferenz begrüßt und man erkennt, dass nur die SU die wahren Interessen Deutschlands vertritt. Ein Schlosser der MTS Rothenburg, [Bezirk] Dresden: »Der Vorschlag des Genossen Molotow über die Durchführung einer Weltkonferenz, die sich mit den Fragen der Abrüstung beschäftigen soll,41 müsste von allen Mächten angenommen werden. Die konsequente Haltung des sowjetischen Außenministers hat auf mich einen starken Eindruck hinterlassen und zeigt uns erneut, dass die SU für die Erhaltung des Friedens eintritt.«

Werktätiger Bauer [Name 11] aus Wolgast, [Bezirk] Rostock: »Wir sind dem Genossen Molotow dankbar für seine große Hilfe, die er uns in der Erringung der Einheit Deutschlands entgegenbringt. Unsere Aufgabe ist es, noch bessere Leistungen zu vollbringen, damit wir in unserem Dorf diesen Großbauern das Handwerk legen.«

Ein anderer Teil begrüßt zwar die Vorschläge der SU, zweifelt aber an einem Erfolg, da die Westmächte sowieso nie von ihrem Standpunkt abgehen würden. Genossenschaftsbauer der LPG Radden, [Bezirk] Cottbus: »Die Vorschläge des Außenministers Molotow sind im Interesse aller Deutschen gebracht, aber ich glaube nicht, dass die Konferenz in Berlin ein Endresultat bringt. Vielleicht wird sie der Anfang zu einer Entspannung der politischen Lage sein.«

Demgegenüber sind noch eine Reihe negative Stimmen vorhanden, welche die Vorschläge der SU ablehnen, bzw. die der Westmächte unterstützen. Der [Name 12] aus Pennewitz,42 [Bezirk] Suhl: »Die Stärksten sind doch die Westmächte, und die ›freien Wahlen‹, die von diesen vorgeschlagen werden, garantieren nur die Einheit Deutschlands, dann werden die LPG wieder aufgelöst und es lohnt sich nicht ihnen beizutreten. Es wird ja auch Zeit.«

Der Gärtner [Name 13] aus Marlow, [Bezirk] Rostock: »Molotow haut ja ziemlich toll auf die Pauke und holt die alten Sachen von Potsdam und Jalta hervor.43 Dieses lassen sich aber die anderen Außenminister nicht gefallen. Wenn es bei der Konferenz hart auf hart geht, dann lässt Molotow wieder nach und die Außenminister gehen wieder ohne sich geeinigt zu haben, auseinander.«

Bevölkerung

Die Ablehnung des Vorschlages vom Genossen Molotow, deutsche Vertreter zu der Verhandlung der vier Mächte zuzulassen, hat unter der Bevölkerung Enttäuschung hervorgerufen. Ein großer Teil der Bevölkerung begrüßt die Vorschläge des sowjetischen Außenministers Molotow. Eine Rentnerin aus Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich lese jeden Tag die Zeitung und muss feststellen, was Molotow vorschlägt, ist nutzbringend für das deutsche Volk. Warum gehen die Amerikaner nicht auf diese guten Vorschläge ein, doch nur deshalb, weil sie aus Westdeutschland ihren Nutzen ziehen.«

Bei einer Diskussion mit Einwohnern aus Halle erklärten diese: »Jetzt sehen wir erst, nachdem wir die Konferenz täglich verfolgen, wer es ehrlich mit uns Deutschen meint. Molotow fordert, dass Deutsche aus Ost und West zur deutschen Frage gehört werden, aber Dulles lehnt diesen Vorschlag ab.«

Die Genossenschaftsbauern der Gemeinde Cölln,44 [Bezirk] Neubrandenburg, brachten zum Ausdruck, dass ihr ganzes Vertrauen in der Politik der SU liegt. Man solle Genossenschaftsbauern zur Viererkonferenz zulassen, damit sie dort ihre Meinung sagen können. Außenminister Molotow würde sich über unsere Worte freuen.

Eine Frau aus Neuhaus, [Bezirk] Suhl: »Die Erklärung des sowjetischen Außenministers Molotow gibt mir Kraft und Mut und festigt meine innere Überzeugung, dass nur auf dieser Grundlage die Einheit Deutschlands und der Frieden hergestellt werden kann.«

Von einem Teil der Bevölkerung wird den Vorschlägen Molotows kein Verständnis entgegengebracht und gegen diese Vorschläge Stellung genommen. Ein Friseurmeister aus Zschopau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der ›Russe‹ ist alleine schuld, wenn keine Verständigung zustande kommt, weil er von seinem Standpunkt, dass die Chinesen mit an der Konferenz teilnehmen sollen, nicht abgeht.«

Stimmen aus Westberlin

Geschäftsinhaber [Name 14] in Berlin-Steglitz, Buggestraße: »Wir freuen uns über die Außenministerkonferenz und wünschen uns einen Erfolg. Für uns würde das eine Verbesserung der Geschäftslage bringen. Weiterhin würde vielen arbeitslosen Jugendlichen Lohn und Brot gegeben werden. Damit das deutsche Problem auf der Konferenz richtig gelöst wird, ist es sicher von Vorteil, wenn Vertreter aus Bonn und Ostdeutschland ihre Meinung darlegen. Wenn schon Amerikaner, Engländer, Franzosen und Russen, die doch eine ganz verschiedene Meinung haben, eine Aussprache finden, so müsste dies doch den Deutschen erst recht gelingen.«

Ein Sachbearbeiter des Arbeitsamtes Charlottenburg: »Na, die Russen werden die Chinesen bald zur Konferenz mitbringen, denn diese halten sich schon eine ganze Weile in Berlin auf.«

Frau [Name 15], Potsdamer Straße 177: »Die Konferenz kostet viel Geld, welches die kleinen Leute aufbringen müssen und herauskommt doch nichts. Wenn die vier Besatzungsmächte abrücken würden, hätten wir ein einheitliches Deutschland, aber der Russe denkt nicht daran Deutschland zu verlassen.«

Hauseigentümer [Name 16] in Berlin-Schöneberg, Hauptstraße 110: »Aus den Verhandlungen wird kein positives Ergebnis herauskommen. Meine persönliche Hoffnung ist, dass es zu einer Einheit Deutschlands kommt und ich wieder die Möglichkeit habe, meine Fabrik in Oranienburg zu übernehmen. Meine Arbeiter informieren mich ja laufend, wie es in meinem Betrieb aussieht.«

Inhaber eines Zigarettengeschäftes [Name 17], Potsdamer Straße 20: »Na, wenn die Russen wieder weg sind, werden wir winken.«

Ein Arbeiter aus Berlin-Reinickendorf: »Der Weg zur Einheit ist doch ganz einfach. Sie sollen uns die Möglichkeit geben zu ›freien Wahlen‹, wo jeder die Möglichkeit hat, die Partei, das Regime zu wählen, welches er will. Dann wäre alles in Ordnung. Bei Euch in der DDR würde dann kein Zweifel bestehen, wo Ihr doch so viele Unterschriften gesammelt habt. Da werdet Ihr bestimmt den richtigen Weg wählen.«

Am 28.1.1954 demonstrierten 200 Westberliner Arbeitslose in Berlin-Neukölln mit den Losungen: »Wir fordern bei 16 Grad mehr Kohle, Kampf dem EVG-Vertrag.« Die Versammlung wurde von der Stupo45 auseinandergetrieben.

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