Zur Beurteilung der Situation
17. August 1954
Informationsdienst Nr. 2289 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über politische Tagesfragen haben weiterhin einen geringen Umfang. Meist äußern sich Arbeiter, weniger Angestellte, während die Intelligenz sehr zurückhaltend ist. Im Vordergrund der Diskussionen steht die Streikbewegung in Westdeutschland.1 In den Bezirken Erfurt und Gera hat der Umfang etwas zugenommen. Die Mehrzahl erklärt sich mit den Streikenden solidarisch und unterstützt sie mit Geld, vereinzelt mit Lebensmittelspenden. Man betrachtet die Streiks als Bestätigung dafür, dass »die wirtschaftliche Lage in Westdeutschland doch nicht so gut ist, wie dies oft behauptet wird«. Vereinzelt wird von fortschrittlichen Kräften davon gesprochen, dass das Adenauer-Regime2 beseitigt werden muss.
Im geringen Umfang werden negative Meinungen geäußert. Weiterhin wird hierin meist eine Unterstützung der Streikenden als nicht notwendig erklärt, da die Lebenslage in Westdeutschland besser sei als in der DDR. In diesem Zusammenhang äußern verschiedene Arbeiter, dass die westdeutschen Arbeiter keinen Grund zum Streiken haben, jedoch wäre dies bei uns etwas anderes. Andere sagen, dass bei uns das Streiken verboten sei.3
Verschiedene Arbeiter aus dem VEB Pama Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die westdeutschen Arbeiter leben nicht schlecht, deshalb braucht man keine Geldsammlungen für sie durchzuführen. Bei uns sind verschiedene Waren auch noch sehr teuer. Wir hätten ja dann auch einen Grund zum Streiken.« Ähnlich äußerten sich verschiedene Kollegen, insbesondere Kolleginnen aus dem VEB Woll- und Seidenweberei Elsterberg, [Bezirk] Gera.
Ein Kollege aus dem VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera: »Wenn die Arbeiter [in] Westdeutschland wegen zu niedrigen Löhnen streiken, dann haben wir auch einen Grund, denn bei uns sind die Textilien in der Preislage wieder teurer geworden.«
Mehrere Arbeiter aus dem Gaswerk Potsdam lehnten eine Geldspende ab und erklärten: »Warum streiken die? Sie sollen ihrer Arbeit nachgehen. Wenn wir hier streiken würden, würde die VP auch dreinschlagen.«
In der Butadienfabrik4 der Chemischen Werke Buna, [Bezirk] Halle, wird heftig diskutiert, dass zwar der Streik in Westdeutschland berechtigt sei, jedoch in der DDR die Preise für einen großen Teil der Werktätigen ebenfalls zu hoch sind, und sie ebenfalls streiken könnten. (Fast alle Kollegen haben die Lohngruppen III und IV.)
Über die Stimmung zur Pressekonferenz mit Dr. John5 wird im Anhang berichtet.6
Zur bevorstehenden Volkskammerwahl7 ist der Umfang der Diskussionen noch ganz gering. Es zeigt sich, dass die Vorbereitungsarbeiten noch sehr mangelhaft sind, wodurch bei einem Teil der Werktätigen Unklarheit über die Bedeutung der Volksbefragung besteht.8 Zum Beispiel vertritt ein Teil der Arbeiter des VEB Plasta,9 Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, die Meinung: »Was wollen die schon wieder mit einer Wahl, wir haben doch im Sommer erst gewählt.«
Über mangelhafte Aufklärungsarbeit wurde ferner aus dem Wismutgebiet10 sowie vom Bezirk Karl-Marx-Stadt berichtet.
In negativen Meinungen tritt man meist für Parteiwahlen ein. Zum Beispiel ein Schweißer aus dem VEB Chema Rudisleben, [Bezirk] Erfurt, NDPD: »Man sollte jede Partei eine Liste für sich aufstellen lassen, dann erst werden wir sehen, wer die meiste Sympathie hat.«
Viele Kollegen im VEB Hochbau Berlin stellen die Frage, warum nicht die einzelnen Parteien gewählt werden können.
SPD-Mitglieder und Anhänger vom Groß-Berliner Vieh- und Schlachthof fordern, dass auch die SPD zu den Wahlen auf der Einheitsliste aufgestellt wird. Außerdem sind sie dagegen, dass Personen unter 21 Jahren an der Wahl teilnehmen dürfen.11
In einzelnen Betrieben sind Missstimmungen wegen verschiedener betrieblicher Fragen aufgetreten, wie Prämienregelung, Materialmangel, Umbesetzung u. a.
Im VEB Textilia in Greiz, [Bezirk] Gera, ist ein Teil der Kollegen mit den Prämien für gute Leistungen während der Hochwasserkatastrophe nicht zufrieden und hat den Empfang abgelehnt.12 Andere sind der Meinung, dass die Verteilung ungerecht vorgenommen wurde.
Unter den Reparaturkolonnen bzw. -brigaden von der Förderbrücke Espenhain, [Bezirk] Leipzig, besteht eine große Missstimmung. Die Kolonnen, die an der Fertigstellung der Brücke mitgearbeitet haben, erhielten eine Prämie von 24 000 DM. Diejenigen, die die zur Förderbrücke gehörigen Bagger reparierten, erhielten jedoch keine Prämien. Aus diesem Grunde haben bereits fünf Kollegen gekündigt.
Unter den Facharbeitern des VEB Gerätebau Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, besteht eine Unzufriedenheit, da sie mit Nebenarbeiten beschäftigt werden. Die Ursache liegt in der zeitweiligen Umstellung der Produktion und im Rohstoffmangel.
Unter den Kumpels der Wismutschächte in Freital und Annaberg besteht eine schlechte Stimmung, da immer wieder kurzfristig Arbeiter in andere Objekte versetzt werden.
Im VEB Zitza-Werk Zeitz, [Bezirk] Halle, werden zzt. 30 Tonnen Talg zu Seife verarbeitet, da sie verdorben sind. Die Arbeiter äußern hierüber ihre Unzufriedenheit und erklären: »Man sollte das Fett zu billigen Preisen an die Bevölkerung verkaufen und nicht warten bis es verdirbt.«
Eine Fluktuation wegen zu geringem Lohn besteht weiterhin unter den Reichsbahnern im Bezirk Cottbus, die [deshalb] zum Bergbau gehen, sowie unter den Kollegen des VEB Holzwerkes in Gehren, [Bezirk] Suhl.
Eine schlechte Koordinierung der Arbeiten besteht immer noch in der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock. Zum Beispiel kommt des Öfteren vor, dass von der Rohrschlosserei Arbeiten auf den Schiffen verrichtet werden, die danach wieder rückgängig gemacht werden müssen, weil die Abteilung Schiffbau an diesen Stellen noch arbeiten muss.
Auf den Baustellen der VEB Bauindustrie Berlin werden Gerüchte verbreitet, dass eine Umorganisierung durchgeführt werden soll.13 Die Kollegen sind darüber beunruhigt. Hiermit wird wahrscheinlich bezweckt, Baufacharbeiter nach Westberlin abzuziehen.
Schwierigkeiten in der Massenbedarfsgüterproduktion bestehen im VEB [Feuerlöschgerätewerk ] Minimax und im Elektrophysikalischen Werk Neuruppin, [Bezirk] Potsdam. Da die notwendigen Formen und Werkzeuge erst angefertigt werden müssen, wird die Produktion erst im IV. Quartal aufgenommen werden.
Im VEB Peniger Maschinenfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, lagern ca. 110 t Eisenabfälle. Die Betriebsleitung hat sich noch nicht darum gekümmert, dass diese Abfälle den Hüttenbetrieb zugeführt werden.
Produktionsstörungen
Am 15.8.1954 stießen im Braunkohlewerk Ammendorf, [Bezirk] Halle, aus noch unbekannten Gründen zwei beladene Züge zusammen. Schaden: ca. 40 000 DM.
Am 16.8.1954 ereignete sich im Sprengstoffwerk I Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, im Siebbunker für Quecksilber eine Explosion. Dabei wurden zwei Personen tödlich verletzt. Die Ursache der Explosion lässt sich nicht feststellen, da der gesamte Bunker zerstört ist. Sachschaden ca. 10 000 DM, Produktionsschaden ist bedeutend höher. Die gesamte Produktion in dieser Branche wurde eingestellt.
Produktionsschwierigkeiten wegen Materialmangel
Im VEB Installation/Ausbau in Güsten,14 [Bezirk] Magdeburg, mangelt es an Bindemittel zur Herstellung von Faserplatten, wodurch seit drei Wochen die Produktion auf 30 Prozent zurückgegangen ist.
Im VEB Glashütte Schönborn, [Bezirk] Cottbus, fehlt Mennige15 zur Herstellung von Bleikristall. Die Produktion musste um etwa 50 Prozent eingeschränkt werden.
Im VEB Waggonbau Bautzen fehlen Stoßfedern, die vom Federnwerk Zittau geliefert werden. Außerdem fehlen in der Sattlerei des Betriebes Arbeitskräfte, wodurch die D-Zug-Wagen ohne Polstersitze hergestellt werden müssen.
In den Hettstedter Feinhütten, [Bezirk] Halle, besteht ein Arbeitskräftemangel, besonders in der Kupferhütte.
Handel und Versorgung
Örtliche Mängel in der Belieferung bestehen in nachstehenden Bezirken an folgenden Waren.
Im Bezirk Frankfurt: Rauchwaren, Textilien und Industriewaren. In Wesendahl z. B. gibt es seit Wochen keine Margarine, Fisch, Käse und seit Tagen keinen Zucker, Reis und Mehl mehr.
Im Bezirk Magdeburg: billige Zigaretten, Textilien, Industriewaren sowie Handtücher, Bettwäsche, Milchtöpfe, Eimer, Waschwannen.
In Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg: Brot und Frischfleisch.
Im Bezirk Potsdam: HO-Fleisch. In Gransee, [Bezirk] Potsdam, gab es sogar zeitweise kein Markenfleisch, was auf die vielen westdeutschen Besucher einen ungünstigen Eindruck machte.
Im Bezirk Halle: Fleisch, Nährmittel, besonders Kindernährmittel, Dauerbackwaren, Fischwaren, Tee, Bohnenkaffee.
Im Grenzkreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, hält die schlechte Versorgung, die sich bereits auf die Volksbefragung auswirkte, immer noch an.
Im Bezirk Suhl ist ein großer Bedarf an Tee, Bohnenkaffee, Bettwäsche, Emaillewaren.
Im Kreis Sebnitz, [Bezirk] Dresden, können die Bäckereien und Mühlen die Bedürfnisse in der Brotbelieferung nicht mehr befriedigen, weil sich dort viele Kurgäste aufhalten und Getreide nicht ausreichend vorhanden ist. Am 14.8.1954 gab es am Nachmittag in vielen Bäckereien kein Brot und keine Brötchen mehr.
Im Bezirk Gera fehlen nach wie vor billige Zigaretten.
Im Bezirk Schwerin liegen die Ursachen an der mangelhaften Fleischversorgung im Fehlen der Kühlflaschen und Waggons sowie in der langen Umlaufzeit, z. B. vier bis fünf Tage von Berlin bis Prenzlau. Der starke Anfall von Hammel- und Gefrierfleisch wird von den Bedarfsträgern und Verbrauchern meist abgelehnt.
In einer Konsumverkaufsstelle in Gutenberg, [Bezirk] Halle, hat das gesamte Personal gekündigt und will in die Industrie gehen, weil es dort bedeutend mehr verdient.
Dem Verderb ausgesetzte Lebensmittel
Bei der VEAB Angermünde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, lagern zzt. 200 Tonnen und an anderen Stellen des Kreises 300 Tonnen Frühkartoffeln. Da sich diese Menge durch ständige Anlieferungen der Bauern noch bedeutend erhöht, besteht wegen der geringen Lagerfähigkeit die Gefahr des Verderbs.
Landwirtschaft
Zu politischen Tagesfragen nimmt die Landbevölkerung nur wenig Stellung. Über die Pressekonferenz mit Dr. John wird vereinzelt, aber meist positiv, diskutiert. Die meisten positiven Meinungen stammen aus dem sozialistischen Sektor der Landwirtschaft und bringen teilweise auch durch Verpflichtungen ihre Verbundenheit mit unserer Regierung zum Ausdruck. So verpflichteten sich z. B. die Mitglieder der MTS Koßdorf,16 bis zum 17. Oktober [1954] 5 000 Liter Milch und 30 Schweine dem freien Verkauf zur Verfügung zu stellen.
Die Mitglieder der LPG Zinzow,17 [Bezirk] Neubrandenburg, erfüllten ihre Selbstverpflichtung im Getreidesoll einen Tag früher und übernahmen außerdem die Erfüllung des Getreidesolls von fünf Einzelwirtschaften.
Vielfach ist eine falsche Meinung oder unklare Vorstellung von den Volkswahlen auf mangelnde Aufklärung zurückzuführen, wie teilweise im Bezirk Frankfurt. Nach genügender Aufklärung konnte in vielen Fällen eine positive Einstellung festgestellt werden.
Eine negative Einstellung zeigt sich insbesondere bei den RIAS-Hörern und Großbauern, wie in der Gemeinde Mertensdorf, [Bezirk] Potsdam. Dort vertraten in einer Versammlung einige Bauern die Meinung, dass die Volkswahlen mit Stimmzetteln der einzelnen Parteien durchgeführt werden müssten. Sie äußerten sich dabei negativ über die Oder-Neiße-Grenze und verherrlichten Westdeutschland. Solche Tendenzen bzw. Forderungen für Parteilistenwahlen bestehen auch in einigen Gemeinden der Bezirke Frankfurt, Magdeburg und Erfurt. In Bernau, [Bezirk] Frankfurt, z. B. sagte ein werktätiger Bauer zum gemeinsamen Wahlvorschlag: »Unsere Wahlen sind nicht demokratisch, denn ich bekomme wieder einen Stimmzettel mit einem Kreis. Es ist gleich, ob ich das Kreuz einzeichne oder nicht, die ohne Kreuz sind auch gültig. Besser ist es, wenn jede Partei ihre Kandidaten auf den Wahlplan aufstellt.«
Wirtschaftliche Fragen stehen nach wie vor im Mittelpunkt der Diskussionen unter der Landbevölkerung. So werden immer wieder Klagen über den Mangel an Ersatzteilen und verschiedentlich auch an Maschinen geführt.
Von der MTS Samtens, [Bezirk] Rostock, können zwölf Binder »Zella-Mehlis«18 nicht eingesetzt werden, weil die Messerköpfe Materialfehler haben und kein Ersatz vorhanden ist.
In einzelnen MTS des Bezirkes Leipzig fehlt es an Mähbindern und dadurch können die Verträge mit den Bauern nicht erfüllt werden. Die MTS Grimma, [Bezirk] Leipzig, z. B. benötigt drei Binder zur Erfüllung ihrer Verträge. Ähnliche Mängel bzw. Ersatzteilmangel bestehen auch in den MTS des Bezirkes Schwerin und Magdeburg.
Über Kräftemangel klagt die MTS Panschwitz, [Bezirk] Dresden. Dort fehlen Traktoristen und Dreschsatzführer. Im Bezirk Halle fehlt es vielfach an Druschmaschinisten und teilweise auch an Dreschmaschinen.
Übrige Bevölkerung
Politische Diskussionen, hauptsächlich über Dr. John und die Pressekonferenz, sowie über die Volkskammerwahl werden im verhältnismäßig geringen Umfang geführt. Die Gespräche über die bevorstehende Volkskammerwahl gehen oft um die Frage »gemeinsame Kandidatenliste« oder »Parteilisten«.
Fortschrittliche Kreise, zum Teil bis in die bürgerlichen Parteien hinein, treten für die gemeinsame Kandidatenliste ein. Wie z. B. der Vorsitzende der CDU-Ortsgruppe Beierfeld, Kreis Schwarzenberg, welcher erklärte: »Es ist erfreulich, dass sich die Spitzenfunktionäre für eine einheitliche Kandidatenliste entschlossen haben.«
In kleinbürgerlichen Kreisen und unter den Mitgliedern der bürgerlichen Parteien wird häufig die Aufstellung einer gemeinsamen Kandidatenliste als undemokratisch bezeichnet. In der Stadt Pausa, Kreis Zeulenroda, [Bezirk] Gera, diskutiert man in den Kreisen der Handwerker, Geschäftsleute und bürgerlichen Parteien über die Volkswahlen im Oktober 1954, dass die Aufstellung einer gemeinsamen Kandidatenliste nicht den Prinzipien einer freien Wahl entspreche.
Es bestehen Unklarheiten über den demokratischen Charakter der Volkswahlen, zum Teil bis in die Reihen unserer Partei. So erklärte z. B. ein Tapezierer, Mitglied der SED aus Rathenow, Kreis Freital:19 »Man kann nur die vorgelegte Liste bestätigen oder ablehnen, aber das ist keine richtige Wahl. Es müssten getrennte Listen der einzelnen Parteien aufgestellt werden.« Eine ähnliche Meinung vertritt auch ein Stahlbauer, Mitglied der SED, aus dem gleichen Ort.
Die verschiedenartigen Mängel im Handel sind oft die Ursache für Unzufriedenheit unter der Bevölkerung. Diese Mängel stehen vielfach im Vordergrund der Gespräche. So erklärte z. B. ein Rentner aus Leinefelde, Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt: »Ich kann nicht verstehen, weshalb der Kreis Worbis so schlecht beliefert wird. Es müsste doch so sein, dass der Kreis Worbis als Grenzkreis an erster Stelle im Bezirk stehen müsste. Die Regierung wundert sich, weshalb die Ergebnisse der Volksbefragung bei uns so schlecht ausgefallen sind. Die Bevölkerung lässt die Politik nach wie vor durch den Magen gehen, d. h. sie wollen erst Erfolge sehen und dann einverstanden sein.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:20 Frankfurt 100, Leipzig 10 000, Karl-Marx-Stadt 10, Halle 333 (alter Fund im Feld), Rostock 272.
NTS:21 Karl-Marx-Stadt 8.
»Telegraf«:22 Cottbus 6.
Versch[iedener] Art: Potsdam 7 000, Erfurt 50.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Diversionen: In der MTS Schönow, [Bezirk] Frankfurt, wurde Milch bzw. Wasser in die Tanks der Traktoren gefüllt.
In der MTS Felgentreu, Kreis Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, wurden einmal eine Konservenbüchse und einmal eine Bierflasche in den Mähdrescher gefunden, wodurch das Transportband nicht lief.
Gefälschte Schreiben: An volkseigene Betriebe wurden in den letzten Tagen in verschiedenen Bezirken mit der Post gefälschte Schreiben mit dem Absender »Regierung der DDR« gesandt, wonach diese wegen Materialschwierigkeiten Entlassungen vornehmen sollen.
Zwei HO-Hotels in Dresden erhielten in gefälschten Schreiben die Aufforderung, für Teilnehmer an einer Arbeitstagung des FDGB-Bundesvorstandes in der Zeit vom 20. bis 23.8.1954 Quartiere bereitzuhalten.
Vermutliche Feindtätigkeit
In dem VEG Blankenberg, Kreis Kyritz, [Bezirk] Potsdam, wurden von dem Mähdrescher einmal 40 l Benzin abgezapft und einmal das Kühlwasser abgelassen.
Besonderes Vorkommnis
Am 14.8.1954, gegen 19.30 Uhr wurde das östliche Kreisgebiet von Kamenz, [Bezirk] Dresden, von einem schweren Sturm und Hagelschlag betroffen. Schaden: auf Halm stehende Ernte bis zu 95 Prozent vernichtet. Unter anderem wurde die Hackfruchternte bis zu 80 Prozent vernichtet und in den Waldungen 2 500 Festmeter Holz durch den Sturm entwurzelt oder umgeknickt. Die schweren Hagelschläge, welche in Hühnereigröße niedergingen, forderten ein Todesopfer und mehrere Verletzte.
Anlage 1 vom 17. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2289
Auswertung der Westsendungen
In der Hetze zu den Volkswahlen traten bisher keine neuen Momente auf. Die Sendungen richten sich nach wie vor gegen die Aufstellung einer einheitlichen Kandidatenliste und gegen die abgegebenen Rechenschaftsberichte unserer Funktionäre.23
In Bezug auf die Aufstellung einer einheitlichen Liste für die Wahl der Volksvertretung von Berlin hetzt der RIAS, dass dieser Beschluss gegen die Einheit Berlins gerichtet sei.24 Berlin hätte an den Wahlen nicht teilnehmen sollen, sondern man hätte westliche Vorschläge über eine Gesamtberliner Wahl diskutieren müssen.
Eine Sendung über die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes im 2. Quartal 1954 benutzt der RIAS zu der üblichen Hetze, dass der Lebensstandard in der DDR niedriger sei als in Westdeutschland. Angeführt wird dabei u. a., dass in der DDR pro Kopf 45,00 DM mehr Steuern kämen als in Westdeutschland und dass auch die Abzüge für die Sozialversicherung höher lägen.
Sender »Freies Berlin« berichtet über Materialmangel in der Textilindustrie, wodurch die Betriebe nur bis zu 55 Prozent ausgelastet wären. Ursache dazu sei das Ausbleiben von Rohmaterial aus der SU und auch Ägypten, Letzteres, weil die DDR ihre Exportverpflichtungen nicht eingehalten habe.
In einer Sendung gibt der RIAS »Hinweise für Private Unternehmer« in der DDR. Darin wird festgestellt, dass die »Zugeständnisse« des neuen Kurses25 wieder »stillschweigend rückgängig gemacht« wurden. Gewarnt wird dabei vor den Bestandsprüfern der Deutschen Notenbank und den Betriebsprüfern der Abgabenverwaltung, die für festgestellte Gesetzesverstöße hohe Geldprämien erhielten.
Folgende Hinweise werden gegeben:
- –
bei Vertragsabschlüssen Konventionalstrafklausel streichen lassen,
- –
mehr als bisher von der Möglichkeit des direkten Vertragsabschlusses zwischen privaten Herstellern und privaten Abnehmern Gebrauch machen,
- –
bei längerer Bearbeitung von eingereichten Preisanträgen auf entsprechende Bestimmung hinweisen, wonach Bearbeitung innerhalb von 14 Tagen zu erfolgen habe,
- –
keine Investitionskredite in Anspruch nehmen.
In einer Einschätzung der Ernteaussichten in der DDR heißt es im Sender »Freies Berlin«, dass die Erträge der DDR »nicht im Entferntesten die Erträge des Bundesgebietes erreichen«. Als Ursache dazu wird wiederum, wie bereits mehrfach in früheren Sendungen, mangelhafter Maschinenpark genannt. Gleichzeitig wird von einer Qualitätsverminderung des Getreides infolge des Nachtdrusches gesprochen.26 Auch das Lagern in den Speichern der VEAB wird als schädlich betrachtet und die Forderung gestellt, das Getreide bei den einzelnen Bauern lagern zu lassen.
Über den Stand der Hackfrüchte wird gehetzt, dass die Erträge durch starke Verunkrautung der Felder beeinträchtigt werden; die Kartoffelbestände seien wegen zu schlechten Pflanzgutes gefährdet. Durch Zahlenbeispiele über die Ernteergebnisse wird versucht, die Bevölkerung zu beunruhigen.
In einer Sendung über das Statut der VdgB fordert der RIAS auf, Großbauern in die Vorstände zu wählen, da das laut Statut nicht verboten sei.27
Anlage 2 vom 17. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2289
Äußerungen von westdeutschen Besuchern über ihre Eindrücke in der DDR
In den Äußerungen westdeutscher Besucher der verschiedensten Bevölkerungskreise kommt immer wieder zum Ausdruck, dass sie sehr beeindruckt und überrascht sind von den Verhältnissen in der DDR. Oft stellen sie Vergleiche an und äußern dabei, dass die Arbeiter bei uns besser leben als in Westdeutschland. Bewunderung und Anerkennung finden auch immer wieder die sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie die Förderung der Jugend.
Ein Arbeiter aus Tuttlingen besichtigte den volkseigenen Betrieb Ketten- und Nagelwerke in Weißenfels, [Bezirk] Halle, und äußerte: »Ich bin erstaunt über den Verdienst der Facharbeiter, der höher liegt, als bei uns in Westdeutschland. Ich bin begeistert von der Lehrlingswerkstatt. Bei uns muss ein Lehrling 3½ Jahre lernen und wird dadurch nur ausgebeutet.«
Ein Arbeiter aus Essen, der in Cottbus weilte, erklärte: »Die Arbeitsbedingungen sowie die Löhne, technischen Einrichtungen sind besser als im Westen, doch eines fehlt und das sind die Pensionskassen, deren Stand in Westdeutschland augenblicklich sehr gut ist. Beim Kampf um die Wiedervereinigung müsste auch dies auf einen Nenner gebracht werden.«
Ein Vertreter einer Papierfabrik aus dem Allgäu, der sich in Schmiedeberg, [Bezirk] Dresden, aufhielt: »Man muss sagen, dass die westdeutsche Wirtschaft sich in einem krankhaften Zustand befindet. Es besteht ein starkes Missverhältnis zwischen der Warenproduktion und der Kaufkraft der Bevölkerung.«
Ein Student, der sich in der Gemeinde Divier,28 [Bezirk] Neubrandenburg, aufhielt: »Ich bin erstaunt, welche Unterstützung die Jugend in der DDR genießt. Bei uns in Westdeutschland ist das nicht der Fall. Ich selbst studiere in Hamburg und muss die Kosten selbst tragen.«
Ein Arbeiter, der sich im Kreis Großenhain, [Bezirk] Dresden, aufhielt, äußerte: »Meine Kollegen haben mich gewarnt, ja nicht zu euch in die DDR zu fahren, denn ich würde sofort eingesperrt oder nach Sibirien verschleppt. Diese Vorstellungen herrschen noch bei vielen westdeutschen Arbeitern. Das sich die Lebenslage ständig verbessert, kann ich gut festhalten, da ich schon 1950 und 1952 in der DDR weilte.«
In einem VEB in Sonneberg fragten Mitglieder einer westdeutschen Delegation nach der Zusammensetzung der BGL. Als die hörten, dass der BGL ein LDP- und ein CDU-Mitglied angehören, waren sie erstaunt und brachten zum Ausdruck, dass ihnen drüben eingeredet wird, dass in diesen Funktionen nur Kommunisten sind.
Eine Hausfrau, die in Genthin, [Bezirk] Magdeburg, weilte, äußerte: »In Lübeck haben ca. 30 000 Arbeiter keine Beschäftigung und viele haben seit Langem schon keine Butter mehr gesehen. Ich habe hier festgestellt, dass viele Lebensmittel besonders Brot, Kartoffeln, Butter und Fleisch billiger als bei uns sind. Das Leben in der DDR ist wirklich besser als in Westdeutschland.«
Eine Besucherin aus Westberlin erklärte gegenüber einigen Hausfrauen in Magdeburg: »Ich bin sehr überrascht über die Verhältnisse in der DDR. Ich kann nicht verstehen, dass es immer noch Menschen gibt, die glauben, in Westdeutschland können sie besser leben als hier. Drüben würden sich bestimmt viele Menschen freuen, wenn die Lebensmittelkarten wieder eingeführt würden, denn dann könnten sie auch mal Butter kaufen.«
Ein Arbeiter aus Bayern: »Ich bin überrascht, was es hier alles gibt und was schon erreicht wurde. Die Lebensmittel sind hier viel billiger als in der Bundesrepublik. Nur die Preise für Schuhe sind noch zu hoch und die Stoffe müssten qualitativ noch besser sein.«
Ein Arbeiter, der in Dresden weilte, nahm an der Rechenschaftslegung des Genossen Otto Grotewohl29 teil30 und äußerte dazu: »In Westdeutschland ist so etwas unmöglich, dass ein Minister über seine Tätigkeit berichtet. Wenn in Westdeutschland so eine Volkswahl stattfände wie in der DDR, würde Adenauer keine Stimme erhalten.«