Zur Beurteilung der Situation
12. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2258 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen der Werktätigen befassen sich noch teilweise mit der Berichterstattung über das Fußballweltmeisterschaftsspiel. Darin wird gegen das Singen des »Deutschlandliedes« Stellung genommen; von feindlichen Elementen werden hetzerische Äußerungen getätigt. Der Umfang der Diskussionen ist gering. Einige Arbeiter der VEB Maxhütte, [Bezirk] Gera, die am Hochofen beschäftigt sind, missbilligten, dass verschiedene Familien westdeutsche Sender eingeschaltet hatten und im Anschluss an das Spiel das »Deutschlandlied« abhörten.1
Ein Sachbearbeiter im VEB Porzellanwerk Kahla, [Bezirk] Gera, Abteilung Löhne: »Der Reporter Wolfgang Hempel2 müsste sich schämen. Aufgrund seiner Reportage ist festzustellen, dass er nur durch die politische Brille sieht und keinerlei Nationalgefühl besitzt.«
Ein Arbeiter von der Bau-Union Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg: »Einige haben nach dem Sieg der westdeutschen Mannschaft beim Erklingen der Nationalhymne die Übertragung abgeschaltet. Oder ist das ›Deutschlandlied‹ nicht unsere Nationalhymne? Alle, die nicht so denken, sind Verräter.«
Der größte Teil der Diskussionen befasst sich mit örtlichen, betrieblichen und wirtschaftlichen Fragen, worüber Verärgerung besteht.
Missstimmung
Im Perlonbetrieb des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam, sind in der letzten Zeit vier verantwortliche Funktionäre republikflüchtig geworden, worüber unter den Intelligenzlern des Betriebes Beunruhigung besteht. Verstärkt wird dies durch fingierte Anrufe und Drohbriefe des Gegners. Teilweise ist diese Unruhe auch für [sic!] die Verhaftung eines Diplomingenieurs des Betriebes zurückzuführen, und unter den Intelligenzlern ist die Ansicht verbreitet, dass bei kleinsten Anlässen sofort Verhaftungen vorgenommen werden.
Die Arbeiter im Betrieb Energieverteilung Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, sind darüber empört, dass im Batterieraum schon seit Jahren ein Ventilator zum Abzug der Giftgase angebracht werden sollte, was noch nicht geschehen ist. Die diensthabenden Maschinisten müssen dadurch täglich acht Stunden lang die entstehenden Giftgase einatmen.3
Unter den Kumpels der Eisenerzgrube in Schmiedefeld, [Bezirk] Suhl, herrscht eine schlechte Stimmung, weil in der Versorgung mit Milch immer noch Schwierigkeiten bestehen.
Im VEB Simsonwerk Suhl4 mangelt es an Arbeitskräften, wodurch viele Kollegen Nachtschicht machen müssen. Außerdem ist die Planauflage gefährdet, weil ein Mangel an Systemmachern in der Jagdwaffenfertigung besteht. Die Arbeiter in dieser Abteilung verdienen im Verhältnis zu ihrer schwierigen präzisen Arbeit zu wenig, worüber Missstimmung herrscht. Ein ähnlicher Zustand besteht im VEB »Ernst-Thälmann-Werk« Suhl.5
Arbeiter der Elbewerft Boizenburg, [Bezirk] Schwerin, sind darüber unzufrieden, dass der Aufenthalt von Interzonenreisenden im Sperrgebiet beschränkt ist und sie dadurch keinen Besuch von Angehörigen aus Westdeutschland erhalten können.6
Im VEB Maschinen- und Metallbau Haldensleben, [Bezirk] Magdeburg,7 besteht unter den Kollegen Missstimmung, weil viele Arbeitskräfte zum Landeinsatz und zu den Aufbauschichten herangezogen wurden.8
In der Neptunwerft Rostock werden die Kesselhäuser überwiegend nur mit Rohbraunkohle versorgt, wodurch nicht genügend Dampf erzeugt werden kann. Außerdem müssen die Anlagen vorzeitig zwecks Reinigung stillgelegt werden. Die Kollegen der Kesselhäuser sind darüber missgestimmt und verrichten nur widerwillig ihre Arbeit.9
Die Arbeiter der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, sind über die laufenden Änderungen auf dem Schiff »Sow. Sojus«10 verärgert. So ist z. B. in der Halle 105 kein Brigadier oder Arbeiter zur Produktionsberatung erschienen, mit der Begründung, es sei zwecklos zu beraten, da morgen wieder alles hinfällig sei.
Auf der Volkswerft Stralsund beklagen sich die Arbeiter über die schlechte Qualität der Schweißelektroden »Anker 5«. Eine Schweißerin äußerte dazu: »Die Stimmung der Schweißer ist auf den Nullpunkt angelangt, da sich durch die schlechten Elektroden ihr Verdienst erheblich verringert.«
Im Emailierwerk des Walzwerkes Hettstedt wird unter den Kollegen über die Prämienzahlung aufgrund der Plansollerfüllung negativ diskutiert. Sie sind nicht damit einverstanden, dass die Meister die Prämien erhalten und die Kollegen, die einen entscheidenden Anteil an der Plansollerfüllung haben, nicht bedacht werden.
Im Betrieb Kupferblech des gleichen Werkes sind die Kollegen der Meinung, dass die Normen höher gesetzt wurden. Sie müssen jetzt schneller arbeiten, um den gleichen Lohn wie vorher zu erhalten.11
Der VEB Wälzlager Freureuth, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat ein Warenabkommen mit der Kugellagerfabrik Steyer in Österreich12 über Kegelrollen abgeschlossen, wovon die 2. und 3. Sendung (450 000 Stück) größtenteils Ausschuss waren. Die Kegelrollen werden für einen Exportauftrag an die Sowjetunion benötigt. Kollegen des VEB in Fraureuth sind darüber empört und fordern, dass dies vom DIA untersucht wird.
Produktionsschwierigkeiten, die wegen Material- und Arbeitskräftemangel auftraten. Im VEB Waggonbau Görlitz ist der Produktionsablauf verschiedener Abteilungen besonders wegen Mangel an Grob- und Feinblechen gestört. Ähnliches ist im VEB Waggonbau Niesky zu verzeichnen.13
Der VEB Schlachthof Meißen, [Bezirk] Dresden, hat die Produktion um 50 Prozent gesenkt, da der Viehanfall vermindert ist. Dadurch mussten 13 Arbeitskräfte entlassen werden.
Im VEB IKA Oberweimar, [Bezirk] Erfurt, konnte die Produktion von Beleuchtungskörpern im Monat Juni nur mit 71,5 Prozent erfüllt werden, da Automatenstahl und Porzellansockel für Fassungen fehlen. An Niederspannungsschaltgeräten konnte die Produktion nur zu 56,5 Prozent erfüllt werden, weil keine Motorenschutzschalter, Stecker und Schaltereinsätze geliefert werden.14
In dem VEB Vereinigte Hutwerke Guben, [Bezirk] Cottbus, bestehen Materialschwierigkeiten an Hutbändern und Goldvolieren, was sich ungünstig auf die Exportaufträge auswirkt. In fast allen tuchverarbeitenden Betrieben des Bezirkes Cottbus fehlt es an reiner Wolle.15
Im Dieselmotorenwerk Rostock mangelt es an Normteilen vom VEB Guss Torgelow für die Fertigung der 100-PS-Motoren. Außerdem mangelt es an Zylinderblöcken für die 1 400-PS-Motoren.16
Für den Bau der Wohnblöcke in Hagenow, [Bezirk] Schwerin, mangelt es an Zement, was hauptsächlich auf einen ungenügenden Antransport zurückzuführen ist.
Im VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, besteht weiterhin ein Mangel an Arbeitskräften.
In einigen Betrieben des Buna-Werkes17 fehlen insgesamt 150 bis 200 männliche Arbeitskräfte. Schwerpunktbetriebe sind Karbid, Aldehyd, Elektrokarren und Rangierer.
Produktionsstörung: Im VEB Elektrochemie Hirschfelde, [Bezirk] Dresden, fiel ein Ofen wegen Kurzschluss im Erdkabel aus. Die Reparatur dauert fünf bis sechs Tage. Täglicher Produktionsausfall 25 t.
Handel und Versorgung
Im Kreis Naumburg, [Bezirk] Halle, lagern 5 t Speck, die verderbgefährdet sind. Außerdem wurden insgesamt 18 t Fett angeliefert, die schnellstens verkauft werden müssen. In jeder Kiste ist die obere Schicht schon ranzig. Des Weiteren lagern im gleichen Kreis größere Mengen Fleischkonserven, deren Haltbarkeitsdauer bereits überschritten ist.18
Der Konsum in Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, soll 1,5 t Fleischkonserven aus der Staatsreserve übernehmen, deren Haltbarkeit äußerst begrenzt ist (bis Juli 1954). Da ein Eigenbestand von 6 000 Stück vorhanden ist, kann der Konsum die 1,5 t nicht abnehmen.
Über einen Mangel an billigen Zigaretten berichten weiterhin die Bezirke Neubrandenburg, Gera, Schwerin und Halle.
Im Bezirk Magdeburg ist die Bereitstellung von Möbeln, Haushaltgegenständen, Textilien sowie die Belieferung von Stärkeerzeugnissen (Pudding und Maizena) nach wie vor unzureichend.
Im Bezirk Cottbus herrscht eine starke Nachfrage nach Baustoffen, die vom staatlichen Handel nicht gedeckt werden kann.
Im Bezirk Halle fehlt es an genügend Sommermänteln, an Stoffen in mittlerer Preislage, Bekleidungsgegenständen von der Größe 48 an sowie Baby-, Bett- und Tischwäsche.19
Im Bezirk Schwerin klagen besonders die Landgemeinden über eine unzureichende Warenbelieferung. So fehlt es z. B. in der Gemeinde Neuhof an genügend Brot und Margarine. In der Stadt Güstrow fehlt es an Sommerkonfektion und im Kreis Güstrow besteht ein Mangel an Salzheringen und Frischgemüse. Im Kreis Perleberg beklagt sich die Landbevölkerung, dass es keine neuen Kartoffeln zu kaufen gibt, und in der Gemeinde Boberow, Kreis Perleberg, gibt es seit Wochen keine Teigwaren.20
Landwirtschaft
Über politische Tagesfragen wird unter der Landbevölkerung nach wie vor wenig gesprochen. Vorwiegend gilt das Interesse den wirtschaftlichen Fragen. Vereinzelt wurden Stimmen über die Landwirtschaftsausstellung in Markkleeberg bekannt, überwiegend positiv.21 So z. B. äußerte ein Genossenschaftsbauer aus Gräfentonna, [Bezirk] Erfurt: »Die Ausstellung in Markkleeberg ist ein neuer Beweis der Entwicklung der Landwirtschaft in der DDR. Die dort ausgestellten Maschinen und Großgeräte entsprechen den ständig wachsenden Bedürfnissen der LPG.«22
Negativ dazu äußerte sich ein Einzelbauer aus Kirchheiligen, [Bezirk] Erfurt: »Sie wollen uns nur Sand in die Augen streuen. Was nützen uns die großen Maschinen, wir brauchen mehr kleine. Außerdem taugt das Material sowieso nichts, in der Ausstellung zeigen sie Streichbleche aus Glas für Pflüge, die man aber im Lehmboden gar nicht verwenden kann.«23
In der Gemeinde Groß Tessin, [Bezirk] Schwerin, sind Bauern der Meinung, dass in diesem Jahr die Rapsernte nicht so gut ausfallen wird, weil die Schädlingsbekämpfung nicht durchgeführt worden ist. Nach ihrer Meinung soll durch den Rüsselkäfer 50 Prozent der Ernte vernichtet sein.24
In der Gemeinde Silmersdorf, [Bezirk] Potsdam, erhielten Bauern durch die Bodenreform Land. Darunter einige ha schlechten Bodens. Sie sind in die Gruppe 10 bis 15 ha veranlagt worden. Aufgrund des schlechten Bodens sind sie der Meinung, dass die Veranlagung zu hoch sei. Sie wandten sich deshalb schon mehrmals an den Rat des Kreises – es wurde ihnen eine Reglung versprochen, aber bisher nichts unternommen. Laut Verordnung erhalten Ferkelhalter zusätzlich für jedes Ferkel 15 kg Kleie.25 Der Rat des Kreises Sternberg, [Bezirk] Schwerin, gibt aber stattdessen nur 3 l Milch. Darüber sind die Bauern verärgert, zumal in der BHG große Mengen Futter lagern.26
In der Gemeinde Tangendorf,27 [Bezirk] Schwerin, schadet der 1. Sekretär durch sein Verhalten dem Ansehen der Partei. (In angetrunkenem Zustand drohte er Gemeindevertretern, dass er sie totschlagen wolle.) In den Gemeinden Stolpe und Barkow,28 [Bezirk] Schwerin, klagen die Einwohner über die schlechte Arbeit des Bürgermeisters, der sehr oft betrunken ist.
Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. In einer Bauernversammlung in der Gemeinde Karbow, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte ein Bauer: »Ich lehne grundsätzlich die Planwirtschaft ab und bin für eine ›freie Wirtschaft‹. Auf die Unterstützung der MTS verzichte ich. Alle Einrichtungen in der DDR sind großer Mist.«29
Ein Mittelbauer aus Giesen,30 [Bezirk] Potsdam: »Es ist alles egal, es wird doch bald alles Kolchose.31 Der Amerikaner hätte 1946 oder 1947 den Krieg beginnen sollen, dann wäre es heute anders. Aber jetzt kann so leicht gegen den Russen nichts gemacht werden.«32
Die Schweinepest ist zzt. im Stadt- und Landkreis Görlitz stark aufgetreten. Zum Beispiel musste in der LPG Meuselwitz der gesamte Bestand von 81 und 23 Ferkeln abgeschlachtet werden. Außerdem der Bestand (fünf Schweine) eines Mittelbauern. Weiterhin brach die Schweinepest unter den Schweinebeständen des Stadtkrankenhauses Görlitz aus. Es mussten 32 Schweine abgeschlachtet werden.33
Übrige Bevölkerung
Aus Oebisfelde, [Bezirk] Magdeburg, wurde uns bekannt, dass zwei Pfarrer Jugendabende durchführen, an denen gesungen, Schach gespielt und Tischtennisturniere veranstaltet werden. Es wurden für 2 000 DM Blasinstrumente beschafft, um einen Posaunenchor zu gründen. Vor allen Dingen legen sie dabei Wert auf FDJ-Mitglieder, um die FDJ-Gruppen zu schwächen. Es zeigt sich, dass ein Teil der FDJler dem Ruf der Pfarrer folgen, da ihnen auch gleichzeitig die Möglichkeit geboten wird, kostenlos die Noten zu lernen.
In der Gemeinde Kabs,34 [Bezirk] Neubrandenburg, führt der Pfarrer Schulungen in seminaristischer Form durch, wobei er sehr verfängliche Fragen stellt, wie z. B.: »Wem muss man mehr gehorchen, der Kirche oder der Regierung?« Darauf antwortete die Sekretärin des Bürgermeisters der Gemeinde: »Der Regierung. In der Bibel steht doch, Du sollst Untertan sein, da die Obrigkeit die Gewalt über dich hat.«
In der Straßenbahn in Berlin unterhielten sich vier Frauen über die zurückgekehrten Republikflüchtigen. Dabei wurde geäußert: »Man muss eben erst nach dem Westen türmen und dann wieder zurückkommen, dann kümmert sich der Staat um uns. Dann bekommt man auch eine schöne Wohnung.«
Im Bezirk Magdeburg wird von den Handwerkern über den Materialmangel Klage geführt. So äußerte sich ein Eisenwarenhändler aus Halberstadt: »Die Beschaffung von Material ist jetzt nach neun Jahren noch sehr schwer. Ich hatte vom neuen Kurs mehr erwartet.«35
Verärgerung besteht in der Gemeinde Blumerode, [Bezirk] Halle, über den Engpass an Brennmaterial, da die Bevölkerung kilometerweit in andere Ortschaften fahren muss, um ihren Bedarf an Brennmaterial zu decken.36
Im Bezirk Suhl wird unter den Hausfrauen über die Preise für Gemüse und Obst diskutiert. Dabei bringen sie zum Ausdruck, dass die Preise zu hoch sind und dass sich keine Arbeiterfamilie dies leisten könne.
Auf der Insel Rügen werden Diskussionen über die Übungen der Roten Armee geführt. Eine parteilose Hausfrau aus Sagard, [Bezirk] Rostock: »Was wollen die Russen denn schon wieder hier. Die werden wohl Übungen an der Ostseeküste machen. Aber dazu brauchen sie doch keine Kanonen und soviel Autos. Bei uns hier auf Rügen sieht es aus, als ob Krieg ist. Man spricht immer von Westdeutschland und von amerikanischen Truppenübungen, aber bei uns ist es nicht anders.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
NTS:37 Rostock 50.
FDP-Ostbüro:38 Neubrandenburg 4 500.
CDU-Ostbüro: Neubrandenburg 1 200.
Verschiedener Art: Potsdam 1 300.
Die Flugblätter wurden zum größten Teil sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Terror
In der Nacht vom 9. zum 10.7.1954 wurde der Ortsparteisekretär der SED aus Horsmar, Kreis Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt, von einem Arbeiter niedergeschlagen. Ermittlungen werden geführt.
Diversion: In der LPG Köckte, Kreis Klötze, [Bezirk] Magdeburg, wurden 20 Isolatoren zerschlagen, die elektrische Leitung um eine Viehkoppel geerdet, damit das Vieh ausbrechen sollte, die Trittleiter der Bauarbeiter beschmierte man von oben bis unten mit Teer. Anhaltspunkte nach den Tätern sind bisher nicht vorhanden.39
In der Großgaserei Magdeburg wird eine Erweiterung der Generatorenanlage vorgenommen. Am 6.7.[1954] wurde der Probelauf der einzelnen Gussgruppen vorgenommen. Beim Einschalten der Verteilerkästen schlug aus diesen eine größere Stichflamme. Ursache: Direkter Kurzschluss. Am 7.7.1954 schoss aus dem gleichen Verteilerkasten wieder eine Stichflamme heraus. Als der Kasten geöffnet wurde, stellte man fest, dass zwei Stromschienen durch ein Vorhängeschloss verbunden waren und dadurch ein direkter Kurzschluss entstand. Untersuchungen werden geführt.
Vermutliche Feindtätigkeit
Im Perleberger Forst, [Bezirk] Schwerin, wurden zwei Brandsätze gefunden, die sich in einem Seidenbeutel befinden.40
Wie uns bekannt wurde, wollen am 29.7. und 30.7.1954 15 Umsiedler aus Lauben,41 Schlesien, zzt. wohnhaft in Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt, am sogenannten Heimattreffen der Laubaner in Hildesheim, Westdeutschland, teilnehmen.
Anlage 1 vom 12. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2258
Landwirtschaft
Nachfolgend einige Beispiele über bestehende Mängel und Schwierigkeiten, die verschiedentlich im sozialistischen Sektor in der Landwirtschaft in Erscheinung treten.
Von den MTS
Die MTS Lange,42 [Bezirk] Schwerin, benötigt 20 Reifen für Traktoren. Sie bekam nur drei Stück geliefert, mehrere Traktoren stehen deshalb still.43
An der MTS Wolfshagen, [Bezirk] Schwerin, führen die Traktoristen ihre Arbeit schlecht durch, die vertreten die Meinung, dass man auf sie angewiesen ist, weil es wenig Traktoristen gibt.
Im MTS-Bereich Holzendorf, [Bezirk] Schwerin, gehen die Pflegearbeiten schlecht voran, da zwei Traktoren nicht einsatzfähig sind. Sie befinden sich seit März in der Spezialwerkstatt Güstrow zur Reparatur.44
In der MTS Bötzow, [Bezirk] Schwerin, steht seit Dezember 1953 ein Lkw beim Kfz-Reparaturbetrieb Schwerin zur Reparatur.45
Von den LPG
LPG-Bauern aus Spören, [Bezirk] Halle, brachten in einer Versammlung zum Ausdruck, dass bei dem LPG Typ III46 eine andere Sollveranlagung in der individuellen Viehhaltung von der Regierung beschlossen werden müsste. Sie machten den Vorschlag, es in Zukunft so zu regeln, dass ein festes Soll festgesetzt werden sollte, dadurch könnte keine Spekulation betrieben werden.47
In der LPG Möllenbeck, [Bezirk] Schwerin, erklärten in einer Mitglieder-Versammlung fünf Mitglieder, dass sie austreten werden mit der Begründung, sie würden zu wenig verdienen.48
In der LPG Zapel, [Bezirk] Schwerin, sind Unstimmigkeiten zu verzeichnen. Der Vorsitzende legte seine Funktion nieder mit der Begründung, dass er nicht mehr in der Lage sei, die LPG zu lenken und zu leiten. Von 22 Mitgliedern kommen täglich nur 7 bis 9 zur Arbeit.49
In der LPG Boberow, [Bezirk] Schwerin, wollen einige Mitglieder wieder austreten, weil die LPG nicht die genügende Unterstützung vom50 Rat des Kreises bekommt.51
Die Mitglieder der LPG Drefahl,52 [Bezirk] Schwerin, beschwerten sich über die schlechte Arbeit der MTS. Der Grund liegt darin, dass bei der Durchführung der Arbeiten verschiedene neue Ackergeräte durch den schweren Boden entzweigingen.
Bei der LPG Schmerbach, [Bezirk] Suhl,53 werden auf den Feldern durch die Wildschweinplage Schäden verursacht. Die Mitglieder forderten schon des Öfteren Jagdkommandos zur Bekämpfung an,54 aber bis heute wurde noch nichts unternommen. Aus dem Grunde griff ein Mitglied zur Selbsthilfe und wollte die Fluren nachts bewachen, dabei wurde er von der Grenzstreife festgenommen und stundenlang verhört.
Anlage 2 vom 10. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2558
Informationen über die Hochwassergefahr55 im Wismutgebiet56
(Meldungen vom 10.7.1954, gegen 9.30 Uhr)
Im Gebiet Gauern, [Kreis] Gera, musste gegen 3.00 Uhr die Produktion eingestellt werden.
In Lichtenberg auf der 30-m-Sohle wurde die Arbeit eingestellt.
In Pautz57 fielen die Schächte 30, 13, 50 und 72 aus.
In Blumenthal58 wurde die Eisenbahnbrücke um 7 cm verschoben.59
In Aue brach in der Wasserstraße der Damm, sodass das Wasser in die Stadt einfließt. Im Stadtgebiet Aue wurde die Alarmstufe ausgelöst, da akute Gefahr besteht.
In Längsfelt60 ist die Pumpstation abgesoffen.
Das Objekt 101 in Crossen61 steht seit 3.00 Uhr still. Alle Zechen unter Wasser. In Crossen selbst ist der Muldedamm gebrochen mit einer Länge von ca. 60 m. Das Wasser ist bis in die Stadt Zwickau eingedrungen und steht ca. ½ m hoch. Dabei sind Bäume von 40 bis 50 cm Durchmesser entwurzelt. Die einzige62 Eisenbahnbrücke, welche noch als Zufuhr zum Werk führte, hat sich bereits in der Mitte gesenkt. Crossen ist vollkommen vom Wasser eingeschlossen. Die Straße Zwickau – Altenburg steht unter Wasser und ist nicht mehr befahrbar.
Die unteren Stadtteile von Auerbach, Rodewisch und Lengenfeld stehen unter Wasser.
In Aue, Objekt 100, ist die Abteilung B 2 abgesoffen. Die Motoren konnten geborgen werden.
Die Bahnstrecke Wilischthal – Gelenau ist gesperrt.63
In Karl-Marx-Stadt – Harthau steht das Wasser in dem Objekt der Wismut in den Hallen ca. 1 m bis 1,50 m hoch.
Die Eisenbahnstrecke von Aue – Freiberg ist unterbrochen.
In Oberschlema mussten drei Kabel demontiert werden, mit 10 000 Volt Spannung.
Die Frauenklinik in der Rudolf-Breitscheid-Straße in Aue musste geräumt werden.
Die Bahnstrecke Tannenbergsthal – Rauhtenkranz64 ist gesperrt.65
Ebenfalls die Bahnstrecke Aue – Lauter, Aue – Johanngeorgenstadt sowie der Zug- und Busverkehr Aue – Karl-Marx-Stadt.66
In Schönheide sind sämtliche Brücken in Gefahr. Die Brücke zur Nickelhütte Aue ist bereits abgerissen.
(Meldung vom 10.7.1954, 11.15 Uhr)
Im [Objekt] 101 Crossen wurden die Motoren demontiert, da das Werk völlig unter Wasser steht. Diese Motoren wurden in höhergelegene Gebäude verlagert. In der Zeche 15 des Werkes stehen noch einige Motoren, die nicht demontiert werden können, da sie zu schwer sind. Das Gleiche gilt für das Kesselhaus. Diese Motoren werden absaufen.
Die Eisenbahnbrücke Crossen ist fast zerstört. Die Starkstrommaste sind umgeknickt. Die Stromversorgung ist unterbrochen. Eine Verbindung zum Werk besteht nicht mehr.
Die Verbindungsmöglichkeiten der Bezirksverwaltung Wismut des SfS67 zu den Außendienststellen fernschriftlich, können folgende Dienststellen nicht erreicht werden: Aue, Annaberg, Auerbach, Oberschlema, Grenze Plauen, Grenze Karl-Marx-Stadt. Verbindungen bestehen noch zu Johanngeorgenstadt und Freital. Fernsprechmäßig sind folgende Dienststellen des SfS nicht mehr zu erreichen: Aue, Oberschlema und Gera.
(Meldungen vom 11.7.1954, 17.30 Uhr)
Wismutgebiet: Ein weiteres Ansteigen des Wassers ist zurzeit nicht zu verzeichnen – überall an gefährdeten Punkten leisteten die Kumpels aktive Hilfe; in besonders gefährdeten Ortschaften, wie z. B. Pockau, Blauenthal und Aue. Es wurden insgesamt 700 Kumpels eingesetzt. In der Gemeinde Lindenau wurden ebenfalls Kumpels eingesetzt, da der Damm des Herrenteiches angebrochen und somit die Ortschaft bedroht war. Durch den Einsatz konnte die Sprengung der Teilschleuse verhindert werden.
Im Kreis Schneeberg68 war die Mitarbeit der bürgerlichen Parteien schwach und die Unterstützung des Rates des Bezirkes völlig ungenügend. Anleitung und Anweisung war nicht vorhanden, sodass die Katastrophenkommission weitgehend auf ihre eigene Initiative angewiesen war.
Negativ trat in Erscheinung, dass gestern in Aue beim Brotverkauf Frauen sich gleich vom Konsumwagen Brot wegkaufen wollten. (Im großen Ganzen wurden keine Angsteinkäufe bekannt.)
(Meldungen vom 11.7.1954, 18.15 Uhr)
Karl-Marx-Stadt: Über die Ursachen der wolkenbruchartigen Regenfälle bestehen unter der Bevölkerung verschiedene Meinungen. Teilweise werden diese als eine Folge der Wasserstoffbombenversuche der Amerikaner69 angesehen, ein anderer Teil sieht sie in Verbindung mit der Sonnenfinsternis.70 Von religiösen Menschen wird die Hochwasserkatastrophe als eine Strafe Gottes bezeichnet. Obwohl verschiedentlich einzelne Gerüchte in Erscheinung traten, ist keine Panikstimmung vorhanden.
(Meldungen vom 11.7.1954, 19.50 Uhr)
Dresden: Im VEB Lederfabrik Freital ist das Wasser in den Keller des Werkes gelaufen, weil das Wasser des Poisenbaches angestiegen ist. Im Edelstahlwerk Döhlen Freital71 besteht die Gefahr, dass das Stromkabel durch die Wassermassen zerrissen wird.
Betriebsstilllegungen: VEB Hartpappe in Ulberndorf,72 Kreis Dippoldiswalde mit 100 Beschäftigten. Sägewerk Steglitz in Sohland, Kreis Bautzen (Privatbetrieb), Steinbruch Roter Granit Meißen mit 120 Beschäftigten. Steinbruch und Schotterwerk Kreis Meißen mit 25 Beschäftigten. In Pirna wird die HO-Haushaltchemie mit 180 t Material geräumt. In Großenhain sind längs der Röder73 600 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, vorwiegend Kartoffel und Getreide, überflutet.
Gerüchte: In Riesa geht das Gerücht um, dass sich in der ČSR zwei Flöße losgerissen haben und elbabwärts treiben. Untersuchungen ergaben, dass dies nicht den Tatsachen entspricht.
In Freital und Hainsberg wird das Gerücht verbreitet, dass die Talsperre Malter aufgrund der großen Wassermassen Risse hat, die Schleusen undicht wären und nicht mehr schließen. Nach Überprüfung wurde festgestellt, dass die Abschlussvorrichtungen an den Kaskaden vollkommen in Ordnung sind.
(Meldungen vom 12.7.1954, 0.45 Uhr)
Wismutgebiet: Ein weiteres Ansteigen des Wassers ist zzt. nicht zu verzeichnen. Die Diskussionen der Bevölkerung gehen um Folgendes: Wann geht das Wasser zurück? Wer deckt die Schäden in den Geschäften und Häusern und wer bezahlt die Löhne für die ausgefallene Arbeitszeit? Die Verantwortlichen für die Talsperren Carlsfeld und Sosa wurden mehrere Male anonym angerufen, dass sie die Schieber öffnen sollen. Es wurde jedoch nicht darauf reagiert.
Das Hochwasser im Gebiet Freital ist im Fallen begriffen. Ein Gebäude des Wismut-Sanatoriums in Kreischa ist in Gefahr. Das Wasser hat die Grundmauern unterspült, das Gebäude wurde geräumt und entsprechend angestützt.
Bezirk Dresden: Der Zugverkehr auf der Strecke Hainsberg – Rabenau (Kleinbahn) musste eingestellt werden, da die Brücke über die Rote Weißeritz von Wassermassen weggerissen wurde. (Kreis Freital) In Hainsberg, Kreis Freital, mussten in der Ernst-Thälmann-Straße einige Häuser wegen Einsturzgefahr geräumt werden.
Bezirk Gera: Im Bereich der Kreisstadt Greiz besteht Hochwassergefahr. Ein im Bau befindlicher Staudamm ist bereits gebrochen und verschiedene Straßen mussten gesperrt werden (Meldung vom 9.7.1954).
Meldung vom 10.7.1954: Das Hochwasser hält in den Kreisen Eisenberg und Greiz an und hat sich gegenüber dem Vortag noch erhöht. Es wird mit einem Ansteigen des Wasserstandes gerechnet. Weiter musste das Stahlwerk Silbitz und das Chemiewerk Greiz-Dölau stillgelegt werden.
Bezirk Halle: Meldung vom 10.7.1954: Nach dem heutigen Stand liegen für die Saale und Unstrut Hochwassermeldungen nicht vor. Die Weiße Elster steigt weiter an. Als Gefahrenpunkt bei höher ansteigendem Wasserstand der Saale wird der Ortsteil Planena74 Gefahrenzone.