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Zur Beurteilung der Situation

13. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2206 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Fragen wird im Allgemeinen wenig diskutiert. Im Vordergrund der politischen Diskussionen steht die Genfer Konferenz,1 jedoch hat sich der Umfang der Diskussionen gegenüber dem Vortage etwas verringert. Die Abreise Dulles’2 von der Genfer Konferenz wird als Erfolg und Stärke des Weltfriedenslagers und als Schwäche der Imperialisten angesehen.3 Die uns bekannt gewordenen Stimmen stammen meist von Arbeitern und sind überwiegend positiv. Ein Arbeiter aus der Baumwollspinnerei Tannenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (parteilos): »Durch die Uneinigkeit und die bestehenden Widersprüche innerhalb des westlichen Lagers hat Dulles in Genf den Kürzeren gezogen. Ich glaube, dass ist der erste sich deutlich zeigende Erfolg des Friedenslagers. Der Kapitalismus befindet sich auf dem Rückzug. Hoffen wir, dass man sich nochmals zusammensetzt, um das Deutschlandproblem zu lösen.«

Ein Konstrukteur aus Magdeburg: »Es ist gut, dass es in Genf so gekommen ist. Durch die Unstimmigkeit der Westmächte werden die friedlichen und friedliebenden Staaten gestärkt. Mit der Zeit werden den Menschen die Augen aufgehen darüber, wer die Störenfriede sind, nicht zuletzt haben die Wasserstoffbombenexperimente dazu beigetragen.«4

Teilweise vertritt man die Meinung, dass die Genfer Konferenz erfolglos sein wird. Ein Arbeiter aus dem Werk »Deutschland« in Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Was nützt uns Konferenz auf Konferenz, wenn ein Erfolg für uns kaum spürbar ist. Nach uns geht es am Ende doch sowieso nicht, die kapitalistischen Länder machen doch was sie wollen.«

Ein Angehöriger der Intelligenz der Porzellan-Manufaktur Meißen, [Bezirk] Dresden: »Die Genfer Konferenz zeigt den Erfolg der Friedenskräfte, indem Dulles die Konferenz verlassen hat. Aber trotzdem wird keine Einigung erfolgen, die Konferenz wird wie die in Berlin ausgehen, ohne einen Beschluss zu fassen.«5

Missstimmung wird aus verschiedenen Betrieben wegen Prämienfragen und Materialmangel bekannt. Unter den Bauarbeitern der Baustellen Wöbbelin und Hagenow der Bau-Union Schwerin besteht eine große Missstimmung. Die Ursache liegt darin, dass am 1. Mai [1954] Kollegen, die von den Bauarbeitern vorgeschlagen wurden, keine Prämien erhielten. Dagegen wurde der BGL-Vorsitzende in Schwerin als Aktivist ausgezeichnet, obwohl er keine Verdienste aufzuweisen habe. Einige Arbeiter sagten dazu: »Da sieht man, wie es gemacht wird. Für uns hat man kein Verständnis. Es wird überall geschoben.« Diese Missstimmung hat eine schlechte Arbeitsmoral zur Folge. So sollten vor einigen Tagen in Hagenow 70 000 Steine ausgeladen werden. Sonst wurde dies an einem Tage erledigt, jetzt wurden nur 35 000 Stück entladen, obwohl noch einige Zusatzkräfte vorhanden waren.

Im Kali-Werk »Marx Engels« in Unterbreizbach, [Bezirk] Suhl, sind die Kollegen darüber verärgert, dass sie im April sechs Mal ihre Leistungsgrenze überboten, jedoch die zugesagte Prämie nicht erhielten. Deshalb wollen sie ihr Soll nicht mehr überbieten.

Im Stahlwerk Riesa, [Bezirk] Dresden, sind die Intelligenzler über die Quartalsprämie für das I. Quartal 1954 unzufrieden, da sie zu niedrig sei. Ein Intelligenzler forderte die anderen auf, mit ihm nach Berlin zu fahren und dort eine Erhöhung der Prämien zu fordern.

Im Braunkohlenwerk Domsdorf, [Bezirk] Cottbus, sollen 60 Kollegen entlassen werden, da es an Material mangelt. Darüber besteht unter der Belegschaft Missstimmung.

Produktionsschwierigkeiten: In der Brikettfabrik Theißen, [Bezirk] Halle, bestehen Schwierigkeiten in der Briketterzeugung. Die Kohle ist minderwertig und sandhaltig, wodurch des Öfteren die Pressen ausfallen.

Im VEB Metallwarenfabrik Zeitz, [Bezirk] Halle, bestehen Materialschwierigkeiten, wodurch die Produktion von Massenbedarfsgütern zurückgegangen ist. Im VEB Berliner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn mangelt es an Norm- und DIN-Teilen für die Produktion im II. Quartal. Das Ministerium für Maschinenbau, HA-Materialversorgung wurde hiervon unterrichtet, kann jedoch nicht helfen (der Betrieb hat zu 92 Prozent Exportaufträge).

Im VEB Transformatorenwerk Oberschöneweide bestehen Schwierigkeiten durch verspätete Anlieferung und schlechte Qualität der Gussteile. Dadurch können die Liefertermine nicht eingehalten werden.

Der VEB Kabelwerk Köpenick konnte den Plan im Monat April nur mit 84 Prozent erfüllen, da die Rohstofflieferung (besonders Kabelisolierpapier und Bandeisen) stockt. In der Abteilung 103 des gleichen Betriebes musste aufgrund dessen die Produktion für einige Tage eingestellt werden.

Missstände: Im VEB SM Karow6 sollen größere Mengen Material (besonders Gussstücke) verschrottet werden, die seit 1948 aufgekauft wurden, jedoch aufgrund der verbesserten Produktion nicht mehr verwendet werden können. Dieses Material hat einen Wert von ca. 80 000 DM. In der Abteilung Mechanische Werkstatt des gleichen Betriebes entstand im I. Quartal ein Ausschuss von DM 27 000, da die Messgeräte gewaltsam verstellt wurden und die Dreher fahrlässig und verantwortungslos arbeiteten. (Die Überprüfungen sind noch im Gange.)

Produktionsstörung: Am 10.5.1954 gegen 4.40 Uhr brach im Braunkohlenwerk »John Schehr«, [Bezirk] Cottbus, Brikettfabrik 1b ein Brand aus. Die Ursache des Brandes war Selbstentzündung von Trockengut. Der bisherige Produktionsausfall beträgt etwa 500 t Briketts. Die technische Bergbauinspektion hat aufgrund der Vorkommnisse das Anhalten der Fabrik 1 voraussichtlich für zwei bis drei Tage angeordnet, da wegen Explosionsgefahr ein normales Arbeiten nicht möglich ist.

Handel und Versorgung

Der Betriebsküche der VEB »LOWA« Dessau,7 [Bezirk] Halle, wird vom Konsum kein HO-Fleisch mehr geliefert (angeblich eine Anweisung von Berlin). Dadurch ist es nicht mehr möglich, Wahlessen herzustellen, was bei der Belegschaft große Empörung auslöst. Die Kürzung des HO-Fleischwarenkontingentes führt auch im Bezirk Magdeburg verschiedentlich zu Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung. Zum Beispiel liegt der monatliche Bedarf der Stadt Magdeburg bei 100 t und 36 t werden aber nur zur Verfügung gestellt.

Durch die ungenügende Bereitstellung von HO-Fleischwaren kommt es im Kreis Niesky, [Bezirk] Dresden, verschiedentlich zu Diskussionen, wie z. B.: »Man muss sich eindecken, da man nicht weiß, was noch kommt.« (Seit Anfang der Woche kaufen größere Teile der Bevölkerung Butter und Margarine kiloweise.)

Im Kreis Langensalza, [Bezirk] Erfurt, lagern im Konsum Schokoladenerzeugnisse im Wert von 133 000 DM sowie 10 Tonnen Speck. (Es besteht die Gefahr des Verderbens.)

Landwirtschaft

Zu politischen aktuellen Problemen wird wenig Stellung genommen. Nur ganz vereinzelt spricht man noch über die Genfer Konferenz. Eine LPG-Bäuerin aus Rabis, [Bezirk] Gera: »Durch das Auftreten der Friedenskräfte in Genf und die Abreise Dulles’ hat sich jetzt die ganze Weltlage verändert. Bezüglich der Atombombe müssen wir alle Anstrengungen machen, dass diese Waffe verboten wird.«

Vorwiegend besteht das Interesse für wirtschaftliche Belange. Vielfach wird über bestehende Mängel gesprochen, wie z. B. über die ungenügende Düngemittelzuteilung oder die unzureichende Futtergrundlage. Dabei kommt es verschiedentlich zu negativen Diskussionen. Ein Bauer aus Lübben, [Bezirk] Cottbus: »Seit Tagen habe ich kein Futter mehr für das Vieh. Ich weiß nicht, was ich ihnen geben soll. Das haben wir alles der Planwirtschaft zu verdanken, die vom Russen eingeführt wurde. Unter diesen Verhältnissen werden wir nie existieren können.« Eine Bäuerin aus Glienig, [Bezirk] Cottbus: »Ich habe schon seit Tagen für zwei Zugpferde und für mein Rindvieh weder Heu noch Stroh. Ich weiß nicht wie das werden soll.«

Über die Düngemittelzuteilung sagte ein LPG-Mitglied aus dem Kreis Rostock: »Ich verstehe nicht, warum unsere Regierung so viel spricht und doch nichts einhält. Man spricht, wir sollen unsere Ernteerträge erhöhen, aber man bekommt ja nicht einmal genügend Dünger dazu.«

Zu einem anderen wirtschaftlichen Problem äußerte ein Bauer aus Großbockedra, [Bezirk] Gera: »Uns Bauern geht es bald wieder so wie vor dem 17. Juni [1953]. Es wird dauernd geschrieben, dass wir freie Anbauwahl haben und in Wirklichkeit zwingen sie uns, das anzubauen, was wir nicht wollen. Wir müssen dieses Jahr z. B. Sonnenrosen anbauen, haben bisher aber vom Kreisrat noch keinen Samen erhalten.«

Von den MTS

In der MTS Leezen, [Bezirk] Schwerin, können mehrere Traktoren nicht eingesetzt werden, weil 20 Decken für die Hinterräder fehlen.

Über die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Ersatzteilen äußerte der Leiter der MTS Gademow, [Bezirk] Rostock: »Ende des Jahres 1954 müssen unbedingt Ersatzteile für das Jahr 1955 bereitliegen, damit wir nicht wieder beim Winterreparaturprogramm Schwierigkeiten haben.«

Die Vertragsabschlüsse der MTS Tanna, [Bezirk] Gera, liegen erst bei 70 Prozent. Die Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass viele Kleinbauern ihre Felder von Großbauern mit bearbeiten lassen.

Die Hühnerpest

Bei einem Einzelbauern in Streumen, [Bezirk] Dresden, brach nach vorangegangener Impfung des Hühnerbestandes die Pest aus (Serum aus Hamburg). Bestand: 92 Hühner, verendet zwölf Stück.

Seit dem 5.5.1954 wurden vom Aschersleber See,8 [Bezirk] Halle, einige Zentner tote Fische abgefischt. Die Untersuchungen vom Professor Schäperclaus-Institut9 ergaben, dass die Fische durch Bauchhöhlenwassersucht10 verendeten. Im vergangenen Jahr wurden 27 Zentner Fische im Werte von 4 350 DM im See eingesetzt, die schon damals vom Fischmeister beanstandet wurden, da sie mit rötlichen Flecken behaftet waren.

Übrige Bevölkerung

Die übrige Bevölkerung ist an den politischen Tagesfragen nach wie vor nur wenig interessiert. Im Mittelpunkt dieser wenigen Diskussionen steht die Genfer Konferenz, zu der die Mehrzahl der Bevölkerung positiv Stellung nimmt. Hierzu ein Beispiel: Ein Einwohner aus Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Es ist eine Freude zu hören, dass die imperialistischen Mächte eine Abfuhr erlitten haben. Warum war denn die Stärke, von der Herr Dulles immer sprach, auf einmal weg, die Stärke des Friedens aber hat gezeigt, wenn wir zusammenhalten, kann der Frieden nicht gefährdet sein.«

Ein Teil der Bevölkerung erwartet keine Ergebnisse von der Konferenz und äußert sich dazu pessimistisch. So erklärte z. B. ein Rentner aus Frankfurt/Oder Folgendes: »Wenn man mit offenen Augen die Konferenz betrachtet, sieht man, dass sich nicht einmal ein paar Menschen einig werden. Was soll man dann von der ganzen Welt verlangen. Genauso ist es mit den Atombomben. Auch hier wird man sich nicht einig, bevor nicht Millionen von Menschen getötet sind.«

Ein geringer Teil nimmt eine feindliche Stellung ein, wie nachstehendes Beispiel zeigt: Ein Angestellter des Rates des Kreises Gadebusch, [Bezirk] Schwerin, machte folgende Äußerung: »Die Großmacht China wird in 25 Jahren für Europa gefährlich, da sie immer mehr wächst.«

Über den Nationalkongress11 wird verhältnismäßig wenig gesprochen und nur vereinzelt teils positiv, teils negativ dazu Stellung genommen, wie folgendes Beispiel zeigt. Ein Pfarrer aus Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, brachte zum Ausdruck: »Ich freue mich, dass sich wieder einmal Deutsche in der heutigen Lage zur Verständigung treffen. Es hat sich inzwischen Vieles ereignet, was die Verständigung notwendiger macht. Ich denke nur an die zunehmende Militarisierung in Westdeutschland.« Da dieser Pfarrer zum Nationalkongress eingeladen wurde, gab es Bestrebungen, ihn daran zu hindern, was in den nachstehenden Worten zum Ausdruck kommt. Ein Mitglied des Kirchrates aus Freienwalde sagte: »Er soll sich nicht einbilden, dass die nur auf ihn warten. Die wollen den nur vollständig gewinnen. Unser Superintendent wird ihn über diese Tage mit genügend Arbeit überlasten, damit er nicht fahren kann.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:12 Magdeburg 5 000, Potsdam 1 050, Halle 140.

NTS:13 Magdeburg einige Exemplare, Dresden einige Exemplare, Leipzig größere Mengen, Potsdam 20 670, Halle 80, Karl-Marx-Stadt 420.

CDU-Ostbüro: Halle 100, Dresden einige Exemplare, Potsdam einige Exemplare.

LDP:14 Karl-Marx-Stadt 25 Stück.

KgU:15 Dresden einige Exemplare.

In tschechischer Sprache: Dresden einige Exemplare, Halle 100.

»Sozialdemokrat«:16 Potsdam 830, Karl-Marx-Stadt 60 Stück.

»Aktionseinheit der FDJ«: Potsdam einige Exemplare.

Verschiedene Flugblätter: Karl-Marx-Stadt 800 Exemplare.

Inhalt: Hetze gegen Aktionseinheit,17 Hetze gegen das II. Deutschlandtreffen,18 Hetze gegen IV. Parteitag.19

Brände: Im Bezirk Potsdam vier kleinere Brände. Im Kreis Kyritz, Potsdam, Oranienburg und einen Großwaldbrand in Markendorf, Kreis Jüterbog. Beim Großbrand wurden 80 ha Wald erfasst und die Munitionsgebiete der Freunde in Gefahr gebracht. Brandursache: In einem Fall vermutlich durch Ballons mit Zündschnur.

Feindliche Handlungen und Schmierereien: Auf dem Schiffsneubau Math[ias] Thesen-Werft, [Bezirk] Rost[ock], wurden eine Tischplatte und eine Kiste mit Hakenkreuzen20 beschmiert und zerbrochen.

Am 11.5.1954 beschädigte in Schwerin ein Traktorist seinen Traktor. Darauf befestigte er einen Zettel mit der Aufschrift: »Liebe Traktoristen, kommt nach Westdeutschland, da lebt man einen besseren Tag!«

Ein Leiter der Fleischproduktionsstätte in Kamenz, [Bezirk] Dresden, ließ 100 kg Bockwürste, die als verdorben von einer HO-Verkaufsstelle zurückgeschickt wurden, in die Kanalisation der Stadt Kamenz schütten.

»Die Neue Zeitung« vom 2. Mai 195421 beginnt mit der Propagandistischen Vorbereitung für eine neue Provokation in der DDR. Sie schreibt, ausgehend von der feindlichen Lüge, dass 1953 die Normenerhöhungen eine wesentliche Ursache des 17. Juni gewesen sein sollen. »In diesem Jahr tat sie (die SED) genau das Gleiche (administrative Normenerhöhung), nur glaubt sie, es diesmal geschickter arrangiert zu haben. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich der Arbeiter der Zone durch die Hintertür betrügen lässt.«

Die »NZ« versucht glaubhaft zu machen, dass aufgrund der beschlossenen Mehrproduktion von Gebrauchsgütern im Wert von einer Milliarde DM eine »generelle Normenerhöhung von 8 bis 15 Prozent« durchgeführt werden soll. Dazu wird geschrieben: »Bis zum 15. Juni muss jeder ostzonale Betrieb die Normerhöhung … in Angriff genommen haben. Zwei Tage vor dem Jahrestag des 17. Juni [1953] befindet sich die SED an dem gleichen Punkt, der sie ein Jahr zuvor fast die Existenz gekostet hat!«

In einem weiteren Artikel der »NZ« vergleicht man den jetzigen Stand der Produktion und die Versorgungslage in der DDR mit der Lage im I. Quartal 1953 und behauptet, dies »zeigt die prekäre Situation, die der Erfüllung der Versprechungen widerstrebt.« Damit will die »NZ« sagen, dass die materiellen Verhältnisse in der DDR denen vom Frühjahr 1953 ähnlich sind, demzufolge ist nach der feindlichen Theorie vom »Volksaufstand« wieder ein »17. Juni [1953]« zu erwarten.

Einschätzung der Situation

Über die Genfer Konferenz wird jetzt verschiedentlich weniger gesprochen. Auch zu den anderen aktuellen politischen Problemen sind keine größeren Diskussionen festzustellen.

Das große Interesse an der Friedensfahrt hält weiter an.22

Auf dem Lande stehen wirtschaftliche Sorgen im Vordergrund (Futter, Dünger usw.), sonst hat sich die Lage nicht wesentlich verändert.

Anlage 1 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2206

Landwirtschaft

Von einer VdgB-Versammlung in Berlin-Buchholz

Am 5.5.1954 wurde vom VdgB eine Versammlung einberufen (200 Anwesende), in der über die Ursache des Arbeitskräftemangels auf dem Lande gesprochen wurde. Während des Referates kam es zu Zwischenrufen und bei der anschließenden Diskussion mussten die Anwesenden erst mehrmals aufgefordert werden, bis sich der erste Diskussionsredner fand. Er beschimpfte u. a. den Magistrat und brachte zum Ausdruck, dass dieser nichts tut, um diese Zustände zu beseitigen. Ein Anderer führte unter großem Gejohle und Getrampel aus, dass die VP Ernteeinsätze durchführen sollte, dann wäre dieser Mangel auch behoben.

Als ein Funktionär in seinem im Diskussionsbeitrag auf die Genfer Konferenz einging, kam es zu einem Tumult und zu Äußerungen, wie z. B.: »Aufhören mit der Politik, wir wollen davon nichts hören.« Dadurch musste die Versammlung um 22.00 Uhr abgebrochen werden.

Aus dem Bezirk Potsdam wird berichtet, dass oftmals die Parteiarbeit in den Gemeinden sehr mangelhaft ist. Zum Beispiel nimmt in der Gemeinde Laaske der Parteisekretär selten an einer Gemeindevertretersitzung teil. Unter anderem trifft er auch zu politischen Anlässen schlechte Vorbereitungen. Zum Beispiel wurde in der Gemeinde zum 1. Mai [1954] gar nichts vorbereitet und zum 8. Mai [1954] setzt er seine Blocksitzung an,23 zu der er aber nicht erschien.

Über die Entlohnung der Industriebarbeiter auf dem Lande

Da jeder Arbeiter seinen durchschnittlichen Leistungslohn seines letzten Betriebes erhält, kommt es vor, dass eine LPG sechs bis sieben verschiedene Löhne für ein und dieselbe Arbeit zahlen muss. (Das stößt auf Unverständnis der Landarbeiter.)

Bei der Reichsbahn Dessau, [Bezirk] Halle, wurden 100 Entlassungen vorgenommen, weil die Kollegen in der Landwirtschaft arbeiten sollen. Diese weigern sich jedoch, da der Verdienst dort wesentlich geringer ist. Sie suchen jetzt in anderen Betrieben Arbeit.

Anlage 2 vom 12. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2206

Stimmen zur KVP-Werbung aus Berlin

Bei den in letzter Zeit durchgeführten Werbungen für die KVP in Berliner Betrieben traten des Öfteren negative bzw. feindliche Diskussionen auf, in denen verschiedenartige Argumente gegen den Eintritt in die KVP gebracht wurden.24 Ein Arbeiter aus dem VEB Industrie:25 »Uniform bleibt Uniform, ganz gleich, wer sie anzieht.«

Ein FDJler aus der Bauabteilung III, Eberswalder Straße: »Wenn man in Westdeutschland eine Armee aufstellt,26 brauchen wir doch keine. Wenn man uns überfällt, werden unsere Arbeiter schon merken, was los ist und werden den Generalstreik ausrufen. Das verhütet unnützes Blutvergießen. Das ist zwar nicht die Absicht von Marx, aber die der Sozialdemokraten.«

Ein Jugendlicher aus dem VEB Tiefbau: »Jetzt wird Sommer, da gibt es wieder mehr zu verdienen. Wir können doch jetzt nicht zu euch kommen.« Ein Arbeiter vom VEB Druckhaus: »Als qualifizierter Facharbeiter verdiene ich bei euch zu wenig Geld.«

Ein Jugendlicher von der Bewag: »Jetzt kommt sowieso bald die Wehrpflicht, dann geht es schneller, dann sparen wir doch Geld und Zeit.« Einige Jugendliche vom TRO-Oberschöneweide27 vertraten die Meinung, dass sowieso ein Wehrgesetz in der DDR eingeführt werden würde und sie dann sowieso zur VP müssten. Solange wollen sie noch im Betrieb arbeiten.

Anlage 3 vom 13. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2206

Zur bevorstehenden Volkskammerwahl 1954

Über die vom IV. Parteitag vorgeschlagenen Volkskammerneuwahlen im Jahre 1954 wurde von der Bevölkerung bisher nur ganz vereinzelt diskutiert.28 Teilweise zeigt sich, dass dieser Vorschlag nicht bekannt ist. Die vorliegenden Stimmen, die aus verschiedenen Bevölkerungsschichten stammen, haben verschiedenartigen Inhalt. Ein werktätiger Einzelbauer aus Oberranschütz, [Bezirk] Leipzig: »Ich bin mit der Politik der SED einverstanden und werde auch ihr meine Stimme geben. Gerade wir Bauern erhalten ja große Hilfe von unserem Staat.« Ein Dreher aus dem VEB Pelz Erfurt:29 »Ich bin der Meinung, dass es nicht nötig ist, eine neue Volkskammer zu wählen, da ja die bisherige immer die Interessen der Werktätigen vertreten hat.«

Ein Rentner und ein Arbeiter aus Wurzen wussten nicht, dass Wahlen durchgeführt werden sollten. Nach einer Diskussion mit ihnen erklärten sie sich mit der Wahl vollkommen einverstanden.

Ein Revisor der Deutschen Investitionsbank Karl-Marx-Stadt: »Unter uns Angestellten sind wir der Meinung, dass alle Wähler die Kabinen benutzen sollten. Es würde sonst der Eindruck entstehen, dass sie zum Schein da sind, und das gäbe dem Gegner Möglichkeiten, gegen uns zu hetzen.«

Eine Arbeiterin aus dem VEB Optima Erfurt30 stellte die Frage, warum die Wahlen nicht mehr mit Stimmenabgabe für die einzelnen Parteien durchgeführt werden.31 Nach ihrer Meinung wäre dies besser. Der Vorsitzende der DBD in Grünstädtel, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es wäre besser, wenn jede Partei wieder ihre Kandidaten aufstellen würde. Diese Form der Wahl ist demokratischer.«

Anlage 4 vom 12. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2206

VII. Internationale Radfernfahrt für den Frieden

Leipzig: Die Verabschiedung der Fahrer auf dem Karl-Marx-Platz in Leipzig verlief unter reger Anteilnahme der Bevölkerung. An der Strecke bis zum offiziellen Start waren unübersehbare Menschenmengen. Auch an der Fahrtstrecke im Bezirk hatten sich viele Zuschauer aufgestellt. Die Beteiligung war besser als im Vorjahr. Alle Fahrer, besonders jedoch die indischen, wurden mit stürmischem Beifall begrüßt.

Karl-Marx-Stadt: Die Zuschauerzahl überstieg die des Vorjahres um ein Mehrfaches. Die öffentlichen Gebäude, Betriebe und Wohngrundstücke waren besser ausgeschmückt. Auch hier wurden die Friedensfahrer, besonders die indischen Sportler, mit starkem Beifall begrüßt. Das »Ernst Thälmann«-Stadion in Karl-Marx-Stadt war lange Zeit vor Ankunft der Fahrer überfüllt. Die Radsportler wurden bei ihrem Eintreffen stürmisch begrüßt. Besonderen Jubel löste die Einfahrt des letzten indischen Sportfreundes aus. Er wurde von den Zuschauern auf die Schultern gehoben und in die Kabine getragen.

Besondere Vorkommnisse: In Altenburg, [Bezirk] Leipzig, wurden am 11.5.[1954] aus einem Pkw in voller Fahrt Glasscherben auf die Strecke gestreut. Die Kennzeichen des Pkw wurden nicht festgestellt. Auf der Strecke Lößnitz – Gablenzer Berg, [Kreis] Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, waren ca. 400 Stück Schusternägel in einem Abstand von 6 m verstreut worden. In Leukersdorf, [Kreis] Stollberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, waren auf der Strecke eine Handvoll verrosteter Nägel verstreut worden. In allen drei Fällen wurde vor Durchfahrt der Fahrer die Straße gesäubert.

Stimmen zur Friedensfahrt

Allgemein wird fast ausschließlich über die Fahrt als sportliches Ereignis diskutiert, nur ganz vereinzelt über ihre politische Bedeutung. Die Materialmängel, die bei den DDR-Fahrern auftraten, rufen negative Meinungen hervor.32 Ein Rentner aus Zwickau: »Ich bin ein alter Mann, aber für die Friedensfahrt interessiere ich mich sehr. Die nächste soll nicht nur durch die DDR, sondern durch das geeinte Deutschland führen.«

Einige Arbeiter aus dem Betrieb Fahlberg und List, [Bezirk] Magdeburg: »Die häufigen Pannen der deutschen Friedensfahrer sehen wie Sabotage aus, denn kein anderes Land hat so viele Reifenschäden wie unsere Fahrer.«

Ein Fleischer aus Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wo bleiben denn nun die von der demokratischen Sportbewegung so gut vorbereiteten Friedensfahrer. Man soll sich ein Beispiel nehmen an den Fahrern von Belgien, Holland usw., dort wird der Sport mehr unterstützt.«

Ein Bahnarbeiter aus Neuruxdorf,33 [Bezirk] Cottbus: »Bei dieser Friedensfahrt gewinnen unsere und die ›Russen‹ nicht. Mit unserem Plunder ist nicht viel los. Im vergangenen Jahr sind sie auch mit Westrädern gefahren.« Ein Lagerleiter aus Forst, [Bezirk] Cottbus: »Bei der Friedensfahrt hat sich die DDR mit ihrem Material mächtig blamiert. Nichts weiter als Rahmen- und Gabelbrüche.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Böhlen,34 [Bezirk] Leipzig: »Wir ärgern uns über das Pech unserer Fahrer auf polnischem Gebiet. Das ist doch nicht mit rechten Dingen zugegangen. Der alte Hass, den die Polen auf die Deutschen schon immer gehabt haben, ist aus diesem Volke niemals herauszubringen.«

Ein Spritzer aus dem VEB Waggonbau-Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Kein Wunder, dass die Polen vorne sind, denn die DDR-Fahrer werden elend betrogen. Aus Görlitz gehörte ein Sportler zu den Betreuern. Dieser ist wieder zurück und erzählte, dass die Reifenpannen der deutschen Fahrer kein Zufall sind. Allein Täve Schur35 hat bei drei Rennen Reißzwecken in den Reifen gehabt.«

Der norwegische Trainer beschwerte sich in einem Gespräch mit dem Direktor der HO-Gaststätte Stalin-Allee über die Betreuer, die seine Mannschaft in Berlin bekommen hat. Diese würden nur an sich denken und Ansprüche stellen. So habe z. B. ein Betreuer drei Päckchen Dextropur36 verlangt und erklärt, dass er es für sich braucht.

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