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Zur Beurteilung der Situation

10. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2114 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Viermächtekonferenz:1 Die Ergebnisse der Viermächtekonferenz in Berlin werden weiterhin von einem großen Teil der Werktätigen mit Spannung verfolgt.2 Es zeigt sich aber bereits, dass verschiedentlich das Interesse an der Konferenz nachlässt, da man ein besseres Ergebnis erwartete. Außer einzelnen Stimmen zeigt sich dies besonders in den VEB Pharma-Werken Neuhaus,3 [Bezirk] Suhl, wo die Kollegen nicht mehr so mit Interesse die Konferenz wie anfangs verfolgen.4 Ähnlich verhält es sich auch bei einem großen Teil der Belegschaft des Sprengstoffwerkes Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg.

Ein größerer Teil der Werktätigen begrüßt die Vorschläge des sowjetischen Außenministers im Allgemeinen, geht aber nicht auf einzelne Vorschläge desselben ein. So begrüßte ein großer Teil der Belegschaft des Soda-Werkes »Fred Oelßner« in Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, die Vorschläge des sowjetischen Außenministers und sandte eine Resolution an den Nationalrat der Nationalen Front,5 in welcher sie freie Wahlen nach dem Vorschlag des Genossen Molotow6 forderten.

Im Georgi-Dimitroff-Werk Magdeburg wurden in einer Jugendversammlung, an der 40 Jugendliche teilnahmen die sowjetischen Vorschläge begrüßt. Aus diesem Anlass ersuchten 15 Jugendliche um Aufnahme als Kandidaten der SED.7

Die Brigade »Aufbau« des Kali-Werkes »Ernst Thälmann« Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, begrüßt den eingeschlagenen Weg des Genossen Molotow8 und verpflichtete sich, monatlich 1 000 t über den Plan hinaus zu produzieren.9

Weiterhin wurden die Vorschläge des sowjetischen Außenministers von der Abteilung Ephedrin des VEB Fahlberg-List Magdeburg, von einem großen Teil der Belegschaft des VEB Knäckebrot-Werk Burg, [Bezirk] Magdeburg, von der Abteilung Einkauf des Karl-Marx-Werkes Magdeburg und von einem großen Teil der Kumpel des [Wismut-]Schachtes 1310 und 250 in Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, begrüßt.

Der Vorschlag des Genossen Molotow über Abzug der Besatzungstruppen vor Abhaltung einer Wahl wird von einem großen Teil positiv aufgenommen. Ein großer Teil der Belegschaft des Duro-Plattenwerkes Sperenberg, [Bezirk] Potsdam, gibt seine11 Zustimmung zum sowjetischen Vorschlag über den Abzug der Besatzungstruppen.

Weiterhin werden noch positive Diskussionen geführt, indem man von der Konferenz eine Entspannung der internationalen Lage erwartet,12 das Memorandum der Regierung der DDR13 begrüßt und sich für eine Volksabstimmung in ganz Deutschland ausspricht.14

Solche Stimmen, die an einem erfolgreichen Verlauf der Konferenz zweifeln, treten in den letzten Tagen etwas stärker in Erscheinung. So wird zum Ausdruck gebracht, dass die Westmächte ja doch alle Vorschläge der SU ablehnen. Besonders aber zweifelt man an einer erfolgreichen Lösung der Deutschlandfrage, da bisher nicht der gewünschte Erfolg erzielt wurde.15 Ein kleiner Teil gibt die Schuld an einem Nichtgelingen der Konferenz der SU.

Ein großer Teil der Beschäftigten des VEB »7. Oktober« Magdeburg zweifelt an einem Erfolg auf dieser Konferenz, da die Westmächte ja doch nicht von ihrem ablehnenden Standpunkt abgehen. Ähnliche Diskussionen werden bei einem großen Teil der Belegschaft der Staatswerft Rothensee,16 [Stadt] Magdeburg, im VEB Energiebetrieb Schönebeck,17 [Bezirk] Magdeburg, in dem VEB Schiefergruben Steinach, [Bezirk] Suhl, und dem VEB Porzellanfabrik Neuhaus-Schierschnitz, [Bezirk] Suhl, geführt.

Zurückhaltung und eine abwartende Stimmung tritt besonders bei der Intelligenz und den Angestellten in Erscheinung.18 Dies zeigt sich besonders bei der Intelligenz des Sprengstoffwerkes Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, wo die Intelligenz eine Zurückhaltung gegenüber Fragen zur Viermächtekonferenz einnimmt.

Forderungen über die Veröffentlichungen der Reden und Vorschläge der westlichen Außenminister werden von einem Teil der Werktätigen weiterhin gestellt.

Negative bzw. feindliche Meinungen werden von einem kleinen Teil der Werktätigen zum Ausdruck gebracht. Besonders treten dabei die Argumente in Erscheinung: Forderung nach »freien Wahlen«19 und Revidierung der Oder-Neiße-Grenze. Letztere wird besonders von ehemaligen Umsiedlern gestellt.20

So werden in dem VEB Ofenfabrik »Veltak« in Velten, [Bezirk] Potsdam, fast ausschließlich negative Diskussionen geführt, wobei man besonders sogenannte freie Wahlen, wie sie der Westen proklamiert, wünscht. In den Betrieben von Görlitz, [Bezirk] Dresden, tritt eine Anzahl von Stimmen auf, die »freie Wahlen« nach westlichem Muster fordern.21

Weiterhin werden noch negative und feindliche Äußerungen in den verschiedensten Formen geführt. So z. B. Zustimmung zum Vorschlag Edens,22 Verherrlichung der westlichen Verhältnisse, Ablehnung des Vorschlages über Abzug der Besatzungstruppen und ähnliche. Hierbei zeigt sich besonders der Einfluss der westlichen Propaganda.23 Die negativen Stimmen treten in der Privatindustrie stärker als in der volkseigenen in Erscheinung.

Produktionsschwierigkeiten bestehen noch vereinzelt in den Braunkohlewerken des Bezirkes Cottbus (durch die Kälteeinwirkungen der letzten Tage). Trotzdem verpflichteten sich die Brikettfabriken des Bezirkes, bis zu der am 25.2.1954 stattfindenden Bezirksdelegiertenkonferenz der SED den Monatsplan zu erfüllen.

Kohlemangel besteht bei der Spinnerei und Weberei Ebersbach, [Bezirk] Dresden. Hier musste man den Betrieb zur Hälfte stilllegen. 600 Arbeiter können zzt. nicht beschäftigt werden.

Unruhe besteht unter einem Teil der Kollegen der Bau-Union Stalinstadt, da man hier die Arbeitskräfte von 5 000 auf 2 000 herabsetzen will.24

Ebenfalls besteht Unzufriedenheit unter den Hochöfnern des Eisenhüttenkombinates »J. W. Stalin«, da man Hochöfner, die zu viel sind, versetzt und ihnen damit ihre Lohnklasse kündigt, ohne jedoch mit ihnen eine Aussprache darüber zu führen. Die Ursache ist, dass Hochöfner erst für acht Hochöfen benötigt wurden, jetzt aber nur noch für sechs Hochöfen.25

Handel und Versorgung

Durch die Hauptgeschäftsleitung der HO Wismut wird berichtet, dass die Belieferung mit Textilwaren, z. B. Oberhemden, Mänteln, Anzügen, sehr mangelhaft sei. Vor allem ist die Belieferung von Talonwaren26 schlecht.

Der Betriebsleiter beim VEB Kombinat Nachterstedt27 verweigerte die Auslieferung von Briketts auf dem Landwege für lebenswichtige Betriebe, obgleich von der Abteilung Brennstoffversorgung vom Rat des Kreises Quedlinburg hierzu eine Anordnung bestand. Hierdurch ist die Produktion in den Molkereien und Bäckereien gefährdet.28

Landwirtschaft

Neben einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber politischen Problemen ist zu verzeichnen, dass ein großer Teil der Landbevölkerung die Viermächtekonferenz mit Interesse verfolgt. Charakteristisch bei den einzelnen Meinungsäußerungen zu den Vorschlägen des Genossen Molotow, dass mehr allgemein als konkret dazu Stellung genommen wird. Sehnsucht und Hoffnung nach Erhaltung des Friedens und Wiederherstellung der Einheit Deutschlands drücken sich in diesen Stellungnahmen aus. Solche Meinungen werden meist von Angehörigen der MTS, VEG und LPG, Landarbeitern, Klein- und Mittelbauern abgegeben. Die fortschrittlichsten Kräfte auf dem Lande äußern sich konkret zu den Vorschlägen, wie Abzug der Besatzungstruppen vor demokratischen Wahlen und Durchführung einer Volksbefragung.29

Viele Einwohner der Gemeinde Plänitz, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam, äußern, dass sie in Frieden leben und arbeiten wollen und wünschen die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Ähnlich äußerten sich die Genossenschaftsbauern der Gemeinde Rum Kogel, [Kreis] Güstrow, [Bezirk] Schwerin, und die DBD-Mitglieder im Simmershausen, [Kreis] Hildburghausen, [Bezirk] Suhl.30

LPG-Vorsitzender aus Rudolstadt-Crumbach, [Bezirk] Gera: »Ich stehe auf dem Standpunkt, dass zur Schaffung eines einheitlichen demokratischen und friedliebenden Deutschlands, zuerst eine provisorische Regierung gebildet werden muss, die dann ohne Besatzungsmächte die Aufsicht über freie Wahlen in ganz Deutschland führt.«

In zunehmendem Maße werden aus der Landbevölkerung Stimmen bekannt, die an einer Einigung über die Deutschlandfrage auf der Konferenz zweifeln. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass man sich mehr erwartet hat oder dass nach dem bisherigen Verlauf auf kein Ergebnis mehr zu hoffen ist oder dass die Konferenz infolge der sogenannten unüberbrückbaren Gegensätze wie die bisherigen Außenministerkonferenzen verlaufen werde. In der Gemeinde Schwickershausen, [Kreis] Meiningen, [Bezirk] Suhl, wird allgemein die Meinung vertreten, dass die Konferenz keinen Erfolg bringt.

Ein LPG-Bauer aus Tangnitz,31 [Kreis] Putbus, [Bezirk] Rostock: »Diese Konferenz platzt genauso wie alle anderen. Die Außenminister werden ohne Ergebnis auseinandergehen, weil keiner nachgeben will.«

Eine Reihe von Großbauern32 und von ihnen beeinflusste Kreise sprechen davon, dass die Konferenz scheitern wird, weil die SU keine Einigung wolle und dass es nach der Konferenz zu einem Krieg kommen würde.

Zwei Großbauern aus Gadebusch, [Bezirk] Schwerin: »Nach dem Scheitern der Konferenz wird eines Tages der Amerikaner einrücken.«

BHG-Leiter von Plessa, [Kreis Bad] Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus: »Aus der Außenministerkonferenz wird sich wohl ein Krieg entspinnen.« Hierbei ist deutlich der Westeinfluss zu spüren, dies wird erhärtet durch die Tatsache, dass Bauern, die aus der DDR die »Grüne Woche« in Westberlin besuchten,33 dort äußerten: »Wenn die Viererkonferenz schlecht für uns ausfällt, können wir in diesem Jahr noch ein blaues Wunder erleben.«34

Ein größerer Teil der Großbauern hofft im Stillen auf eine Veränderung der Verhältnisse in der DDR,35 aber nur ein geringerer Teil der Großbauern sowie von ihnen beeinflusste Kreise bringen das offen zum Ausdruck, indem sie »freie Wahlen« und eine »freie Wirtschaft« fordern.

In der Gemeinde Flieth Ortsteil Voßberg, [Kreis] Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, betrachtet ein großer Teil der Einwohner die Vorschläge des sowjetischen Außenministers als nebensächlich und ist für die Durchführung »freier Wahlen« nach Edens Vorschlag sowie Beseitigung der Oder-Neiße-Grenze und Abschaffung des Ablieferungssolls.36

Ein Großbauer aus Rätzlingen, [Kreis] Haldensleben, [Bezirk] Magdeburg: »Man müsste sich den Vorschlägen des amerikanischen Außenministers anschließen und die ›freien Wahlen‹ durchführen, denn dann werden bestimmt keine SED-Funktionäre Bürgermeister.«

Fünf Mittel- und Großbauern aus der Gemeinde Mesendorf, [Kreis] Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, äußerten sich, dass sie mit der Ablieferung noch warten wollen, denn vielleicht brauchen sie nach der Konferenz nichts mehr abliefern.

Unter Teilen ehemaliger Umsiedler wird immer noch stark über die Oder-Neiße-Grenze diskutiert.37 So z. B. in vielen Gemeinden des Bezirkes Frankfurt/Oder, im Kreis Anklam, [Bezirk] Neubrandenburg, in den Gemeinden Drauschkowitz38 und Wetro, [Kreis] Bautzen, [Bezirk] Dresden. In der VdgB in Kotitz, Maltitz und Weissenberg, [Bezirk] Dresden, wurde über die Einschränkung des Pferdebestandes diskutiert. Mehrere Anwesende (ehemalige Umsiedler) lehnten dies ab mit der Begründung: »Die Pferde brauchen wir zur Rückkehr in unsere Heimat.«

Oft wird auch die Forderung gestellt, dass unsere demokratische Presse die Reden der westlichen Außenminister veröffentlichen soll. Ein werktätiger Bauer aus Zeesen, [Bezirk] Potsdam: »Es ist kein Wunder, wenn so viele Leute den RIAS hören, der demokratische Rundfunk bringt nur kurz den Kommentar über die Außenministerkonferenz, der RIAS dagegen fängt schon 18.30 Uhr an und bringt laufend bis 23.00 Uhr Berichte. Die »Märkische Volksstimme« bringt erst zwei Tage später,39 aber nichts über die westlichen Außenminister. Wenn ich mich darauf verlassen will, bin ich immer rückständig.«

Unter der sorbischen Landbevölkerung im Gebiet der Ober- und Niederlausitz herrschen negative Stimmungen. Zwei Großbauern aus Ralbitz, [Bezirk] Dresden, argumentieren: »Schreibt ja nicht in Euern Fragebogen, dass ihr Sorben seid. Mit denen wird später abgerechnet.« Ein Mitglied des Kreisvorstandes der Domowina40 aus Oberprauske, [Kreis] Niesky, [Bezirk] Dresden, erzählte: »Die Deutschen müssen bald die Koffer packen.«

Produktionsverpflichtungen: Aus Anlass des Jahres der großen Initiative41 übernahmen zahlreiche Bauern und Bäuerinnen aus den Kreisen Güstrow und Bützow, [Bezirk] Schwerin, Ablieferungsverpflichtungen.42 So verpflichtete sich die Gemeinde Neuhof, [Kreis] Güstrow, sechs Schweine, 3 400 Eier und 300 l Milch dem freien Aufkauf zur Verfügung zu stellen. Ein werktätiger Bauer aus dem Kreis Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg, verpflichtete sich, sein Quartalssoll in Schweinefleisch bis zum 15.2.1954 zu liefern.

Ersatzteilmangel besteht in allen MTS des Kreises Bützow, [Bezirk] Schwerin. Die Frühjahrsbestellung wird hierdurch gefährdet.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Von dem größten Teil der Bevölkerung wird der Verlauf der Konferenz mit Interesse verfolgt und erwartet, dass eine Entspannung der internationalen Lage herbeigeführt wird. Besonders von Frauen wird zum Ausdruck gebracht, dass ein neuer Krieg verhindert werden muss.43 Neben den häufig allgemeinen Äußerungen, die sich für die Erhaltung des Friedens aussprechen oder ihr Einverständnis zu den Vorschlägen Molotows bekunden, ohne auf konkrete Punkte einzugehen, treten auch Stimmen auf, die klar zum Ausdruck bringen, dass die Westmächte die Einheit Deutschlands und den Abschluss eines Friedensvertrages verhindern, um den EVG-Vertrag44 zu verwirklichen. Sie unterstützen die Vorschläge Molotows und treten für eine Volksbefragung und für demokratische Wahlen ein, sprechen sich jedoch gegen die Einbeziehung Deutschlands in den EVG-Vertrag aus.

Ein Einwohner aus Hermsdorf, [Bezirk] Gera: »Ich bin für den Abschluss eines Friedensvertrags und die Wiedervereinigung Deutschlands, ich bin aber auch der Meinung, dass die Westmächte die Konferenz und die Vorschläge Molotows in jeder Hinsicht mit dem einen Ziel sabotieren, um ihre Kriegspakte zu verwirklichen.«

Ein nicht geringer Teil der Bevölkerung zweifelt an einem erfolgreichen Abschluss der Konferenz. Dieser zweifelnde Teil ist im Verlauf der Konferenz angewachsen45 und es werden die verschiedensten Gründe für die Zweifel angeführt. Oft wird für den erfolglosen Verlauf der Konferenz die ablehnende Haltung der Westmächte angeführt, nicht viel geringer sind die Meinungsäußerungen, Molotow stelle Forderungen auf, die die Westmächte nicht eingehen können, in nicht so starkem Maße treten Meinungen auf, die zum Ausdruck bringen, dass beide Lager nicht an der Lösung der Deutschlandfrage interessiert sind, die politischen Gegensätze seien zu groß und es bestehe keine Hoffnung auf eine Einigung. Besonders kleinbürgerliche Kreise verhalten sich abwartend in ihren Meinungsäußerungen zur Konferenz.46

Ein Angestellter der »Ostsee-Zeitung« Rostock: »Ich bin der Meinung, dass aus der ganzen Sache nichts herauskommt, da die Gegensätze zu groß sind.«

Ein Schlossermeister aus Karl-Marx-Stadt: »Molotow müsste Zugeständnisse machen, sonst geht alles ergebnislos auseinander.«

Eine Hausfrau aus Königs Wusterhausen: »Auf der Konferenz kommt es zu keiner Einigung, da die Westmächte zu jedem Vorschlag der UdSSR ›nein‹ sagen.«

Ein Lehrer aus Edderitz, [Bezirk] Halle: »Man muss abwarten, was sich durchsetzen wird, die Meinung des Westens oder die Meinung des Ostens.«

Die negativen Meinungsäußerungen lassen den starken Einfluss der westlichen Hetzsender erkennen. Die Propagierung »freier Wahlen« tritt immer wieder auf und wird besonders von kleinbürgerlichen Kreisen geführt. Die Frau eines ehemaligen Beamten aus Babelsberg: »In dem Moment, wo wir ›freie Wahlen‹ haben, werden Ulbricht,47 Nuschke48 und Konsorten nicht mehr da sein.«

Ein Schlossermeister aus Landsberg, [Bezirk] Leipzig:49 »Die Durchführung ›freier Wahlen‹ begrüße ich. Sie sind für uns gut, aber für die SED gefährlich, die sackt dann gewaltig ab.«

Eine Hausfrau aus Glauchau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man muss zunächst erst einmal ›freie Wahlen‹ durchführen, das ist wichtig, dann wird man ja sehen, wer an die Regierung kommt.«

Unter ehemaligen Umsiedlern werden die Diskussionen um die Ostgebiete weitergeführt und auf eine Rückkehr gehofft. Ein ehemaliger Umsiedler aus Zepernick, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Es wird noch ganz anders kommen und dann muss die jetzige Ostgrenze revidiert werden.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften: Geringe Hetzschriftenfunde50 verschiedener Art SPD,51 KgU,52 »Freiheitsrat«,53 »Gewerkschaftliches Aktionskomitee«54 sowie 70 Klebezettel »Warum ist Molotow gegen freie Wahlen« und »Wir fordern freie Wahlen« werden aus dem Bezirk Potsdam berichtet. 330 Hetzschriften wurden durch Ballons in den Bezirk Karl-Marx-Stadt eingeschleust (Stimmzettel SPD).55

Im Kreis Jessen, [Bezirk] Cottbus, wurden 106 Hetzzeitungen »Der Sozialdemokrat«56 sichergestellt.57

Ein Paket mit Hetzschriften wurde im Zug Berlin – Cottbus gefunden. Im Bezirk Dresden erhielten drei und im Bezirk Potsdam zwei Personen Hetzschriften durch die Post zugestellt.

Am 8.2.1954 wurden in Neustadt-Glewe, [Bezirk] Schwerin, zwei handgeschriebene Flugzettel gefunden. Inhalt: »Russen hinaus, wir wollen allein wohnen im deutschen Haus.« Und »Hinaus mit den sowjetischen Soldaten, den Feinden Deutschlands.«

Am 6.2.1954 wurde auf dem Bahnhof Potsdam in einem S-Bahnzug ein in Zeitungspapier eingewickelter Hühnerkopf aufgefunden, an welchem ein Zettel mit folgender Aufschrift befestigt war: »Wir Deutschen fordern freie Wahlen, sonst enden Molotow, Pieck,58 Grotewohl59 und Ulbricht auf diese Art.«

Der Vorsitzende der LPG Öttelin, [Bezirk] Schwerin, riss in einer Gaststätte Plakate vom Genossen Molotow ab und sang ein Nazilied.

Am 8.2.1954 wurde in Kiekebusch, [Bezirk] Potsdam, ein Transparent, welches auf die Viermächtekonferenz hinwies, abgerissen und gestohlen.

Vermutliche Brandstiftung

Am 8.2.1954 brannte in Strießen, [Bezirk] Dresden, eine Feldscheune nieder. Besitzer: Bürgermeister (SED).

In der Nacht vom 8. zum 9.2.1954 brannte eine Wohnbaracke der Bau-Union Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, im Bauvorhaben Hennigsdorf nieder.

In den Abendstunden des 9.2.1954 wird aus Nauen, [Bezirk] Potsdam, gemeldet, dass die Kulturbaracke des Stahl- und Leichtbaues in Staaken brennt.

Vermutlich versuchte Diversion

In der Nacht vom 7. zum 8.2.1954 wurde im VEB Mast- und Schlachtviehhof Rostock die Wasserleitung aufgedreht. Die Schweine standen bis zum Bauch im Wasser.

Im VEB Gummi-Werk Heidenau, [Bezirk] Dresden, wurde am 9.2.1954 eine Schraube in der Mischung gefunden.

Einschätzung der Situation

Die Hoffnungen auf ein positives Ergebnis der Konferenz werden in allen Kreisen der Bevölkerung geringer. Öfter zeigt sich jetzt Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit.

Meistens, besonders in den Betrieben, wird erkannt, dass die Westmächte alle Vorschläge für eine Einigung ablehnen. In geringem Umfang, dabei aber vorwiegend in kleinbürgerlichen Kreisen und unter der übrigen Bevölkerung sowie in großbäuerlichen Kreisen, gibt man der SU die Schuld am ergebnislosen Konferenzverlauf. Hierbei und in den feindlichen Diskussionen zeigt sich der starke Einfluss der westlichen Hetz- und Lügen-Sendungen.60

Anlage 1 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2114

Anhang: Auszüge aus westlichen Rundfunksendungen vom 8.2.1954

Hamburg:61 »Militärische Übungen der Volkspolizei und des Betriebsschutzes beginnen für 14 Tage am 18.2.[1954] im Bezirk Halle für die Schwerpunktbetriebe Buna, Leuna62 und das Hydrierwerk Lützkendorf. Ziel des Einsatzes ist die Bekämpfung von westlichen Agenten.«

RIAS: »Im volkseigenen Stahlwerk Silbitz bei Gera kam es am 3.2.[1954] in der Werkkantine zu Auseinandersetzungen zwischen SED-Funktionären und mehreren Arbeitern, die über die Außenministerkonferenz diskutierten. Als ein Arbeiter erklärte, dass die SED Furcht vor freien Wahlen haben müsste, verständigte der SED-Betriebsgruppensekretär Krause63 den Staatssicherheitsdienst. Kurz darauf wurde der Arbeiter [Name] verhaftet und in Handschellen abgeführt.«

RIAS: »Wer an den 17. Juni [1953] denkt und den fortgesetzt unter noch so furchtbaren Opfern weitergehenden Arbeiterwiderstand in den großen Werken, weiß, dass gegenüber der kräftigen auch durch den Naziterror mitverstärkten und durch den gegenwärtigen Druck lediglich wachgehaltener Dominanz der Freiheitsinstinkte der herrisch sich bewährender deutschen Sowjetzone diese Umwandlung zu gefügigen Schwächlingen versagt, und dass sie, soweit man sehen kann, trotz FDJ auch gegenüber der heranwachsenden Jugend nicht ziehen wird. Auch diese wird durch den Druck, den sie ringsumher erleben muss nur gewitzigt und überlegt, aber nicht zu kriechenden Weichlingen deformiert.«

RIAS: »Erfurt – Im volkseigenen Blechtafelscherenwerk, im volkseigenen Optima- und RFT-Werk in Erfurt wurden am 5.2.[1954] – 15 Arbeiter vom Staatssicherheitsdienst verhaftet und in das SSD-Gefängnis am Domplatz in Erfurt eingeliefert. Die Verhafteten hatten sich in Diskussionen anlässlich der Außenministerkonferenz für freie Wahlen in ganz Deutschland ausgesprochen.«

RIAS: »Können die Sowjets wirklich hoffen, der Sehnsucht der Zonenbevölkerung nach freien Wahlen mit dem Hitlergespenst zu begegnen? Können sie wirklich hoffen, den Inhalt des Eden-Planes von ihnen fernzuhalten? Glauben sie wirklich, dass die Arbeiter in den Zonenbetrieben diese Argumente der immer zahlreicher auftretenden Funktionäre des Grotewohl-Regimes mit Beifall quittieren werden? Ich glaube nicht. Denn bereits heute wissen Millionen in der Zone ganz genau, was der Eden-Plan über freie Wahlen zu sagen hat.«

RIAS: »Die Verlegung von Volkspolizeieinheiten in – nach sowjetdeutscher Auffassung – gefährdete Gebiete. So sollen z. B. Volkspolizeieinheiten nach Bitterfeld verlegt werden, um die dortige Industriearbeiterschaft einzuschüchtern.«

»So bietet die Zone heute ein Bild nicht der Entspannung, sondern ein Bild eines besetzten und noch nicht befriedeten Landes, dessen Bevölkerung Tag und Nacht kontrolliert und in Schach gehalten werden muss.«

London (deutsch):64 »Die einzige Lösung ist daher: Freie Wahlen jetzt als erster Schritt. Ich glaube, wie gesagt, dass man sich in der Ostzone völlig klar ist, das beweisen die Unruhen in der Zone, das beweisen vor allem die dauernden Vernebelungsversuche der SED-Propaganda in dieser Frage.«65

London (deutsch): »Aber es wird von der weiteren Entwicklung der Konferenz abhängen, ob die Berliner weiterhin schweigen oder ob sie nicht in großen Kundgebungen auch ihre Meinung nun zu dem sagen, was sich in Berlin abspielt, denn welches auch die Erfolge oder Misserfolge dieser Konferenz sein mögen: Die Berliner sind davon überzeugt, dass es keinen politischen Grund gibt, die Menschen einer Stadt – wenn wir schon nicht von ganz Deutschland sprechen wollen – auf die Dauer in einer derartigen Weise voreinander zu trennen, wie das in Berlin der Fall ist.«

London (deutsch): »Während sich so die Aussichten über eine Einigung über Deutschland immer mehr verschlechtern, wächst im gleichem Maße die Spannung hinter dem Eisernen Vorhang und besonders in der Ostzone. Es wurde bekannt, dass viele Hunderte von Arbeitern verhaftet und entlassen wurden, weil sie versuchten, an der drei Minuten langen Stille teilzunehmen, die von Westberlin für die Eröffnung der Viermächtekonferenz angesetzt worden war.66 Diese Tatsache und die Verhaftungswelle, die gegen solche Ostzonenbewohner im Gange ist, die sich weigern, den sogenannten Appell an die Außenminister zu unterzeichnen,67 den russischen Deutschlandplan anzunehmen, werden in dem konservativen »Daily Telegraf«68 ausführlich erörtert, das Blatt der Arbeiterpartei, der »Daily Herald«69 schreibt ausführlich über Sorgen und Ängste der Ostzonenbewohner, die durch das mögliche Scheitern der Berliner Besprechungen wieder so sehr in den Vordergrund gerückt sind.«

Anlage 2 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2114

Auszüge aus der Westpresse

Der »Telegraf« vom 10.2.1954 veröffentlicht nachstehenden Artikel unter der Überschrift: »Proteste gegen Molotow«.70 »Aus der Sowjetzone werden weitere Proteste gegen die unnachgiebige Haltung Molotows in der Frage freier Wahlen bekannt. Am 5. Februar [1954] formierte sich in der Kokerei Rakosi in Lauchhammer-West ein Demonstrationszug. Die beiden Träger des Transparentes mit der Aufschrift »Wir fordern vom sowjetischen Außenminister die Zustimmung zu freien und geheimen Wahlen in ganz Deutschland« wurden am nächsten Tag vom SSD verhaftet.«

In der Nacht vom 2. zum 3. Februar [1954] wurden am Hauptbahnhof in Halle aus fahrenden Autos zahlreiche Flugblätter verstreut, die die Aufschrift enthielten: »Wir wollen freie Wahlen – dann ist die SED beseitigt.«

Unter der Überschrift: »Krise in der SED« veröffentlicht der »Telegraf« vom 10.2.1954 folgenden Artikel:71 »In der SED macht sich ein neuer Bruch zwischen der Führung und den unteren Parteieinheiten bemerkbar. Ausgelöst wurde diese Krise durch die starre Haltung des sowjetischen Außenministers auf der Berliner Viermächtekonferenz.«

Zu heftigen Auseinandersetzungen kam es zwischen Mitgliedern und führenden Funktionären auf den sogenannten Kreisdelegiertenkonferenzen. Daraufhin wurden die Kreisleitungen in Altenburg und Riesa aufgelöst und in weiteren 82 SED-Kreisleitungen umfangreiche Veränderungen vorgenommen.

Unter der Überschrift: »Die Sowjetzone« schreibt die »Neue Zeitung« vom 10.2.1954:72 »Schwere Auseinandersetzungen auf Parteiversammlungen, Zusammenstöße in Betrieben und ›Arbeite-langsam‹-Aktionen alle diese und zahlreiche andere konkrete Zwischenfälle stehen unter dem Motto ›freie Wahlen‹. Die Verweigerung der freien Wahlen seitens der SED hat eine in allen Betrieben schwelende Unruhe ans Licht gebracht. Dass Politbüromitglieder in ostzonalen Großbetrieben ausgepfiffen und teilweise am Weitersprechen gehindert wurden, als sie erklärten, die Forderung nach freien Wahlen sei eine ›faschistische Losung‹.«

Anlage 3 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2114

Besuch von zwei englischen Journalisten des Reuters-Büros und des Verlages »Die Welt« im VEB Leuna-Werk »Walter Ulbricht«, [Bezirk] Halle

Am 9.2.1954 besichtigten zwei englische Journalisten den VEB Leuna-Werk »Walter Ulbricht« und stellten dabei an verschiedene Arbeiter Fragen.73

Wie aus vorliegendem Bericht zu ersehen ist, wurden von den Arbeitern positive Stellungnahmen abgegeben.74 Nachfolgend einige der wichtigsten Stellungnahmen:

Auf die Frage, was stellen Sie sich vor beim Zusammenbruch 1945 und beim Aufbau des Werkes, antwortete ein Arbeiter: »Wir haben eingesehen, dass die Amis unser Werk zerbombt haben. Wir brauchen aber Arbeit und Brot. Die Sowjetmenschen gaben uns Gelegenheit, hier zu arbeiten. Als Anerkennung erhielten wird das Werk am 1.1.1954 als Geschenk zurück.«75

Auf die Frage, sind Sie der Meinung, dass alles richtig ist, was die Russen machen und was sie vorschlagen zur Wiedervereinigung Deutschlands? antwortete ein älterer parteiloser Kollege: »Jawohl, ich bin der Meinung, dass es richtig ist, was die SU tut. Ebenso ist es richtig, dass die SU den Vorschlag gemacht hat, Deutsche auf dieser Konferenz zuzulassen.«76

Auf die Frage, ob er ebenfalls seine Unterschrift gegeben hat für die Zustimmung, dass deutsche Vertreter auf der Konferenz zugelassen werden, antwortete ein anderer jüngerer Kollege: »Ja, ich habe meine Unterschrift gegeben, weil ich davon überzeugt bin, dass dieses der einzig richtige Weg ist, um Deutschland wieder friedlich zu vereinigen.«

Auf die Frage, wie ist es mit den Unterschriftensammlungen bisher gewesen, wird jemand dazu gezwungen oder nicht, antwortete ein Arbeiter: »Wir geben unsere Unterschrift freiwillig ohne jeglichen Zwang. Wenn ich nicht unterschreiben will, zwingt mich auch keiner dazu.«

Auf die Frage, seid ihr mit allem einverstanden, was die Russen auf der Viererkonferenz vertreten, antwortete ein Normierer: »Ich habe mich mit allen Kollegen darüber unterhalten, es ist aber keiner dabei gewesen, der gegen die Vorschläge der SU gesprochen hat. Wir verlangen einen Friedensvertrag mit Deutschland und die Einheit Deutschlands.«

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