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Zur Beurteilung der Situation

31. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2275 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Der erfolgreiche Abschluss der Genfer Konferenz1 sowie die neue Note der SU vom 24.7.19542 stehen im Mittelpunkt der wenigen Diskussionen über politische Tagesfragen. Die bekannt gewordenen Stimmen sind meist positiv. Oft bringt man zum Ausdruck, dass alle strittigen Fragen auf dem Verhandlungswege gelöst werden können. Als Beweis dafür bringt man den Waffenstillstand in Indochina. Weiter äußert man, dass der erfolgreiche Abschluss der Genfer Konferenz ein Ausdruck der Stärke des Weltfriedenslagers ist. Gleichzeitig hofft man auf die Lösung des Deutschlandproblems auf dem Verhandlungswege. Über die Note der SU vom 24.7.1954 berichten wir im Anhang.

Ein Arbeiter aus dem Lonzawerk Spremberg, [Bezirk] Cottbus: »Der große Erfolg in Genf bestärkte uns in dem Glauben, dass es gelingen wird, den Frieden zu erhalten und auch die Einheit Deutschlands zu erzielen.«

Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Edelstahlwerk Döhlen,3 [Bezirk] Dresden: »Der Waffenstillstand in Indochina zeigt, wie stark die Friedenskräfte sind. Das ist für uns ein Ansporn, um in Deutschland die Einheit zu erringen und einen Friedensvertrag zu erkämpfen.«

Negative Diskussionen zur Genfer Konferenz werden uns nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Arbeiter aus dem RFT Zernsdorf,4 [Bezirk] Potsdam: »Frankreich ist ganz schön dusselig, dass es auf der Genfer Konferenz den Waffenstillstand abgeschlossen hat.«

Ein Kraftfahrer aus dem VEB Treuen,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die politischen Ereignisse in Genf, Korea, Indochina und Guatemala6 gehen uns doch überhaupt nichts an. Dort soll man sich ruhig den Schädel einschlagen. Man muss lediglich einmal das deutsche Problem sehen und die Zonengrenzen so bald als möglich abschaffen.«

Über den Besuch des Ministerpräsidenten und Außenministers der Volksrepublik China Tschu En Lai7 wurden uns nur sehr wenige Diskussionen bekannt. Dabei äußert man, dass wir stolz auf solche großen Freunde sein können, die uns in unserem Kampf unterstützen. Ein Obermeister aus dem Kaliwerk Bernburg, [Bezirk] Halle: »Das Auftreten des Ministerpräsidenten Tschu En Lai in Genf und Berlin zeigt uns allen, dass dieser Mann wirklich seinen Platz in der Reihe der großen Menschen eingenommen hat. Man kann ihn als einen großen Marxisten und würdigen Nachfolger Stalins bezeichnen. Wir können glücklich sein, einen so mächtigen Freund wie die Volksrepublik China zu haben. Wenn zwei solche Freunde, wie Molotow und Tschu En Lai, uns im Kampf um die Einheit Deutschlands helfen, so wird sie bald verwirklicht sein.«

Stimmen über den Schritt von Dr. John8 sind in sehr geringem Umfange bekannt geworden.9 Bei diesen Diskussionen bringt man zum Ausdruck, dass dadurch das morsche und faule beim Adenauer-Regime10 so richtig ans Tageslicht gebracht wurde. Ein Arbeiter aus dem VEB Bau-Union »Kohle« Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus: »Die jüngsten weltpolitischen Ereignisse werden dem Adenauer-Regime den Wind aus den Segeln nehmen und den EVG-Vertrag11 zunichtemachen. Die Flucht Dr. Johns in die DDR bekundet ebenfalls, dass auch die bürgerlichen Politiker immer mehr die Kriegspolitik Adenauers verwerfen und sich für eine Wiedervereinigung Deutschlands einsetzen.«

Ein parteiloser Arbeiter aus der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal, [Bezirk] Gera: »Man sieht jetzt genau, dass sich verschiedene Leute nicht mehr mit der Politik der Adenauer zufrieden geben und den wahren Charakter dieser Regierung erkennen. Ich bin überzeugt, dass dies nicht der Letzte ist, der zu uns in die DDR kommt.«

Ein Arbeiter aus der Druckerei des Karl-Marx-Werkes Magdeburg: »Die Absetzung des John hat die kapitalistischen Regierungen in eine ziemliche Unruhe versetzt. Dies wird dazu beitragen, die Wahrheit über den ganzen Bonner Schwindel vor der Öffentlichkeit zu entlarven.«

Negative Stimmen zum Fall John treten selten in Erscheinung. Ein Einkäufer beim VEB Fleischwerk Apolda, [Bezirk] Erfurt: »John ist sicher nicht freiwillig in die DDR gekommen. Da steckt etwas anderes dahinter. Schon seine Erklärung im Rundfunk ist sehr dünn.12 Entweder er ist entführt worden oder er ist geschickt und handelt im Auftrage des Westens. Es kann ja auch sein, dass er aufgrund seines Amerikabesuches abgesetzt werden sollte.«13

Missstimmung besteht in einigen Betrieben über verschiedene betriebliche Angelegenheiten, wie Lohnfragen usw. Aus dem VEB EKM Kompressorenwerk Gera wird bekannt, dass durch die Prämienzahlung immer wieder Unruhe unter die Belegschaft kommt. Dadurch macht sich bemerkbar, dass die Produktion zwei Wochen jedes Mal beeinträchtigt wird.

Unter den Eisenbahnern im Amtsbezirk Eisenach wird Unzufriedenheit über die Bezahlung geäußert. Hierzu äußerte ein Eisenbahner: »Der Unterschied in der Bezahlung [in] Industrie und Eisenbahn ist nicht richtig und führt zur Unzufriedenheit der Eisenbahner. Es werden Besserungen versprochen, aber nichts geschieht. Wenn die Arbeit richtig eingeschätzt würde bei der Reichsbahn, dann müsste das, was in der Industrie möglich ist, auch bei der Reichsbahn sein.«

Im Hydrierwerk Zeitz werden Unzufriedenheiten über die Lohngruppeneinstufungen bekannt. So brachte ein Arbeiter, der bereits 17 Jahre im Betrieb ist und sich an jeder gesellschaftlichen Arbeit beteiligt, zum Ausdruck, dass seine Einstufung in die Lohngruppe 4 zu niedrig sei. Sein Kollege der dieselbe Arbeit verrichtet, ist in eine höhere Lohngruppe eingestuft.

Die Arbeiter im VEB Holzindustrie Goldberg, [Bezirk] Schwerin, führen Klage darüber, dass die Entlohnung unter Berücksichtigung der einzelnen Ortsklassen14 nicht richtig ist. So kommt es vor, dass Arbeiter im selben Beruf und am gleichen Ort arbeiten und trotzdem unterschiedlich entlohnt werden. Dadurch ist ein Arbeitskräftemangel zu verzeichnen.

Im VEB Hermann-Matern-Werk in Roßwein,15 [Bezirk] Leipzig, sind die Arbeiter darüber unzufrieden, dass die Ofengruppen, welche durch die Fa. Padelt in Leipzig16 gebaut wurden, nicht den Bedingungen einer modernen Produktion entsprechen, weil sie Fehlkonstruktionen aufweisen. Dadurch dringt die entwickelte Hitze so stark nach außen, dass es fast unmöglich ist, dort zu arbeiten.

In dem VEB Maxhütte Unterwellenborn treten häufig Fälle auf, wo Kollegen die Arbeit in der Doppelschicht mit der Begründung ablehnen, sie könnten sich dadurch nicht am sportlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben beteiligen.

Auf Anweisung der VVB in Leipzig wurde ein kleinerer Zweigbetrieb der Vereinigten Kammgarnspinnerei in Westsachsen in Mylau demontiert und die Produktion eingestellt, mit dem Ziel, die vorhandenen Arbeitskräfte in die größeren Werke einzureihen. Diese Anweisung der VVB in Leipzig wurde auch durchgeführt. Jedoch verstand man die Anweisung »demontieren« so, dass man die gesamten Spinnereimaschinen zertrümmerte und diese einer Privatfirma als Schrott zuführte. Bis auf zwei wurden alle unbrauchbar als Schrott abgeliefert.

Im VEB Plamag in Plauen,17 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde im Februar 1954 eine 64-seitige Rotationsmaschine für Italien fertiggestellt. Bis heute konnte diese Maschine noch nicht exportiert werden, da vom DIA noch kein Einfuhrvisum vorliegt.

Im Kirowwerk Leipzig stehen laut Betriebs-Kollektivvertrag 1954 5 000 DM aus dem Direktorenfonds für Feriengeldzuschüsse für die Belegschaft zur Verfügung. Der Betrag aus dem Direktorenfonds ist bereits mit 900 DM überschritten. Jedoch wurde dieser Betrag nicht an die Produktionsarbeiter, sondern hauptsächlich an hauptamtliche Funktionäre der Partei und Gewerkschaft ausgezahlt.

Produktionsstörungen

Am 29.7.1954, gegen 13.00 Uhr erfolgte bei der Herstellung eines neuen Gemisches von Benzol beim Einschalten eines Motors eine Explosion in der Teerfabrik Woltersdorf. Ursache und Schaden sind noch nicht bekannt. Personenschaden: Vier Personen wurden schwer verletzt.

Im VEB Zinnerz Altenberg, [Bezirk] Dresden, wurde ein Arbeiter von herabstürzenden Gesteinsmassen erfasst und verunglückte tödlich.

Handel und Versorgung

Missstimmung herrscht unter den Kraftfahrzeughaltern im Bezirk Suhl über den Mangel an Benzin und Autoreifen. Ein großer Teil der Fahrzeughalter sagt dazu, dass dieser Mangel ein Beispiel für die Armut in der DDR ist. Ein Tankwart aus Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, sagte: »Es ist jeden Tag etwas anderes, was fehlt.«

Am 27.7.[1954] gab es in Saßnitz, [Bezirk] Rostock, kein Mehl und infolgedessen an diesen Tagen auch keine Backwaren. Ein privater Mühlenbesitzer äußerte hierzu, dass er mit der HO, DHZ und KG Verträge abgeschlossen hätte, die aber vom Bezirksrat nicht bestätigt wurden, weil es nicht zulässig sei, dass staatliche Betriebe von privaten Betrieben beliefert werden. So verwirklicht der Rat des Bezirkes das Gesetz zur Förderung des Handwerks18 und den Neuen Kurs der Regierung.19 Er sandte diesbezüglich ein Schreiben an den Präsidenten der DDR.

Mängel in der Belieferung

An Kartoffeln mangelt es in der Mehrzahl der Kreise des Bezirkes Dresden und im Bezirk Schwerin. An Wurstwaren (frische Wurst) im Bezirk Schwerin und im Kreis Calau, [Bezirk] Cottbus. An Frischfisch und Marinaden im Bezirk Schwerin. An Obst und Gemüse in fast allen Kreisen des Bezirkes Suhl. An Zigaretten (billige Sorten) im Bezirk Neubrandenburg und Schwerin.

Im Bezirk Suhl fehlen Windeln. Dagegen lagern im Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, 7 000 Stück davon, die aber nicht auf HO-Basis, sondern nur gegen Bezugsschein abgegeben werden.

Reifen für Omnibusse, Lkw, Pkw fehlen außer dem Bezirk Suhl im Kreis Greiz, [Bezirk] Gera, sodass schon Lkw stillgelegt wurden und der Lebensmittel-, Konsum- und Güterverkehr darunter leidet.

In der Tankstelle Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, gibt es schon seit drei Tagen kein Benzin und dies ist im Juli schon zum 3. Mal der Fall. Es sind dort 5 000 l weniger geliefert worden.

Überplanbestände bzw. dem Verderb ausgesetzte Waren, Schokoladenerzeugnisse im Werte von DM 80 000 lagern in der KG Boizenburg, Schwerin, wovon schon ein Teil verdorben ist. Desgleichen lagern dort noch 1 500 Büchsen Fleischkonserven in Schwarzblech, die durch lange Lagerung dem Verderb ausgesetzt sind.

Die Konsumfleischerei in Oebisfelde, [Bezirk] Magdeburg, die für die Belieferung des Interzonenbahnhofes Oebisfelde verantwortlich ist, kann diesen mit Bockwürsten nicht mehr versorgen. Dadurch, dass die VEAB in Klötze dieser Fleischerei die Lieferung von lebendem Vieh verweigert, hat die Konsumschlächterei kein Rindfleisch mehr zur Verfügung. Somit ist die Versorgung mit Bockwürsten der Interzonenreisenden nicht mehr gewährleistet.

Landwirtschaft

Politische Tagesfragen werden in der Landbevölkerung nur im geringen Umfang diskutiert. Zur Genfer Konferenz wurde nur vereinzelt Stellung genommen. Die Stimmen hierzu sind meist positiv und kommen aus dem sozialistischen Sektor der Landwirtschaft, wie folgende Beispiele beweisen. Ein werktätiger Bauer aus Pötenitz, [Bezirk] Rostock: »Das ist gut, dass in Indochina Waffenstillstand ist. Jetzt können die Bauern dort auch im Frieden ihre Äcker bestellen, so wie hier in der DDR.« Ein Landarbeiter aus Grammertin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Der Frieden in Vietnam ist vor allem der SU zu verdanken. Die Sowjetmenschen, wenn sie einem die Freundschaft geben, halten sie sie auch ewig.«

Vereinzelt wird auch über Dr. John diskutiert. Eine Arbeiterin aus dem Kreis Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Dieser John hat eine große Funktion gehabt. Er ist bestimmt nicht wegen Geld gekommen, sondern es kommt in diesem Schritte seine Überzeugung zum Ausdruck.«

Negativ äußerte sich dazu ein LPG-Mitglied aus dem Kreis Seelow, [Bezirk] Frankfurt: »Von ganz allein wird er nicht gekommen sein. Geld besitzt eben eine große Anziehungskraft. Es ist auch möglich, dass diese Menschen nach hier geschickt wurden und trotzdem mit dem Westen zusammenarbeiten.«

Wirtschaftliche Fragen bzw. die Einbringung der Ernte und die damit verbundenen Schwierigkeiten stehen weiterhin im Mittelpunkt des Interesses. Kritisiert wird nach wie vor der Mangel an Ersatzteilen in den MTS, wie z. B. in Streufdorf, [Bezirk] Suhl, wegen der fehlenden 20 Reifen 12,75 × 28 und Treibriemen für Druschsätze, in der MTS Dahlen, [Bezirk] Leipzig, die von der DHZ Gummi, Leipzig, nicht geliefert werden. In der MTS-Spezialwerkstatt Prenzlau fehlen Gleitkugeln, Schreckwellenlager, Netzschrauber, Nägel und Bohrer.

Die Traktoristen der MTS Boedenitz,20 [Bezirk] Leipzig, beschweren sich über den Mangel an Arbeitsschutzkleidung und sagen, dass man heute soweit sein müsste, genügend davon in den Handel zu bringen.

In der LPG Boberow, [Bezirk] Schwerin, sind Austrittserklärungen zu verzeichnen, die damit begründet werden, dass auf der LPG die Rentabilität nicht gewährleistet ist und dass sie in der Weiterführung ihrer eigenen Wirtschaft eine bessere Entwicklung sehen.

In der LPG Deuben, [Bezirk] Halle, wurden keine Steine für notwendige Bauten seitens des Kreisrates zugewiesen. Dagegen erhielten zwei Großbauern vom Kreisrat 50 000 Steine.

Schweinepest

In der LPG Königshofen, [Bezirk] Gera, wurde bei 165 Schweinen die Schweinepest festgestellt. Drei Schweine sind bereits verendet. Der übrige Gesamtbestand musste notgeschlachtet werden. Desgleichen brach Schweinepest im ÖLB21 Peißen, [Bezirk] Halle, aus, wo 153 Schweine und 55 Ferkel notgeschlachtet werden mussten.

In der Gemeinde Ferdinandshof, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde bei zwei werktätigen Bauern und bei einem Kleinbauern die Schweinepest festgestellt (Verluste noch unbekannt).

Übrige Bevölkerung

Unter der übrigen Bevölkerung verhält sich ein großer Teil gegenüber politischen Tagesfragen interesselos. Nur ganz vereinzelt wird zu dem erfolgreichen Abschluss der Genfer Konferenz gesprochen, wobei der Umfang der Diskussionen weiterhin abnimmt. Der Inhalt hat sich gegenüber dem Vortage nicht verändert. Es wird weiterhin der Waffenstillstand in Indochina begrüßt und in Verbindung damit die Hoffnung ausgesprochen, dass jetzt über Deutschland verhandelt wird und man sich einigt. Die Meinungen stammen meist von verschiedenen fortschrittlichen Kräften.

Zur Note der Sowjetregierung an die Westmächte wurden nur einzelne positive Stimmen bekannt (siehe Anhang).

Zum Schritt des Leiters des Bundesverfassungsschutzamtes Dr. John wird nur ganz gering Stellung genommen. Hierzu äußerten sich fortschrittlich eingestellte Menschen sowie Funktionäre der staatlichen Verwaltung. Sie bewerten diesen Schritt als ein Zeichen der Schwäche der Adenauer-Politik. Sämtliche Stimmen sind positiv.

Ein Postenführer der Wismutfeuerwehr in Rudolstadt,22 [Bezirk] Gera (SED): »Der Übertritt sowie die Erklärung des Dr. John ist ein schwerer Schlag für die Adenauer-Clique in Bonn. Wir sehen aus den Äußerungen Dr. Johns ganz deutlich, dass die Bonner Regierung nur die Interessen des amerikanischen Großkapitals vertritt und sich im Fahrwasser eines neuen Weltkrieges befindet.«

Eine Abteilungsleiterin beim Rat des Bezirkes Suhl: »Dr. John hat die verräterische Politik der Adenauer-Clique erkannt und weiß wo Recht und Unrecht in Deutschland zu suchen ist. Sein Schritt ist ein besonderer Schlag gegen die Kriegspolitik Adenauers.«

In negativem Sinne äußerte sich eine Tischlereibesitzerin aus Doberan, [Bezirk] Rostock, und sagte lediglich: »Der John hat von drüben alles verraten.«

In der Umgebung von Weimar wird das Gerücht verbreitet, dass in Weimar Angsteinkäufe an Mehl getätigt werden, da eine Hungersnot bevorsteht, die durch das Hochwasser23 hervorgerufen wird.

In Ohrdruf, [Bezirk] Erfurt, geht das Gerücht um, dass in nächster Zeit mit einer Währungsreform zu rechnen sei. Die Bevölkerung kauft deshalb alles Mögliche ein, um das Geld umzusetzen.

Negative Diskussionen werden von der Bevölkerung in Karl-Marx-Stadt darüber geführt, dass bei der Volkssolidarität in Karl-Marx-Stadt große Mengen an Sachspenden wie Möbelstücke, Schuhe usw. f[ür] Hochw[asser]-Gesch[ädigte] liegen, die angeblich nicht mehr benötigt werden. Trotzdem wird die Sammlung nicht abgeschlossen. Von der Bevölkerung wird immer wieder die Frage gestellt, wo das gesammelte Geld und die Sachspenden verbleiben.

Über die Erleichterungen an der D-Linie werden in der Gemeinde Lichtenhain, [Bezirk] Suhl, negative Diskussionen geführt. Zum Beispiel ist man darüber verärgert, dass nach der neuen Verordnung der Bürgermeister nicht mehr berechtigt ist, an alle Personen Scheine zum Betreten des 500-Meterstreifens auszugeben.24

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:25 Frankfurt 435, Karl-Marx-Stadt 270, Rostock 1 500, Erfurt 2 500.

KgU:26 Karl-Marx-Stadt 1 500, Dresden 2 000.

UFJ:27 Potsdam 300.

CDU-Ostbüro: Cottbus 3.00 [sic!] (alt), Potsdam 2 000.

NTS:28 Karl-Marx-Stadt 3 500, Dresden 9.

»Der Tag«:29 Potsdam 2 000.

»Deutsche der Bundesrepublik«: Potsdam 8 000.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Diversion: In der Molkereigenossenschaft Rathenow, [Bezirk] Potsdam, wurden von einem ehemals dort Beschäftigten wertvolle Teile einer Zentrifuge entwendet und zwei Kannen mit Milchproben ausgeschüttet. Gleichzeitig riss der Täter die Anschläge von der Wandzeitung ab. Er gab an, aus Rache wegen seiner Entlassung die strafbare Handlung begangen zu haben.

In der MTS Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, wurde in einem Lkw Sand in der Ölwanne gefunden, sodass der Lkw am 30.7.1954 früh nicht einsatzbereit war.

Im VEG Hagelberg-Lübnitz, [Bezirk] Potsdam, wurde im Zylinder eines Traktors ein plattgeschlagener Hufnagel gefunden.

Bei der LPG im Kreis Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt, wurden ein Keilriemen zerschnitten und die Zahnräder der Elevatorrolle zerschlagen (Meldung noch nicht überprüft).

Brandstiftung: Am 28.7.1954 war in der Gemeindemarkung Halenbeck-Rohlsdorf, Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, ein kleiner Waldbrand. An der Brandstelle wurde ein Brandsatz gefunden.

Gefälschte Schreiben: An sämtliche LPG der Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt wurden gefälschte Rundschreiben mit der Unterschrift des Leiters der Tierzuchtinspektion Dresden gesandt. Darin werden für den 31.7.1954 und drei weitere Tage Arbeitseinsätze von 25 Mitarbeitern dieser Tierzuchtinspektion angekündigt und die LPG aufgefordert, alles bereitzustellen sowie für Essen und Quartier zu sorgen.

Terror

In den Morgenstunden des 28.7.1954 schlug in dem Kuhstall der LPG »Friedrich Engels« in Steina, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig, ein Genossenschaftsbauer den Parteisekretär im Laufe einer Auseinandersetzung über die Fütterung der Tiere nieder. Der Täter zeigte schon mehrmals eine antidemokratische Einstellung.

Am 28.7.1954 versuchte ein unbekannter Täter in der Nähe von Sparnberg-Schleiz, [Bezirk] Gera, einen Brigadier der LPG Sparnberg zu überfallen. Nach dem Erkennen des Brigadiers sagte der Unbekannte: »Dich suchen wir schon lange.« Dem Brigadier war bereits vor einiger Zeit eine Hetzschrift einer Westberliner Agentenzentrale30 zugegangen.

Vermutliche Feindtätigkeit

Im örtlichen landwirtschaftlichen Betrieb Hirschbach, Kreis Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden, mussten vier Kälber notgeschlachtet werden. Es besteht der Verdacht der Vergiftung.

Lage in Westberlin

Die Diskussionen über den Fall John beschäftigen weiterhin viele Menschen in Westberlin. Auch aus Westdeutschland werden einzelne Stimmen bekannt. Es tritt verstärkt die Meinung auf, dass Dr. John freiwillig in die DDR kam und dass man seinen Schritt für richtig hält. Viele Personen betrachten die Affäre31 als Beweis der Morschheit des Adenauer-Regimes. Teilweise wird die Frage aber überschätzt.

Auf dem Arbeitsamt Sonnenallee sagte ein arbeitsloser Kraftfahrer: »Ich glaube, der Mensch weiß selber noch nicht, was die Stunde geschlagen hat. Glaubst du an die ganze Geschichte, die sie in der Presse schreiben? Der John wusste schon, was er wollte, und jetzt soll der Wohlgemut32 daran schuld sein. Na, ein dusseliges33 Schaf müssen sie ja finden.«

Ein anderer Arbeitsloser: »Der Nächste ist der Finanzminister. Vielleicht überlegt sich Adenauer die Sache mit dem Wechsel noch.34 Statt verhandeln, türmen sie lieber, weil einer dem anderen nicht mehr traut.«

Ein Rentner nannte die Frage John einen »Frontenwechsel« und sagte: »Dr. John ist bestimmt aus freiem Willen in den demokratischen Sektor gegangen. Das heißt, dass er nicht von östlicher Seite gezwungen oder wie Dr. Schreiber35 sagt, überlistet worden ist. Eher geht dieser Frontwechsel von den Engländern aus. Dr. John hat mit England enge Verbindung und er hat auch noch genug Freunde dort.36 … Einst stand es höchstens 30 Prozent für den Osten. Jetzt ist es angestiegen bis 65–70 Prozent und es wird weiter ansteigen, darum ist mir nicht bange. Obwohl ich kein Kommunist bin, verfolge ich doch eifrig jeden Schritt in der Politik und bin überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern wird, und der Wendepunkt ist da.«

In einer Diskussion Westberliner Funktionäre der VVN wurde zum Ausdruck gebracht: Neben Adenauer war Dr. John der zweitstärkste Mann Westdeutschlands, er empfing aus erster Hand amerikanische Befehle. Als einer der ersten erkannte er die ganze Hohlheit der westlichen Politik und handelte als Patriot. Durch seinen Übertritt in die DDR hat er das imperialistische Lager stark unterminiert.

Ein Arbeiter aus Westdeutschland: »Was sagt ihr zu der Flucht von Dr. John in die DDR? Es hat hier im Westen wie eine Bombe eingeschlagen. Ein ähnlicher Fall wie damals Heß.37 Doch ist diesem weniger Bedeutung beizumessen, wie hier von zuständiger Stelle versichert wird. Fest steht aber, dass alle Geheimfäden außer Kraft gesetzt worden sind.«

Anlage 1 vom 31. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2275

Produktionsschwierigkeiten, die in einigen Betrieben wegen Material und Arbeitskräftemangel bestehen

Im VEB Diamalt Zuckerwarenbetrieb Halle38 treten Schwierigkeiten auf, indem es an Adipinsäure fehlt. Man muss zu Ausweichsäuren greifen, die die Qualität der Produktion ungünstig beeinflussen. Weiter fehlt es an Igelit- und Pappschachteln zur Verpackung der Süßwaren.

Im Kfz-Werk »Ernst Grube« Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlt es an verschiedenen Ersatzteilen. Besonders fehlen G-8-Schrauben für die Achsmontage. Wenn diese Schrauben nicht schnellstens eintreffen, können keine Achsen mehr fertiggestellt werden.

Im VEB Berliner Glühlampenwerk werden Dreher und Fräser sowie weibliche Arbeitskräfte für die Glühlampenfabrikation dringend benötigt.

Im VEB Kraftverkehr Malchin fehlt es an Bereifung für die Kraftfahrzeuge. Wenn dieser Mangel nicht überwunden wird, müssen Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen werden. Des Weiteren mangelt es an Zylinderblöcken für Horchmotore.

Im VEB Walzkörper in Bad-Liebenstein, [Bezirk] Suhl, bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Zement und Gips. Diese Materialien werden zum Bau der neuen Werkhalle dringend benötigt.

Anlage 2 vom 31. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2275

Stimmung über die Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 24. Juli 1954

Die Diskussionen über die Note der Sowjetregierung sind weiterhin sehr gering. Sie haben sich in ihrem Inhalt gegenüber dem Vortag nicht wesentlich geändert. Weiterhin sind es vor allem Arbeiter aus volkseigenen Betrieben, weniger Angestellte, die sich hierzu äußern, während von Intelligenzlern keine Stimmen vorliegen. Unter der Landbevölkerung wird infolge der Ernte fast gar nicht über die Note gesprochen, während Meinungen aus der übrigen Bevölkerung ganz vereinzelt sind.

Einige Arbeiter des VEB Papierfabrik Golzern, [Bezirk] Leipzig, brachten in einer Diskussion zum Ausdruck, dass sie die Bemühungen der Sowjetunion für die Erhaltung des Friedens voll anerkennen. Durch die Beharrlichkeit der Sowjetunion wird es auch noch soweit kommen, dass für Deutschland ein Friedensvertrag abgeschlossen wird.

Ein parteiloser Krankenpfleger aus dem Kreiskrankenhaus Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Ich bin zwar nicht organisiert, erkenne aber, dass der Vorschlag der Sowjetunion eine Friedensbastion schafft, wenn er angenommen wird. Deshalb begrüße ich als Parteiloser die Note.«

Ein Schaffner (parteilos) beim VEB Kraftverkehr Greiz: »Man muss sich wundern, mit welcher Ausdauer und Beharrlichkeit die SU für den Frieden und die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands kämpft. Ich bin nur gespannt, wie die Westmächte darauf reagieren werden.«

Eine pessimistische Stellung bezog ein Monteur aus dem VEB WEMA in Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Was nützt es schon, wenn die Sowjetunion wieder Verhandlungen will. Es kommt doch nichts dabei heraus. Neue Verhandlungen werden kein anderes Ergebnis bringen als die Berliner Konferenz.39 Ich bin der Ansicht, dass Deutschland noch auf Jahre hinaus gespalten bleibt.«

Anlage 3 vom 31. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2275

Auswertung der Westsendungen

Volkswahlen40

Zur Aufstellung einer einheitlichen Wahlliste hetzt der RIAS, dass dadurch »das Volk in seinem Selbstbestimmungsrecht betrogen« werden soll.41 Mehrfach versucht er dabei, diese Frage anhand der Verfassung der DDR zu verleumden. Bei den Kommentaren zum Beschluss des zentralen Blocks steigert sich die Hetze gegen Partei und Regierung immer mehr. Das Ziel ist aber nach wie vor die Behauptung, dass eine Einheitsliste aufgestellt wird, um nicht die wahre Meinung der Bevölkerung der DDR erfahren zu müssen. Es heißt, dass durch diesen Beschluss die Arbeit der Funktionäre erschwert würde, denn diese müssten jetzt »ohne eigene innere Überzeugung« die Bevölkerung davon überzeugen, dass eine einheitliche Liste richtig ist. Die Reaktion der Bevölkerung auf diese Diskussionen wird als ablehnend bezeichnet, da sie sich in den meisten Fällen gar nicht mit den Funktionären abgeben. Diese Behauptung enthält deutlich die Aufforderung, sich auf keine Diskussionen einzulassen und den Agitator nicht zu beachten. Diese Aufforderung deckt sich voll und ganz mit der gleichen Forderung der von der UFJ proklamierten »Deutschen Selbsthilfe«.42

Die Hetze zur Rechenschaftslegung der Volkskammerabgeordneten43 beschränkte sich bisher auf den Versuch, die gemachten Ausführungen ins Lächerliche zu ziehen oder in ihrem Wert herabzumindern. Zu den Ausführungen des Genossen Otto Grotewohl44 in Dresden hetzt der RIAS u. a. gegen die Ausführungen über »die lebendige Demokratie – Grundlage unseres wirtschaftlichen Aufstiegs« und die Stellungnahme unserer Bevölkerung zur Beibehaltung der Lebensmittelkarten.

Hetze gegen die SED

In den letzten Tagen häufen sich Meldungen über Maßnahmen unserer Partei zur Arbeit der SED in Westdeutschland. Die Hetze geht soweit, dass von einer Vorbereitung eines Umsturzes in Westdeutschland gesprochen wird. Dazu liegen folgende Meldungen vor:

Sender »Freies Berlin«: Ausbildung von Volkskorrespondenten in Bad Elster, besonders über »Erkennen und Berichten über wirtschaftliche und militärische Vorgänge in der Bundesrepublik. Später sollen die kommunistischen Funktionäre mit den westdeutschen Korrespondenten des Ostberliner Deutschlandsenders45 zusammenarbeiten«.

Sender »Freies Berlin«: Vorbereitung der Bereitstellung einer Kaderreserve der SED. 4 000 Kandidaten sollen vorgeschlagen werden, »die auf die Übernahme leitender politischer und wirtschaftlicher Stellen in der Bundesrepublik vorbereitet werden können.« In Hoyerswerda werde dazu eine Sonderschule eingerichtet.

RIAS: Auf Anweisung des SfS arbeitet der Zentralrat der FDJ »an einem neuen Plan zur Durchdringung westdeutscher Jugendorganisationen«. »Als Verbindungsleute sollen in der Hauptsache als Flüchtlinge getarnte FDJ-Funktionäre in die westdeutschen Gruppen eingeschleust werden.«

Zur Verleumdung der SED sprach der RIAS über die Entlassung eines Thüringer Rechtsanwaltes aus der Strafvollzugsanstalt Untermaßfeld. Es heißt, »dass die SED direkt den Auftakt zu seiner Entfernung aus dem Rechtsleben gegeben hatte«.

Zum Produktionsaufgebot der FDJ46 hetzt der RIAS, dass dieses »dazu dienen soll, die Normen wieder in die Höhe zu treiben«.

Staatsorgane

Zur Schwächung unserer KVP47 werden Angehörige der KVP aufgefordert, alles zu unternehmen, um eine geordnete Berufsausbildung zu erreichen. Genannt werden dazu Fachkurse, Volkshochschule, Bibliotheken und die beruflichen Interessensgemeinschaften der FDJ. Facharbeiter sollen alle Möglichkeiten ausnutzen, wieder in ihren Beruf zu kommen.

Zur Verhetzung der KVP-Angehörigen heißt es in der gleichen Sendung, dass bestimmte Kameraden bei Urlaub, Übungen usw. bevorzugt werden, um dann später vom Parteisekretär »zu Spitzeldiensten erpresst« zu werden.

Meldungen über die VP und KVP innerhalb der Westsendungen werden in den meisten Fällen vom Sender »Freies Berlin« gebracht. Er stützt sich dabei angeblich auf Material vom Ministerium des Innern. Aus den letzten Tagen liegen folgende Meldungen vor:

Über die Ausbildung von Offiziersanwärtern wird gemeldet, dass Kameraden ausgewählt werden, die nach 12 bis 18 Monaten Ausbildung vorwiegend in Flak- und Panzerverbänden eingesetzt werden sollen.

856 Mitglieder der Gesellschaft für Sport und Technik sollen im August den Dienst in der Seepolizei aufnehmen; die Einheiten zur See würden nur Neueinstellungen vornehmen, die Mitglieder der GST sind.

»Herbstmanöver der KVP« seien ohne Angabe eines neuen Termines verschoben worden. Die Reichsbahndirektion Halle habe deshalb umdisponieren müssen.

Die politische Schulung in der KVP und dem SfS soll verstärkt werden. Der Sender stützt sich dabei auf angebliche Informationen des MdI.

Die »militärische Befestigung der Grenzpolizei entlang der Oder-Neiße-Grenze« sei in den letzten Tagen verstärkt worden. Es wird von neuen Wachtürmen, Stacheldrahthindernissen und Stolperdrähten gesprochen. Die Funkanlagen an der Ostsee würden vergrößert und erweitert.

Die Waffenproduktion in der DDR sei im 1. Halbjahr 1954 auf das Dreifache der Vergleichsmonate des Vorjahres angestiegen.

Landwirtschaft

In einer Sendung über die Dorfwandzeitungen der MTS nimmt der RIAS scharf gegen dieselben Stellung. Er bezeichnet sie als Versuch, die Landbevölkerung zu beeinflussen, da die demokratische Presse selbst fast gar nicht gelesen würde. Um die Bevölkerung vom Lesen der Dorfwandzeitungen abzuhalten, hetzt der RIAS, man soll sich nicht über die an anderen geübte Kritik ergötzen, denn man könnte »vielleicht in der nächsten Nummer des ›Dorfsignals‹48 selbst der zu Unrecht Beschuldigte sein und dann dürfte ihm die Dorfwandzeitung weniger lesenswert erscheinen«. Die Hetze wird noch erweitert, indem es heißt, dass die Korrespondenten für die Dorfzeitung zur »politischen Bespitzelung im Dorf« benutzt würden. Es solle sich deshalb niemand an der Ausarbeitung der Zeitung beteiligen.

Demokratische Schule

RIAS kommentiert die vom Ministerium für Volksbildung herausgegebene Dienstordnung für Lehrer.49 Sie wird als »weiteres Erschwernis« der Arbeit des Lehrers bezeichnet und habe die Aufgabe, »dem 10. Schuljahr einen sowjetischeren Anstrich zu geben«. Die Lehrer wären jetzt verpflichtet, heißt es bei den Kommentaren zu den einzelnen Paragrafen, »sich parteipolitisch zu binden« und der § 1 habe die Aufgabe, die Zahl der SED-Mitglieder unter den Lehrern zu erhöhen.

Besonders beachtet wird der § 5 und es wird gehetzt, dass die Lehrer ihre Schüler »bespitzeln« und eng mit dem SfS zusammenarbeiten müssten. Das Gleiche wird auch von den »Schülerregeln« gehetzt, dass die Schüler danach die Lehrer »bespitzeln« mussten.50 Weiterhin richtet sich die Hetze dieser Sendung gegen die FDJ in der bereits bekannten Art, wonach die FDJ die Lehrer in ihrer Arbeit behindere usw.

In einer anderen Sendung über die Schülerregeln hetzt der RIAS, dass diese nur erlassen wurden, weil viele Lehrer nicht in der Lage seien, sich Autorität in der Schule zu verschaffen. Auch hier soll die FDJ wieder als Schuldige hingestellt werden, da FDJ-Mitglieder besondere Rechte an den Schulen hätten. Die Schülerregeln sind nach RIAS kein Mittel, um die Disziplin zu festigen, sondern die Lehrer sollten sich intensiv mit den Schülern beschäftigen, »ohne die politische Linie der Partei zu verfechten«.

Die Eltern werden aufgefordert, gegen die aufgestellten Regeln über die Stellung des Lehrers als Vertreter unseres Staates zu protestieren. Gleichzeitig sollen sie gegen die Verpflichtung zur erhöhten Wachsamkeit vorgehen. Die Hetzsendung endet mit den Worten, dass »die Schulen in Kasernen …« umgewandelt werden sollen.

Über die Zulassung zum Studium an den Universitäten hetzt der RIAS, dass Jugendliche, die aufgrund ihrer politischen Beurteilung zum Studium einer bestimmten Richtung abgelehnt werden, auch nicht auf die Angebote zum Studium in Jura, Gesellschaftswissenschaften und Ökonomik eingehen sollen, da diese Fakultäten keine Zukunft hätten.

Der Westberliner Bürgermeister will an Angehörige politischer Häftlinge und »noch in Kriegsgefangenschaft befindlicher« Lebensmittelpakete aushändigen. Sie sollen nach Aufforderung erscheinen und versuchen, diese Pakete den Häftlingen zuzuleiten.

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