Direkt zum Seiteninhalt springen

Zur Beurteilung der Situation

24. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2215 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über die Genfer Konferenz wird nur noch in ganz geringem Umfang diskutiert.1 Der größte Teil der Stimmen ist positiv und nimmt meist zur Abreise Dulles’2 Stellung.3 Ein Kumpel aus dem [Wismut-]Schacht 21 in Annaberg,4 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Dadurch dass Dulles abgehauen ist, können sich die anderen besser verständigen. Das ist für uns ein großer Vorteil. Denn wenn der Ami sich im Osten nicht durchsetzen kann und muss die Stimmen der kleinen Länder anhören, dann muss er auch uns anhören.«

Folgende negative Stimme wurde bekannt: Ein kaufmännischer Angestellter aus Karl-Marx-Stadt (ehemaliges Mitglied der NSDAP): »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass es im Augenblick in der Weltpolitik auf Messers Schneide steht. Die USA werden das ›russische Gesabbel‹ nicht mehr lange mitmachen. Nicht umsonst ist Dulles zurückgefahren und hat den Strohmann Smith5 in Genf gelassen. Das ist der beste Beweis, dass die USA mit dem Genfer Gequatsche Schluss gemacht haben, denn sie können ihre kostbare Zeit nicht dazu verwenden.«

Über wirtschaftliche Probleme wurden vereinzelt Stimmen bekannt, worin die schlechte HO-Fleischversorgung bemängelt wird. Unter den Bauarbeitern der Bau-Union Leipzig – Baustelle Silikat, Werk Bad Lausick,6 herrscht seit einigen Tagen eine schlechte Stimmung. Ursache ist, dass die Arbeiter seit 14 Tagen keine Fleischwaren mehr im HO erhalten. Auch mit Fischwaren werden sie nicht beliefert. Diese Bauarbeiter leben getrennt von den Familien und sind auf zusätzliche Versorgung aus der HO angewiesen. Verschiedene Kumpel von der Maxhütte Unterwellenborn diskutieren, dass diese Erscheinung nur der Anfang wäre und es in den nächsten Monaten überhaupt kein HO-Fleisch mehr gäbe. Insbesondere wird diese Erscheinung im Zusammenhang mit dem bevorstehenden II. Deutschlandtreffen gebracht.7

Zwei Arbeiter aus dem VEB Elektro-Wärmetechnik Sörnewitz, [Bezirk] Dresden, sagten, dass sie an die Schaffung von 100 Wurstsorten nicht mehr glauben,8 da das Sortiment im Moment ab- und nicht zunimmt. Arbeiter im Wasserwerk Hosterwitz, [Stadt] Dresden, diskutieren zur Fleischversorgung: »Die sollen nur oben aufhören, die bringen sowieso nichts zustande.«

Verschiedentlich wurde über betriebliche Belange diskutiert, wie über hohe Normen, Entlassungen, ungünstige Arbeitszeit und Anderes. Im VEB Bau Riesa diskutieren die Maurer negativ über die Normen. Sie sind der Meinung, dass sie zu hoch wären und deshalb wird beim Mauerlegen weniger auf gute Qualität, sondern mehr auf die Erfüllung des Solls geachtet.9

Ähnliche Diskussionen gibt es beim VEB Bau im Kreis Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden.10

Im Chemiewerk Lauta, [Bezirk] Cottbus, äußerte ein Kollege in einer Diskussion: »Es ist alles Mist. Da werden die Normen so hoch geschraubt, dass man kaum noch etwas verdienen kann. Aber wir werden schon verstehen, dass wir zu unserem Geld kommen. Man hat anscheinend den 17. Juni [1953] vergessen. Zum jetzigen 17. Juni funkt es aber anders.«

In der Abteilung Schwefelsäure des Natronwerkes Nünchritz,11 [Bezirk] Dresden, wird in größerem Umfange über die Entlohnung diskutiert, da im Schwefelwerk Heinrichs-Hall12 die Arbeiter nach der Lohngruppe V bezahlt werden, während die Arbeiter von Nünchritz nur die Lohngruppe IV erhalten.

Die Mitteldeutschen Süßwarenwerke Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, erhielten am 15.5.[1954] vom Ministerium für Lebensmittelindustrie die Mitteilung, dass der Plan wesentlich gekürzt werden müsse. Dadurch müssen 200 Arbeiter entlassen werden. Die Werkleitung versucht diese Plankürzung rückgängig zu machen.

In einer Besprechung der Mitropa in Halle wurde von der Leitung unter anderem gesagt, dass das Personal verringert werden müsste. Darauf äußerten einige Kollegen: »Das ist doch schlimmer als in einem Privatbetrieb. Wenn noch Kräfte abgezogen werden, legen wir geschlossen die Arbeit nieder.« Ein BGL-Mitglied äußerte: »Wenn die so weitermachen, wird wieder eine Meuterei entstehen. Der 17. Juni ist bald da.«

Im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« breiten sich unter den Kollegen der Bau-Union Diskussionen über eine neue Arbeitszeitfeststellung immer mehr aus. Sie fordern, dass von 5.30 bis 14.15 Uhr gearbeitet wird, da die jetzige Arbeitszeit von 7.30 bis 16.40 Uhr ungünstig sei. Einige Arbeiter äußerten: »Zu Hause haben wir noch ein Stück Land zu bestellen. Auch kommt manchmal abends der Filmwagen. Deshalb sollte man uns dafür Zeit geben.«

Unter den Bauarbeitern im Kraftwerk Trattendorf, [Bezirk] Cottbus, besteht Unzufriedenheit, da sie die Zusatzkarte »C«13 und Werkküchenverpflegung III erhalten, während die Arbeiter bei den Bauvorhaben der KVP14 Bau-Union Süd Zusatzkarte »A« und besseres Werkküchenessen erhalten.

Bei einem Ausspracheabend der Intelligenz des VEB Maxhütte Unterwellenborn wurde über die Qualitätsverbesserung des Thomasstahles gesprochen und der Hochofenchef kritisiert. Dieser äußerte daraufhin unter anderem: »Die übergeordneten Stellen in Berlin haben keine Ahnung und sind nicht fähig, richtig zu arbeiten. Weiterhin sind die Lieferungen von Koks aus den Volksdemokratien schlecht. Es wird nur Dreck geschickt. Wir würden es ja auch so machen und nicht den besten Koks liefern, wenn wir welchen hätten.« In seiner Meinung wurde er vom technischen Direktor unterstützt.

Im Lehrkombinat der Mathias-Thesen-Werft [Wismar], [Bezirk] Rostock, wollen 30 Jungen und Mädels, die den Schlosserberuf erlernten, in diesem Beruf nicht weiter arbeiten, da keine Arbeit vorhanden sei. In diesem Zusammenhang wird unter den Arbeitern und auch unter der Bevölkerung der Stadt Wismar das Gerücht verbreitet, dass wegen Materialmangel 2 000–4 000 Arbeiter entlassen werden sollen.

Produktionsschwierigkeiten: Im VEB Baumwollweberei in Treuen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, besteht ein Planrückstand von ca. 420 000 qm Gewebe, da es an Material mangelt.15

Große Absatzschwierigkeiten hat der VEB Gummiband und Gurtweberei Pulsnitz, [Bezirk] Dresden, da das Großhandelskontor die abgeschlossenen Verträge nicht einhält. Dies wird damit begründet, dass der DIA Berlin gleiche Ware, die aus Westdeutschland stammt, ohne Verständigung der Großhandelskontore an die HO und den Konsum gegeben hat.16

Produktionsstörungen: Am 22. Mai 1954 fiel im Kalk-Ammon-Werk des Elektrochemischen Kombinates Bitterfeld ein Salpetersäurebehälter aus. Diese Anlage wurde erst am 21.5.[1954] in Betrieb genommen. Schaden: ca. 15 000 DM. Die Untersuchungen laufen.

Im Braunkohlenwerk Sedlitz,17 [Bezirk] Cottbus, stießen am 20.5.[1954] zwei beladene Kohlenzüge zusammen. Schaden: ca. 25 000 DM. Ursache: falsche Weichenstellung. Ermittlungen werden noch geführt.

Anlässlich eines Besuches einer westdeutschen Delegation im VEB Deutzen,18 [Bezirk] Leipzig, wurde von einigen Kollegen negativ über die Verhältnisse in der DDR diskutiert. Ein Ingenieur aus dem Konstruktionsbüro mit einem Einkommen von 1 000 DM erklärte, dass die Lebensbedingungen in Westdeutschland weit günstiger wären als in der DDR. Ein Arbeiter aus der Werkstatt des Betriebes wollte den Besuchern beweisen, dass in der DDR nur Schund hergestellt wird. Er bezeichnete ebenfalls die Lebensbedingungen in Westdeutschland besser als in der DDR. Ein Jugendlicher des Betriebes versuchte mit der Delegation die Republik zu verlassen, um mit nach Westdeutschland zu gehen.

Handel und Versorgung

Über eine ungenügende Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren berichten die Bezirke Gera, Suhl, Halle, Karl-Marx-Stadt und Dresden. Wie sich das mitunter auswirkt, zeigt folgendes Beispiel: In Riesa, [Bezirk] Dresden, standen vor Geschäftsbeginn eines HO-Fleischladens ca. 100 Personen. Die Fleischwaren reichten jedoch nur für ca. 13 Käufer.

Im Kreis Geithain, [Bezirk] Leipzig, bestehen Schwierigkeiten in der Abnahme von Schlachtvieh. Es kommt vor, dass bei dem wöchentlich stattfindendem Schlachtviehmarkt 40 bis 50 Schweine zurückbehalten werden müssen, weil der Konsum, die HO und die Fleischgenossenschaft keine Unterbringungsmöglichkeiten haben.

Im Kreis Borna, [Bezirk] Leipzig, ist der Fleischanfall größer als der Umsatzplan vorsieht. Im Hauptlager der Konsumgenossenschaft ist das Kühlhaus voller Fleisch und größere Mengen sind schon verdorben.

In Bestensee, [Bezirk] Potsdam, beschwert sich die Bevölkerung über den Verkauf von Butter, die nach drei Tagen schwarze Flecke bekommt und ungenießbar wird. Dazu äußerte eine Verkäuferin von der Konsumverkaufsstelle: »Das wird Butter sein, die in den Wintermonaten zu viel eingelagert wurde.«

Landwirtschaft

Zu politischen Tagesfragen wird in geringem Maße Stellung genommen, meist nur in den Kreisen des sozialistischen Sektors. Die Einzelbauern äußern sich dazu kaum. Folgendes Beispiel ist für ihre Einstellung typisch. Ein Bauer aus Wellmitz, [Bezirk] Frankfurt: »Was interessiert mich schon die Genfer Konferenz, die können so viel beraten. Unter einen Hut kommen sie doch nicht. Und Futter für mein Vieh können sie mir auch nicht beschaffen.«19

Ganz vereinzelt wird über die Genfer Konferenz gesprochen, überwiegend positiv. Ein Arbeiter von einer MTS aus dem Kreis Karl-Marx-Stadt: »Der amerikanische Außenminister Dulles ist abgereist. Dadurch werden die Verhandlungen eher von Erfolg sein. Es wäre zu begrüßen, wenn in Indochina der Krieg aufhört.«

Nach wie vor stehen im Mittelpunkt des Interesses wirtschaftliche und persönliche Belange. Dabei werden die meisten Gespräche über die Futtermittelknappheit und die Düngemittelbeschaffung geführt. Zum Beispiel erklärte der Kreistierarzt von Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl: »Mir wird angst und bange, wenn ich die Ställe unserer Bauern mit dem vielen Vieh betrachte, welches zum Teil unterernährt ist. Der größte Teil der Notschlachtungen, besonders bei Rindvieh, wird durch das fehlende Kraftfutter hervorgerufen.«

Der Vorsitzende der VdgB in Weißandt, [Bezirk] Halle: »Die Düngerversorgung wird von Jahr zu Jahr schlechter. Wenn man eine gute Ernte erreichen will, müsste man 20 Prozent mehr Dünger auf die Felder bringen. Auch die Planung für die Haltung des Viehbestandes steht im Widerspruch mit unseren Verpflichtungen in der Getreideproduktion.«20

Von den MTS

In der MTS Heiligengrabe, [Bezirk] Potsdam, ist man mit dem Anbauhackgeräten für den Traktor »Aktivist« nicht zufrieden, dazu äußerte der Leiter der MTS: »Die Anbauhackgeräte sind nicht stabil genug gebaut und verbiegen sich schon bei der kleinsten Gelegenheit.«

Der MTS Gora,21 [Bezirk] Halle, fehlen Ersatzteile für den sowjetischen Schatzgräber22 und für die Reparatur von Bindern werden Unterlegscheiben benötigt.

Verschiedentlich wurden den MTS im Kreis Bad Liebenwerda,23 [Bezirk] Cottbus, die Investmittel für den Bau von Hallen für die Unterbringung von Maschinen und Traktoren gestrichen. Dazu äußerte der Leiter der MTS Martinskirchen: »Es ist ein Trauerspiel, seit einem ¾ Jahr kämpfen wir in der Station schon darum, größere Räume bauen zu können. Die Industrie hat uns jetzt gut mit Maschinen beliefert, aber die Unterbringungsmöglichkeiten fehlen. Wenn die Maschinen über den Winter draußen stehen müssen, können wir sie im nächsten Jahr verschrotten. Ich kann die Verantwortung bald nicht mehr tragen und möchte am liebsten den Krempel hinschmeißen, weil man von keiner Seite in dieser Frage Unterstützung bekommt.«

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt: Ein Bauer aus Zemmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Wenn die Bauern weiter so schikaniert werden und ihnen das Leben schwer gemacht wird, bekommen wir bald einen 17. Juni [1953] wieder.« Ein LPG-Bauer aus Rappenhagen, [Bezirk] Rostock: »Früher als Einzelbauer habe ich noch ganz gut gewirtschaftet, aber jetzt ist es nur noch so viel zum Leben. Der Wohlstand bleibt auch nur in der Zeitung stehen, in Wirklichkeit merkt man nichts davon.«

Übrige Bevölkerung

In der Stimmung der Bevölkerung ist keine wesentliche Veränderung zu verzeichnen. Es wird nach wie vor nur wenig zu den aktuellen Problemen Stellung genommen. Das Interesse an der Genfer Konferenz lässt weiter nach und bewegt sich in demselben Rahmen, wie wir bereits an den Vortagen berichtet haben.

Über den Mangel an HO-Fleischwaren berichten uns die Bezirke Gera, Magdeburg, Dresden, Halle und Suhl, einige negative Äußerungen der Hausfrauen wie folgt: Eine Hausfrau aus Freital, [Bezirk] Dresden, sagt: »Das hängt mit dem Jugendtreffen zusammen,24 da wird alles gestapelt, nachher ist wieder alles da.« Eine andere Hausfrau äußerte sich folgendermaßen: »Bei uns gibt es nur Schwierigkeiten. Im Westen ist alles da, weil die für die Bevölkerung sorgen.« Wieder eine andere Frau aus Meißen, [Bezirk] Dresden, meinte: »Ich möchte nur wissen, was das wieder ist, denn ich kann mir nicht denken, dass die einzige Ursache das Treffen in Berlin sein soll.«

Wirtschaftliche Fragen

Ein Polsterer aus Stadtroda, [Bezirk] Gera, beschwert sich darüber, dass die Handwerksgenossenschaft für Leder- und Textilwaren den Polsterern statt Sackleinwand neue Zucker- und Mehlsäcke liefert. Mit dieser Vergeudung entsteht nicht nur ein Schaden, sondern auch eine Verteuerung der Polstermöbel, zumal die Säcke das Stück 4,70 [DM] kosten und für die Arbeit erst aufgetrennt und dann wieder zusammengesetzt werden müssen.

In verschiedenen Kreisvorständen der NDPD des Bezirkes Erfurt werden rege Diskussionen über die Worte Walter Ulbrichts25 geführt, die er auf dem IV. Parteitag26 über die NDPD sagte. Genosse Ulbricht soll gesagt haben, die NDPD sei eine kleinbürgerliche Partei und darüber sind die Mitglieder entrüstet. Sie fühlen sich zu den Mitarbeitern hingezogen bzw. zur Arbeiterklasse und fühlen sich als eine nationale und keine bürgerliche Partei.27 Ferner behaupten diese Mitglieder der NDPD, dass die Bezeichnung durch Walter Ulbricht eine Spaltung der Partei herbeiführen könnte.

Ganz vereinzelt spricht man über einen neuen 17. Juni [1953]. Hierzu äußerte sich ein Gewerbetreibender aus Karl-Marx-Stadt: »Der 17. Juni 1953 war nur der Polterabend, die Hochzeit findet noch statt.«

Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, beschwert man sich darüber, dass die Varieté-Einlagen im Centraltheater wiederholt Einrichtungen und Organe der DDR verunglimpfen.

Die leitenden Fachärzte des St.-Georg-Krankenhauses in Leipzig führen Beschwerde über die Behandlung seitens des Ministeriums für Gesundheitswesen. Es sind Missstände entstanden, die das Vertrauen dieser Ärzte zu unserem Staate untergraben,28 wie folgendes Beispiel zeigt. Dr. [Name 1], Facharzt für Chirurgie und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Mörl,29 sagte in Bezug auf diese Behandlung: »Aus all diesen Dingen muss man zu der Annahme kommen, dass unsere Arbeit und unsere Leistungen vom Staat nicht anerkannt werden.« Prof. Dr. Mörl, leitender Arzt für die Abteilung Chirurgie, Spezialist für Lungen und Magenoperationen im DDR-Maßstab, brachte seine Unzufriedenheit wie folgt zum Ausdruck: »Wenn das so weitergeht und keine Veränderung in nächster Zeit erfolgt, dann werde ich meine Konsequenzen ziehen.«

Es besteht die Gefahr, dass solche Spezialisten wie Dr. Mörl und andere das Krankenhaus, möglicherweise die DDR, verlassen. Die Beschwerden richten sich gegen die Entlohnungen, die in keiner Weise zu den Leistungen und zu den Vereinbarungen des Rahmenkollektivvertrages stehen sollen. So erhält z. B. Prof. Dr. Keller30 als Chefarzt mit voller Verantwortung für das Krankenhaus mit 1 400 Patienten ein monatliches Gehalt von 2 200 DM. Nach den Bestimmungen des Rahmenkollektivvertrages sollen ihm aber 4 000 DM zustehen. Eine besondere Verärgerung hat die Streichung der Stundenlöhne für den Nachteinsatz hervorgerufen, wonach diese Ärzte für die Nachtarbeit bzw. Nachteinsätze ab März nur noch DM 6,00 erhalten.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD:31 Rostock 100, Karl-Marx-Stadt 465, Potsdam 6 010, Dresden 95.

NTS:32 Neubrandenburg 754, Dresden 450, Erfurt ein Ballon voll, Gera meldet verstärkte Flugblattaktion, Zahlen noch nicht bekannt.

CDU: Potsdam 1 500, Dresden einige.

KgU:33 Neubrandenburg 175, Rostock einige, Potsdam 2 000.

In tschechischer Sprache: Suhl und Karl-Marx-Stadt einige, Cottbus 1 500, Halle 500, Leipzig 12 500, Dresden 1 660.

ZOPE:34 Frankfurt 22 000, Suhl einige.

Verschiedene: Cottbus 1 000, Erfurt 3 000.

Postsendungen: Hetzbriefe Potsdam 1.

Inhalt: Aufforderung an die Jugend, nach Westberlin zu kommen, »Es gibt nur einen Staat«, »Parteitag der Schwäche«, »Langsam arbeiten«, Hetze gegen ČSR-Wahlen35 und gegen Viermächtekonferenz.36

Auf einem Kohlenhunt37 im VEB Steinkohlwerk Freital, [Bezirk] Dresden, wurde die Parole »Wir fordern Lohnerhöhung« angebracht. In Hennickendorf, [Bezirk] Frankfurt, wurde an einem Anschlagbrett die Überschrift aus dem »Neuen Tag«38 »Entreißt den Kriegsverbrechern die Atomwaffen« ausgestrichen und darüber geschrieben »Und gebt sie der friedliebenden SU«.

Auf einer Schiffplanke in Boizenburg/Elbe wurde die Hetzparole »[Name 2] du Normenbrecher«, »Du Menschschinder« angebracht. Bei [Name 2] handelt es sich um eine Jugendbrigade, die ihre Norm erhöht und die Zeit für das Deutschlandtreffen im Voraus abgearbeitet hat.

Aus Jura,39 [Bezirk] Gera, wird berichtet, dass dort ein Gerücht verbreitet wird über den Umlauf eines sogenannten Wismutgeldes. Es soll sich um DM Scheine ab 5,00 DM aufwärts handeln, die links vor der roten Nummer eine kleine zwei- bis dreistellige graugrüne Zahl aufweisen.

In Neuseddin, [Bezirk] Potsdam, wurde ein Transparent mit einer Hetze, die sich gegen die Freunde richtet, beschmiert.

In der Hauptverwaltung des Objektes Gera40 sind sämtliche Wandzeitungen (drei Stück) heruntergerissen worden.

Vermutliche Feindtätigkeit

In der Destillationsanlage des Hydrierwerkes Rodleben,41 [Bezirk] Halle, wurden 5 000 kg Catatol42 im Werte von DM 20 000 DM angeblich irrtümlicherweise in die Elbe abgelassen. Dieses Rohprodukt wird aus Norwegen eingeführt und in Werken der DDR verarbeitet.

VEB Wema Aschersleben, [Bezirk] Halle, meldet 100 erkrankte Werktätige durch Sülze. Die verdorbene Sülze wird vom bakteriologischen Institut Dessau untersucht.

Im VEB IFA-Phänomenwerk Kamenz,43 [Bezirk] Dresden, sind durch Gussstaub und Späne vier Motoren ausgefallen. Bei einer Überprüfung stellte ein Ingenieur fest, dass bei drei dieser Motoren die oben angeführten Teile hereinfallen könnten, bei dem 4. sei dies aber ausgeschlossen.

Auf einem Luzernenfeld der LPG Mehltheuer, [Bezirk] Dresden, wurden Verwüstungen festgestellt, die vermutlich auf die Einwirkung von Chemikalien zurückzuführen sind. In ca. 2 m Länge ziehen sich 10 bis 15 cm breite Streifen vergilbter Luzerne durch das Feld.

Aus der Westpresse

Der »Telegraf«44 vom 22.5.1954 macht Stimmung gegen das II. Deutschlandtreffen. In einem Artikel mit der Überschrift: »Unter Bewachung«45 wird behauptet, bei jedem FDJ-Transport wären angeblich 50 bis 75 Volkspolizisten zur Bewachung und Kontrolle der FDJler.

Die »Neue Zeitung« vom 22.5.1954 hetzt gegen Wismut und FDGB und macht Stimmung für »Protestaktionen« der Bergarbeiter und für Nichtbezahlung der FDGB-Beiträge. Unter anderem wird behauptet: »In mehreren Objekten des … Uranbergbaues ist es … zu Protestaktionen der Bergleute gegen die Besteuerung der bisher freien Sonderprämien gekommen.« Schon seit Monaten hat der größte Teil der Uranbergarbeiter keine FDGB-Beiträge mehr bezahlt.

Einschätzung der Situation

Die Diskussionen zu politischen Problemen gehen weiter zurück, sie haben nur noch geringen Umfang und sind überwiegend positiv. Vorwiegend unter der Jugend stehen jetzt die Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen im Vordergrund, die Ergebnisse sind noch recht unterschiedlich, oft wird die politische Bedeutung zu wenig erkannt.

Wirtschaftliche Fragen und Schwierigkeiten in der Produktion, in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelindustrie bzw. -versorgung stehen oftmals im Mittelpunkt des Interesses. Dabei zeigt sich in den dabei teilweise negativ zutage tretenden Stimmen vielfach der Einfluss des RIAS auf die Bevölkerung.

Anlage vom 24. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2215

Über das II. Deutschlandtreffen der FDJ

Allgemein ist die Stimmung der Jugendlichen, die am II. Deutschlandtreffen teilnehmen werden, als gut zu bezeichnen. Jedoch ist das Interesse nicht so groß wie bei den Weltfestspielen.46 Die übrige Bevölkerung zeigt wenig Interesse. Die bekannt gewordenen positiven Stimmen sind meist von organisierten Jugendlichen. Ein Jugendlicher vom VEB Märkische Ölwerke Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »Ich begrüße besonders, dass die Jugend aus Westdeutschland an diesem großen Treffen teilnimmt. Dadurch haben sie die Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, was bei uns für die Jugend getan wird und dass die Jugend in der DDR den Willen hat, die Einheit Deutschlands herzustellen bzw. dafür zu kämpfen.«

Ein FDJler aus dem Kreis Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt: »Ich fahre mit großer Freude und Erwartung nach Berlin, um dort neue Kraft für die weitere FDJ-Arbeit zu bekommen.« Ein Traktorist (FDJ) von der MTS Frankfurt/Oder: »Das Deutschlandtreffen hat eine große Bedeutung für den Frieden und die Einheit Deutschlands. Viele Jugendliche aus Westdeutschland werden daran teilnehmen, das beweist die Bildung eines Ausschusses westdeutscher Jugendlicher in Düsseldorf für das Deutschlandtreffen.«47

Die gering bekannt gewordenen negativen Stimmen drücken zum Teil eine Interesselosigkeit aus und zum anderen zeigt sich eine feindliche Beeinflussung. Ein Jugendlicher aus Frankfurt/Oder: »Wegen mir können zehn Deutschlandtreffen durchgeführt werden, das interessiert mich nicht, ich fahre ja doch nicht mit.«

Eine Jugendliche von der Schuhfabrik »Roter Stern« in Burg, [Bezirk] Magdeburg, ließ sich erst eintragen in die Teilnehmerlisten und kurze Zeit später wieder streichen mit der Begründung, dass ihr Vater noch in der Sowjetunion sei und sie nicht wüsste, warum er überhaupt drüben festgehalten würde. Aus dem Grunde will sie nicht am Deutschlandtreffen teilnehmen.

Eine Interesselosigkeit zeigt sich besonders an den Ober- und Hochschulen. Zum Beispiel meldeten sich an der Oberschule in Calbe, [Bezirk] Magdeburg, von 250 Schülern bis jetzt erst fünf zur Teilnahme. Von 200 Jugendlichen an der Oberschule Barby, [Bezirk] Magdeburg, trugen sich bis jetzt erst 35 in die Teilnehmerlisten ein. In der Karl-Marx-Oberschule in Rostock waren für die Teilnahme 40 Jugendliche geplant, trotz aller Bemühungen haben sich nur sieben bereiterklärt. In der Universität Greifswald, [Bezirk] Rostock, begründen Studenten ihre Nichtbeteiligung damit, dass sie dadurch in ihren Prüfungen gestört werden, wenn ihnen Stunden ausfallen.

Des Öfteren lehnen Jugendliche ab, nach Berlin zu fahren, mit der Begründung, dass sie befürchten, nach Westberlin geschickt zu werden und es dort zu Auseinandersetzungen kommt.48 Ein Jugendlicher von der Mathias-Thesen-Werft [Wismar], [Bezirk] Rostock: »Wozu sollen wir zum Deutschlandtreffen fahren, nachher werden wir wieder nach Westberlin geschickt und es gibt wieder Prügel.« Ein Jugendlicher aus Gräfenthal, [Bezirk] Suhl: »Ich fahre nicht mit nach Berlin, denn dort gibt es bestimmt Schlägerei und Schießerei.« Ein Jugendlicher aus Steinbach, [Bezirk] Leipzig: »Es ist besser, man fährt nicht mit, denn dort gibt es bestimmt Reibereien zwischen dem Osten und dem Westen.«

Zum anderen ist zu verzeichnen, dass ein Teil der Jugendlichen nur mitfahren will, um sich Westberlin anzusehen. So erklärte zum Beispiel eine Jugendliche vom VEB Modul in Karl-Marx-Stadt:49 »… da kommen wir wenigstens einmal billig nach Berlin und können in Westberlin einkaufen.« Eine Jugendliche vom VEB Ifa-Mercedes-Benz-Reparaturwerkstatt in Zwickau: »Ich fahre mit zum Deutschlandtreffen, denn das ist eine günstige Gelegenheit, mal nach dem Westen zu gehen und dort einzukaufen. Für DM 15,00 kommt man nicht gleich wieder nach Berlin.«50

Mängel und Schwierigkeiten in der Arbeit der FDJ-Kreisleitungen bei den Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen: Die FDJ-Kreisleitung Pirna, [Bezirk] Dresden, nahm die Aufstellung der 50er-Gruppen formal vor. Es waren Jugendliche dafür vorgesehen, die nicht mit nach Berlin fahren.

Im Kreis Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, ist die Durchführung der öffentlichen Jugendversammlungen anlässlich des Deutschlandtreffens noch sehr mangelhaft. Von 50 vorgesehenen wurden erst 22 Versammlungen durchgeführt. (Es fehlt auch die Unterstützung der Partei.)

In der FDJ-Kreisleitung Neubrandenburg/Land bestehen Schwierigkeiten bei der Durchführung von Instrukteurseinsätzen. Es mangelt an Benzin für die Fahrzeuge. Zum anderen verfügt die Kreisleitung nur über eine Schreibkraft (schreibt nicht perfekt).

  1. Zum nächsten Dokument Zur Beurteilung der Situation

    25. Mai 1954
    Informationsdienst Nr. 2217 zur Beurteilung der Situation

  2. Zum vorherigen Dokument Zur Beurteilung der Situation

    22. Mai 1954
    Informationsdienst Nr. 2214 zur Beurteilung der Situation