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Zur Beurteilung der Situation

8. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2201 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Fragen wird allgemein unter den Arbeitern wenig diskutiert. Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht weiterhin die Genfer Konferenz.1 Ein großer Teil der Stimmen ist positiv. Man erhofft von der Konferenz Beschlüsse zur Erhaltung des Friedens, vereinzelt zur Beseitigung der Konflikte in Ostasien. Die Diskussionen über die Abreise Dulles’2 haben etwas zugenommen.3 Darin wird erklärt, dass man neue Hoffnungen auf eine Einigung in Genf hegt. Im Zusammenhang mit Dulles’ Abreise wird über die Widersprüche, besonders zwischen England und Frankreich einerseits und den USA andererseits, gesprochen und erhofft, dass dadurch die USA in Genf eine Schlappe erleiden werden.

Teilweise äußert man sich zustimmend zu den Vorschlägen der Sowjetunion und der demokratischen Staaten.4 Der überwiegende Teil von Stimmen stammt von Arbeitern, geringer von Angestellten. Die Intelligenzler äußern sich nur sehr vereinzelt. Ein Polier vom VEB Energieverteilung Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe die größte Hoffnung, dass sich in Genf die Außenminister auch ohne Dulles einig werden und es fertigbringen, dass es keinen Krieg mehr gibt.«

Ein Arbeiter vom VEB Druckmessgerätebau in Ilmenau, [Bezirk] Suhl: »Die Aussichten in Genf sind bedeutend besser geworden, weil Dulles abgereist ist und dadurch durch die Anwesenheit Chinas größere Möglichkeiten bestehen, um eine Entspannung herbeizuführen.«

Ein Angestellter aus dem Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin«, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Die Verhandlungen haben gezeigt, dass östlicherseits viele Vorschläge zu einer Entspannung gemacht wurden. Vom Westen kam jedoch immer nur ein ›NO‹.«

Teilweise wird an einem Erfolg der Konferenz gezweifelt, indem Vergleiche mit der Viererkonferenz in Berlin gezogen werden, die »ebenfalls nichts gebracht hat«.5 Eine Arbeiterin aus der Konservenfabrik Frankfurt/Oder: »Jeden Tag liest man über diese Konferenz. Nicht anders war es zur Berliner Konferenz. Doch sie ist leider auch gescheitert. Wenn der Ami nicht will, können die anderen westlichen Staaten auch nichts machen.«

In negativen Diskussionen, die ganz vereinzelt bekannt wurden, erwartet man, dass die USA ihre Politik in Genf durchsetzen werden.

Ein Meister aus dem VEB Baumwollspinnerei Karl-Marx-Stadt: »Die Konferenz wird vom Amerikaner bestimmt. Man soll ihn nicht für dumm halten. Wenn auch bei uns in der Zeitung steht, dass sich der Westen nicht einig ist, sie machen doch, was der Ami will.«

Ein Schlosser aus dem Wismut-Schacht Lichtenberg,6 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Da jetzt Dulles wieder abgereist ist, wird bei den Verhandlungen sowieso nichts herauskommen.« Ein Angestellter aus dem VEB Greizer Spinnstoffwerk in Blankenstein,7 [Bezirk] Gera: »Die Genfer Konferenz ist doch alles Quatsch. Da spricht kein vernünftiger Mensch darüber.«

Zum 8. Mai [1954] wird unter den Werktätigen nur ganz vereinzelt Stellung genommen. Ebenfalls wurde über die Vorbereitungen zum Feiertag lediglich aus dem Bezirk Halle allgemein positiv berichtet. Aus dem Bezirk Schwerin wurde folgende negative Stimme bekannt. Eine Kollegin aus dem VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, Abteilung KA 1, erklärte zu einigen Kollegen der Abteilung, dass der 8. Mai [1954] für sie »keine Gründe hat zu demonstrieren«. Dazu äußerten einige Kollegen: »Wenn vom Werk aus demonstriert wird, dann machen wir eben mit, aber nur weil man muss.«

Über die VII. Internationale Friedensfahrt8 und über die Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen der Freien Deutschen Jugend9 wurden nur einzelne Stimmen bekannt. Darüber wird im Anhang berichtet.

Missstimmung wurde aus einigen Betrieben über Prämienverteilung, Lohnrückstufung, Normenerhöhung, schleppender Bearbeitung von Verbesserungsvorschlägen und Materialmangel bekannt. Im VEB Elektro-Apparate-Werk »J. W. Stalin« herrscht unter der technischen Intelligenz im zentralen Konstruktionsbüro eine schlechte Stimmung, da infolge Nichterfüllung des Planes keine Quartalsprämien gezahlt werden. In der »Berliner Zeitung« wurde berichtet, dass der Plan übererfüllt ist.10 Deshalb hatten die Kollegen auf eine Prämie gerechnet.

Im »Ernst-Thälmann«-Werk in Magdeburg11 sind die Kollegen der Abteilung Technische Kontrolle darüber verärgert, dass die Quartalsprämie für das I. Quartal 1954 nur an Angestellte ausgezahlt wird. Die Kollegen der Kontrolle sind keine Angestellten und erhalten deshalb keine Prämie, obwohl sie dieselbe Arbeit verrichten.

Am 6.5.1954 wurde im VEB Bleichert [Transportanlagenfabrik] in Leipzig in der Abteilung Technologie sieben Kollegen die Quartalsprämie gestrichen. Darüber wurde heftig diskutiert. Einige Arbeiter aus der Produktion sagten dazu: »Als wir SAG waren, da ging es. Jetzt sind wir VEB, da baut man die Löhne ab. Die Stimmung ist wie kurz vor dem 17.6.1953.«12

Im VEB 7. Oktober in Berlin13 wurde eine Berichtigung der Lohngruppen durchgeführt. Diese Maßnahme wurde von den Drehern abgelehnt, weil in vielen Fällen ein Lohnrückgang von ca. 100 DM eintrat. Aufgrund der Proteste der Dreher wurde die Anweisung rückgängig gemacht.

Die Angestellten der Fotovertriebsabteilung im VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera, sind über ihre Gehälter unzufrieden. Ein parteiloser Kollege äußerte dazu: »Schaut doch mal unsere Gehälter an. Im Westen würde man streiken. Kann man das bei uns? Man sagt zwar, ihr könnt doch nicht gegen den Arbeiterstaat streiken. Wie kommen wir aber zu unserem Recht?«

Bei der Baustelle Ludwigsfelde der Bau-Union Potsdam sollen wegen zu hoher Normenübererfüllung die Normen heraufgesetzt werden. Darüber sind die Bauarbeiter empört. Ein Brigadier sagte: »Nach Rücksprache mit den Kollegen kann man die Norm nicht heraufsetzen, denn sonst würde man ihnen die Arbeitsfreudigkeit nehmen. Das Geld, was wir mehr verdienen, wenn die Norm bestehen bleibt, kommt doch dem Volke wieder zugute.«

Ein Bahnmeister von der Bahnmeisterei Henningsdorf, [Bezirk] Potsdam, hatte am 28.3.1954 an das Büro für Erfindungswesen drei Verbesserungsvorschläge eingereicht, jedoch bisher noch nichts davon gehört, ob sie brauchbar sind oder nicht. Darüber werden negative Diskussionen in der Bahnmeisterei geführt.

Unter den Bus-Fahrern in Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, besteht eine schlechte Stimmung, weil die Reifen sehr schadhaft sind. Oftmals müssen sie in der Nacht bzw. in einer Schicht 3- bis 4-mal Reifen montieren.

Produktionsschwierigkeiten traten wegen mangelhafter Materiallieferung, Absatzschwierigkeiten und Rohstoffmangel auf. Im VEB Werk für Signal- und Sicherungstechnik Berlin konnte der Plan im April nicht erfüllt werden, da die Zubringerbetriebe die Einzelteile nicht pünktlich lieferten. Außerdem besteht für das Jahr 1954 ein Auftragsmangel für etwa 6 Millionen Mark. Wenn keine Aufträge erfolgen, müssen im Juni oder Juli mindestens 700 Kollegen entlassen werden.

Im VEB Schering Berlin stockt die Hexa-Produktion (Pflanzenschutzmittel), da die Benzol-Lieferungen ausbleiben. Vom Pflanzenschutzmittel »Gesarol«14 liegen 40 000 t bei der DHZ fest.

Im VEB »Delicata« Dresden müssen infolge Kürzung des Fleischkontingents ca. 40 Prozent der Belegschaft (90 Arbeiter) entlassen werden.

Massenerkrankungen: Am 6.5.1954 erkrankten etwa 35 Kollegen des VEB Leipziger Eisen- und Stahlwerke, Werk Mölkau, an Durchfall nach dem Genuss des Betriebsessens. Die Untersuchungen werden noch geführt.

Handel und Versorgung

Der VEB Phänomen-Werk Bautzen, [Bezirk] Dresden, hat mit der DHZ Karl-Marx-Stadt einen Vertrag über 10 000 Bügelbretter abgeschlossen, diese werden mit der Bahn nach Karl-Marx-Stadt gebracht und von dort aus gehen sie zu den einzelnen Kleinhändlern, auch nach Bautzen. Dazu äußerte ein Geschäftsmann aus Bautzen: »Von den 15 Stück gelieferten Bügelbrettern kann ich nur sechs Stück verkaufen, da sie durch den Transport dermaßen beschädigt sind, dass ich sie wieder zurückschicken muss.«

Im Kreis Potsdam bestehen Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren (von 20 Tonnen Auflagesoll wurden nur 4 Tonnen geliefert). Die Auswirkung: In verschiedenen Dörfern des Kreises kommt nur noch eine Sorte Wurst zum Verkauf. Darüber kommt es zu Diskussionen, wie z. B.: »Ein Jahr ging es gut, nun kommt der Juni wieder«. Die leitenden Angestellten von Handel und Versorgung wurden auf diese Mängel aufmerksam gemacht. Sie bemerkten dazu: »Die Regierung weiß doch Bescheid, die Anordnungen kommen doch von oben, wir können nichts daran ändern.«

Landwirtschaft

Unter der Landbevölkerung wird wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen. Zur Genfer Konferenz wurden nur in geringem Maße Stimmen bekannt, meist positiv. Verschiedentlich wird zum Ausdruck gebracht, dass die Abreise Dulles’ die Widersprüche zwischen den Westmächten aufzeigt. Ein Landarbeiter aus Burkhardtsgrün, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das Dulles abgehauen ist, beweist mir, dass keine gleiche Meinung mehr unter den drei Westmächten besteht. Das müsste allen Menschen zu denken geben.«

Verschiedentlich kommt es zu skeptischen Äußerungen, die zum Ausdruck bringen, dass die Genfer Konferenz nicht viel anders wie die Berliner Konferenz verlaufen wird. Ein Bauer aus Zwethau, [Bezirk] Leipzig: »Auf der Außenministerkonferenz haben sie nichts geschafft und sie gehen in Genf auch wieder so auseinander. Die Außenminister sind sich nur beim Essen und Trinken einig.«

Nur ganz vereinzelt wurden negative Stimmen zur Konferenz bekannt. Ein Bauer aus Naundorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Verhandlungen in Genf sind ein einziges Fiasko, denn Dulles ist doch schon abgereist. Ich habe den Eindruck, dass eine Auseinandersetzung unvermeidlich ist, der Krieg kommt so oder so. Beide Seiten arbeiten doch durch ihre Rüstung darauf hin.«

Zum Tag der Befreiung15 wird fast gar nicht Stellung genommen. Ein Bauer aus Arensdorf, [Bezirk] Frankfurt, äußerte dazu: »Wir müssen der SU dankbar sein, dass sie uns Land und Maschinen gab und dass sie für die Erhaltung des Friedens eintritt.«

Nach wie vor besteht das Interesse vorwiegend für wirtschaftliche Probleme, deshalb wird mehr über diese Fragen gesprochen. Zum Beispiel äußerte ein Bauer aus Klein-Schauen, [Bezirk] Frankfurt, über die Futterknappheit: »Man macht so viel Sache um die politischen Dinge. Es ist wichtiger, Futter für das Vieh heranzuschaffen, denn trotz der Feierlichkeiten brüllt das Vieh im Stall, weil es Hunger hat.« Ein Bauer aus Fürstgen,16 [Bezirk] Dresden: »Die LPG bekommen laufend Futtermittelzuteilungen, aber an die Einzelbauern wird nicht gedacht, wir müssen doch genau wie die LPG das Soll erfüllen, das ist eine Ungerechtigkeit vonseiten des Staates.«

Die Wildschweinplage nimmt in der Gemeinde Gröbern, [Bezirk] Halle, wieder zu. Zum Beispiel wurden einem Bauern zwei Morgen Gemenge und einem anderen ¼ ha Luzerne und ¼ ha Kartoffeln umgewühlt.

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Eine Bäuerin (ehemals Leiter der NS-Frauenschaft)17 aus Petersdorf, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Großbauern müssen Margarine und Marmelade essen, wir können unser Soll erfüllen, getrauen uns aber kaum noch auf die Straße, weil die Großbauern ein höheres Soll haben und viel schlechter leben. Eigentlich müssten sie Aktivisten werden, weil sie am meisten leisten.«

Ein Bauer (SED) aus Welzin, [Bezirk] Neubrandenburg, sagte in einer Leitungssitzung der Parteiorganisation Welzin: »Was hier gesagt wird, dass in Westdeutschland Atomgeschütze stationiert sind, das stimmt nicht.18 Ihr behauptet etwas, was ihr selbst gar nicht gesehen habt. Ich werde mich nicht eher an der Parteiarbeit beteiligen, bis das Ablieferungssoll der Einzelbauern mit dem der LPG-Bauern gleichgestellt ist.«

Übrige Bevölkerung

Zu den politischen Tagesfragen wird unter der übrigen Bevölkerung nur wenig Stellung genommen. Über die Genfer Konferenz wurde in ganz geringem Umfang, meist positiv, diskutiert. Die meisten dieser Gespräche brachten die Genugtuung über die Uneinigkeit im kapitalistischen Lager und die Schwäche der USA zum Ausdruck. Ein parteiloser Angestellter beim Kreisgericht in Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärte: »Mit der Abreise Dulles’, hat Dulles einen seiner größten Rückzieher überhaupt machen müssen. Es sieht fast so aus, als wenn sich nun auch Großbritannien und Frankreich von der kriegslüsternen Politik der USA differenzieren. Nach meiner Meinung ist gerade dies der größte Schlag für die USA nach dem Sieg der chinesischen Volksrevolution.«

Ganz vereinzelt wurden uns negative Stimmen bekannt. Ein Einwohner aus Frankfurt/Oder: »Sind die Vertreter Vietnams und anderer asiatischer Staaten mehr als wir? Aber die Deutschlandfrage wird genauso ungelöst bleiben, wie diesmal in Genf keine Einigung zustande kommt. Das Debattieren geht von einer Konferenz zur anderen weiter, weil die Westmächte stur auf ihrem Standpunkt beharren.«

Zur Fleischverknappung wird verschiedentlich negativ diskutiert und teilweise im Zusammenhang mit dem Deutschlandtreffen gebracht. Die Diskussionen, dass das HO-Fleisch für das II. Deutschlandtreffen zurückbehalten wird, entstehen oft durch die Auskünfte der HO-Verkäuferinnen. In einer Verkaufsstelle in Brandenburg bekommen die Kunden z. B. immer wieder zur Antwort, dass das Fleisch für die bevorstehenden Treffen der FDJ gebraucht und zurückbehalten wird.

Eine Hausfrau aus Potsdam: »Das geht bis nach Pfingsten, denn jetzt kommen doch die jungen Kommunisten nach Berlin und da wird allerhand gebraucht.«

Ein Zahnarzt aus der Poliklinik Templin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Fleischknappheit kommt ja nur daher, weil die Russen ihre Truppen in Deutschland verstärken.«

Über das II. Deutschlandtreffen wurden nur vereinzelt, teils positive, teils negative Stimmen bekannt. Das Interesse der FDJler im Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, ist sehr groß, jedoch sind ein Teil der Jugendfreunde, welche nicht mitfahren dürfen, darüber enttäuscht. Aus diesem Grunde plant die Kreisleitung der FDJ, ein Kreisjugendtreffen vom 15. bis 16.5.1954 durchzuführen.

In der Gemeinde Gießübel, [Bezirk] Suhl, wurden noch keine Versammlungen der FDJ anlässlich des II. Deutschlandtreffens durchgeführt. Ebenso wurden in dem VEB in diesem Ort keine Sonderschichten gefahren.

In den Kreisen Hagenow und Güstrow, [Bezirk] Schwerin, herrscht unter den Jugendlichen vor allem von der MTS und den VEG über die Vorbereitung des II. Deutschlandtreffens eine freudige Stimmung. Im Kreis Hagenow wurden gute Ergebnisse bei der Sammlung für das II. Deutschlandtreffen erzielt. In diesem Kreise wurde ein FDJ-Chor geschaffen, der in Berlin mecklenburgische Heimatlieder singen wird.

Im Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, hat es die Kreisleitung der FDJ noch nicht in genügendem Maße verstanden, dass II. Deutschlandtreffen zu popularisieren.

Über den 8. Mai [1954] wurde sehr wenig gesprochen, teilweise auch negativ, wie nachstehende Beispiele zeigen. Eine Hausfrau aus Neubrandenburg: »Ich bin zwar in der DSF organisiert, habe aber bisher noch keinen Beitrag bezahlt. Ich werde auch keinen Beitrag bezahlen. Wenn die Amerikaner kommen, werde ich ihnen mein Mitgliedsbuch zeigen, damit sie sehen, dass ich für die DSF keinen Pfennig ausgegeben habe.«

Eine Hausfrau aus Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Was ist denn morgen schon wieder los? Wozu werden die ganzen Kranzschleifen angefertigt?« Als man ihr sagte, »morgen ist der Tag der Befreiung«, sagte sie: »So ein Aufwand. Das Geld sollte man lieber für andere Zwecke verwenden.«

Eine Hausfrau aus Petersdorf, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Russen und Polen sind nichts wert. Wie sieht es denn in Polen aus? Das Land wird nicht bebaut. Es liegt alles brach. Ich könnte ja noch mehr sagen, aber dann wird man ja abgeholt.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

NTS:19 Suhl 1 500, Cottbus 500, Neubrandenburg 300, Karl-Marx-Stadt 410, Erfurt 110, Potsdam 17 520, Dresden 100, Frankfurt 800, im Kreis Güstrow, [Bezirk] Schwerin, wurden größere Mengen aufgefunden.

SPD-Ostbüro:20 Karl-Marx-Stadt 2 000, Rostock 1 445, Halle 2 000, Neubrandenburg 1 200, Gera 1 000, Dresden 70, Potsdam 50.

KgU:21 Karl-Marx-Stadt 775, Frankfurt 1 000.

In tschechischer Schrift: Karl-Marx-Stadt 335.

CDU-Ostbüro: Schwerin 1 200, Neubrandenburg 5 000, Potsdam 5 000.

Am 6.5.1954 wurde in der Gemeinde Pinnow, [Bezirk] Neubrandenburg, ein Karton mit ca. 10 000 Flugblättern aufgefunden (Herausgeber nicht bekannt).

Im Wald von Damelang, Kreis Belzig, [Bezirk] Potsdam, wurde eine Tüte aufgefunden, in der ein Talglicht auf einer Metallplatte angebracht war. Die Ermittlungen ergaben, dass derartige Tüten zur Entfachung von Waldbränden dienen.

Antidemokratische Schmierereien und Handlungen: In Neuendorf,22 [Bezirk] Gera, wurden am Kriegerdenkmal Kränze niedergelegt und in der Gemeinde Ebersdorf, [Bezirk] Gera, das Denkmal ehemaliger Fürsten mit Blumen geschmückt.

In der Nacht vom 5. bis 6.5.1954 wurden in Kummerow, [Bezirk] Frankfurt, zwei Bilder von den Genossen Malenkow,23 dem Genossen Wilhelm Pieck24 von zwei unbekannten Tätern stark beschädigt.

Im Welta-Kamera-Werk Freital, [Bezirk] Dresden, wurden auf einer Toilette Schmierereien angebracht und zwar »die Forderung nach einem neuen 17. Juni [1953]«.

In Bad-Schandau, [Bezirk] Dresden, wurden an den Schaufenstern einer HO und einer privaten Bäckerei je ein Zettel mit der Aufschrift: »Infolge der Lohn- und Materialverteuerung sind die auf den Packungen angebrachten Preise ungültig« angebracht.

Am 7.5.1954 wurde im demokratischen Sektor von Berlin ein FDJ-Funktionär (Mitglied des Volkskunst-Ensembles Berlin) beim Verlassen seiner Wohnung von unbekannten Rowdys überfallen und niedergeschlagen. (Die Unterlagen, die er mit sich führte, konnte er den Rowdys wieder entreißen – Täter entkommen.)

Am 6.5.1954 wurde der 1. Sekretär der FDJ-Kreisleitung Herzberg, [Bezirk] Cottbus, durch einen fingierten Anruf zu einer FDJ-Versammlung nach Rehfeld bestellt. Auf dem Wege dorthin wurde er von einem unbekannten Täter niedergeschlagen.

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 2.5.1954 gerieten auf der Strecke Templin – Zehdenick, [Bezirk] Neubrandenburg, eine ca. 65 ha große Fläche Kulturen und ca. 15 bis 20 ha Hochwald in Brand. Am Brandort wurden mehrere leere Blechdosen, eine Tüte mit Thermit sowie Glasscherben vorgefunden (Schaden: ca. 60 000 bis 70 000 DM nach vorläufiger Schätzung).

Einschätzung der Situation

In der Stimmung zu den verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Fragen hat sich gegenüber dem Vortage nichts geändert.

Über den 8. Mai [1954], Tag der Befreiung, wurde nur sehr wenig gesprochen.

Die feindliche Propagandatätigkeit, Flugblätter usw. ist im ähnlichen Umfang wie an den Vortagen zu verzeichnen.

Bemerkenswert ist die überdurchschnittlich hohe Zahl der Reisenden, die zum 8. Mai [1954] aus der DDR nach Berlin fahren. (Besondere Veranstaltungen sind keine in Westberlin.) So wurden z. B. am 7.5.1954 folgende Fahrkarten verkauft:

Leipzig 1 600 (normal 500), Halle 600 (normal 300), Cottbus 900 (normal 300), Stendal 2 000 (normal 100), Magdeburg 500 (normal 100), Luckenwalde 700 (normal 250).

Die Frühzüge am 8.5.1954 von Leipzig, Halle, Dresden waren mit 200 Prozent besetzt.

Anlage vom 8. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2201

Anhang über die 7. Internationale Radfernfahrt für den Frieden

Aus den Bezirken Dresden und Cottbus wurden keine besonderen Vorkommnisse gemeldet. In Görlitz war am 7.5.[1954] die Beteiligung der Bevölkerung zum Empfang der Friedensfahrer gut. Die gesamte Rennstrecke war trotz schlechten Wetters von Zuschauern dicht umdrängt. Die Anzahl der Zuschauer war größer als im Vorjahr.

Vereinzelt wurden Stimmen bekannt, worin über die Fahrt als sportliches Ereignis gesprochen wird, selten jedoch über ihre politische Bedeutung. Über die Reifen und Maschinenschäden bei den DDR-Fahrern verstärken sich die Diskussionen etwas.25

Ein jugendlicher Schlosser aus dem VEB Blema Aue: »Ich freue mich schon darauf, dass die Fahrer in Aue zu sehen sind. Hoffentlich arbeiten die Betriebe nachmittags nicht, damit wir dieses sportliche Ereignis miterleben können.«

Ein Angestellter aus Annaberg: »Ich bin über unsere Mannschaft etwas enttäuscht. Außerdem kann ich nicht verstehen, dass kein Materialwagen unseren Fahrern zur Verfügung steht und sie sich auf den Materialwagen Volkspolens verlassen mussten.«

Einige jugendliche Arbeiter aus Freiberg: »Wir führen das bisherige schlechte Fahren unserer Mannschaft darauf zurück, dass die Auswahl der Fahrer nicht richtig getroffen wurde, zum anderen ist das Material daran schuld. So viele Pannen können doch nicht Pech sein, sondern die Reifen und Räder unserer Produktion sind schlecht.«

Ein Arbeiter aus dem IFA-Phänomen-Werk Zittau, [Bezirk] Dresden: »Ich kann nicht verstehen, dass unsere Fahrer so eine Pleite erleben müssen. Hier muss doch irgendeine Sabotage vorliegen.«

Über die Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen der FDJ wurde Folgendes bekannt:

Vom RAW Gotha, [Bezirk] Erfurt, haben sich 190 Jugendliche zur Teilnahme bereiterklärt. In ihrer Abwesenheit übernehmen die Werktätigen Sonderschichten, damit keine Produktionsausfälle eintreten. Ein parteiloser Arbeiter aus dem Kali-Werk Thomas Müntzer, [Bezirk] Erfurt: »Ich habe beim 1. Deutschlandtreffen meine Kinder von der Teilnahme abgehalten.26 Heute habe ich erkannt, dass ich damals verkehrt gehandelt habe. Diesmal werden meine Kinder mitfahren.«

Im VEB Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, haben sich 517 Jugendliche in die Teilnehmerlisten eingezeichnet, obwohl das Soll für den Betrieb nur 450 Jugendliche beträgt. In der Mechanischen Weberei Zittau, [Bezirk] Dresden, wollen 240 Jugendliche nach Berlin fahren. Der Betrieb darf jedoch nur 160 Jugendliche delegieren.

Im VEB Cottbusser Wolle-Werk V lehnen die Jugendlichen eine Teilnahme ab, da sie aufgrund ihres geringen Lohnes die Teilnehmergebühren und die Kleidung nicht bezahlen können.

Die FDJ-Betriebsgruppen im Kreis Pirna, [Bezirk] Dresden, kennen die Bedingungen für die Teilnehmerauswahl zum Deutschlandtreffen noch nicht. Instrukteure der Kreisleitung der FDJ haben sich bisher noch nicht sehenlassen.

Ein parteiloses FDJ-Mitglied aus Bretnig, [Bezirk] Dresden: »Das Deutschlandtreffen wird ein Hurentreffen, denn zu den Weltfestspielen war es genauso.«27

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