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Zur Beurteilung der Situation

31. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2221 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird nur in geringem Umfang diskutiert. Im Vordergrund der politischen Diskussionen steht der Beschluss der Volkskammer über die Durchführung einer Volksbefragung.1 Jedoch ist der Umfang der Diskussionen nur gering, da die Agitation teilweise vonseiten der Partei noch mangelhaft ist bzw. noch nicht eingesetzt hat. Der überwiegende Teil, der uns bekannt gewordenen Stimmen ist positiv. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, die Stimme für den Frieden abzugeben. Teilweise diskutiert man in der Form, dass man sagt, die Durchführung der Volksbefragung sei nicht notwendig, da sowieso alle für den Frieden sind. Ganz vereinzelt wurden hierzu negative Stimmen bekannt. Beispiele hierfür bringen wir im Anhang.

Über die Genfer Konferenz wird nur noch sehr gering diskutiert.2 Die meisten Stimmen sind von fortschrittlichen Arbeitern und Angestellten und sind überwiegend positiv. Teilweise zweifelt man an einem erfolgreichen Ausgang der Konferenz. Der Umfang ist gegenüber dem Vortage etwas geringer.

Der Mangel an HO-Fleisch ist weiterhin die Ursache zu negativen Diskussionen in den Betrieben. Ganz vereinzelt wurden Stimmen bekannt, die zum Ausdruck brachten, dass ein neuer 17.6.[1953] die Abänderung dieser Mängel bringen würde. Eine Arbeiterin aus der Hammerschuhfabrik Roßwein,3 [Bezirk] Dresden: »Statt dass es bergauf geht, wird es immer schlechter. Wir Arbeiter schuften und Fleischwaren gibt es nicht. Ich möchte nur wissen, was die da oben mit dem Zeug machen. Wir müssen hungern, nicht einmal ein Stück Wurst und Butter gibt es zu kaufen.«

Ein Bergarbeiter, der in Meißen, [Bezirk] Dresden, auf Urlaub war, sagte: »In Dresden gibt es nur 100 Gramm Blutwurst zu kaufen, aber in der DDR ginge es aufwärts. Wir brauchen ja nichts, die Hauptsache ist, dass die da oben zu fressen haben. Der Arbeiter ist ja Nebensache, wir haben ja die Marken.«

Ein Mechaniker vom VEB Funk-Werk Dresden: »Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie eine Regierung sagen kann, das, was sie getan habe, sei falsch gewesen. Heute sei diese Situation ähnlich wie am 17.6.1953. Man spricht und schreibt wieder von Normenerhöhung, aber mit der Fleischversorgung klappt es nicht.«4

Aus dem VEB Jenapharm äußerte ein Kollege: »Was ist das nur, meine Frau konnte heute kein Suppenfleisch bekommen und auch keine Wurst. Ich geh heut seit langer Zeit wieder das erste Mal mit Margarinestullen zur Arbeit. Bei den Nazis gab es ja auch keine Butter wenn die [in] Nürnberg ihren Rummel hatten.5 Das Deutschlandtreffen verschlingt natürlich auch sehr viel, denn bei so vielen Mäulern, die da essen wollen.«6

Missstimmungen wurden uns aus verschiedenen Betrieben bekannt, die ihre Ursachen in Lohn-, Prämien- und Normenfragen, sowie Material- und Auftragsmangel haben. Unter der Intelligenz der Chemischen Werke Buna besteht Unzufriedenheit, da vonseiten des Werksleiters die Sollkapazität zu hoch gesetzt sei und kaum erfüllt werden kann. Außerdem würde dadurch die Qualität leiden. Ferner besteht im Betrieb B 79 des Betriebes eine Unruhe unter den Fachkräften der Mechanischen Werkstatt. Auf Vorschlag des Chefingenieurs soll eine Lohnregelung vorgenommen werden. Vom Werkleiter sind Anträge auf Lohnerhöhung bereits ohne Rücksprache mit den Meistern unterzeichnet worden, die jedoch größtenteils von den Meistern abgelehnt wurden, weil sie unberechtigt seien. Der TAN-Bearbeiter hat die Höherstufung ebenfalls abgelehnt, da die Arbeiten der Kollegen nicht den höheren Lohnstufen entsprächen.7 Es wird vermutet, dass es sich bei der Lohnregelung um eine Maßnahme handelt, die Unzufriedenheit zum Jahrestag des 17.6.[1953] auslösen soll.

Unter der Belegschaft im Feuerungs- und Behälterbau Köthen, [Bezirk] Halle, traten in letzter Zeit Missstimmungen auf. Die Normen verschiedener Brigaden wurden ständig mit 183 Prozent erfüllt. Daraufhin änderte man die Angabezeiten, welches eine Schmälerung der Lohntüte zur Folge hatte. Für ein Teil der Zeitlöhner wurde bisher ein Leistungszuschlag bezahlt. Die Werkleitung versucht seit Februar 1954, die Arbeiter davon zu überzeugen, dass sie auf den Zuschlag verzichten, da dies der Betrieb nicht mehr tragen kann. Dies wurde von den Kollegen abgelehnt. Die größte Unzufriedenheit in diesem Betrieb herrscht bei den Restzahlungen jeden Monat. Die Restzahlungen wurden bisher noch nie pünktlich ausgeführt. Die letzte Restzahlung wurde auf den 11.5.1954 verschoben. Dies hatte fast einen katastrophalen Charakter. Bei vielen Kollegen stimmt die Restzahlung nicht (Rechenfehler, Fehlbuchungen, Verwechslungen). Verschiedene Kollegen mussten noch Geld mitbringen. Dabei fiel von den Arbeitern die Äußerung »ihr wollt wohl wieder einen zweiten 17. Juni [1953] haben«.

Im Bergwerk Braunesumpf Wernigerode, [Bezirk] Halle,8 ist die Bezahlung an den Blockwalzenstraßen verschieden. Der Unterschied der Bezahlung beträgt ca. 200 DM. Dadurch besteht eine schlechte Stimmung, besonders in der Schicht, wo auch die Produktion eine geringe ist.

In der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, bestehen weiterhin Materialschwierigkeiten. Aufgrund dessen fand am 24.5.1954 eine Unterredung mit sechs Werftdirektoren statt. Dort erfolgte jedoch keine Klärung. Die Direktoren richteten daraufhin an Minister Rau9 ein Schreiben, worin sie ihn um eine Aussprache baten. Dies wurde ebenfalls abgelehnt und man stellte wiederum die Forderung nach Aufholung der Rückstände, ohne die Materialschwierigkeiten beseitigt zu haben. Der Direktor der Peene-Werft ist der Meinung, dass die Arbeitsfreudigkeit der einzelnen Werkdirektoren durch die Abweisung des Ministers Rau nicht gefördert wird, sondern sich hemmend auswirkt.

Ein Bauarbeiter der Baustelle von Berlin-Pankow, Dolomitenstraße: »Am Morgen des 26.5.1954 erschienen zwei Kollegen vom Magistrat von Groß-Berlin und einer vom FDGB und baten, den Beton fertig zu machen und versprachen, die Überstunden zu bezahlen. Daraufhin wurde 16 bis 18 Stunden gearbeitet. Nachdem die Arbeit fertig war, wurde mitgeteilt, dass die Überstunden nicht bezahlt würden. Die Bauarbeiter sind über derartige Methoden empört.«

Unzufriedenheit herrscht im VEB Trikotagenwerk »Spree« Lübben, [Bezirk] Cottbus, über die Prämienverteilung, die nach Meinung der Beschäftigten nicht gerecht durchgeführt wird, so hat z. B. die Lehrlingsausbilderin ein Monatsgehalt von ca. 500 DM und erhält planmäßig vierteljährlich eine Prämie von ebenfalls ca. 500 DM. Diese Art der Prämierung trifft auch für andere Abteilungsleiter zu. Bei negativen Diskussionen der Arbeiter wird dann von der Betriebsleitung erklärt, dass dies eine Anordnung der Regierung sei, die sie selbst nicht umstoßen können.

Aus dem Energiebezirk Ost, [Bezirk] Leipzig, wird uns bekannt, dass der Betriebsleiter in grober Form gegen die gesetzlichen Tarifbestimmungen für die Intelligenz und die Meister verstößt. Obwohl gesetzlich festgelegt ist, dass die Fachabteilungsleiter nach den Gruppen IV und die Meister mit Prüfung nach der Gruppe III entlohnt werden müssen, wurde dies bisher vom Betriebsleiter kategorisch abgelehnt. Dies führte zu Missstimmungen unter den betroffenen Kollegen, da dieser Zustand schon ca. zwei Jahre andauert.

Im VEB Getriebewerk Leipzig ist die Planerfüllung des Jahresplans gefährdet, da im ersten Quartal und Anfang des zweiten Quartals ein großer Auftragsmangel herrschte, der eine Nichtauslastung der Kapazitäten nach sich zog.

Auf dem [Wismut-]Schacht 8 in Annaberg,10 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bestehen Schwierigkeiten aufgrund von Mangel an Bohrstangen sowie Hunte.11 So konnten z. B. am 23.5.1954 drei Brigaden im Revier 3 erst um 10.00 Uhr mit der Förderung beginnen, da keine leeren Hunte vorhanden waren.

Produktionsstörung: Am 26.5.1954 gerieten 50 Tonnen Kohlenstaub im Kaliwerk »Karl Marx« in Sollstedt, [Kreis] Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, in Brand, durch Selbstentzündung. Da der Kohlenbunker bereits seit dem 4.5.1954 mit 50 Tonnen Kohlenstaub gefüllt war und seit dieser Zeit nichts mehr entnommen wurde.

Handel und Versorgung

Weiterhin berichten die Bezirke über eine unzureichende Versorgung mit HO-Fleischwaren. (Außerdem mangelt es im Bezirk Karl-Marx-Stadt, einschließlich Wismutgebiet12 und Dresden, an HO-Butter.) Darüber werden zahlreiche negative Diskussionen geführt, besonders im Wismutgebiet Dresden – Freital und Gera, die größtenteils beinhalten, dass die Ursache dafür das Deutschlandtreffen ist. Zum Beispiel sagten mehrere Kumpels der Fabrik 95 in Freital:13 »Da alles für das Deutschlandtreffen benötigt wird, erhalten wir die Butter und die Wurst nur 100-grammweise.«

Verschiedentlich wird über eine ungenügende Warenbereitstellung geklagt. So z. B. fehlt es im Wismutgebiet an FDJ-Kleidung und in Oberschlema (Wismut) an Herren-, Ober- und Sporthemden.

In der HO Industriewaren Treuenbrietzen, [Bezirk] Potsdam, ist die Nachfrage nach Motorrädern und IFA F 914 groß. (Bei der gleichen HO lagern Arbeits- und Schweinslederschuhe im Werte von 200 000 DM, die keinen Absatz finden.)

Landwirtschaft

Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig zu aktuellen politischen Problemen Stellung genommen, meist nur in den Kreisen des sozialistischen Sektors. Die gering bekannt gewordenen Stimmen über den Beschluss der Volkskammer, eine Volksbefragung durchzuführen, sind überwiegend positiv. Eine Angestellte der MTS Fröhden, [Bezirk] Potsdam: »Ich lese wenig Zeitung, ich bin aber für den Frieden und werde auch von der MTS als Erste meine Stimme für den Frieden bei der Volksabstimmung abgeben.« Ein Brigadier der MTS Teistungen, [Bezirk] Erfurt: »Das ist ein guter Vorschlag, jetzt kann das deutsche Volk beweisen, dass es für den Frieden ist und nichts mit der EVG zu tun haben will.«15

Vereinzelt wurden negative Äußerungen bekannt. Ein Brigadier von der MTS Teistungen erklärte: »Mit der Volksbefragung im Juni werden sie schon ihr blaues Wunder erleben. Das wird eine große Pleite.« Der Oberbuchhalter (LDP) vom VEG Weißensee, [Bezirk] Erfurt: »Bei uns müssten anstatt der Volksbefragung wirklich freie Wahlen durchgeführt werden, die CDU erhielt dann die höchste Stimmenzahl, während die SED höchstens 8 Prozent aller Stimmen erhalten würde.«

Im Mittelpunkt des Interesses stehen weiterhin wirtschaftliche und persönliche Belange. Verschiedentlich ist zu verzeichnen, dass die Interesselosigkeit der Bauern gegenüber politischen Tagesfragen darauf beruht, weil sie verärgert sind, dass gemachte Versprechungen nicht eingehalten werden. Dazu erklärte der VdgB-Vorsitzende aus Roitzsch, [Bezirk] Halle, »Den Bauern wurde z. B. zugesichert, dass sie für Soll-Ablieferungen an Milch und Fleisch und für den freien Verkauf von Milch Futtermittel erhalten sollten. Ab 1.5.1954 gibt es keine Kleie mehr für die Ferkelaufzucht, sondern nur noch Magermilch. Die Bauern haben Berechtigungsscheine in der Tasche, bekommen aber dafür von der BHG kein Futter, sodass sie nicht wissen, was sie füttern sollen. Dadurch verlieren sie das Vertrauen zu den staatlichen Organen und sind für eine politische Arbeit schwer zu gewinnen. Die Bauern bringen immer wieder zum Ausdruck, dass es keinen Sinn hat, eine Versammlung zu besuchen oder eine Zeitung zu lesen, weil in der Praxis doch alles anders aussieht.«

In verschiedenen Orten des Bezirkes Erfurt sind die Bauern wegen der fehlenden Futtermittel sehr verärgert. In der Gemeinde Flarchheim diskutierten Bauern dahingehend, dass es besser wäre, die Kälber gleich bei der Geburt zu töten, da sie für sie nichts zu fressen haben.

In der Erfassungsstelle der VEAB in Gröbzig, [Bezirk] Halle, ist von der letzten Ernte bis jetzt ein Minus an Getreide von 220 Zentnern zu verzeichnen. (Das ist schon seit drei Jahren der Fall.)

In dem Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, ist eine starke Wildscheinplage zu verzeichnen, worüber große Verärgerung herrscht. So hat z. B. der Bürgermeister der Gemeinde Königsthal erklärt, dass er seine Funktion niederlegt, mit der Begründung, dass es zwecklos ist, zu arbeiten, da durch die Wildschweinplage alles vernichtet wird. Weiter sagte er, dass es zwecklos ist, in der Gemeinde die Volksbefragung durchzuführen, da eine sehr schlechte Stimmung herrscht, weil zu wenig gegen die Wildschweinplage unternommen wird.

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Großbauer aus Merxleben, [Bezirk] Erfurt: »Die Politik hier läuft dahinaus, dass wir alle in die LPG eintreten müssen. Ich habe schon immer gesagt, dass die Alt-Bauern politisch verraten und verkauft sind. Die USA greifen nicht genug durch, um hier die Entwicklung zu verhindern.«

Übrige Bevölkerung

Zum politischen Tagesgeschehen gibt es in der Bevölkerung keine Veränderung von wesentlicher Bedeutung. Über die Volksbefragung wurden nur vereinzelt Gespräche negativer Art geführt, wie folgende Beispiele zeigen. Ein Rentner aus Bad Lausick, [Kreis] Geithain, [Bezirk] Leipzig, äußerte gegenüber einem Mitglied unserer Partei: »Die Volksbefragung wird wohl nicht den gewünschten Erfolg bringen, denn der EVG-Vertrag ist ja auch nicht nur für den Krieg bestimmt. Naja, es muss eben jeder selbst wissen, was er vorzieht. Ich werde es mir auch noch einmal überlegen.«

Ein Einwohner, ebenfalls aus Bad Lausick, [Bezirk] Leipzig: »Zu was man überhaupt eine Volksbefragung durchführt. Es wird sich doch bei den Volkswahlen entschieden, wer für welche Politik ist, oder ist es nur dazu, damit man sich einzurichten weiß, wie die Volkswahlen verlaufen.«16

Ein Mitglied der CDU und ein LDPD-Mitglied aus Quedlinburg, [Bezirk] Halle, sagten, dass sich die asiatischen Staaten nichts mehr vormachen lassen wollen. Wir sind neugierig, wie die Volksbefragung im Juni ausfallen wird, ob man wieder offen wählen soll. Wenn dies der Fall ist, dann hat das nichts mehr mit Demokratie zu tun.

Anlässlich einer Unterredung mit einem Rechtsanwalt aus Weißenfels, [Bezirk] Halle, war dieser der Meinung, die Regierung führe die Volksbefragung getrennt von der Volkskammerwahl durch, um festzustellen, wie weit das Volk in seiner politischen Gesinnung hinter der Regierung steht.

Mit größerem Interesse verfolgt die Bevölkerung die wirtschaftlichen Fragen und bringt weiterhin ihre Unzufriedenheit über den HO-Fleischwarenmangel zum Ausdruck. Hierzu einige Beispiele:

Eine Hausfrau aus Jena, [Bezirk] Gera, äußerte sich folgendermaßen: »Ich wollte mir heute etwas HO-Wurst einkaufen, aber nicht einmal ein Stück Fleisch oder Wurst gibt es. Scheinbar haben sie wieder alles nach Berlin geschafft. Ich kann doch auch nicht zu Freunden und Bekannten gehen, wenn ich silberne Hochzeit habe und was geben lassen. Es wird wieder einmal vorgetäuscht, was es bei uns alles zu kaufen gibt.«

Der Verkaufsstellenleiter der HO-Kiosks (parteilos) aus Apolda, [Bezirk] Erfurt, erklärte: »Die Leute, denen man sagen muss, dass keine Wurst vorhanden ist, beschimpfen einen so, dass man froh ist, wenn man abends den Laden schließen kann. Viele drohen mit einem neuen 17.6.[1953].« Der Einkäufer im VEB Fleischwaren Apolda, [Bezirk] Erfurt, sagte: »Man bereitet einen zweiten 17.6.[1953] vor. Durch diese Maßnahme der Regierung wird eine solche Missstimmung erzeugt. In Berlin und im Kreise Suhl ist man soweit, dass man die Fleisch- und Wurstverkaufsstellen der HO schließt.«

Aus Kreisen der Kirche berichtet der Bezirk Cottbus, dass nur ein ganz geringer Teil Geistlicher bereit ist, seine Unterschrift gegen die Versuche mit der Wasserstoffbombe zu geben,17 während der überwiegende Teil wie folgt argumentiert: Ein Pfarrer aus Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, sagte: »Ich bin Diener der Kirche und meine vorgesetzte Dienststelle verbietet mir, mich an politischen Dingen zu beteiligen. Ich werde Rückfrage halten bei meiner vorgesetzten Behörde, jetzt kann ich aber nicht unterschreiben.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

NTS:18 Neubrandenburg 618, Potsdam 573, Karl-Marx-Stadt 60, Dresden 30, Halle einige.

SPD:19 Neubrandenburg 104, Dresden 105, Potsdam 56.

LDP-Ostbüro: Potsdam 2 500.

KgU:20 Neubrandenburg 30, Potsdam 22, Gera einige.

In tschechischer Schrift: Karl-Marx-Stadt 1 414, Dresden 411, Neubrandenburg 30.

»Freie Junge Welt«: Potsdam 4 013, Halle 3 500.

Inhalt: Hetze gegen 1. Mai [1954], gegen Deutschlandtreffen (Aufforderung, nach Westberlin zum Funkturm zu kommen). Der größte Teil der Flugblätter war älteren Datums.

Im Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle, wurden ca. 1 000 Flugblätter gefunden, die mit Schreibmaschine geschrieben waren. Inhalt: Für EVG, hinweg mit der SED.

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 28.5.1954 traten im Kreis Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt, an sieben verschiedenen Stellen, die in einem Abstand von 400 bis 500 m lagen, Waldbrände auf. Ein größerer Schaden entstand nicht. Ursache: vermutlich vorsätzliche Brandstiftung.

Im Kreis Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg, brach am 29.5.1954 ein großer Waldbrand aus. Ermittlungen über die Ursache werden geführt.

Zum diesjährigen Fronleichnamstag, der auf den 17. Juni [1954] fällt, sind beiderseits der D-Linie Umzüge der Katholiken geplant. Es besteht die Möglichkeit, dass feindliche Elemente versuchen, diese Umzüge zu Provokationen auszunutzen (Bezirk Erfurt).

Einschätzung der Situation

Gegenüber dem Vortage sind keine wesentlichen Veränderungen zu verzeichnen.

Anlage 1 vom 21. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2221

Stimmen über den Beschluss zur Durchführung der Volksbefragung

Ein parteiloser Betriebsleiter aus der VEB Druckerei Bischofswerda, [Bezirk] Dresden: »Es ist für mich ganz selbstverständlich, dass ich für den Friedensvertrag meine Stimme abgebe und kann mir auch vorstellen, dass sich niemand für den EVG-Vertrag entschließt. Durch den Friedensvertrag kommen wir zur Einheit Deutschlands, der EVG-Vertrag, den die Bonner Adenauer-Clique21 ausbrütet ist nicht für den Frieden, sondern für eine 50-jährige Besatzung.«22

Ein Arbeiter (parteilos) aus dem Eilenburger Celluloidwerk: »Unsere Gegner versuchen immer wieder, den Einheitswillen als eine Parteisache hinzustellen. Aber durch die Volksbefragung werden wir ihnen die Dringlichkeit der Einheit unter Beweis stellen. Vor allem werden wir alle Menschen in der DDR aufklären, um was es geht, damit alle den EVG-Vertrag ablehnen.«

Ein Angestellter aus dem Stahlwerk Riesa, [Bezirk] Dresden, brachte zum Ausdruck: »Wenn wir die Massen für die Volksbefragung gewinnen wollen, müssen wir den Menschen aufzeigen, um was es überhaupt geht.«

Ein Arbeiter aus dem VEB »Hermann-Matern-Werk« in Roßwein, [Bezirk] Leipzig: »Ist es überhaupt notwendig, eine solche Volksbefragung durchzuführen? Es wird doch meiner Meinung [nach] kaum einen Menschen geben, der nicht für den Frieden ist.«

Nur ganz vereinzelt wurden uns negative Stimmen bekannt. Ein Schiffseigentümer aus Parchim, [Bezirk] Schwerin, äußerte auf die Frage, wie er sich zur Volksbefragung entscheiden werde, wie folgt: »Ich entscheide mich so, wie die im Westen, dort wird nicht alles enteignet und volkseigen gemacht.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Böhlen, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig: »Für den Frieden sind wir alle. Durch solche Sachen erreichen wir nichts. Der Amerikaner führt seine Politik durch und ist durch nichts zu beeinflussen. Ein Sozialismus, wie er in der DDR aufgebaut wird, ist für uns nicht gut, da wir zu sehr von Russland abhängig sind und nicht machen können, was wir wollen.«

Ein Arbeiter (parteilos) aus der Kammgarnspinnerei »Amerika« Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Die vielen Millionen, die man bei der Volksbefragung wieder hinauswirft, sind vollkommen unnütz. Man weiß ja schon jetzt, wie das Ergebnis ausfällt. Diese Gelder sollte man lieber anderswo anwenden oder den Arbeitern geben, dann würde man ein gutes Werk tun und hätte die Arbeiter hinter sich.«

Ein Angestellter der Peniger Maschinenfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Die Volksbefragung braucht nicht zu sein, denn das Ergebnis auf die Fragen, die man stellt, steht ja jetzt schon fest.«

Anlage 2 vom 29. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2221

Über das II. Deutschlandtreffen der FDJ

Die Diskussionen zum II. Deutschlandtreffen werden fast ausschließlich von Jugendlichen geführt. Die Arbeiter und Angestellten äußern sich sehr wenig darüber. Jedoch kann man feststellen, dass sich die Stimmung unter den Jugendlichen gegenüber dem Vortage etwas verbessert hat. Ganz vereinzelt wird uns mitgeteilt, dass große Begeisterung unter den Jugendlichen herrscht. Eine Jugendfreundin aus Albrechts, [Bezirk] Suhl: »Ich fahre nicht nur mit nach Berlin um ein Fest der Jugend zu feiern, sondern das Jugendtreffen in Berlin ist von hoher, politischer Bedeutung. Wir werden dort gegen EVG für Frieden, Einheit und Freiheit und eine glückliche Zukunft demonstrieren.«

Eine Jugendliche (Angestellte) vom Landmaschinenwerk Barth, [Kreis] Ribnitz, [Bezirk] Rostock: »In Berlin zum Deutschlandtreffen werden wir uns für Frieden, Einheit und Freiheit bekennen, und den westlichen Imperialisten zeigen, dass wir keinen EVG-Vertrag wollen.«

Ein Jugendfreund aus Suhl: »Zum Deutschlandtreffen soll die Jugend der Welt kennenlernen, dass wir für die Erhaltung des Weltfriedens kämpfen. Unsere Forderung ist, raus mit den Atom-Kanonen aus Westdeutschland.«23

Ganz vereinzelt wurden uns Stimmen bekannt, wonach man zum Ausdruck bringt, dass die Aufklärungsarbeit zum II. Deutschlandtreffen vernachlässigt wird. Eine Jugendliche, beschäftigt im Konsum aus Lößnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Jetzt wird das II. Deutschlandtreffen wieder vorbereitet. Ich bin der Ansicht, dass noch nicht alles getan wurde, um das Treffen weitgehend zu popularisieren. Bei den Weltfestspielen 1951 in Berlin war die Vorbereitung viel besser,24 jetzt geht alles so leise ab.«

Verpflichtungen, die anlässlich des II. Deutschlandtreffens übernommen wurden. In dem Motoren-Instandsetzungswerk Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, wurden bisher DM 2 000 zum II. Deutschlandtreffen gesammelt. Die Arbeiter und Angestellten dieses Betriebes spendeten ferner 2 Prozent ihres Lohnes zum II. Deutschlandtreffen. In dem VEB Flachsröste Burg Stargard, [Bezirk] Neubrandenburg, verpflichtete sich die gesamte Belegschaft, eine Sonderschicht anlässlich des II. Deutschlandtreffens zu leisten.

Die uns bekannt gewordenen negativen Stimmen lassen teilweise die feindliche Beeinflussung (RIAS und Hetzschriften) erkennen, die dazu führt, dass Jugendliche sich aus den Teilnehmerlisten streichen lassen. Verschiedentlich vermutet man, dass die FDJler nach Westberlin geschickt werden. Ein Jugendlicher (SED) aus Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Vielleicht geht es genau wieder so zu wie bei den Weltfestspielen, nämlich, dass wieder ein paar Idioten rüberlaufen und es an den Sektorengrenzen zur unnötigen Knallerei kommt.«25

Aus Zeitz wird uns berichtet, dass von 90 Jugendlichen über die Hälfte ihre Meldungen zurückgezogen haben. Dort werden die Jugendlichen zum größten Teil von ihren Eltern beeinflusst. Neben der feindlichen Parole, dass sie nach Westberlin marschieren müssen, gebrauchen sie noch Ausreden, wie, an den Feiertagen habe ich etwas anderes vor oder kein Geld usw.

Unter einem ganz geringen Teil von Jugendlichen kann man Interesselosigkeit feststellen. Hierzu folgende Beispiele: Ein Jugendlicher aus Worbis, [Bezirk] Erfurt: »Ich habe keine Lust nach Berlin zu fahren, denn da muss man den ganzen Tag auf den Straßen rumlaufen und hat nichts davon.« Ein Jugendlicher aus Erfurt: »Ich habe kein Interesse, am II. Deutschlandtreffen teilzunehmen. Was soll ich in Berlin tun, ich mache mir aus dem Aufmarsch nichts. Ich will lieber meine Ruhe haben.«

Organisierte Feindtätigkeit zum II. Deutschlandtreffen

In den Bezirken Suhl, Halle, Neubrandenburg, Cottbus, Erfurt und Schwerin wurden an die FDJ-Kreisleitung gefälschte Schreiben versandt. (Inhalt: Wie bereits am Vortage)26

Einige Beispiele, die bei der Vorbereitung zum II. Deutschlandtreffen in Berlin auftreten.

Die Zurverfügungstellung der von den einzelnen Kreisen zugesagten ehrenamtlichen Helfer geht nur sehr schleppend vorwärts. So waren z. B. für die Wuhlheide 120 ehrenamtliche Helfer vorgesehen, vonseiten der Kreisleitungen wurden aber bis Mittwoch, den 26.5.1954 nur 20 Personen zur Verfügung gestellt.

In der Pionierrepublik »Ernst Thälmann«27 ist die Sicherung des Lagers nicht gewährleistet. Von der VP sind zwei Hundeführer eingesetzt, die sich gegenseitig ablösen. Die Ablösung erfolgt auf dem Revier, sodass jeweils eine Zeit überhaupt keine Bewachung vorhanden ist. Der Betriebsschutz besteht im überwiegenden Teil aus Frauen und älteren Männern, und während der Nachtzeit ist das Lager fast nicht bewacht.

Anlage 3 vom 31. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2221

Landwirtschaft

Nachfolgend einige Beispiele über bestehende Mängel und Schwierigkeiten, die im sozialistischen Sektor der Landwirtschaft verschiedentlich zu verzeichnen sind.

Von den MTS

Die MTS im Sallgast, [Bezirk] Cottbus, leistete bei der Aussaat der Öl- und Rübensaat durch falsche Einstellung der Maschinen eine schlechte Arbeit. (Die bestellten Flächen waren Anziehungspunkt der Bauern dieser Gemeinde.) Von den Klein- und Mittelbauern wurde zum Ausdruck gebracht, dass kein Bauer mehr mit der MTS Verträge abschließen wird, wenn sich die Arbeitsweise nicht ändert.

In der MTS Schmiedefeld, [Bezirk] Suhl, wurde von der Brigade II Folgendes zum Ausdruck gebracht: »Seit acht Monaten, die wir in Katzhütte sind, haben wir noch keinen festen Stützpunkt erhalten. Wenn hier nicht endlich Abhilfe geschaffen wird, werden wir unsere Arbeitsverhältnisse lösen.« (Diese Brigade ist in Katzhütte eingesetzt.)

In der MTS Jänkendorf, [Bezirk] Dresden, herrscht eine schlechte Stimmung über die schlechte Herstellung von Traktoren und Geräten. Außerdem klagen sie über eine schlechte Belieferung von Ersatzteilen. Sie warten schon vier Wochen über eine Kurbelwelle für den Traktor RS 15.28

Von den LPG

Aus dem Bezirk Suhl wird berichtet, dass bei den LPG ein großer Mangel an Ferkeln besteht. Unter anderem auch bei der LPG Lichtenhain, die unmittelbar an der D-Linie liegt, was sich auch ungünstig auf die gegenüberliegenden Ortschaften der D-Linie auswirkt.

Die LPG Usedom, [Bezirk] Rostock, benötigt dringend einen Viehstall. Als über den Bau desselben mit einem Angestellten des Rates des Kreises gesprochen wurde, äußerte dieser, sie sollten ihr Vieh auf freie Spitzen verkaufen,29 dann brauchten sie es im Winter nicht unterzubringen. Über diese Äußerung sind die LPG-Mitglieder sehr empört.

Anlage 4 vom 31. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2221

Handel und Versorgung

Über Mängel und Schwierigkeiten, die im Handel und Versorgung in Erscheinung treten. Im Bezirk Gera müssen die Produktionsbetriebe für Fleischverarbeitung Dauerwurst für das Deutschlandtreffen herstellen. Dafür findet nur ein bestimmter Teil Fleisch Verwendung und das übrige, was zu Kochwurst verwendet werden kann, lagert nun in den Fleischfabriken.

Die Margarinefabrik Milka, Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle, muss ihre Produktion stoppen und kann ihre Planzahlen nicht erreichen, weil sie Absatzschwierigkeiten hat. (Es handelt sich um ca. 6 000 t Plandefizit.) Auf der anderen Seite ist zu verzeichnen, dass es im Kreisgebiet an einzelnen Sortimenten der HO-Margarine fehlt.

Im Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, lagern 20,8 Tonnen Schokoladenerzeugnisse und in der HO Wismut, Hauptgeschäftsstelle 48 000 Tafeln Schokolade im Werte von 247 000 DM. (Diese Waren finden wegen der hohen Preise keinen Absatz – Es besteht die Gefahr des Verderbens.) Außerdem lagern im Kreis Meiningen 22 Tonnen Speck, davon wurden bereits 4 Tonnen als verderbgefährdet erklärt.

Überhang an Fleisch

Während auf der einen Seite die Vertragsabschlussmengen für Fleisch gekürzt wurden, bleibt der Erfassungs- und Aufkaufplan bestehen. Das wirkt sich so aus, dass die Bauern ihr Vieh den VEAB anbieten, und diesen wird es von den Produktionsbetrieben aufgrund der gekürzten Kontrollziffern nicht abgenommen. Zum Beispiel wird die Bezirksverwaltung der VEAB Magdeburg am Quartalsende einen Überhang von 2 068 Tonnen Fleisch haben, wofür durch die Kontrollzifferkürzung kein Absatz besteht.

Mehrere Produktionsbetriebe stehen vor der Frage, einen Teil der Belegschaft zu entlassen, aber dadurch wird das Problem der Viehabnahme nicht gelöst. Zu diesem Problem äußerte der Produktionsleiter von VEB Fleischwerk Apolda, [Bezirk] Erfurt: »Es ist genügend Ware vorhanden, wir wissen nicht, wohin mit unserer Wurst. Man hat den Eindruck, dass in Berlin nur unfähige Menschen sitzen. Ich würde die Maßnahmen (die Kürzung der Kontrollziffern) einsehen, wenn das Fleisch knapp wäre, aber der Schlachthof weiß nicht wohin mit den vielen Schweinen, so viel gilt es zu schlachten.«

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