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Zur Beurteilung der Situation

26. März 1954
Informationsdienst Nr. 2164 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Betriebliche Fragen stehen weiterhin im Mittelpunkt der Diskussion. Bei einem Teil der Werktätigen, besonders Angestellte und Intelligenz, zeigt sich eine abwartende und gleichgültige Haltung zu politischen Problemen.

Zu Ehren des IV. Parteitages der SED1 werden von einem Teil der Werktätigen Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen. Eine Ofenbesatzung der Karbidfabrik der Chemischen Werke Buna, [Bezirk] Halle, führte zu Ehren des IV. Parteitages eine Hochleistungsschicht durch, mit einem Produktionsergebnis von 150 Tonnen. Die Arbeiter des VEB Industrie-Werk Rauenstein, [Bezirk] Suhl, übernahmen vom 3.2. bis 25.3.1954 359 Kollektiv- und Einzelverpflichtungen. Ein Arbeiter des gleichen Werkes verpflichtete sich, durch Anwendung fortschrittlicher Arbeitsmethoden und technischer Verbesserungen, dem Betrieb jährlich 30 000 DM einzusparen.

Ein größerer Teil aller Schichten der Werktätigen erhofft vom IV. Parteitag Vorschläge zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Besonders erwartet man eine Preissenkung und den Wegfall der Lebensmittelkarten ohne Erhöhung der Preise. Ein großer Teil der Arbeiter des VEB SIMSON-Werk Suhl erwartet vom Parteitag Beschlüsse, die eine Verbesserung der Lebenslage der Werktätigen herbeiführen.

Ein großer Teil der Arbeiter des VEB Papierfabrik Penig, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, vertritt die Meinung, dass auf dem IV. Parteitag der SED eine große Preissenkung beschlossen wird. Teilweise befürchtet man, dass bei Aufhebung der Rationierung die Preise erhöht werden. Man bringt dabei zum Ausdruck, dass nur dann die Lebensmittelkarten abgeschafft werden sollen, wenn sich die Preise nicht erhöhen. Verschiedene Arbeiter des VEB Press- und Schmiedewerk »Einheit« in Brand-Erbisdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärten, dass man keinesfalls die Rationierung der Lebensmittel aufheben könnte, wenn nicht zuvor die Preise gesenkt werden.

Vereinzelt werden negative und feindliche Äußerungen bekannt, die sich zum Teil gegen den IV. Parteitag und zum Teil allgemein gegen die SU oder DDR richten. Bei diesen Menschen zeigt sich besonders der Einfluss der westlichen Propaganda. Ein Schiffbauer der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock: »Was nützt uns der IV. Parteitag, wenn wir keine Arbeit haben. Ich bin der Meinung, die Partei soll erst mal für Arbeit sorgen. Dann zeigen wir auch mehr Interesse für die Arbeit der Partei.«

Ein Arbeiter (SED) vom VEB Papierfabrik Grünhainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Im April werden die Lebensmittelkarten wegfallen, die Preise werden den HO-Preisen angeglichen bzw. nur 10 Prozent gesenkt werden. Für diese Sache habe ich als Genosse niemals gekämpft. Ich trete lieber aus der Partei aus.«

Ein Schiffer aus Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt: »So, wie es jetzt ist, kann die Sache in der DDR nicht mehr weitergehen. Die Russen müssen erst hier verschwinden, eher wird es nicht besser. Der Ami hat die Russen schon umkreist, denn er hat ihn durchschaut und er braucht die Schlinge nur noch zuzuziehen, dann können wir auch die Russenagenten bei uns aufhängen.«

Ein Arbeiter vom VEB Bleichert, [Bezirk] Leipzig: »Ulbricht2 ist der Stalin Nummer zwei. Er führt ja bloß das aus, was er von Moskau diktiert bekommt.«

Produktionsschwierigkeiten wurden aus einzelnen Betrieben der Bezirke Schwerin, Potsdam, Halle, Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Erfurt, Gera und Groß-Berlin bekannt. Ursache: Mangel an Material, Ersatzteilen, Kohlen, Waggons und Arbeitskräften sowie Absatzschwierigkeiten.

Materialmangel besteht im Kraftfahrzeugwerk »Ernst Grube« in Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, im VEB Schuhfabrik Güstrow, [Bezirk] Schwerin, in der sächsischen Piano-Fabrik Seifhennersdorf,3 [Bezirk] Dresden, im VEB Möbelstoffweberei Lunzenau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, und im VEB Apparate- und Kesselbau Berlin-Niederschönhausen. Im letzteren Betrieb erhielten die Arbeiter, da sie aufgrund des Materialmangels mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt wurden, zur Lohnauszahlung nur 50,00 bis 60,00 DM. Ein Arbeiter äußerte dazu: »So viel Geld bekomme ich auch, wenn ich nicht arbeite und krankgeschrieben bin.«

Ersatzteile fehlen im Kraftwer Vockerode, [Bezirk] Halle, und im VVB Kraftverkehr Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt.

Kohlenmangel besteht in der Papierfabrik Hohenofen, [Bezirk] Potsdam.

Waggonmangel ist im Zementwerk Karsdorf, [Bezirk] Halle, und im Anhydrit-Werk Niedersachswerfen, [Bezirk] Erfurt, zu verzeichnen. Dadurch entstand im letzteren Werk ein finanzieller Verlust von 50 000 bis 80 000 DM.

Arbeitskräfte fehlen im VEB Hirschberg,4 [Bezirk] Gera, und im Eisenbahnbetrieb der Leuna-Werke »Walter Ulbricht«.

Absatzschwierigkeiten bestehen im VEB Albert-Kuntz-Kombinat in Wurzen,5 [Bezirk] Leipzig. Der Betrieb ist dadurch gezwungen, die Produktion einzuschränken. Bis 30.6.1954 wurden 80 Arbeiter beurlaubt, 37 befristet eingestellte Frauen wurden wieder entlassen. Darüber hinaus kommen noch 40 weitere Kollegen zur Entlassung.

Produktionsstörung: Im Kraftwerk Großkayna, [Bezirk] Halle, entstand durch falsche Schaltung ein Kurzschluss. Eine Turbine fiel aus. Die Schalterwärterin wurde schwer verletzt.

Unzufriedenheit unter Arbeitern einzelner Betriebe besteht in Lohn- und Normenfragen, über ungenügende Bereitstellung von Ferienplätzen sowie mangelhaftem Arbeitsschutz.

Eine schlechte Stimmung besteht bei den Kollegen des Kreisbaubetriebes Schleiz, [Bezirk] Gera. Ursache ist die unterschiedliche Bezahlung gegenüber anderen Baubetrieben. Unzufriedenheit wegen nicht termingemäßer Lohnzahlung ist im Kreisbaubetrieb Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg, zu verzeichnen. Dazu äußerte ein Arbeiter: »Überall sitzen Schlafmützen in Verwaltungsstellen, was kann man da schon weiter verlangen. Scheinbar hat man den 17.6.1953 schon wieder vergessen, lange wird sich der Staatsapparat ja doch nicht mehr halten.«

Im David-Schacht der Bleierzgruben »Albert Funk« in Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, besteht eine schlechte Stimmung, da die Schienenleger eine neue Norm erhalten haben, während in der Schachtanlage Reiche Zeche noch nach alter Norm gearbeitet wird. Dazu sagte ein Kumpel: »Unten ist wieder dicke Luft, unter den Kumpels wird die Meinung vertreten, dass sie nur noch den ›Tag des Bergmannes‹6 abwarten wollen, um danach den Schacht den Rücken zu drehen.«

Wegen ungenügender Zuteilung von Ferienplätzen besteht im VEB »Ernst Thälmann« in Magdeburg,7 im Lehrbetrieb Werk Mücheln, [Bezirk] Halle, im VEB Jena-Pharm in Jena, [Bezirk] Gera, und im Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« in Schwarz, [Bezirk] Gera, Unzufriedenheit. Im letzteren Betrieb wurden für 6 000 Kollegen nur 700 Plätze zur Verfügung gestellt.

Unzufriedenheit über mangelhaften Arbeitsschutz besteht in der Sinteranlage des Eisenhüttenkombinats »J. W. Stalin«. Dabei äußert ein Arbeiter: »Der Arbeitsschutz ist bei uns nicht besonders gut. An der Sinteranlage gibt es viel Staub, sodass wir manchmal die Maschinen gar nicht sehen. Die Abzugsschächte für Staubsauger sind wohl vorhanden, nur die Staubsauger nicht, es wird so viel von der Sorge gesprochen, aber wir merken noch nichts davon.«

Arbeitsniederlegung: Am 24.3.1954 legten die Bauarbeiter der Bau-Union Schwerin, Baustelle Flugplatz Hagenow, [Bezirk] Schwerin, für 1½ Stunden die Arbeit nieder. Grund dafür war: Dass man mit den Normen nicht einverstanden war, ebenfalls bestand eine schlechte Unterbringung in den Unterkünften und die Arbeitsschutz-Bestimmungen wurden von der Betriebsleitung nicht immer eingehalten, sodass zwei Arbeiter bei Ausschachtungsarbeiten verschüttet wurden. Die Betriebsleitung versprach Abänderung, was jedoch nicht geschah.

Handel und Versorgung

In der HO Wismut8 in Aue fehlen seit 1954 (Januar) verschiedene Haushaltswaren (Emaille und Aluminiumkrüge für 1 bis 3 Liter, Kohlenschaufeln, Kartoffelreibmaschinen, Fleischwölfe und Ähnliches), während diese Gegenstände in den Privatgeschäften laufend vorhanden sind. In Groß-Berlin bestehen Schwierigkeiten in der Versorgung mit Fleisch, Fetten und Ölen, was sich im II. Quartal 1954 besonders auswirken wird.

Warenmangel wegen schlechter Verteilung wird aus verschiedenen Kreisen bekannt. So fehlen im Kreis Schleiz, [Bezirk] Gera, Eier und Fischkonserven; bei der Konsumgenossenschaft des Kreises Spremberg, [Bezirk] Cottbus, sind keine Zitronen vorhanden, während bei der Konsumgenossenschaft Rüdersdorf, [Bezirk] Potsdam,9 größere Mengen teilweise seit September 1953 lagern; im Kreis Gräfenhainichen, [Bezirk] Halle, mangelt es in den Konsumverkaufsstellen an Hülsenfrüchten; bei der Konsumgenossenschaft Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, fehlen Süßwaren und Schokolade. Im Bezirk Magdeburg bestehen weiterhin größere Schwierigkeiten in der Textil- und Haushaltswarenversorgung.

Landwirtschaft

Über politische Tagesfragen wird in ganz geringem Maße diskutiert. Im Vordergrund stehen wirtschaftliche Fragen. Aus dem Bezirk Potsdam wird berichtet, dass verschiedentlich Bauern nicht verstehen können, dass die DDR Düngemittel exportiert und für den eigenen Bedarf nicht genügend vorhanden ist. Im gleichen Bezirk fehlen im Kreis Belzig noch 4 000 dz Saatkartoffeln.

Ein Mangel an Futtermitteln ist in den örtlichen landwirtschaftlichen Betrieben Grebs und Netzen,10 [Bezirk] Potsdam, sowie in einzelnen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt zu verzeichnen. Aus diesem Grunde kommt es verschiedentlich zu Diskussionen unter den Bauern. So äußerte z. B. ein Bauer aus Großzöbern,11 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es muss endlich einmal aufhören, alles für die LPG zu tun. Es muss auch einmal etwas für uns getan werden.« Ein anderer Bauer des gleichen Ortes: »Ich war vor Kurzem in Mecklenburg zum Einsatz wegen dem Stroh, wenn wir das hätten, was in Mecklenburg kaputtgeht, dann hätten wir in Hülle und Fülle.« In der Kaakstedter Mühle im Kreis Templin,12 [Bezirk] Neubrandenburg, führte der Futtermangel zum Hungertyphus unter den Schafen. Von 75 sind 15 verendet.

Von der LPG und MTS

In der LPG Körchow, [Bezirk] Schwerin, wurde vom LPG-Vorsitzenden die Berechnung der Arbeitseinheiten schematisch festgesetzt. Darüber herrscht Verärgerung und es wird zum Ausdruck gebracht: »Dass sie nicht in der Lage sind, diese Normen zu erfüllen und dass sie es deshalb vorziehen, lieber als Landarbeiter zu gehen.«

In der MTS Westenfeld, [Bezirk] Suhl, fehlt [es] an Reparaturmaterial (Rundeisen, Winkel- und Flacheisen). Die MTS Holzendorf, [Bezirk] Schwerin, kann ihren Vertragsverpflichtungen nicht nachkommen, weil von sechs Traktoren nur zwei einsatzfähig sind.

Zu Ehren des IV. Parteitages kommt es auch unter der Landbevölkerung zu Verpflichtungen. Ein LPG-Bauer aus Nordheim, [Bezirk] Suhl, verpflichtete sich, 15 000 kg Milch und ein parteiloser LPG-Bauer von der LPG »Vorwärts« Dresden bis zum 31.3.1954 12 Ztr. Rindfleisch, 14 Ztr. Schweinefleisch ½ Ztr. Quark, 400 l Milch und 200 Eier dem freien Verkauf zur Verfügung zu stellen.

In den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Neubrandenburg wird verschiedentlich das Gerücht verbreitet, dass mit dem IV. Parteitag die Rationierung aufgehoben wird und dadurch der Verkauf von freien Spitzen wegfällt.13

In einzelnen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt ist zu verzeichnen, dass Bauern versuchen, ihr gesamtes Fleischsoll für 1954 bereits im 1. Quartal schon zu erfüllen und im Kreis Plauen und Annaberg wirkt sich das Gerücht dahingehend aus, dass auf dem Schlachthof so ein großer Fleischanfall zu verzeichnen ist, dass zzt. kein Schlachtvieh angenommen werden kann.

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Nachfolgend ein paar Beispiele.

Ein Forstarbeiter aus B[…]kurg,14 [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte gegenüber einem VP-Angehörigen: »Ich bin heute noch stolz darauf, dass ich Angehöriger der Waffen-SS war.«

Ein Großbauer aus Possendorf, [Bezirk] Erfurt: »Wenn es noch einmal zu einem 17.6.[1953] kommt, dann klappt es besser. Selbst wenn wieder russische Panzer kommen sollten, wird die Bevölkerung keinen Halt davor machen.« Ein Mittelbauer aus Pödelwitz, [Bezirk] Leipzig, erklärte: »Die Brüder da oben sollen sich noch wundern, der Tag kommt noch, wo die Stunde für sie geschlagen hat.«

Ein Großbauer aus Großstolpen, [Bezirk] Leipzig, äußerte: »Die heutigen Verhältnisse sind unerträglich. Die Bonzen oben wollen alles verstaatlichen. Das nennt man dann Sozialisierung. Mit diesen heutigen Verhältnissen kann kein vernünftiger Mensch zufrieden sein.«

Die Schweinepest hat sich in den letzten Wochen in einigen Kreisen des Bezirkes Magdeburg stark verbreitet. Vermutlich ist das auf die ungenügende Kontrolle des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft bei der Durchführung der Veterinär-Vorschriften, auf die Nichtbestrafung bei Nichteinhaltung dieser Vorschriften sowie die Beschäftigung von großbäuerlichen Elementen in den LPG zurückzuführen.15

Im Kreis Wanzleben, [Bezirk] Magdeburg, ist die Schweinepest vorwiegend in den LPG und VEG aufgetreten. Aus diesem Grunde ist im II. und III. Quartal 1954 eine Erfüllung der Erfassungssätze der VEAB nur zu 75 Prozent gewährleistet.

Im VEG Hiebnitz,16 [Bezirk] Halle, sind 200 Schweine und in der LPG gleichen Orts 121 Schweine von der Pest befallen.

Übrige Bevölkerung

Aufgrund des bevorstehenden IV. Parteitages hofft ein größerer Teil der Bevölkerung auf eine Verbesserung der Lebenslage (Preissenkung der HO, Abschaffung der Lebensmittelkarten). Eine Jugendliche aus Suhl erzählte ihren Arbeitskollegen, sie haben in den Nachrichten gehört, dass die Lebensmittelkarten wegfallen, und nach Wegfall der Karten könne man weniger Fleisch kaufen, als jetzt, da die Preise nur gering gesenkt würden.

Eine Hausfrau aus Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, verbreitet folgendes Gerücht: »Habt ihr schon gehört, dass die Lebensmittelkarten am 1. Mai [1954] wegfallen und die Butter DM 6,00 kosten soll?«

Ein Fleischermeister aus Halle erzählte vertrauensvoll in seinem Geschäft: »Ich habe auf dem Schlachthof in Halle aus berufenem Munde erfahren, dass ab 1.4.1954 die Lebensmittelkarten, insbesondere die Fleischrationierung aufgehoben wird. Es ist vorgesehen, lediglich noch Zuteilungen an Bewohner gegen Bezugsmarken vorzunehmen, welche weniger als DM 400 monatlich verdienen, außerdem wird ein Ausgleich zwischen HO- und Markenpreisen vorgenommen.«

Ganz vereinzelt wurden uns negative bzw. feindliche Meinungsäußerungen bekannt. In einer Klasse der Schule Dömitz, [Bezirk] Schwerin, traten starke Tendenzen der »Jungen Gemeinde« auf. In der Klasse wird oft gegen die Arbeit der FDJ und die Arbeit der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Stellung genommen. Der Lehrer (früher Offizier) beeinflusst die Kinder im negativen Sinne.

Ein Gastwirt aus Stendal, [Bezirk] Magdeburg, äußerte: »Wenn ich z. B. in meiner Gaststätte einen Umsatz von DM 60 000 habe, wobei ein Verdienst von 13 000 DM zu verzeichnen ist, muss ich 8 000 DM als Steuern entrichten. Ich sehe doch nicht ein, dass ich für den Staat arbeite, denn der private Handel wird doch, wie es sich zurzeit zeigt, untergehen. Als Angestellter kann ich ruhiger leben, das ist ja kein Staat der Arbeiter und Bauern, sondern der Ausbeuter.«

Eine Lehrerin aus dem Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Lehrer in Westdeutschland leben besser wie bei uns in der DDR, sie bekommen ihr gutes Gehalt und haben keine Schwierigkeiten in Wohnungsangelegenheiten.«

Ein Kraftfahrer aus Neubrandenburg, beschäftigt bei der HO-Bezirksleitung. Dieser lehnt es ab, das Emblem des IV. Parteitages an seinem Fahrzeug anzubringen, trotz mehrmaliger Rücksprache von Partei- und Betriebsleitung lehnte er es immer wieder ab. Durch sein Verhalten wurde eine Belegschaftsversammlung einberufen, dort wurde seine Entlassung von seinen Arbeitskollegen gefordert. Durch die Betriebsleitung wurde fristlose Entlassung ausgesprochen. Maßnahmen wurden eingeleitet.

Ein Pfarrer aus Kloster Zinna, [Bezirk] Potsdam, sagte anlässlich des Begräbnisses eines Mitgliedes der Gesellschaft für Sport und Technik,17 welcher tödlich verunglückte, Folgendes: »Solange die Erwachsenen noch nicht ganz verroht und ohne Gewissen sind, ist es unsere höchste Aufgabe, die Jugend aus dem Wirren herauszuführen. Durch den Unglücksfall des Kameraden hat Gott uns ein Alarmzeichen gegeben, die Jungen überlegen zu lassen, es muss doch gefragt werden, wer ist der Schuldige? bzw. wer sind die Schuldigen.«

Ein ehemaliger Umsiedler aus Rostock äußerte sich, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis er wieder in seiner alten Heimat Stettin ist.

Aus Berlin wird berichtet, dass im Ministerium für Post und Fernmeldewesen 80 Prozent der Kollegen, die im Ministerium essen, an Kopf- und Magenbeschwerden erkrankt sind. Es wird angenommen, dass es sich um eine Lebensmittelvergiftung handelt. Untersuchungen darüber werden geführt.

Im Kreis Pritzwalk diskutiert die Bevölkerung ebenfalls über die Provokation in Wittstock, [Bezirk] Potsdam.18 Es wird z. B. von einem Teil behauptet, dass es Brandstiftung im Auftrage der westlichen Mächte sei. Eine andere Person vertritt die Meinung, dass es Brandstiftung von Leuten aus dem Hause gewesen wäre, um irgendwelche Sachen zu vertuschen.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des SPD-Ostbüros:19 Potsdam 20 100, Suhl 1 400, Karl-Marx-Stadt 215, Neubrandenburg 17, Dresden 15. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR, »freie Wahlen«, »Langsamarbeiten«.

Hetzschriften der NTS:20 Potsdam 16 370, Frankfurt/Oder 15 000, Neubrandenburg 3 050, Gera 240, Dresden 100, Karl-Marx-Stadt 68. Inhalt: Hetze gegen die SU.

Hetzschriften der KgU:21 Karl-Marx-Stadt 9 097. Inhalt: Hetze gegen den Genossen Molotow,22 die DDR und das SfS.

Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Potsdam 2 000. Inhalt: Hetze gegen Viermächtekonferenz.23

Im Bezirk Cottbus wurden 1 000 Flugblätter der NTS und des Ostbüros der SPD, im Bezirk Gera vereinzelt gefunden. Im Bezirk Suhl wurden 5 000 Hetzschriften gefunden mit der Überschrift: »Die Katze aus dem Sack«. Inhalt: Hetze gegen die DDR. Die Mehrzahl der aufgeführten Hetzschriften wurden mit Ballons eingeschleust und gebündelt aufgefunden.

Hetzbriefe: Im Bezirk Gera wurden zwei Hetzbriefe der »SED-Opposition«24 sichergestellt. Inhalt: Hetze gegen die SED.

Im Bezirk Potsdam wurden fünf Hetzbriefe der KgU, im Bezirk Rostock drei Hetzbriefe mit der Aufschrift: »Unser Mecklenburg« und im Bezirk Halle 50 Hetzbriefe des UFJ25 sichergestellt.

Antidemokratische Schmierereien: Am 21.3.1954 wurde in der Halle I der Warnow-Werft in der Toilette folgende Hetzparole angeschmiert: »Wer sich freut, dass Stalin tot ist, mache einen Strich.« Darunter waren ca. 100 bis 150 Striche.

Am 24.3.1954 wurde im VEB Oberlausitzer Baumwollspinnerei in Altendorf,26 [Bezirk] Dresden, ein Plakat, das gegen die EVG gerichtet ist,27 heruntergerissen. Dies geschah schon einige Male.

Am 25.3.1954 wurden auf dem Domplatz in Erfurt sämtliche Kabel für die Lautsprecheranlage von unbekannten Tätern durchschnitten. Die Anlage war anlässlich einer Großkundgebung aufgestellt worden.

Am 23.3.1954 wurde ein Personenzug auf der Strecke Löwenberg – Rheinsberg von unbekannten Tätern beschossen. Personen wurden nicht verletzt (Trapo-Meldung).28

Vermutliche Feindtätigkeit

Im VEB Süßwarenbetrieb Oehler Zeitz, [Bezirk] Halle, wurden vor einigen Tagen erneut Glassplitter und Nägel in der Schokoladenmasse gefunden.

Am 23.3.1954 wurde im Mitropa-Warteraum Cottbus im Essen eines sowjetischen Offiziers ein Glassplitter gefunden. Bereits am 15.3.1954 wurde ein derartiger Fall gemeldet.

Am 25.3.1954 wurden in der Buntweberei und Färberei Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, an einer Zwirnmaschine 190 Fäden von unbekannten Tätern zerschnitten. (Der Zwirn war für KVP- Uniformen bestimmt.)

Westberlin

Am 23.3.1954 fand in Berlin-Charlottenburg eine öffentliche Versammlung der »Sozialen Volkspartei« (existiert seit längerer Zeit unter dem Namen »Tatgemeinschaft«)29 statt, wo ca. 50 Personen anwesend waren. Es wurde über das Programm der SVP gesprochen. Der Referent, ein gewisser Paul Hofmann,30 führte u. a. aus, »dass die SVP den Hochkapitalismus durch einen Volkskapitalismus im bürgerlichen Sinne« ablösen will. Weiterhin forderte er ein Berufsbeamtentum. Über die Aufgaben der SVP sagte er u. a.: »Die SVP macht keinen Unterschied zwischen Ost und West, sondern will alle in ihrer Partei vereinigen, damit sie nicht dem Pankower System in die Hände fallen.«31

Einschätzung der Situation

Außer zunehmenden Diskussionen über den IV. Parteitag haben sich in der allgemeinen Lage keine wesentlichen Veränderungen ergeben.

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