Zur Beurteilung der Situation
25. März 1954
Informationsdienst Nr. 2163 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen weiterhin betriebliche Fragen. Ein Teil der Werktätigen, besonders Angestellte und Intelligenz, zeigt eine abwartende und gleichgültige Haltung zu politischen Problemen. Über die beabsichtigte Einführung des Wehrgesetzes in Westdeutschland wird nur noch vereinzelt diskutiert.1 Die Mehrzahl dieser Stimmen sind positiv.
Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt, dabei zeigt sich besonders der Einfluss der westlichen Propaganda. Ein Magazinschlosser (SED) vom Schacht 1 der Wismut2 in Johanngeorgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich trete aus der Partei aus, da ich kein Klassenbewusstsein habe. Ich kann auch nicht, wenn es die Partei verlangt, auf meinen eigenen Bruder schießen.« Ein jugendlicher Bauarbeiter aus Beeskow, [Bezirk] Frankfurt: »Ich bin nun schon mehrere Monate arbeitslos, denn in Fürstenberg wird nur noch entlassen. Mir bleibt weiter nichts anderes übrig, als Kasernen und Flugplätze zu bauen, wie die anderen. In das Fußlappengeschwader trete ich nicht ein.3 Auch dann nicht, wenn es Zwang wird.«
Zu Ehren des IV. Parteitages der SED4 werden von einem Teil der Werktätigen Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen. Die Arbeiter des Bahnhofes Cottbus verpflichteten sich, 500 freiwillige Arbeitsstunden für das Nationale Aufbauwerk zu leisten.5 Im VEB Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig wurden bisher 200 Verpflichtungen übernommen zu Ehren des IV. Parteitages. Die Belegschaft des VEB »Hermann Matern« in Roßwein,6 [Bezirk] Leipzig, verpflichtete sich, eine Sonderschicht zu leisten.
Ein großer Teil aller Schichten der Werktätigen erhofft vom IV. Parteitag Vorschläge zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Besonders erwartet man eine Preissenkung und die Abschaffung der Lebensmittelkarten ohne Erhöhung der Preise.
Ein großer Teil der Arbeiter des Eilenburger Celluloid-Werkes, [Bezirk] Leipzig, sieht dem IV. Parteitag mit großer Erwartung entgegen. Vor allem hofft man auf eine Preissenkung nach dem Parteitag.7 Eine Arbeiterin vom Objekt 96 der Wismut: »Es ist höchstwahrscheinlich noch vor dem IV. Parteitag mit einer Preissenkung zu rechnen und nach dem Parteitag werden dann auch die Lebensmittelkarten wegfallen.«
Teilweise befürchtet man, dass bei Abschaffung der Lebensmittelkarten die Preise erhöht werden. Sie fordern deshalb nicht Abschaffung der Lebensmittelkarten, sondern Erhöhung der Rationen. Ein Schleifer aus dem VEB EKM in Aken,8 [Bezirk] Halle: »Die Lebensmittelkarten werden wegfallen, es wäre jedoch besser, sie bestehen zu lassen und die Lebensmittel auf Karten zu erhöhen, denn die Zuteilung von Lebensmitteln ist bei uns noch nicht so weit, dass wir die Karten wegfallen lassen können.«
Vereinzelt werden negative bzw. feindliche Äußerungen über den IV. Parteitag bekannt. Eine Angestellte vom VEB Raumgestaltung Berlin: »Die Herausstellung des Geburtstages von Genossen Grotewohl9 hat bestimmt etwas mit der Änderung in der Parteiführung zu tun.10 Für die schlechte Politik in der Durchführung des neuen Kurses ist der Genosse Ulbricht11 verantwortlich und er ist bei uns nicht beliebt und wird auch in Westdeutschland nicht anerkannt.«12 Ein Arbeiter vom Hauptbahnhof Gera: »Ich gebe auch zum IV. Parteitag eine Selbstverpflichtung ab und verpflichte mich, jeden Abend meinen Kleiderschrank zuzuschließen.«
Produktionsschwierigkeiten wurden aus einzelnen Betrieben der Bezirke Schwerin, Rostock, Potsdam, Cottbus, Leipzig und Dresden bekannt. Ursache: Material- und Kohlenmangel, Kürzung des Produktionsplanes und Absatzschwierigkeiten.
In den Werften von Rostock kommt es immer wieder infolge Materialmangel, schlechtes Material und fehlende Aufträge [sic!] zu Wartezeiten bei den Arbeitern. So äußerte ein Arbeiter: »Die SU hat einen Teil ihrer Aufträge zurückgezogen und gibt sie jetzt an kapitalistische Länder ab. Diese sind in der Lage, billiger zu arbeiten als wir und verfügen auch über mehr Material als wir.«
Materialmangel besteht weiterhin im VEB IFA-Werk Horch in Zwickau,13 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, im VEB Elektrogerätebau Leisnig, [Bezirk] Leipzig, im Bahnbetrieb Luckenwalde, [Bezirk] Cottbus,14 und im VEB Kinderwagenwerk Zeitz, [Bezirk] Halle.
Kohlenmangel besteht im VEB Schwermaschinenbau »Heinrich Rau« Wildau, [Bezirk] Potsdam.
Wegen Kürzung des Produktionsplanes um 20 Prozent im 2. Quartal sind die Arbeiter der Mühlenwerke Parchim, [Bezirk] Schwerin, verärgert. So äußerte ein Arbeiter: »Wir können nicht verstehen, dass man einen Betrieb, der gute Qualitätserzeugnisse herstellt, die Produktionsauflage kürzt. Wir haben alle Anstrengungen gemacht, um die Ausbeutung des Getreides zu erhöhen. Wir lassen uns die Kürzung nicht gefallen. Wenn hier keine Änderung getroffen wird, fahren wir persönlich zu Genossen Walter Ulbricht und werden ihm diese Angelegenheit unterbreiten.«
Absatzschwierigkeiten bestehen im VEB Hako (Dauerbackwaren) in Großschönau, [Bezirk] Dresden, und in der Pfeffernussfabrik Grabow, [Bezirk] Schwerin (letzter Betrieb musste bereits 26 Arbeiter entlassen).
Produktionsstörungen
Im Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, traten zwei Produktionsstörungen ein. Ursache: Walzenbruch und Beschädigung eines Fricktionsbockes.15 Produktionsausfall 99,8 Tonnen Blech = 16 331 DM.
Im VEB Weberei Bernterode, [Bezirk] Erfurt, zerbrach ein Kegelrad an der Spannmaschine und es entsteht ein Produktionsausfall von täglich ca. 5 500 qm Stoff.
Unzufriedenheit unter Arbeitern einzelner Betriebe besteht in Lohn- und Prämienfragen. Die Förderleute des Thomas-Müntzer-Schachtes Sangerhausen,16 [Bezirk] Halle, sind unzufrieden, da sie angeblich in der Entlohnung gegenüber den anderen Kumpels benachteiligt werden.
Im Kabelwerk Schönow, [Bezirk] Frankfurt, besteht eine negative Stimmung über Prämienzahlungen. Ein Arbeiter äußerte: »Die Verteilung der Prämien ist eine große Ungerechtigkeit. Die Verteilung der Prämien wurde falsch vorgenommen. Verschiedene, die das Gleiche leisten, wurden nicht berücksichtigt.« Des Weiteren sind die Kollegen nicht damit einverstanden, dass der Betriebsleiter aufgrund der Planerfüllung 400 DM Prämie erhielt.
VP-Werbungen: Die Werbungen zur Volkspolizei führen bei verschiedenen Arbeitern zu negativen Diskussionen.17 Teilweise lehnt man einen Eintritt in die Volkspolizei ab. Verschiedene Jugendliche des VEB Zeiss Jena in Eisfeld, [Bezirk] Suhl, lehnten einen Eintritt in die Volkspolizei ab. Ein Jugendlicher äußerte dazu: »Ich will mir erst etwas anschaffen, später gehe ich eventuell auch einmal zur Volkspolizei.«
Im VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, ist man in Bezug der Werbung für die Volkspolizei sehr zurückhaltend. Ein Jugendlicher dieses Werkes sagte: »Wir gehen nicht zur Volkspolizei, wir wollen nicht unseren Beruf verlieren, denn wir legen auf ihn den größeren Wert.« Ein Jugendlicher vom RFT Görlitz,18 [Bezirk] Dresden: »Die sollen uns doch bald mit ihrer Werbung in Ruhe lassen, das ist ja schlimmer als Zwang.«
Ein Arbeiter der Abteilung Kesselschmiede des EKM Maschinenbau Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Wir sind doch eine Partei und kein Zwangsladen. Wir können nicht so stürmisch herangehen, wenn wir mit parteilosen Kollegen sprechen, dies sieht man ja auch wieder bei der VP-Werbung.« Ein Arbeiter vom Großkraftwerk Hirschfelde, [Bezirk] Dresden: »Ich lasse mich nicht werben, denn ich weiß nicht, wie die Zeiten noch einmal kommen und dann kann ich die Angehörigkeit zur VP nicht verantworten.«
Gerücht: In der Mathias-Thesen-Werft Wismar, [Bezirk] Rostock, wurde das Gerücht verbreitet, dass 3 000 Arbeiter, besonders die aus den Landbezirken, entlassen werden sollen.
Handel und Versorgung
In Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, lagern seit sechs Monaten 5 Tonnen Bienenhonig, die die Bezirksverwaltung Magdeburg nicht abnimmt, da angeblich kein Absatz dafür vorhanden ist.
Bei den HO-Lebensmittel des Kreises Zeitz, [Bezirk] Halle, fehlen einige Tonnen Fleisch- und Fleischwaren [sic!] für den Verkauf; die HO Lebensmittel Saalfeld und Jena benötigen dagegen ca. 14 Tonnen Fleisch und Fleischwaren, die ihnen zugeteilt wurden, nicht. In der HO Oschatz, [Bezirk] Leipzig, ist das Fleischkontingent aufgebraucht, sodass in den nächsten Tagen keine Waren mehr für den Verkauf vorhanden sind.
In Zehdenick, [Bezirk] Potsdam, sind die Preise für lebende Fische erhöht worden, da die Fischereigenossenschaft tote und lebende Fische vorher für den gleichen Preis verkaufte und dies jetzt abgeändert wurde. Die Bevölkerung diskutiert darüber negativ.
In der Bahnmeisterei Potsdam mangelt es an Arbeitskleidung (z. B. Handschuhe, Regenmäntel und Ähnliches).
Landwirtschaft
Über politische Tagesfragen wird ganz vereinzelt diskutiert. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frühjahrsbestellung, deshalb wird mehr über wirtschaftliche Fragen gesprochen. Der Mangel an Saatkartoffeln, Dünge- und Futtermitteln führt verschiedentlich zu negativen Diskussionen.
Aus den Bezirken Neubrandenburg und Magdeburg wird berichtet, dass in einigen Kreisen ein Mangel an Pflanzkartoffeln besteht. So z. B. fehlen im Kreis Malchin ca. 7 000 dz. Im Bezirk Cottbus fehlen nach vorläufiger Schätzung ca. 4 500 Tonnen.19 Ein Großbauer aus Burxdorf, [Bezirk] Cottbus: »Diesmal wird es wohl mit uns zu Ende gehen, sie werden uns bald dahin haben, wo sie uns hinhaben wollen.«
Im Kreis Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, sind Bauern unzufrieden, da sie einen Freigabeschein vom Rat des Kreises haben müssen, wenn sie Futtergetreide als Gegenlieferung für Saatgetreide zur Verfügung stellen.
An Düngemitteln, besonders Kainit-Kali, fehlt es im Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, im Kreis Sangerhausen, [Bezirk] Halle, fehlen 40 Waggon Kali. In verschiedenen Gemeinden des Kreises Parchim, [Bezirk] Schwerin, klagen Bauern darüber, dass sie nur 50 Prozent Düngemittel erhalten (besonders in Stickstoffen), dazu äußerten Großbauern: »Das ist ein Zeichen dafür, dass man uns ruinieren will.«20
Über die unzureichende Futtergrundlage äußerte ein Bauer aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Warum gibt man uns nicht genügend Futter, sondern nur den LPG. Ich bin total fertig und weiß nicht wie es weitergehen soll. Wenn man sieht, wie das Vieh hungert, verliert man die Lust zur Arbeit.« Ein Mittelbauer aus Niederwiesa, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »1953 wurde uns gesagt, wir bekommen für Milch Futtermittel, das ist aber nicht eingehalten worden. Wir haben keinen Ersatz bekommen.«
Die Krähenplage wirkt sich teilweise sehr nachteilig bei der Frühjahrsbestellung aus. Das wird aus den Bezirken Gera und Leipzig berichtet. Dazu äußerte der LPG-Vorsitzende der LPG Frauenprießnitz, [Bezirk] Gera: »Durch die Krähenplage musste in mehreren Gemeinden ein zweites Mal gesät werden. Es muss deshalb unbedingt etwas unternommen werden.«
Von den LPG und MTS: In der LPG Polkau, [Bezirk] Leipzig,21 herrscht Unzufriedenheit, weil die Arbeitseinheiten um 3,00 DM in der Bezahlung gekürzt wurden.
In der MTS »Nonnendorf« in Fröhden, [Bezirk] Potsdam, werden dringend Kultivatorgeräte benötigt und in der MTS »Wöbbelin« – Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, fehlen noch immer Ersatzteile (Kolben und Kolbenbuchsen).
Von der MTS Oberlichtenau, [Kreis] Karl-Marx-Stadt, wurden 41 Motoren zur Reparatur an das EMW Eisenach22 geschickt. Sie erhielten bis jetzt erst 19 Stück zurück, dadurch sind 22 Traktoren schon sechs Wochen nicht einsatzfähig.
Negative Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt, meist nur über wirtschaftliche Belange. In einer Gemeindevertretersitzung in Wasmerslage, [Bezirk] Magdeburg, äußerte ein Bauer: »In der DDR werden zwei Systeme gezüchtet. Ich finde es nicht richtig, dass man die LPG und VEG so bevorzugt. Wir ernten genauso viel und müssen aber mehr abgeben.« Ein Bauer aus Daskow, [Bezirk] Rostock, der in Westdeutschland zu Besuch war, äußerte: »Im Westen lebt man viel besser, als bei uns, dort gibt es alles zu kaufen, das wird es bei uns hier nie geben.«
Der CDU-Vorsitzende der Gemeinde Wöbbelin, [Bezirk] Schwerin, sagte auf einer Blocksitzung: »Die Regierung arbeitet ein Gesetz aus, das besagt, dass alle Bauernwirtschaften von 5 bis 10 ha, die nicht rentabel sind, zu LPG zusammengefasst werden. Da hat es doch gar keinen Zweck mehr, die Frühjahrsbestellung weiter durchzuführen.«23
Übrige Bevölkerung
Aufgrund des bevorstehenden IV. Parteitages hofft ein größerer Teil der Bevölkerung, besonders Hausfrauen, auf Vorschläge zur weiteren Verbesserung der Lebenslage (Preissenkung der HO, Abschaffung der Lebensmittelkarten). Teilweise befürchtet man, dass bei Abschaffung der Lebensmittelkarten die Preise den HO-Preisen angeglichen werden. Ein Bäckermeister aus Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Ich habe bereits wiederholt gehört, dass im Herbst dieses Jahres die Lebensmittelkarten wegfallen sollen. Dann würden die Bauern nicht mehr so viel Geld für ihre freien Spitzen bekommen,24 da die HO-Preise dann den jetzigen Kartenpreisen angeglichen würden.«
In Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, wird in mehreren Konsum-Verkaufsstellen das Gerücht verbreitet, dass in der nächsten Zeit die Lebensmittelkarten wegfallen und die Preise dadurch steigen, sodass niemand in der Lage ist, die Mengen zu kaufen, die heute auf die Karten erhältlich sind.
Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen weiterhin wirtschaftliche und persönliche Fragen. Hierzu einige Beispiele:
Ein Rentner aus Leipzig erklärte: »Das Leben in der DDR kostet mehr als nur DM 95,00 die ich als Rente bekomme, davon kann man doch wirklich nicht leben.«
Die Belegschaft des HO-Kaufhauses aus Leipzig führen [sic!] Diskussionen über die erneute Aufnahme der Sonntagsarbeit. Der größte Teil der Belegschaft lehnt die Sonntagsarbeit ab, es ist bereits so weit gekommen, dass einzelne Belegschaftsangehörige aus diesem Grunde die Kündigung eingereicht haben, darunter auch Bestarbeiter. Ähnliche Erscheinungen treten in Leipzig in den Hotels der HO »Astoria«, »Haus Antifa«25 und »International« zutage.
Ganz vereinzelt werden uns negative Meinungsäußerungen bekannt:
Eine Verkäuferin aus dem zentralen Warenhaus Frankfurt/Oder äußerte auf einem Ausbildungslehrgang zu Lehrgangsteilnehmerinnen: »Wenn wir Uhren mit Kleinreparaturen haben, schicken wir sie nicht ein, sondern verkaufen sie an Soldaten der Roten Armee oder an polnische Arbeiter.« Ähnliche Methoden wurden von der HO Heringsdorf, [Bezirk] Rostock, berichtet.
Ein Pfarrer aus [Bad] Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, äußerte: »Wenn eine friedliche Verständigung erreicht werden soll, müsste die Hetze aufhören. Im Übrigen glaube ich nicht an einen Erfolg der Genfer Konferenz.26 Es werden ja doch nur die alten Platten aufgelegt und diese führen zu keiner Verständigung. ›Freie Wahlen‹ jedoch würden ein klares Bild schaffen.«27
Eine Hausfrau aus Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »In Westberlin gibt es alles, bloß hier bei uns nicht. Im Westen leben die Leute ganz anders als bei uns. Da lebt ja ein Arbeitsloser schon besser. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
Anlässlich einer Hausversammlung in Görlitz, [Bezirk] Dresden, sagt ein Angehöriger der KVP über seine Einheit (Torgelow, [Bezirk] Neubrandenburg, Postschließfach Nr. 110) Folgendes: »Es gefällt mir und meinen Kameraden in Mecklenburg nicht, da dort die alten Offiziere den preußischen Militarismus wieder aufziehen und schon wieder Stiefelputzer haben. Alle Beschwerden wandern in den Papierkorb. Kann denn hier nicht das ZK eingreifen? Bei einer Kontrolle wird nicht einer von meinen Kameraden etwas sagen, da sie nachher schikaniert würden. Bei unserem Arbeitskommando arbeiten die sowjetischen Offiziere und Soldaten mit, doch unsere Offiziere stehen dabei und sehen zu.«
VP-Werbung: In einer Parteiversammlung äußerte ein Genosse aus Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden: »Ich lasse mir lieber die Hände abschlagen, ehe ich einen zur VP werbe. Wir brauchen Facharbeiter. Zur VP gehen bloß die, die nichts mehr machen sollen.« In Potsdam fragte man einen Arbeiter, ob er zur KVP möchte. Dieser antwortete ihm, dass er erst studieren wolle, da gab man ihm die Auskunft, wenn er nicht zur KVP kommt, dann wird man dafür Sorge tragen, dass er auch nicht studieren kann.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriften des SPD-Ostbüros:28 Neubrandenburg 12 000, Frankfurt/Oder 50, Karl-Marx-Stadt 56, Potsdam 22, Erfurt 18, Dresden 11. Inhalt: Hetze gegen die SU, Regierung der DDR und SfS, »Langsamarbeiten«, »freie Wahlen«.
Hetzschriften der KgU:29 Karl-Marx-Stadt 2 700, Dresden 10. Inhalt: Hetze gegen die DDR, »freie Wahlen«.
Hetzschriften der NTS:30 Gera 4 000, Frankfurt/Oder 260, Dresden 142, Potsdam 133, Neubrandenburg 23.
In den Bezirken Halle, Cottbus und Schwerin wurden einige Flugblätter der KgU, NTS und des Ostbüros der CDU gefunden. Der größte Teil der o. a. Hetzschriften wurden mit Ballons eingeschleust.
Folgende Hetzbriefe wurden sichergestellt: Im Bezirk Erfurt drei von dem UfJ,31 Inhalt: Verbesserung des Empfangs aller Westsender, im Bezirk Potsdam einige Hetzbriefe vom UfJ. Inhalt: Gefälschte Betriebszeitung vom VEB »Heinrich Rau« in Wildau,32 Hetze gegen SfS.
In den Bezirken Magdeburg und Leipzig wurde eine größere Anzahl Hetzbriefe der sogenannten SED-Opposition33 und im Bezirk Halle 55, im Bezirk Potsdam 26 gefunden. Inhalt: Hetze gegen das ZK, Genossen Walter Ulbricht, Statut,34 Aufforderung zu parteifeindlichen Diskussionen zum IV. Parteitag, Verteidigung der Plattform Zaisser35-Herrnstadt.36
Im Bezirk Halle wurden 26 Hetzbriefe von der West-CDU sichergestellt.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 21.3.1954 wurden auf dem Bahnhof Althaldensleben, [Bezirk] Magdeburg, die Lampenscheiben vom Einfahrtssignal durch unbekannte Täter zerschlagen und der Signaldraht aus der Seilrolle gehoben, sodass die Signalanlage gestört war.
Am 20.3.1954 traten im Wald der LPG in Moraas, [Bezirk] Schwerin, zwei Brände auf; in der Zeit vom 23. bis 24.3.1954 entstanden im Bezirk Neubrandenburg 13 Waldbrände. Die Ursache ist bei allen Bränden noch nicht ermittelt.
Einschätzung der Situation
Die Lage hat sich gegenüber den Vortagen nicht verändert.
Anlage 1 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2163
Anhang: Westberlin
Am 21.3.1954 fand in Berlin-Reinickendorf eine DGB-Mitgliederversammlung statt, wo ca. 700 Kollegen, darunter 15 Frauen, anwesend waren. Der Redner, ein Kollege Warnke,37 sprach u. a. davon, dass im DGB eine Krise vorhanden sei, da die organisierten Kollegen kaum mitarbeiten würden. Weiterhin erklärte er sich mit der Lohnsteuersenkung nicht einverstanden.38 Sie wäre ein Bluff und Betrug an den Arbeitern. Ferner griff er die westdeutschen Zeitungen sowie den »Telegraf«39 und die »Morgenpost«40 an, da sie kein Wort über die Kämpfe des DGB schreiben würden. Besonders der »Telegraf« habe noch nie etwas für die Gewerkschaften getan.
In der Diskussion sprachen zwölf Redner, z. T. Betriebsräte. Fast alle forderten, dass der 1. Mai ohne Arbeitgeber durchgeführt wird. Weiterhin sprachen sie gegen die Preiserhöhungen und verlangten Lohnangleichung und Preisstopp.41 Zur Durchsetzung dieser Forderungen schlugen einige Redner einen Warnstreik vor. Außerdem griffen die meisten Diskussionsredner das arbeiterfeindliche Verhalten Scharnowskis42 an und forderten, dass »man sich mit ihm befasst«.43 Alle diese Diskussionen erhielten starken Beifall.
Ein Diskussionsredner führte zur Erwerbslosenfrage u. a. aus, dass man mit Polen und China Handel treiben könnte, so wie es Frankreich und England auch tun. Eine feine Sache wäre, dass der »Ostmagistrat« ein Handelsabkommen von 2 Millionen Mark angeboten hätte.44 Dem stimmte die Mehrheit der Anwesenden zu. Nur ca. 30 Personen, die zusammensaßen, brüllten: »Aufhören«.
Im Schlusswort führte der Redner u. a. aus: »Das Handelsabkommen des Ostmagistrats ist ein Betrug. Das könnte denen so passen, Westqualität gegen Ostmark.« Weiterhin sagte er: »Bei einem achtstündigen Warnstreik entsteht die Frage, wer ihn bezahlen soll und wer zum Streik aufruft. Die Gewerkschaften würden durch diesen Streik geschwächt werden. Bei einem Generalstreik würde uns die Bundesregierung zum Teufel gehen.«45
Zu den Diskussionen über Scharnowski äußerte er lediglich: »Es sei bedauerlich, dass die ›Deutsche Partei‹ den Artikel über Scharnowski in ihrer Zeitung gebracht hat, den sie aus der Ostpresse entnommen hat.«46
Anlage 2 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2163
Anhang: Stimmen von Werktätigen der Industrie zum Film »Ernst Thälmann47 – Sohn seiner Klasse«48
Die uns bekannt gewordenen Stimmen über diesen Film sind in der Mehrzahl positiv. Besonders beeindruckt waren ältere Arbeiter, welche diese Zeit selbst miterlebt haben. Von einem Teil wird geäußert, dass in diesem Film die Stärke der Arbeiterklasse gut zum Ausdruck kam und das verräterische Treiben der Feinde der Arbeiterklasse und ihre Handlanger, die rechte SPD-Führung, entlarvt wurde. Weiterhin bringt man zum Ausdruck, dass man aus diesem Film die Lehren im Kampf gegen unsere Feinde ziehen muss. Vereinzelt baten aus dieser Erkenntnis heraus Arbeiter um Aufnahme als Kandidat in die SED. Ein großer Teil ist erstaunt über die guten Leistungen der DEFA und der Schauspieler, die sie bei diesem Film zeigten. Negative bzw. feindliche Äußerungen wurden nur vereinzelt bekannt. Neben feindlichen Diskussionen zeigt sich dies in der Ablehnung eines Besuches dieser Filmveranstaltung.
Ein Arbeiter aus Groß-Berlin: »Der Thälmann-Film ist ein herrlicher Film und die schauspielerischen Leistungen sind sehr gut. Ganz deutlich zeigt er den Kampf der Arbeiterklasse und die führende Rolle Thälmanns. Wenn man dies in einem Film sieht, versteht man alles noch viel besser. Deutlich sieht man, was zu erreichen ist, wenn die Arbeiter einig sind, vor allen Dingen, wenn Arbeiter und Bauern zusammen kämpfen. Wir müssen daraus erkennen, und die Lehren ziehen, dass Scharnowski, Adenauer49 und Konsorten das Gleiche bezwecken, dies dürfen wir aber nicht zulassen.«
Ein Arbeiter aus Groß-Berlin: »Ich war erst skeptisch, ob der Schauspieler Günther Simon50 in der Lage sei, Ernst Thälmann so darzustellen, wie er gewesen ist. Nach den ersten Bildern war es mir dann, als ob Ernst Thälmann wirklich dort stände. Man findet einfach keine Worte, den Film zu würdigen. Bei einigen Szenen kam mir ein Würgen in den Hals und die Augen wurden feucht. Es war nicht wegen der Niederlagen, die das kämpfende Proletariat erleiden musste, sondern wegen der Erkenntnis, was für einen hervorragenden Menschen der Faschismus uns genommen hat. Thälmann war ein wirklicher Sohn seiner Klasse. Dieser Film ist ein Meisterwerk der DEFA. Ein Mangel des Films besteht allerdings darin, dass ein Mensch ohne geschichtliche Vorkenntnisse nur schwer den Ereignissen folgen kann, da die Szenen in manchen Dingen zu sprunghaft sind. Auf alle Fälle wird der Film viele Menschen zum Nachdenken zwingen. Besonders über die Rolle der rechten SPD-Führung.«
Ein Jugendlicher aus Groß-Berlin: »Der Thälmann-Film ist herrlich, uns fehlt jedoch noch viel, bis wir jungen Menschen so weit sind, wie es die Genossen in dieser Zeit waren. Besonders beeindruckt hat mich die Rolle der Änne51 Harms.«
Eine Arbeiterin aus Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Diesen Film müssten alle Menschen sehen, denn er zeigt uns Arbeitern die Stärke und Siegeszuversicht der KPD unter Führung Ernst Thälmanns. Daraus können wir auch für unseren Kampf lernen. Denn es stärkt uns in der Gewissheit, dass wir für eine gerechte Sache kämpfen.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Fliesenwerk Boizenburg, [Bezirk] Schwerin: »Als ich den Film gesehen habe, musste ich wieder an den Blutsonntag im Juni 1932 in Hagenow denken.52 Wo damals auch die rechte SPD-Führung großen Verrat übte.«
Ein Tischler von der Schiffswerft Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt: »Der Film hat mir sehr gut gefallen, ich dachte nicht, dass die DEFA so etwas fertigbringt. Wir älteren Arbeiter haben dies ja teilweise miterlebt, aber erst jetzt wird man sich so richtig klar, worum es damals gegangen ist.«
Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB IKA Suhl: »Diese Zeit habe ich selbst miterlebt und die Handlung des Films entspricht voll und ganz den Tatsachen. Über die Leistungen der Schauspieler und den Stoff muss ich staunen.«
Ein Abteilungsleiter vom Fischkombinat Rostock: »Diesen Film muss jeder Deutsche gesehen haben, denn er zeigt uns, wie damals die Arbeiterklasse gekämpft hat, um den Kapitalismus zu stürzen. Vom Film bin ich selbst sehr beeindruckt und bin erstaunt, dass unsere DEFA den Film so gut hinbekommen hat. Ich werde auch dafür sorgen, dass in meiner Abteilung alle Kollegen diesen Film besuchen.«
Ein Arbeiter aus Suhl: »Dieser Film zeigt die geschichtlichen Tatsachen der deutschen Arbeiterklasse, es ist nur zu bedauern, dass es noch Menschen gibt, die diesen Film nicht besuchen.«
Eine Arbeiterin von der Fabrik 99 der Wismut in Oberschlema: »Der Film hat bei mir einen derartigen Eindruck hinterlassen, besonders die Rolle der Frau, die auch jetzt bei der Errichtung der Arbeiter- und Bauernmacht eine wichtige Rolle spielt. Gerade die Partei unterstützt die Frage der Gleichberechtigung der Frau und deshalb bitte ich, dass man mich in die Partei der Arbeiterklasse aufnimmt.«
Der Planungsleiter des VEB Fliesenwerkes Boizenburg, [Bezirk] Schwerin, ersuchte ebenfalls, nachdem er diesen Film gesehen hat, um Aufnahme als Kandidat der SED.
Ein Ladeschaffner von der Güterabfertigung Wismar: »Diesen Film sehe ich mir erst gar nicht an, hätte Thälmann damals gesiegt, so hätten wir die Not und das Elend, welches wir heute haben, schon damals bekommen, so haben wir doch wenigstens bis 1945 die Freiheit gehabt. Man hätte Thälmann schon 1923 ermorden müssen.«53
Vom Entwurfsbüro Magdeburg erklärten sich von 150 Angestellten nur drei Angestellte bereit, den Film »Ernst Thälmann« anzusehen. Sie begründeten es damit, dass bei ihnen zu viel Arbeit vorliegt und sie keine Zeit haben.
Die Arbeiter der Bau-Union Stalinstadt und einer Privatfirma in Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt, nahmen an einer kostenlosen Filmvorführung des Thälmann-Filmes nicht teil.