Zur Beurteilung der Situation
30. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2274 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der Diskussionen über politische Tagesfragen steht der erfolgreiche Abschluss der Genfer Konferenz.1 Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind fast alle positiv. Oft äußert man sich, dass alle strittigen Fragen durch Verhandlungen gelöst werden können. In den Diskussionen bringt man weiter zum Ausdruck, dass der Abschluss des Waffenstillstandes in Indochina ein Sieg des Weltfriedenslagers und besonders der SU ist. Gleichzeitig wird die Hoffnung auf die Lösung des Deutschlandproblems auf dem Verhandlungswege ausgesprochen. Die meisten Stimmen stammen von Arbeitern, weniger von Angestellten. Die technische Intelligenz äußert sich selten zu politischen Tagesfragen. Der Umfang der Diskussionen hat sich gegenüber dem Vortage nicht verändert.
Ein parteiloser Former aus dem VEB Eisenhammerwerk Dölzschen, [Bezirk] Dresden: »Dass nun endlich das vietnamesische Volk von den furchtbaren Kriegshandlungen befreit ist, ist der Initiative des Weltfriedenslagers zu verdanken. Der amerikanische Imperialismus wird nach neuen Opfern suchen, um sein schädliches Kriegshandwerk wieder aufzunehmen. Es gilt deshalb, alles daran zu setzen, dass dies verhindert wird.«
Ein Schießmeister vom Schacht 207 aus Aue: »Was in Genf in der Frage Indochina möglich war, das muss auch in Deutschland möglich sein, wenn die Regierung in Westdeutschland nicht so amerikanisch eingestellt wäre und die wirklich deutschen Interessen vertreten würde. Wir müssen den Menschen immer wieder aufzeigen, wer tatsächlich den Frieden will und nicht bloß davon redet und dabei für den Krieg arbeitet, wie es in Westdeutschland der Fall ist.«
Ganz vereinzelt treten negative Diskussionen zur Genfer Konferenz auf. Ein Kollege aus dem VEB Kalksandsteinwerk Niederlehme, [Bezirk] Potsdam: »Die da oben sind sich immer einig und der Waffenstillstand in Vietnam ist nur eine vorübergehende Abmachung, um die Menschen zu beruhigen.«
Ein parteiloser Schlosser aus dem Reißverschlusswerk Hellendorf,2 [Bezirk] Dresden: »Die Russen sollen ja nicht denken, weil sie vielleicht jetzt in Genf einen Erfolg hatten, dass der Amerikaner sich so ohne Weiteres einsacken lässt. In den nächsten Konferenzen wird er vielleicht anders auftreten als zur Genfer.«
Ein Meister vom VEB BW Falkenau,3 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Was geht mich Indochina an, für mich ist die Hauptsache, ich habe Material, dass ich arbeiten kann.«
Zur neuen Note der SU an die Westmächte vom 24.7.1954 berichten wir im Anhang.4
Über den Besuch des Ministerpräsidenten und Außenministers der Volksrepublik China, Tschu En Lai,5 wurden uns sehr wenig Stimmen bekannt. In diesen wenigen Stimmen äußert man sich, dass der Besuch ein großer Freundschaftsbeweis war. Außerdem werden die Verdienste des Ministerpräsidenten auf der Genfer Konferenz gewürdigt.
Ein Arbeiter aus dem Mannsfeld Kombinat »Wilhelm Pieck«: »Der Besuch des chin. Ministerpräsidenten Tschu En Lai in der DDR ist ein großer Freundschafts- und Solidaritätsbeweis. Ich und alle meine Kollegen sind der Meinung, dass dieser Besuch in der weiteren Zukunft für beide Völker in politischer sowie wirtschaftlicher Hinsicht eine günstige Entwicklung nehmen wird.«
Ein Arbeiter vom Landmaschinenwerk Barth, [Kreis] Ribnitz, [Bezirk] Rostock: »Der Besuch des chinesischen Außenministers in Berlin ist für uns von großer Bedeutung, denn von diesem wurden auf der Genfer Konferenz die Interessen des Friedens und damit unsere Interessen vertreten.«
Die Diskussionen über den Schritt des Leiters vom Bundesamt für Verfassungsschutz, Dr. John,6 haben gegenüber dem Vortag etwas zugenommen.7 Bei diesen Diskussionen vertritt man die Meinung, dass es noch nicht der letzte Staatsmann aus der Bundesrepublik war, der den Weg zu uns in die DDR findet.
Ein Ingenieur aus dem EKS Frankfurt: »Zusammen mit den jüngsten weltgeschichtlichen politischen Ereignissen in Genf hat die Sache des Friedens in der Einstellung der einzelnen Menschen einen großen Auftrieb erfahren. Dr. John hat die Lage in Westdeutschland richtig eingeschätzt und hat aufgrund des Kriegskurses und seiner Kenntnis über die DDR vorgezogen, hierher zu kommen.«
Ein Schleifer aus dem IFA-Phänomenwerk Zittau, [Bezirk] Dresden: »Der Dümmste müsste doch endlich begreifen, dass im Adenauer-Staat8 etwas faul ist. Damit wird hoffentlich jedem bewusst geworden sein, wohin der Weg führt, den man im Westen beschreitet.«
Ein Arbeiter aus dem Reparaturwerk Wünsdorf, [Bezirk] Potsdam: »Mit der Flucht Dr. Johns ist erneut bewiesen, dass es mit der Freiheit und Friedenspolitik Adenauers sehr schlecht bestellt ist und dieser immer mehr Anhänger verliert.«
Ganz vereinzelt wurden negative Stimmen zum Fall John bekannt. In der Brikettfabrik »Impuls« Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, wurde folgendes Gerücht verbreitet: »Dr. John ist bestimmt von der Staatssicherheit rübergelockt worden und der Betreffende hat für diese Arbeit 5 000 DM bekommen.«
Unter den Werktätigen von Berlin-Pankow und dem Wismutgebiet9 treten vereinzelt Diskussionen auf, in denen man die Meinung vertritt, dass aufgrund der Hochwasserkatastrophe eine Hungersnot eintritt,10 demzufolge die Brotmarken wieder eingeführt werden. Aufgrund dieser Gerüchte wurden von einigen Kollegen des VEB Niles Berlin-Pankow11 Angsteinkaufe getätigt. Einige Kumpel aus Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, brachten zum Ausdruck, dass man sich mit genügend Mehl und Hülsenfrüchte eindecken muss, »für die kommende schlechte Zeit«. Im VEB Textilwerk Gößnitz, [Bezirk] Leipzig, wird unter den Arbeitern das Gerücht verbreitet, dass es in Kürze wieder zur Einführung der Brotmarken kommen wird.
Missstimmung besteht in einigen Betrieben über verschiedene betriebliche Angelegenheiten, wie Lohnfragen usw. Die Gleisbauarbeiter im Reichsbahnamt Altenburg, [Bezirk] Leipzig, sind über ihre niedrigen Löhne unzufrieden und wandern aus diesem Grunde als Gleisbauarbeiter in die Gruben und Zechen ab, wo sie höhere Löhne bekommen. Aufgrund dieser Tatsache besteht beim Reichsbahnamt Altenburg ein ständiger Mangel an Arbeitern für den Gleisbau.
Im »Walter-Griesbach-Werk« in Güstrow,12 [Bezirk] Schwerin, kam es zu Lohndifferenzen. Die Ursache war, dass die unqualifizierten Kräfte höhere Beträge erhielten als die qualifizierten Spezialisten. Im Gaswerk Güstrow, [Bezirk] Schwerin, kam es ebenfalls zu Lohnzwistigkeiten. Die Ursache lag in der unterschiedlichen Bezahlung der Ofenarbeiter.
Unter den Arbeitern der Volkswerft »Ernst Thälmann« in Brandenburg herrscht Empörung darüber, dass man einen Bestarbeiter, der als fortschrittlicher Mensch bekannt ist, mit seiner Familie zwangexmitiert13 wurde [sic!]. Die schon vorhandene Empörung erreichte ihren Höhepunkt, als bekannt wurde, dass der Bestarbeiter inhaftiert wurde. Unter den Kollegen trat folgende Diskussion auf: »Für uns ist das unbegreiflich. Wir schimpfen über Westdeutschland, aber handelt man denn hier vorbildlich? Ist denn in einem Arbeiter- und Bauernstaat überhaupt so etwas möglich?«
Im Kreis Döbeln besteht unter den Belegschaften der Privatbetriebe Verärgerung darüber, dass sie keine Genehmigung für Werkküchenessen erhalten.
Im VEB Baumwollspinnerei Mittweida,14 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, beklagen sich die Arbeiter über das bürokratische Arbeiten des Ministeriums für Leichtindustrie. Dieser Betrieb ist ohne Weiteres in der Lage, Massenbedarfsartikel herzustellen und zwar Scheuertücher, Verpackungsschnur usw. Diesbezüglich hat sich die Betriebsleitung an das Ministerium für Leichtindustrie gewandt, was aber bis heute noch nicht geantwortet hat.
Innerhalb der Wismutschächte besteht immer noch ein Mangel an Bohrstangen. So macht sich z. B. ein größerer Mangel an Bohrstangen auf allen Schächten in Aue bemerkbar. Auf Schacht 13 war vergangene Woche zu verzeichnen, dass der Obersteiger sowie der sowjetische Schachtleiter persönlich 50 Bohrstangen vom Zentralmagazin holen mussten, nur damit die Frühschicht ohne Ausfall arbeiten konnte. Dies führt zum Teil zu Missstimmungen, was besonders auf dem Schacht 186/296 der Fall ist. Gleichzeitig tritt immer noch Mangel an Hunte15 in Erscheinung.
Handel und Versorgung
Missstimmung: In den Geschäften des Konsums und Privathandels in der Kissing-, Stubnitz- und Breite Straße, Berlin-Pankow, werden kleine und grüne Kartoffeln verkauft. Die Hausfrauen erklärten, dass diese Kartoffeln gesundheitsschädlich sind und dass sie nicht so verfrüht aus der Erde geholt werden sollen.
Mängel in der Verteilung von Frischfleisch sind in Auerbach, Wismut, aufgetreten. Am 29.7.1954 sind statt 10 t nur 2 t angeliefert worden. Der Ausgleich mit Importware aus China und Ungarn, der von Schlachthöfen angeboten wurde, kann wegen des großen Fettgehaltes in den Küchen nicht verwendet werden. Am 30.7.1954 stehen die Wismutküchen zum größten Teil ohne Frischfleisch da. Ebenso die HO-Fleischereien, da nur ein geringer Teil der angeforderten Menge angeliefert wurde. Es besteht die Befürchtung, dass dieser Mangel unter den Kumpels Verärgerung auslöst.
Im Kreis Eisenberg, [Bezirk] Gera, und den Kreisen Worbis und Langensalza, [Bezirk] Erfurt, macht sich ebenfalls ein Mangel an Frischfleisch bemerkbar.
Frühkartoffelmangel ist im gesamten Kreisgebiet Eisenberg, [Bezirk] Gera, in den umliegenden Ortschaften des Kreises Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, und im Bezirk Cottbus hauptsächlich in den Industriezentren zu verzeichnen. Die Kollegen des Glaswerkes Kostelrau,16 [Bezirk] Cottbus, äußern ihre Missstimmung darüber, dass in ihrer Gemeinde noch kein Pfund Kartoffeln zum Verkauf gekommen ist, während auf den Märkten von Privatleuten die Kartoffeln verkauft werden, die man lieber dem Konsum oder der VEAB zur Verteilung geben soll.
Nährmittel, Hülsenfrüchte, Graupen, Gries, Haferflocken, Maizena,17 fehlen im Kreisgebiet Wittenberg. Die Mütter mit Kleinstkindern müssen in die Kreisstadt oder andere Städte fahren, zum Einkauf dieser Lebensmittel. Desgleichen besteht auch in verschiedenen Gemeinden des Kreises Worbis, [Bezirk] Erfurt, ein Mangel an Graupen und Haferflocken.
Benzinmangel: Wie bereits berichtet wurde, besteht in einigen Kreisen des Bezirkes Erfurt ein Benzinmangel, wovon jetzt auch die KG Heiligenstadt betroffen ist. Ebenso besteht in einigen Kreisen des Bezirkes Suhl noch Benzinmangel. Da auch die Treibgasfahrzeuge in Schmalkalden in diesem Monat kein Treibgas erhalten haben und mit Benzin fahren müssen, wirkt sich die Benzinknappheit jetzt auf die Lebensmitteltransporte aus und wenn im Laufe des heutigen Tages kein Benzin eintrifft, können dort die Lebensmittelgeschäfte nicht beliefert werden.
Überplanbestände und verderbgefährdete Waren: Im HO Görlitz, [Bezirk] Dresden, lagern 10 000 Dosen Dorschleber. Trotz Ablehnung neuer Lieferungen erhielt die ZAK18 Görlitz weitere 9 t Dorschleber, wovon 1 t zum sofortigen Verbrauch bestimmt ist. Trotz Herabsetzen des Preises, ist kein Absatz zu verzeichnen, sodass die Gefahr besteht, dass ein großer Teil davon verdirbt. Die VEAB Kalbe/Milde, [Bezirk] Magdeburg, hat Absatzschwierigkeiten mit Gemüse. Zurzeit lagern dort 2 800 Bund Mohrrüben.
Landwirtschaft
An politischen Tagesfragen ist die Landbevölkerung nach wie vor nur wenig interessiert. Daher sind die Stimmen zum Waffenstillstand in Vietnam und zur Note der SU auch sehr gering. Sie stammen hauptsächlich aus dem sozialistischen Sektor und sind meist positiv. Über die Note der SU wird im Anhang berichtet. Nachstehend einige Beispiele zum Abschluss der Genfer Konferenz. Ein Brigadier der LPG im Kreis Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir sind über den Ausgang der Genfer Konferenz erfreut, denn das zeigt uns wieder, dass alle Fragen auf friedlichem Wege gelöst werden können.«
Ein Landarbeiter vom VEG Holzhausen, [Bezirk] Potsdam, sagte: »Mit Freude habe ich vernommen, dass in Genf ein erfolgreicher Abschluss getätigt wurde. Nach jahrelangem Kampf in Indochina hat das um seine Freiheit kämpfende Volk einen vollen Sieg errungen. Das ist ein Vorbild gegenüber anderen Völkern, die um ihre Freiheit kämpfen.«
Nur ganz vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Äußerungen zur Genfer Konferenz gemacht. So sagte ein werktätiger Bauer aus Jennyhof, [Bezirk] Neubrandenburg: »Was nützen uns die ganzen Verhandlungen, wenn wir die Besatzung nicht loswerden, denn die Einheit kriegen wir nicht. Der Westen will nicht zum Osten, solange die Besatzung der Russen bei uns ist.«
Zum Entschluss des Dr. John, das Bundesgebiet zu verlassen, sagte ein Landarbeiter aus Beestland, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich glaube der Sieg der Genfer Konferenz hat viel dazu beigetragen, dass sich der Präsident vom Bundesverfassungsschutzamt Dr. John in die DDR begeben hat. Ich bin der Meinung, dass die Bevölkerung im Westen unserer Heimat es jetzt klar erkennen und der CDU-Regierung den Rücken kehren wird.«
In der Hauptsache befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen bzw. mit der Einbringung der Ernte und den damit verbundenen Schwierigkeiten. In den MTS Roggendorf, Bülow, [Bezirk] Schwerin, und den MTS des Bezirkes Rostock wird weiterhin über den Ersatzteilmangel geklagt. In Roggendorf und Bülow z. B. fehlen Transportachsen für Mähbinder sowie Bereifung. In der MTS Roda, [Bezirk] Erfurt, wurden zwei fabrikneue Traktoren ohne Lichtmaschine geliefert, sodass man sie zum Nachteinsatz nicht gebrauchen kann.
In Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, fehlt für 2 648 ha Saatgut für den Zwischenfruchtanbau.
In Möckern, [Bezirk] Leipzig, und in Mahlsdorf, Kaulsdorf, Malchow und Falkenberg-Berlin beklagen sich die Bauern darüber, dass ihnen das anfallende Gemüse von der VEAB nicht abgenommen wird, weil angeblich bereits genügend Gemüse vorhanden ist.
Im VEB Kammersdorf,19 [Bezirk] Potsdam, sperrte eine Arbeitsschutzinspektion den Jungviehstall und die Scheune, weil die Sicherheitsmaßnahmen nicht gewährleistet sind. Zur Beseitigung der Mängel wurde zwar das Geld, aber nicht das Bauholz vom Rat des Kreises bewilligt, sodass jetzt kein Raum für das Heu vorhanden ist.
Schweinepest brach im VEG Wolkwitz, [Bezirk] Neubrandenburg, aus. 29 Schweine verendeten und 69 Schweine mussten notgeschlachtet werden. Außerdem herrscht die Schweinepest noch auf vier VEG, vier ÖLB, einer LPG und 20 Privatwirtschaften im Bezirk Neubrandenburg.
Übrige Bevölkerung
Unter der übrigen Bevölkerung wird zu politischen Tagesfragen sehr wenig Stellung genommen. Der erfolgreiche Abschluss der Genfer Konferenz wurde vereinzelt diskutiert und zum Ausdruck gebracht, dass nun auch über Deutschland verhandelt werden müsste. Dass solche Verhandlungen erfolgreich sein können, beweist der Waffenstillstand in Indochina. Meistens werden hieraus neue Hoffnungen auf eine Einigung Deutschlands geschöpft. Hierzu folgende Beispiele: Ein Elektriker aus Putbus, [Bezirk] Rostock (parteilos): »Jede Verhandlung, auch wenn sie noch solange dauert, führt zum Ziel. In Genf haben die SU und China gesiegt. Nun muss weiterverhandelt werden, auch über Deutschland.« Eine Hausfrau aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich freue mich, dass endlich das Blutvergießen aufgehört hat in Vietnam. Ich hatte bisher die Hoffnung in Bezug auf die Einheit Deutschlands aufgegeben, aber jetzt habe ich wieder neue Hoffnungen geschöpft.«
Zur Note der Sowjetregierung an die Westmächte wird nur ganz vereinzelt diskutiert.
Zur Rechenschaftslegung durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Scholz,20 am 28.7.1954, in Genthin, [Bezirk] Magdeburg: Der Saal war vollbesetzt (ca. 450 Personen). Unter den Beteiligten herrschte eine gute Stimmung. Es sprachen zwölf Diskussionsredner, alle über wirtschaftliche Fragen. Die Volkswahlen wurden von den Diskussionsrednern überhaupt nicht erwähnt.21
Gerüchte über Lebensmittelknappheit infolge des Hochwassers und über Einführung der Rationierung verschiedener Lebensmittel, besonders Möhren, wurden im Kreis Angermünde, Eberswalde und Bernau, [Bezirk] Frankfurt/Oder, sowie in einigen Kreisen des Bezirkes Potsdam verbreitet. Infolgedessen kam es im Bezirk Frankfurt in einigen Fällen zu großen Einkäufen an Mehl.
In der Gemeinde Deutsch-Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, wurde das Gerücht verbreitet, dass die jetzt eingekauften Kartoffeln später vom Gesamtquantum abgezogen werden.
In Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, wird besonders unter den Hausfrauen das Gerücht verbreitet, dass nach dem sogenannten 100-jährigen Kalender eine neue Hochwasserkatastrophe in diesem Jahr bevorstände, wonach eine große Hitzewelle einsetzen würde, die Pest und Seuchen auslösen würde. Dieses Gerücht kommt vermutlich aus den Kreisen der Bibelforscher.22 Gerüchte in ähnlicher Form sind ebenfalls in Leipzig aufgetreten.
In Gotha, [Bezirk] Erfurt, besteht ein Mangel an Kartoffeln. Dazu äußerten einige Hausfrauen: »Man muss vier bis fünf Stunden stehen, um ein paar Kartoffeln zu bekommen. Wir sind der Meinung, dass diese Dinge bewusst zurückgehalten werden, um dann vor der Volkswahl mit diesen Dingen Propaganda machen zu können.«
Beim Rat des Bezirkes Merseburg,23 [Bezirk] Halle, bestehen Schwierigkeiten beim Umbau der Heizungsanlagen von Brikett auf Rohkohle. Es ist bis jetzt noch nicht geklärt, wer diesen Umbau finanziert bzw. ob überhaupt umgebaut werden soll. Dabei müssten etwa 40 bis 50 Heizungsanlagen bei Schulen, Krankenhäusern usw. geändert werden, weil sie nur wenig oder gar keine Briketts erhalten.
Von der Bevölkerung Hettstedt – Altdorf, [Bezirk] Halle, wurde Beschwerde geführt, weil durch die Flugasche von den Feinhütten des Mansfeld Kombinats »Wilhelm Pieck« ständig Schaden angerichtet wird. Man berief eine Versammlung vor der Kirche in Altdorf ein, wo man einige Fragen an den Kombinatsleiter richten wollte. Die Versammlung wurde aber vom VP-Kreisamt Hettstedt aufgelöst, weil sie nicht angemeldet war.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:24 Schwerin 1 000, Karl-Marx-Stadt 773.
KgU:25 Suhl 28 000, Dresden 2 800.
UFJ:26 Potsdam 320.
NTS:27 Karl-Marx-Stadt 168.
CDU-Ostbüro: Neubrandenburg 15, Cottbus 300, Potsdam 500.
Versch[iedener] Art: Frankfurt 750.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: In der Warnow-Werft Warnemünde, [Bezirk] Rostock, wurde eine Hetzlosung gegen unsere Genossen Pieck,28 Grotewohl29 und Ulbricht30 angebracht.
In Großbrembach, Kreis Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, wurde auf einem Kriegerdenkmal das 1945 entfernte Eiserne Kreuz wieder befestigt. Die Täter sind bekannt.
An verschiedenen Häusern der Stalinallee in Berlin wurden in der letzten Zeit die Sprechanlagen mutwillig herausgerissen, die Lautsprecher abmontiert und die Deckel dann wieder aufgesetzt.
Vermutliche Feindtätigkeit
In Großröhrsdorf, Kreis Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, wurden ca. 30 Rapsgarben aus den Puppen gezogen, auf den Fahrweg geworfen und zertreten.
In Ebersdorf, Kreis Lobenstein, [Bezirk] Gera, forderte die Mutter eines Schülers der Zentralschule Ebersdorf in einem Schreiben die Beseitigung des Schulleiters (SED), da »dieser nicht nach ihrem Sinne arbeite«. Dieses Schreiben sollten andere Eltern auch unterschreiben, was aber in den meisten Fällen abgelehnt wurde.
Lage in Westberlin
Zum Fall Dr. John werden Stimmen vorwiegend aus Kreisen der Polizei und Journalisten bekannt. Die Westberliner Bevölkerung nimmt in den meisten Fällen die Veröffentlichungen der Westpresse nicht ernst. Auf dem Weg zum Revier unterhielten sich zwei Stupos31 über Dr. John. Dabei brachte ein Polizeimeister zum Ausdruck: »Man kann keinem der Brüder mehr Vertrauen entgegenbringen, sogar seinem nächsten Vorgesetzten kann man nicht mehr trauen. Wie können sie auch einem Menschen, der erst 1950 nach Westdeutschland gekommen ist,32 ein so bedeutendes, wichtiges Amt überlassen.«
Auf einem Revier war dieses Ereignis vor der Dienstbesprechung Gegenstand einer Diskussion. Es unterhielten sich einige Polizeiwachtmeister, wobei einer zum Ausdruck brachte: »Na, da können wir noch was erleben. Der Truschnowitsch33 wird wohl auch auf diese Weise nach drüben gegangen sein.« Zwei andere Wachtmeister sagten, dass das eine große Schweinerei sei. Das Ausland wird der Bundesregierung kein großes Vertrauen in Zukunft mehr schenken.
Ein Reporter des »Kurier« brachte zum Ausdruck, dass er kaum glaube, dass Dr. John entführt wurde. Er bezeichnete den Fall John als die schwerste Schlappe der westlichen Politik. Hierdurch sei der Bevölkerung der DDR bestätigt worden, dass der ganze Osten mit einem riesigen Spionagenetz überzogen sei, ferner, dass im Westen die politische Front anfängt zu bröckeln.
Ein Westberliner sagte: »Mir ist wohl klar, dass John freiwillig in den demokratischen Sektor gegangen ist, aber dieser Schritt ist mit seiner Stellung nicht zu vereinbaren. Es wäre dasselbe, wenn der General der Heilsarmee an Alkoholvergiftung erkranken würde. Wenn John schon erkannt hat, dass er politisch auf dem falschen Wege ist, hätte er einen anderen Ausweg finden müssen.«
Als in den Abendstunden des 27.7.1954 die Zeitungsverkäufer auf dem Kurfürstendamm ihre Zeitungen anpriesen mit den Worten: »Sensation im Fall John, Wohlgemut34 wurde erschossen«, lachten die meisten der Vorübergehenden oder fassten sich mit einer bezeichnenden Gebärde an die Stirn. Einige sagten: »Nächstens kommt Wohlgemut noch zum Film.«
Die jetzt noch bekannt werdenden Stimmen zum SPD-Parteitag lassen keine einheitliche Meinung erkennen.35 Mehrfach wird aber betont, dass der Parteitag in Bezug auf die Wehrdebatte ein Misserfolg der amerikanischen Fraktion war.36
Eine Westberliner Trümmerfrau brachte zum Ausdruck, dass dieser Parteitag genau wie alle anderen nur ein Propagandarummel war, wo sie sich um alle möglichen Probleme rauften, nur nicht um die, die die Bevölkerung angehen. Sie sagte: »Wir wollen endlich dauerhafte Arbeitsplätze. Wir brauchen Wohnraum und unsere Löhne müssen endlich den hohen Lebenshaltungskosten angeglichen werden. Davon hört man aber auf dem Parteitag dann kein Wort.«
Ein ehemaliges Mitglied der SPD, jetzt SAD,37 bringt zum Ausdruck, dass dieser Parteitag seit 1946 der größte Erfolg in der SPD ist, da sich ein großer Teil der Delegierten des Parteitages gegen die Wiederaufrüstung aussprach, die EVG38 ablehnte und für eine Verständigung mit der DDR war.
Aus dem Bezirk Reinickendorf brachte ein Delegierter zum Ausdruck, dass dieser Parteitag einer der besten nach 1945 war. Er meint, die SPD hätte in ihrer Zielsetzung zur EVG und Einheit Deutschlands als einzige Partei dem amerikanischen Einfluss einen Dämpfer aufgesetzt.
Ein Jungsozialist aus München meinte, dass ihn der Parteitag wenig befriedigt hat. Zwar hat man den lautesten EVG-Schreiern einen Dämpfer aufgesetzt, aber die Entschließung lässt trotzdem noch alle Möglichkeiten offen und man weiß nicht, wie die EVG-Propagandamaschine laufen wird, wenn ein Sonderparteitag eine endgültige Entscheidung treffen sollte. Weiter sagte er, die Jungsozialisten lassen es darauf ankommen, mit den Kommunisten gleichgestellt zu werden.
Anlage 1 vom 30. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2274
Anhang über Industrie
Produktionsschwierigkeiten bestehen immer noch in verschiedenen Betrieben wegen Material- und Arbeitskräftemangel und schlechtem Material. Im VEB IFA Phänomenwerk Zittau sind Schwierigkeiten durch die schlechte Qualität der Achsenschenkel aufgetreten. Ein parteiloser Arbeiter: »Ich kann nicht verstehen, dass wir vom »Ernst-Thälmann«-Werk Magdeburg von 100 Achsenschenkeln nur acht gute geliefert bekommen, während 92 bei unserer Rohkontrolle als Ausschuss festgestellt werden. Was unsere weniger qualifizierten Kollegen feststellten, müsse doch auch in Magdeburg möglich sein, da hätte man sich den Transport ersparen können. Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass der Name des Werkes für Qualität bürgen müsste.«
Im VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden, musste die Arbeit an 41 Güterwagen eingestellt werden, da die Drehgestelle von den Kirow-Werken Leipzig und die Zollbremsen von einer Berliner Firma nicht termingemäß geliefert wurden. Das bedeutet, dass der Betrieb nicht mehr in der Lage ist, die Lohnzahlungen zu garantieren, da die deutsche Notenbank nur für gelieferte Waggons Geld gibt.
Im Reißverschlusswerk Hellendorf, [Bezirk] Dresden, wird Klage darüber geführt, dass das Material vom Stahlwerk Hettstedt schlechter geworden ist. Von den Arbeitern des Betriebes wird folgende Meinung vertreten: »Als das Stahlwerk Hettstedt noch SAG-Betrieb war, bekamen wir immer nur Qualitätsmaterial.«39
Im Sprengstoffwerk Schönebeck entstanden Schwierigkeiten durch den Mangel an 6 mm verzinktem Draht, der für die Herstellung von E-Zündern benötigt wird. Das Material reicht nur noch einen Tag. Wenn durch die DIA nicht eingegriffen wird, muss die Herstellung von E-Zündern eingestellt werden. Das bedeutet, dass in der gesamten DDR im Bergbau Schwierigkeiten eintreten würden.
Im VEB Eltma Oschersleben40 wird die Produktion durch die schlechte Belieferung von Kugellagern Typ 6214 gehemmt.
Im VEB Walzwerk Burg besteht ein Mangel an Vormaterial für Transformatorenbleche. Außerdem benötigt das Werk für August und September je 700 t Trafo- und 13,35 t Dynamoplatinen.
Im VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge fehlt es an Automatenstahl verschiedener Arten. Weiter fehlen ca. 500 Arbeitskräfte.
In der Ziegelei Neuhof, [Bezirk] Rostock, fehlt es immer noch an Arbeitskräften, aus diesem Grunde kann man nur noch in einer Schicht arbeiten.
Produktionsstörungen: In der Brikettfabrik Edderitz, [Bezirk] Halle, ist durch Materialverschleiß der Pressenregler gerissen. Produktionsausfall: 14 t Brikett und 14 t Rohbraunkohle.
Am 27.7.[1954] trat im Kaliwerk Ernst Thälmann Merkers, [Bezirk] Suhl, eine Produktionsstörung infolge eines Rohrreißers am Hochdruckkessel I auf. Produktionsausfall: 250 t Glaubersalz im Werte von DM 185 000. Ursache: veraltetes Rohrsystem in der Kesselanlage.
Anlage 2 vom 30. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2274
Stimmung über die Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 24.7.1954
Die Diskussionen über die neueste Note der Sowjetregierung an die Westmächte sind weiterhin sehr gering. Vielfach ist die Note noch unbekannt. Am meisten wird darüber von Arbeitern der volkseigenen Betriebe gesprochen. Im geringen Umfange von Angestellten, während von Angehörigen der Intelligenz noch keine Stimmen vorliegen. In den Betrieben, wo die Agitation über die Note eingesetzt hat, sind die Diskussionen über die Note etwas stärker. Dies ist bisher nur vereinzelt in Leipzig geschehen.
Unter der Landbevölkerung wird fast gar nicht darüber gesprochen, da durch die Ernte solche Diskussionen zurückgedrängt sind. Unter der übrigen Bevölkerung treten Diskussionen nur ganz vereinzelt auf. Der überwiegende Teil der Stimmen aus allen Bevölkerungsschichten ist positiv. Darin wird die Note als ein neuer Beweis der Bemühungen der SU um die Erhaltung des Friedens und ihrer Verhandlungsbereitschaft bezeichnet. In Verbindung mit dem erfolgreichen Abschluss der Genfer Konferenz weckt die Note neue Hoffnungen, dass man auf dem Wege von Verhandlungen der Einheit Deutschlands näherkommt. In einzelnen Stimmen zweifelt man in diesem Zusammenhang an der Verhandlungsbereitschaft der Westmächte, vor allem der USA.
Die Kollegen der Malerei des VEB Bleichert,41 [Bezirk] Leipzig, brachten in einer Kurzversammlung zum Ausdruck, dass sie davon überzeugt sind, dass die kollektive Sicherheit aller Staaten Europas geschaffen wird. Sie betonen dabei, dass dadurch eine Erleichterung in der Lösung der deutschen Frage herbeigeführt würde.
Ein Arbeiter aus dem VEB Sägewerk Jatznick, [Bezirk] Neubrandenburg: »Alle Menschen müssen doch sehen, dass die SU sich ständig für den Frieden einsetzt. Wir wünschen und hoffen, dass der Plan zur Schaffung einer kollektiven Sicherheit in Europa in Erfüllung geht. Dadurch kommen wir auch der Frage der Einheit Deutschlands und dem Abschluss eines Friedensvertrages näher.«
Ein Arbeiter aus der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Die neue Note der SU beweist aufs Neue, dass die Sowjetregierung Frieden schaffen will. Ich bin gespannt, wie die Regierungen der kapitalistischen Länder darauf reagieren werden. Wenn sich England und Frankreich nicht von der Beeinflussung Amerikas freimachen, werden sie diesem Vorschlag nicht zustimmen.«
Im Personenzug von Lauchhammer-Ost nach Ruhland, [Bezirk] Cottbus, diskutierten zwei Angestellte, dass die Bereitschaft Frankreichs und Englands eventuell vorhanden wäre, aber der Einfluss der USA auf Westdeutschland sich negativ auf das Zustandekommen einer Aussprache auswirken wird.
Kollegen der Abteilung Oberfläche aus den Rathenower Optischen Werken, [Bezirk] Potsdam: »Wenn die Vorschläge Molotows42 von den Westmächten angenommen werden, dann ist uns um die Erhaltung des Friedens und auch um die Einheit Deutschlands nicht bange, aber wir sind noch nicht davon überzeugt.«
Daneben wurden, ganz vereinzelt bisher, pessimistische Stimmen bekannt, wonach »all der Notenwechsel keinen Zweck hat«. Dazu äußerte ein Kollege aus dem BKW Senftenberg, [Bezirk] Cottbus: »Trotz aller gewechselten Noten und verfassten Resolutionen sind die bestehenden Spannungen immer noch nicht gemindert worden. Man sollte endlich mit derartigen Sachen Schluss machen und uns einen Friedensvertrag geben.«
Folgende negative Meinung wurde bekannt: Ein Arbeiter aus dem Bau 957 der Leuna-Werke »Walter Ulbricht« erklärte: »Warum Gründung eines gesamteuropäischen Sicherheitspaktes. Wir wollen Frieden haben. Wenn Deutschland dem Sicherheitspakt angehört, sind wir vertraglich verpflichtet, im Kriegsfall den anderen Vertragsländern Waffenhilfe zu leisten. Die Sowjetunion soll endlich nach fast zehn Jahren Kriegsende ihre Besatzungstruppen herausziehen und mit Deutschland einen Friedensvertrag abschließen.«
Anlage 3 vom 29. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2274
Stimmen zur Lage in der DDR von westdeutschen Bürgern, die in der DDR weilten
Sämtliche vorliegenden Stellungnahmen sind positiv. Darin werden Erstaunen und Überraschung zum Ausdruck gebracht, da man sich infolge der westlichen Lügenpropaganda eine falsche Vorstellung gemacht hatte, sich aber von den Erfolgen der DDR jetzt selbst überzeugen konnte.
Mitglieder einer Arbeiterdelegation der Deutschen Werft in Hamburg waren freudig überrascht von dem herzlichen Empfang, den die Grenzpolizei ihnen bereitete. Besonders erstaunt waren sie, als ihnen der Wachhabende 20,00 DM zur Verfügung stellte, weil die Kollegen, die sie abholen sollten, noch nicht eingetroffen waren. Sie erklärten: »Bei uns bekommt man von der Polizei etwas mit dem Gummiknüppel, bei euch Geld, damit man sich Erfrischungen kaufen kann.«
Teilnehmer einer westdeutschen Delegation, die auf dem VEG in Velgast, [Kreis] Stralsund, [Bezirk] Rostock, weilten, brachten zum Ausdruck, dass sie voller Angst ihre Reise in die DDR angetreten hätten, dass ihnen aber jetzt so manches klar geworden sei und dass sie vom Gegenteil dessen, was man ihnen darüber erzählte, überzeugt worden seien. Sie erzählten, dass man drüben überall erklärt, dass jeder, der in der DDR ein falsches Wort sagt, gleich ins Gefängnis wandert.
Mehrere Delegationen aus Westdeutschland befinden sich zzt. zu Besuch in Magdeburger Betrieben. Der überwiegende Teil der Delegierten ist erstaunt über die sozialen Einrichtungen in den Betrieben, wie billiges Mittagessen, gute sanitäre Anlagen sowie über die sportliche und kulturelle Betreuung der Kollegen. Die westdeutschen Gäste bringen weiter zum Ausdruck, dass es bei ihnen keine Ferienplätze für die Werktätigen zu solch billigen Preisen gibt.
In der SVK Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, weilten sieben westdeutsche Besucher, die sich das Schloss Rheinsberg ansahen. Die Besucher waren tief beeindruckt und brachten zum Ausdruck, dass sie gar nicht glauben könnten, dass es das gibt, dass 600 bis 700 DM für eine Kur ausgegeben werden und die Kollegen nicht einmal die Fahrt bezahlen brauchen. Sie sagten weiter, dass sie in Westdeutschland genau erzählen wollen, wie hier in der DDR die Sorge um den Menschen verwirklicht wird.
Die Kumpels einer westdeutschen Delegation, die in Unterbreizbach, [Bezirk] Suhl, weilte, waren sehr erstaunt darüber, wie der Bergmann in der DDR betreut wird. Sehr großen Wert legten sie darauf, einmal zu sehen, wie die Arbeiter zu ihrer Regierung stehen. Sie vertraten die Meinung, dass man so etwas im Ruhrgebiet nicht kennt, sondern dort werden die Gelder der Arbeiter für Kriegszwecke und die Kapitalisten verwandt.
Eine Frau, zzt. in Jürgenstorf, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte sich zu einer Kulturveranstaltung der VP wie folgt: »Mit diesem Abend wurden alle Parolen, welche in Westdeutschland über die VP gemacht werden, zerschlagen. An diesem Abend habe ich gesehen, wie sich die VP mit der Bevölkerung befreundet. Mir wurde in Westdeutschland erzählt, hier in der DDR werden fast alle eingesperrt und nach Sibirien gebracht, aber das Gegenteil habe ich hier gesehen. Ich glaube denen drüben kein Wort mehr.«
Eine Westdeutsche, die in Leipzig weilte: »Ich bin selbst skeptisch in die DDR gefahren. Aber was wir dort erlebt haben, werden wir nie vergessen. Wir werden das Gesehene und Gehörte weitertragen, um den Gräuel-43 und Lügenmärchen entgegenzutreten.«
Eine westdeutsche Jugendliche, die sich in Leipzig aufhielt: »In Westdeutschland verbreitet man, dass in der DDR nicht frei diskutiert werden kann. Wenn ich zurückkehre, will ich gegen solche Hetzereien auftreten.«
Ein westdeutscher Besucher, welcher in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, weilte, brachte in einem Gespräch zum Ausdruck, dass die Bevölkerung in der DDR gar nicht zu schätzen weiß, was ihr hier alles geboten wird. Hier würde man tatsächlich einen Aufstieg bemerken. In Westdeutschland dagegen würden alle kleinen Geschäftsleute von großen Betrieben dermaßen gedrückt, dass an ein Weiterkommen nicht zu denken wäre. Er sagte dazu: »Bei euch kann von einer Ordnung gesprochen werden, es läuft alles so planmäßig ab, während in Westdeutschland davon keine Rede sein kann.«
Zwei Einwohner aus Oberbayern, welche in Oberlichtenau, Kreis Kamenz, [Bezirk] Dresden, zu Besuch weilten, schilderten ihre Eindrücke in der DDR wie folgt: Sie wären erstaunt über die rasche Abfertigung an der Zonengrenze, was im Gegensatz zu den in Bayern verbreiteten Verleumdungen steht. Erfreut sind sie über die Bewegungsfreiheit, die sie hier in der DDR genießen. Um Politik kümmert sich dort in Bayern niemand. Die Unterhaltungen über EVG und Pariser Verträge44 waren ihnen fremd. In Bezug auf die Arbeitsverhältnisse waren sie erstaunt über die hohen Löhne und die sozialen Einrichtungen in der DDR. Beide erklärten übereinstimmend, dass ihnen Leistungslöhne und Leistungszulagen unbekannt seien und dass sie nur den einfachen Lohn erhalten, auch wenn sie das Doppelte leisten.
Eine westdeutsche Frau weilt gegenwärtig in Riesa, [Bezirk] Dresden. Sie erklärte, dass sie über das derzeitige Leben in der DDR freudig überrascht sei. Besonders über die gute Behandlung beim Übertritt an der Zonengrenze durch die VP. Vor drei Jahren sei sie das letzte Mal hier gewesen und seitdem sei vieles in der DDR besser geworden. Trotzdem möchte sie aber nicht hierbleiben. Begründung: Die Qualität aller Waren gegenüber denen in Westdeutschland ist noch zu gering. Besonders bei Stoffen und in der Auswahl darin. Sie sagte, dass in Westdeutschland viele Diskussionen in der Form geführt werden.
Anlage 4 vom 29. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2274
Westberlin
Unter den Angehörigen der Stummpolizei wird das »Verschwinden« Dr. Johns eifrig diskutiert. Man bringt zum Ausdruck: »Das ist kaum fassbar, nicht zu glauben, eine Entführung mit aller Raffiniertheit.« Wenn man auf Dr. Wohlgemut zu sprechen kommt, so wird ihm nur das beste Zeugnis ausgestellt und seine Hilfsbereitschaft gegenüber Patienten herausgestellt.
Aus Westdeutschland ist vonseiten der Kriminalpolizei Verstärkung nach Berlin gekommen, um die hier durchzuführenden Arbeiten der Kripo im Fall John zu unterstützen.
Es macht sich unter den Stupos eine gewisse Unsicherheit seit der Angelegenheit Dr. John bemerkbar. Man fragt, wer denn überhaupt noch sicher sei. Zonenstreifen will von den Stupos nach Möglichkeit niemand mehr gehen. Ein Polizist meinte, man müsste gleich eine Anzahl Kommunisten aus ihren Wohnungen holen. Zur Erklärung Dr. Johns in der demokratischen Presse brachten sie zum Ausdruck, dass sie ihm erpresst worden sei.45
Die Beendigung des Krieges in Vietnam wird von einem Teil der Stummpolizisten mit Befriedigung aufgenommen. Jedoch feiern sie nicht einen politischen Sieg der Friedenskräfte, sondern sie sagen, wenn die politische Lage entspannt ist, ist auch unsere Stellung gesichert. Dass Amerika dabei eine Niederlage einstecken musste, ist für sie nicht von Bedeutung. Ein Polizist brachte zum Ausdruck: »Es ist noch lange nicht das letzte Wort in Vietnam gesprochen. Der Amerikaner hat nur als der Klügere nachgegeben und sich zurückgezogen.«
Im Lager Marienfelde wird mit dem Ausbau des Lagers begonnen. Es werden jetzt 21 Wohnblocks für Flüchtlinge gebaut. Der Bau erfolgt auf freiem Gelände hinter dem Wirtschaftsgebäude am Lager. Hier sollen die Flüchtlinge in richtigen Wohnungen untergebracht werden, die längere Zeit in Berlin bleiben müssen. Dadurch soll das Lagerleben, vor dem die meisten Flüchtlinge zurückschrecken, verschwinden.
In der Woche vom 18. bis zum 24.7.1954 war ein starkes Ansteigen des Flüchtlingsstroms zu verzeichnen. Täglich wurden 600 bis 650 Personen im Lager registriert.