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Zur Beurteilung der Situation

23. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2268 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen über politische Tagesfragen steht der Abschluss des Waffenstillstandes in Vietnam.1 Der Umfang der Diskussion ist noch sehr gering, da in den Betrieben erst wenige Kurzversammlungen hierüber durchgeführt werden. Meist äußern sich Arbeiter, weniger Angestellte, der VEB. Sie sehen den Waffenstillstand als einen Beweis der Stärke des Weltfriedenslagers, insbesondere der SU bzw. des Genossen Molotow2 an.

Ein Arbeiter aus dem VEB Baubetriebe Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Endlich gelang es einmal, den Friedenskräften, allen voran der SU, den Krieg in Indochina zu bannen. Wenn wir alle zusammenstehen, dann werden wir noch viel mehr erreichen«.

Ein Kollege aus der mech[anischen] Abteilung, [Wismut-]Schacht 147 in Johanngeorgenstadt,3 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Dass in Indochina Waffenstillstand geschlossen worden ist, zeigt, dass die Kräfte des Friedens immer stärker werden und die Kapitalisten nicht mehr machen können, was sie wollen.«

Ein Brigadier vom Landmaschinenwerk Barth, [Kreis] Ribnitz, [Bezirk] Rostock, sagte: »Jetzt kommen die Außenminister zum Ziel, weil sich Dulles4 aus den USA nicht daran beteiligt.5 Dies zeigt, dass man auch mit Deutschland verhandeln müsste, denn wir haben ja keinen Kriegszustand und brauchen auch einen Friedensvertrag.« Dieser Meinung schloß sich die ganze Brigade der Tischlerei an.

Einige Arbeiter der Leuna-Werke Halle versuchen den Erfolg dieser Verhandlung zu schwächen und sagten: »Man soll den Erfolg der Konferenz nicht zu sehr in den Himmel heben, es ist noch nicht aller Tage Abend und die USA werden schon ein[en] Weg finden, um die Schlappe wieder auszuwetzen«. Feindliche Stimmen sind bisher Einzelerscheinungen, wo in Verbindung mit Gesprächen zur Genfer Konferenz allgemein gegen die SU gehetzt wird.

Hauptgesprächsstoff bildet weiterhin die Hochwasserkatastrophe,6 wobei vor allem über ihre Ursache sowie über die Lage in den betreffenden Gebieten wie am Vortag gesprochen wird. Der Umfang der Diskussionen nimmt weiterhin ab, umfasst jedoch noch einen großen Teil der Werktätigen. Weiterhin werden Solidaritätsbeweise in Form von Geld- und Sachspenden für die Geschädigten erbracht, wozu der weitaus größere Teil der Arbeiter und Angestellten der VEB eine positive Stellung einnimmt. Nur ganz vereinzelt wurde eine Hilfsleistung abgelehnt bzw. ein geringer Beitrag gespendet, mit der Begründung, wie sie bereits an den Vortagen berichtet wurde. Hierzu einige Beispiele.

Ein Kollege aus dem Schacht 147 aus Johanngeorgenstadt erklärte: »Die 10 Millionen, die unsere Regierung gegeben hat, müssten langen, durch die Presse und den Rundfunk ist ja gar nichts gekommen, dass größere Schäden bei uns zu verzeichnen sind.« Im VEB Heinrich Rau, [Bezirk] Potsdam, spendete der Leiter der Abteilung Finanzen nur DM 6,00 (Monatseinkommen, ca. 1 000 DM). Kollegen der Abteilung Lohnbuchhaltung äußerten dazu: »Wenn der nicht mehr spendet, dann brauchen wir erst recht nicht.« Von 32 Kollegen der Abteilung Lohnbuchhaltung wurden insgesamt nur 67,00 DM gespendet.

Im Steinkohlenwerk Karl Marx in Zwickau wurde beschlossen, die Wettbewerbsgelder in Höhe von 50 000 DM geschlossen dem Komitee für Hochwasserschäden zu überreichen. Damit erklärte sich jedoch ein Teil der Belegschaft nicht einverstanden, man müsse zuerst die Gelder auszahlen und dann eine Solidaritätsaktion durchführen.

Verschiedentlich wird über die Entlohnung und über die Arbeitsorganisation gesprochen, worüber Unzufriedenheit besteht. Die Belegschaft des Kalkwerkes Fortschritt in Jahna, [Bezirk] Leipzig, ist mit der Lohneinstufung nicht einverstanden, da in einem Betrieb der Stundenlohn bei 1,12 DM und in einem anderen gleichartigen Betrieb bei 0,96 DM liegt.

Die Arbeiter des VEB Energiewerkes Torgau sind durch Reparaturarbeiten und Umbauten gezwungen, Überstunden nach Feierabend oder sonntags zu leisten, für die sie lediglich 15 Prozent Zuschlag erhalten; die geleisteten Überstunden müssen sie abfeiern. Die Arbeiter sind darüber unzufrieden, sie wollen die Überstunden ebenfalls vergütet haben.

Die Arbeiter in der Elektrokraftzentrale des Eisenhüttenkombinats »J. W. Stalin« sind darüber unzufrieden, dass sie weniger Lohn erhalten als die Arbeiter im Kraftwerk Stalinstadt, obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten. Ein Arbeiter vom EKS äußerte dazu: »Es ist kein Wunder, wenn wir keine Arbeiter bekommen, da sie im Kraftwerk besser bezahlt werden. Das nennt sich nun gleicher Tarif und gleicher Lohn für gleiche Leistungen.«

Im VEB Anhydritwerk in Niedersachswerfen, [Bezirk] Erfurt, sind die Arbeiter mit der Entlohnung unzufrieden, weshalb laufend Arbeiter zum VEB Leuna-Werk »Walter Ulbricht« abwandern, wo sie einen höheren Verdienst haben. Durch den Arbeitskräftemangel konnte der Produktionsplan im 1. Halbjahr 1954 nicht erfüllt werden.

Im Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, nehmen die Diskussionen über die schlechte Arbeitsorganisation zu. Es fehlt an Werkzeugen und zum Teil an Material, wodurch die Kollegen Wartestunden schreiben müssen. Andererseits werden laufend neue Arbeitskräfte eingestellt. Hierüber besteht unter den Arbeitern Unzufriedenheit, die sich teilweise auf Genossen des Betriebsschutzes übertragen hat.

Im VEB Heinrich Rau Potsdam sind die dort beschäftigten griechischen Fachschüler darüber verärgert, dass sie bisher nur für Hilfsarbeiten eingesetzt wurden. Die Meister und auch die Parteisekretäre kümmern sich zu wenig um sie.

Im Wismut-Schacht 207 in Aue besteht unter den Kumpels Missstimmung darüber, dass wiederholt verschiedene Brigaden bei der Belieferung mit leeren Hunte7 auf Kosten anderer Brigaden bevorzugt werden, welche oftmals die Hunte nicht benötigen. (Die Hunte werden durch den Steiger verteilt.)

Schwierigkeiten bestehen bei der Inbetriebnahme von zwei Turbinen im Kraftwerk »Sonne« Senftenberg, [Bezirk] Cottbus. Beim Probelauf der 6-MW-Turbinen war der Läufer sowie der Mitteldruckläufer verbogen, sodass vor Mitte September diese Turbine nicht in Betrieb genommen werden kann. Die Inbetriebnahme der 20-MW-Turbine wird ebenfalls vor Jahresende nicht erfolgen.

Nichtbeachtung eines Verbesserungsvorschlages: Von einem Ingenieur des VEB Thüringer Kugellagerfabrik in Zella-Mehlis, [Bezirk] Suhl, wurde zur Leipziger Messe 1953 eine Nietmaschine konstruiert, die 2/3 Arbeitsstunden einspart und großen Anklang fand. Bis heute hat die Abnahmekommission noch keine Überprüfung vorgenommen, sodass die Maschine nicht im Betrieb verwendet werden kann.

Über Produktionsschwierigkeiten, die meist wegen Materialmangel, vereinzelt wegen Ersatzteil- und Arbeitskräftemangel, schlechter Qualität und Absatzschwierigkeiten entstanden, wird im Anhang berichtet.

Betriebsstörungen

Im VEB Thale,8 [Bezirk] Halle, ist in der Blockstraße an dem Vorwalzengerüst die Wippe gebrochen. Ursache: Altes Material, Materialausfall beträgt 270 Blöcke.

Im VEB Silikat-Werk Bad-Lausick, [Bezirk] Leipzig, fiel am 22.7.1954 die Trafo-Station infolge Erdschluss aus, wodurch der gesamte Betrieb ca. zwölf Stunden stilllag. Durch die Störung wurde ein Arbeiter schwer verletzt.

Am 21.7.1954 riss im VEB Kalikombinat Ernst Thälmann in Merkers, [Bezirk] Suhl, eine Elevatorkette – Ursache: Vermutlich Materialermüdung, Produktionsausfall beträgt ca. 42 000 DM.

Am 22.7.[1954] brach in der DHZ Maschinen- und Fahrzeugbau, Niederlassung Leipzig, im Warenlager Fahrzeugbau ein Brand aus. Ursache vermutlich durch Kurzschluss. Schaden nach vorläufigen Schätzungen 15 [000] bis 20 000 DM.

Handel und Versorgung

Beim Magistrat von Groß-Berlin fand am 22.7.1954 eine Aktivtagung aller Verantwortlichen für die Gemüseversorgung statt, wo der Leiter der Abteilung Handel und Versorgung erklärte, dass er keine Möglichkeit sieht, das bei der VEAB abfallende Gemüse abzusetzen, da die HO und der Konsum Gemüse aus der DDR beziehen, obwohl Gemüse aus den Randgebieten von Berlin ausreichend zur Verfügung steht. Durch die bei der VEAB vorhandenen Bestände ist diese teilweise nicht mehr in der Lage, den Bauern das Gemüse abzunehmen und will heute einen Straßenverkauf organisieren. Auf Beschwerden der Käufer, dass sie in der Konsumverkaufsstelle Markgrafenstraße/Berlin weder alte noch neue Kartoffeln erhalten, erklärte der Leiter der Verkaufsstelle, dass er rechtzeitig den Bedarf gemeldet, aber keine Kartoffeln erhalten hat. Das Gleiche ist mit Obst und Gemüse zu verzeichnen. Die ganze Woche erfolgte keine Zuteilung und am Sonnabend in solchen Mengen, dass 3 Ztr. Tomaten am Montag zu verbilligten Preisen verkauft werden mussten, um sie vor dem Verderb zu schützen.

In Potsdam fand kürzlich eine Tagung der HO statt, an der auch Vertreter des Rates des Bezirkes und der Partei teilnahmen. Zur Debatte standen die hohen Preise für Obst und Gemüse während der jetzigen Schwemme. Es wurde festgestellt, dass die hohen Preise durch die Zwischenschaltung des Kommunalen Großhandels hervorgerufen wurden und zwar nahmen die VEAB und der Großhandel jeder für sich die volle Handelsspanne in Anspruch. Vorgesehen ist, diese Handelsspanne jetzt zu teilen, da sie nur einmal in Rechnung gesetzt werden darf.

Schwierigkeiten in der Versorgung mit Kartoffeln treten nach wie vor in den Bezirken Erfurt, Magdeburg, Potsdam und Rostock auf. Verstärkt treten diese Schwierigkeiten in den Bezirken Magdeburg, Potsdam und Rostock in Erscheinung. Mangelhafte Versorgung mit Frischfleisch und billigen Zigaretten unter 0,20 Pfg. besteht im Bezirk Neubrandenburg, mit Brot und Textilien im Grenzkreis Heilligenstadt, [Bezirk] Erfurt, in den Landgemeinden des Bezirkes Rostock mit Eimern und Milchkannen. Die Molkerei in Bitterfeld, [Bezirk] Halle, klagt über den Mangel an Milchflaschen. Sie ist gezwungen, die Milch an die Verkaufsstelle lose zu liefern, was den hygienischen Anforderungen nicht entspricht.

Landwirtschaft

Die Landbevölkerung diskutiert nur im geringen Umfang über politische Tagesfragen. Die Gespräche über die Hochwasserkatastrophe lassen sehr nach, da die Landbevölkerung sich jetzt intensiv mit dem Einbringen der Ernte beschäftigt. Hierbei kommen teilweise die Sorgen über die schlechte Ernte und die damit verbundene Sollablieferung, da das Getreide größtenteils am Boden liegt und stellenweise fault, Klagen über die Einbringung wegen Arbeitskräftemangel und Beschwerden über verschiedene Mängel zum Ausdruck. So erklärte z. B. ein Bauer aus Stegelitz, [Bezirk] Magdeburg: »Durch die schlechte Witterung und den starken Regen liegt das Getreide zum großen Teil am Boden und verfault. Dadurch werden wir weniger ernten und können somit unser Soll nicht erfüllen.«

Im MTS-Bereich Ostrau, [Bezirk] Leipzig, sind die Bauern sehr empört darüber, dass ihnen die Stromabnahme für Druscharbeiten am Tage entzogen wurde und sie nicht in der Lage sind, Tag und Nacht zu arbeiten.

Die MTS Geißmar, [Bezirk] Erfurt, beschwert sich darüber, dass aufgrund der Kürzung des Finanzplanes im vergangenen Jahr nur eine begrenzte Summe für Reifen und Ersatzteile zur Verfügung steht. Trotz der Hinweise auf das schlechte Gelände im MTS-Bereich reagieren die zuständigen Stellen nicht und es besteht die Befürchtung, dass die Traktoren, Anhänger und Mähbinder während der Ernte nicht einsatzbereit sind.

Große Verärgerung herrscht unter den Arbeitern der MTS Narsdorf, [Bezirk] Leipzig, über die Nichtbelieferung mit Rauchwaren. Die DHZ Borna hat ihnen seit 14 Tagen keine Rauchwaren mehr geschickt.

Die MTS Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, erhielt vom VEB Jutewerk Weida 1 363 Rollen Bindegarn 1. Wahl geliefert. Jetzt stellt sich heraus, dass diese Rollen von schlechter Qualität sind und bei der geringsten Anspannung zerreißen.

Die Traktoristen der MTS Burgwerben, [Bezirk] Halle, sind bestrebt, die schnelle und verlustlose Einbringung der Ernte zu gewährleisten und müssen feststellen, dass von der Leitung die Organisation der Arbeit sehr mangelhaft ist. So mussten sie z. B. am 22.7.1954 von 7.00 bis 11.00 Uhr auf Treibstoff und Öl für den Mähbinder warten.

Die MTS Zirkow,9 [Bezirk] Rostock, könnte die Schwierigkeiten beim Mähen beheben, wenn sie genügend Ährenheber zur Verfügung hätten.

Die volkseigenen Güter im Bezirk Rostock erhielten 20 Korngebläse vom Werk Wutha,10 [Kreis] Eisenach, [Bezirk] Erfurt, geliefert. Die Motore dieser Gebläse haben aber nur eine Spannung von 220 bis 380 Volt, während die Spannung im Bezirk 380 bis 660 Volt beträgt. Dadurch können die Korngebläse nicht zum Einsatz gelangen.

In Godendorf, [Bezirk] Neubrandenburg, klagen die Bauern über das zu hohe Abgabesoll. Aufgrund der schlechten Bodenverhältnisse seien sie nicht in der Lage, dieses Soll zu erfüllen und wollen im Herbst ihre Wirtschaften aufgeben.

In Reichenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, im Kreis Suhl und Freital, [Bezirk] Dresden, klagen die Bauern über den großen Mangel an Sensen, die jetzt für das am Boden liegende Getreide dringend benötigt werden. Im Kreiskontor für landwirtschaftlichen Bedarf Dresden z. B. ist nur eine Sense vorhanden, obwohl im Kreisgebiet Freital verstärkt Sensenbrigaden mobilisiert wurden und die angeforderten Kräfte dazu 200 Personen betragen.

Eine parteilose Angestellte der BHG Seifersdorf, [Bezirk] Dresden, brachte zum Ausdruck, dass sie sich keinen Rat mehr wisse, weil die Bauern laufend nach Zwischenfruchtaussaat kommen und sie diese wieder zurückweisen muss. Es besteht auch keine Aussicht auf eine Lieferung von Saatgut.

Übrige Bevölkerung

Die Diskussionen über die Hochwasserkatastrophe sind stark zurückgegangen. Es werden jedoch noch immer Beispiele der Solidaritätsaktionen bekannt. Im Bezirk Frankfurt treten noch Diskussionen über die Ursachen auf. Dabei stehen die Argumente wie – die Atom- und Wasserstoffbombenexperimente der USA11 oder die Sonnenfinsternis12 sind an der Unwetterkatastrophe schuld – im Vordergrund. Über politische Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig diskutiert. Bei diesen wenigen Diskussionen wird über den erfolgreichen Abschluss der Genfer Konferenz gesprochen. Diese Gespräche treten in Karl-Marx-Stadt und Dresden etwas stärker hervor gegenüber den anderen Bezirken. Diese Stimmen sind überwiegend positiv, nur im Bezirk Erfurt traten negative Stimmen auf.

Eine Hausfrau aus Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Als die Konferenz begann, waren viele Menschen der Meinung, dass sie ohne Erfolg enden wird, dass die Meinungsverschiedenheiten nur durch einen Weltkrieg beseitigt werden können. Das Waffenstillstandsabkommen in Indochina ist der Beweis, dass durch Verhandlungen viel erreicht werden kann.«

Ein Rentner aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Erfolg des Weltfriedenslagers in Vietnam, wo nun endlich der Waffenstillstand abgeschlossen wurde, ist ein klarer Beweis dafür, dass die imperialistischen Kräfte immer mehr Einfluss bei den Völkern verlieren. Man muss allen Menschen klarmachen, dass man mit vereinten Kräften jeden Krieg verhindern kann.«

Ein LDP-Mitglied aus Oberlichtenau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Amerikaner haben eine große Schlappe erlitten, welche noch hinterher eine kolossale Auswirkung haben wird, da alle Außenminister, außer die amerikanische Delegation, dem Waffenstillstand zugestimmt haben. Auf dem Verhandlungsweg kann eben doch viel erreicht werden.«

Ein Klempnermeister aus Karl-Marx-Stadt: »Der Außenminister Molotow ist ein ganz gewiefter Diplomat, der durch seine große Ausdauer insbesondere die Lage der Franzosen ausgenutzt hat,13 sodass sie klein beigeben mussten.«

Ein Fuhrunternehmer aus Farnroda, [Bezirk] Erfurt: »Endlich hat der Iwan einmal nachgegeben und sich bis zum 17. Breitengrad zurückgezogen, er war es ja, der den Krieg da unten unter Vorhaltung von China als Kanonenfutter gefordert hat. Er muss endlich nachgeben und den Sieg anderen überlassen. Nun darf er den Vietnamesen auch keine Waffen mehr liefern.«

In den Bezirken Gera, Suhl und Cottbus werden noch immer Angsteinkäufe von Mehl getätigt. Da die Gerüchte einer bevorstehenden Hungersnot aufgetaucht sind.

Zur Fertigstellung der neuen Staatsoper, Unter den Linden in Berlin fehlen ca. 8 bis 9 Millionen DM. Wenn keine Änderung eintreten würde, bedeutet dies eine Verzögerung des Übergabetermins.

Im Gartenbaubetrieb Meissner Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, verlangen die Arbeiter einen neuen Tarif, der ihnen schon seit einem halben Jahr versprochen wurde. Die Unternehmer schüren diese Stimmung noch und erklären, dass sie gern höhere Löhne zahlen wollen, das können sie aber nicht vom Nettogewinn. Es ist zu verzeichnen, dass die Arbeiter den Unternehmern glauben und der Meinung sind, dass der FDGB, die Partei und Regierung die Privatunternehmer abwürgen will.

In der Tbc-Heilstätte Schweizermühle, [Kreis] Pirna, [Bezirk] Dresden, herrschen unverantwortliche Zustände. Es fehlt dringend an Fachärzten für die Behandlung der Patienten. Eine Ärztin ist aufgrund von Überarbeitung Ostern zusammengebrochen und bis heute noch arbeitsunfähig. Außerdem besteht eine sehr schlechte Versorgung der Patienten mit Gemüse, da laut Angaben des Verwalters für jeden Patienten pro Tag nur DM 2,00 zur Verfügung stehen. An Butter erhalten die Patienten 50 g pro Tag. Aufgrund der schlechten Verhältnisse sind bereits einige Patienten auf eigene Verantwortung aus der Heilstätte weggegangen.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:14 Karl-Marx-Stadt 1 041, Suhl 1 500, Potsdam 15 000, Neubrandenburg 500.

KgU:15 Rostock 16, Frankfurt 80, Neubrandenburg 58.

NTS:16 Halle 1 200, Karl-Marx-Stadt 22, Cottbus 335, Frankfurt 21, Dresden 17, Potsdam 30.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit: In der Neptun-Werft Rostock wurde eine Hetzlosung angebracht. Im Stahlwerk Gröditz, Kreis Riesa, [Bezirk] Dresden, wurde in der Sempergießerei eine Hetzlosung mit Bejahung der EVG17 angebracht. In der Lowa Bautzen, [Bezirk] Dresden, wurde eine Bekanntmachungstafel mit den Leistungen der Lehrlinge mit roter Farbe überstrichen. In der Thälmannwerft Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, wurde eine Hetzlosung angeschmiert.

Gefälschte Schreiben: An Staatliche Kreiskontore für landwirtschaftlichen Bedarf im Bezirk Potsdam wurden gefälschte Schreiben gesandt. Die angeblichen Schreiben des Konsums Berlin-Lichtenberg bieten »Mangelwaren zu Vorzugspreisen« an.

Dem Parteisekretär der LPG Wernikow, Kreis Wittstock, [Bezirk] Potsdam, wurde nachts ein Drohbrief ins offenstehende Fenster geworfen, in dem die Genossin aufgefordert wird, aus der SED auszutreten.

Der VEB Bröthener Dachsteinwerk, [Bezirk] Cottbus, erhielt einen pseudonymen Anruf mit der Warnung vor Stromabschaltungen. Rückfrage ergab, dass vonseiten des Energiebezirkes Weißwasser kein solcher Anruf erfolgt. Falls infolge des Anrufes Maßnahmen im Produktionsablauf ergriffen worden wären, hätten große Störungen eintreten können.

Die Lage in Westberlin

Die Fa. Böhmer und Halbach, Berlin SW, Bülowplatz 90 hat den Auftrag, 15 000 Stck. Ärmelabzeichen mit der Aufschrift »Berlin« für die sogenannte Hermann-Göring-Kaserne18 in Reinickendorf anzufertigen.

Am 24.7.1954 findet am Funkturm eine SPD-Kundgebung statt, auf der Ollenhauer19 u. A. sprechen werden.20

Am 19.7.1954 fand eine Versammlung der SPD für die Neuköllner Gewerbetreibenden in den Kliems-Festsälen statt, anwesend waren 800 Personen, davon 50 Prozent SPD-Mitglieder. Als Redner sprach das Mitglied des Abgeordnetenhauses Henneberg.21 Dieser sagte u. a. Folgendes: »Große Sorgen macht uns das Problem der Erwerbslosen. Westberlin hat noch immer 190 000 Erwerbslose, das bedeutet einen Prozentsatz von 23 Prozent gegenüber dem Bundesgebiet, wo die Erwerbslosenzahl bei 6 Prozent liegt. Hier kann jedoch nur Abhilfe geschaffen werden, wenn der SPD bei der Wahl so viel Stimmen zufallen, dass die SPD wieder einen Oberbürgermeister stellt und sie im Stadtparlament die Mehrheit erreicht.«

Carlo Schmid22 führte aus: »Vor allem müsste einmal mit dem Missverständnis zwischen Arbeitern und bürgerlichen Schichten Schluss gemacht werden. Ich habe in den alten Karteikarten geblättert und dabei festgestellt, dass die SPD als eine Handwerkerpartei ins Leben getreten ist. … Es muss einmal Schluss gemacht werden mit der Ansicht, es gebe krasse Unterschiede zwischen den Arbeitern und den Mittelschichten. Die Gegensätze sind bald verwischt. Durch die Stimmen beider Schichten muss die SPD zu einer wahren Volkspartei werden.«

In einer Versammlung der SPD im Schützenhaus in Reinickendorf, wo 400 Personen anwesend waren, lehnte Erler23 die Zusammenarbeit mit der »Pankower Regierung«24 ab und sprach davon, dass die Sowjetunion keine kommunistische Politik betreibt, sondern eine russische und wenn es diese Politik erfordert, sie die »Pankower Regierung« und die SED fallen lässt. Eine Diskussion fand nicht statt. Es wurde drauf hingewiesen, dass das Wirtschaftspolitische Sekretariat der SPD in der Ziethenstraße jederzeit bereit ist, unklare Fragen den Mitgliedern zu beantworten.

Auf dem Parteitag der SPD erklärte Freitag25: »Wenn es nach der CDU ginge, läge die Gewerkschaftsarbeit vollkommen danieder, sie wäre tot. Nur die SPD macht Gewerkschaftsarbeit, besser wäre es, wenn die beiden Parteien eng zusammenarbeiten würden.« Schreiber26 verließ daraufhin demonstrativ den Saal.

Anlage 1 vom 23. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2268

Auswertung der Westsender

Industrie und Verkehr

Über die Lage auf den Werften der DDR berichtet der RIAS aufgrund eines angeblichen Berichtes der SED-Bezirksleitung Rostock an das ZK der SED. RIAS meldet, dass die Bezirksleitung Rostock vom ZK mit einer Überprüfung der Werften beauftragt wurde, weil »die SU eine Beschwerde über die eingetretenen Verzögerungen bei der Ausführung von Exportaufträgen« gesandt habe. Aus dem Bericht der Bezirksleitung Rostock werden folgende Probleme in negierender Art kommentiert:

  • Werftleitung zur persönlichen Verantwortung ziehen,

  • Schwierigkeiten in der Materialversorgung,

  • Schiffbau durch Steigerung der Arbeitsproduktivität wieder auf Hochtouren bringen,

  • schlechte Arbeitsorganisation,

  • Beispiele über Bau sowie Reparatur von Schiffen, Dampfer »Admiral Nachinow«,27 »Erzfrachter Typ 2«, »Schnelldampfer für Ostasiendienst«,

  • Mehrkosten in Höhe von 5,7 Mio. DM wegen Arbeitsausfall und späterer Überstunden.

Gleichzeitig wird die Sendung zur Hetze gegen die SU benutzt, die Verpflichtungen über Lieferung von Schiffblechen nicht eingehalten habe.

Zur Frage der Materialschwierigkeiten hetzt der »Sender Freies Berlin« über den VEB Sternradio Staßfurt. Als Beispiel wird ein Auftrag der Südafrikanischen Union28 genannt, der angeblich an westdeutsche Firmen gegeben wurde, weil der VEB das notwendige Material nicht gehabt habe. Die Sendung enthält weiter die Verleumdung, dass alle Schuld auf die Werktätigen abgewälzt würde. Zur Aktivistenbewegung lügt der Sender »Freies Berlin« in dieser Sendung, dass eine Aktivistin nur jeweils ein halbes Jahr arbeiten würde, die andere Zeit hielt sie sich in Kurorten usw. zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft auf.

Die Hetze gegen die Reichsbahn in der DDR setzt der RIAS mit einer Sendung über den Krankenstand fort. Dabei seien über 50 Prozent der Krankheitsfälle auf Betriebsunfälle zurückzuführen. Diese Behauptungen sollen durch mehrere Zahlen bewiesen werden, die der RIAS aus einer Analyse des Ministeriums für Eisenbahnwesen entnommen haben will. Besonders stark vertreten seien auch Sehnenerkrankungen, »die nachweisbar auf zu hohe Arbeitsnormen zurückzuführen« seien. Über Tuberkuloseerkrankungen weiß der RIAS zu berichten, dass diese sich »zur allgemeinen Eisenbahnerkrankheit« entwickelt, aber vom bahnärztlichen Zentralinstitut nicht als Berufskrankheit anerkannt werden. Gewarnt wird vor Schweißer-, Farbspritzer- und Entrostarbeiten als bes[onders] gesundheitsschädlich infolge bei uns »entgegen der Arbeitsschutzbestimmungen« verwandten Materials.

Über die Lage der »Privatunternehmer« in der DDR spricht der Sender »Freies Berlin« in Fortsetzung früherer Sendungen. Es heißt darin: »…Nachdem sie die große Enteignungswelle überstanden haben …, erfahren die Privatunternehmer wieder empfindliche und, wie aus internen Berichten hervorgeht, planmäßige Benachteiligungen«. Als »planmäßige Benachteiligungen« werden genannt: »Kürzung des Rohstoffkontingents«, bei Ablehnung von Verträgen mit dem volkseigenen Großhandel »Eintrag in schwarze Liste und damit Benachteiligung bei Rohstoffzuteilungen«, »hohe Geldstrafe bei Überschreitung der Lieferfristen«, die die Privatbetriebe aber nur infolge zu später Rohstofflieferung angeblich nicht einhalten konnten.

Meldungen des RIAS: Auf einer Sondersitzung der SED-Bezirksleitung Erfurt mit den 1. Sekretären der VEB soll die Anweisung gegeben worden sein, dass vor den Volkswahlen keine »Normenveränderungen« durchgeführt werden sollen.

Der Leiter der Abteilung Spinnerei des VEB Forster Textilwerke habe in einer Besprechung der Betriebsleitungen vorgeschlagen, zur »Wiederherstellung der Rentabilität des Werkes … entweder eine Lohnrückstufung oder eine Erhöhung der Arbeitsnormen durchzuführen«.

Hetze gegen die Volkspolizei

Mit Verleumdungen der VP verbindet der RIAS in einer Sendung über die »Charta der deutschen Frauen«29 die Beeinflussung der Frauen in der DDR, ihre Angehörigen vom Eintritt in die VP abzuhalten.

Zu den Meldungen über Häftlingsbefreiungen aus Haftanstalten der DDR durch VP-Angehörige in der Westpresse30 bringt der Sender »Freies Berlin« einen Kommentar. Mit der Verherrlichung des »moralischen Verhaltens« dieser namentlich genannten ehemaligen VP-Angehörigen verbindet der SFB die Feststellung, dass diese ehemaligen VP-Angehörigen viel wertvoller zu bewerten sind als diejenigen, die nach Westberlin kommen, »ohne sich selbst zu gefährden«. Die ganzen Ausführungen kommen einer Aufforderung an die VP-Angehörigen gleich, gegen die DDR gerichtete Handlungen zu unternehmen, bevor sie republikflüchtig werden.

Gesundheitswesen der DDR

Mit Berufung auf die Beschlüsse unseres Ministerrates zur weiteren Entwicklung des Gesundheitswesens31 hetzt der RIAS, dass »das bestehende Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und seinen Patienten zerstört« werden soll. Zur Begründung wird die verstärkte Arbeit mit Polikliniken und Ambulatorien angeführt. Zur Beeinflussung der Ärzte heißt es, dass »die Krankenbehandlung aus den bewährten Händen des Hausarztes« genommen werden soll. Die Ärzte werden aufgefordert, sich dagegen zu wehren und die Öffentlichkeit soll »die Haltung der Ärzte unterstützen«. Als Methoden der Beeinflussung der Ärzte durch die Verwaltungen der DDR nennt der RIAS »gesicherte Alters- und Familienversorgung« und »Verleumdung und dauernde Überprüfungen, um dem freien Arzt das Leben unerträglich zu machen«.

Anlage 2 vom 23. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2268

Produktionsschwierigkeiten in der Industrie

Im VEB Zemag, [Kreis] Zeitz, [Bezirk] Halle, fehlt es an Kugellagern, wodurch die Planerfüllung gefährdet ist.

Im VEB Kinderwagenindustrie,32 [Bezirk] Halle, besteht ein großer Mangel an Kinderwagenrädern. Zurzeit hat der Betrieb Fertigwaren im Werte von über 600 000 DM auf Lager, die wegen fehlenden Rädern nicht zum Versand gebracht werden können.

In der Schuhfabrik VEB Lipsia, [Kreis] Weißenfels, [Bezirk] Halle, ist die Belieferung mit Gummiformsohlen und Absätzen aus den Schönebecker Gummiwerken sehr schleppend. Ferner ist durch den Ausfall einzelner Kontrolleure infolge Krankheit die Qualität der Produktion gefährdet.

Im VEB Sanarwerk Königsbrück stockt in der Abteilung Emaille die Produktion, da keine verzinkten Teile mehr vorhanden sind. Bei der Privatfirma Hische,33 [Bezirk] Dresden, welche die Teile verzinkt, fehlt es an Salmiak-Salz.

Im VEB Bekleidungswerk Heubach, [Bezirk] Suhl, muss die Produktion von Sommerbekleidung eingestellt werden, da die benötigten Stoffe nicht geliefert werden. Deshalb wird die Produktion von Winterbekleidung aufgenommen. Die Arbeiter bemerken dazu, dass die Ulster,34 die jetzt hergestellt werden, bestimmt niemand trägt, da sie nicht formschön seien.

Im VEB Kaliwerk »Einheit« in Dorndorf, [Bezirk] Suhl, stockt die Belieferung mit Kohlenstaub. Es besteht die Gefahr, dass die Trocknung des Betriebes stillgelegt werden muss, was die gesamte Produktion des Betriebes gefährdet.

Im VEB Textima Großenhain, [Bezirk] Dresden, fehlen zzt. zehn Arbeitskräfte für Montage und 20 für Teilbau, Verladung und Anstreicher, wodurch der Plan nicht erfüllt werden konnte.

Im VEB Kraftverkehr Aue besteht ein großer Mangel an Ersatzteilen für die Omnibusse vom Typ »Ikarus«.

Im VEB Press- und Schmiedewerk Einheit in Brand-Erbisdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, kommt es laufend zu Produktionsausfällen, da das Heizöl zu dick ist. (Wird vom Synthesewerk in Schwarzheide geliefert.) Deshalb musste am 21.7.[1954] im Werk IV eine Schicht mit ca. 100 Arbeitern ausfallen und am 22.7.[1954] im Werk I Halle 3 die Arbeit eingestellt werden.

Das Synthesewerk Schwarzheide, [Bezirk] Cottbus, hat 3 500 t Spaltrückstände lagern, die nicht abgesetzt werden können. Aus diesem Grunde konnte die Spaltanlage noch nicht in Betrieb genommen werden. (Die Spaltrückstände können als Heizöl verwendet werden.)

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