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Zur Beurteilung der Situation

27. September 1954
Informationsdienst Nr. 2324 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig diskutiert. Bei diesen wenigen Diskussionen steht die Volkskammerwahl im Mittelpunkt.1 Überwiegend diskutiert man positiv. Darin wird die einheitliche Kandidatenliste der Nationalen Front begrüßt.2 Weiterhin werden von den Werktätigen zahlreiche Einzel- und Kollektivverpflichtungen anlässlich der Volkskammerwahl übernommen.

Negativ äußern sich meist unaufgeklärte Personen. Der Inhalt der negativen Stimmen ist verschiedenartig, wobei das Argument, dass die Einheitslisten nur aufgestellt werden, weil bei getrennten Listen die SED eine Niederlage erleiden würde, immer noch auftaucht. Eine parteilose Arbeiterin aus dem VEB »Ideal«-Werk IV Karl-Marx-Stadt: »Zu was brauchen wir denn wieder eine Wahl. Das kostet doch bloß Geld, ich kann es nicht verstehen, dass so etwas wieder aufgezogen wird.«3

Ein Kumpel der Bleierzgrube »Albert Funk« Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe kein Interesse an diesen Wahlen, denn es ist doch schon bei der Volksbefragung nicht sauber zugegangen.4 Die Stimmzettel der Jugendlichen waren nummeriert und aufgrund dessen wurden zwei Jugendliche aus dem Betrieb entlassen. Sie hatten für EVG5 gestimmt und weil die Stimmzettel nummeriert waren, hat man ihre Namen in Erfahrung gebracht.«

Ein Kollege vom VEB Tiefbau Berlin, Baustelle Biesdorf: »Wir müssen ja wählen gehen, sonst rennt uns die SED die Bude ein.« Er begründet diese Meinung damit, dass er bei der Volksbefragung nicht am ersten Tage zur Abstimmung gegangen sei und dass am nächsten Tag zwei Mitglieder der SED ihn in seiner Wohnung aufgesucht haben und mit ihm in einer unmöglichen Art und Weise diskutiert hätten.

In einer Wohngruppenversammlung in Martinroda, [Bezirk] Suhl, diskutierten Jugendliche wie folgt: »Wenn die gemeinsame Kandidatenliste aufgestellt wird, dann nur deshalb, weil die SED eine Niederlage befürchtet.«6

Von den Reichsbahnangestellten werden wieder negative Diskussionen über das Lohnsystem geführt. Im Zusammenhang damit diskutiert man negativ über die Volkswahl.

Drei Eisenbahner vom Bahnhof Weißenfels, [Bezirk] Gera,7 äußerten: »Es ist eine Schande, was uns als Boten zugemutet wird. Bei der geringen Bezahlung. Die Eisenbahn wird noch einmal ihre Leute suchen.« Ein Rangierer vom selben Bahnhof: »Der Kampfplan ist der größte Arbeiterbetrug, den wir jemals bei der Reichsbahn gesehen haben. Die führen uns hinters Licht, ohne dass wir Geld bekommen. Mir können sie gestohlen bleiben.« Drei andere Kollegen äußerten sich folgendermaßen: »Sind denn das die richtigen Vertreter? Bis jetzt hat man noch nichts davon gemerkt, denn bis jetzt hat man für die unteren noch nichts getan. Es wird nur für die obersten 10 000 gesorgt, ab Gehaltsgruppe VIII und die anderen sind nichts.«

Im Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« Schwarza, [Bezirk] Gera, herrscht eine schlechte Stimmung über die am vergangenen Mittwoch durchgeführte Lohnzahlung.

Der VEB »Heinrich Rau« [Wildau,8 Bezirk] Potsdam, hatte einen Auftrag bekommen, mehrere Hundert Drehgestelle zu bauen. Der größte Teil der dazugehörigen Materialien lagern im Betrieb. Zwei Serien von ca. 50 Stück sind bereits seit Wochen in Arbeit und waren zu ca. 60 bis 70 Prozent fertiggestellt, als die Arbeit abgestoppt wurde und die Aufträge annulliert wurden. Die Arbeiter sind über diese Angelegenheit sehr ungehalten und äußern sich wie folgt: »Es ist eine Schande, so mit unserem Geld herumzuschmeißen. Erst wird das Material hier angeliefert und wird wochenlang hier abgeladen, um es jetzt wieder zu verladen und die Eisenbahn damit zu belasten. Wo bleibt hier die Organisation?«

Materialschwierigkeiten

In einigen Betrieben im Kreis Ilmenau und Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, besteht ein Mangel an Kohlen.

Im VEB Kraftverkehr Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, fehlt es an Bereifung, sodass man sich gezwungen sah, die Reifen von Anhängern abzumontieren, damit die Maschinenwagen laufen können.

In der Mathias-Thesen-Werft in Wismar, [Bezirk] Rostock, fehlen Walzbleche in den Stärken von 8 bis 11 mm.

Im VEB Steingutfabrik Sörnewitz, [Bezirk] Dresden, bestehen Schwierigkeiten bei der Belieferung mit Rohkohle. Seit dem 16.9.[1954] wurden dem Betrieb 60 Tonnen nichtverwendbarer Förderkohle geliefert. Am 22.9.[1954] ist aufgrund dessen eine Arbeitsstockung eingetreten, da das zum Trocknen gegebene Material aufgrund der schlechten Kohle zur Weiterverarbeitung nicht geeignet ist.

Im Textil- und Gummiwerk Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, ist zu verzeichnen, dass das Werk aus der Baumwollspinnerei Flöha nur noch Zellwolle anstatt Baumwolle erhält. Dem Werk ist die Verarbeitung der Zellwollgarne nicht möglich, da es Stoffe und Gewebe für die Wismut AG9 herstellt. Der Betrieb wartet bereits seit voriger Woche auf Kettgarn. Das hat zur Folge, dass täglich bis zu 90 Webstühle stillstehen. Die Spinnerei Riesa liefert ebenfalls sehr unregelmäßig Schussgarn, sodass laufend Umstellungen vorgenommen werden müssen.

Im VEB Dampfhammerwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden, ist vor ca. vier Wochen ein neuer Kran aus dem Kirow-Werk Leipzig eingetroffen. An diesem Kran sind seit Inbetriebnahme laufend Reparaturen notwendig. Darüber sind die Arbeiter ungehalten.

Schwierigkeiten bestehen für die Inbetriebnahme der ersten Einheit im Kraftwerk Elbe, Vockerode, [Bezirk] Halle, weil die Antriebsturbine EC-1 600 vom Instruktions- und Entwicklungswerk Dresden eine Fehlkonstruktion ist und verschiedene Risse und technische Unzulänglichkeiten aufweist.

Arbeitskräftemangel

16 Kraftfahrzeuge für die Volksrepublik China, welche im Ifa-[Reparatur-]Werk Bautzen hergestellt wurden, können nicht versandt werden, da der Transportraum fehlt. Dieser könnte beschafft werden, wenn im Bahnwerk Bautzen mehr Rangierer vorhanden wären. Tag und Nacht arbeitet dort je ein Rangierer. Die anfallende Arbeit kann von diesen nicht erledigt werden. Diese Arbeit erledigten bisher fünf Rangierer, welche wegen geringem Lohn kündigten.

Handel und Versorgung

Am 16.9.1954 wurden von der DHZ Garsebach, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, 1 600 kg verdorbene grüne Heringe an die Abdeckerei Großenhain geliefert.

Im demokratischen Sektor von Berlin wurden im Zeitraum vom 23.8. bis 5.9.1954 von 702 Waggons Speisekartoffeln 304 beanstandet und 197 konnten nur noch für Futterzwecke Verwendung finden. Insgesamt waren bei den für Berlin angelieferten Speisekartoffeln 4 000 t Futterkartoffeln enthalten.

Schwierigkeiten in der Versorgung mit Fleisch ergeben sich teilweise im Bezirk Frankfurt, Halle und dem Wismutgebiet. Im Wismutgebiet diskutiert die Bevölkerung wie folgt: »Eine große Zeitspanne gab es nur Schweinefleisch und jetzt wieder nur Rindfleisch. Hier muss doch eine Fehlplanung vonseiten des Ministeriums für Handel und Versorgung sein, denn diese einseitige Belieferung ist ein ungesunder Zustand.«

In Querfurt, wo es außer Fleisch auch an Fett und Eiern mangelt, sagt man: »Seitdem das Fett billiger geworden ist, ist nichts mehr vorhanden.«10

Mangel an billigen Zigaretten besteht weiterhin in einigen Kreisen des Bezirkes Cottbus und im Kreis Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg. Hierzu sagte ein CDU-Mitglied aus Parmen, Kreis Prenzlau: »Wenn der Minister für Handel und Versorgung kandidieren würde, würde ich nicht wählen.«

Nährmittel und Fischkonserven fehlen in verschiedenen Kreisen des Bezirkes Cottbus. Über den Mangel an Zement für dringende Bauarbeiten klagen besonders die Landwirte aus dem Kreis Niesky, [Bezirk] Dresden.

Eine große Nachfrage nach Motor- und Fahrrädern und Ersatzteilen hierzu besteht in den Bezirken Halle und Schwerin, besonders in den ländlichen Kreisen. Desgleichen fehlt es an Möbel- und Dekorationsstoffen.

Im Bezirk Schwerin macht sich außerdem der Mangel an Oberbekleidung, wollhaltigen Kleidungsstücken, Schürzenstoff, Tisch- und Handtüchern bemerkbar.

Gerücht: Im Kreis Weißenfels, [Bezirk] Halle, taucht in der Konsumverkaufsstelle in Reichardtswerben das Gerücht auf, dass Pferdefette zum Verkauf kommen, um den Bedarf zu decken. Dieses Gerücht wird von klassengegnerischen Kräften verbreitet, um Verärgerung vor den Volkswahlen zu schaffen.

Landwirtschaft

Zu Ehren der Volkskammerwahl wurden weiterhin zahlreiche Einzel- und Kollektivverpflichtungen übernommen. Daran beteiligten sich hauptsächlich die LPG und MTS, aber auch eine Reihe Einzelbauern.

Verschiedentlich besteht im Bezirk Potsdam noch Unklarheit über den Charakter der Volkswahl. Teilweise werden dort die Aufklärer von der Landbevölkerung herbeigewünscht, um von ihnen Aufklärung zu bekommen. In der Gemeinde Blumenow, [Bezirk] Potsdam, sagen die Teilnehmer einer Versammlung, dass sie nicht wissen, warum noch Wahlen stattfinden, denn sie hätten schon so oft gewählt. Ihrer Meinung nach ist es Aufgabe des Politleiters der MTS, sie über solche Dinge aufzuklären, denn sie seien keine geschulten Leute.11

Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Volkswahl erklärte der Vertreter der SED aus Spornitz, [Kreis] Parchim, [Bezirk] Schwerin, in einer Blocksitzung zu den Vertretern der LDP, dass nach der Wahl auf die Mitarbeit der LDP verzichtet werden könne.

In verschiedenen ländlichen Gemeinden des Bezirkes Schwerin werden zur Vorbereitung der Wahl eine Reihe Veranstaltungen durchgeführt, die sich gegenseitig überschneiden und bei der Bevölkerung eine Versammlungsermüdung hervorrufen. So wurde im MTS-Bereich Langhagen, [Bezirk] Schwerin, in der Zeit vom 13.9. bis 22.9.[1954] täglich eine Veranstaltung durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass zu der zentralen Versammlung am 22.9.[1954] von 310 Wählern nur elf erschienen.

Bei den Rechenschaftslegungen12 treten nach wie vor Groß- und Mittelbauern und teilweise Mitglieder der bürgerlichen Parteien negativ in Erscheinung. Ein Großbauer aus Briest, [Bezirk] Frankfurt, sagte: »Ich nehme keine Einsicht in die Wählerliste und gehe auch nicht zur Wahl, denn es sind für mich keine ›freien Wahlen‹, die hier durchgeführt werden.«13

In einer Bauernversammlung der Gemeinde Groß-Kienitz, [Bezirk] Potsdam, forderten Groß- und Mittelbauern, dass für sie die Tarife für die MTS heruntergesetzt werden bzw. dass eine Zwischenstufe für die Wirtschaftsgrößen von 20 bis 30 ha14 geschaffen wird. Solche Diskussionen werden auch in anderen Gemeinden des Bezirkes Potsdam geführt.

Ein Großbauer aus Jeßnigk, [Bezirk] Cottbus, sagte: »Früher kostete ein Zinkeimer DM 5,00 und heute DM 18,00. Hat es denn überhaupt so etwas schon einmal gegeben, dass ein Bauer keine Butter bekommt, wenn er seine Milch abliefert und das ganze Jahr hindurch Margarine essen muss.«

Ein Mitglied der DBD aus Kosenow, [Bezirk] Neubrandenburg, der einen eigenen Dreschsatz besitzt und sein Getreidesoll erfüllen kann, hat sein Soll bisher nicht erfüllt und sagt: »Ich bin lieber für die freie Wirtschaft.«

Ein Arbeiter der MTS Greifswald, [Bezirk] Rostock: »Die Preissenkung war nur ein Wahlmanöver, am 17.10.[1954] wird sich schon zeigen, für wen die Bevölkerung der DDR ist.«

Oft machen sich Genossen, LPG-Mitglieder und VdgB-Mitglieder als Sprecher feindlicher Argumente in Bezug auf die Sollablieferung. In einer Versammlung der LPG Dersentin, [Bezirk] Schwerin, argumentierte der Parteisekretär gegen die Intelligenz. »Früher waren diese Herren unsere Feinde und heute sind sie Funktionäre und ebenfalls unsere Feinde, weil sie über uns als Arbeiter und Bauern sitzen.«

Der LPG-Vorsitzende von Sundhausen, [Bezirk] Erfurt: »Jetzt laufen sie wieder im Dorf herum und holen den Bauern das letzte Getreide vom Boden.«

Der Ortsvorsitzende der VdgB Solsdorf, [Bezirk] Gera: »Mit der Höhe der Ablieferung bin ich und die Bauern der Gemeinde nicht einverstanden.«

Die Tochter des früheren Gutsbesitzers von Lotzow, erschien in der Gemeinde Renzow, [Bezirk] Schwerin, und fotografierte das gesamte Gelände.15 Dabei besuchte sie eine Reihe von älteren Leuten in dieser Gegend und erklärte ihnen, dass sie in Berlin wohne. Eine werktätige Bäuerin erhielt kurz vor diesem Besuch durch die Kirche den Auftag, die Grabstätten der früheren Gutsbesitzerfamilie in Ordnung zu bringen, mit dem Versprechen, dass sie dafür eine Abfindung bekäme.

Mängel und Missstände

Wegen dem Mangel an Ersatzteilen für landwirtschaftliche Maschinen herrscht unter den Mitgliedern der MTS und den werktätigen Bauern Missstimmung. In den Gemeinden Wollin und Wenzlow, [Bezirk] Potsdam, z. B. gehen die Kartoffelroder laufend entzwei. Der Grund dafür ist, dass diese Kartoffelroder für den Traktor »Aktivist« gebaut sind und an den »Pionier« gehängt werden, weil die MTS keine »Aktivisten« zur Verfügung hat. Die Umdrehungen des »Pioniers« sind jedoch schneller und dadurch entstehen die Ausfälle, da die Kartoffelroder dies nicht vertragen.

In der MTS Leimbach, [Bezirk] Halle, stehen zehn Traktoren wegen Ersatzteilmangel still. Die Belegschaft der MTS und die werktätigen und Genossenschaftsbauern sind darüber sehr verärgert, weil sie nicht begreifen können, dass es keine Ersatzteile gibt.

In der MTS Kruge, [Bezirk] Frankfurt, fehlen für zehn Traktoren die Lichtmaschinen, die trotz aller Bemühungen nicht beschafft werden konnten.

In Klötze, [Bezirk] Magdeburg, kann die sowjetische Vollerntemaschine für die Kartoffelernte nicht benutzt werden, da die Schüttelsiebe fehlen, welche nach Rücksprache mit dem zuständigem Werk nicht zu bekommen sind.

In der MTS Löwenberg, [Bezirk] Potsdam, fehlen für die Traktoren »Brockenhexe« und »Pionier« Kugellager für Zapfwellen.

Schweinepest

Im Bezirk Magdeburg hat sich die Schweinepest in der letzten Zeit weiter verbreitet. In den letzten zehn Tagen wurden im Bezirk 49 Fälle bekannt. Dabei verendeten 133 Schweine und 858 mussten notgeschlachtet werden. Schwerpunkt ist der Kreis Wolmirstedt mit insgesamt zwölf Fällen, wovon neun verendeten und 90 notgeschlachtet wurden. In den meisten Fällen handelt es sich um Groß- und Mittelbauern und vier LPG. Am schwersten wurde die LPG im Kreise Genthin betroffen. Dort verendeten drei Schweine und 112 mussten notgeschlachtet werden.16

In drei verschiedenen Gehöften des Kreises Bernburg, [Bezirk] Halle, wurden insgesamt 37 Schweine notgeschlachtet und im Kreis Gräfenhainichen neun Schweine.

In Löbejün, [Kreis] Saalkreis, [Bezirk] Halle, liegen seit zwei Wochen 200 t Kartoffeln, die der Witterung ausgesetzt sind. Die Bauern kritisieren diese Tatsache im Zusammenhang mit der Volkswahl und mit dem ungenügenden Futter für das Vieh.

Bericht über das Zentrale Erntefest in Schwerin>17

Feindtätigkeit wurde beim Zentralen Erntefest in Schwerin nicht festgestellt. Beim Fackelzug zur Einleitung wurden keinerlei Musikkapellen mitgeführt. Der Höhepunkt war am 26.9.[1954] die Großkundgebung auf dem Alten Garten, zu der 75 000 Teilnehmer erschienen. Die Schweriner Bevölkerung stand des Öfteren teilnahmslos dabei, während bei den proletarischen, bäuerlichen und werktätigen Kreisen eine besondere Begeisterung mit Hochrufen auf unsere Regierung festzustellen war. Während die Schweriner Bevölkerung sich auch dabei teilnahmslos verhielt. Trotz der Störung durch einen Gewitterschauer hielten die proletarischen Kräfte bis zum Ende der Kundgebung aus.

Die werktätigen Bauern kritisierten das Nichterscheinen des Genossen Grotewohl18 beim Vorbeimarsch des Festzuges. Bei den Sonderveranstaltungen in den Nachmittagsstunden waren es wieder die proletarischen Kreise der Bevölkerung, die Grotewohl und die Vertreter des ZK mit aller Ehrlichkeit und Herzlichkeit begrüßten. Viele Werktätige und VP-Angehörige, die als Erntehelfer teilgenommen haben, waren anwesend und sagten, dass dieses Fest auch ihr Fest sei.

Bei den Aussprachen mit westdeutschen Bauern aus den Kreisen Mannheim und Worms baten die westdeutschen Bauern im Bezirk Schwerin, Neubauernhöfe zu übernehmen, da ihre Grundstücke dem grünen Plan verfallen sind.19

Gegen Ende des Erntefestes am 25.9.[1954] wurden vereinzelt negative Äußerungen von großbäuerlichen Elementen bekannt.

Übrige Bevölkerung

In der Stimmung der übrigen Bevölkerung hat sich keine wesentliche Veränderung ergeben. Der Umfang der Diskussionen zur Volkswahl ist noch immer verhältnismäßig gering. Die Äußerungen sind überwiegend positiv und im Inhalt gegenüber den Vortagen unverändert.

Aufgrund persönlicher Verärgerungen kommt es verschiedentlich zu negativen Äußerungen. Zum Beispiel wollen die Bewohner eines Hauses in Oberweißbach, Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl, nicht zur Wahl gehen, mit der Begründung, dass an ihrem Haus die dringend notwendigen Reparaturen nicht ausgeführt werden; z. B. stehen bei Regenwetter sämtliche Räume unter Wasser. Dieser Zustand wurde dem Rat des Kreises gemeldet; geändert wurde bisher aber nichts.

In den Gemeinden Wasungen und Schmalkalden, [Kreis] Meiningen,20 [Bezirk] Suhl, ist ein großer Teil Reichsbahnangestellter wohnhaft. Bei den Vorbereitungen zur Volkswahl tauchen in diesen Orten immer wieder negative Diskussionen auf, in denen zum Ausdruck kommt, dass bisher von der Regierung sämtliche Lohnstufen erhöht und sogar der Einzel- und Großhandel unterstützt wurde, aber für die Eisenbahner sei nichts getan worden.

Größtenteils kommen die negativen Stimmen sowie die Ablehnung der gemeinsamen Kandidatenliste aus den bürgerlichen Kreisen. Sie argumentieren, dass die Wahl zwecklos sei, da von vornherein schon feststehen würde, wie sie ausfällt, oder einige äußern, dass sie gar nicht zur Wahl gehen wollen. Ein Dozent einer Fachschule in Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Die Wahl am 17.10.1954 ist genau schon vorher fertig, wie die Wahl am 15.10.1950.«21

Die Frau eines Baumeisters aus Elsnik, [Kreis] Döbeln,22 [Bezirk] Leipzig: »Von mir aus können sie die Wahl ruhig durchführen. Ich gehe sowieso nicht wählen und wenn sie mich auch holen sollten.«

Ein Ofensetzer aus Mügeln, [Kreis] Oschatz, [Bezirk] Leipzig: »Unsere Regierung tut alles, damit es schiefgeht. Zur Volksbefragung war ich nicht abstimmen und diesmal werde ich ebenfalls nicht gehen.«

Ein Pförtner vom Rat des Kreises Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam: »Wenn am 17.10.[1954] einheitliche Wahllisten vorliegen, dann gehe ich nicht zur Wahl, denn das ist keine Demokratie.«

Ein Angestellter (NDPD) vom Fernamt Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam: »Wenn sie nicht direkt in meine Wohnung kommen und mich ausdrücklich zur Wahl auffordern, dann gehe ich nicht zur Wahl. Warum haben sie nicht für jede Partei eine Liste aufgestellt?«23

In einer Einwohnerversammlung in Hilmersdorf, [Bezirk] Cottbus, übte ein Einwohner offene Hetze gegen die Oder-Neiße-Friedensgrenze, indem er erklärte, dass er bereit wäre, für die Rückerlangung seiner Heimat sein Leben hinzugeben. Unter anderem stellte er die Frage, warum nicht24 an den Gräbern der gefallenen deutschen Soldaten, sondern nur bei den sowjetischen Gefallenen Kränze niedergelegt werden.

In der Gemeinde Werenzhain, [Bezirk] Cottbus, musste eine Wahlversammlung im Gastzimmer der dortigen Gaststätte durchgeführt werden, weil die Teilnehmer nicht zu bewegen waren, in den Saal zu gehen. Sie vertraten den Standpunkt, wenn jemand von ihnen was will, solle der ins Gastzimmer kommen.

Aus den Kreisen der Kirche25

Bei der Vorbereitung der Volkswahl zeigt sich immer wieder, dass sich viele Geistliche sehr passiv verhalten. Zum anderen kann man feststellen, dass die Kirche versucht, verschiedentlich einen großen Einfluss auf die Bevölkerung zu erhalten. Zum Beispiel wurde ein Pfarrer aus Brandenburg von Aufklärern in seiner Wohnung aufgesucht, um mit ihm über die Volkswahl zu sprechen. Schon nach den ersten Worten lehnte der Pfarrer ab, sich mit den Aufklärern politisch zu unterhalten und er sagte, er habe keine Lust, am nächsten Tag in der Presse zu stehen, denn die Presse würde lügen. Ferner meinte er, dass er jegliche Äußerung aus demjenigen Grunde ablehne, weil das Verbrechen an der jungen Gemeinde nicht gutgemacht sei.26 Die jungen Leute seien wie Verbrecher nach sechsstündigem Verhör zur Unterschrift gezwungen worden, genau wie bei Hitler. Auf eine nochmalige Frage wie er über die Volkswahl denke, verweigerte er jegliche Stellungnahme.27

In der Gemeinde Niemegk, Kreis Belzig, [Bezirk] Potsdam, ist zu verzeichnen, dass die Kirche einen stärkeren Einfluss als die FDJ auf die Jugendlichen ausübt. Dies ist eimal darauf zurückzuführen, dass die FDJ-Arbeit mangelhaft ist und zum anderen, dass der Pfarrer alles Mögliche unternimmt, um die Jugend für die Kirche zu gewinnen.

Ähnlich wie zur Volksbefragung tritt auch jetzt wieder in Erscheinung, dass Angehörige von Sekten entweder äußern, dass sie nicht zur Wahl gehen oder zum anderen versuchen, durch ihre Argunente andere Personen ebenfalls von der Wahl fernzuhalten.28 Zum Beispiel wurden in Altenburg, [Bezirk] Leipzig, mehrere Personen von zwei Angehörigen einer Sekte aufgefordert, sich nicht an der Volkswahl zu beteiligen, da es sowieso bald anders kommen würde, so wie es in der Bibel geschrieben stünde.

In letzter Zeit kommt es wiederum vor, wie z. B. im Kreis Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, in den Kreisen Pritzwalk, Wittstock und Kyritz, [Bezirk] Potsdam, und im Kreis Eisleben, [Bezirk] Halle, dass Stromabschaltungen vorgenommen werden. Darüber werden unter der Bevölkerung viele Diskussionen geführt. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Heppwigsfelde,29 Kreis Kyritz: »Wir verfolgen die Presse sehr gut und wir wissen, dass unser Ministerpräsident Otto Grotewohl gesagt hat, dass die Stromabschaltungen hinter uns liegen.30 Warum werden diese nun trotzdem durchgeführt, ohne uns darüber eine Aufklärung zu geben.«

Beim Rat des Kreises Kyritz, [Bezirk] Potsdam, haben mehrere leitende Funktionäre (z. B. der Vorsitzende, stellvertretende Vorsitzende, Leiter der Abteilung Landwirtschaft, Kader und Kultur sowie der Parteisekretär) ihre Kündigungen eingereicht bzw. in Erwägung gezogen. Als Begründung führen sie an, dass sie durch die vielen Anweisungen von allen möglichen Stellen in ihrer Arbeit überlastet sind. Hinzu käme noch der Einsatz im Zuge der Vorbereitung der Volkswahlen.

Im Krankhaus Saßnitz, [Bezirk] Rostock, besteht ein großer Mangel an Ärzten. Aufgrund von Wohnungsmangel konnten Ärzte aus Greifswald nicht eingestellt werden.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:31 Cottbus 33, Suhl 610, Frankfurt/Oder 300, Dresden 21.

UFJ:32 Karl-Marx-Stadt 12. Der Inhalt ist gegen die Volkswahlen gerichtet und beschäftigt sich mit dem Übertritt Dr. Johns in die DDR.33

NTS:34 Cottbus 4 009, Karl-Marx-Stadt 300, Rostock 39, Frankfurt/Oder 2 000.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit

Im Haus Stalinallee 343, Berlin wurden die Einladungen zur Versammlung abgerissen, wodurch die Versammlung verlegt werden musste.35

Im Stadtbezirk Berlin-Lichtenberg sind von einigen Wahllokalen die Plakate abgerissen worden.

Im Bezirk Potsdam wurde auf dem Bahngelände von Ketzin, Kreis Nauen, ein Hakenkreuz angeschmiert.36

In Heyda, Kreis Ilmenau, [Bezirk] Suhl, wurde ein Transparent abgerissen.

In der Nacht vom 19. zum 20.9.1954 wurde die Sichtwerbung aus dem FDJ-Schaukasten in Cunewalde, [Kreis] Löbau, [Bezirk] Dresden, entfernt.

In der Nacht vom 22. zum 23.9.1954 wurde in der HO-Gaststätte Ratskeller in Meißen, [Bezirk] Dresden, in der Klosettanlage mit Bleistift folgende Hetzparole angeschmiert: »Hoch Adenauer,37 Wahl am 17. Oktober ist Mist, hoch der 17. Juni 1953!« Im HO-Kaffee Meißen wurde ebenfalls eine Parole angeschmiert, die folgenden Inhalt hatte: »Heil Adenauer, die Wahl ist großer Schwindel, die DDR ist nichts. Es lebe der 17. Juni 1953!«

Im Kreis Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, wurde beobachtet, dass sich laufend junge Mädchen nach dem Westen absetzten. Vermutliche Ursache hierzu: Im Kreis Ludwigslust wurde ein Luftballon gefunden, der mit einem handgeschriebenen Zettel versehen war, in welchem aufgefordert wurde, dass sich junge hübsche Mädchen im Alter bis zu 25 Jahren an [Vorname Name 1] und [Vorname Name 2], Hamburg, [Straße, Nr.] wenden sollen. Der Luftballon trägt die Aufschrift: Hamburg, St. Pauli, [Straße, Nr.].

Ein Genossenschaftsbauer aus dem Kreis Meißen, welcher im ehemaligen Grundstück eines Republikflüchtigen wohnt, erhielt von diesem einen Drohbrief, in dem er verantwortlich gemacht werden soll, wenn die zurückgelassenen Sachen von der LPG benutzt werden.

Anlage vom 27. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2324

Bericht über das II. Sängertreffen auf der Wartburg vom 25. bis 26.9.1954

Die Stimmung der Teilnehmer ist als sehr gut zu bezeichnen. Besonders die westdeutschen Besucher sprechen sich lobend über das Treffen aus. Sie bezeichnen die dargebotenen Veranstaltungen, unter besonderer Beachtung des chinesischen Ensembles, als sehr gut und waren auch mit Verpflegung, Unterkunft und Organisation zufrieden.

Die Leiterin eines Frauenchores aus Lippe äußerte sich sehr lobend über die Durchführung dieses Sängertreffens und war der Meinung, dass die Freundschaftsbande, die sich hier angebahnt haben, weiter vertieft werden müssen. Sie habe das Ihre schon dazu getan und habe einen Chor aus Eisenach eingeladen.

Eine Besucherin aus Karlsruhe: »Ich bin sehr erfreut über den guten Empfang. Eine solche Gastfreundschaft und einen so gut organisierten Verlauf habe ich bisher noch nicht erlebt. Man kann sich hier in Eisenach direkt wohlfühlen. Es wäre schön, wenn wir uns dafür revanchieren könnten. Das müssten alle einmal von drüben erleben, die sich dauernd gegen die DDR verhetzen lassen und gar nicht wissen, wie es in Wirklichkeit aussieht.«

Ein Besucher aus Frankfurt: »Wenn man sich angesichts eines solchen Festes vor Augen hält, dass das Streben unserer Regierung drüben nur darauf gerichtet ist, einen neuen Krieg in Europa zu unterstützen, dann empfindet man von ganzem Herzen, dass es nichts Schöneres als den Frieden geben kann. Ich bin davon überzeugt, dass viele Gäste von drüben, wenn sie jetzt nach Hause zurückkehren, die ganzen Geschehnisse drüben bei uns in einem anderen Blickfeld sehen als bisher.«

Zum Auftreten des chinesischen Ensembles sagte ein Ehepaar aus Bremen: »Es war sehr schlecht, dass man bei uns in Bremen dem chinesischen Ensemble keine Einreiseerlaubnis gab. Die schon gekauften Karten mussten wieder zurückgegeben werden. So sieht unsere Demokratie aus. Wir sind erstaunt über die guten Darbietungen des Ensembles.«

Unter der einheimischen Bevölkerung traten negative Stimmen auf, die zum Ausdruck brachten, dass die Lebenslage in der DDR schlecht sei und nur, wenn eine Veranstaltung stattfindet, würden Lebensmittel herbeigeschafft, um etwas sonst nicht Vorhandenes vorzutäuschen. Ein Einwohner (parteilos) sagte z. B.: »Zum II. Sängerfest kommen viele Gäste und da ist wieder alles da. Am Montag da schieben wir wieder Kohldampf.«

Ein Einwohner: »Hoffentlich erkennen die Westdeutschen endlich, wohin es bei uns geht. Es ist nämlich fast gar nichts da. Aber für so einen Tag ist es anders.«

Eine verwitwete Hausfrau sagte: »Wenn man sieht, dass z. B. wegen dieses Treffens Tausende von Mark ausgegeben werden, so verstehe ich das nicht. Die Geschäfte sind an diesen Tagen besonders reich an Waren, das ist ja alles nur Propaganda.«

Organisatorisch traten einige Mängel auf, da das Org.-büro mehrfach die festgelegten Pläne änderte. Das wirkte sich bei der Verpflegung und bei der Durchführung einzelner Veranstaltungen aus. Am 25.9.1954 wurde z. B. der Film »Sieben vom Rhein«38 zu Beginn nur von ca. 35 Personen besucht, da das Org.-büro den Veranstaltungsplan geändert hatte und niemand verständigt war.

Feindtätigkeit zu den Veranstaltungen wurde nicht bekannt.

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