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Zur Beurteilung der Situation

6. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2199 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Probleme wird unter den Werktätigen allgemein wenig diskutiert. Die Genfer Konferenz steht im Mittelpunkt der politischen Diskussionen.1 Der überwiegende Teil der Stimmen ist positiv. Durch die Abreise von Dulles2 hofft man auf eine raschere Klärung des asiatischen Problems.3 Ebenfalls erwartet man Schritte zur Lösung der deutschen Frage. Die Diskussionen werden überwiegend von Arbeitern und Angestellten geführt. Die Intelligenzler sind größtenteils zurückhaltend. Ein Arbeiter aus einem VEB aus Frankfurt/Oder: »Der Dulles hat sich sicher den Schnupfen geholt, aber das nützt dem Ami alles nichts, denn unsere Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Das merken auch der Franzose und der Engländer, deshalb wollen sie jetzt eine Entspannung haben und Handel treiben. Nur aus Deutschland muss der Ami noch verschwinden. Seine Atomkanonen kann er mitnehmen und dem amerikanischen Volk zeigen, was Krieg bedeutet.«4

Ein Arbeiter aus dem Werk »Deutschland« in Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Abreise des Außenministers Dulles ist ein Schlag gegen das Kriegslager. Durch das Fehlschlagen seiner Politik wird er sich ebenfalls gezwungen sehen, seinen Rücktritt einzureichen. Gleichzeitig würde hierbei auch der EVG-Vertrag eine Schlappe erleiden,5 da ja dieser Vertrag ein Werk Dulles’ ist.«

Ein Buchhalter (parteilos) aus dem VEB Lederfabrik Hirschberg, [Bezirk] Gera: »Die Genfer Konferenz wird einen wichtigen Schritt vorwärts für die friedliebenden Völker bedeuten. Aber in der Frage der Schaffung der Einheit Deutschlands können wir selbst vieles leisten, indem wir recht viele Delegationen aus Westdeutschland einladen, damit diese den Aufbau bei uns sehen und den Unterschied zwischen der DDR und Westdeutschland selbst feststellen können, z. B. bei uns der Arbeitskräftemangel und in Westdeutschland Arbeitslosigkeit.«

Pessimistische Stimmen wurden nur in geringem Maße bekannt, diese sind meist von politisch weniger aufgeklärten Arbeitern. Ein Reichsbahnbrigadefahrer aus Frankfurt/Oder: »Welchen Zweck hat es schon, dass sie sich gegenseitig schöne Worte erzählen und doch ganz anders denken. Man konnte das ja an der Berliner Konferenz sehen. Erst haben sie einstimmig die Tagesordnung angenommen und dann gehen sie ohne großen Erfolg auseinander.«6

Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Kaliwerk Bleicherode, [Bezirk] Erfurt: »Wenn auch die Vertreter der Sowjetunion und der Volksrepublik Korea in Genf gute Friedensvorschläge machen, so werden sie damit bei den amerikanischen, englischen und französischen Delegierten nicht durchkommen. Dieselben sind sich einig in der Politik und wollen ihre Ziele nicht aufgeben. In Berlin war es ja ebenfalls das Gleiche. Dort kam nichts heraus und in Genf wird es nicht anders sein.«

Ein Kollege aus dem VEB Kombinat Böhlen,7 [Bezirk] Leipzig: »Auf der Genfer Konferenz werden doch keinerlei Resultate erzielt werden. Die USA wird sich niemals auf die Forderung der volksdemokratischen Länder einlassen, denn nur die westlichen Länder wissen wirklich, was Demokratie heißt und sie kann auch nur dort kommen.«

Ganz vereinzelt wurden uns negative Stimmen zur Genfer Konferenz bekannt. Ein Arbeiter aus dem Braunkohlenwerk Nachterstedt, [Bezirk] Halle: »Die Genfer Konferenz wird bestimmt nicht das bringen, was man sich im Friedenslager erhofft. Amerika wird mit seiner Stärke jetzt bestimmt nicht nachgeben. Auch dann nicht, wenn Rot-China bei der Konferenz ist. Die amerikanische Politik der Stärke liegt fest, davon geht man nicht ab.«

Ein Arbeiter aus [dem] Werk »Deutschland« in Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (parteilos): »Nun, die Großen sind sich schon immer einig gewesen, das ist eine alte Tatsache. Nur die Kleinen und die Arbeiter haben sich immer bei den Haaren und sind dabei die Dummen. Das wird auch diesmal nicht anders werden.«

Zum 1. Mai [1954] werden noch Stimmen aus verschiedenen Bezirken bekannt, jedoch ist der Umfang der Diskussionen gering. Zum größeren Teil sind die Stimmen positiv wie an den Vortagen. Vereinzelt werden noch Stimmen bekannt, in denen Verärgerung über die Prämierungen und Auszeichnungen ausgesprochen wird. Im Wismut-Objekt D 18 in Aue kam es in der Verwaltung bei der Verteilung der Prämien zum 1. Mai zu größeren Unstimmigkeiten, da Kollegen prämiert wurden, die sich gesellschaftlich nicht betätigen und die vonseiten der Abteilungsleiter nicht vorgeschlagen wurden.

Ein Gruppenleiter des Zentralkonstruktionsbüros für Schiffbau Nr. 1 in Wolgast, [Bezirk] Rostock: »Bei der Prämierung hat der Leiter des Büros die Konstrukteure bevorzugt, die ihm alles hinterbringen, was im Büro über ihn gesprochen wird. Das ist keine gerechte Prämienverteilung.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Kombinat Böhlen, [Bezirk] Leipzig: »Die Maifeiern früher waren viel schöner, man hat kostenlos Zigaretten und Biermarken bekommen, aber heute verlangt man nur Arbeit. Die Arbeiter werden nur mit einem Almosen abgespeist, während man der Intelligenz alles an den Hals wirft.«

Zur VII. Internationalen Friedensfahrt9 wurden aus Karl-Marx-Stadt folgende Stimmen bekannt. Der Leiter des Wasserwerkes Aue (CDU): »In diesem Jahr wird unsere Mannschaft einen schweren Stand haben durch die Beteiligung der sowjetischen Mannschaft. Denn bisher war es bei der SU so, dass sie ihre Mannschaften zu Sportkämpfen schickt, wenn sie weiß, dass ihre Leute an der Spitze liegen.«

Ein Angestellter aus Aue: »Ich freue mich besonders, dass die Fahrer auch Schneeberg durchfahren, das wird bestimmt ein großes Erlebnis für die Bevölkerung unseres Stadtkreises.«

In Vorbereitung zum II. Deutschlandtreffen der FDJ10 wurden in einigen Betrieben Verpflichtungen zur Unterstützung des Treffens übernommen. So verpflichtete sich die gesamte Belegschaft des VEB Fleischwarenfabrik Greußen, [Bezirk] Erfurt, einen Stundenlohn für die Berlinfahrer des Betriebes zu spenden. 100 Kollegen des Braunkohlenwerkes Großkayna verpflichteten sich, 1 Prozent ihres Monatsbruttoeinkommens dem II. Deutschlandtreffen zur Verfügung zu stellen.

Einige Lehrlinge der Bau-Union Stalinstadt bringen zum Ausdruck, dass sie nicht zum II. Deutschlandtreffen fahren wollen, da sie die 15,00 DM Unkosten und die weiteren Ausgaben nicht aufbringen können.

Missstimmung besteht unter Kollegen einiger Betriebe wegen Prämienverteilung, wegen Einstellung des Werkverkehrs, wegen Betriebskollektivvertrag, Mangel in der Butterversorgung und schlechte[r] Arbeitsbedingungen für Ingenieure. Ein Rangiermeister vom Bahnbetriebswerk Seddin, [Kreis] Potsdam, ist darüber verärgert, dass nicht seine Brigade eine Prämie von 5 000 DM bekommen hat, sondern die eines anderen Meisters. Er sagte dazu: »Meine Brigade hat viel rentabler gearbeitet. Die Auszeichnung beruht nicht auf Ehrlichkeit. Dadurch sind meine Kollegen verärgert.«

Unstimmigkeiten bestehen unter Arbeitern des Eisenhütten-Kombinates »J. W. Stalin«, da der kostenlose Werkverkehr für EKS weggefallen ist und durch den VVB Kraftverkehr übernommen wurde. Ein Arbeiter aus dem EKS sagte: »Lässt sich denn diese Maßnahme, die uns mehr Geld aus der Tasche holt, mit dem Beschluss über die weitere Verbesserung der Lebenslage der Werktätigen vereinbaren.«11

In der Planungsabteilung des VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera, wurde heftig über den Entwurf des Betriebskollektivvertrages diskutiert, da die Zentrale BKV-Plankommission Verpflichtungen zur Teilnahme am nationalen Aufbauprogramm nicht anerkannt hat. Die Kollegen sind darüber verärgert.

Im Steinkohlenbergwerk Freital, [Bezirk] Dresden, besteht Missstimmung darüber, dass die Lebensmittelkarten Gruppen A12 im Monat Mai anstelle von Butter Schmalz erhalten [sic!]. Einige Kollegen äußerten: »Sind das die Versprechungen vom Juni 1953?«13 Andere Kollegen: »Das geschieht nur, weil das Deutschlandtreffen der FDJ durchgeführt wird. Dort bringt man die ganze Butter hin.«

Im VEB TRO Berlin-Oberschöneweide14 beschweren sich die Ingenieure über die schlechten Arbeitsräume, es fehlt weiter an Messeinrichtungen.

Produktionsschwierigkeiten entstanden wegen Materialmangel, Lieferterminverzögerung und Auftragsmangel. Im Kfz-Werk »Ernst Grube« in Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, treten infolge Achsenmangel laufend Produktionsstockungen am Fließband ein. Die Arbeiter müssen mit Nebenarbeiten beschäftigt werden.15

Bei der Abteilung Aufbau beim Rat des Kreises Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, mangelt es für den Wohnungsbau in Pritzwalk an Piatern-Platten16 und Wasserleitungsrohren, wodurch der Bau nicht weitergeführt werden kann. Weiterhin fehlt es an Elektrokabeln. In der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, stockt die Montage des 15-t-Hellingkrans, da die Liefertermine durch die Montagefirma VEB Förderanlage Leipzig17 nicht eingehalten werden und die Kranteile unsystematisch geliefert werden. Dadurch entsteht ein riesiger Terminverzug bei der Herstellung weiterer Schiffe.18

Im VEB TRO Berlin-Oberschöneweide konnte der Quartalsplan für das erste Quartal 1954 nicht erfüllt werden, da die Aufträge zu spät bestätigt wurden und die gelieferten Gussteile zum großen Teil Ausschuss waren. Der Guss ist zu hart und spröde.19

Produktionsstörungen

Im Spinnstoffwerk »Otto Buchwitz« in Glauchau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde infolge Fahrlässigkeit eines Arbeiters ein Ventil des Viskosekessels nicht geschlossen, wodurch die Spinnmaschinen keine Viskose erhielten. Produktionsausfall: 10 t Zellwolle im Werte von DM 20 000, außerdem wurden sämtliche Düsen verstopft.

Am 4.5.1954 fiel in der mechanischen Weberei in Zittau ein Etagen-Spannraum durch Maschinenschaden aus. Produktionsausfall: täglich 9 000 m Stoff für Sommeruniformen der KVP.20

Erkrankungen: Am 3.5.1954 erkrankten im VEB Elektromotorenwerk Olbersdorf,21 [Bezirk] Dresden, sieben Personen an Magendrücken und Durchfall. Die Ursachen hierfür werden noch untersucht.

Handel und Versorgung

Aus mehreren Bezirken wird berichtet, dass sich in der Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren verschiedentlich Schwierigkeiten ergeben. Zum Beispiel ist im Kreis Greiz, [Bezirk] Gera, das Kontingent für den Monat Mai um 50 Prozent gekürzt worden, sodass der Verkauf an Bock- und Bratwürsten wahrscheinlich eingestellt werden muss. Durch diese Schwierigkeiten in der Versorgung kommt es mitunter zu Äußerungen wie z. B.: »Ob die Regierung am Ende sei«, oder »ob alles in Staatsreserven eingeweckt wird für die KVP

Im Bezirk Suhl ist ein Überhang an Schlachtfetten zu verzeichnen. Im 1. Quartal sollten 75 Tonnen umgesetzt werden, verkauft wurden jedoch nur 9,6 Tonnen Schmalz und 3,6 Tonnen Talg. Es würde sich deshalb eine Schmelze im Bezirk Suhl notwendig machen, damit Rohfette sofort verarbeitet werden können.22

Die DHZ Parchim, [Bezirk] Schwerin, benötigt für eine bessere Warenstreuung, besonders für die Versorgung der Landbevölkerung, dringend vier Lkw.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung nur in geringem Maße zu politischen Tagesfragen Stellung genommen. Vereinzelt werden Diskussionen über die Genfer Konferenz geführt, die meist positiv sind. Ein ganz geringer Teil äußert sich skeptisch und zweifelt an dem Erfolg dieser Konferenz. Eine Bäuerin aus Lützen, [Bezirk] Halle: »Dulles musste endlich einsehen, dass seine Politik keine Unterstützung vonseiten anderer westlicher Länder mehr findet. Hoffentlich kommen die westlichen Regierungen zu der Einsicht, dass das amerikanische Kriegskabinett gegen die Einheit der Friedenskräfte und gegen die Arbeiter aller Länder machtlos ist.«

Ein LPG-Bauer aus Berkholz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Genfer Konferenz wird zu einem noch größeren Erfolg führen, als die Berliner Konferenz, denn außer der SU ist die Volksrepublik China vertreten.«

Ein Bauer (parteilos) aus Ludwigsburg, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte sich skeptisch, indem er sagte: »Die Genfer Konferenz wird auch keinen Erfolg bringen. Es waren schon so viele Konferenzen, aber herausgekommen ist dabei nicht viel.«

Nur noch ganz vereinzelt wird über den 1. Mai [1954] gesprochen. Überwiegend positiv. Ein Bauer aus Zollbrücke, [Bezirk] Frankfurt: »Wir haben am 1. Mai [1954] bewiesen, dass es uns um die Erhaltung des Friedens ernst ist und wir es ehrlich meinen, denn wir sind mit den hiesigen Bauarbeitern gemeinsam zum 1. Mai demonstriert.«

Ein Landarbeiter vom VEG Schönerlinde, [Bezirk] Frankfurt: »Mir ist besonders aufgefallen, dass in diesem Jahr bedeutend mehr auf dem Dorf mitgemacht haben, sonst war das VEG fast immer allein vertreten. Langsam haben sicherlich unsere Bauern begriffen, worum es geht.«

Die FDJ-Kreisleitung Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, verlangte vom VEG Kammermark Vorschläge zur Auszeichnung von Jungaktivisten anlässlich des 1. Mai [1954]. Dazu äußerten zwei FDJler des Gutes: »Die Kreisleitung der FDJ, das sind gerade die Richtigen. Erst fordern sie von uns Vorschläge und als wir zwei Freunde vorgeschlagen haben, ließ sich niemand mehr sehen und als die Freunde ausgezeichnet werden sollten am 1. Mai [1954], standen wir da wie die Dussel. Aber wenn es bei uns was zu fressen gibt, dann sind sie da.«

Die wirtschaftlichen Probleme stehen weiterhin im Mittelpunkt des Interesses. Stärker macht sich jetzt ein Mangel an Futtermitteln bemerkbar, was des Öfteren Gegenstand der Diskussionen ist. Ein Bauer aus Neustadt, [Bezirk] Erfurt: »Ich muss diese Woche meine Schweine mit Untergewicht liefern, weil ich kein Futter mehr für sie habe. Ich bin bestimmt kein Nörgler, auch bin ich nicht für den Krieg, aber was nützt das alles, wenn uns der Staat betreffs Futtermittel im Stich lässt.«

Die Mitglieder der LPG Niesky, [Bezirk] Dresden, kritisieren, dass man in Mühlendorf bei Frankfurt23 Strohschober anbrennt, um die Felder für die Bestellung freizubekommen und im Kreis Niesky verhungert das Vieh, da eine Knappheit an Futtermitteln besteht. Sie sind der Meinung, dass man Produktionsarbeiter heranziehen muss, um das Stroh, welches dem Kreis von dort angeboten wurde, zu pressen und nach hier zu verladen. Im Bezirk Magdeburg besteht bei den meisten Mastanstalten der VEG ein großer Mangel an Futtermitteln. Trotz der Hinweise des Rates des Bezirkes wird vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft keine Abänderung getroffen.

In der LPG Niederndorf, [Bezirk] Gera, fehlt das Futtergetreide für Schweine und für die Kükenaufzucht. Wenn nicht bald Abhilfe geschaffen wird, besteht die Gefahr, dass die 2 000 Küken verenden.

Die BHG in Bad Köstritz, [Kreis] Gera, ist nicht in der Lage, die Futterscheine für die abgeschlossenen Mastverträge zu beliefern und die BHG Ballenstedt, [Bezirk] Halle, kann ihre Verpflichtung, für jedes neugeborene Ferkel 15 kg Kleie zu liefern, nicht einhalten (für 160 Ferkel ist noch keine Lieferung erfolgt).

Der Vorsitzende der LPG Groß-Niendorf, [Bezirk] Schwerin, zögert mit dem Einsatz mit der sowjetischen Kartoffelpflanzmaschine, mit der Begründung, dass dann die Frauen keine Arbeit mehr haben. Zu dem gleichen Problem äußerte eine Bäuerin von der LPG Zschernitz, [Bezirk] Leipzig: »Durch die Kartoffellegmaschine haben wir keine Arbeit mehr und können kein Geld verdienen. Wir müssen es verhüten, dass die Kartoffellegmaschine weiterarbeitet«. (Sie forderte ihre Brigade auf, dafür zu sorgen, dass diese Maschine vom Feld gebracht wird.)

Nur vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Stimmen zu den verschiedensten politischen Problemen bekannt. Ein Großbauer aus Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, äußerte gegenüber einem Bauer, der einer LPG beitreten will: »Sei nicht so dumm und mache diesen Fehler, denn in 2 bis 3 Jahren ist alles vorbei. Es kracht und wackelt schon in allen Fugen. Auf diesen Tag warten wir schon, der wird gefeiert und begossen.«

Die Frau eines inhaftierten Großbauern aus Wolmirstedt, [Bezirk] Halle:24 »Wir und andere Großbauern sollten nach Mecklenburg transportiert werden, die Waggons haben schon in Arten25 bereitgestanden. Dass es nicht so weit gekommen ist, verdanken wir den Arbeitern am 17. Juni [1953].«

Ein Mittelbauer (parteilos) aus Dissen, [Bezirk] Cottbus, ist der Meinung, dass es bald zum Krieg kommt. Er sagte: »Wenn die Amerikaner mit ihrer Technik kommen, dann werden wir erleben, wie die Russen das Laufen kriegen. Die Deutschen haben ihn ja allein schon gejagt. Wenn sie jetzt zusammen mit den Deutschen kommen, dann gibt es kein Halten mehr.«

Übrige Bevölkerung

In der übrigen Bevölkerung diskutiert man nach wie vor wenig über politische Tagesfragen. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Genfer Konferenz, über die in geringem Maße meist positiv diskutiert wird. Im Allgemeinen kommt die Hoffnung auf Entspannung der internationalen Lage und die Empörung über Dulles’ Verhalten zum Ausdruck. Ebenso die Zuversicht, auf einen guten Ausgang der Konferenz durch die Stärke des Weltfriedenslagers und die Mitbeteiligung Chinas. In der Stadt Schleiz, [Bezirk] Gera, äußerten sich einige Rentner wie folgt: »Dulles hat durch seine Abreise allen Menschen gezeigt, dass er den Frieden umgehen will.«

Ein Angestellter aus Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Mit der erstmaligen Teilnahme Chinas und Koreas ist für die gesamte friedliebende Menschheit ein unabwendbarer Beweis [sic!], dass das Lager des Weltfriedens noch stärker geworden ist.« Ein Jugendlicher aus Mahlwinkel, [Bezirk] Magdeburg: »Ich habe die große Hoffnung, dass auf dieser Konferenz Beschlüsse gefasst werden, die uns dem Frieden näherbringen.«

Nur vereinzelt werden negative bzw. feindliche Stimmen bekannt. Ein Hausbesitzer aus Frankfurt: »Die Abreise Dulles’ ist zwar überraschend, aber sein Vertreter wird wohl die gleiche Linie beziehen, sodass diese Konferenz genauso wie die Berliner ausgeht. Für Deutschland bestehen sowieso keine Aussichten.«

Ein Holzgroßhändler (parteilos) aus Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt: »Nun haben sie doch den Chinesen in Genf zugelassen. Sie müssen sich gar nicht mehr an die Worte Bismarcks erinnern, der gesagt hat – ›Hütet euch vor der gelben Gefahr‹26 – Hitler, der hat schon einen großen Gedanken gehabt, als er diese Gefahr bekämpfen wollte. Aber Hitler ist tot und wir sitzen ohne Führung da.«

Aufgrund der Kürzung des HO-Fleischkontingentes kommt es verschiedentlich zu negativen Diskussionen. Eine Hausfrau aus Radefeld, [Bezirk] Leipzig: »Wir werden bald wieder Krieg bekommen. Es gibt schon kein Fleisch und keine Wurst mehr in der HO. Da geht alles in die Konservenfabriken, damit beim Ausbruch des Krieges genügend Vorräte vorhanden sind.«

Die bevorstehenden Volkskammerwahlen haben unter den reaktionären Kräften eine ziemliche Aktivität hervorgerufen. Sie stellen die Forderung auf Parteiwahlen nach dem westlichen Muster »freie Wahlen«.27 Ein Angestellter (Mitglied der LDPD), beschäftigt bei der DHZ Bekleidung in Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Bevölkerung erhofft Parteiwahlen. Ich bin derselben Meinung, weil die Viermächtekonferenz gezeigt hat, dass die im Block gewählte Regierung der DDR nicht anerkannt wurde. Diese Wahlen sind eben nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, frei und demokratisch.«

Ein Lehrer (Mitglied der LDPD) aus Görbersdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Wahlmodus für die Herbstwahlen ist wieder so undefinierbar wie im Jahre 1950. Entschieden wird über die Frage ›für EVG oder Friedensvertrag‹.28 Wenn ich mich für den Friedensvertrag entscheide, so habe ich doch noch keine Garantie, dass der Friedensvertrag auch tatsächlich abgeschlossen wird.«

Ein Schulhausmann der Grundschule in Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (LDPD): »Die Wahlen 1954 sind ebenfalls so unpopulär, wie die des Jahres 1950. Dr. Loch29 hat gesagt, wer nicht die Meinung der Partei vertritt, hat keinen Platz mehr innerhalb der Partei. Wenn ich nun mit der Form der Wahlen nicht einverstanden bin, so werde ich eventuell aus der Partei ausgestoßen.«

Einzelbeispiele

Am 4.5.1954 sprach in der Kulturhalle des EKS vor ca. 400 Personen der westdeutsche Kirchenpräsident Niemöller.30 Ein Angestellter aus Stalinstadt,31 [Bezirk] Frankfurt, äußerte nach der Veranstaltung: »Ich bin sehr enttäuscht. Man stellte Niemöller immer als so fortschrittlich hin. Er hat aber nur über das Problem der Angst in der Welt gesprochen und ist der Meinung, dass bloß die Christenheit, wenn sie eine Welt von Gläubigen errichtet, in der Lage ist, diese Angst zu beseitigen.«

Genosse Prof. Dr. Stamm32 weilte einige Tage in Hannover und besuchte die dortige Messe.33 Nach seiner Rückkehr äußerte er, dass der Westen um zehn Jahre in der Elektrotechnik voraus wäre und dass wir das niemals aufholen werden. Drüben sei man auf dem Gebiet der Forschung viel großzügiger als bei uns. Bei uns hängt viel an dem Papierkrieg und wegen Kleinigkeiten kommt man immer wieder ins Stocken.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:34 Gera 6 000, Frankfurt 500, Potsdam 400, Halle 70, Rostock 30, Dresden 30.

CDU-Ostbüro: Neubrandenburg 2 000.

NTS:35 Karl-Marx-Stadt 18 565, Gera 8 000, Erfurt 8 900, Neubrandenburg 1 800, Dresden 85, Potsdam 38.

KgU:36 Rostock 130, Frankfurt 800.

In russischer Schrift: Erfurt 10 000, Rostock 210, Frankfurt 50.

In tschechischer Schrift: Dresden 250.

Im Bezirk Schwerin wurden 3 000 Hetzschriften aufgefunden. Herausgeber: nicht bekannt. Die ausgeführten Hetzschriften (deren Inhalt bereits bekannt ist) wurden zum überwiegenden Teil durch Ballons, teilweise durch Flugzeuge eingeschleust und meist durch Suchkommandos sichergestellt.

Antidemokratische Schmierereien und Handlungen wurden aus folgenden Bezirken berichtet:

In der Nacht vom 1. zum 2.5.1954 wurden in der Gemeinde Groß-Laasch, [Bezirk] Schwerin, zwei Bilder der Genossen Grotewohl37 und Mikojan38 von unbekannten Tätern beschädigt.

In der Nacht vom 3. zum 4.5.1954 wurde in Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg, der größte Teil der Plakate des II. Deutschlandtreffens abgerissen bzw. beschädigt.

In der Neptun-Werft Rostock wurde vom 4. zum 5.5.1954 in der Herrentoilette folgende Hetzlosung angeschmiert: »Gott schenke uns das 5. Reich, das Vierte ist dem 3. gleich.«

In Brandenburg, [Bezirk] Magdeburg,39 wurden 23 Klebezettel sichergestellt mit der Aufschrift: »Arbeiter, befreit euch von der kommunistischen Unterdrückung.«

Verschickung von Drohbriefen und gefälschten Schreiben: In der Kreisverwaltung Jena, [Bezirk] Gera, erhielten zwei Mitarbeiter unserer Dienststelle des SfS zwei Hetzschriften in Form von Drohbriefen und Fahrkarten nach Moskau,40 durch die Post zugesandt.

Ein Fernschreiberin des VEB Werk Königsee, [Bezirk] Gera, erhielt eine gefälschte Einladung zu einem Fernschreibertreffen am 8./9.5.1954 in Berlin. Treffpunkt: Am 8. Mai [1954], Berlin-S-Bahn Treptow um 13.00 Uhr. Wörtlich heißt es: Dieses Treffen soll zu einem Erfahrungsaustausch und zu einer besseren Arbeitsfähigkeit beitragen. Die Kosten sollen, wenn sie der Betrieb nicht übernimmt, selbst getragen werden. (Von wem verschickt, ist nicht bekannt.)

Einschätzung der Situation

Die Lage hat sich gegenüber den Vortagen nicht wesentlich verändert.

Anlage (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2199

Westberlin

Am 26.4.1954 führte die neu gegründete »Republikanische Partei«41 im Lokal »zum Lützensee« am Kaiserdamm42 eine öffentliche Versammlung durch, wo ca. 38 Personen, vorwiegend aus bürgerlichen Kreisen, anwesend waren. Der Sprecher führte u. a. aus, dass es eine der Hauptaufgaben der Partei sei, für das Recht der Wähler einzutreten, ihre gewählten Abgeordneten zu überprüfen. Weiterhin wolle man für den Abbau des aufgeblasenen Verwaltungsapparates eintreten und dafür, dass endlich das Ausführungsgesetz für Volksentscheid und Volksbegehren bearbeitet wird.

Am 28.4.1954 fand in Wittenau eine Versammlung des »Staatsbürgerinnenverbandes«43 statt. Hier wurde über Paketaktionen für die DDR44 und den demokratischen Sektor Berlins gesprochen. Jedes Mitglied des Verbandes soll ein Paket (6 kg) an die »Ostbewohner« senden und wenn es sich um ein Paket für die DDR handelt, dem Verband den Postabschnitt vorlegen, der dann nach Bonn gesandt wird. Die Bewohner des demokratischen Sektors müssen das Paket selbst abholen und dabei ihren DPA vorlegen.

Aus dem Flüchtlingslager Marienfelde wird bekannt, dass sich in der letzten Zeit viel KVP-Angehörige im Lager gemeldet haben. Auf Befragen, ob sie ohne Schwierigkeiten nach dem Westsektor gelangen können, sagten die KVP-Angehörigen, dass sie auf der letzten Station im demokratischen Sektor aussteigen, dort den Unbeteiligten spielen und wenn ein Zug in Richtung Westen einläuft, während der Fahrt aufspringen würden. So gelangen sie ungehindert in den Westsektor.

Verbitterung besteht unter Motorsportlern aus Westberlin über die Finanzpolitik des Schreiber-Senats45 wegen der Erhöhung der Haftpflicht um 100 Prozent. Weiterhin werden von diesen Kreisen die Maßnahmen auf sportlichem Gebiet in der DDR begrüßt, jedoch besteht eine Verärgerung darüber, dass sie die DDR mit ihren Motorrädern nicht befahren dürfen. In Diskussionen wird immer wieder gewünscht, dass man ihnen die Benutzung ihrer Maschinen in der DDR ermöglichen solle.

In der Waldbühne wurde am 1. Mai [1954] der Film »Weg ohne Umkehr«46 uraufgeführt. Es handelt sich hier um einen Hetzfilm gegen die Sowjetunion. Die Waldbühne war nur zu einem Drittel mit Zuschauern gefüllt. Der Film fand bei den Besuchern wenig Anklang. Bei der persönlichen Vorstellung des Hauptdarstellers47 war der Beifall sehr mäßig, teilweise wurde sogar gepfiffen. Einige Besucher verließen vor Beendigung der Vorstellung die Waldbühne. Bei russischen Volksliedern, die im Film vorkamen, klatschten Besucher teilweise mit. Aus Gesprächen war zu entnehmen, dass der Film sogar von Leuten, die nicht positiv zur Sowjetunion stehen, als unwahr abgelehnt wird. Folgende Äußerungen sind charakteristisch: »Solch einen Quatsch kann man den Berlinern nicht zeigen!«, »Der Film war das Eintrittsgeld nicht wert.«, »Der Film ist an den Haaren herbeigezogen, nichts stimmt mit der Wirklichkeit überein«, »So dumm sind die Russen nicht, wie sie der Film darstellt«.

In der Zeitschrift »Der Tag«48 vom 5. Mai 1954 heißt es in einem Artikel unter der Überschrift »Verbot der SED gefordert«:49 »Anhänger und Verfechter der kommunistischen Ideologie, die in Westberlin wohnen, sollten nicht mehr aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden, fordert die SPD in ihrem Antrag zur Bekämpfung kommunistischer Umtriebe50 (beim Westberliner Senat). Es sei nicht zu vertreten, dass aus Mitteln der Arbeitslosenunterstützung, der Sozialunterstützung usw. Agitatoren des östlichen Systems die finanziellen Hilfsmittel zufließen, die ihnen den Aufenthalt in Westberlin und ihre illegale, freiheitsfeindliche Tätigkeit ermöglichen.«

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