Zur Beurteilung der Situation
25. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2217 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Das Interesse an der Genfer Konferenz lässt weiterhin nach,1 sodass nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt wurden, die sich in dem am Vortag aufgezeigten Rahmen bewegen. Vereinzelt wurde über einen neuen 17. Juni [1953] gesprochen. So sagte z. B. eine Kollegin von der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, dass in der Filmfabrik am 17.6.1954 ein Sitzstreik durchgeführt wird. Das Gleiche behaupteten fünf Kollegen vom Aluminium-Werk des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld. Zwei Arbeiter aus Eisleben, [Bezirk] Halle: »Der 17.6.1953 war nicht eine Machenschaft vom Westen,2 sondern die Arbeiter hatten die ›freiwilligen Normenerhöhungen‹ satt. Heute, 1954, ist es genau wieder soweit. Die Arbeiter sind nicht mehr zufrieden.«
Ein Kollege von der Bau-Union Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das ist ja eine Schande, dass es so wenig Lohn gibt. Wenn keine Verbesserung kommt, kann es schnell passieren, dass am 17.6. das Einjährige gefeiert wird.«
Am 21.5.1954 sprach der Minister für Nahrungs- und Genussmittelindustrie3 in einer Versammlung zu den Kollegen des VEB Zuckerfabrik Lübz, [Bezirk] Schwerin. In den darauffolgenden 40 Diskussionsbeiträgen wurde vor allem die Leistungslohnregelung behandelt. Die Arbeiter sind mit der Lohnregelung in der Zuckerindustrie keineswegs einverstanden. Nach dem Schlusswort des Ministers verließen viele unbefriedigt den Raum.
Betriebliche Fragen
Zur Arbeitsniederlegung kam es am 24.5.1954 bei den 25 Beschäftigten des Privatsägewerkes Tanneberg, [Bezirk] Potsdam,4 da sich der Betriebsleiter weigerte, die Betriebsvereinbarung zu unterschreiben. Er erkannte den Punkt nicht an, wonach 2½ Prozent des Bruttolohnes eines jeden Arbeiters auf ein Konto für die Verbesserung der kulturellen und sanitären Einrichtungen überwiesen werden. Die Arbeiter wollten solange streiken, bis der Besitzer mit ihren Forderungen einverstanden ist. Gleichzeitig erklärten sie, dass sie Arbeiten der volkseigenen Industrie sofort erledigen werden.
Unzufriedenheit besteht im Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden. Als Ursache hierfür wird angegeben, dass 1. die Meister im Durchschnitt niedriger bezahlt werden, als die 1. und 2. Schmelzer, 2. vor kurzer Zeit die Quartalsprämien und vor einigen Tagen die Sonntagsprozente nachgezahlt wurden, da man sie niedriger als sonst ausgezahlt hatte. Dazu äußerte ein Meister: »Da wollten sie uns scheinbar wieder betrügen. Ich habe jetzt selber den Eindruck, dass man uns Geld abziehen will, wo man nur kann.« Weiterhin mangelt es an Aufträgen für die 6 000-t-Presse. In einer Agitatorenbesprechung wurde zum Ausdruck gebracht, dass »wir kurz vor einem zweiten 17.6.[1953] stehen«, da unter den Arbeitern »eine gewisse Unruhe herrsche«.
In den Leuna-Werken »Walter Ulbricht« nehmen Diskussionen über Lohnhöhergruppierungen einen größeren Umfang an. Es gibt Anzeichen, wonach diese Diskussionen wahrscheinlich organisiert sind.
Ein Kollege vom Grafit-Betrieb des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld brachte zum Ausdruck, dass die Arbeit sehr gesundheitsschädlich ist und der Lohn für diese Arbeit zu niedrig sei (durchschnittlich 450 bis 500 DM netto). Ferner bemängelte er, dass im Ofenhaus keine Vorrichtungen sind, die den Grafitstaub abziehen.
Unter den Meistern und Arbeitern des Eisenhüttenkombinates »J. W. Stalin« gibt es Verärgerung darüber, dass die Quartalsprämien noch nicht ausgezahlt wurden. Ein Arbeiter sagte dazu: »Da soll man noch Lust haben zur Arbeit, wenn die oben nicht einmal unsere Arbeit würdigen und nicht die Gelder herausrücken, die uns zustehen.«
Eine schlechte Stimmung besteht unter den Intelligenzlern des Karl-Marx-Werkes Magdeburg5 aufgrund der Inhaftierung des technischen Direktors des Dimitroff-Werkes Magdeburg.6 Man befürchtet, dass bei Nichterfüllung des Planes oder bei zu hohem Ausschuss weitere Verhaftungen erfolgen werden. Die ähnliche Stimmung herrscht unter den Intelligenzlern des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam, wo Schädlinge in verantwortlichen Funktionen festgenommen wurden.7 Ein Ingenieur sagte dazu: »Ich fasse nichts mehr an, denn ich weiß nicht, ob mir morgen nicht dasselbe Schicksal blüht.«
Gegen die Beibehaltung der Nachtschichten wurden in letzter Zeit im Bezirk Potsdam vereinzelt negative Stimmen geäußert. So fordern die Kollegen der Abteilung Rohbau in den Rathenower Optischen Werken,8 dass während der Sommermonate die Nachtschicht wegfällt und dafür nur Tag- und Spätschichten eingeführt werden. Der Energiebeauftragte des Werkes teilte dazu mit, dass auf einer Tagung am 1.4.1954 in Leipzig festgestellt wurde, dass, im Republikmaßstab gesehen, die Frage der Nachtschichten in fast allen Betrieben negativ diskutiert wird.
Im VEB Bau-Union Berlin schenkt man den Jungarbeitern zu wenig Beachtung und schickt sie von Baustelle zu Baustelle. Vor Kurzem hat eine gute Putzerbrigade gekündigt, weil9 man ihr keine Arbeit nachweisen konnte. Jetzt will eine andere Brigade ebenfalls kündigen.
Produktionsschwierigkeiten wurden aus einigen Betrieben gemeldet. Im VEB TEWA-Jüterbog,10 [Bezirk] Potsdam, haben die Materialschwierigkeiten größere Ausmaße angenommen, sodass bereits jetzt 22 Maschinen stillstehen.
Im Revier 11 des Wismut-Schachtes 6 in Oberschlema mangelt es an Bohrstangen.11
Im VEB IKA Sonneberg,12 [Bezirk] Suhl, ist eine Produktionsstockung eingetreten, da es an Porzellanteilen fehlt. Der Zulieferbetrieb, VEB Porzellanwerk Kloster Veilsdorf,13 [Bezirk] Suhl, begründet die Nichteinhaltung der Lieferung mit Kohlenmangel.
Produktionsstörungen
Am 24.5.1954 brach im Bau 837 des Leuna-Werkes in der Ofenkammer V ein Brand aus. Vermutliche Ursache: Riss in der 120-Ø-Verbindung. Produktionsschaden entsteht nicht.
Am 22.5.[1954] standen im VEB Heinrich Rau Wildau,14 [Bezirk] Potsdam, für eine ¾ Stunde sämtliche Pressen still. Ursache: Rohrbruch einer Wasserleitung.
Am 23.5.[1954] fiel im Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, die Turbine 2 für eine Stunde aus. Vermutliche Ursache: Verwendung von schlechtem Öl.
Am 24.5.1954 kam es im VEB Lackfabrik Magdeburg zu einer Explosion,15 wobei ein Meister getötet und drei Kollegen verletzt wurden. Ursache wird noch ermittelt.
Handel und Versorgung
In den Bezirken Magdeburg, Neubrandenburg, Dresden, Karl-Marx-Stadt, Suhl und Gera bestehen weiterhin Schwierigkeiten in der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren. Größtenteils wird dahingehend diskutiert, dass die Ursache dafür das bevorstehende Deutschlandtreffen ist.16 Es kommt zu Äußerungen, wie z. B.: »Ich komme durch meine Beschäftigung in vielen Städten herum und überall gibt es in den HO-Geschäften fast keine Fleischwaren, das kommt nur durch das Deutschlandtreffen. Sollen sie doch nicht solchen Mist durchführen, wenn sie nichts zu fressen haben« (ein Arbeiter von der Bau-Union Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt).
Aus dem Bezirk Magdeburg wird berichtet, dass der Handel Absatzschwierigkeiten beim Verkauf von sowjetischen Fischkonserven hat. Die Ursache liegt darin, dass durch die russische Beschriftung der Inhalt der Dosen nicht bekannt ist und zum anderen sind sie der Bevölkerung zu teuer.
Landwirtschaft
Das Interesse an politischen Tagesfragen ist nach wie vor gering. Größtenteils wird darüber nur in den Kreisen des sozialistischen Sektors diskutiert. Die ganz vereinzelt bekannt gewordenen Stimmen zur Genfer Konferenz sind positiv. Ein Landarbeiter vom VEG Bendeleben, [Bezirk] Erfurt: »Ich hoffe, dass in Genf eine Einigung über Asien erzielt wird, denn das würde auch zur Lösung der Deutschlandfrage beitragen.«
Vorwiegend besteht das Interesse für wirtschaftliche Probleme. Deshalb wird mehr über diese Fragen gesprochen. Des Öfteren ist die Futterknappheit und die Düngemittelzuteilung Gegenstand der Diskussionen. Ein Kleinbauer aus Heinsdorf, [Bezirk] Cottbus: »Wir kriegen zu wenig Futter. Wenn keins da ist, dann muss eben die Regierung welches einführen. Wenn das Wetter weiter so trocken bleibt, wird es in diesem Jahr wieder wenig Futter geben, man kann schon jetzt vor dem nächsten Jahr Angst kriegen.«
Ein Großbauer aus Schönwalde, [Bezirk] Cottbus: »In der Schweinefütterung sieht es mies aus. Das Futter langt nicht. Polen soll jetzt etwas Futter geliefert haben, aber man hört nichts, dass ›Russland‹ einmal etwas liefert. Was uns noch kaputt macht, das sind die Kolchosen.«17
In dem örtlichen landwirtschaftlichen Betrieb in Karbow, [Bezirk] Neubrandenburg, befindet sich der größte Teil der Kühe durch die Futterknappheit in einem schlechten Zustand (26 Milchkühe geben täglich nur noch 54 kg Milch).
In der Gemeinde Brügge, [Bezirk] Potsdam, sind Bauern über die unplanmäßige Düngemittelzuteilung verärgert. Dazu äußerten mehrere Bauern: »Jetzt, wo wir den Dünger (Thomasmehl) nicht brauchen,18 wird er uns geliefert. Wahrscheinlich geben solche Personen die Anordnung heraus, die nicht wissen, wann Thomasmehl für die Düngung der Felder gebraucht wird. Jetzt lagert der Dünger nun bei uns und vorher hat er uns gefehlt.«
In der Gemeinde Zangenberg, [Bezirk] Halle, erhielten mehrere Bauern von der BHG Zeitz statt Zuckerrüben- Futterrübensamen geliefert. Das wurde jetzt erst festgestellt, nachdem der Samen aufgegangen ist. Die Felder müssen nochmals umgeackert und neu bestellt werden, was eine Ertragsminderung bedeutet.
Aus dem Bezirk Halle wurde berichtet, dass ein großer Teil der Bauern mit der Anordnung, dass die Kälber nicht unter 50 kg abgeliefert werden dürfen, nicht einverstanden sind.19 Sie sind der Meinung, dass dadurch der Ernährung keineswegs gedient ist, da große Mengen Milch durch die Aufzucht der Kälber verlustig gehen.
Aufgrund der Seuchen kann im Kreis Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, der Viehhalteplan nicht eingehalten werden (es fehlen 2 000 Schweine).
Die Schweinepest ist im örtlichen landwirtschaftlichen Betrieb Langen Brütz, [Bezirk] Schwerin, ausgebrochen (60 Schweine notgeschlachtet).
Übrige Bevölkerung
In den wenigen Diskussionen zur Genfer Konferenz kommt immer wieder die Erwartung auf eine friedliche Lösung zur Entspannung der internationalen Lage und das Verbot der Atomwaffen zum Ausdruck. Diese Erwartung wird durch die Uneinigkeit im imperialistischen Lager bestärkt, wobei die Rolle der USA-Regierung immer mehr erkannt wird. Verschiedentlich wird die Konferenz von der pessimistischen Seite aus betrachtet und ihr besonders in den bürgerlichen Kreisen keine Bedeutung geschenkt, weil sie angeblich nur asiatische und keine deutschen Probleme behandelt.
Über den Mangel an HO-Fleisch und teilweise auch an Butter, gibt es noch rege Diskussionen, hauptsächlich unter den Frauen der Bezirke Pankow, Suhl, Neubrandenburg, Cottbus, Dresden und Magdeburg. Hierbei wird die Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck gebracht, warum diese Waren auf Kosten der Bevölkerung dem Deutschlandtreffen zur Verfügung gestellt werden, oder auch, dass in den Zeitungen von genügend Vorräten gesprochen wird, die nicht vorhanden sind.
Vereinzelt wird in diesem Zusammenhang der 17. Juni [1953] erwähnt und seine Wiederholung erwartet. Hierzu einige Beispiele: Ein Angestellter bei der Stadtverwaltung Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg, sagt: »Der 17. Juni [1953] wird sich bestimmt wiederholen.« Ein Angestellter der inneren Verwaltung in Halle erklärt: »Im Lager der DHZ Gummi-Asbest in Trotha, [Bezirk] Halle, ist eine schlechte Stimmung. Ich habe das Gefühl, dass man kurz vor dem 17.6.[1953] steht.« Ein Gärtnereibesitzer aus Hallungen, [Bezirk] Halle,20 äußerte sich wie folgt: »Am 17. Juni 1953, da war es keine Kunst, das wehrlose Volk mit Panzern in Schach zu halten. Aber Panzer werden auch wehrlos, wenn Hunderttausende dagegen anstürmen.«
In Kreisen der LDP und CDU diskutiert man über die Volkskammerwahl21 und stellt die Forderung nach Parteiwahlen. Hierzu ein Beispiel: Ein Angestellter aus Berlas,22 [Kreis] Plauen (LDP) sagt: »Die diesjährige Herbstwahl muss eine freie demokratische Wahl werden. Die 1950 war ja eine kommunistische Wahl. Wir wollen eine Liste haben, wo sämtliche Parteien drauf verzeichnet sind, dann kann man die entsprechenden streichen.«23
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
NTS:24 Neubrandenburg 801, Halle 42, Dresden 228, Leipzig 140, Suhl 11 000, Gera 4 000, Potsdam 3 000.
SPD:25 Halle einige, Karl-Marx-Stadt 1 505, Erfurt 335, Dresden 100, Gera 225, Potsdam 2 100.
CDU: Potsdam einige.
KgU:26 Neubrandenburg 50, Karl-Marx-Stadt 1 390, Potsdam 7 000, Dresden und Schwerin einige.
UFJ:27 Dresden ein Hetzbrief.
ZOPE:28 Erfurt 1 285, Frankfurt 2 200.
In tschechischer Sprache: Cottbus einige, Halle 3 142, Dresden 1 966, Leipzig 2 000, Gera 35, Potsdam 100.
Aktionsgemeinschaft der FDJ:29 Potsdam 10 000.
Verschiedene Flugblätter: Dresden 30, Karl-Marx-Stadt und Frankfurt einige.
Inhalt: An die Eltern, gegen das II. Deutschlandtreffen. An die VP, gegen das Deutschlandtreffen, Hetze gegen Wahlen und Volksausschüsse, Hetze gegen die Regierung: »Pankow wird stürzen«,30 Hetzbriefe: »Am roten Zwinger«, Aufforderung zum Funkturm,31 Hetze gegen Viererkonferenz.32
Ein bereits vorbestrafter Diversant aus Großbeeren, [Bezirk] Potsdam, legte in einer HO-Gaststätte des Ortes am 23./24. Mai 1954 einen Brand an. Dabei verbrannten die Girlande und eine rote Fahne. Täter wurde festgenommen.
In einer Mitropa-Gaststätte [im] Bezirk Potsdam wurde am 21. Mai [1954] ein Provokateur festgenommen, welcher hetzerische Reden führte.
Am 23.5.[1954] wurden von drei Jugendlichen und Arbeitern in einer Konsum-Verkaufsstelle in Potsdam rote Fahnen heruntergerissen.
In Brädikow, [Bezirk] Potsdam, wurde am 22. Mai [1954] ein VP-Hauptwachtmeister von einem Bewohner niedergeschlagen.
An 23.5.1954 wurde ein freiwilliger Helfer der VP in Zeuthen, [Bezirk] Potsdam, von einer unbekannten Person niedergeschlagen.
In Gera wurde ein VP-Angehöriger in der Nacht vom 23. zum 24. Mai [1954] von unbekannten Tätern überfallen und zum Teil durch Messerstiche schwer verletzt.
Aus den Bezirken Dresden und Gera werden einzelne feindliche Parole-Schmierereien gemeldet.
In Nostorf, Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin, wurde von unbekannten Tätern Sand in den Kühler eines Traktors geworfen.
Auf der MTS Charlottenthal, [Bezirk] Schwerin, wurde von einem Traktoristen der Treibstoff falsch gemischt, sodass ein Traktor für mehrere Tage ausfällt.
Vermutliche Feindtätigkeit
In Wudicke,33 [Kreis] Havelberg, [Bezirk] Magdeburg, brach am 24. Mai [1954] ein Waldbrand aus (ca. 3 Hektar Fichtenwald). Der Wald brannte an zwei Stellen zugleich.
Der ehemalige Schäfer der LPG Rabis, [Bezirk] Gera, wurde festgenommen, da von seinen 270 Schafen nur noch zwei gesund sind. Die übrigen haben Biss- und Klauenwunden durch unsachgemäßes Ausschneiden.
Das KPA Lobenstein, [Bezirk] Gera, hat festgestellt, dass sich in den letzten Tagen auffällig viel Personen nach Ludwigsstadt (Westdeutschland) abgemeldet haben. Am 24.5.[1954] z. B. zehn Personen. Dazu äußerte eine Einwohnerin aus Lehesten, dass die Personen, welche nach Ludwigstadt fahren, angeblich vier Tage freie Verpflegung und 40 Westmark bekommen würden.
Einschätzung der Situation
Gegenüber dem Vortage sind keine wesentlichen Änderungen in der Lage festzustellen.
Anlage 1 vom 25. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2217
Über das II. Deutschlandtreffen der FDJ
Die Stimmung unter den Jugendlichen, die am II. Deutschlandtreffen teilnehmen, ist im Allgemeinen gut. Die übrige Bevölkerung zeigt wenig Interesse. Die bekannt gewordenen positiven Stimmen sind meist von organisierten Jugendlichen. Ein Jugendlicher aus dem Werk »Deutschland« in Oelsnitz,34 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das II. Deutschlandtreffen wird den Imperialisten zeigen, dass die deutsche Jugend nicht gewillt ist, nochmals für den Imperialismus in den Krieg zu ziehen und sie wird immer bereit sein, für die Einheit unseres Vaterlandes zu kämpfen.«
Ein Traktorist von der MTS Kospoda, [Bezirk] Gera: »Ich nehme am II. Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin teil, um für Frieden, Einheit und Freiheit zu demonstrieren, damit es den westlichen Imperialisten nicht gelingt, die Jugend in einen schmutzigen Krieg gegen die Friedenskräfte hineinzuziehen.«
Ein Jugendlicher, beschäftig in der HO Industriewaren aus Rostock: »Ich begrüße es, dass bei uns alle eingezeichneten Jugendfreunde nach Berlin fahren können. Ich hoffe, dass die mitfahrenden Jugendfreunde auch durchaus ihre Schlüsse ziehen und dann alles auf die praktische Arbeit anwenden werden.«
Im Braunkohlenwerk Golpa, [Bezirk] Halle, äußerten sich einige Arbeiter zu den Schwierigkeiten bezüglich der Geldaufbringung wie folgt: »Man sollte hier ruhig etwas aus dem Direktorenfonds nehmen, um unsere Jugend im Kampf um den Frieden auch materiell zu unterstützen.«
Die gering bekannt gewordenen negativen Stimmen drücken zum Teil Interesselosigkeit und feindliche Beeinflussung aus. Ganz vereinzelt wurden uns Stimmen bekannt, wo man das II. Deutschlandtreffen zum Einkauf in Westberlin ausnutzen will. Im Kreis Stendal, [Bezirk] Magdeburg, versuchen Großbauern Jugendliche, die bei ihnen beschäftigt sind, von der Teilnahme am Deutschlandtreffen abzuhalten. Ein Großbauer sagte: »Wenn ihr nach Berlin fahrt, dann müssen wir euch ja Geld dazu geben. Na, dann können wir Euch eben das Fahrrad nicht kaufen, das wir euch zu Pfingsten schenken wollten.«
Ein Jugendlicher aus der Patentpapierfabrik Penig, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich ziehe meine Einzeichnung zurück, ich habe keine Lust nach Berlin zu fahren, denn es ist bereits das 3. Pfingstfest, was ich mir wegen der FDJ versaut habe.« Aus oben genanntem Betrieb wurde uns weiter bekannt, dass sich 30 Jugendliche aus der Teilnehmerliste streichen ließen. Als Grund wurde angegeben, dass sie kein Geld und auch kein Interesse haben.
Ein Jugendlicher aus Kietz, [Bezirk] Frankfurt: »Wenn sie es auch verbieten werden, nach Westberlin zu gehen, so will ich doch einmal hinüber, denn die Apfelsinen und Bananen schmecken besser und die Filme sind spannender.«
Ein Jugendlicher aus Göhlen, [Bezirk] Frankfurt: »Ich mache alles mit, nur darf sich so etwas wie am 15.8.1951 nicht wiederholen. Es ist nicht richtig, dass wir durch die Straßen ziehen und rufen ›Ami go home‹, es ist klar, dass sie dann auf uns einprügeln.«35
Innerhalb des Wismutgebietes ist das Soll der Teilnehmer zu dem II. Deutschlandtreffen mit 94,8 Prozent erfüllt. Davon haben bereits 77,5 Prozent Teilnahmegebühren entrichtet.
Feindtätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen zu stören: In der Gemeinde Reichmannsdorf, [Bezirk] Suhl, will die »Junge Gemeinde« zu Pfingsten ein Zeltlager veranstalten, um die Freunde vom II. Deutschlandtreffen in Berlin abzuhalten.
Die Betriebsgruppe der FDJ im VEB Lauchhammer-Ost erhielt einen Brief folgenden Inhalts: Man soll keinen so großen Wert auf die Teilnehmerzahl zum II. Deutschlandtreffen legen, da das Soll um 20 Prozent gesenkt wird, vielmehr sollen die Freunde für eine Aktion in Westberlin vorbereitet werden (Unterschrift: Margot Feist36 – FDJ-Zentralrat).
Die FDJ-Kreisleitung Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, erhielt ein gefälschtes Rundschreiben. Inhalt: Bereitstellung von FDJ-Mitgliedern zum Ordnerdienst in der Zeit vom 28.5. bis 8.6.1954. Die FDJ-Betriebsgruppe VEB Gießerei und Eisenwerk Waren, [Bezirk] Neubrandenburg, erhielt ebenfalls ein gefälschtes Rundschreiben worin aufgefordert wird, keine Jugendfreunde zum II. Deutschlandtreffen zu delegieren, um Produktionsausfall zu verhindern.
Den Kreisleitungen der FDJ in Hettstedt, Nebra, Roßlau, Hohenmölsen und Gräfenhainichen wurden gefälschte Rundschreiben zugestellt, worin der Gegner versucht, die Vorbereitungen zum Deutschlandtreffen zu stören (genauer Inhalt nicht bekannt).
Wie uns berichtet wurde, erhielten aus den Kreisen Werdau, Auerbach und Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, FDJ-Betriebsgruppen gefälschte Schreiben des Zentralrates der FDJ. Darin wird aufgefordert, sämtliche Sammlungen über das II. Deutschlandtreffen einzustellen und die nötigen Gelder aus dem Direktorenfonds zu entnehmen. Ein gleiches gefälschtes Schreiben erhielt die FDJ-Kreisleitung in Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt.
Die Kreisleitung der FDJ in Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt, erhielt ein weiteres gefälschtes Schreiben worin sie aufgefordert wird, 15 Jugendliche zu einem Lehrgang für Ordner vom 28.5. bis 8.6.1954 abzustellen (Unterschrift: Mit freundschaftlichen Grüßen gez. Lindner, Lehrgangsleiter des Ordnerdienstes).
Anlage 2 vom 25. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2217
Landwirtschaft
Über Schwierigkeiten und Mängel, die innerhalb des sozialistischen Sektors in der Landwirtschaft in Erscheinung traten. Bei der MTS Passow, [Bezirk] Schwerin, bestehen Mängel in der Durchführung der Finanzbuchhaltung. Es werden mitunter Rechnungen zwei und sogar drei Mal ausgeschrieben, was Verärgerung bei den Bauern hervorruft. (Es gehen fast täglich darüber Beschwerden und so[gar] Drohbriefe bei der MTS ein.)
Über die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Ersatzteilen äußerte der technische Leiter der MTS Badrina, [Bezirk] Leipzig: »Die RS 15 und die RS 30 (Traktoren) werden nun schon einige Jahre bei uns produziert und es ist deshalb eine Schweinerei, dass trotzdem noch immer die gleichen Mängel in der Ersatzteilbeschaffung bestehen wie am Anfang.«
Im VEG Memleben, [Bezirk] Halle, hat der Schweinemeister (CDU) verendete Schweine 14 Tage unter dem Mist vor den Schweinehütten liegen lassen. Weil ihm nicht nachgewiesen werden konnte, ob es absichtlich geschehen ist, wurde er nicht zur Verantwortung gezogen.
Verschiedentlich ist zu verzeichnen, dass es großbäuerliche Elemente verstehen, sich in die LPG einzuschleichen. Zum Beispiel sind in der LPG Eilsleben, [Bezirk] Magdeburg, der Lehrlingsausbilder, ein Buchhalter und der Schweinebetreuer ehemalige Großbauern.
In der LPG Kreischau und Täuschen,37 [Bezirk] Halle, ist aufgrund des Futtermangels die Aufzucht von 4 000 Junghühnern gefährdet.
Einige Beispiele über parteischädigendes Verhalten einzelner Mitglieder unserer Partei:
Am 19.5.[1954] fand in der Gemeinde Tessenow, [Bezirk] Schwerin, eine öffentliche Parteiversammlung statt (Referent ein Beauftragter des ZK). Er forderte die Anwesenden auf, nur auf politischem Gebiet Fragen zu stellen, die wirtschaftlichen sollten sie in der Gemeinde selbst klären. Als einige Klein- und Mittelbauern trotzdem ihre Sorgen vortragen wollten, wurden sie abgewiesen.
In der Gemeinde Ganzow, [Bezirk] Schwerin, wurde in einem Zirkel des Parteilehrjahres über gerechte und ungerechte Kriege gesprochen. Dabei wurde vom Parteisekretär die Frage aufgeworfen, »ob es ein gerechter oder ungerechter Krieg wäre, wenn sich die ausgesiedelten Deutschen gegen die Sowjetunion erheben würden, um in ihre Heimat wieder zurückzukönnen«.
In der MTS Bernsdorf, [Bezirk] Gera, äußerte eine Genosse gegenüber zwei parteilosen Kollegen: »… Ich wäre der Letzte, der in eine LPG eintreten würde, denn in zwei Jahren fressen die den Kitt aus den Fenstern, das sieht man ja in Russland.« Und weiter: »… Russland hätte den Krieg allein nicht gewonnen, wenn ihnen der Ami nicht geholfen hätte, wären sie erledigt gewesen.« Als der MTS-Leiter in die Diskussion eingriff und ihn fragte, warum er Mitglied unserer Partei geworden ist, antwortet er: »Weil ich musste, ich trete lieber heute als morgen aus, da spare ich monatlich 1,00 DM.«