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Zur Beurteilung der Situation

10. März 1954
Informationsdienst Nr. 2150 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Vordergrund der Diskussionen stehen weiterhin betriebliche Fragen. Ein größerer Teil der Werktätigen diskutiert über die Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland.1 Die Mehrzahl dieser Diskussionen wendet sich gegen die Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland, diese werden besonders von Arbeitern und Jugendlichen geführt. Sie erkennen die damit verbundene Gefahr eines neuen Krieges und »haben keine Lust, nochmals in einen Krieg zu ziehen«.

Ein großer Teil der Kumpel vom VEB Kalikombinat »Ernst Thälmann« Merkers, [Bezirk] Suhl, spricht sich gegen die Aufstellung einer neuen Wehrmacht in Westdeutschland aus, da dies einen neuen Krieg heraufbeschwört, sie aber einen neuen Krieg verurteilen. Die Reparaturbrigade Storch dieses Betriebes antwortete auf diesen Verfassungsbruch Adenauers,2 indem sie geschlossen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft beitrat.

Ein Teil der Werktätigen erwartet, dass jetzt die Regierung der DDR Gegenmaßnahmen trifft. Während ein Teil dieser Menschen eine Verstärkung der VP fordert, lehnt ein anderer Teil ab, freiwillig in die VP einzutreten.3 Ein Arbeiter vom VEB Jenapharm Jena, [Bezirk] Gera: »Nachdem der Westen das Wehrgesetz angenommen hat, wird dies auch bei uns bald eingeführt werden.«

Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Waggonbau Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Heute ist es notwendiger denn je, eine Volkspolizei aufzustellen, welche die Errungenschaften unserer friedliebenden Republik verteidigt.«

Ein Jugendlicher vom VEB LOWA Vetschau, [Bezirk] Cottbus: »Freiwillig gehen wir nicht zur VP. Es sei denn, dass es hier genauso kommt wie in Westdeutschland.«

Ein Teil, besonders Angestellte und Intelligenz, verhalten sich abwartend bzw. zeigen bei politischen Problemen eine Interesselosigkeit. Vereinzelt werden Stimmen bekannt, die besagen, dass ein neuer Krieg nicht abzuwenden ist. Ein Arbeiter von der Schuhfabrik Meißen, [Bezirk] Dresden: »Ein neuer Krieg wird kommen und der wird sich auf unserem Boden abspielen und Westdeutschland nimmt gegenwärtig dieselbe Entwicklung wie Deutschland vor 1933.«

Negative und feindliche Stimmen werden von einem kleinen Teil der Werktätigen bekannt. Hier zeigt sich besonders der Einfluss der westlichen Propaganda, die Argumente sind sehr unterschiedlich. Besonders hetzt man gegen die VP und begrüßt die Aufstellung der Wehrmacht in Westdeutschland. Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Guss Torgelow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die VP setzt sich nur aus Verbrechern und Lumpen zusammen.«

Ein Arbeiter (SED) vom VEB Jenapharm Jena, [Bezirk] Gera: »Es wird manchem jungen Burschen guttun, wenn er einmal Zucht und Ordnung gewöhnt wird. Für die meisten ist die Soldatenzeit eine gute Erziehung.«

Ein Jugendlicher aus Mechelgrün, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das Wehrgesetz bringt für uns keine Gefahr.«

Ein Arbeiter vom VEB Bergmann-Borsig Berlin: »Das Wehrgesetz ist gut, dadurch kommen viele Arbeitslose in Westdeutschland von der Straße weg.«

Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Schwermaschinenbau »7. Oktober« Magdeburg: »Wenn bei uns das Wehrgesetz eingeführt wird, haue ich ab nach dem Westen. Dort kommt man wenigstens zur Luftwaffe, hier muss man bei der Infanterie rumkrauchen.«

Ein Arbeiter vom VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »Die Aufstellung einer Armee in Westdeutschland bedeutet keinen Krieg. Wir hatten ja zuerst Polizeitruppen und sie wurden praktisch gezwungen, diesen Schritt zu tun.«

Ein Teilkonstrukteur aus Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »In Westdeutschland durfte man keine Wehrmacht aufstellen, aber wir auch keine KVP. Ich denke nicht daran, noch einmal Soldat zu spielen.«

Zu Ehren des IV. Parteitages der SED4 werden von einem Teil der Arbeiter Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen. Ein großer Teil sieht dem Parteitag mit Erwartung entgegen und hofft auf neue Vorschläge zur Verbesserung des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens. Besonders hofft man auf eine Preissenkung und auf Abschaffung der Lebensmittelkarten.

Die Kumpel der Wismut in Aue,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, haben bisher zu Ehren des IV. Parteitages der SED 121 Stoßschichten gefahren, bei denen ein Durchschnitt von 139 Prozent erzielt wurde.6

Die Schmelzer des Stahlwerkes Silbitz, [Bezirk] Gera, verpflichteten sich, bis 31.3.1954 zusätzlich 500 t Stahl zu produzieren.

Produktionsschwierigkeiten wurden aus einzelnen Betrieben bekannt. Die Ursachen sind: Materialmangel, Kohlenmangel und fehlende Anweisung vom DIA. Diese Störungen in der Produktion, welche sich zum Teil auf den Verdienst der Arbeiter auswirken, beeinflussen in negativer Form die Stimmung in diesen Betrieben.

Wegen Materialmangel musste die Schmierfettfabrik Mieste, [Bezirk] Magdeburg, am 6.3.1954 die Produktion einstellen. Damit ist die Fettauslieferung für die Braunkohlenverwaltung Senftenberg, die Leuna-Werke und das »Ernst-Thälmann«-Werk7 gefährdet. Des Weiteren fehlt Rohmaterial im VEB Schuhfabrik Weida, [Bezirk] Gera.

Kohlenmangel besteht in den VEB Gardinen- und Deko-Werken Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt. Dieses Werk ist Selbsterzeuger von Energie und beliefert noch drei weitere Betriebe damit. Es besteht die Gefahr, dass diese Betriebe in nächster Zeit die Arbeit einstellen müssen.

Wie bereits berichtet wurde, haben die Kraftfahrzeugwerke »Ernst Grube« in Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, noch immer keine Anweisung von dem DIA zwecks Vorladung von 130 Wagen für den Export erhalten. Dadurch fehlen dem Betrieb 5 Millionen DM für Gehalts- und Lohnzahlungen.

Unzufriedenheit in Lohnfragen: Negative Diskussionen über Lohnfragen werden immer wieder von Angehörigen der Reichsbahn geführt. So sagte ein Kollege vom Bahnhof Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Ich verdiene 200 DM. Als Kaufmann in einem VEB würde ich mit 500 DM nach Hause gehen. Ich warte noch einige Zeit, denn das Lohngefüge muss sich doch ändern.«

Unzufriedenheit wegen Nichtbeachtung von Verbesserungsvorschlägen: Im VEB Geithainer Emaillewerk, [Bezirk] Leipzig, sind die Arbeiter darüber unzufrieden, dass ihre Verbesserungsvorschläge keine Beachtung finden. So wurde ein Verbesserungsvorschlag, der bereits mit Erfolg erprobt wurde, nicht angewendet. Dadurch entstand dem Betrieb viel Ausschuss und ist eine Ursache mit für die Nichterfüllung des Produktionsplanes im Monat Januar und Februar 1954.

Diskussionen über Betriebskollektivvertrag: Über den zur Annahme vorliegenden Betriebskollektivvertrag wird auf der Baustelle Stalin-Allee-Süd, in den einzelnen Abteilungen des VEB Bergmann-Borsig Berlin teilweise negativ gesprochen. Man ist der Ansicht, dass der Betriebskollektivvertrag von vornherein festgelegt sei und trotz Vorschlägen nicht verändert wird. Außerdem sei die Zeit zur Diskussion über diesen, wie sie vom Betrieb aus angesetzt wird, zu kurz.

Arbeitsniederlegung: Am 8.3.1954 legten die Arbeiter der Baustelle des VEB Kreisbauhofes in Neustadt, [Bezirk] Dresden, für eine Stunde die Arbeit nieder. Man forderte von der Betriebsleitung, die noch vorhandenen Normendifferenzen zu klären. Nachdem die Betriebsleitung auf der Baustelle erschien, wurde die Arbeit wieder aufgenommen.

Gerücht: Im »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg8 wird von Arbeitern darüber gesprochen, dass diejenigen, die über 500 DM verdienen, keine Lebensmittelkarten mehr erhalten sollen. Sie weisen dabei auf den Vermerk auf den Lebensmittelkartenkontrollabschnitten hin, wo jetzt die Vergütungsgruppe mit angeführt werden muss.

Handel und Versorgung

Wie aus Cottbus berichtet wird, wird die Kartoffelversorgung, besonders für Werkküchen, immer schwieriger. Allein der Kreis Hoyerswerda benötigt 60 t, um den notwendigsten Bedarf zu decken.

Landwirtschaft

Diskussionen über politische Probleme werden nur vereinzelt von werktätigen, meist politisch organisierten Bauern geführt. Der größte Teil dieser Diskussionen beschäftigt sich mit der Wehrdebatte. Hierzu sind nur positive Stimmen bekannt geworden. Ein werktätiger Bauer (DBD) aus der Gemeinde Oberthau, [Bezirk] Halle: »Früher haben wir als Hof- und Waldarbeiter gearbeitet, heute sind wir selbstständig. Es wäre traurig, wenn wir das Land wieder an die Großgrundbesitzer abgeben müssten, darum müssen wir unsere Heimat gegen die Kriegstreiber aus dem Westen schützen.«

Zum IV. Parteitag der SED haben einige Angehörige der MTS und Genossenschaftsbauern Verpflichtungen übernommen. Ein Kollege der MTS Löwenberg, [Bezirk] Potsdam, will bis zum Ende des Jahres 1954 500 ha Boden pflügen. Ein anderer Kollege will sein Soll im Pflügen um 20 bis 30 Prozent übererfüllen.

Ein LPG-Bauer aus Priborn, [Bezirk] Neubrandenburg, will sein Ablieferungssoll an tierischen Produkten bis zum 1.6.1954 erfüllen.

Auf dem VEG Karow, [Bezirk] Schwerin, wurde in der letzten Belegschaftsversammlung, wo etwa 180 Landarbeiter anwesend waren, der Redner durch Zwischenrufe in dem Moment unterbrochen, als er den Sturz der Adenauer-Regierung forderte. Einige Personen verließen den Raum.

Am meisten diskutiert die Landbevölkerung über wirtschaftliche Probleme. Hauptgesprächsthema bildet die Frühjahrsbestellung und die damit auftretenden Mängel in der Beschaffung von Saatkartoffeln, Saatgetreide und Düngemitteln. In der LPG Gnemern, [Bezirk] Schwerin, mangelt es an Saatkartoffeln und Saatgetreide. Weiterhin bemängeln die Genossenschaftsbauern die schlechte Arbeit des LPG-Vorsitzenden (CDU).

In den örtlichen landwirtschaftlichen Betrieben9 in Bützow, [Bezirk] Schwerin, fehlen 200 dz Saatkartoffeln. Weiterhin sind die Landarbeiter der Meinung, dass der Leiter nicht fähig sei, seine Funktion auszuüben.

Im örtlichen landwirtschaftlichen Betrieb in Göllin, [Bezirk] Schwerin, fehlen 370 dz Saatkartoffeln und 30 dz Saatgetreide. Ebenfalls wird hier über die schlechte Arbeit des Betriebsleiters diskutiert.

Im Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, bemängeln werktätige Bauern die schlechte Belieferung, besonders mit Futterpflanzgut.

In der LPG »Julius Hof«, Kreis Bitterfeld, [Bezirk] Halle, beklagen sich die Genossenschaftsbauern über schlechte Belieferung mit Dünger.

Weiterhin wird über verschiedene andere Mängel diskutiert.

In der Gemeinde Mertensdorf, [Bezirk] Potsdam, sind die Landarbeiter darüber unzufrieden, dass sie nicht den gleichen Verpflegungssatz erhalten wie die Arbeiter der VEG, obwohl ihnen dies vom Leiter der Abteilung Landwirtschaft beim Rat des Kreises Pritzwalk zugesagt wurde.

Einige Mittelbauern aus Zschörnewitz, [Bezirk] Leipzig, klagen über zu hohes Ablieferungssoll. Außerdem stellen sie in Diskussionen mit anderen Bauern die bevorzugte Versorgung der LPG mit Düngemitteln als ungerecht hin. Ein Mittelbauer aus Zschörnewitz sagte: »Die ziehen uns die Daumenschrauben immer mehr an. Warum ist unsere Regierung am 17.6.[1953] nicht verschwunden.«

Von mehreren Großbauern im Kreis Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wird die »freie Wirtschaft« gefordert und die Entwicklung der Bauernwirtschaften in Westdeutschland als Vorbild hingestellt. Diese Diskussionen stammen besonders von solchen Großbauern, die ihre Wirtschaften schlecht führen und Ablieferungsrückstände haben.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Nach wie vor wird über politische Probleme wenig diskutiert. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen persönliche Belange. Die gering bekannt gewordenen Stimmen zur Wehrgesetzdebatte sind überwiegend positiv. Ein großer Teil äußerte sich dahingehend, dass sich durch die beabsichtigte Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland die Kriegsgefahr erhöht. Ein Arbeiter aus Grünhainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das Wehrgesetz in Westdeutschland ist derselbe Anfang wie 1933. Erst das Wehrgesetz und dann der Krieg und schließlich das Chaos.«

Vereinzelt wird die Meinung vertreten, dass infolge der Wehrgesetzdebatte ähnliche Maßnahmen in der DDR erfolgen werden. Ein Handwerker aus Kröpelin, [Bezirk] Rostock: »Durch die Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland, ist unsere Regierung wohl oder übel gezwungen, das Gleiche zu tun.«

In letzter [Zeit] wird von der Bevölkerung über eine bevorstehende Preissenkung diskutiert sowie über den Wegfall der Lebensmittelkarten. In diesem Zusammenhang wird vermutet, dass dann eine Angleichung an die HO-Preise erfolgt. Eine Hausfrau aus Dresden: »Man sollte jetzt so viel [wie] möglich Fleischwaren kaufen, da mit einer Teuerung derselben in Form von Angleichung an die HO-Preise zu rechnen ist.«

Empörung und Verbitterung zeigt sich unter ausländischen Seeleuten, die mit ihren Schiffen die Ostseehäfen der DDR anlaufen. Grund dafür ist die Anweisung, wonach diese nur bis 23.00 Uhr an Land gehen dürfen. So sagte ein Steuermann: »Überall weigern sich die Seeleute in die DDR zu fahren, weil sie hier wie Verbrecher behandelt werden. Auf einem internationalen Seemannskongress wurde bereits erwogen, die Schifffahrt nach der DDR zu blockieren. Auf dem nächsten Kongress wird das wohl beschlossen werden.«

Immer wieder wird aus den Bezirken berichtet, dass die Kirche versucht, Einfluss unter der Bevölkerung zu gewinnen, besonders unter der Jugend. In der Gemeinde Herzsprung, [Bezirk] Potsdam, führte ein Pfarrer Zusammenkünfte mit Konfirmanden in seiner Wohnung durch und bewirtete sie mit Kaffee und Kuchen. In Rätzlingen, [Bezirk] Magdeburg, fand ein »Christenlehrsonntag« statt. Anschließend wurden Personen aufgesucht, die aus der Kirche ausgetreten sind und die man von Neuem gewinnen will.

Aus den Bezirken Gera, Cottbus und Frankfurt/Oder wurden vereinzelte negative und feindliche Stimmen bekannt. So z. B. hetzt man in Frankfurt/Oder, vorwiegend in bürgerlichen Kreisen, versteckt gegen die Oder-Neiße-Grenze. In Cottbus äußerte ein Schuhmacher: »Eigentlich wollte ich nach dem Westen gehen, aber es ist besser, ich bleibe hier, denn es wird nicht mehr lange dauern bis es anders kommt und dann müssen welche da sein, die die schwarz-weiß-rote Fahne tragen.«10

In Stadtroda, [Bezirk] Gera, in der 7. Knabenklasse der Grundschule verließen alle Schüler bei Beginn der Gegenwartskunde das Klassenzimmer.11 Es handelt sich um die gleiche Klasse, in der am 7.6.195312 Bilder von unseren Staatsmännern heruntergerissen wurden.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

NTS:13 Potsdam 6 000, Karl-Marx-Stadt 2 000, Frankfurt/Oder 1 000, Gera 200 – Widerstandsgruppe TsOPE.14 Inhalt: Hetze gegen die SU, Aufforderung zum Desertieren – Aufforderung zur Teilnahme an der bereits durchgeführten Kundgebung in Westberlin.

SPD-Ostbüro:15 Karl-Marx-Stadt 700, Frankfurt/Oder 200. Inhalt: Hetze gegen die DDR – »freie Wahlen« – Langsamarbeiten – »Stimmzettel«.16

CDU-Ostbüro: Frankfurt/Oder 3 000, Neubrandenburg 2 000, Halle 200. Inhalt: Verleumdung des Genossen Molotow17 – Hetze gegen die Viermächtekonferenz.18

KgU:19 Frankfurt/Oder (1 200), Karl-Marx-Stadt (61). Inhalt: »freie Wahlen« – »Kampfgruppe warnt den Bezirk Potsdam«.

Vereinzelte Schmierereien und Beschädigung von Plakaten werden aus den Bezirken Dresden, Neubrandenburg und Magdeburg berichtet. Beachtenswert sind die Schmierereien im Bezirk Magdeburg. So wurde in Salzwedel an einem Bretterzaun in großen Buchstaben angebracht: »Molotow ist ein Schwein und eine Kreatur«. In Oschersleben wurde am Schaufenster der Volksbuchhandlung mit Kreide ein Kreis in der Mitte mit einen »F« gemalt.20 In Wernigerode wurden an einer Mauer mit Ölfarbe zwei Hetzlosungen angeschmiert: »Die SED an den Galgen, Freiheit für alle Widerstandskämpfer« und: »SED an den Galgen – Freiheit freie Wahlen«.

In Bitterfeld, [Bezirk] Halle, wurde ein Hetzzettel (mit Handdruckkasten gefertigt) mit der Aufschrift: »Streikt Arbeiter!« gefunden.

Vermutliche Feindtätigkeit

Vermutliche Brandstiftung: Am 9.3.1954 brach im Gemeindeamt Rammenau, [Bezirk] Dresden, ein Brand aus. Dadurch verbrannten ein Karteikasten und Filmkopien der Gemeinde Rammenau im Werte von 1 000 DM.

Am 8.3.1954 wurden in Quedlinburg, [Bezirk] Halle, ca. 500 m Kabel aus der Funkleitung des sowjetischen Nachrichtenstützpunktes herausgeschnitten und entwendet.

Einschätzung der Situation

In den Betrieben stehen betriebliche Belange im Vordergrund der Diskussionen. Ein größerer Teil, besonders Arbeiter und Jugendliche, wenden sich gegen die Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland. Vom IV. Parteitag der SED erwartet ein großer Teil der Arbeiter Verbesserung der Lebenslage (Abschaffung der Lebensmittelkarten – HO-Preissenkung). Verschiedentlich wurden Selbstverpflichtungen übernommen.

In der Landwirtschaft stehen wirtschaftliche Fragen (Frühjahrsbestellung, Beschaffung von Dünger und Saatkartoffeln) im Vordergrund. Nur gering, meist von fortschrittlichen Kräften, wird zur Wehrdebatte in Westdeutschland Stellung genommen. Anlässlich des bevorstehenden IV. Parteitages der SED wurden vereinzelt von LPG und MTS Selbstverpflichtungen übernommen.

Auch unter der übrigen Bevölkerung wird nur wenig über politische Tagesfragen diskutiert. Besonders in kleinbürgerlichen Kreisen ist eine gewisse Zurückhaltung festzustellen. Die gering zur Wehrdebatte in Westdeutschland bekannt gewordenen Meinungsäußerungen sind meist positiv. Abschaffung der Lebensmittelkarten und eine HO-Preissenkung wird besonders von Hausfrauen vom IV. Parteitag der SED erwartet. Teilweise wird dies auch als Gerücht verbreitet.

Stimmen, die sich gegen die Regierung der DDR richten, treten nur vereinzelt in Erscheinung.

Anlage (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2150

Stimmen der Bevölkerung aus Westdeutschland über die politische und wirtschaftliche Lage

Aus den uns bekannt gewordenen Stimmen geht Folgendes hervor: Die positiven Stimmen sprechen sich im Allgemeinen gegen das Adenauer-Regime aus, verurteilen die Einführung der Wehrpflicht und stellen sich gegen die europäische Verteidigungsgemeinschaft.21 Des Weiteren wird von ihnen der Bau von Wohnungen für die Besatzungsmächte verurteilt, da sie dadurch finanziell belastet werden und sich die Lebenslage weiter verschlechtert.

Ein Arbeiter aus Frankfurt/Main: »Wenn heute die Adenauer-Organe die Politik der Härte verkünden22 und in den Köpfen der Imperialisten und Revanchepolitiker von der Todesstrafe gegen Kommunisten gefaselt wird,23 so ist es Zeit, dass wir alle guten Menschen überzeugen müssen, was hier gespielt wird.«

Ein Arbeiter aus Oberkochen: »Wir sind auf unseren Bergen ganz von der Außenwelt abgeschnitten, noch schlimmer als im Gefängnis, hier kann man wahnsinnig werden. Hier sind die wieder am Ruder, die so gut wirtschaften können, die Nazibonzen. Dieser Adenauer verkauft uns mit Haut und Haaren.«

Ein Arbeiter aus Hamburg: »Die jüngsten Ereignisse zeigen uns wieder, dass die alte Ordnung wieder herrscht. Die sogenannte Reaktion des Militarismus und die Bolschewistenhetze ist an der Tagesordnung, genau wieder so, wie sie ihre Vorgänger im tausendjährigen Reich durchführten. Sie konnten es nicht besser machen.«

Eine Hausfrau aus Hagen: »Hier in Westdeutschland sieht es schlimm aus. Bald ist man wieder soweit und wir haben wieder Soldaten. Wenn man die Arbeiter reden hört, kann man sich immer wieder ärgern, denn die werden nie schlau und sie lassen sich bestimmt wieder beeinflussen.«

Ein Jugendlicher aus Stockstadt: »Ich habe eine Sauwut auf Adenauer, der mit seinem Scheiß-EVG-Vertrag. Die sollen mir ja mit ihrem Soldatenspielen vom Halse bleiben, ich habe noch vom letzten Male genug.«

Ein Angestellter aus Karlsruhe: »Wenn man hier sieht, wie über Nacht ganze Stadtviertel für die Besatzer entstehen, dann weiß man auch, dass diese Herrschaften nie gehen wollen. Bei denen kostet eine Wohnung so viel, wie ein ganzes Haus für uns Deutsche. Jetzt rüstet man wieder und bald werden zackige Märsche ertönen und eines Tages haben wir dann wieder eine Sendung von neuen Kriegskrüppeln.«

Ein Arbeiter aus Hamburg: »Die haben uns mit ihrer Wahl ja auch ganz schön betrogen.24 Vor der Wahl hieß es, die CDU wolle nach ihrer Wahl keinerlei Preiserhöhungen, eher Preisabbau. Jetzt ist das Gegenteil eingetreten, ganz zu schweigen vom außenpolitischen Kurs. Man konnte es sich ja eigentlich schon denken, dass es nicht anders kommen konnte, wie will man auch den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.«

In negativen und feindlichen Stimmen kommt eine starke Hetze gegen die SU und DDR zum Ausdruck. Man fordert »freie Wahlen«, wie sie vom Westen durchgeführt wurden und strebt nach der Einheit Deutschlands durch einen Krieg. Weiterhin verherrlicht man die westlichen Verhältnisse, da nur hier die »wahre Freiheit« sei. Ein Rentner aus Wiesbaden: »Kürzlich habe ich wieder erleben müssen, wie grausam die Russen den Kriegsgefangenen gegenüber gehandelt haben.«

Ein Arbeiter aus Kulmbach: »Der Westen wird es nie zulassen, dass man Mitteleuropa und Deutschland weiter bolschewisiert. Er hat sich schon zu viel nehmen lassen. Dies kann man nicht mehr im Guten rückgängig machen.«

Eine Hausfrau aus Tairenbach: »Ich bin bloß froh, dass ich hier im Westen wohne, denn wir haben volle Redefreiheit, denn im Osten kann man über diese himmelschreiende Politik, die gegenüber Deutschland begangen wird, nicht sprechen.«

Ein Angestellter aus Frankfurt/Main: »Es ist ganz klar, dass Deutschland eine einheitliche Regierung braucht. Jedoch muss das eine Regierung sein, die erst einmal aus freien Wahlen gebildet wird, und nicht so wie sie der Osten will. Die sind es nur, die eine Einheit verhindern. Aber einst wird die Zeit kommen, wo die verantwortlichen Leute zur Verantwortung gezogen werden.«

Eine Hausfrau aus Kalterherberge: »Nur durch einen Krieg kann Deutschland vereint werden. Hoffentlich kommt nicht die ganze Welt unter den roten Hammer. Wie viele Menschen werden jetzt noch vom SSD eingesperrt, vielleicht sogar noch ermordet.«

Ein Angestellter aus Karlsruhe: »Euer Rundfunk berichtet immer wieder über das Elend hier bei uns und den USA. Für amerikanische Verhältnisse gibt es allerdings dort viel Elend. Als tiefstes Proletariat zählt man dort solche Menschen, die nicht imstande sind, sich ein eigenes Auto anschaffen zu können.«

Eine Angestellte aus Bremen: »Der Empfang Adenauers in Bremen war ja ziemlich spärlich.25 Man scheint hier nicht so begeistert zu sein. Mir tat der alte Mann leid. Der Mann setzt sich mit dem hohen Alter so sehr für alle ein. Als er kam, grüßten wir alle und da schrie plötzlich einer »Heil Hitler«, da drehte sich Dr. Adenauer um, lächelte und winkte nochmals. Ich kann mir nicht vorstellen, welche Folgen dies in der Ostzone gehabt hätte für diesen Mann.«

  1. Zum nächsten Dokument Analyse vom 16. bis 28. Februar 1954

    11. März 1954
    Analyse vom 16. bis 28. Februar 1954 [Nr. 4/54]

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    9. März 1954
    Informationsdienst Nr. 2149 zur Beurteilung der Situation