Zur Beurteilung der Situation
29. März 1954
Informationsdienst Nr. 2166 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen weiterhin betriebliche Fragen. Über die Regierungserklärung der SU wird erst gering diskutiert.1 Die bekannt gewordenen Stimmen kommen aus allen Schichten der Werktätigen und sind in der Mehrzahl positiv. Man bringt im Allgemeinen darin zum Ausdruck, dass diese Handlung ein weiterer Vertrauensbeweis der SU gegenüber unserem Volke ist.
Die Stimmen zum IV. Parteitag der SED nehmen etwas zu,2 befassen sich aber in der Mehrzahl mit wirtschaftlichen Fragen (Verbesserung der Lebenslage). In zunehmendem Maße werden von einem Teil der Werktätigen Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen. 80 Prozent der Kollegen der Abteilung Zählerwerkbau des VEB Mercedes-Werk Zella-Mehlis,3 [Bezirk] Suhl, führten eine Sonderschicht durch mit dem Ziel, die Engpässe in der Montage zu beseitigen und die Export- und Regierungsaufträge zu erfüllen. Im VEB Cunnersdorfer Wirkwarenfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, gaben 70 Kollegen Selbstverpflichtungen ab und neun Arbeiterinnen baten um die Aufnahme als Kandidat der SED.
Ein großer Teil aller Schichten der Werktätigen diskutiert in Bezug des IV. Parteitages dahingehend, dass man sich eine Preissenkung und die Abschaffung der Lebensmittelkarten ohne Erhöhung der Preise erhofft. Über politische Fragen zum IV. Parteitag wird wenig diskutiert, die Mehrzahl dieser Diskussionen sind von Mitgliedern unserer Partei. Ein Hauer (parteilos) der Wismut,4 Schacht 78 in Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man spricht sehr viel, dass eine Preissenkung kommt und eventuell auch die Lebensmittelkarten wegfallen. Ich selbst rechne stark damit, denn bisher wurden auf solchen Tagungen immer wichtige Beschlüsse gefasst. Wenn ich auch parteilos bin, so habe ich doch Vertrauen zur SED und sie werden sich auch diesmal für die Interessen der Arbeiter einsetzen.«
Ein Arbeiter vom VEB Volltuchwerk Pößneck, [Bezirk] Gera: »Wir sind wirklich gespannt, was der IV. Parteitag bringen wird. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wichtige Beschlüsse zur Erhaltung des Friedens gefasst werden. Aber wir Arbeiter erwarten auch und glauben fest daran, dass weitere Maßnahmen zur Verbesserung des Lebens eingeleitet werden.«
Ein Arbeiter (SED) aus einem VEB im Kreis Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Parteitage bringen immer etwas für die Gesamtheit, deshalb heißt es, sich doppelt und dreifach dafür einzusetzen, dass die Produktionsverpflichtungen erfüllt werden.«
Eine Angestellte aus Pockau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Parteitage der SED waren schon immer entscheidend für unsere Entwicklung, vielleicht bringt der Parteitag schon die Aufhebung der Rationierung und eine weitere Preissenkung.«
Negative und feindliche Diskussionen wurden nur vereinzelt bekannt. Eine Reinmachefrau (parteilos) vom VEB Messgerätewerk Zwönitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe gehört, dass die Lebensmittelkarten wegfallen sollen. Eine Bockwurst kostet dann 80 Pfennig. Ein Teil der Bevölkerung kann sich dann fast keine Fleischwaren mehr kaufen.«
Ein Arbeiter der Abteilung Vulkanisation vom VEB Reifenwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Ich führe keine Stoßschichten mit durch, im Gesetz sind doch nur 48 Stunden in der Woche festgelegt.5 Wir werden unseren freien Sonntag nicht noch für Arbeit hergeben.«
Produktionsschwierigkeiten wurden aus einzelnen Betrieben der Bezirke Schwerin, Halle und Berlin bekannt. Ursache: Material- und Arbeitsmangel. Durch diese Störung entsteht bei den Arbeitern teilweise Verdienstausfall, welcher sich negativ auf die Stimmung in diesen Betrieben auswirkt.
Material fehlt im VEB Mifa Sangerhausen,6 [Bezirk] Halle, für 21 000 Fahrräder, im VEB Stärkefabrik Severin, [Bezirk] Schwerin (es fehlen 12 Mio. Tüten, 60 000 Kartons und eine Verpackungsmaschine), im VEB Apparate- und Kesselbau Berlin-Niederschönhausen und im VEB Dachpappenfabrik Bruel, [Bezirk] Schwerin, wo im Februar und März der Plan nur mit 56 Prozent erfüllt wurde. Hierzu äußerte der Betriebsleiter des letzteren Betriebes: »Ich war schon in Berlin beim Genossen Ulbricht7 und wurde von einem Sekretär abgefertigt, dieser erklärte, dass eine Fehlplanung in der Altstoffsammlung zu verzeichnen sei, wodurch Mängel in der Rohpappenversorgung auftreten.«
Arbeitsmangel besteht im VEB Bergmann-Borsig Berlin. Ein Arbeiter äußerte dazu: »Wenn das Jahr der großen Initiative so durchgeführt wird, dann scheißen wir auf die DDR.«8
Unzufriedenheit über Lohnfragen äußern die Arbeiter der Reichsbahn in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, da die vorgesehene Erhöhung der Löhne in Ortsklassen9 im Jahre 1954 nicht durchgeführt werden soll. Von der Reichsbahndirektion Erfurt wurde dazu mitgeteilt, dass die Lohnerhöhung wegen der bevorstehenden Preissenkung nicht durchgeführt werden könne, da die Reichsbahnarbeiter dadurch ja eine Erhöhung ihres Lebensstandards sowieso erhalten.
Überbestand an Braunkohle: Im VEB Papierfabrik Greiz, [Bezirk] Gera, lagern große Mengen an Rohbraunkohle, für die kein geeigneter Lagerraum vorhanden ist. Dadurch hat sie sich schon des Öfteren selbst entzündet. Das Ministerium für Leichtindustrie will trotzdem noch mehr Braunkohle diesem Werk schicken.
Erfahrungsaustausch über Schnellstreckenverfahren im Bergbau: Am 25.3.1954 begab sich eine Bergarbeiterdelegation von sieben Kumpel des Thomas-Müntzer-Schachtes Kreis Sangerhausen, [Bezirk] Halle, zum Otto-Brosowski-Schacht in Eisleben,10 um einen Erfahrungsaustausch über das Schnellstreckenverfahren durchzuführen. Ein Steiger vom Thomas-Müntzer-Schacht trat gegen das Schnellstreckenverfahren auf und stellte es als einen Betrug an den Arbeitern hin. Zum Schluss wurde die Delegation vom Thomas-Müntzer-Schacht vom Betriebsschutz des Otto-Brosowski-Schachtes vom Gelände verwiesen.
Erkrankungen: Im VEB Falkensteiner Gardinenfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erkrankten am 25.3.1954 nach der Einnahme des Werkküchenessens 143 Arbeiter und 31 Kinder des Betriebskindergartens an Durchfall. Davon ist eine Person arbeitsunfähig und eine Person ist verstorben. Am Essen nahmen ca. 1 000 Personen teil. Im VEB Werkgruppe Rositz,11 [Braunkohle-]Grube Ruppersdorf, [Bezirk] Leipzig, erkrankten 25 Werktätige ebenfalls nach Einnahme des Werkküchenessens (Rindfleisch mit Klößen) an Durchfall.
Handel und Versorgung
In den Kreisen Saalfeld, [Bezirk] Gera, Weißenfels und Zeitz, [Bezirk] Halle, mangelt es an Fischwaren und Bohnenkaffee sowie an Hülsenfrüchten und Gemüsekonserven. Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, klagt die Bevölkerung über den Mangel an Kondens-, Voll- und Magermilch sowie an Eiern.
Ein Kollege des HO-Warenhauses Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, der die Submission in Leipzig besuchte,12 erklärte, dass die Bereitstellung von Kunstseide und Mantelpopeline völlig ungenügend sei.13 Weiterhin würden einige Textilien, wie z. B. bedruckte Stoffe, viel zu spät in den Handel kommen. Bei dieser Submission konnte ihm keine Erklärung für die mangelhafte Warenbereitstellung gegeben werden.
Landwirtschaft
Über politische Tagesfragen wird wenig diskutiert. Zur Regierungserklärung der Sowjetunion wurden nur ganz vereinzelt positive Stimmen bekannt. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frühjahrsbestellung. Deshalb wird mehr über wirtschaftliche Fragen gesprochen. Im Kreis Saalfeld des Bezirkes Gera fehlt es an Düngemittel (8 Waggon Kali). Im Kreis Gera wurden nur 50 Prozent Stickstoff und phosphorhaltiger Dünger ausgegeben, obwohl bei den BHG genügend vorhanden ist.
Im Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, konnten bisher nur 70 Prozent der Bauern mit Kunstdünger beliefert werden. Im Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin, lagert der Dünger im Freien, da Lagerräume fehlen. Der LPG »Horst« Bützow wurde noch kein Kunstdünger zugeteilt. Des Weiteren sind durch schlechtes Anlegen der Mieten dieser LPG ca. 500 Ztr. Kartoffeln erfroren. Die BHG Sotterhausen, [Bezirk] Halle, benötigt dringend noch zwei Waggon Kali und außerdem Saatgut für Kartoffeln.
Über die unzureichende Futtergrundlage werden in nicht geringem Umfang Diskussionen geführt. So sagte ein Mittelbauer aus Kleinröhrsdorf, [Bezirk] Dresden: »Wenn ich Futtermittel für mein Vieh hätte, dann könnte ich noch Speisekartoffeln abgeben.«
Die LPG Wiedendorf,14 [Bezirk] Cottbus, hat schon seit 14 Tagen kein Heu und Stroh mehr (Viehbestand: 28 Rindvieh und fünf Pferde). Bei einzelnen LPG, VEG und Einzelbauern des Bezirkes Leipzig mangelt es ebenfalls an Futtermitteln. Bei den VEG ist es hauptsächlich auf die schlechte Belieferung zurückzuführen. Dazu äußerte der Agronom des VEG Wölkau, [Bezirk] Leipzig: »Die Produktionspläne sollen erfüllt werden, aber die Futtermittel für die Mastanstalten werden mangelhaft geliefert. Für das erste Quartal muss uns noch ca. 15 t Mais, 7 t Futtergetreide und ca. 15 t Zuckerrübentrockenschnitzel geliefert werden.«
Aufgrund des Arbeitskräftemangels kommt es verschiedentlich zu negativen Diskussionen. Ein Mittelbauer aus Zwönitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es muss erst wieder soweit kommen, dass die Arbeiter nichts zu fressen haben, dann haben wir auch wieder Arbeitskräfte.«
Die Bauern der Gemeinde Ummerstadt, [Bezirk] Suhl, sind verärgert, dass sie während der Frühjahrsbestellung nicht jeden Tag auf ihre Felder können, die im 500-m-Sperrgebiet liegen (das ist nur an bestimmten Tagen gestattet).15
Über die Wildschweinplage wird im Kreis Rathenow, [Bezirk] Potsdam, geklagt. Zum Beispiel wurden in der Gemeinde Steckelsdorf u. a. 6,50 ha Gerste, 6,44 ha Weizen und 1,25 ha Roggen vernichtet.
Im Bezirk Schwerin fehlt es an Fahrzeugen (Lkw und Pkw), es wurden aber im Investplan 1954 nur Mittel für den Kauf von vier Lkw vorgesehen, die jedoch nicht ausreichen.
Hetze gegen die LPG
Ein Kleinbauer aus Krugsdorf, [Bezirk] Neubrandenburg: »Bei uns in der DDR wird wohl bald ein Zwang kommen, um alle Bauern in die LPG zu pressen. Ich werde nie Mitglied einer LPG, denn ich will ein freier Bauer sein. Ehe ich in eine LPG gehe, hänge ich mich noch vorher eher auf.«
Die Arbeiter der landwirtschaftlichen Betriebe in Parkow, [Bezirk] Schwerin, wollten eine LPG gründen. Das wurde aber vom Betriebsleiter (CDU) verhindert. Er erklärte: »Wenn ihr alle in die LPG geht, ich werde nicht beitreten, was ich brauche bzw. wünsche, erhalte ich vom ehemaligen Besitzer, der sich in Westdeutschland aufhält.«
In den östlichen Kreisen des Bezirkes Dresden wird unter Neubürgern16 immer wieder negativ über die Oder-Neiße-Grenze diskutiert. So z. B. äußerte ein Schmied der MTS Jänkendorf, Kreis Niesky: »In der Nazizeit ist es viel besser gewesen, ich werde meine Heimat in Schlesien nie vergessen können. Wenn es einmal darum ginge, den Polen herauszuschmeißen, dann wäre ich als Erster dabei. Die Oder-Neiße-Grenze werde ich niemals anerkennen.«
Uns wurde eine negative Stimme von einem Bauer aus Trantow, [Bezirk] Neubrandenburg, der Mitglied der CDU ist, bekannt: »Mit der CDU ist überhaupt nichts mehr los. Mir kommt es so vor, als wenn die CDU die gleiche Linie vertritt wie die SED. Wahrscheinlich wird die ganze Sache oben abgesprochen und kommt vom ZK der SED.«
Die Schweinepest ist in einigen Kreisen des Bezirkes Potsdam erneut aufgetreten. Zum Beispiel mussten in drei LPG insgesamt 71 Schweine notgeschlachtet werden.
Übrige Bevölkerung
Zur Regierungserklärung der Sowjetunion wird wenig diskutiert. Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind meist positiv. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen wirtschaftliche und persönliche Belange. Aufgrund des bevorstehenden IV. Parteitages hofft ein großer Teil der übrigen Bevölkerung auf Wegfall der Lebensmittelkarten und Preissenkung der HO. Teilweise verbreitet man darüber Gerüchte. Eine Verkäuferin in Lichtentanne, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte im Laden: »In diesem Monat wurden die Lebensmittelkarten zum letzten Mal ausgegeben, denn ab April 1954 fallen sie weg.« Anwesende Personen: »Was geschieht mit uns, wir können das teure Fleisch doch nicht kaufen.« Verkäuferin: »Ihr zeigt beim Einkauf [den] Rentenausweis vor, dann bekommt ihr das Fleisch für die billigen Preise. Ich weiß es aus sicherer Quelle.«
Ein Elektromeister, der in Westdeutschland zu Besuch war, äußerte: »Ich war im Ruhrgebiet, mir gefiel es sehr gut, ich konnte aber feststellen, dass es viele Arbeitslose gibt und eine große Armut herrscht.« Ein techn. Leiter des Sanatoriums in Annaberg äußerte sich über das »geringe« Stipendium: »Das Stipendium der Schüler ist zu niedrig, aufgrund dessen mussten einige Schüler das Studium abbrechen. Die Höhe desselben beträgt 120 [DM] von diesem Betrag muss Essen, Wohnung und ein Teil Bücher bezahlt werden.«
Wie aus Gera berichtet wird, herrscht in Schleiz (Stadtverwaltung) unter den Arbeitern schlechte Stimmung über den geringen Lohn. Zurzeit beträgt der Stundenlohn DM 1,11, »soll aber auf DM 0,97 verringert werden«. Es ist zu verzeichnen, dass schon jetzt die besten Arbeiter kündigen und die städtischen Arbeiter nur noch aus Invaliden bestehen.
Vereinzelt wurden uns negative bzw. feindliche Meinungsäußerungen bekannt.
Ein Bezirksschornsteinfeger aus Arnstadt, [Bezirk] Erfurt, äußerte sich: »Der 1. Mai soll kein Festtag sondern ein Dreschtag werden. Die Arbeiter sollen aber keinen Krach auf der Straße schlagen, denn dann hätte der Russe wieder die beste Gelegenheit einzugreifen. Die Arbeiter sollen in den Betrieben Sitzstreiks durchführen, weil das ein besseres Mittel ist.« (Ermittlungen werden durchgeführt.)
Die Frau des Bürgermeisters aus Hüpstedt, [Bezirk] Erfurt, äußert in einer DFD-Versammlung: »Wir brauchen die westdeutschen Friedenskämpfer nicht zu unterstützen,17 denn auch dann, wenn sie eingesperrt sind, haben sie es besser als wir hier.« Der Verkaufsstellenleiter aus Düben, [Bezirk] Leipzig, weigerte sich, Plakate zum IV. Parteitag anzubringen, mit der Begründung, er habe die Anweisung von der HO-Verwaltung erhalten, keine Plakate auszuhängen.
Ein Jugendlicher aus Lauscha, [Bezirk] Suhl, äußerte sich zur VP-Werbung:18 »Ich gehe nicht, auch wenn die VP DM 500 gibt, wir haben eine KVP und drüben haben sie die Wehrpflicht eingeführt.19 Es kommt sowieso zum Krieg und das wird ein Bruderkrieg. Ich nehme keine Waffe in die Hand, da mache ich einfach nicht mehr mit.«
Ein Jugendlicher, der für das II. Deutschlandtreffen sammelte,20 wurde von einem Arzt im Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, hinausgeworfen.
Ein Molkereiverwalter aus Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg (Umsiedler) sagte: »In Schneidemühl,21 [in] der jetzigen Volksrepublik Polen, sind schon Partisanentruppen aufgestellt, die zur Vernichtung der sowjetischen Transporte eingesetzt werden sollen.22 In der SU finden bereits Aufstände statt, da die Bevölkerung dort auch nicht mit dem herrschenden Regime einverstanden ist. Der EVG-Vertrag in Westdeutschland ist das Richtige.23 Unsere Polizei ist ja auch nichts weiter als Militär. Unsere Losung hier muss sein ›Immer gegen den Strom arbeiten‹.« (Maßnahmen wurden eingeleitet)
Weiter wird uns aus Schwerin mitgeteilt, dass in Ludwigslust das Gerücht verbreitet wird, dass Arbeiter und Angestellte der VEB nicht mehr nach Westdeutschland fahren dürfen.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriften des SPD-Ostbüros:24 Potsdam 1 670, Karl-Marx-Stadt 1 120, Suhl 1 000, Halle 15, Gera 34, Rostock 6. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR, gegen den Genossen Molotow.25
Hetzschriften der KgU:26 Potsdam 80. Inhalt: Aufforderung zum Langsamarbeiten.
Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Cottbus 3 000, Potsdam 2 000. Inhalt: Hetze gegen die Viermächtekonferenz.27
In den Bezirken Cottbus und Magdeburg wurden insgesamt 7 250 Flugblätter der NTS28 und des SPD-Ostbüros aufgefunden. Der überwiegende Teil der aufgefundenen Flugblätter wurde mit Ballons eingeschleust.
Terror: Am 26.3.1954 wurde der Parteisekretär des VEG Hohen Luckow, [Bezirk] Rostock, von zwei Landarbeitern niedergeschlagen mit der Bemerkung: »Ihr Lumpen müsstet alle aufgehängt werden!«
Hetzbriefe: Im Bezirk Potsdam wurden drei Hetzbriefe des UFJ29 (Inhalt: Hetze gegen LPG) und zwei Hetzbriefe vom »Unionpressedienst«30 (Inhalt: Hetze gegen die Viermächtekonferenz) sichergestellt.
In den Bezirken Leipzig und Neubrandenburg wurden einige Hetzbriefe der KgU sichergestellt. Inhalt: Aufforderung zum Langsamarbeiten und zur Sabotage. In den Bezirken Gera und Halle wurden einige Hetzbriefe der sogenannten SED-Opposition31 sichergestellt. Inhalt: gegen den IV. Parteitag.
Antidemokratische Schmierereien
Im VEB Max-Hütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, wurde folgende Hetzparole aufgefunden: »Freie Wahlen – unter internationaler Kontrolle«. Darunter befand sich ein Hakenkreuz.
Gefälschte Einladungen wurden am 26.3.1954 an einige LPG des Bezirkes Rostock verschickt, wonach sich LPG-Mitglieder auf eine Besichtigung vorbereiten sollen und andere LPG-Mitglieder zum Rat des Kreises fahren sollen, um dort Gäste zu empfangen. Als Herausgeber der Einladungen wurde folgende Adresse angegeben: »Neues Deutschland, Bezirksdirektion Schwerin«.
Am 24.3.1954 wurde im Fischkombinat Rostock ein gedrucktes Plakat aufgefunden mit der Überschrift: »HO senkt die Preise.« Darunter waren die Artikel angegeben, bei denen die Preise angeblich gesenkt werden sollen.
Vermutliche Feindtätigkeit
In der Nacht vom 26. zum 27.12.1954 wurden vom Kraftfahrzeug des Vorsitzenden des Rates des Kreises Löbau, [Bezirk] Dresden, von unbekannten Tätern alle Scheiben eingeschlagen.
In der MTS Pannewitz, [Bezirk] Dresden, wurden im Getriebe einer sowjetischen Drillmaschine eine Schraube, eine Mutter und ein Splint gefunden, sodass bei Ausfahrt die Maschine außer Betrieb gesetzt worden wäre.
Am 26.3.1954 wurde in der Bundweberei Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, bei einem Exportauftrag festgestellt, dass 10 000 m Stoff verkehrt geschert wurden, sodass anstelle weißer Fäden bunte Fäden auftraten. Damit fällt der Stoff für den Exportauftrag aus.
Am 26.3.1954 wurde der VEB Sanar-Werk Königsbrück, [Bezirk] Dresden, telefonisch aufgefordert, am 28.3.1954 einen Kulturabend durchzuführen, wo das Orchester der KVP Luft Kamenz32 spielen will. Dieser Anruf war fingiert.
Einschätzung der Situation
Über die Erklärung der Sowjetregierung zu den Beziehungen zwischen der SU und der DDR wird wenig diskutiert. Die Meinungen sind fast alle zustimmend und nur vereinzelt negativ.
Das Interesse am IV. Parteitag wächst weiterhin in den Betrieben.
Im Allgemeinen erwartet die Bevölkerung Beschlüsse für eine weitere Verbesserung der Lebenslage, über die politischen Aufgaben wird weniger gesprochen.
Die negativen und feindlichen Äußerungen haben weiterhin einen geringen Umfang.
Anlage (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2166
Stimmen der Bevölkerung zur Regierungserklärung der UdSSR vom 25.3.1954
Über die Regierungserklärung der UdSSR wurden erst wenige Stimmen bekannt. Diese Stimmen kommen von Arbeitern, Angestellten und Intelligenzlern, meist fortschrittlichen Kräften, und sind in der Mehrzahl positiv. Im Allgemeinen bringt man darin zum Ausdruck, dass diese Erklärung der Sowjetregierung ein erneuter Vertrauensbeweis gegenüber dem deutschen Volke ist und gleichzeitig eine weitere Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft bedeutet.
Die Arbeiter der Abteilung Modellbau des VEB Gießerei- und Maschinenfabrik Berlin-Lichtenberg brachten zum Ausdruck, dass es immer wieder die SU ist, die eine Entspannung der internationalen Lage, und besonders des deutschen Problems, mit friedlichen Mitteln herbeiführen will.
Ein Arbeiter der Abteilung 520 des VEB Siemens-Plania Berlin-Lichtenberg:33 »Durch die Erklärung der Sowjetregierung ist unsere DDR endgültig in die Reihe der souveränen Staaten aufgenommen worden. Dadurch sind wir in unseren innen- und außenpolitischen Handlungen vollkommen frei. Mit größter Zuversicht sehe ich der Zukunft entgegen. Unsere Position ist wesentlich verstärkt und wir haben eine bessere Ausgangslage beim Kampf um die Einheit Deutschlands.«
Ein Schlosser des VEB Beleuchtungsglaswerk Bischofswerda, [Bezirk] Dresden: »Die SU bringt in ihrer Erklärung ihre große Freundschaft zu unserer Republik zum Ausdruck und ich bin der Meinung, dass der Zusammenschluss beider Teile Deutschlands jetzt noch schneller vonstattengeht.«
Ein Hauer vom Wismut-Schacht 186 in Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Erklärung der SU ist ein neuer Beweis dafür, dass es die SU ehrlich mit uns meint und dass sie Vertrauen zu uns hat.«
Ein Eisenbahner aus Weißwasser, [Bezirk] Cottbus: »Die Erklärung der SU ist eine weitere Bekräftigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Wir müssen aber jetzt noch einen stärkeren Kampf gegen die Verträge von Bonn führen.34 Ich selbst begrüße diese Erklärung und werde sie auch unterstützen.«
Ein Angestellter des VEB Dampfhammerwerkes Großenhain, [Bezirk] Dresden (SED früher SPD): »Wir sehen hier ganz deutlich das Vertrauen, welches die SU uns entgegenbringt. Ich bin mir im Klaren, dass durch die Hilfe der SU unser Friedenskampf vorwärtsschreiten wird.«
Ein Angestellter (parteilos) vom Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden: »Die Regierung der UdSSR unternimmt immer wieder Schritte, die uns in unserem Friedenskampf vorwärtsbringen.«
Ein Angestellter des Braunkohlenwerkes Neumark, [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle: »Durch diese Erklärung hat die DDR das Recht erhalten, ein souveräner Staat zu sein.« Ein Bergbauingenieur des gleichen Werkes: »Mit größter Freude nahmen wir von diesem großen Freundschaftsbeweis der SU Kenntnis. Daraus ist zu erkennen, wer der Freund des deutschen Volkes ist. Diese Erklärung ist ein wirksames Mittel gegen den EVG-Vertrag.«
Negative und feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt.
Eine Arbeiterin vom Reichsbahnkraftwerk Muldenstein, [Bezirk] Leipzig:35 »Die Auswirkung dieser Erklärung wird sein, dass wir nun ganz den Russen unterstehen und in der nächsten Woche werden wir den Rubel als Geldwährung bei uns haben.«
Ein Arbeiter vom VEB Maschinenfabrik Sangerhausen, [Bezirk] Halle: »Dies ist nur auf das Verhalten des deutschen Volkes am 17.6.[1953] zurückzuführen, dass man den Hohen Kommissar zurückziehen musste.«36 Ein Arbeiter der Gießerei des gleichen Betriebes: »Da sind wir wohl schon Russen, weil man den Hohen Kommissar jetzt zurückzieht.«
Im VEB Bergmann-Borsig wurde bis zum 26.3.1954 mittags weder in den Abteilungen, den BGL noch im Werkfunk auf die Erklärung der Sowjetregierung eingegangen.
Unter der Landbevölkerung wurden zur Regierungserklärung der Sowjetunion nur vereinzelt positive Stimmen bekannt. Nachfolgend ein paar Beispiele:
Ein Kraftfahrer (NDPD) der MTS Röttersdorf, [Bezirk] Gera: »Die SU beweist mit dieser Erklärung wiederum, dass sie der DDR vollstes Vertrauen schenkt. Nun sollen uns auch die westlichen Länder zeigen, dass sie es ehrlich mit Deutschland meinen und dem Schritt der SU folgen.«
Ein Großbauer (DBD) aus Oberböhmsdorf, [Bezirk] Gera: »Erst habe ich immer dem Westen mehr Glauben geschenkt, als der SU. Die Regierungserklärung hat mich noch mehr gefestigt in meinem Vertrauen zu unserer Regierung und zur SU. Ich bin gespannt, was Adenauer37 wieder einzuwenden hat.«
Ein Bauer aus Bredenfelde, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Regierungserklärung beweist uns, welches Vertrauen die SU zur DDR hat. Auch ich werde mithelfen, dass wir im Jahr der großen Initiative noch mehr Erfolge erreichen.«
Zur Regierungserklärung der UdSSR vom 25.3.1954 wurden unter der übrigen Bevölkerung vereinzelt Stimmen bekannt, die meist positiv sind. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass die Regierungserklärung ein erneuter Vertrauensbeweis der SU zur DDR ist. Die Stimmen, die uns bekannt wurden, sind meist von parteilosen Rentnern, Hausfrauen sowie fortschrittlichen Angestellten. Hierzu einige Beispiele:
Ein Angestellter (HO Industriewaren) aus Torgau erklärte: »Es ist wieder die Regierung der SU, die sich in großzügiger Weise für uns, für das gesamte Deutschlandproblem einsetzt. Diese Erklärung ist ein erneuter Beweis, dass wir in der Sowjetunion einen großen Freund und Helfer haben.«
Eine parteilose Hausfrau aus Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Die Sowjetunion legt damit ein Vertrauen in uns, was ich der Regierung der SU hoch anrechne. Das bedeutet für uns, einen großen Schritt vorwärts.«
Der 2. Kreissekretär des Friedensrates38 aus Rudolstadt, [Bezirk] Gera (Mitglied der LDPD) sagte: »Wenn jetzt sich die westlichen Regierungen ein Beispiel daran nehmen würden und dasselbe veranlassen, so gebe es keinen EVG-Vertrag und wir wären dem Weltfrieden einen Schritt näher.«