Zur Beurteilung der Situation
29. September 1954
Informationsdienst Nr. 2326 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Ein großer Teil der Werktätigen ist an politischen Tagesfragen uninteressiert. Dies wirkt sich auch auf die Vorbereitungen der Volkskammerwahl aus.1 So fand z. B. im Werk »Horch« Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, eine Wählerversammlung statt, wo von 1 600 Wahlberechtigten nur 17 Werktätige (Funktionäre und eine westdeutsche Delegation) anwesend waren.
Zu den Volkskammerwahlen wird verhältnismäßig noch wenig diskutiert, meist positiv. Darin wird die einheitliche Kandidatenliste der Nationalen Front begrüßt.2 Oft werden von den Werktätigen Einzel- und Kollektivverpflichtungen anlässlich der Volkskammerwahlen übernommen, welche Produktionsverpflichtungen sowie die Verpflichtungen, in den Vormittagsstunden des 17.10.1954 zur Wahl zu gehen, zum Inhalt haben.
Teilweise wird in negativen Diskussionen die Beteiligung der Wahl von wirtschaftlichen Problemen abhängig gemacht. Andere negative Diskussionen sind verschiedenartig, wobei einzelne Argumente den RIAS-Parolen entnommen sind. So äußerte sich z. B. ein Arbeiter aus dem VEB Glaswerk Drebkau, [Kreis] Cottbus, zu der Streichung der Benzinzuteilung für die Arbeiter, die ein eigenes Motorrad haben, wie folgt: »Nun, die werden ja sehen, wie die Volkswahl am 17.10.1954 ausfallen wird, wenn sie für die Arbeiter, die täglich zur Arbeitsstelle fahren müssen, nicht einmal mehr Benzin haben.«
Bei der Fa. Drescher-Landmaschinen in Reideburg, [Bezirk] Halle, wurde die gemeinsame Kandidatenliste der Nationalen Front abgelehnt und die Zustimmung von einer höheren Lebensmittelkarte abhängig gemacht.
Eine parteilose Kollegin aus dem VEB Kranbau Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, äußerte sich zu den Stromabschaltungen wie folgt: »Ich komme um 17.00 Uhr aus dem Betrieb und muss nun für den Haushalt die nötigen Einkäufe machen. Dabei wird es 18.00 Uhr und mein Abendessen ist noch nicht fertig. Da geht der Strom aus. Die Abschaltungen dauern gewöhnlich bis 20.30 Uhr. Ich bin der Meinung, dass die gesamte Bevölkerung darüber verärgert ist und dass sich das sehr negativ auf die kommende Volkswahl auswirken wird.«
Als in einer AGL-Versammlung der Verwaltung des Stahlwerkes Brandenburg beschlossen werden sollte, dass alle Kollegen am 17.10.1954 bis 12.00 Uhr zur Wahl gehen sollten, stimmten zwei parteilose Kollegen dagegen mit der Begründung, dass solch ein Beschluss das geheime Wahlrecht verletze.
Ein parteiloser Arbeiter vom VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera: »Unsere Wahlen sind gar keine Wahlen. Es ist alles nur proforma, weil es so in der Verfassung steht.3 Auch handelt unsere Regierung nicht richtig. Deutschland braucht Kolonien und die Menschen in den Kolonien sind froh, wenn sie von einem zivilisierten Land regiert werden. Man soll auch nicht glauben, dass sich die Völker in China, Korea und Vietnam selbst befreit haben, das ist alles nur ein Deckmantel, denn in diesen Ländern breitet sich jetzt der Russe aus.«
Ein Jugendlicher, ebenfalls vom VEB Zeiss: »Es ist nur gut, dass man bei der Wahl die Möglichkeit hat, alle die auf dem Stimmzettel zu streichen, die einem nicht passen.«4 Weiter wird aus dem gleichen Betrieb von einer Genossin berichtet, dass sie schon mehrmals gehört hat, dass sich Arbeiter des VEB Zeiss Jena beim Mittagessen und in der Straßenbahn darüber unterhielten, dass sie Grotewohl5 und Ulbricht6 auf dem Stimmzettel streichen wollten.
Über das Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR Puschkin7 wird nur ganz vereinzelt diskutiert.8
Über die Explosionskatastrophe in Bitburg-Eifel wird von den Werktätigen noch wenig diskutiert,9 ausschließlich positiv. Bei diesen Diskussionen bringen die Arbeiter ihre Empörung zum Ausdruck und fordern die Einstellung der Wiederaufrüstung Westdeutschlands.
Ein Hauer von Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Schlussfolgerungen aus dem Explosionsunglück muss sein, noch besser für die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes zu kämpfen und dafür zu sorgen, dass die Amis bald aus Deutschland rausgeschmissen werden und in Westdeutschland ebenso ein Staat geschaffen wird wie bei uns.« Ein anderer Hauer aus dem gleichen Ort äußerte: »Die sollen nicht so viel Kriegsmaterial nach Deutschland schaffen, die vielen Menschen, die dadurch ums Leben gekommen sind, sind der Ausdruck der Wiederaufrüstung in Westdeutschland und eine Mahnung für uns, noch besser für die Einheit Deutschlands zu kämpfen.«
Ein Kollege aus dem Kraftwerk Magdeburg: »Es kann sich kein westdeutscher Minister oder einer von der Adenauer-Regierung10 hinstellen und sagen, er habe das nicht gewollt. Gerade diese sind die Schuldigen, denn sie haben es geduldet, dass in Westdeutschland wieder aufgerüstet wird und dass der Amerikaner dort einen neuen Krieg vorbereitet. Hoffentlich werden endlich einmal allen westdeutschen Brüdern die Augen geöffnet.«
Ein Kollege aus der Gasversorgung Magdeburg: »Es ist unerhört, dass wieder so viele junge Deutsche dabei ihr Leben lassen mussten. Die Schuldigen müssten vor ein Gericht gestellt werden. Die Bonner Regierung sollte sich lieber einmal ernsthafter mit den Vorschlägen der Volkskammer der DDR beschäftigen11 als Westdeutschland aufzurüsten.«
Ein Schlosser von der VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera: »Ich habe bis zum heutigen Tage noch nicht richtig daran geglaubt, dass in Westdeutschland alles auf einen neuen Krieg abgestimmt ist. Ich ließ mich durch das reichliche Warenangebot in Westdeutschland beeindrucken. Durch die Explosionskatastrophe jedoch ist mir klar geworden, wohin die Politik der Amerikaner führt. Diese scheuen sich nicht, die Menschheit in ein neues Unglück zu stürzen. Es wird eben höchste Zeit, dass die Einheit Deutschlands wieder hergestellt wird.«
In letzter Zeit treten Schwierigkeiten in der Waggonbestellung auf. So wurden z. B. dem VEB Wellpappenwerk Woltersdorf, [Bezirk] Potsdam, seit dem 19.9.1954 keine Waggons mehr zur Verfügung gestellt. Auf Anfrage gab der Dienstvorsteher des Bahnhofs Woltersdorf die Auskunft, dass er keine Waggons zur Verfügung habe. Durch die Schwierigkeiten ist die Produktion zurückgegangen und muss, wenn keine Änderung eintritt, ganz gestoppt werden.
Materialschwierigkeiten
Im VEB Ost-Glas Schweppnitz, [Kreis] Kamenz, [Bezirk] Dresden, fehlen für den Bau der Spezialbetondecke eines Lagerraumes 10 t Stabstahl in der Stärke von 7 bis 20 mm. Wenn der benötigte Stabstahl nicht angeliefert wird, kann der Bau nicht weitergeführt werden und es verfallen dem Betrieb ca. 30 [000] bis 40 000 DM Investgelder. Der Lagerraum wird dringend benötigt, da die Fertigware zzt. in einem Privatbetrieb gelagert werden muss.
Handel und Versorgung
Der Schlachthof in Eisleben, [Bezirk] Halle, erhielt 7 t Schweinefleisch aus Ungarn, wovon 50 Prozent der Abdeckerei zugeführt werden mussten. Diese Lieferung war auf dem Grenzbahnhof Krippen vom 18. bis 23.9.[1954] für in Ordnung befunden worden.
Schwierigkeiten in der Versorgung mit Kohlen haben die Kreise Wittenberg und Dessau, [Bezirk] Halle. Ebenfalls der Kreis Wismar, [Bezirk] Rostock. In Wismar ist die Kohlenbelieferung erst zu 50 Prozent erfolgt und es bestehen dort keine Aussichten auf eine weitere Belieferung.
Benzinmangel besteht im Bezirk Schwerin und im Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden. Im Bezirk Schwerin hemmt der Benzin- und Dieselölmangel die Erntearbeiten der MTS. Im Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, wird die Kürzung der Benzinzuteilung um 35 Prozent und der Reifenmangel (500/650 × 16) von den Taxifahrern scharf kritisiert.
Störungen in der Belieferung mit Kartoffeln vonseiten der Lieferbetriebe ergeben sich im Bezirk Karl-Marx-Stadt. In mehreren Kreisen des Bezirkes Halle klagt die Bevölkerung über die angefaulten Kartoffeln, die zum Verkauf gelangen.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt kann der Bedarf an Speck auf HO- und Markenbasis nicht gedeckt werden. Schmalz wird von den Hausfrauen als Ausgleich abgelehnt und sie sagen: »Erst wurde eine Preissenkung durchgeführt und jetzt ist nichts zu haben«.12 Im Bezirk Schwerin mangelt es ebenfalls an Speck. Außerdem besteht dort ein Mangel an Eiern, wie auch in den Bezirken Cottbus und Karl-Marx-Stadt.
Im Kreis Langensalza, [Bezirk] Erfurt, wird besonders von den Werktätigen über die verschiedenen Sorten Schmalz diskutiert. Die Kollegen der Druckerei »Thomas Müntzer« stellen die Frage, warum es jetzt vier Sorten Schmalz gibt, vor der Preissenkung hätte man doch auch nur eine Sorte hergestellt. Jetzt wünscht die Arbeiterschaft, den Unterschied zwischen den einzelnen Sorten erklärt zu haben.
Bei der Kühl-Erfurt,13 welche ab 1.10.1954 für den Bezirk Suhl zuständig ist, besteht zurzeit ein Buttermangel für Oktober 1954. Der Zweigstellenleiter äußerte, dass er für die ersten Tage im Oktober dringend 550 Tonnen Butter benötigt.
Vonseiten der Verkaufsstellen aus Aue-Wismut14 kommen laufend Beschwerden, weil sie im Zuge des Wettbewerbs bestellte Waren nicht bekommen, so z. B. Zigaretten wie »Turf« und »Ramses«. Es wird berichtet, dass man diese Waren im Privathandel jederzeit zu kaufen bekommt, wohingegen der Wismut-Handel sehr schlecht damit beliefert wird.
Im Kreis Roßlau, [Bezirk] Halle, kritisiert man die schlechte Versorgung mit bestimmten Sorten Zigaretten und Tabak.
Im VEB Kraftverkehr Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, werden die Kraftfahrer gezwungen, mit 55 kg Frischfleisch den ganzen Kreis mit einem 4-t-Lkw abzufahren. Der Preis der Ware steht in keinem Verhältnis zum Brennstoffverbrauch und der verbrauchten Fahrzeit. Ähnliche Fälle sind schon des Öfteren vorgekommen.
Die Bäcker des Kreises Wismar, [Bezirk] Rostock, beklagen sich, dass das Brotmehl in letzter Zeit eine sehr schlechte Qualität aufweist und sie forderten auf einer Versammlung ihrer Innung, dass die Brotpreise auf 3 bis 4 Pfennige erhöht werden sollten, anderenfalls sie in einen Streik treten würden. Fleisch- und Wurstwaren fehlen teilweise im Bezirk Halle.
Landwirtschaft
Die Stimmung zur Volkskammerwahl ist meist positiv, was insbesondere durch eine Reihe weiterer Selbstverpflichtungen zum Ausdruck kommt. Stellenweise machen die Bauern ihre Stimmabgabe von der Sollstreichung bzw. Sollermäßigung abhängig. Die Bauern der Gemeinde Nieder-Seifersdorf, [Bezirk] Dresden, brachten bei einem Agitationseinsatz zum Ausdruck: »Wir gehen am 17.10.[1954] nicht zur Wahl, wenn die Sollrückstände nicht bei allen Bauern beglichen werden.«
Eine werktätige Bäuerin aus Alt Mahlisch, [Bezirk] Frankfurt, sagte: »Ich gehe am 17.[10.1954] nicht zur Wahl. Meine Meinung ist, dass nur diejenigen, die ihr Soll gestrichen bekommen haben (von 1953), wählen sollen.«
Negative Stellungnahmen, wenn auch nur vereinzelt, werden nach wie vor hauptsächlich von Groß- und Mittelbauern und Mitgliedern der bürgerlichen Parteien eingenommen. So sagte ein Großbauer aus Gardelegen,15 [Bezirk] Magdeburg, Mitglied der CDU: »Warum gibt es eine gemeinsame Kandidatenliste? Warum wird nicht die Partei gewählt? Wenn wir Listenwahlen der einzelnen Parteien durchführen würden, würde das Wahlergebnis anders aussehen.«16
Einige Großbauern aus der Gemeinde Woland, [Bezirk] Schwerin: »Diese Wahlen sind Schiebungen, denn das Ergebnis liegt bereits fest.«17
Ein Großbauer aus Werder, [Bezirk] Schwerin, bezeichnete die Volkswahl als großangelegten Bluff! Der gleichen Ansicht ist [sic!] ein VEAB-Viehaufkäufer aus Lübz und ein CDU-Stadtvertreter aus der Gemeinde Quetzin, [Bezirk] Schwerin.
Ein Bauer aus Nauleis, [Bezirk] Dresden: »In diesem Staat herrscht eine Diktatur. Lasst die Bauern nur ordentlich wählen und macht keinen Schwindel dabei, dann ist die ganze Regierung futsch.«
Mängel und Missstände
In der MTS Bischdorf, [Bezirk] Dresden, lagern größere Mengen Kupplungsscheiben für den Traktor »Pionier«. Diese sind stärker gehalten als die zzt. verwendeten und für die MTS nutzlos. Obwohl die MTS schon mehrmals die Scheiben dem Handelskontor zum Umtausch angeboten hat, wurden sie nicht abgenommen.
Die MTS im Kreis Ribnitz, [Bezirk] Rostock, klagen, dass sie kein Mineralöl von der »DERUNAPHT«, sondern nur »Leunaöl« erhalten. Dieses Öl ist zu dünn, sodass die Lager der Motoren sich festlaufen. Hierdurch entstehen größere Produktionsausfälle und Reparaturen. Ferner fehlt es ihnen an Kugellagern aller Art, sodass schon verschiedene Traktoren seit Tagen stillstehen.
In der MTS-Spezialwerkstatt Sangerhausen, [Bezirk] Halle, können die anfallenden Reparaturen nur teilweise, besonders an Rübenkombines, durchgeführt werden, da es an Blattmessern und Fingern fehlt. Herstellerbetrieb dieser Ersatzteile ist das Mähdrescherwerk Weimar.
Wegen Krankheitserscheinungen bei Schweinen hat das VEG Luisenhof, [Bezirk] Potsdam, die Fütterung mit Getreide eingestellt. Aus diesem Grunde sind 70 Tonnen Futtergetreide übriggeblieben, die trotz wiederholter Versuche von den VEAB nicht abgenommen werden.
Im Schweinemastkombinat »Maxhütte«,18 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ist die Schweinepest ausgebrochen. Von insgesamt 5 332 Schweinen sind bisher zwölf verendet und 146 mussten notgeschlachtet werden. Das für die Eindämmung hochwertige Hochimmunserum gegen Schweinepest ist im Kreis nicht vorhanden und konnte trotz Rücksprache mit Berlin noch nicht beschafft werden. Der Bedarf liegt bei 6 kg.19
In der LPG Helfta, [Bezirk] Halle, wurde die Maul- und Klauenseuche festgestellt.
In der LPG Dederstedt, [Kreis] Eisleben, [Bezirk] Halle, sind vier Schweine an Schweinepest verendet. Weitere Tiere des Bestandes sind erkrankt (100 Stück Bestand).
Übrige Bevölkerung
Nach wie vor wird unter der übrigen Bevölkerung wenig über aktuelle politische Probleme gesprochen. Zum Beispiel wurde zu der Explosionskatastrophe in Bitburg nur in ganz geringem Maße Stellung genommen, jedoch überwiegend positiv. Es werden die Kriegsvorbereitungen der Amerikaner auf westdeutschem Boden verurteilt und es wird zum Ausdruck gebracht, dass alles getan werden muss, um ein neues Blutvergießen zu verhindern. Einige ziehen die richtige Schlussfolgerung daraus, wie z. B. ein Angestellter des Kreiskrankenhauses Stadtroda, [Bezirk] Gera, der äußerte: »Um nicht das gleiche Schicksal wie unsere Brüder und Schwestern in Westdeutschland zu erleiden, müssen wir noch stärker als bisher um den Frieden kämpfen und vor allem am 17.10.1954 unsere Stimme den Kandidaten der Nationalen Front geben.«
In den nur vereinzelt bekannt gewordenen negativen Stimmen wird zum Ausdruck gebracht, dass bei uns Ähnliches auch passieren könnte und man sollte deshalb nicht zu viel darüber schreiben. Ein Geschäftsmann aus Prettin, Kreis Jessen, [Bezirk] Cottbus: »Was ist schon mit der Katastrophe in Bitburg? Es ist doch überall das Gleiche. Der Russe hat auch Munitionsfabriken, in denen ebenfalls Deutsche beschäftigt sind und da kann genau dasselbe passieren.«
Eine Hausfrau aus Riesa, [Bezirk] Dresden: »Wenn sich bei uns ähnliche Vorfälle ereignen, bekommt die Bevölkerung davon überhaupt nichts zu hören. Ich kann deshalb nicht verstehen, dass in unserer Presse soviel darüber geschrieben wird.«
Im Allgemeinen haben die Stellungnahmen zur Volkswahl noch immer einen geringen Umfang, jedoch sind die Diskussionen überwiegend positiv. Dort, wo die Aufklärungs- und Agitationsarbeit gut ist, sind auch die Stellungnahmen zahlreicher, was z. B. aus dem Bezirk Leipzig berichtet wird.
Teilweise zeigen sich aber aufgrund ungenügender Aufklärung noch immer viele Unklarheiten über den Charakter unserer Volkswahl. Ein Rentner (parteilos) aus Laußnitz, [Bezirk] Dresden, sagte z. B.: »Ich weiß nicht, ob ich zur Wahl gehen werde. Es hat doch keinen Zweck. Wir können ja doch nichts machen. Früher war alles besser, da konnte man die Partei wählen, die man wollte, aber heute ist alles eins.«
Eine Hausfrau (parteilos) aus Kreba, [Bezirk] Dresden: »Warum wird denn überhaupt eine Wahl durchgeführt. Die ist doch unnötig, da es ja nur eine Liste gibt.«
Einige Bewohner der Häuser Bennstraße 7520 und Voigtstraße 12 im Stadtbezirk [Berlin-] Friedrichshain erklärten, dass doch erst Wahlen gewesen seien, warum sie schon wieder wählen müssten, da sie doch der Regierung das Vertrauen ausgesprochen haben.21
Negative bzw. feindliche Stimmen kommen nach wie vor größtenteils aus den bürgerlichen Schichten. Ebenso verhält es sich mit der Forderung nach Parteiwahlen. In einer Versammlung der NDPD in der Gemeinde Lindenhof, Kreis Belzig,22 [Bezirk] Potsdam, erklärte ein Mitglied: »Ich kann mich mit der gemeinsamen Kandidatenliste der Nationalen Front nicht einverstanden erklären. Jede Partei müsste eine eigene Liste aufstellen, um festzustellen, welche Partei die meisten Stimmen erhält. Man sollte nach dem Grundsatz von Moltke23 handeln. ›Getrennt marschieren und vereint schlagen‹.«24
Ein Geschäftsmann aus Lautawerk,25 [Bezirk] Cottbus: »Ich werde es mir noch stark überlegen, ob ich überhaupt zur Wahl gehe, denn ich werde niemanden wählen, wo ich schon im Voraus erkennen kann, dass es unsere Totengräber sind«.26
Ein Fuhrunternehmer aus Frauendorf, [Bezirk] Leipzig: »Die Volkswahl wird wie die Volksbefragung sowieso keine freie Wahl. Bei der Volksbefragung wurden unklare Stimmscheine für gültig erklärt, das Gleiche wird bei der kommenden Wahl wieder der Fall sein.«
Verschiedentlich kommt es in Einwohnerversammlungen oder Ausspracheabenden mit dem Handwerk zu negativen Diskussionen. Zum Beispiel kommt es in den Bezirken Cottbus und Neubrandenburg ab und zu vor, dass man sich negativ zur Oder-Neiße-Friedensgrenze äußert. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Herzberg, [Bezirk] Cottbus: »Zu unserer Regierung, die es fertigbringt, einen Teil unserer Heimat abzugeben, kann man kein Vertrauen haben. Die Regierung setzt sich nicht einmal dafür ein, dass unsere Angehörigen aus Polen in die DDR übersiedeln können. Was unsere Regierung macht, ist alles Betrug und meine Stimme bekommen sie nicht.«
In einer Versammlung in Warbende, [Bezirk] Neubrandenburg, stellte eine Hausfrau die Frage: »Gehört zur Wiedervereinigung Deutschlands auch die Vereinigung mit dem Gebiet jenseits der Oder-Neiße-Grenze?« Als der Versammlungsleiter sie darüber aufklären wollte, schaltete sich ein Einwohner ein und erklärte: »Ich habe schon mit mehreren Menschen in meinem Alter gesprochen. Sie wären alle bereit, wieder ein Gewehr in die Hand zu nehmen, um noch einmal Rache zu üben.«
In einer Einwohnerversammlung in Belzig, [Bezirk] Potsdam, äußerte ein Einwohner: »Ich fordere Freiheit für das Volk im Interesse der einfachen Menschen der Straße. Die Diktatur der SED ist zu krass. Die Bonzen müssten mehr Verbindung nach unten haben.«
Bei einer Berufsgruppenversammlung der Mechaniker der Bezirke Prenzlauer Berg, Mitte und Weißensee in Groß-Berlin wurde als 2. Punkt der Tagesordnung »Die Volkswahlen 1954 und das Handwerk« behandelt. Bei den Ausführungen hierüber wurde der Referent fortwährend durch Zwischenrufe und Zwischenfragen unterbrochen, sodass es ihm nicht möglich war, mehr als fünf Sätze ohne Unterbrechung vorzutragen. Der Bezirksmeister versuchte mehrere Male, auf die Anwesenden einzuwirken. In der Aussprache erklärte ein Mechanikermeister: »Was der Redner von Westdeutschland berichtete, stimmt nicht. Von 400 Mechanikern sind heute nur noch 250 hier. Es gehen laufend welche nach dem Westen, weil sie hier nicht mehr existieren können. Allen denen, die nach drüben gegangen sind, geht es wesentlich besser als uns hier. Der Staat hat nur den Ruin der selbstständigen Handwerker im Auge und es wird höchstens noch drei Jahre dauern, bis auch wir unsere Betriebe schließen müssen.«
Der Stand der Einsichtnahme in die Wählerlisten ist in den Bezirken sehr unterschiedlich. Zum Beispiel beträgt der Stand im Bezirk Cottbus 53,5 Prozent, im Bezirk Potsdam 49,8 Prozent und im demokratischen Sektor von Berlin nur 17 Prozent. Dabei steht der Bezirk Lichtenberg mit 22,2 Prozent an erster und der Bezirk Mitte mit 14,3 Prozent an letzter Stelle.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:27 Cottbus 52, Potsdam 1 063, Erfurt 200, Karl-Marx-Stadt 87, Halle 18, Dresden 28.
NTS:28 Potsdam 1 307, Leipzig 102, Magdeburg 3 500, Karl-Marx-Stadt 500, Wismutgebiet 90, Dresden 24, Rostock 5 200, Neubrandenburg 4 000.
ZOPE:29 Cottbus 1 400, Dresden 14, Schwerin 2 000.
KgU:30 Potsdam 9, Frankfurt/Oder 30 000 (Inhalt gegen die Volkswahlen gerichtet).
In tschechischer Spr[ache]: Dresden 8.
Aus dem Kreis Luckau, [Bezirk] Cottbus, wird berichtet, dass in der Nähe der Streckenführung des Schnelltriebwagens, der täglich von Prag nach Berlin das Kreisgebiet durchfährt, Flugblätter in tschechischer Schrift aufgetaucht sind.
Am 28.9.1954 wurden in der Stadt Rostock insgesamt zehn Flugblätter, deren Inhalt sich gegen die Volkskammerwahl richtet, gefunden. Die Flugblätter sind auf einen DIN A-5-Bogen mit einem Kinderdruckkasten gedruckt.
In der Gemeinde Luppa, [Kreis] Oschatz, wurde am 28.9.1954 im Kindergarten ein selbstangefertigtes Flugblatt, mit einem Kinderdruckkasten hergestellt, aufgefunden. Text: »Stürzt die Arbeiter- und Bauernmacht«.
Antidemokratische Handlungen
In der Nacht vom 24. zum 25.9.[1954] wurde in Uder, [Bezirk] Erfurt, vom Haus des Bürgermeisters ein Transparent, das auf die Volkswahl abgestimmt war, von unbekannten Tätern heruntergerissen. In Bodenrode, [Bezirk] Erfurt, wurden in der Nacht vom 25. zum 26.9.[1954] Plakate über die Volkswahl von unbekannten Tätern abgerissen.
Im VEB Porzellanwerk Neuhaus-Schierschnitz, [Bezirk] Suhl, wurden in der Nacht vom 23.9. zum 24.9.[1954] in der Abteilung 200 von unbekannten Elementen zwei Stellungnahmen von Genossen zu Ehren der Volkswahl von der Wandtafel entfernt.
In der Nacht zum 28.9.1954 wurde die zu propagandistischen Zwecken in Eisfeld, [Bezirk] Suhl, aufgestellte Bombe, die die Aufschrift »USA« trug, überschmiert und die Buchstaben SU stattdessen angemalt.
Am 27.9.1954 wurde im »Karl-Liebknecht«-Werk in Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, an einem Kohlenhunt31 mit weißer Kreide: »Leckt uns am A…, am 17. Oktober!« angeschmiert. Täter noch unbekannt.
In der Gemeinde Dobergast, Kreis Hohenmölsen, wurden von unbekannten Tätern an mehreren Stellen der Gemeinde Hetzschriften des Ostbüros32 angebracht.
Diversion
Am 25.9.1954 wurde im VEB Greizer Kammgarnspinnerei, Werk I, im Elevator ein Schaftmaschinenbolzen von 36 cm Länge und 2,5 cm Durchmesser gefunden. Dieser ist vermutlich von unbekannten Tätern in den Elevator geworfen worden. Schaden entstand nicht.
Gerücht
Ein Rentner aus Weimar, Vertreter der Kohlenhandlung »Singewald«,33 sucht Kunden auf und verbreitet das Gerücht, dass laut Regierungsbeschluss die Belieferung der Kohlenmarken gesperrt ist.
In der Gemeinde Gröbern, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, kursiert folgendes Gerücht: »Die Lebensmittelkarten in der DDR werden abgeschafft und damit fallen auch die Preise für die freien Spitzen der Bauern weg.34 Dies wird zur Folge haben, dass viele Betriebe nicht mehr existieren können.«
Durch eine Jugendliche aus Kamenz wurde das Gerücht verbreitet, dass zwischen Kamenz und Biehla, [Bezirk] Dresden, sehr viele sowjetische Panzer stehen und sie wegen der großen Gefahr abends das Haus nicht mehr verlassen könnten.
Vermutliche Feindtätigkeit
In der Besamungsstation der landwirtschaftlichen Fakultät in Halle wurden zwei der besten Bullen morgens tot im Stalle aufgefunden. Es wird eine feindliche Tätigkeit vermutet (wird untersucht).
Berichtigung
In unserem Bericht vom 28.9.195435 unter Terror muss es richtig heißen: Bei einer Veranstaltung der FDJ-Betriebsgruppe des RAW Halle in Wettin (nicht Bernburg) wurden die FDJler am 23.9.1954 niedergeschlagen. Täter wurden ermittelt.
Anlage 1 vom 29. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2326
[Diskussionen zu Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR]
Zu dem Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR Puschkin an Conant36 werden nur in ganz seltenen Fällen Diskussionen festgestellt. Die Meinungen dazu sind überwiegend positiv. Dabei wird hervorgehoben, dass es immer wieder die SU ist, die Maßnahmen für den Frieden und die Wiedervereinigung ergreift. Zum Teil hofft man, dass die Forderung zur Auflösung der Spionage-Organisationen von den Westmächten beachtet wird, zum Teil ist man der Meinung, dass dieses Schreiben wenig Zweck habe, da die Amerikaner nicht darauf reagieren werden, da sie diese Agentenzentralen für ihre Kriegsvorbereitungen brauchen.37 Andererseits wirkt dieses Schreiben aufklärend in der Bevölkerung, zum großen Teil ist es jedoch der Bevölkerung noch nicht bekannt. Einige verhalten sich dazu gleichgültig, da sie nicht glauben, dass die Amerikaner sich davon beeinflussen lassen, oder weil sie selbst dem Westen Glauben schenken.
Ein Kraftfahrer aus Friedrichsthal, Kreis Oranienburg: »Die Forderung des Hohen Kommissars der SU ist vollständig berechtigt. Durch die bestehenden Agentenzentralen und ihre Agenten, welche in der DDR Spionage betreiben und Sabotage durchführen, wird die wirtschaftliche Entwicklung bei uns gehemmt und infrage gestellt. Ihr Ziel ist ein neuer Krieg. Wir sind aber bedient und ein jeder Deutsche muss einen neuen Krieg ablehnen.«
Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Amylon in Velten, Kreis Oranienburg: »Es ist alles sehr schön und gut, aber auf die Vorschläge und Noten der SU gehen die Westmächte doch nicht ein, denn sie brauchen ja die Agentenzentrale für die Vorbereitung eines neuen Krieges. Solange die westlichen Besatzungsmächte in Westdeutschland sind, wird es auch Spionage-Zentralen geben. Es müssen erst alle Besatzungsmächte Deutschland verlassen, dann werden wir Deutschen die Agentenzentralen selbst liquidieren und unseren friedlichen Aufbau fortsetzen.«
Ein parteiloser Arbeiter aus Wünsdorf, Kreis Zossen: »Das[s das] Schreiben an Conant einen Zweck haben wird, glaube ich nicht. Die lassen sich doch in dieser Angelegenheit keine Vorschriften machen und tun, was sie wollen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass dieses Unwesen einen solchen Umfang angenommen hat. Ich will damit nicht sagen, dass es keine Agenten in der DDR gibt, aber so viele können es wiederum auch nicht sein, sonst hätte man schon mehr merken müssen.«
Ein Kollege vom Kreisvorstand des FDGB-Objekt 02 Oberschlema sagte: »Das Schreiben wird manchem die Augen öffnen, denn die Agenten können sehen, was unseren Sicherheits-Organen schon alles bekannt ist und wie gefährlich es ist, solche Dienststellen anzulaufen. Anderen Menschen werden die Augen geöffnet durch die Tatsachen, welche Botschafter Puschkin aufführt und wie er die westlichen Agenten entlarvt. Dann jedenfalls ist es eine ganz große Sache gegen die westlichen Geheimdienste.«
Ein werktätiger Bauer, Mitglied der LDPD, aus Rehagen, Kreis Zossen: »Die Auflösung der Spionage-Organisationen in Deutschland, so wie dies vom hohen Kommissar der UdSSR in Deutschland gefordert wird, bedeutet bei der Durchführung dieser Maßnahmen eine weitere Verbesserung der nationalen und internationalen Lage. Aber besonders für Deutschland und das Gebiet der DDR würde damit ein Fortschritt erzielt werden, der es unserem Volk ermöglicht, unseren friedlichen Aufbau noch schneller voranzutreiben. Ich glaube aber kaum, dass man sich vonseiten der Westmächte darauf einlässt, denn dann haben sie ja wieder weniger Möglichkeiten, unsere Entwicklung zu hemmen und zu stören.«
Eine parteilose Bäuerin in der LPG Sohra, Kreis Meißen, brachte zum Ausdruck: »Das Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR an den Hohen Kommissar der USA betreffend der Terror- und Spionage-Organisation hat doch keinen Zweck. Die Westmächte werden auf derartige Dinge und Schreiben sowieso nicht reagieren.«
Ein parteiloser Friseur-Meister aus Rehagen, Kreis Zossen: »Als ich in der vergangenen Woche immer in den Zeitungen von Agentenorganisationen und deren skrupellosen Methoden las, habe ich das nicht geglaubt und als übertrieben und aufgebauscht angesehen. Jetzt, nachdem ein solcher Agent an mich selber herangetreten ist und mich zur Fahrt nach Berlin zwingen will, bin ich davon überzeugt und erkenne die Gemeinheit der Arbeit der westlichen Agentenzentralen. Ich begrüße deshalb das Schreiben an Conant, worin zur Auflösung und Liquidierung der Agentenzentralen aufgefordert wird. Hoffentlich wird es auch beachtet und von Conant nicht beiseite gelegt.«
Ein Parteiloser aus Werben, Kreis Zossen: »Ich habe mich noch nie mit Politik befasst, aber muss jetzt doch feststellen, dass es immer die SU ist, die auf den Frieden hinsteuert.«
In einem HO-Laden für Rauchwaren in Ilmenau unterhielten sich einige Kunden über das Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR Puschkin an Conant und brachten dabei zum Ausdruck, dass sie darüber erstaunt sind, dass über 400 Agenten in der DDR verhaftet wurden.38 Sie brachten ihre Empörung darüber zum Ausdruck, dass sich deutsche Menschen für solche imperialistische Zwecke missbrauchen lassen.
Ein Parteiloser aus Klausdorf, Kreis Zossen: »Mit dem Schreiben an Conant hat die SU erneut ihren Willen zur Erhaltung des Friedens und zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands kundgetan, denn mit der Auflösung der Spionage-Organisationen wäre es uns wesentlich leichter, unsere Wirtschaft aufzubauen. Es bleibt nur zu hoffen, dass das Schreiben die nötige Beachtung findet und nicht wie schon einige Vorschläge der SU unberücksichtigt bleiben.«
Ein Genosse aus Glienick, Kreis Zossen: »Ich kann es nicht verstehen, dass die USA niemals auf die Schreiben der SU antworten. Es ist auch ganz klar, dass der Ami in der ganzen Welt als Agent und Spion bekannt ist und ich bin der Meinung, dass es schön ist, wenn der Bevölkerung durch die Veröffentlichung solcher Dinge die Augen geöffnet werden.«
Der Bürgermeister in Stöffin, Kreis Neuruppin: »Die Vorschläge, die vonseiten der SU kommen, sind gut. Aber auf alle Bemühungen hin werden sich weder Adenauer noch die Amerikaner einlassen. Hier muss das Volk entscheiden. Wenn das gesamte Volk sich erhebt und Schluss mit einer solche Regierung macht, dann tritt dort eine Änderung ein.«
Ein Kaufmann und Gastwirt aus Köritz, Kreis Kyritz39: »Politik wird hier und dort gemacht. Mich interessiert das nicht. Ich habe als Kaufmann viel Arbeit und was in der Zeitung steht, gehört nicht zu meinem Fach. Einen Kaufmann interessiert ein gut gehendes Geschäft und weiter nichts.«
Anlage 2 vom 28. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2326
Auswertung von Hetzschriften
SPD-Ostbüro
Die Hetzschrift »Sozialdemokrat«40 beschäftigt sich in der letzten Ausgabe unter der Überschrift »Neuer SED-Wahlbetrug schon heute durchschaut« mit der Volkswahl.41 Die Hetze enthält im Allgemeinen die Formulierungen, die bereits aus den Ausführungen der Westsender und -zeitungen bekannt sind. Unter anderem wird von einem Verstoß gegen die Verfassung der DDR durch die Aufstellung einer einheitlichen Kandidatenliste gesprochen.42 Über die Beteiligung der Bevölkerung an den Versammlungen zur Vorbereitung der Volkswahlen schreibt das SPD-Ostbüro, dass diese Versammlungen sehr schlecht besucht waren und dass diese Beteiligung als Maßstab für das Vertrauensverhältnis zwischen der Bevölkerung und der Regierung der DDR angewandt würde. Zur Sabotierung der Wahl werden folgende Vorschläge gemacht:
- –
Über den Stimmzettel soll über die ganze Breite ein »Nein« geschrieben werden.
- –
Die Wahlzellen sollen »möglichst« benutzt werden.
- –
Überall soll die Benutzung der Wahlzellen »erzwungen« werden.
- –
es wird aufgefordert, »genaue Angaben über Art und Zahl der abgegebenen Stimmen eines Ortes oder Wahlbezirkes unter Benutzung eines Tarnnamens« an das SPD-Ostbüro unter der Tarnadresse »Ewald Müller, Berlin-Charlottenburg, Pommernallee 7« zu geben.
Die Hetzschrift richtet sich weiterhin gegen den Wohnungsbau in der DDR und enthält einen offenen Antwortbrief des 1. Vorsitzenden des Landesverbandes Berlin der SPD, Franz Neumann,43 an den Dozenten der philosophischen Fakultät der Karl-Marx-Universität, Gerhard Müller.44
Zum Übertritt von Dr. John45 und des CDU-Abgeodneten Schmidt-Wittmack46 hetzt das SPD-Ostbüro in einem Flugblatt »Zwei gegen Millionen«, dass dieses Verhalten zu großer Propaganda durch unsere Partei ausgenutzt würde, dass aber über die Zahl der Republikflüchtigen keine Ausführungen erfolgten. In dem Flugblatt wird weiter gehetzt, dass auch Abgeordnete der Volkskammer die DDR und Sowjetdiplomaten die UdSSR verlassen hätten. Das Flugblatt schließt mit der Aufforderung, weiter für die Beseitigung unserer Regierung zu arbeiten, wobei das SPD-Ostbüro seine Unterstützung zusagt.
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Unter der Überschrift »Wir fordern freie Wahl« werden Hetzbriefe an die Bevölkerung der DDR versandt, worin die Volkswahlen als Fälschungen hingestellt werden und man auffordert: »1. Die Stimmen ungültig zu machen, soweit dies ohne Gefährdung möglich ist. 2. einen eigenen Wahlzettel durch die Post in einem Brief an einen Volkskammerabgeordneten oder an den ›Präsidenten‹ Dieckmann47 zu senden mit den Druckbuchstaben ›17.11.1954 [sic!] – Nein‹«.
In dem gleichen Schreiben wird die HO-Preissenkung als Wahlpropaganda bezeichnet und es heißt weiter, dass sich unsere Regierung nach der Wahl in »einer noch stärkeren Brutalität« zeigen wird. Man gibt jedoch in diesem Zusammenhang zu, dass der Westen nicht in der Lage ist, solche Preissenkungen durchzuführen.
»An die Funktionäre des Kreises Köthen/Anhalt« werden von der »Widerstandsgruppe Bezirk Halle/Saale« Schreiben mit Verleumdungen über die Versorgung der Bevölkerung in der DDR gesandt. Gleichzeitig wird aufgefordert, »von den im Preis gesenkten Mangelwaren (Margarine, Schlachtfette und Speiseöl) soviel wie möglich zu kaufen, denn die Warendecke wird bei Weitem nicht ausreichen, dass eine laufende Versorgung gewährleistet ist«. Auch dieses Schreiben enthält, wie bereits frühere mit anderem Inhalt, die Aufforderung, »anonym« Feindarbeit zu leisten.
UFJ
In Schreiben »An die Einwohner des Bezirkes Suhl« wird zur »verstärkten Aufklärung Westdeutschlands« aufgefordert, d. h. die Bevölkerung der DDR soll den UFJ über alle Vorkommnisse in der DDR unterrichten, »damit die Bevölkerung Mitteldeutschlands aktive Unterstützung durch die Bundesrepublik erhalten kann«.
Unter der Überschrift »Der Plan-Verstoß« verbreitet der UFJ eine Hetzschrift48 »für Angehörige der technischen Intelligenz und der volkseigenen Wirtschaft«. Die 2. Nummer dieser Hetzschrift fordert nach der Schilderung angeblicher Strafverfolgung von Intelligenzlern wegen Nichterfüllung der Planauflagen u. a. zur Feindtätigkeit auf. Unter anderem heißt es dazu: »Parolen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität … sollten von verantwortungsbewussten Technikern nicht vertreten werden … Entwicklungs- und Projektierungsarbeiten, die Rüstungszwecken dienen oder eindeutig politischen Charakter haben, sollte man nach Möglichkeit aus dem Wege gehen …«
Unter der Überschrift »Der Bauernbrief« werden »Ratschläge für selbstständige Bauern in der Sowjetzone« auf dem Postwege verbreitet. Darin wird von einem »Geheimplan der SED« gesprochen, wonach »der Anteil des landwirtschaftlichen Privatbesitzes bis 1960 auf 20 Prozent zurückgedrängt« werden soll. Die »Ratschläge« beschäftigen sich mit Verordnungen der Regierung der DDR, die die Bauern angeblich nicht kennen, die ihnen aber bei der Anwendung die Verhältnisse erleichtern sollen. Unter anderem befasst sich ein Ratschlag mit der »Verzichtserklärung über den Besitz der Bauern, wenn sie aus wirtschaftlichen oder arbeitstechnischen Gründen ihren Besitz nicht mehr weiterführen können«.49 Es wird vorgeschlagen, wenn entsprechende Anfragen durch Funktionäre der LPG oder Bürgermeister erfolgen, zugunsten der Produktionsgenossenschaften zu verzichten und es heißt als Begründung dazu: »Die Empfehlung geht von der selbstverständlichen Voraussetzung aus, dass nach der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit die Einrichtung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften keine Anerkennung finden wird.«
Von einer unbekannten Feindzentrale50 werden an MTS, kleinere VEB – besonders des Kraftfahrzeugwesens – Briefumschläge gesandt, die lediglich aus Westzeitungen ausgeschnittene Stellenangebot enthalten, mit dem Ziel, Facharbeiter aus der DDR nach Westdeutschland abzuziehen.
Gefälschte Schreiben
Mit dem Absender »Ingeburg Gentz,51 Rechtsanwalt, Berlin 0 17, Köpenicker Straße 91« werden »an die Mitglieder der Kollegien der Rechtsanwälte« Abschriften von angeblichen Schreiben des Ministers der Justiz gesandt, die sich mit dem »Oberrichter Haid,52 Karl-Marx-Stadt« beschäftigen. In dem Begleittext wird die Hoffnung ausgesprochen, »dass damit endlich die ungerechtfertigte Bevorzugung einiger persönlicher Freunde durch den Minister der Justiz, Hilde Benjamin,53 beendet wird«. Es wird jedoch geraten, »bei der weiteren Erörterung des Falles Haid größte Wachsamkeit und Vorsicht walten zu lassen«. Das gefälschte Schreiben selbst ist an die Vorsitzenden der Bezirksgerichte gerichtet und enthält eine angebliche Erklärung des Ministers der Justiz, Genossin Hilde Benjamin, dass der genannte Oberrichter Haid mit ihr persönlich befreundet sei und sie ständig über die Vorkommnisse in den Rechtsanwälte-Kollegien unterrichte. Das gesamte Schreiben stellt eine Verleumdung der Genossin Benjamin dar und soll die im Justizapparat tätigen Personen gegen sie beeinflussen.
Weitere gefälschte Schreiben mit dem Absender von Dr. F. K. Kaul54 werden ebenfalls an Rechtsanwälte gesandt und enthalten eine angebliche Beschwerde Dr. Kauls über die Beschuldigungen der »Rechtsbeugung«. Das gefälschte Schreiben schließt mit folgenden Worten, die den hetzerischen Inhalt charakterisieren: »Um der unentwegten üblen Nachrede Einhalt zu gebieten, dass ich als ein der SED blindergebener Paragrafen-Funktionär lediglich die Geschäfte einer korrupten Partei und Justiz besorge und dabei rücksichtslos auch meine Kollegen bespitzele, bitte ich das Ministerium nach Prüfung des Sachverhaltes um Unterstützung.«