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Zur Beurteilung der Situation

15. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2208 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig gesprochen. Zur Genfer Konferenz wird von den Werktätigen wenig diskutiert.1 Größtenteils wird zum Ausdruck gebracht, dass durch die Abreise Dulles’2 von der Konferenz3 bessere Möglichkeiten zur Entspannung der internationalen Lage gegeben sind. Vereinzelt hofft man auf eine Lösung des Deutschlandproblems. Die bekannt gewordenen Stimmen sind meist von Arbeitern und sind überwiegend positiv. Ein Arbeiter aus der Farbenfabrik Wolfen-Bitterfeld, [Bezirk] Halle: »Besonders erfreut bin ich über die Abfuhr, die Dulles bekommen hat. Dadurch hat sich die internationale Lage entspannt und es wird nicht mehr lange dauern, bis England und Frankreich die Volksrepublik China als Staat anerkennen.«

Ein parteiloser Arbeiter aus dem Teerverarbeitungswerk Rositz, [Kreis] Altenburg, [Bezirk] Leipzig: »Seit Dulles abgereist ist, sind die Chancen des Weltfriedenslagers bedeutend gestiegen. Die anderen zwei Großmächte, England und Frankreich, sind nicht mehr der Meinung Amerikas. Das ist schon ein großer Vorteil für uns.«

Teilweise zweifelt man an einem erfolgreichen Ausgang der Genfer Konferenz. Im VEB Zellwolle Wittenberg, [Bezirk] Schwerin, erklärten einige Kollegen Folgendes: »Bei der Konferenz in Genf springt doch nichts heraus. Die erörterten Probleme sind nur Angelegenheiten zwischen Amerika und ›Russland‹, wo jeder sowieso die Weltherrschaft anstrebt.«

Ganz vereinzelt wurden negative Diskussionen bekannt. Ein Werkzeugausgeber aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (ehemaliges Mitglied der NSDAP): »Wenn die Genfer Konferenz vorbei ist, dann gibt es Krieg und dann wird endlich reiner Tisch gemacht. Wenn der 17.6.[1953] nicht gekommen wäre, wäre die Privatindustrie kaputtgemacht worden.«

Nur ganz vereinzelt wurden uns Stimmen zum II. Nationalkongress bekannt.4 Diese sind positiv. Ein Polierer aus dem VEB Möbelwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Durch den bevorstehenden Nationalkongress in Berlin werden die Kriegstreiber wieder unsicher werden, denn von dieser Stelle aus werden diejenigen entlarvt, die an einer Wiedervereinigung Deutschlands auf demokratischer Grundlage nicht interessiert sind. Ich glaube, dass die Delegierten, welche sich aus allen Schichten zusammensetzen, Beschlüsse fassen, in denen der Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands aufgezeigt wird, damit ohne Krieg Deutschland bald wieder ein Ganzes sein wird.«

Missstimmung wird aus einigen Betrieben bekannt. Bei der Bau-Union Riesa, [Bezirk] Dresden, sind die Kollegen unzufrieden, da die Bau-Union aufgelöst werden soll und die Arbeiter in Privatbetriebe gehen müssen.5 Dort verdienen sie jedoch weniger Geld.

Unter den jugendlichen Facharbeitern der Bau-Union Potsdam besteht eine schlechte Stimmung, da sie sich nach Abschluss der Facharbeiterprüfung selbst überlassen sind. Anfang Juni [1954] werden wieder 280 Jugendliche ihre Prüfung ablegen. Sie diskutieren schon jetzt darüber, dass sich niemand um sie kümmert. Die weiblichen Lehrlinge wollen sich deshalb als Straßenbahnschaffnerinnen melden, die männlichen Lehrlinge wollen versuchen, in Westberlin in ihrem Fach Arbeit zu erhalten.

Produktionsschwierigkeiten entstanden in einigen Betrieben, wegen Material- und Arbeitskräftemangel. Im Kraftfahrzeugwerk Horch, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, können 300 Fahrzeuge nicht verkauft werden, da Anlasser, Getriebe, Achswellen und Lenkräder fehlen.

Im IFA-Werk Audi in Zwickau mangelt es besonders an Schmiedeteilen. Ein Arbeiter sagte dazu: »Unsere Kritiken sollen nicht mit einem 17.6.[1953] in Zusammenhang gebracht werden, aber so wie es bei uns ist, wo keine Besserung der Materiallage zu sehen ist, kann es nicht bleiben. Da muss jeder die Lust zur Weiterarbeit verlieren.«

Der VEB Brauerei Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, kann die Kreise Pritzwalk und Wittstock nicht mehr mit Brause und Fassbier versorgen, weil keine Kohlensäure vorhanden ist. Die Firma Agesko in Berlin6 hat genügend Kohlensäure, jedoch wird sie von der Zentrale der DHZ in Leipzig nicht freigegeben.

Im VEB Elektroapparatewerk »J. W. Stalin«, Berlin, konnte die Produktion von Staubsaugern noch nicht aufgenommen werden, da die erforderlichen Kugellager fehlen.

Im VEB Bau Berlin fehlt es an Putzerkolonnen, wodurch die Termine für Putzarbeiten nicht eingehalten werden können. Nach Meinung der Bauleitung gehen die Putzer nach Westberlin oder in Privatbetriebe, da sie dort mehr verdienen würden.

Produktionsstörungen: Im Kraftwerk »Karl Liebknecht« in Holzweißig, [Bezirk] Halle, sind die Turbinen 3 und 4 ausgefallen, wodurch der Abraumbetrieb und die Brikettfabrik stillgelegt werden mussten. Ursache wird noch geklärt. Produktionsausfall: 400 t Brikett, 800 t Rohkohle und ca. 11 000 cbm Abraum.

Im Hydrierwerk Zeitz, [Bezirk] Halle, ist ein Kompressor wegen Riss im Zylinder ausgefallen. Produktionsausfall: ca. 140 000 DM.

Folgende negative Einzelbeispiele wurden bekannt: Im VEB Projektierung Schwerin fand auf Veranlassung des BGL-Vorsitzenden eine Besprechung der Brigadeleiter statt, wo ein Beschluss gegen das Urteil über einen Architekten gefasst werden sollte, der vom SfS verhaftet wurde. Als der Direktor positiv in die Versammlung eingriff, verließ der BGL-Vorsitzende den Raum und es kam nicht zur Abstimmung.

Im VEB Fliesenwerke Boizenburg, [Bezirk] Schwerin, besteht ein Missverhältnis zwischen der Betriebsleitung und der Verwaltung einerseits und der technischen Intelligenz andererseits. Der Werkleiter hat um sich einen Personenkreis, der vorwiegend aus Verwaltungsangestellten besteht. Dieser Personenkreis mutet sich zu, technologische Probleme zu beurteilen. Werden Probleme nicht in ihrem Sinne gelöst, so gelten die Techniker als unfähig. Ein Techniker setzte sich bereits nach dem Westen ab. Ein Angestellter, der ein enger Bekannter des Werkleiters ist, erklärte vor Kurzem, »dass bald der Nächste fällig« sei. Unter Hinweis auf einen Techniker sagte er, wir werden auch ihn noch verschwinden lassen.

Handel und Versorgung

Verschiedentlich wird über eine ungenügende Warenbereitstellung geklagt. Zum Beispiel mangelt es im Kreis Gräfenhainichen an Bettwäsche, Tisch- und Hauswäsche sowie bunte Kleiderstoffe, Sommermäntel und Kostüme. Im Bezirk Köpenick, Berlin, beschwert sich die Bevölkerung, dass es keine Berufskleidung zu kaufen gibt und dass dadurch die von den Betrieben ausgegebenen Bezugscheine verfallen. Im Kreis Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlt es an Blauhemden, sodass es nicht allen Jugendlichen möglich ist, in FDJ-Kleidung zum II. Deutschlandtreffen zu fahren.7

Im Kreis Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, weigern sich die Handelsorgane, größere Mengen sowjetische Fischkonserven anzunehmen mit der Begründung, dass sie wegen ihres süßlichen Geschmackes und der Preise (eine Dose 3,00 DM–4,00 DM) von der Bevölkerung zu wenig gekauft wird.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird zu aktuellen politischen Problemen wenig Stellung genommen. Über die Genfer Konferenz werden nur ganz vereinzelt Diskussionen geführt. Ein Kleinbauer aus Kleinneuschönberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Genfer Konferenz hat den Kriegstreibern einen gewaltigen Riegel vorgeschoben. Dulles hat selbst vor seinen Bundesgenossen, den Engländern und Franzosen, eine Niederlage erlitten. Darum suchte er das Weite.«

Negativ dazu äußerte sich ein Mittelbauer aus Bleyen, [Bezirk] Frankfurt: »Und wenn die noch so viele Male zusammenkommen, zu einem Erfolg kommen sie doch nicht. Während sie in Genf alle vom Frieden reden, rüsten sie sich hintenherum alle für einen Krieg.«

Vorwiegend besteht das Interesse für wirtschaftliche Probleme, aus diesem Grunde wird mehr über diese Fragen gesprochen. In einigen Gemeinden Perleberg[s],8 [Bezirk] Schwerin, sind Bauern nicht damit einverstanden, dass jetzt die Kälber erst ab 50 kg abgeliefert werden dürfen.9 Dazu äußerte ein Bauer aus Dambeck: »Wenn ich das Kalb totschlage und die Milch, die das Kalb braucht, auf freie Spitzen verkaufe,10 habe ich einen Verdienst von DM 300 gegenüber 35,00 DM für das abgelieferte Kalb.«

Von den MTS und LPG

In der MTS Großraschütz, [Bezirk] Dresden, herrscht unter der Belegschaft Unzufriedenheit über die mangelhafte HO-Fleischversorgung und über die ungenügende Belieferung von Ersatzteilen. Ein Traktorist sagte dazu: »Die Knappheit an Fleisch- und Wurstwaren und die mangelnden Ersatzteile sieht gerade so aus, als ob welche am Werk wären, die bewusst Störungen im Handel verursachen wollen, um dadurch vielleicht einen neuen 17. Juni [1953] herbeizuführen.«

Bei der MTS Göhlen, [Bezirk] Schwerin, fehlt es an Kurbelwellen und Werkzeugen. In der MTS Renzow, [Bezirk] Schwerin, sind acht Traktoren durch Getriebeschäden ausgefallen. In der MTS Jänkendorf, [Bezirk] Dresden, sind bei drei neugelieferten Traktoren die Lichtmaschinen defekt.

Aus dem Bezirk Schwerin wurde berichtet, dass durch ungenügende Unterstützung des Rates des Kreises der Bau von Schweineställen bei den LPG Köchelstorf und Siemitz, Kreis Güstrow, und der Bau eines Rinderstalles der LPG Othendorf,11 Kreis Gadebusch, nur schleppend vorangeht.

Durch Mangel an Futter ist auf dem VEG Kobrow, [Bezirk] Schwerin, ein täglicher Milchrückgang von 50 Litern zu verzeichnen.

Im MTS-Bereich Kleinprießnitz, [Bezirk] Gera, wird von einem Teil der Bauern die neue Kartoffellegemaschine (DDR-Produktion) kritisiert, weil sie während der Arbeit aufgrund ihres leichten Gewichtes oft in der Luft hängt.

Von der BHG Tröglitz, [Bezirk] Halle, wurde an die LPG Tröglitz für eine 7-ha-Fläche einkeimiger Zuckerrübensamen geliefert, der keimunfähig ist und nicht aufgeht. (Die Fläche musste nochmals bestellt werden.)

Übrige Bevölkerung

Die übrige Bevölkerung beteiligt sich nach wie vor nur wenig am politischen Tagesgeschehen. Das Interesse an der Genfer Konferenz hat etwas nachgelassen, und die Diskussionen darüber sind ein wenig schwächer geworden, wobei jedoch der positive Charakter überwiegt. Hierzu ein Beispiel: Ein parteiloser Lehrer in Eisenberg, [Bezirk] Gera: »Der bisherige Verlauf der Konferenz in Genf ist ein Erfolg der Mächte des Friedenslagers. Die Uneinigkeit der Westmächte ist auf die zunehmende Stärke der Friedenskräfte innerhalb der kapitalistischen Länder zurückzuführen, die auf ihre eigenen Regierungen einen Druck ausüben.«

Über den National-Kongress wurde nur ganz vereinzelt gesprochen, dabei aber positiv. Ein Mitarbeiter des Kreisvorstandes der LDPD in Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, erklärte: »Ich war ehemaliger aktiver Offizier und ich kenne den Krieg und seine Qualen. Ich will nicht noch einmal erleben, dass Millionen Menschen Opfer eines imperialistischen Krieges werden, deshalb begrüße ich den Nationalkongress und werde mich immer dafür einsetzen, den Menschen die Bedeutung des Kongresses vor Augen zu führen, damit keiner mehr abseits steht.«

Der Einfluss der Kirche im Bezirk Schwerin bis in die Reihen der Partei und FDJ zeigt sich an folgenden Beispielen: Der Parteisekretär aus Wustrow, [Bezirk] Schwerin, sammelte in aller Öffentlichkeit für die Kirchgemeinschaft und ersuchte den Leiter der Grenzkommandantur zur Eintragung in die Spendenliste.

Ein FDJ-Funktionär aus Burow, [Bezirk] Schwerin, arbeitet aktiv in der »Jungen Gemeinde« und die Gemeindesekretärin dieses Ortes schreibt mit Wissen des Bürgermeisters Einladungen auf der Schreibmaschine zum Treffen der »Jungen Gemeinde«.

Der Pfarrer aus Lenzen, [Bezirk] Schwerin, brachte bei der Beerdigung eines ehemaligen Gutsbesitzers Folgendes zum Ausdruck: »Er hat sich alles mit seinen eigenen Händen aufgebaut und dann wurde er von seiner Heimat vertrieben.«

Zur Republikflucht unter der Ärzteschaft äußerte sich ein Professor der chirurgischen Universitätsklinik in Jena, [Bezirk] Gera, wie folgt: »Die Ärzte gehen wohl darum nach dem Westen, weil in der DDR die leitenden Arztstellen nicht nach fachlichen, sondern nach politischen Gesichtspunkten besetzt werden.«

In einer Versammlung am 11.5.1954 erhoben die Angestellten der Abteilung Schädlingsbekämpfung im Magistrat von Groß-Berlin, Poststraße 13/14 einen heftigen Protest gegen das Verhalten der Direktion sowie der Kaderabteilung. Die Ursache dazu waren die Entlassungen bzw. Kündigungen von 30 Angestellten. Beide, die Direktion und die Kaderabteilung, erachteten es nicht für notwendig, die Abteilungsleiter, die BGL und die Belegschaft vorher davon in Kenntnis zu setzen. In der heftigen Diskussion kam unter anderem zum Ausdruck, dass man auch bei den oberen Stellen abbauen soll. Ein Angestellter hetzte zum Streik. Die Stimmung ist sehr gespannt.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des Ostbüros der SPD:12 Potsdam 10 300, Dresden 700, Karl-Marx-Stadt einige, Erfurt 2 000.

Hetzschriften der NTS:13 Potsdam 2 000, Dresden 425, Karl-Marx-Stadt 5 600, Erfurt einige, Gera 3 000, Halle 30.

Hetzschriften der freien Jungen Welt:14 Potsdam 80, Dresden 30.

Liga für Völkerverständigung: Potsdam 8 800.

in Form von Friedenstauben: Potsdam 1 500.

UFJ:15 Potsdam 100.

Hetzschriften des Ostbüros der KgU:16 Potsdam 30, Dresden einige Exemplare.

Hetzschriften des Ostbüros der FDP: Dresden 300.

Hetzschriften in tschechischer Sprache: Dresden 21, Karl-Marx-Stadt 200 Stück.

Inhalt der Hetzschriften: Hetze gegen den IV. Parteitag,17 Hetze gegen das Deutschlandtreffen und Hetze gegen die Sowjetunion. Hetze gegen die Regierung der DDR, Hetze gegen die Vier-Mächte-Konferenz18 und Hetze gegen den 1. Mai [1954].

Antidemokratische Handlungen

In der Gemeinde Breitungen, [Bezirk] Suhl, wurden einige Plakate für das II. Deutschlandtreffen heruntergerissen.

In der Gemeinde Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erhielt ein Rentner eine schriftliche Einladung zum Treffen der »Sudeten-Deutschen« am Pfingstsonntag um 12.00 bis 14.00 Uhr im Café »Löwenbräu« des Ortes.

Der DGB verschickt Briefe an die Jugendlichen und Erwachsenen der DDR mit der Aufforderung, am Deutschlandtreffen nicht teilzunehmen.

Trapo-Angehörige19 sichteten ein unbekanntes Flugzeug über dem Gebiet Teltow, [Bezirk] Potsdam, das dort Ballons absetzte. In Ziezow, [Bezirk] Potsdam, wurde ein Ballon mit Flugblättern und einer Lunte mit Brandsatz gefunden.

In Belzig und Potsdam wurden Staniol-Streifen auf elektrischen Lichtleitungen aufgefunden, die Kurzschluss verursacht hatten. Im VEB Maschinenbau Görlitz wurde mittels Feuerwehrschlauch ein Materiallager unter Wasser gesetzt (pro Minute 20 Liter) und die Eisenteile zum Rosten gebracht.

In der HO-Verkaufsstelle des Phänomenwerkes Zittau,20 [Bezirk] Dresden, verderben 25 Kilo Butter. In Zittau wurde daraufhin das Gerücht verbreitet, dass »in der HO große Mengen Butter verdorben sind!«.

Im Gebirgsort Waltersdorf, [Bezirk] Dresden, wird das Gerücht verbreitet, dass die tschechischen Grenzer jeden festnehmen, auch wenn er sich auf deutschem Gebiet befindet.

Brände

In Übigau, [Bezirk] Dresden, entstand bei einem Mitglied der DBD ein Scheunenbrand. Ursache unbekannt.

Im VEB Textil- und Gummiwerk Wenrersdorf,21 [Bezirk] Dresden, brannten in der Nacht vom 14. zum 15.5.1954 zwei Webstühle. Ursache unbekannt. Schaden gering.

In Neukirch, [Bezirk] Dresden, brannten bei einem Mittelbauern Scheune und Stallungen völlig nieder. Brand bedrohte die Leder- und Kofferfabrik. Ursache nicht bekannt. Schaden DM 30 000.

In einem Flugblatt mit der Überschrift: »Kommt nach Berlin!«, unterzeichnet mit »Freie Junge Welt« werden die FDJler wieder aufgefordert, während des II. Deutschlandtreffens nach Westberlin zu kommen. Als Treffpunkt wird der Funkturm angegeben. Dazu wird geraten, einen Pullover mitzunehmen und einen Stadtplan zu besorgen. Weiterhin ergeht die Aufforderung an die FDJler, sich nicht an der FDJ-Schulung und an den Vorbereitungen für das II. Deutschlandtreffen zu beteiligen, denn, so heißt es wörtlich: »Braucht ihr Euch keine Sorgen um die Erlangung einer Fahrkarte zu machen. Weder Aufbauschichten noch Geldspenden oder gar politische Aktivität sind erforderlich, um nach Berlin zu fahren. Die Fahrkarte kriegt ihr geschenkt. Deshalb macht keinen Finger für sie krumm!«

Einschätzung der Situation

Über den II. National-Kongress ist in der Bevölkerung sehr wenig bekannt geworden, diskutiert wird fast gar nicht darüber. Sonst hat sich keine wesentliche Veränderung in der Lage ergeben.

Anlage 1 vom 15. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2208

Landwirtschaft

Nachfolgend einige negative Einzelbeispiele über das Verhalten und die Einstellung von Mitgliedern und Funktionären unserer Partei in verschiedenen Gemeinden des Bezirkes Schwerin.

In einem Gespräch zwischen einem Bauer (SED) und dem Parteisekretär in der Gemeinde Renzow zeigte sich bei dem Bauer (Neubürger)22 eine feindliche Einstellung gegenüber der Oder-Neiße-Grenze und vor allem gegenüber der Sowjetunion. Zum Beispiel sagte er unter anderem: »Was wollen denn die ›Russen‹ überhaupt noch hier, sie sollen machen, dass sie fortkommen.« Als der Parteisekretär ihn zurechtwies, sagte er: »Ach so ein Hund bist du, mach bloß, dass du fortkommst.«

In der Gemeinde Steinhagen wurde in einer Versammlung unter anderen auf die Notwendigkeit der Festigung der Freundschaft mit der Sowjetunion hingewiesen, daraufhin verließen mehrere Bauern, darunter auch der Parteisekretär, die Versammlung.

In der Gemeinde Domsühl erklärte der Bürgermeister (SED), dass seine Frau zum Unterschriftensammeln für die Ächtung der Atomwaffe zu schade sei.

Der Parteisekretär aus der Gemeinde Schlieven erklärte während eines Zirkels des Parteilehrjahres: »Molotow23 hat sich in Berlin24 nur sattgefressen und auf der Genfer Konferenz wird er die DDR verkaufen.«

In der »Märkischen Volksstimme«25 des Kreises Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, wurde kürzlich berichtet, dass die Pflanzkartoffelversorgung 100 Prozent gesichert ist. Das entspricht nicht den Tatsachen und deshalb sind die Bauern verärgert und bringen zum Ausdruck: »Dass man es in der Presse ruhig wahrheitsgetreu schreiben soll, dass für den Kreis noch ca. 1 100 dz Pflanzkartoffeln fehlen.«

Anlage 2 vom 14. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2208

Tätigkeit der Westsender

Die Sendungen des RIAS und anderer Westsender richten sich zurzeit gegen den Besuch von Arbeiterdelegationen aus Westdeutschland in der DDR, gegen Sonn- und Feiertagsentladung der Waggons bei der Reichsbahn, gegen die SED im Zusammenhang mit der Wahl in Westberlin,26 gegen Erziehungswesen und Schule in der DDR. Eine Sendung: »Stimme Amerikas« richtet sich gegen die Arbeitsverhältnisse (»Überstunden und Ausbeutung«) in der DDR und propagiert »Streikrecht und 40-Stunden-Woche«. In weiteren Sendungen spricht RIAS von Normenerhöhungen und »Protesten« der Arbeiter dagegen.

Neu sind Sendungen des RIAS, welche die Zersetzung der KVP zum Ziele haben.27 In seinen Ausführungen hetzt der RIAS gegen die Disziplin, die Schulung und gegen zuverlässige KVP-Angehörige, die er Radfahrer nennt. Er fordert die KVP-Angehörigen zur Disziplinlosigkeit, zur Entfernung der zuverlässigen KVP-Angehörigen und zum Widerstand gegen die Offiziere auf. Er warnt die KVP-Angehörigen vor den Zuverlässigen beim Abhören der Sendungen und rät ihnen, bei deren Auftreten, die Sendung sofort zu [tarnen].28 Bei den Absperrmaßnahmen zum Pfingsttreffen empfiehlt er, beide Augen zuzudrücken und nur zur eigenen »Sicherheit« in ihrer Einheit recht weit offenzuhalten. Des Weiteren brachte RIAS Verleumdungen über die Leitung der Betriebsparteigruppe der Filmwerke Agfa – Wolfen. In einer anderen Sendung werden die Produktionsergebnisse im 1. Quartal 1954 benutzt zu der Behauptung, dass die DDR nicht in der Lage ist, den neuen Kurs und den Beschluss über die zusätzliche Massenbedarfsgüterproduktion zu verwirklichen.29

Der Hamburger Sender30 argumentiert gegen die Souveränität der DDR.31 Der RIAS versucht Stimmung zu machen gegen das II. Deutschlandtreffen mit den Behauptungen, dass angeblich bei der Werbung die geplanten Teilnehmerzahlen nicht erreicht würden und dass der Zentralrat der FDJ »Provokationen« in Westberlin zu Pfingsten geplant hätte.

Der RIAS hetzt gegen Planwirtschaft, Normen und Arbeitsverhältnisse in der DDR. Mit Verdrehung der Tatsachen über die Planerfüllung, Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Herstellung von Massenbedarfsgütern versucht der RIAS die Werktätigen der DDR gegen Planwirtschaft und Normen aufzuhetzen. Er beruft sich dabei auf den diesjährigen Bericht der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik32 und bemüht sich, nachzuweisen, dass auf die »falsche Planung im Volkswirtschaftsplan 1954« und die »Nichterfüllung der Pläne« eine Normenerhöhung erfolgen wird. Er fordert wörtlich: »Nicht die Arbeitsleistung muss erhöht werden, sondern die Planung und die Wirtschaftsführung müssen revidiert werden.« In der Absicht, die Arbeitsbedingungen in der DDR zu verfälschen, spricht der RIAS viel über die angebliche »Nichteinhaltung« der Arbeitsschutzbestimmungen und zählt »120 Fälle von Gasvergiftungen auf, die er monatlich im VEB Eisenwerk West in Calbe« festgestellt haben will.

Anlage 3 vom 15. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2208

VII. Internationale Radrennfahrt für den Frieden33

Der Ruhetag der Friedensfahrer in Bad Schandau, [Bezirk] Dresden, verlief ohne Vorkommnisse. Über die Organisation sprachen sich die Teilnehmer lobend aus.

Stimmen zur Friedensfahrt

Ein großer Teil der Stimmen befasst sich mit den Materialschäden der deutschen Mannschaft und versucht sie zu erklären.34 Dabei werden vereinzelt negative Meinungen geäußert. Ein Pförtner aus Mylau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es kann hier doch irgendetwas nicht stimmen, wenn unsere Friedensfahrer laufend mit Materialschäden zu kämpfen haben.« Ein Jugendlicher aus Mildenau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin der Meinung, dass man hier an den Rädern unserer Fahrer Sabotagetätigkeit betrieben hat.«

Ein Arbeiter aus der Vulkanisieranstalt Nordhausen, [Bezirk] Erfurt: »Ich kann nicht verstehen, dass man unsere Fahrer mit so schlechten Reifen versorgt hat. Die Argumente, dass das Material aus Westberlin ist, können meiner Meinung nach nicht überzeugen, eher ist das Sabotage. Denn wir hatten die Möglichkeiten, in den volksdemokratischen Ländern einzukaufen. Die Verantwortlichen müssen bestraft werden.«

Ein Angestellter der Buchhaltung aus dem VEB Waggonbau Bautzen: »Es wird immer der Standpunkt vertreten, nicht im Westen einzukaufen, da das eine Unterstützung der Kapitalisten sei. Deshalb kann ich nicht verstehen, weshalb für die Friedensfahrer in Westberlin eingekauft wurde.«

Ein Grubenarbeiter des Stahlwerkes Gröditz, [Bezirk] Dresden: »Warum hat man die Bereifung im Westen gekauft. Man musste doch vorher wissen, dass die Volksdemokratien bessere Reifen haben. Genauso ist es mit unseren Fahrradschläuchen. Da hält schon keine Luft, wenn sie neu sind. Umgetauscht bekommt man sie auch nicht.«

Einige Arbeiter im Görlitzer Maschinenbau diskutierten, dass die Siege der polnischen Mannschaft nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnten.

Ein Angestellter aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Diese Fahrt hat doch mit einer Friedensfahrt nichts zu tun, weil die Friedensfahrer mit dem Zug über die Staatsgrenzen gefahren werden. Man traut niemandem, und sowas heißt Friedensfahrt.«

Die Heimleiterin der Kreispflegeanstalt Löbichau, [Bezirk] Leipzig: »Ich und viele meiner Kollegen sind der Meinung, dass der Artikel im »Neuen Deutschland« vom 12.5.[1954], besonders aber der Satz vom Kampfgeist, den unsere Mannschaft in den entscheidenden Augenblicken nicht aufgebracht haben soll, verkehrt und widersinnig ist. Ich bin direkt darüber erbost. Denn was unsere diesmal leisteten, ist einmalig, dauernd haben sie Reifenpannen und anderes mehr und haben doch nicht den Mut verloren.«35

Ein Angestellter aus den Glashütter Uhrenbetrieben, [Bezirk] Dresden: »In Presse und Rundfunk wurde bekannt gegeben, dass der hohe Materialausfall bei den von Westdeutschland gelieferten Rahmen auf Sabotage zurückzuführen ist.36 Wenn unser Rundfunk weiter so gegen den Westen hetzt, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir keine Einigung im gesamtdeutschen Sportverkehr erreichen und dass auch die Herstellung der Einheit Deutschlands darunter leidet.«

Der Mannschaftsbetreuer der Triester Friedensfahrer sagte, dass er sehr von der Begeisterung unter der Bevölkerung überrascht sei. Besonders beeindruckt hat ihn in Görlitz, dass die Bevölkerung die Friedensfahrer schon auf der halben Brücke empfangen hätten und er nichts von einer gewissen Spannung gemerkt habe; weiter, dass die Mannschaften verschiedener Nationen es nicht verstehen können, dass ihr so viel Polizei habt. Damit meinte er die KVP, die kompanieweise an der Strecke gestanden hätten, als sie durch Dresden fuhren. Außerdem verstanden viele Fahrer nicht, dass FDJler mit Gewehren am Straßenrand standen.

Anlage 4 vom 13. Mai 195437 zum Informationsdienst Nr. 2208

Über die Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen der FDJ

Folgende Stimmen wurden uns zum II. Deutschlandtreffen der FDJ bekannt: Ein Jugendfreund aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich fahre nicht mit, da der Gegner bestimmt wieder eine Provokation vom Stapel lassen wird und ich habe keine Lust, mir die Knochen zerschlagen zu lassen.«38

Ein Jugendfreund von der MTS Niedersachswerfen, [Kreis] Nordhausen, [Bezirk] Erfurt: »Ich fahre nicht mit nach Berlin, denn da muss ich doch nur den ganzen Tag durch die Stadt latschen und ich habe nichts davon. Deshalb bleibe ich zu Hause.« Ein Jugendlicher derselben MTS äußerte: »Ich fahre mit nach Berlin, aber auf alle Fälle gehe ich mal in den Westsektor. Ich will mal sehen, was es drüben alles gibt und was da los ist.«

Ein Jugendlicher aus Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt: »Ich muss mein Geld für einen Ferienplatz sparen. Außerdem habe ich vom Demonstrieren zum I. Deutschlandtreffen39 oder zu den Weltfestspielen genug. Wenn ich angeln gehe, habe ich keine Angst, dass es mit der Verpflegung nicht klappt oder dass ich auf Stroh frieren muss.«

Ein Jugendlicher aus dem »Ernst-Thälmann«-Werk in Saalfeld40 äußerte: »Ich lehne die Teilnahme am Deutschlandtreffen in Berlin ab, weil meine Eltern nicht haben wollen, dass wir in Westberlin zusammengeschlagen werden.«

Schwierigkeiten wurden uns aus den Bezirken Suhl, Rostock und Halle berichtet. Im VEB »Ernst-Thälmann«-Werk,41 [Bezirk] Suhl, haben sich 38 Freunde in die Teilnehmerlisten eintragen lassen. Davon ließen sich bereits 28 streichen, mit der Begründung, dass sie kein Geld haben.

In der Farbenfabrik Wolfen-Bitterfeld, [Bezirk] Halle, treten Schwierigkeiten in der Form auf, dass eine Reihe Jugendliche, welche mitfahren wollten, jetzt ihre Meldung zurückziehen, weil sie angeblich DM 15,00 nicht bezahlen könnten. Auf der Mathias-Thesen-Werft in Rostock sind sehr viele Jugendliche, die am II. Deutschlandtreffen teilnehmen würden, jedoch haben sie Geldschwierigkeiten.

In der Gemeinde Warthe, [Kreis] Templin, wird zu Pfingsten ein Treffen der »Jungen Gemeinde« geplant. Initiator dieses Treffens ist der Pfarrer der Gemeinde.

Aus Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, wird uns berichtet, dass das Werbesoll für die Teilnahme am II. Deutschlandtreffen 100-prozentig erfüllt ist.

In Rudolstadt, [Bezirk] Gera, wurden erst 30 Prozent des Werbesolls (Teilnahme am II. Deutschlandtreffen) erfüllt.

Anlage 5 vom 15. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2208

Stimmen zur Churchill42-Rede

Über die Erklärung des englischen Ministerpräsidenten hinsichtlich der britisch-sowjetischen Beziehungen wird noch immer wenig diskutiert.43 Meist nehmen nur Genossen unserer Partei sowie andere politisch interessierte Menschen aus den verschiedensten Bevölkerungskreisen dazu Stellung. Größtenteils wird zum Ausdruck gebracht, dass die Haltung Churchills bestimmt wird, durch die wachsenden Friedensbestrebungen des englischen Volkes und zum anderen wird es als ein Erfolg des Weltfriedenslagers gewertet.

Ein Angestellter (SED) beim Rat des Kreises Greiz: »Churchill hat schon 1953 durchblicken lassen, dass er eine bessere Außenpolitik zur SU wünscht. Für mich ist das ein Beweis, dass das Friedenslager in der Welt immer mehr seine Stimme geltend macht.«

Ein Angestellter der Reichsbahn Berlin: »Ich erkläre mir die Haltung Churchills daraus, weil er weiß, dass sein Stuhl wackelt, trägt er dem englischen Volke Rechnung, das friedliche Verhandlungen mit der SU anstrebt. Dieses zeugt auch davon, dass die SU eine mächtige Kraft ist und Churchill diese als Politiker mit Weltruf anerkennen muss.«

Ein Schlosser aus Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Endlich kommen auch die Engländer zur Einsicht, dass die SU die stärkste Friedensmacht der Welt ist, deren Bestrebungen nur auf eine friedliche Zusammenarbeit mit allen Völkern gerichtet sind.«

Ein Arbeiter aus dem demokratischen Sektor von Berlin: »Die Stellungnahme Churchills zeigt, wie sehr die Imperialisten in England gezwungen sind, aufgrund der Haltung der Werktätigen, eine Abgrenzung von den Kriegsplänen der USA durchzuführen. Man darf aber diese Äußerungen nicht als Maßstab der grundsätzlichen Einstellung Churchills werten, denn wenn der Kampf der Friedenskräfte nachlassen würde, wäre Churchill derjenige, der sofort wieder umschwenken würde.«

Ein Arbeiter aus der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Wenn die Worte Churchills ehrlich gemeint sind, dann wäre das nur zu begrüßen. Wahrscheinlich ist man zur Einsicht gekommen, wie stark das Friedenslager ist und dass man diese Bewegung nicht mehr beiseiteschieben kann. Verschiedentlich wird die Meinung vertreten, dass die Ausführungen Churchills zeigen, dass England scheinbar nicht mehr gewillt ist, sich von den USA länger bevormunden zu lassen. Das wird die Spaltung innerhalb des imperialistischen Lagers wesentlich vertiefen.«

Ein Schlosser aus dem demokratischen Sektor von Berlin: »Churchill hat seine Äußerungen bestimmt nicht so ohne Weiteres gemacht. Sein Ziel ist es, aus der Krise, in der sich auch England befindet, herauszukommen. Ferner ist er gezwungen zu solchen Erklärungen, wenn England aus den Klauen Amerikas herauskommen will.«

Der Kreissekretär der CDU aus dem Kreis Suhl: »Der Riss zwischen England und Amerika wird immer tiefer. Das englische Volk erkennt die Bevormundung durch die USA und verspürt die wirtschaftlichen Veränderungen in seinem Lande. In kurzer Zeit nahm die Entwicklung eine derartige Form an, dass der Bruch zwischen England, Frankreich und Amerika immer krasser wird.«

Ein Angestellter der S-Bahn Berlin: »Ich bin mächtig erstaunt, wie sich Churchill umgestellt hat. Man sieht, wie es auf der ganzen Linie vorwärts geht. England war einmal eine Weltmacht, ist aber in große Abhängigkeit von Amerika geraten. Jetzt sehen es auch diese Staatsmänner ein, dass ihr Land nur dann die Selbstständigkeit behalten wird, wenn sie ihren bisherigen Kurs ändern und die Beziehungen zum Osten aufnehmen und festigen.«

Ein Angestellter aus Potsdam: »Durch den Druck der Arbeiterklasse in Italien, England und Frankreich hat Churchill diese Erklärung abgegeben. Zum anderen versucht er als Geschäftsmann die Annäherung an die SU, um sich von den Amerikanern unabhängig zu machen.«

Unter anderem argumentiert man in der Form, dass England in erster Linie aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus eine Annäherung an den Osten sucht. Ein Bauer aus Worbis, [Bezirk] Erfurt: »Churchill versucht jetzt, mit der Sowjetunion Kontakt zu bekommen, weil er merkt, dass bei den Amerikanern nicht mehr zu erben ist. Mit seiner Erklärung will er sich jetzt im Osten Absatzgebiete schaffen.«

Ein Arbeiter vom [Wismut-]Schacht 8b44 Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »England ist ein Land von Geschäftsleuten und diese erkennen jetzt, wo Amerika mit seiner Politik hinwill. Sie merken nun, dass mit der SU wirklich ein gesunder Handel geführt werden kann. Es zeugt auch weiterhin davon, dass Churchill die Stärke der Politik der SU anerkennt.«

Ein Schneidermeister aus Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »Churchill ist ein sehr vorsichtiger und kluger Diplomat. Wenn er durch seine Erklärung die Freundschaft mit der SU beteuert, so hat er dabei das Geschäft im Auge. England will mit der Sowjetunion Handel treiben und deshalb gab Churchill wohl auch diese Erklärung ab.«

Ein Angestellter der S-Bahn Berlin: »Na, ich glaube ja nicht, dass Churchill sich in letzter Zeit so geändert hat, dass er voll und ganz auf unsere Seite getreten ist. Er war doch immer als Kriegshetzer Nr. 1 bekannt. Ich bin der Meinung, dass er dem englischen Kapital Rechnung tragen muss, das sich völlig in der Abhängigkeit der USA befindet, denn eine Anerkennung des Friedenslagers und ein richtiger Handelsvertrag mit ihnen kann die wirtschaftliche Lage in England verbessern.«

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