Direkt zum Seiteninhalt springen

Zur Beurteilung der Situation

10. August 1954
Informationsdienst Nr. 2283 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Diskussionen über politische Tagesfragen haben nur einen geringen Umfang. Zum großen Teil herrscht hierzu Interesselosigkeit. Man beschäftigt sich hauptsächlich mit wirtschaftlichen Fragen. So erklärte z. B. ein Hilfsarbeiter im VEB Drehmaschinenwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Was nützt denn das ganze Gerede und Geschrei, was hier veranstaltet wird. Für mich ist maßgebend, was ich mir für mein verdientes Geld kaufen kann und das ist herzlich wenig. Wenn nicht bald eine Preissenkung kommt, werden wir Arbeiter noch gleichgültiger.«

Von den Verkehrsbetrieben Dresden war auf den größeren Straßenbahnhöfen mit ca. 350 bis 400 Beschäftigten eine Versammlung angesetzt, anlässlich des Streiks der Hamburger Arbeiter.1 Da nur 5 bis 6 Kollegen erschienen, musste diese Versammlung abgesagt werden. In einer Flüsterpropaganda in den Verkehrsbetrieben wird zum Ausdruck gebracht, warum sollen wir mit einem Stundenlohn von DM 1,26 uns dafür einsetzen, dass die Hamburger Kollegen ihren Lohn von DM 1,80 erhöht bekommen und die 40-Stunden-Woche eingeführt wird.

Zum Fall Dr. John2 sowie zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten3 haben sich die Diskussionen gegenüber den Vortagen in Inhalt und Umfang nicht verändert.

In einigen Betrieben kam es zu Missstimmungen wegen verschiedener betrieblicher Fragen.

Eine Fluktuation von Arbeitskräften besteht im VEB Papierfabrik Penig, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, da die Entlohnung gegenüber den anderen Industriezweigen zu niedrig sei. Vom Ministerium für Leichtindustrie wurde in der vergangenen Woche für Kalanderführer und Gehilfen [der Lohn] um DM 0,05 pro Stunde erhöht. Das löste bei den anderen Arbeitern Unzufriedenheit aus. Es wurden Stimmen laut wie: »Wir verlassen alle den Betrieb, dann können die das Papier herstellen, die in der Verwaltung sitzen und nicht wissen, warum sie ihr Geld bekommen.« Von gegnerischen Elementen wird diese Situation ausgenutzt, um Missstimmung hervorzurufen. So erklärte z. B. ein parteiloser Arbeiter in Gegenwart von 25 Kollegen: »In Westdeutschland streiken die Arbeiter wegen 10 Pfennigen. Wir stehen in der gleichen Notlage in der Frage der Entlohnung. Wenn unser Lohn nicht erhöht wird, müssen wir uns mit den Westdeutschen solidarisch erklären.«

In den Abteilungen Walzwerk im Thomasstahlwerk in Unterwellenborn4 sind die Meister darüber unzufrieden, dass die Brigadiere mehr verdienen als sie. Die Kumpel der Abteilung Hochofen im gleichen Werk sind darüber unzufrieden, dass sie sonntags 16 Stunden arbeiten müssen. Sie vertreten die Meinung: »Uns verspricht man nur etwas, hält es aber nicht. Die Sorge der Werkleitung und der BGL um den Menschen wird bei uns ganz außer Acht gelassen.«

Der Zusammenschluss des Kreisbauhofs Greifswald mit der Bau-Union Wismar hat unter der Belegschaft des Bauhofes ablehnende Diskussionen hervorgerufen.5 Sie erklärten, dass die Bau-Union immer mit Defizit gearbeitet hat, wogegen der Kreisbauhof ohne Zuschüsse selbst rentabel war. Die Belegschaft des Bauhofes verlangte eine Unterschriftensammlung zur Klärung dieser Frage. Der Parteisekretär des Bauhofes, der in einer Versammlung darüber zur Diskussion sprechen wollte, wurde ausgepfiffen.

Im Steinkohlenwerk Karl-Marx in Zwickau ist in den letzten Tagen die Sollerfüllung um ca. 15 Prozent zurückgegangen, was einerseits auf mangelhafte Arbeitsorganisation, andererseits auf schlechte Arbeitsmoral in einzelenen Abteilungen zurückzuführen ist. Ein Techniker des Werkes erklärte hierzu: »Hier hat vielleicht der Klassengegner seine Hand im Spiele, denn wie kann es vorkommen, dass viele Kumpel keine Lust zum Arbeiten haben, ihnen von den Steigern zugeteilte Arbeiten ablehnen und sehr schlechte Diskussionen über die Normen führen. Mir kommt es so vor, als wenn der Gegner dazu übergeht, langsam zu arbeiten, damit der Plan nicht erfüllt wird.«

Ein Gerücht wird seit ca. drei Wochen auf dem Straßenbahnhof Berlin Lichtenberg verbreitet, wonach sich die Volkskammer mit diesem Bahnhof beschäftigt und eine Lohnerhöhung für Schaffner um DM 0,25 und für Fahrer um DM 0,35 erfolgen sollte. Bei Nichtbewilligung der Lohnerhöhung soll gestreikt werden (noch nicht überprüft).

In der Lehrwerkstatt des Braunkohlenwerkes Rostotz,6 [Bezirk] Leipzig, herrscht unter den Arbeitern und Angestellten Missstimmung darüber, dass die rentenempfangsberechtigten Kollegen, die noch im Betrieb arbeiten, ihre Bergmannsrente ab 1.9.1954 mit versteuern lassen sollen und sie empfinden dies als ungerecht.

Eine schlechte Vorbereitungsarbeit für einen großen Exportauftrag nach Argentinien wird im VEB Transformatorenwerk Oberspree geleistet; obwohl bekannt ist, dass eine Verletzung ausländischer Schutzrechte (Patente und Gebrauchsmuster) für das Herstellerland einen großen finanziellen Schadenersatz bedeutet, hat die Werkleitung noch nichts unternommen, um vor Aufnahme der Arbeit an den Exportauftrag die Patentlage im Auftragslande zu prüfen.

Die zusätzlichen Verpflichtungen in der Produktion von Massenbedarfsgütern werden von der örtlichen Industrie im Bezirk Magdeburg teilweise mangelhaft erfüllt. So beträgt z. B. die Verpflichtung im Kreis Schönebeck nur 3,5 Prozent, im Kreis Halberstadt 9,7 Prozent, im Kreis Seehausen 9,8 Prozent. In den Kreisen, die über der Durchschnittserfüllung liegen, ist dies meist nur einzelnen Betrieben zu verdanken. Zum Beispiel ist die Erfüllung im Kreis Salzwedel mit 116,6 Prozent darauf zurückzuführen, dass der VEB (K) Kunststeinwerk Bornsen seine Verpflichtung mit ca. 200 Prozent übererfüllt hat. Ferner ist die Übersicht über die anfallenden und unverteilten örtlichen Reserven in allen Kreisen außer Magdeburg ungenügend.

Im Kraftwerk Finkenheerd, [Bezirk] Frankfurt/Oder, kam es in der letzten Zeit mehrmals zu Produktionsausfällen durch Kabelbrände. Der gesamte Schaden der Produktion beträgt 30 [000] bis 40 000 DM. Die Ursache ist eine Überalterung sowie schlechte Lagerung der Kabel.

Am 7.8.[1954] entgleiste im Leuna-Werk ein Kohlenzug aus noch unbekannten Gründen. Ein Sachschaden von 15 000 DM entstand dabei.

Handel und Versorgung

Überplanbestände bzw. dem Verderb ausgesetzte Waren

Im Kreis Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, lagern Fleischkonserven in Schwarzblechdosen aus Staatsreserven mit dem Verfallstermin 31.7.1954. Ein Teil davon wurde bereits wegen begrenzter Haltbarkeit zu Einkaufspreisen ohne Handelsspanne verkauft. Weitere Verkäufe zu herabgesetzten Preisen sind von der Bezirksverwaltung Handel untersagt worden, sodass 1,4 t dem Verderb ausgesetzt sind. Maßnahmen zwecks Abhilfe wurden eingeleitet.

Im Bezirk Frankfurt lagern ebenfalls große Mengen Fleischkonserven mit Verfallstermin, die wegen der jetzigen Preise nicht abgesetzt werden können.

Mängel in der Verteilung

Kartoffeln und Gemüse. In verschiedenen ländlichen Gemeinden des Bezirkes Rostock treten immer noch Stockungen in der Versorgung mit Frühkartoffeln auf, die auf schlechte Warenstreuung im Bezirksmaßstab zurückzuführen sind. Ein Mangel an Frühkartoffeln macht sich auch in Vockerode, [Bezirk] Halle, Worbis, [Bezirk] Erfurt,7 und Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, bemerkbar.

Im Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, mangelt es an Gemüse.

Fleisch- und Wurstwaren

In einigen Kreisen des Bezirkes Potsdam, z. B. Belzig, Pritzwalk, ist die Belieferung mit HO-Fleisch wieder schlechter geworden. Das Gleiche trifft auch für den Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, zu. In den Ostseebädern Rostock fehlt es verschiedentlich an Bockwürsten.

Im Bezirk Schwerin bestehen weiterhin Schwierigkeiten in der Belieferung mit Frischfleisch (HO) und Fleischkonserven.

Margarine (HO) fehlt in verschiedenen Kreisen des Bezirkes Neubrandenburg.

Fischwaren fehlen im Bezirk Schwerin und im Kreis Worbis.

Zigarettenmangel (billige Sorten) besteht in einigen Kreisen des Bezirkes Suhl, den Bezirken Cottbus und Schwerin. Hierüber werden negative Diskussionen geführt.

In Plan,8 [Bezirk] Schwerin, sagte ein Arbeiter hierzu: »Die schlechte Zigarettenversorgung ist bestimmt nicht im Sinne des neuen Kurses,9 oder ist der Neue Kurs schon wieder hinfällig?«

Der Mangel an Fahr- und Motorrädern im Kreis Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, und im Bezirk Halle, wo z. B. in Zeitz nahezu 300 Vorbestellungen (ein großer Teil vor einem Jahr) getätigt wurden, führt immer wieder zu negativen Diskussionen, die von den Interzonenreisenden unterstützt werden. Die Interzonenreisenden erzählen, dass es in Westdeutschland solche Mängel nicht gibt und schüren dadurch noch die Unzufriedenheit.

In Waldheim, Döbeln, [Bezirk] Leipzig, wird von einer Einwohnerin das Gerücht verbreitet, dass im September eine Preissenkung in Höhe von einer Milliarde DM durchgeführt wird, die HO träfe schon die Vorbereitungen hierzu. Allgemein geht in Waldheim das Gerücht um, dass schon allein durch die bevorstehenden Wahlen eine Preissenkung erfolgen müsse.

Landwirtschaft

In politischer Hinsicht ist aus der Landbevölkerung nichts Neues zu berichten. Außer einigen Stimmen zur Genfer Konferenz10 und zur bevorstehenden Volkskammerwahl11 sind keine Diskussionen über politische Tagesfragen bekannt geworden. Die Stimmen zur Genfer Konferenz haben den bereits bekannten Inhalt. Die bekannt gewordenen Stimmen zur Volkskammerwahl sind ausschließl. positiv und bringen durch einige Selbstverpflichtungen werktätiger Bauern ihre Verbundenheit mit unserer Regierung zum Ausdruck.

Der ÖLB Nadrensee,12 [Bezirk] Neubrandenburg, ging die Verpflichtung ein, sein Getreidesoll bis 20.8.1954 und sein Jahressoll an Rindfleisch bis zum 10.8.1954 zu erfüllen und 2 000 l Milch über das Soll als Freie Spitzen13 zu liefern. Ähnliche Verpflichtungen wurden aus den Bezirken Schwerin und Leipzig bekannt.

Im Vordergrund der Diskussionen der Landbevölkerung stehen nach wie vor die wirtschaftlichen Fragen. In Bezug auf die Ernte wird aus allen Bezirken, bis auf einige örtliche Mängel in einzelnen Bezirken, das Einbringen des Getreides als zufriedenstellend bezeichnet. Mängel zeigen sich noch vielfach im Einsatz der MTS, durch das Fehlen von Schichtfahrern und Traktoristen (teilweise), sowie auch durch schlechte Arbeitsorganisation. Ebenso durch das Fehlen von Ersatzteilen und nicht einsatzfähigen Maschinen, wie z. B. in den MTS-Bereichen Kreis Jessen, [Bezirk] Cottbus, Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, MTS Polkenberg, [Bezirk] Leipzig, MTS Burghartstein, [Bezirk] Leipzig, MTS Bannewitz, [Bezirk] Dresden.

Über Nichteinhaltung der Verträge seitens der MTS Breitungen, [Bezirk] Suhl, beklagt sich die LPG dieses Ortes. Ebenso die LPG Flechtingen über ihre MTS.

Die Bauern im Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle, sind darüber empört, dass trotz der eingeplanten Stromentnahme während der Druschzeiten Energie nur in ungenügendem Maße zur Verfügung steht.

Im Kreis Lobenstein,14 [Bezirk] Gera, und in Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt, führen die Bauern Klage über die Wildschweinschäden. Der größte Teil des mit Erbsen bebauten Landes der LPG Heiligenstadt, worauf ein hohes Soll steht, wurde von den Wildschweinen verwüstet. Der LPG-Vorsitzende sagt, dass hier unbedingt etwas getan werden muss.

In einer Gemeindevertretersitzung der Gemeinde Craula, [Bezirk] Erfurt, machte der Instrukteur des DBD die Gemeindevertreter auf folgendes Gerücht aufmerksam: »In diesem Jahr wird die Brotkarte wieder eingeführt. Die Bauern sollen aus diesem Grunde ihr Getreide nur zu 50 Prozent abliefern.«

Aufgrund der verstärkt auftretenden Schweinepest im Bezirk Magdeburg wurde eine Überprüfung der Schweineställe unternommen. In dem VEG Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, wurde festgestellt, dass die Mastanlage nicht umzäunt ist, sodass zu jeder Zeit Hunde in die Ställe eindringen können. Im Zuchtstall stehen die Mutterschweine und Ferkel bis zu 5 cm bei Regenwetter im Wasser, da kein Abfluss vorhanden ist. Außerdem wurden noch andere Missstände festgestellt, die zur Verkümmerung der Schweine und zur Verbreitung der Schweinepest geeignet sind. Im VEG Warsleben, [Bezirk] Magdeburg, wurden ähnliche Zustände festgestellt. Dort setzt sich die Betriebsleitung hauptsächlich aus ehemaligen Offizieren und Nazis zusammen.

Übrige Bevölkerung

Über politische Tagesfragen wird unter der übrigen Bevölkerung sehr wenig gesprochen. Vereinzelt diskutiert man über die Volkskammerwahlen im Oktober. Der Umfang und der Inhalt der Stimmen haben sich gegenüber dem Vortage nicht verändert. Neben den positiven Stimmen, die eine gemeinsame Kandidatenliste der Nationalen Front begrüßen,15 gibt es auch negative Stimmen, die eine Parteiwahl fordern. In den negativen Diskussionen treten besonders die bürgerlichen Parteien in Erscheinung.

In einer Blocksitzung der Gemeinde Königerode, [Bezirk] Halle, sprachen sich die Vertreter der LDPD und CDU dafür aus, dass bei der Volkskammerwahl eine getrennte Liste für alle Parteien aufgestellt werden soll.

Ein Mitglied der CDU aus Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Wenn sich die CDU nicht für Parteiwahlen einsetzt, dann brauche ich auch keine Partei mehr und noch viele werden folgen. Der Augustbeitrag ist der Letzte und dann hat es sich für mich erledigt.«

Zur Regierungserklärung des Genossen Otto Grotewohl16 wurde uns folgende Stimme bekannt. Eine Einwohnerin aus Binz (SED), Bezirk Rostock, äußerte: »Unsere Regierung sollte doch endlich aufhören, dauernd diese Angebote in Bonn zu machen.17 Die reagieren ja doch nicht darauf und wir machen uns nur lächerlich.«

In Halle diskutiert man unter den Eltern, deren Kinder aus der Schule gekommen sind in der Form, dass sie keine Lehrstellen bekommen. Man äußert weiter, »dass die VEB und andere Betriebe nur solche Lehrlinge annehmen, die die 8. Klasse besucht haben. Kinder aus der 6. Klasse, oder 7. Klasse werden abgewiesen. Es werden auch solche abgewiesen, die auf politische Fragen nicht konkret antworten können.« Die Eltern bringen zum Ausdruck, dass doch jeder Jugendliche ein Recht auf Berufsausbildung hätte und ganz besonders in einem Arbeiter- und Bauernstaat. Einige Jugendliche wollen, wenn sie keine Lehrstelle bekommen, nach Westdeutschland gehen.

Gerücht: In der Gemeinde Mestlin, [Bezirk] Schwerin, sind Gerüchte im Umlauf, dass durch die Hochwasserkatastrophe im Herbst wieder Brotmarken eingeführt werden müssten.18

Besonderes Vorkommnis: Bei der Eröffnung des zentralen Pionierlagers Kreis Naumburg, [Bezirk] Halle, sind aus bisher unbekannten Gründen 25 Junge Pioniere umgefallen.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:19 Gera 9 000, Rostock 10 000, Neubrandenburg 5 000, Potsdam 1 636.

KgU:20 Dresden 18, Neubrandenburg 5 000.

UFJ:21 Potsdam 90.

NTS:22 Frankfurt 6 000.

Versch[iedener] Art: Dresden 165, Frankfurt 2 000, Rostock 148, Potsdam 10 000.

Bei den Hetzschriften handelt es sich in den meisten Fällen um solche älteren Datums, die erst jetzt bei den Erntearbeiten auf den Feldern gefunden wurden. Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit: Im Kreis Strausberg, [Bezirk] Potsdam,23 wurde auf einem Weg eine ausgebreitete und mit Steinen beschwerte Hakenkreuzfahne gefunden.

Diversionen: Am 9.8.1954 wurde im Steinkohlenwerk »Martin Hoop« in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ein Flügeleisen ohne Schaft in der Panzerkettenführungsschiene festgestellt, wodurch die Panzerkette brach.

In der Gemeinde Lüttow, Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin, wurde die Zündung eines Mähdreschers verstellt. In der Gemeinde Burow, Kreis Lübz, wurden zwei Reifen eines Strohwagens abmontiert. Beide feindlichen Handlungen waren möglich, weil die Maschinen ohne Bewachung nachts auf den Feldern standen.

In einem Schacht der Wismut AG24 wurde durch das Anbringen von zwei Drahtschlingen ein Anschlag gegen das Leben der Kumpel und die Produktion versucht. Die Schlingen aus sehr feinem Draht waren so angebracht, dass die Lockfahrer [sic!] beim Durchfahren der Strecke mit dem Kopf hängenbleiben und tödlich verletzt werden konnten.

Lage in Westberlin

Vom Deutschen Roten Kreuz, Berlin-Friedenau, Bundesallee 73 werden an Bewohner des demokratischen Sektors Briefe mit der Aufforderung, sich Pakete abzuholen, versandt.25

Anlage 1 vom 10. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2283

Produktionsschwierigkeiten wegen Mangel an Material und Arbeitskräften und schlechter Qualität

Im VEB Kfz-Werk »Ernst Grube« in Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, musste am 9.8.[1954] die Produktion am Band wegen Materialschwierigkeiten eingestellt werden.

In der Grube Piskoritz, [Bezirk] Dresden, ist ein Bagger außer Betrieb, weil ein Stahlseil (60 m lang, 12 mm stark) nicht erhältlich ist.

Im VEB Blankschrauben Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, sind die Materialschwierigkeiten so angewachsen, dass voraussichtlich Ende nächster Woche 60 Maschinen stillgelegt werden müssen. Eine Ursache dafür ist, dass in den Walzwerken schwache Abmessungen nur wenig gewalzt werden.

Im VEB Textima Wittenberge,26 [Bezirk] Schwerin, besteht nach wie vor ein Mangel an Automatenstahl. Dadurch kommt es bei den Arbeitern zu Lohnausfällen.

Der VEB Stärkefabrik Severin, Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, der als einiziger Betrieb in der DDR aus Reispudermehl Reisstärke herstellt, hat Schwierigkeiten in der Belieferung mit Reispudermehl, wodurch die Produktion bedeutend gehemmt wird.

Im VEB Waggonbau Görlitz werden sofort 60 Schlosser und 30 Rohrschlosser benötigt, um den Produktionsplan bei Doppelstockwagen und D-Zugwagen bis Ende des Jahres herzustellen. Ein Normeningenieur vom Görlitzer Maschinenbau erklärte: »In der Bearbeitung von Stahlgussstücken aus dem Stahlwerk Riesa entstehen im Betrieb oft Schwierigkeiten. Der Guss von Hennigsdorf27 dagegen ist immer einwandfrei.«

Anlage 2 vom 10. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2283

Stimmung zur Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 24.7.195428

Über die Note der Sowjetunion werden nur noch ganz vereinzelt Diskussionen bekannt, diese sind meist positiv. Man begrüßt die neue Note der SU als erneuten Beweis für den Friedenswillen, zweifelt aber teilweise an einen Erfolg, da man befürchtet, dass die Westmächte auf die Vorschläge nicht eingehen werden. Meist äußern sich Kollegen aus den volkseigenen Betrieben.

Ein Kumpel aus dem [Wismut-]Schacht I aus Johanngeorgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich persönlich habe nicht viel Sympathie für die Russen übrig, aber eins muss man ihnen lassen, sie tun allerhand um den Frieden zu sichern und wenigstens etwas Ruhe und Ordnung auf der Welt zu schaffen, was man vom Ami nicht gerade behaupten kann, das sieht man schon daran, der Ami baut Atomkanonen und der Russe Atomkraftwerke,29 welches mehr nützt ist nicht schwer festzustellen.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Maschinenpappenfabrik in Porstendorf, [Bezirk] Gera: »Ich begrüße die Note der SU an die Westmächte und bin auch für die Einheit Deutschlands, aber ich glaube nicht daran, dass die Sowjetunion etwas erreicht. Der Amerikaner und die SU werden niemals einig, weil jeder seine eigene Politik verfolgt.«

Eine parteilose Arbeiterin aus Gera: »Die Noten der Sowjetunion sind ja doch ganz schön, aber man soll doch endlich auch mal was zustande bringen, damit man auch die Einheit Deutschlands glaubt. Wenn das so weitergeht, verliert man ja den Glauben daran.«

Ein Kumpel aus Karl-Marx-Stadt: »Was hat das für einen Zweck, wenn einer das Gute will und die anderen dagegen sind.«

Anlage 3 vom 10. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2283

Auswertung der Westsendungen

Volkswahlen

Im Rahmen der Hetze gegen die Volkswahlen beschäftigte sich der Sender Freies Berlin mit der Aufstellung der einheitlichen Wahlliste und der Rolle der bürgerlichen Parteien in der DDR.

Der Sender hetzt, dass die SED bereits bei den Volkswahlen 195030 55 Prozent der Abgeordnetenmandate sich angeeignet habe, da neben den eigenen Sitzen der Einfluss in den Massenorganisationen, die immer als kommunistisch bezeichnet werden, vorhanden war.31 Es heißt dann weiter: »Hierzu sind unbedingt hinzuzuzählen die Nationaldemokraten und die Bauernpartei,32 die ja ebenfalls kommunistische Hilfsorganisationen sind.« Nach verleumderischen Ausführungen über die Gründung der NDPD und der DBD spricht der Sender über die Rolle der CDU und LDP, die nach Ausschaltung bestimmter führender Funktionäre, genannt werden Andreas Hermes,33 Jakob Kaiser,34 Ernst Lemmer,35 »die Allgewalt der SED in jeder Form anerkennen«. Aus diesem Grunde sei auch ein größerer Mitgliederschwund zu verzeichnen. Der Sender hetzt dann weiter, dass die bürgerlichen Parteien noch nicht ganz ausgeschaltet werden könnten, »um die demokratische Kulisse« aufrechtzuerhalten.

Landwirtschaft

Der Londoner Rundfunk36 nimmt in einer Sendung zu den aufgestellten Dorfanalysen Stellung.37 Es heißt dazu: »… doch scheint das Ganze mit dem Großangriff der SED auf die Landwirtschaft im Zusammenhang zu stehen«. Die Wiedergabe einzelner für die Analyse aufgestellter Fragen benutzt der Sender zu verleumderischen Anwürfen gegen unsere Partei und Regierung, die sich für alle Fragen des Dorfes interessiere, »die den Machthabern gegenwärtig besondere Sorgen machen«. Zum Abschluss wird aufgefordert, die Fragen so zu beantworten, dass kein genaues und richtiges Bild entsteht.

Immer wieder wird in den Sendungen der Westsender gegen den landwirtschaftlichen Maschinenpark der DDR gehetzt mit dem Ziel, die Landbevölkerung gegen unsere Regierung zu beeinflussen.38 Der RIAS hetzt, dass durch den Nachtdrusch die Maschinen mehr abgenutzt werden und der Nachtdrusch unbedingt eingestellt werden müsste.39 Über die Ersatzteilbeschaffung wird gehetzt, dass dieselben nicht vorhanden sind, da das wertvolle Rohmaterial für Exportaufträge verwandt würde.

Wiederholt beschäftigt sich der Sender »Freies Berlin« mit der Pflanzkartoffelbeschaffung und hetzt zur Beunruhigung der Bauern, dass Kartoffelsaatgut in der DDR mengenmäßig völlig unzureichend sei und außerdem nur mindere Qualität besitze. Ursache dazu sei die ungenügende Vermehrung des Pflanzgutes und die strenge Erfassung, die auch vor dem Saatgut nicht haltmache. Es heißt dann weiter, dass das oftmals von den Bauern benutzte Saatgut für ihre Bodenart gar nicht das Richtige sei und deshalb der Ertrag nicht zufriedenstellend ausfalle.

Eine üble Verleumdung startet der RIAS gegen die Ablieferung des ersten Getreides bzw. gegen die entsprechenden Publikationen dazu durch unsere Presse. Im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen unserer Presse über die Ablieferung des gesamten Getreides durch die Bauern der Gemeinde Ferch bei Berlin40 hetzt der RIAS, dass dies nicht den Tatsachen entspräche, sondern die Bauern sich das Getreide von einem größeren Bauern ausgeliehen hätten und dieses, wenn sie selbst geerntet und gedroschen haben, wieder zurückgeben müssen.

Hetze gegen den FDGB

In Fortsetzung der Hetze gegen den FDGB im Zusammenhang mit den Streiks in Westdeutschland erklärt der RIAS die bereits an den Vortagen aufgestellten Forderungen, die der FDGB für die Arbeiter der DDR stellen solle. Zur Senkung der Preise heißt es, dass diese möglich wäre, wenn die Außenhandelsabkommen mit der SU revidiert würden, um »die Subventionen, die für die Exporte in die UdSSR gezahlt werden müssen«, einzusparen.

Der RIAS fordert den Genossen Warnke41 auf, im Politbüro zu drohen, dass die Arbeiter in einen dreistündigen Warnstreik treten, wenn die Preise nicht gesenkt werden. Bei Nichterfüllung »werden die Gewerkschaften in einer Urabstimmung ihre Mitglieder über die Durchführung eines Generalstreiks abstimmen lassen«. Der RIAS benutzt also zur Ablenkung von der Streiklage in Westdeutschland die Methode der Beeinflussung der Werktätigen in der DDR zu Handlungen gegen unsere Regierung.

  1. Zum nächsten Dokument Zur Beurteilung der Situation

    11. August 1954
    Informationsdienst Nr. 2284 zur Beurteilung der Situation

  2. Zum vorherigen Dokument Zur Beurteilung der Situation

    9. August 1954
    Informationsdienst Nr. 2282 zur Beurteilung der Situation