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Zur Beurteilung der Situation

17. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2263 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Diskussionen über die Hochwasserkatastrophe stehen weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen der Werktätigen.1 Darüber wird im Anhang berichtet.

Über schlechte Belieferung mit billigen Zigaretten wird unter den Werktätigen in mehreren Betrieben gesprochen. Dabei treten vereinzelt negative Meinungen auf. Ein Arbeiter von einer Baustelle im Öl- und Fettwerk Magdeburg äußerte in einer Diskussion mit mehreren Kollegen: »Wir müssen erst mal wieder streiken und alles hinschmeißen, dann wird man unsere Wünsche beachten und es wird auch mal wieder billige Zigaretten geben.«

Missstimmung über Lohnfragen besteht unter den Arbeitern der Baubetriebe des Kreises Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden. Ein parteiloser Bauarbeiter vom VEB Kreisbaubetrieb Dippoldiswalde sagte: »Die Kollegen von der Bau-Union Dresden, die in unserem Kreis arbeiten, erhalten Ortsklasse A.2 Wir verrichten die gleiche Arbeit und werden nur nach der Ortsklasse C entlohnt. Warum geht es denn bei denen von der Bau-Union? Ich werde mir auch bei einer Dresdener Firma Arbeit suchen.«

Bei der Seereederei Rostock sind die Seeleute (ca. 100 Personen) darüber unzufrieden, weil noch immer keine Neuregelung der Heuerfrage erfolgt ist, obwohl dies schon vor ca. 5 bis 6 Wochen dem Staatssekretariat für Schifffahrt gemeldet wurde. Wenn bis zum 20.7.[1954] keine Änderung eintritt, wollen die Seeleute eine Delegation nach Berlin schicken.

Kein richtiges Verhältnis zur Intelligenz wird von einzelnen Kollegen aus dem VEB Maxhütte und der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal, [Bezirk] Gera, eingenommen, was bei der Prämienzahlung zum Ausdruck kommt. So äußerte z. B. ein Kollege aus der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal: »Die Intelligenz bis zum Meister und Brigadier bekommt Prämien von 300 bis 400 DM und der Arbeiter, welcher doch die wirkliche Produktion schafft, muss warten bis etwas übrig bleibt. Er bekommt dann höchstens 50,00 DM bis 60,00 DM

In verschiedenen Betrieben des Bezirkes Gera wird von Kolleginnen der Wunsch ausgesprochen, dass sie keine Nachtschicht leisten brauchen. So äußerten zwei Kolleginnen aus dem VEB Plauener Gardinen in Pausa: »Hoffentlich fällt bald einmal die Nachtschicht weg, wie es uns der Betriebsleiter lange schon versprochen hat. Wir sind alleinstehende Frauen und müssen wegen unserer Kinder auch früh aufstehen, selbst wenn wir Nachtschicht gemacht haben.«

Eine schlechte Stimmung herrscht unter den Arbeitern der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, weil jetzt wieder mehrere Maschinen aus der »Sowj[etski] Sojus«3 wegen Änderungen ausgebaut werden müssen und der Anstrich der Trinkwasser- und anderen Tanks entfernt werden muss. Verschiedene Arbeiter äußern dazu, dass die Werftleitung die Erfahrungen beim Bau des Schiffes »Russ«4 hätte auswerten müssen, dann wäre der Umbau nicht notwendig. Weiterhin bringen sie zum Ausdruck, dass die zusätzlichen Arbeiten auf die feindliche Einstellung etlicher Meister zur DDR zurückzuführen sei.

Wegen bürokratischer Arbeitsweise der Hauptverwaltung Chemie wollen fünf Intelligenzler aus dem Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, in einem anderen Betrieb Arbeit aufnehmen. Die Einzelverträge für diese Intelligenzler wurden bereits im März 1954 zur Hauptverwaltung eingeschickt, jedoch bis jetzt noch nicht bestätigt.

Der VEB Elde-Süßwaren Parchim, [Bezirk] Schwerin, hat eine Auflage von 250 t Bohnen für die Konserven-Herstellung, die er von Frankfurt/Oder beziehen muss. Von der Betriebsleitung wird die Meinung vertreten, dass im Gebiet von Mecklenburg genügend Bohnen vorhanden sind und man sie von dort beziehen könne. Dadurch würden die Konserven verbilligt in den Handel gelangen.

Die Freigesprochenen aus dem Bornefeld-Prozess aus den Rathenower Optischen Werken, [Bezirk] Potsdam, haben bis heute noch nicht den amtlichen Urteilsspruch und den Staatsausgleich erhalten. Aufgrund dessen kursiert im Werk das Gerücht, dass die Urteile noch einmal revidiert werden. Aus diesem Grunde ist vermutlich auch die Republikflucht des ehemaligen technischen Direktors Vogel erfolgt.5

Produktionsstörungen

Der VEB Tapetenfabrik Coswig, [Bezirk] Dresden, muss voraussichtlich für vier Wochen die Produktion einstellen, da der Zubringerbetrieb Greiz wegen Hochwasser ausgefallen ist.

In der Stanzerei des VEB Elbtalwerk Heidenau, [Bezirk] Dresden, ist eine automatische Exzenterpresse ausgefallen. Ursache: Vermutlich ungenaue Einstellung. Der Arbeitsausfall beträgt 24 Stunden.

Im VEB Waggonbau Görlitz Werk II fiel die große Horizontalmaschine aus. Ursache: Am großen Antriebsrad brachen vier Zähne aus, wodurch die gesamte Antriebswelle beschädigt wurde. Der Schaden beträgt ca. 3 000 DM. Produktionsausfall mindestens drei Wochen. An dieser Maschine wird Material für Exportlieferungen an die SU hergestellt.

Am 15.7.1954 stieß in Eisleben der aus Richtung Halle kommende Güterzug mit einem Rangierzug zusammen. Ein Güterwagen wurde total zertrümmert, eine Lok schwer, die andere leichter beschädigt. Sachschaden ca. 30 [000] bis 35 000 DM. Der Verkehr wurde ca. eine Stunde dadurch unterbrochen.

Am 16.7.1954 wurde bei der Ausfahrt eines Personenzuges vom Bahnhof Singersdorf,6 [Bezirk] Cottbus, die Weiche unter dem fahrenden Zug umgestellt. Drei Wagen kippten um, drei weitere liefen in das Anschlussgleis zur Bau-Union. Personenschaden: ein Schwerverletzter, acht Leichtverletzte. Als Schuldiger wurde der Fahrdienstleiter des Bahnhofes festgenommen.

Handel und Versorgung

Der Mangel an billigen Zigarettensorten besteht in einigen Bezirken weiterhin. In einigen Gemeinden der Bezirke Suhl und Rostock gibt es überhaupt keine Zigaretten. Zum Beispiel ist zu verzeichnen, dass Werftarbeiter von Stralsund, [Bezirk] Rostock, [die] in anderen Orten wohnen, Zigaretten in größeren Mengen mitnehmen.

Im Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, fehlt es an verschiedenen Lebensmitteln. Wie z. B. an Ölsardinen, Heringen, Maizena7 und Kartoffeln.

In Friedrichsbrunn, [Bezirk] Halle, ist eine Stauung von Fleischkonserven zu verzeichnen. Die Ferienheime sind angewiesen, 30 Prozent des Fleischkontingentes in Konserven abzunehmen, womit die Urlauber nicht einverstanden sind.

Landwirtschaft

Über politische Tagesfragen wird unter der Landbevölkerung fast gar nicht diskutiert. Im Mittelpunkt der Diskussionen steht die Hochwasserkatastrophe. Darüber wird im Anhang berichtet.

In der LPG Zabeln,8 [Bezirk] Schwerin, herrschen unter den Mitgliedern Unstimmigkeiten. Verschiedene Mitglieder erklärten bereits ihren Austritt, mit der Begründung, dass sie in der LPG keine Vorwärtsentwicklung sehen.

In den MTS, LPG und bei den werktätigen Bauern fehlt es an verschiedenen Materialien. (Ersatzteile, Sensen usw.). In der Gemeinde Meura, [Bezirk] Suhl, bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Sensen. Die BHG in Lichte, [Kreis] Neuhaus, [Bezirk] Suhl, mit ca. 250 Einwohnern erhielt 30 Stück Sensen zugeteilt, dagegen erhielt die BHG in Döschwitz,9 [Kreis] Rudolstadt, [Bezirk] Gera, mit 200 Einwohnern 100 Stück Sensen. Die Bauern im Bezirk Suhl diskutieren dahingehend, dass der Bezirk Gera, besonders die Kreise Saalfeld und Rudolstadt, [Bezirk] Gera, besser beliefert werden als der Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl. Die Bauern sind darüber verärgert.

Ein Binder der MTS Brüsewitz, [Kreis] Schwerin, musste nach einer halben Stunde die Arbeit einstellen, weil der Knüpfer zerbrach und kein Ersatzknüpfer vorhanden ist. Die MTS Stralendorf, [Bezirk] Schwerin, hatte Bolzen für Pflüge beim staatlichen Kontor Güstrow angefordert. Güstrow schickte Messingbolzen, darüber waren die Traktoristen sehr verärgert.10

Ein werktätiger Bauer aus Oberkoskau,11 [Bezirk] Gera, äußerte, als von einem Bauer die Gartenbauausstellung in Markkleeberg12 gelobt wurde, Folgendes: »Das ist alles nur Propaganda. Ich habe die Schnauze voll. Meine Maschine war kürzlich in Reparatur und jetzt geht sie wieder nicht. Ich gehe morgen nach dem Westen und kaufe mir einen neuen Grasmäher.«13

Schweinepest

Der gesamte Schweinebestand eines Mittelbauern aus Ebersdorf, [Bezirk] Dresden (neun Schweine), musste wegen Schweinepest abgeschlachtet werden. Bei fünf werktätigen Bauern des Ortes Frankenthal, [Bezirk] Dresden, verendeten sieben Schweine. Ursache konnte bis jetzt noch nicht festgestellt werden.14

In Friedelshausen,15 [Bezirk] Suhl, diskutieren die Bauern über die zu hohe Veranlagung. Die Bauern bringen zum Ausdruck, dass immerzu Instrukteure der Kreisleitung der SED und des Rates des Kreises kommen, aber nichts geändert würde.16

Aus dem Bezirk Frankfurt wird uns berichtet, dass durch bürokratische Arbeitsweise der bäuerlichen Handelsorgane und andere wirtschaftliche Schwierigkeiten die Bauern verärgert sind. Zum Beispiel lagern bei einer BHG im Kreis Angermünde 25 dz Mais für den Zwischenfruchtanbau, dieser Mais wird von mehreren Gemeinden benötigt. Die Ausgabe soll aber nur erfolgen, wenn die Bauern für die gelieferte Menge Mais zum Austausch Futtergetreide in der gleichen Menge sofort abliefern. Dies können die Bauern aber vor der Ernte nicht. Ein werktätiger Bauer äußerte sich wie folgt: »Von uns verlangt man Anbau von Zwischenfrüchten, die Regierung gibt aber keine Unterstützung oder Hilfe in irgendeiner Weise, dass solche bürokratischen Methoden unterbunden werden.«17

Wildschweinplage

Unter den werktätigen Bauern der Kreise Bad Salzungen und Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, wird über die Wildschweinplage heftig diskutiert. Dabei bringt man zum Ausdruck, dass die Jagdkommandos18 zu der großen Zahl der Wildschweine zu gering sind. Die Bauern der Gemeinden Rosa und Zillbach in Mittelschmalkalden19 äußerten: »Wenn hier nicht bald Abhilfe geschaffen wird, dann werden wir uns um gar nichts mehr kümmern. Warum bekommen die Förster keine Gewehre?«20

In der Gemeinde Wolfshagen, [Bezirk] Schwerin, verursachen die Wildschweine großen Schaden auf den Kartoffel-, Getreide- und Rübenfeldern. Die Bauern fordern schnelle Abhilfe.

Wachdienst während der Ernte

Im Kreis Havelberg, [Bezirk] Magdeburg, treten die Großbauern gegen die Organisierung des Wachdienstes auf. Ein Großbauer der Gemeinde Mangelsdorf äußerte: »Die das anordnen, denken wohl, wir sind Maschinen? Wir können Tag und Nacht arbeiten.21 Wenn ich zum Wachdienst in der Gemeinde herangezogen werde, tue ich keinen Schritt, ich gehe schlafen. Die sollen einen Nachtwächter einsetzen.«22

Die Bürgermeisterin und einige Bauern der Gemeinde Lindstedterhorst, [Bezirk] Magdeburg, sind der Meinung, dass den Wachdienst die VP übernehmen soll. Die werktätigen Bauern der Gemeinden Hottendorf, [Bezirk] Magdeburg, erklären: »Wenn wir den ganzen Tag auf dem Feld arbeiten, können wir nicht noch nachts auf der Straße stehen.«

Übrige Bevölkerung

Zu politischen Problemen wird weiterhin nur gering diskutiert, im Vordergrund steht nach wie vor die Hochwasserkatastrophe, worüber im Anhang berichtet wird. Vereinzelt kommt es immer wieder zu Diskussionen über die Volkswahlen im Oktober 1954.23 Bürgerliche Kreise nehmen dabei überwiegend eine negative Stellung ein. So sagte zum Beispiel ein Mitglied der NDPD aus Stollberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin der Ansicht, dass die Wahlen im Herbst unbedingt nach dem Muster der Weimarer Republik durchgeführt werden müssen. Außerdem darf es nicht wieder vorkommen, dass Vertreter der Massenorganisationen in die Parlamente gewählt werden. Diese Vertreter sind doch meistens Mitglieder der SED, und dies würde weiter nichts als eine Begünstigung dieser Partei bedeuten. Ich schlage vor, dass für alle parteilosen Bürger eine besondere Liste eingerichtet wird.«

Mehrere CDU-Mitglieder aus Grünhainichen, Kreis Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärten, dass sie sich an der Volkskammerwahl nicht beteiligen, wenn nicht vorher ein Gesetz festgelegt würde, wie die Auszählung der gültigen und ungültigen Stimmen erfolge.

In der Gemeinde Herges-Hallenberg,24 Kreis Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, wird von einem großen Teil der Bevölkerung diskutiert, warum die örtlichen Wahlergebnisse nicht veröffentlicht werden. Ein Ausbildungsleiter aus Steinbach-Hallenberg sagte dazu: »Ich verstehe nicht, warum die Ergebnisse der Orte nicht veröffentlicht werden. Sollte da ein anderer Grund vorhanden sein, den die Bevölkerung nicht erfahren soll?«

Vereinzelt wird im Bezirk Karl-Marx-Stadt über die Aufhebung des Wismut-Sperrgebietes gesprochen.25 Man ist über diese Maßnahme im Allgemeinen erfreut und erklärt, dass dies zur weiteren Verständigung der Deutschen untereinander beitrage. So sagte z. B. ein Frisiermeister aus Zschopau: »Die Aufhebung des Sperrgebietes trägt dazu bei, eine bessere Verbindung zwischen den Deutschen selbst zu erreichen.«

Die Eröffnung des Interzonenverkehrs über Gutenfürst wurde in den anliegenden Gebieten begrüßt.26 Die Einfahrt der ersten Interzonenzüge in beiden Richtungen wurde festlich vorbereitet und durchgeführt. Besondere Vorkommnisse waren nicht zu verzeichnen. Von der Bevölkerung des Kreises Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wird jedoch Beschwerde geführt, dass der Zug nicht in Plauen, sondern in Reichenbach hält, obgleich dort nach Meinung der Bevölkerung nicht so gute Zuganschlüsse nach der DDR bestehen wie in Plauen.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:27 Frankfurt 3 000, Dresden 23.

NTS:28 Rostock 10, Potsdam 100, Frankfurt 1 000.

KgU:29 Rostock 18.

Verschiedener Art: Frankfurt 5 000.

In tschechischer Sprache: Dresden 28.

»Tarantel«30: Neubrandenburg 112.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Im VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden, wurde eine Hetzlosung angeschmiert (»Das Ausbeuten haben wir satt, auch das Rumjagen«).

Am 15.7.1954 wurden vor dem Haupteingang des Bahnhofes Spandau/West von 11.00 bis 17.00 Uhr durch zwei Personen unter Stupo-Schutz31 »Taranteln« verteilt.

In der Nacht vom 14. zum 15.7.1954 wurde das FDJ-Heim am Güterbahnhof Moabit aufgebrochen, die Einrichtung beschädigt, Bücher auf die Erde geworfen, Fahnen und Bilder beschmiert (Täter unbekannt).

Am 15.7.1954 brach gegen 20.00 Uhr im Kombinat Bergerdamm,32 Kreis Nauen, [Bezirk] Potsdam, auf dem Gelände der Hanffabrik in der Scheune, wo 1 000 dz Stroh lagerten, ein Brand aus. Schaden: ca. 50 000 DM. Der ABV hatte bereits am 11.7.1954 den Wirtschaftsleiter aufgefordert, das Heu umzulagern, da er Brandgeruch wahrnahm. Der Leiter des Kombinats lehnte dies ab, da keine Gefahr bestünde. Der Leiter des Kombinats wurde festgenommen. Der Wirtschaftsleiter und der Produktionsleiter sind flüchtig.

Anlage 1 vom 17. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2263

Bericht zur Hochwasserkatastrophe

Im gesamten Gebiet der DDR stehen die Diskussionen über die Ursachen der Unwetterkatastrophe im Vordergrund. Die Diskussionen haben sich gegenüber dem Vortage nicht geändert. Nach wie vor steht ein großer Teil der Bevölkerung auf dem Standpunkt, dass die Atombombenversuche der USA die großen Regenfälle ausgelöst hätten.33 Einzelne Personen bringen die Regenfälle mit der Sonnenfinsternis in Verbindung.34

Andere Menschen verneinen vorstehende Ursachen mit der Begründung, dass es schon immer Hochwasser gegeben hätte. So z. B. äußerte ein Obermeister aus [Name],35 [Bezirk] Potsdam (parteilos): »Das über Deutschland hereingebrochene Unwetter ist meiner Meinung nach eine Auswirkung der amerikanischen Bombenversuche im Pazifik. Ich bin der Ansicht, dass die Einwirkung der Explosion auf die Atmosphäre sich so ausgewirkt hat, dass ein Dauerwolkenbruch niederging. Ich vertrete deshalb die Ansicht, dass solche Versuche, überhaupt die Herstellung von solchen Bomben, verboten werden müssten.«

Ein Schaffner (parteilos) aus dem VEB Kraftverkehr Greiz: »Ich habe in den Zeitungen gelesen, dass diese Wolkenbrüche sowie die langen Regenfälle mit den Experimenten der Atom- und Wasserstoffbomben zusammenhängen würden, die die Amerikaner im Pazifik durchgeführt haben.36 Wenn ich darüber nachdenke, wird mir dies durchaus klar. Man sollte überhaupt diese ungeheuren Kräfte zum Nutzen der Menschheit dienstbar machen.«

Ein Pumpenschlosser aus einem Schacht in Johanngeorgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, »W«37: »Es ist ja Blödsinn, dass diese Hochwasserkatastrophe von der Wasserstoffbombe sein soll. Ich bin der Meinung, dass man die Menschen damit nur einschüchtern will, denn solche Katastrophen sind ständig nach Sonnenfinsternissen gewesen.«

Besonderes aus religiösen Kreisen kommen Stimmen, dass das Unwetter eine Strafe Gottes sei. Hierzu folgendes charakteristisches Beispiel: Ein Arbeiter aus der Baumwollspinnerei Falkenau, Kreis Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Schon in uralten Zeiten hat es eine Sintflut gegeben und damals wurden noch keine Atombombenversuche gemacht. Ich lasse mich kaum von dem gegenwärtig Gesagten überzeugen.«

In den Katastrophengebieten wird nur positiv über den Einsatz der Sowjetarmee, der VP und der Helfer gesprochen. Ein Kumpel aus dem »Martin-Hoop«-Werk in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Rote Armee hat bei der Bevölkerung ein hohes Ansehen errungen, indem sie Tag und Nacht im Einsatz stand und rettete, was zu retten war.«

Eine Schaffnerin (parteilos) aus Greiz, [Bezirk] Gera: »Die sowjetischen Soldaten sowie unsere Volkspolizei haben sich sehr aufgeopfert, was wir alle sehen konnten. Ich bin auch überzeugt, dass unsere Regierung alles tun wird, um den Hochwassergeschädigten zu helfen. Als wir vom Wasser eingeschlossen waren, erhielten wir Brot, Butter und Wurst, für die Kinder wurde Milch und Schokolade ausgegeben. Für alle diese Sachen brauchten wir keine Marken und auch kein Geld abzugeben.«

Eine Kollegin (parteilos) aus Greiz: »Die Einsatzfreudigkeit aller Organisationen in Bezug auf die Versorgung während des Hochwassers war, obwohl oft lebensgefährlich, einmalig. Ich habe mich gefreut, dass in allen Teilen der Stadt alles so gut klappte.«

Im Bezirk Gera kam es zu Angsteinkäufen von Mehl und Nährmitteln. In einigen Gemeinden ist das Gerücht aufgetaucht, dass in Kürze die Brotmarken wieder eingeführt werden und eine Hungersnot bevorstände. Aufgrund dessen herrscht in einigen Bäckereien des Kreises Zeulenroda ein Mangel an Weizenmehl.

Die Verbundenheit mit den vom Hochwasser geschädigten Bevölkerungskreisen kommt in zahlreichen Solidaritätsaktionen zum Ausdruck. In zahlreichen Fällen kam es zu Geldspenden. Große Teile der Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz verpflichteten sich, Prozente ihres Gehaltes bzw. Lohnes für die Geschädigten zu spenden.

Im Kunstseidenwerk Premnitz wurden in der Abteilung Sortierung 307 DM, in der Spinnerei 900 DM gesammelt. In den Rathenower Optischen Werken wurden bisher 3 000 DM, 57 Paar Schuhe, Mäntel, Kleider und Anzüge gespendet. Die Kollegen des VEB IKA [Isolierfabrik] Zehdenick38 und der Möbelfabrik Zehdenick, [Bezirk] Potsdam, spendeten einen Stundenlohn für die Hochwassergeschädigten.

Im Stickstoffwerk Piesteritz, [Bezirk] Halle, ist die Solidaritätsaktion ein voller Erfolg. Arbeiter und Intelligenzler gehen Verpflichtungen ein, Gelder für die Geschädigten zu spenden. Die Feuerwehr zeichnete 1 Prozent ihres Gehaltes, die Wasserversorgung und der Kabelbetrieb einen Stundenlohn, die Siliciumanlage sammelte 117 DM und der Bahnbetrieb sowie das Kräftehaus je 246 DM.

Das Gummiwerk Elbe stellte bis zum gestrigen Tage 3 000 DM zur Verfügung. In allen Betrieben im Kreis Bernburg läuft zurzeit eine Solidaritätsaktion für die Hochwassergeschädigten der DDR. So verpflichtete sich u. a. die Belegschaft des Kaliwerkes Gröna [ein] ¼ Jahr lang monatlich einen Stundenlohn zu spenden. Der VEB Guss Bernburg, Holzindustrie Aderstedt,39 Kaliwerk Friedenshall und andere Betriebe stellten ebenfalls hohe Beträge für die Hochwassergeschädigten zur Verfügung.

Vereinzelt treten negative Stimmen zur Solidaritätsaktion auf. Besonders Neubürger lehnen eine Beteiligung an der Solidaritätsaktion ab. Ein Arbeiter aus dem VEB Ostsächsisches Hartsteinwerk Löbau, [Bezirk] Dresden (Neubürger) äußerte: »Wer hat denn den Umsiedlern 1945 etwas gegeben? Diese haben sich auch kümmern müssen.« Ein Arbeiter aus der Flachsspinnerei Hirschfelde, Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, äußerte: »Wir haben auch nichts bekommen, als wir rausgeschmissen wurden.«

Eine Fußballdelegation aus Westdeutschland sollte am Sonntag, den 21. Juli 1954 in Dessau, [Bezirk] Halle, spielen. Bei dem in der Nacht einsetzenden Hochwasser stellten sich die westdeutschen Freunde zur Verfügung und halfen tatkräftig beim Aufschütten des Dammes. Als einige Einwohner aus dem Fenster sahen und nicht mithalfen, riefen ihnen die westdeutschen Freunde zu: »Wir kommen aus Nürnberg und helfen, Euer Eigentum [zu] schützen und ihr seht aus dem Fenster.« Daraufhin beteiligten sich die Einwohner an den Arbeiten.

Anlage 2 vom 17. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2263

Produktionsschwierigkeiten wegen Material- und Arbeitskräftemangel

Im VEB Waggonbau Niesky fehlen Drehgestelle aus dem Kirow-Werk Leipzig und 18 Zoll Bremszylinder aus dem Berliner Bremsenwerk, die nicht termingemäß angeliefert wurden.

Der VEB Lederwaren Bretnig,40 [Bezirk] Dresden, erhält nur 10 Tonnen Pappe von der DHZ, obwohl laut Vertrag und Plan 14 t benötigt werden.

Im Walter-Griesbach-Werk Güstrow, [Bezirk] Schwerin, mangelt es an Beschlägen für Fenster, Betten und Ähnliches.

Im VEB Abus »Klement-Gottwald«-Werke Berlin41 besteht ein Mangel an Wellenmaterial, Bronzeguss, Kupplungen und Kugellagern.

Im VEB Bekleidungswerke Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, bestehen Materialschwierigkeiten, da die Lieferbetriebe ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, z. B. hat der VEB Cottbusser Wollwarenfabrik bis heute noch kein Material geliefert.

In den Braunkohlenwerken »Franz Mehring« in Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, bestehen Schwierigkeiten in der Ersatzteilbeschaffung für Großraumgeräte des Abräumens und für Maschinen-Einrichtungen der Brikettfabriken.

Für die Inbetriebnahme der Turbine im Kraftwerk »Sonne« Senftenberg ergeben sich Schwierigkeiten wegen Materialmangel.

Im VEB Spezialglaswerk »Einheit« in Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, mangelt es an Bleimenge und Magnesiumkarbonat, wodurch die Lieferverträge gefährdet sind.

In den VEB »Thälmannwerk«,42 Simsonwerk und IFA-Werk in Zella-Mehlis, [Bezirk] Suhl, wird das Material nicht planmäßig angeliefert, wodurch wiederum die Pläne der genannten Betriebe schlecht erfüllt werden können.

Im VEB Isokond Berlin43 fehlt seit längerer Zeit Papier für die Herstellung von Hartpapierzylindern.

In den Kreisen Bergen und Wolgast, [Bezirk] Rostock, fehlen bei der Reichsbahn Arbeitskräfte.

Im VEB Transformatorenwerk Oberspree Berlin fehlen Arbeitskräfte, wodurch sich Schwierigkeiten in der Arbeitsvorbereitung ergeben.

Hoher Ausschuss: Im VEB Eisengießerei Coswig,44 [Bezirk] Dresden, liegt die Ausschussquote bei ca. 18 Prozent, wodurch der Betrieb mit der Erfüllung des Jahresplanes sechs Wochen im Rückstand liegt. Die Ursache hierfür ist bei den Formern zu suchen, da sie zum Teil ihre Arbeit leichtfertig und verantwortungslos verrichten.

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