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Zur Beurteilung der Situation

28. September 1954
Informationsdienst Nr. 2325 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Ein großer Teil der Werktätigen verhält sich zu den politischen Tagesfragen gleichgültig. Dies ist auch die Ursache dafür, dass zu den Volkskammerwahlen1 die Diskussionen noch gering sind. Meist äußern sich die Arbeiter und Angestellten volkseigener Betriebe positiv zur Volkskammerwahl und begrüßen die einheitliche Kandidatenliste.

In negativen Diskussionen nimmt man oft gegen die gemeinsame Kandidatenliste der Nationalen Front2 Stellung. Andere negative Stimmen sind verschiedenartig. Negativ äußern sich meist unaufgeklärte Werktätige. Im VEB Yachtwerft Berlin-Köpenick bringen die Kollegen zum Ausdruck, dass es besser wäre, wenn die Wahllisten nach den einzelnen Parteien aufgestellt würden.

Im VEB Tiefbau Berlin auf verschiedenen Baustellen werden Diskussionen über die Einheitswahllisten von Kollegen geführt. Dabei zeigt sich, dass es notwendig ist, mit den Kollegen eine gründliche Aussprache über diese Frage durchzuführen. Ein Bauarbeiter von der Baustelle Biesdorf, Berlin, äußerte: »Geht bloß alle wählen, sonst kommt ihr auf die schwarze Liste.« Kollegen auf der Baustelle vertreten den Standpunkt, dass immer dann eine Preissenkung kommt, wenn die SED eine Wahl vorhat.3

Im Kreisgebiet Torgau, [Bezirk] Leipzig, wurde schon des Öfteren festgestellt, dass die vom Bezirk für den Kreis Torgau eingesetzten Referenten zu den angesetzten Versammlungen aus Anlass der Volkswahl nicht erschienen sind bzw. die Referenten gar nicht unterrichtet waren, dass sie zu diesem Zeitpunkt in den Gemeinden oder Betrieben sprechen sollten. Zum Beispiel sollte in der Glashütte Torgau der Oberbürgermeister Genosse Uhlich4 in einer Belegschaftsversammlung sprechen. Der Genosse Uhlich war jedoch verhindert und an seiner Stelle sollte der Genosse Schemm5 aus Leipzig die Versammlung durchführen. Zu dem festgesetzten Zeitpunkt erschien jedoch keiner der beiden Referenten. Unter den Arbeitern des Betriebes hat dies eine Missstimmung ausgelöst.

Ganz vereinzelt wurden uns feindliche Diskussionen zur Volkskammerwahl bekannt. Ein Arbeiter von der Bau-Union Magdeburg äußerte: »Wenn sie damals am 17.6.[1953] den Ulbricht6 gekriegt hätten, dann wären wir ihn jetzt los und uns ginge es bestimmt schon besser, denn der hat doch am meisten Mist verzapft (gemeint ist die damalige Normenerhöhung).7 Wenn es nach uns ginge, würde er bestimmt nicht wieder gewählt, aber das bestimmen wir ja nicht. Die Ergebnisse sind schon fertig, da können wir wählen, wen wir wollen.«

Ein Straßenbaumeister aus Klötze, [Bezirk] Magdeburg, erklärte: »Ich kann keinem Hund, dem ich auf der Straße begegne, etwas tun, aber die Hunde, die heute hier mitreden, könnte ich alle umbringen.«

Zu dem Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR Puschkin8 wird bis jetzt noch nicht diskutiert.9

Über das Schreiben der Volkskammer an den Bonner Bundestag10 wurden uns nur einzelne positive Diskussionen aus Frankfurt/Oder bekannt. Ein Arbeiter aus dem Hüttenzementwerk des EKS, [Bezirk] Frankfurt: »Wenn auch bis jetzt der Bundestag das Schreiben der DDR und die Volkskammervorschläge nicht beantwortet, so wird er sich nicht mehr lange dem Willen der westdeutschen Bevölkerung widersetzen können.«

Am 22. und 23.9.1954 fanden Versammlungen in den beiden Berliner Betrieben, VEB »7. Oktober« und Postamt N 4 statt, wo Vertreter des SfS sprachen.11 Unter den Arbeitern und Angestellten wurde darüber positiv diskutiert. Sie brachten zum Ausdruck, dass solche Versammlungen öfters in den Betrieben durchgeführt werden müssten. Andere Kollegen äußerten, dass die Wachsamkeit in den Betrieben verstärkt werden muss.

Missstimmung herrscht unter den Betriebsangehörigen des VEB Zeiss Jena und anderer Jenaer Großbetriebe darüber, dass die Arbeiterzüge von Kahla nach Jena und von Weimar nach Jena immer sehr überfüllt sind und dass die Reichsbahn trotz dieser Tatsache nicht genügend Waggons zur Verfügung stellt.

In verschiedenen Objekten der Wismut12 werden unberechtigte Lohnforderungen gestellt, besonders in den Garagen und in der HO Wismut.

Unter den Kraftfahrern der Schiffswerft Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt/Oder, herrscht Missstimmung darüber, dass die Lkw-Fahrer keine Strecken über 50 km mehr fahren dürfen, nur noch Dieselfahrzeuge dürfen diese Fahrten durchführen. Eine Rückfrage bei der Bezirksdirektion Frankfurt ergab, dass dies eine Anordnung aus dem Jahre 1936 ist.13 Die Kraffahrer können es nicht begreifen, dass man auf ein altes Gesetzblatt zurückgreife, zumal in anderen Bezirken diese Verfügung nicht besteht.

In den Bezirken Suhl und Erfurt sind die Arbeiter ungehalten über die Stromabschaltungen. Im VEB Kranbau Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, bringen die Arbeiter zum Ausdruck, dass die Abschaltungen nicht von der Regierung aus kommen könnten, sondern dass man dies bewusst vor der Volkswahl tut. Ein Arbeiter aus diesem Betrieb äußerte: »Immer vor der Wahl werden Stromabschaltungen vorgenommen. Dies geht nicht mit rechten Dingen zu. Meiner Meinung nach sind hier Schädlinge am Werk, welche die Wahlen dadurch beeinträchtigen wollen.«

Ein Betriebsleiter der Kammgarnspinnerei Langensalza, [Bezirk] Erfurt: »Dass jeden Tag 1 bis 1½ Stunden Stromabschaltung im Betrieb zu verzeichnen sind, bedeutet einen Produktionsausfall von 100 kg Garn pro Tag. Durch diesen Ausfall ist der Produktionsplan, den das Werk vor Kurzem etwas aufholte, wieder in Rückstand geraten.«

Materialschwierigkeiten

Im volkseigenen Plattenwerk in Friedland, [Bezirk] Neubrandenburg, besteht ein Mangel an Briketts. Wenn in den nächsten Tagen keine Kohle geliefert wird, kann das gesamte Werk nicht mehr arbeiten. (Der Betrieb beschäftigt ca. 170 Personen.)

Im Zieh- und Walzwerk Weißenfels,14 [Bezirk] Halle, fehlt es an Walzdraht. Dadurch wird im Betrieb kurzgearbeitet.

Im Kaliwerk Roßleben, [Bezirk] Halle, besteht ein Waggonmangel für die Verladung von täglich 1 000 Tonnen Rohsalz. Wenn dieser Mangel von der Reichsbahn nicht abgestellt wird, muss das Kaliwerk die Produktion einschränken.

Im Walzwerk für Buntmetalle Hettstedt, [Bezirk] Halle, fehlt es ebenfalls an Waggons, dies wirkt sich so aus, da der Platz zum Ablagern von Fertigblechen vollkommen ausgefüllt ist, dass Stillstände in der Produktion entstehen.

In einem Privatbetrieb in Dresden (Farbenfabrik) besteht ein Rohstoffmangel in Lithophon,15 Zinkweiß, Zinkoxid und Titanoxid. Dadurch ist die Planerfüllung des Betriebes gefährdet.

Im Stahlwerk Gröditz, [Kreis] Riesa, [Bezirk] Dresden, fehlt es an Kohle.

Auftragsmangel

In der Zemag-Zeitz, [Bezirk] Halle, ist durch die Annullierung von Aufträgen ein Arbeitsmangel eingetreten. Außerdem ist das Werk erst mit 15 Prozent Aufträgen für das Jahr 1955 ausgelastet, was zur Folge hat, dass keine Vorarbeit für das Jahr 1955 geleistet werden kann.

Produktionsstörung

In der Grube V im Kaliwerk »Glückauf« Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, ist am 25.9.[1954] das Unterseil abgerissen, dadurch fällt die Produktion in dieser Grube für die nächste Zeit vollständig aus.

Am 26.9.1954 trat eine Betriebsstörung in der Mühle III des VEB Kaliwerkes »Ernst Thälmann« in Merkers, [Bezirk] Suhl, durch Bruch einer Eisenlasche am Transportband ein. Der Produktionsausfall beträgt 500 t Rohsalz. Im gleichen Werk trat am 23.9.[1954] durch Ausfall der Förderung auf Schacht III eine Betriebsstörung ein. Produktionsausfall im Werte von 3 500 DM.

Am 24.9.[1954] explodierte im VEB Elektroporzellan Margaretenhütte Großdubrau,16 [Kreis] Bautzen, [Bezirk] Dresden, die Gasanlage. Schaden 27 000 DM.

Am 24.9.1954 kamen die Rohrwerke I und II des Stahlwerkes Riesa wegen zu schwachen Stromes zum Stillstand.

Handel und Versorgung

Bei der VEAB, Erfassungsstelle Lohmen, [Bezirk] Dresden, lagern größere Mengen an Obst und Gemüse, für die es keine Absatzmöglichkeiten gibt. Wegen Mangel an Kisten werden Birnen und Äpfel auf einen Haufen geschüttet und sind deshalb dem Verderb ausgesetzt.

Eine schlechte Belieferung mit Kohlen ist im Kreis Nauen, [Bezirk] Potsdam, und im Kreis Sebnitz, [Bezirk] Dresden, zu verzeichnen. Die DHZ Potsdam belieferte den Kreis Nauen bisher nur mit 55 Prozent und begründete es damit, dass keine Kohlen vorhanden sind. Die schlechte Versorgung mit Kohle wirkt sich nachteilig auf die örtliche Wirtschaft aus, denn mehrere Betriebe fordern laufend Kohlen an und wenden sich sogar an das zuständige Ministerium, wie z. B. der zentral gelenkte Betrieb Zuckerfabrik Nauen. Trotzdem wurde aber keine Abhilfe geschaffen. Im Kreis Sebnitz ist zu verzeichnen, dass der genossenschaftliche Handel nur gering mit Briketts bedacht wird. Auf der anderen Seite sind beim privaten Handel laufend Briketts zu beziehen. Unter der Bevölkerung im Kreis Sebnitz, die ihre Kohle beim Konsum angemeldet hat, besteht aufgrund der voranschreitenden Jahreszeit eine Unruhe und Unzufriedenheit. Der Leiter der Abteilung Kohle der Konsumgenossenschaft sagt hierzu: »Wir sind laufend bemüht, Kohlen zu erhalten und bekommen keine. Auf der anderen Seite laufen für den privaten Handel laufend Waggons ein.«

Fleischmangel besteht teilweise in den Bezirken Suhl, Erfurt und Frankfurt/Oder In Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, klagen die Hausfrauen über die schlechte Belieferung mit Fleisch- und Wurstwaren auf Marken und in der HO.

Nährmittel und Fischwaren fehlen in einigen Kreisen des Bezirkes Potsdam und im Wismutgebiet.

Kindernährmittel in den Kreisen Strausberg und Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt. Im Wismutgebiet fehlen außerdem Dauerbackwaren und Zigaretten wie »Turf« und »Salem«. An Frischfisch stehen dort für das III. Quartal noch 6 Tonnen und an Fischwaren 100 t aus.

Eine große Nachfrage nach Eiern, Kakao, Bohnenkaffee, Fahrradersatzteilen und Kurzwaren wie Nähseide, Stopfgarn und Knöpfen ist im Bezirk Halle zu verzeichnen.

Im Bezirk Potsdam macht sich der Mangel an Benzin, Dieselkraftstoff und Spezialpetroleum in der Versorgung und bei den Erntearbeiten durch die MTS bemerkbar. Spezialpetroleum benötigt die MTS für sowjetische Maschinen.

Landwirtschaft

Die Stimmung zu den Volkskammerwahlen ist überwiegend positiv, was auch durch die zahlreichen Verpflichtungen seinen Ausdruck findet. Vorwiegend beteiligen sich daran die LPG, MTS aber auch zahlreiche Einzelbauern und Landarbeiter. Viele negative Meinungen sind zum Teil auf Unklarheiten über den Charakter der Volkswahl zurückzuführen, wie z. B. im Bezirk Frankfurt, wo eine gute Aufklärung notwendig ist.

Die feindlichen Äußerungen sind nur vereinzelt und werden hauptsächlich von Groß- und Mittelbauern vertreten, wobei die Argumente des RIAS nach »freier Wahl« und Ablehnung der einheitlichen Liste in den Vordergrund gestellt werden.

Fast alle Großbauern aus der Gemeinde Neuholland, [Bezirk] Potsdam, vertreten folgenden Standpunkt: »Die bevorstehenden Wahlen sind doch ein Zwang, denn diese Wahlen sind nicht so, dass man die CDU, die LDP oder die NDPD wählen kann, sondern die Kandidaten der Nationalen Front wählen muss. Diese Wahlen sind sowieso ein Täuschungsmanöver.«

Ein Mittelbauer aus Zernitz, [Bezirk] Potsdam, Mitglied des Ortsauschusses der Nationalen Front, sagte in einer Sitzung: »Jetzt sind wir im kleinen Kreis und nun will ich mal sagen, wie die Stimmung tatsächlich ist. Noch sind wir Einzelbauern, sagen die Einzelbauern in Neudorf, aber nicht lange mehr, dann müssen wir in die LPG, deshalb werden wir am 17.10.1954 die Stimmscheine durchkreuzen und damit ungültig machen.«

Es argumentieren auch Mitglieder unserer Partei, der Massenorganisationen und Bürgermeister im feindlichen Sinne. Der Parteisekretär der Gemeinde Kaminke, [Bezirk] Rostock, erklärte: »Die Aufstellung einer gemeinsamen Wahlliste ist ein diplomatisches Kunststück unserer führenden Genossen. Wenn jede Partei eine Liste hätte, würde die SED verlieren und die CDU ganz groß herauskommen.«

In der MTS Mieste, [Bezirk] Magdeburg, wurde eine Werbung für die VP durchgeführt, in deren Verlauf ein Jugendfreund gewonnen werden konnte. Zur Untersuchung und Vorstellung bei der VP erschien der Jugendfreund jedoch nicht und es stellte sich heraus, dass er von dem MTS-Leiter, Mitglied der SED, beeinflusst wurde, nicht zur VP zu gehen.17

Der Bürgermeister einer Ortschaft im Kreis Stadtroda, [Bezirk] Gera, welcher bereits als Schwerpunkt bei der Volksbefragung bekannt ist, erklärte zu den Aufklärungseinsätzen der Nationalen Front: »Die Wahl im Ort wird schlecht ausgehen, sie wird aber noch schlechter werden, wenn wir die Menschen mit Agitatoren belästigen. Ein besonderer Grund für den schlechten Ausgang bei der Volksbefragung ist die undemokratische Stimmzählung, wo nicht beschriebene Stimmzettel für den Frieden gezählt wurden.«

Der BGL-Vorsitzende des VEG in der Gemeinde Schwarzensee: »Das war schon beim Kaiser so, in der früheren Republik und auch bei Hitler. Das ist auch jetzt genauso. Kurz vor der Wahl, wenn sie die Wähler gebrauchen, dann schmeißen sie Köder hin, wie z. B. bei uns die letzte Preissenkung. Die Arbeiter aber haben früher gehungert und hungern auch heute noch.«

Mängel und Missstände

In der MTS Holtendorf, [Bezirk] Dresden, sind Schwierigkeiten mit den Ketten der Raupenschlepper zu verzeichnen. Die MTS ist dieses Jahr nicht mehr in der Lage, neue zu kaufen, da aufgrund der vielen Reparaturen und Anschaffungen von Ersatzteilen kein Geld mehr vorhanden ist.

In der MTS Wiehe, Kreis Artern, [Bezirk] Halle, bestehen Schwierigkeiten in der Belieferung von Kraftstoff für Zugmaschinen. Die Station hat einen Liefervertrag mit der DHZ Halle, Niederlassung Sangerhausen, über 20 t Kraftstoff, die bis heute nicht angeliefert wurden. Die MTS Popperode, [Bezirk] Halle, hat ebenfalls Schwierigkeiten in der Heranbringung der Kraftstoffe für Dieselfahrzeuge. Die DERUNAPHT18 begründet die Nichtbelieferung mit den schlechten Straßenverhältnissen zu der MTS. Eine mangelhafte Belieferung mit Benzin ist auch im Bezirk Schwerin zu verzeichnen. Die MTS Lübstorf z. B. hat nur noch für einen Tag Treibstoff.

In den MTS des Bezirkes Magdeburg bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Ersatzteilen für die Raupe KS 62. Obwohl das Schlepperwerk Brandenburg vom Minister Rau19 angewiesen wurde, Ersatzteile für Magdeburg zu liefern, geschieht dieses mit der Begründung nicht: »Es sind hier Materialschwierigkeiten vorhanden und eine Lieferung ist vor Dezember nicht möglich.« Dadurch wird aber das Ziehen der Winterfurche infrage gestellt, da ca. 80 Raupen KS 62 nicht mehr einsatzfähig sind.

In der MTS Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg, ist zurzeit eine Fluktuation von Arbeitskräften zu verzeichnen. Wie bisher festgestellt wurde, liegt die Ursache darin, dass die dort beschäftigten Kollegen mit ihrem Verdienst nicht einverstanden sind.

Ein Teil der Bauern im Bezirk Rostock will gern abliefern und schimpft auf die MTS, weil diese nicht immer genügend Dreschkästen zur Verfügung stellt. Bei den Arbeiten dieser MTS treten immer wieder Fehlplanungen auf, wie z. B. in der Gemeinde Müggenhall, [Bezirk] Rostock, mit 40 Bauern, wurde nur ein Dreschkasten zur Verfügung gestellt. Die Gemeinde Millienhagen dagegen bekam ebenfalls einen Dreschkasten zugeteilt, obwohl dort schon drei vorhanden waren.

Aus dem Kreis Wolgast wird berichtet, dass die Bauern sehr darüber verärgert sind, weil sie keine Kleie zum Verfüttern an die Schweine erhalten, obwohl in der »Inselmühle« Usedom 1 300 Ztr. Kleie lagern. Dem Leiter der Mühle wurde verboten, diese auszugeben oder gegen Roggen umzutauschen.

In den Wahlversammlungen im Kreis Aschersleben, [Bezirk] Halle, kritisierten die Bauern die schlechte Belieferung mit Düngemitteln und Futtersaatgut.

In Hellendorf, [Bezirk] Dresden, beschweren sich die Bauern über die Grenztruppen der ČSR, die ca. 20 m von der Grenze entfernt ohne vorschriftsmäßigen Schießstand schießen. Dadurch kommen des Öfteren Querschläger auf die Felder der Bauern. Die Bauern verlangen, dass hier eine Änderung herbeigeführt wird.

In der LPG »Eintracht« und in der Gemeinde Weltiz,20 [Bezirk] Halle, trat die Schweinepest auf. 33 Schweine wurden notgeschlachtet. Bei einem werktätigen Bauern der Gemeinde Kobitz,21 [Bezirk] Halle, mussten 16 Schweine notgeschlachtet werden und in der Gemeinde Schnellroda, [Bezirk] Halle, sind zehn Schweine an Rotlauf verendet. Im Bezirk Dresden brach die Schweinepest in Deschka, Kreis Görlitz, Altbernsdorf und in Bertsdorf aus. Dort sind sieben Schweine verendet und drei mussten notgeschlachtet werden.22

Übrige Bevölkerung

Über politische aktuelle Probleme wird weiterhin nur in geringem Maße gesprochen. Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen stehen die Vorbereitungen zur Volkswahl. Die Äußerungen dazu sind überwiegend positiv. Immer wieder wird zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der gemeinsamen Kandidatenliste einverstanden sind und dass es für sie eine Selbstverständlichkeit ist, die Kandidaten der Nationalen Front zu wählen. Diese Stimmen kommen größtenteils von Hausfrauen, Rentnern und Verwaltungsangestellten.

In abfälliger Form äußerten sich meist Personen bürgerlicher Herkunft. Zum Beispiel äußerte ein Lektor der Bergakademie Freiberg: »Ich gehe natürlich zur Wahl und wähle auch unsere Liste, denn ich bin ja schließlich beim Staat angestellt, aber es ist doch keine richtige Wahl. Es gibt doch nur eine Liste. Dass die Wahl von Bedeutung für den Frieden sein soll, glaube ich nicht. In Westdeutschland will keiner den Krieg. Es gibt auch drüben kein Militär. So etwas gibt es aber bei uns in Form der KVP

In einem Gespräch über die Vorbereitung einer Rechenschaftslegung23 der Verwaltungen der Uni-Kliniken in Jena äußerte der Leiter der Frauenklinik gegenüber einem Genossen unserer Partei: »Ich spreche ganz offen zu ihnen, wollen sie mich für eine politische Machination24 missbrauchen. Mit der großen und kleinen Politik bin ich nicht einverstanden. Ein Arzt hat sich auch nicht mit Politik zu beschäftigen.«

Während einer Aussprache über die bevorstehenden Volkswahlen erklärte die Frau eines Pfarrers aus Seehausen, [Bezirk] Magdeburg: »Ich habe meine Stimme während der Volksbefragung25 deshalb nicht abgegeben, weil ich wusste, dass es nachher heißt, es seien auch bei uns EVG-Stimmen26 abgegeben worden, und ich vermeiden wollte, dass es heißt, diese Stimmen kommen von den Pfarrern.«

Im demokratischen Sektor von Berlin hat sich die Beteiligung der Bevölkerung an Versammlungen verstärkt. Auch die Verpflichtungen sind zahlreicher geworden, zur Beteiligung am Nationalen Aufbauprogramm,27 Gründung von Hausgemeinschaften usw. In den Versammlungen wird in den anschließenden Diskussionen hauptsächlich über Wirtschaftsfragen, besonders aber über Wohnungsangelegenheiten, gesprochen.

Der bisherige Stand der Einsichtnahme in die Wählerlisten (in dem. Sektor)28 zeigt, dass bei den Vorbereitungen der Volkswahl die Bedeutung der rechtzeitigen Einsichtnahme wenig behandelt wurde. Es gibt z. B. Wahlbezirke, in denen bis zum 24.9.1954 überhaupt noch kein Bürger Einsicht genommen hat.

Im Stadtbezirk Pankow besteht eine schlechte Zusammenarbeit mit der Nationalen Front. Hier werden oft die Haus- und Straßenvertrauensleute lediglich als Verteiler für die Einladungen benutzt. Die Nationale Front setzt Termine fest, die mit dem Wahlbüro nicht abgesprochen wurden.

Im Wohnbezirk 10 in Weißensee wurden bei Aufklärungseinsätzen folgende Fragen aufgeworfen: dass es in der DDR auch Soldaten gibt; warum es keine westdeutschen Zeitungen zu kaufen gibt; die SU hätte 1945 gleich weiter gerüstet, die USA erst später.

Im Wohnbezirk 71 in Prenzlauer Berg sprachen sich Versammlungsteilnehmer für Parteiwahlen aus. Trotz der gründlichen Ausführungen des Referenten war es nicht möglich, die Bürger von ihrer falschen Einstellung abzubringen.

In den Häusern Graetzstraße 57 und 66 in Treptow wurde die Frage gestellt, wie es sei, wenn man mit den Kandidaten, die auf der Liste stehen, nicht einverstanden ist, z. B. mit Wilhelm Pieck29 und Walter Ulbricht.

Bei einer Versammlung in der Kleingartenanlage »Fortuna« in Treptow erklärten zwei SPD-Mitglieder,30 dass die Spaltung Deutschlands vom »Osten« gekommen sei. Hier würden die Arbeiter mithilfe der VEB genauso ausgebeutet wie bei den Kapitalisten.

Aus den Diskussionen mit Einwohnern aus Karow war zu entnehmen, dass ihre Beteiligung am politischen Leben deshalb so gering ist, weil sie befürchten, dass sie darunter zu leiden hätten, wenn es mal anders kommt.

Immer wieder wird von Handwerkern, besonders vom Bauhandwerk, über ungenügende Materialzuteilung geklagt. Zum Beispiel herrscht zzt. im Kreis Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, unter den Mitgliedern der Metall- und Bauhandwerksgenossenschaft eine sehr schlechte Stimmung. Dies ist auf die mangelhafte Materialzuteilung zurückzuführen. Es fehlt vor allem an T-Stücken, Reduzierstücken, Beckenspülern und Flachglas.

In einer Versammlung der Berufsgruppe Bauhandwerk in Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, brachten die Anwesenden zum Ausdruck, dass ihre Lage zzt. zum Verzweifeln sei, weil wichtige Bauvorhaben nicht zum Abschluss gebracht werden können, da bis zum heutigen Tage trotz vieler Verhandlungen keine kalkulationsfähigen Preise vorhanden sind. Des Weiteren bemängelten sie die unterschiedliche Entlohnung der Arbeiter in Privatbetrieben und in den VEB. Sie stellten hierbei eine Differenz von 0,52 DM bei gleicher Arbeit fest. Einzelne Versammlungsteilnehmer zogen in Erwägung, ihre Selbstständigkeit aufzugeben und in gut bezahlte Angestelltenverhältnisse überzugehen.

Wie schon berichtet, kommt es in letzter Zeit immer wieder zu Stromabschaltungen, was Verärgerung unter der Bevölkerung hervorruft. Zum Beispiel waren in der vergangenen Woche in Weißig, Kreis Freital, [Bezirk] Dresden, drei Abschaltungen zu je zwei Stunden. Die Ursache wurde der Bevölkerung nicht mitgeteilt. Dazu äußerte ein Einwohner: »Die Stromabschaltungen sind keine Reklame für die Volkswahlen«. Auch in einigen Gemeinden des Kreises Bautzen, [Bezirk] Dresden, sind laufend an Wochen- und Sonntagen Stromabschaltungen. In verschiedenen Gemeinden der Kreise Quedlinburg und Eisleben, [Bezirk] Halle, herrscht ebenfalls eine schlechte Stimme31 wegen der zzt. durchgeführten Stromabschaltungen. Dadurch werden auch die Versammlungen stark beeinträchtigt.

Aus dem Bezirk Potsdam wird berichtet, dass in letzter Zeit sich die Fälle mehren von undiszipliniertem Verhalten von VP- und KVP-Angehörigen. Sie benehmen sich im betrunkenen Zustand ungebührlich, indem sie sich untereinander anpöbeln und niederschlagen. Bei solchen Streitigkeiten lassen sie sogar Zivilpersonen nicht unbehelligt. Zum Beispiel wurden in der Gemeinde Ruhlsdorf, Kreis Zossen, in der Nacht zum 27.9.1954 vier männliche Personen festgenommen, weil sie beschuldigt wurden, einen VP-Angehörigen tätlich angegriffen und niedergeschlagen zu haben. Eine Schlägerei fand tatsächlich statt, aber die Beschuldigten mussten aus der Haft entlassen werden, weil sich herausstellte, dass der VP-Angehörige selbst die Schlägerei inszenierte und zwar wegen eines Mädchens.

Verschiedentlich kommt es vor, dass Waren nach der Preissenkung wieder teurer verkauft werden. Zum Beispiel wollte eine Hausfrau in Magdeburg ein paar Perlonstrümpfe kaufen, für welche die Verkäuferin den gleichen Preis wie vor der Preissenkung verlangte. Das wurde damit begründet, dass es eine neue Sendung sei, welche teurer wäre. Unter den anwesenden Käufern, entwickelte sich eine heftige Diskussion. Unter anderem wurde geäußert, dass die Preissenkung scheinbar nur für Ladenhüter gedacht gewesen wäre und die neue Ware wieder teurer sei.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:32 Dresden 1 260, Karl-Marx-Stadt 848, Gera 493, Frankfurt/Oder 200, Potsdam 135, Suhl 130, Rostock 30, Halle einige.

NTS:33 Rostock 16 514, Frankfurt 14 000, Dresden 109, Wismutgebiet 104, Karl-Marx-Stadt 34, Leipzig und Potsdam einige.

UFJ:34 Potsdam 17, Leipzig einige.

In tschechischer Sprache: Dresden 79.

5 030 wurden in Schwerin gefunden mit der Unterschrift: Hochkommissar der USA James Conant.35 2 000 wurden in einem S-Bahnzug in Potsdam gefunden (Hetze gegen SU, gegen Oder-Neiße-Friedensgrenze und gegen die SED).

In Aken, Kreis Köthen, [Bezirk] Halle, wurden mit Schreibmaschine beschriftete Hetzzettel gefunden, die sich gegen die Volkswahl richten.

Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde mit Ballons abgeworfen und sichergestellt.

Terror

Am 26.9.1954 wurde während des Erntefestes in Müselow,36 Kreis Sternberg, [Bezirk] Schwerin, der Bürgermeister in seinem Dienstraum überfallen und schwer misshandelt. Einige Tage davor hatte man Drohungen gegen ihn ausgesprochen, dass er überfallen werden sollte. Die Täter sind festgenommen.

Am 25.9.1954 wurden in Miechen,37 Kreis Merseburg, [Bezirk] Halle, zwei VP-Angehörige beim Streifengang mit Steinen beworfen. Täter sind festgenommen.

Am 26.9.1954 wurde der 2. FDJ-Sekretär der Ortsgruppe Gernrode, Kreis Quedlinburg, [Bezirk] Halle, niedergeschlagen, wobei ihm die Uhr geraubt wurde (Täter noch nicht ermittelt).

Am 26.9.1954 erfolgte in Bernburg, [Bezirk] Halle, ein tätlicher Angriff gegen FDJ-Funktionäre anlässlich einer FDJ-Veranstaltung. Es wurden fünf Festnahmen durch die Abteilung K des VPKA38 Bernburg getätigt.

Diversion

In der Zeit vom 15. bis 18.9.1954 wurden im RAW Potsdam im Getriebe der Schlagschere an zwei Tagen ein Kalkstein bzw. Scherben gefunden. Die Schlagschere ist eine Neuanschaffung des RAW und führt drei Arbeitsgänge gleichzeitig durch. Täter noch unbekannt.

Antidemokratische Tätigkeit

In der Nacht vom 26. zum 27.9.[1954] wurden in Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, Posamente,39 die anlässlich der Volkswahl aufgestellt waren, von unbekannten Tätern umgeworfen und teilweise zerstört.

In der Nacht vom 25. zum 26.9.[1954] wurde in Worbis, [Bezirk] Erfurt, eine schwarz-rot-goldene Fahne so beschädigt, dass der schwarze Stoff an der Fahne hängenblieb und als Trauerflor wirkt. Täter noch unbekannt.

In der Nacht vom 25. zum 26.9.[1954] wurde in Riesa, [Bezirk] Dresden, ein Transparent zur Volkswahl beschädigt.

Im VEG Zella, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, wurden die Aushängekästen der SED und des FDGB heruntergerissen und zertreten. Des Weiteren wurden die Mäntel und Schläuche des betriebseigenen Fahrrades mit einer Sicherheitsnadel zerstochen, im VEG eine Lampe zerstört und vier Kühe im Stall abgekoppelt. Täter wurde ermittelt.

In Jena, [Bezirk] Gera, wurden zwei Plakate vor einem Wahllokal mit Hakenkreuzen beschmiert. Im Bezirk Gera wurden in letzter Zeit, besonders an Reichsbahnwaggons, des Öfteren Hetzlosungen angeschmiert, die gegen die KPdSU und die SED gerichtet sind.

Von einem ehemaligen Umsiedler aus Kleinbrembach, [Kreis] Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, wurde ein Schreiben als Wählerauftrag verfasst, worin verlangt wird, dass die ehemaligen Umsiedler durch ein Lastenausgleichsgesetz der Volkskammer eine Entschädigung für ihren verlorenen Besitz bekommen. 46 Personen unterzeichneten dieses Schreiben.

Einschätzung der Situation

Die Vorbereitungen der Volkswahlen stehen im Mittelpunkt aller politischen Gespräche. Dadurch treten Diskussionen zu anderen aktuellen politischen Problemen wie z. B. über das Schreiben G. M. Puschkins an Conant zurzeit noch nicht in Erscheinung. Auch zu anderen aktuellen Fragen sind nur höchst selten Gespräche festzustellen. Kollektiv- und Einzelverpflichtungen, besonders in der Industrie und Landwirtschaft, zu Ehren der Volkswahl haben einen großen Umfang angenommen.

Die feindliche Argumentation ist umfangmäßig gering und inhaltlich unverändert. Für die teilweise bestehende Unzufriedenheit der Bevölkerung sind die hauptsächlichsten Ursachen die verschiedenartigsten Mängel in Handel und Versorgung. Die Verbreitung feindlicher Flugblätter, besonders in russischer Sprache, ist in letzter Zeit wieder stärker geworden. Desgleichen auch die antidemokratische Tätigkeit.

Anlage 1 vom 28. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2325

Auswertung der Westsendungen

Volkswahlen

RIAS fordert die Bevölkerung der DDR erneut auf, sich in keine Diskussionen mit den Aufklärern der Nationalen Front einzulassen. Nachdem der Hetzsender über von der Nationalen Front herausgegebene Fragebogen, die der Aufklärer nach jedem Einsatz ausfüllen muss, gesprochen hat, heißt es wörtlich: »Es ist kein Wunder, dass die Bevölkerung die Türen verschließt, wenn solche Schnüfflerkollektive gesichtet werden.«

Der Londoner Rundfunk40 beschäftigt sich mit dem Einsatz der Lehrer unserer demokratischen Schule bei der Vorbereitung der Volkswahlen und führt zur Beunruhigung der Eltern aus, dass diese politische Tätigkeit sich schädlich auf die Charakterbildung der Kinder und auf das Studium verantwortungslos und verhängnisvoll auswirke.

Bezug nehmend auf die Rechenschaftslegung des Ministerpräsidenten, Genossen Otto Grotewohl,41 vor den Professoren und Studenten der Humboldt-Universität42 versucht der RIAS, die Wissenschaftler gegen unsere Regierung zu beeinflussen. Er spricht davon, dass »die Großzügigkeit der SED gegenüber vielen Wissenschaftlern praktisch den Versuch der Korruption bedeute. Man will Leute, auf deren Leistungen man angewiesen ist, materiell so günstig stellen, dass sie jede Opposition aufgeben und aus Sorge, ihre privilegierte Stellung einzubüßen, nichts sagen zu all dem Unrecht, das der SED-Staat beging …« Gleichzeitig soll aber mit dieser Sendung auch die übrige Bevölkerung der DDR negativ beeinflusst werden, indem man von dem »sehr hohen Lebensstandard« spricht, der der Intelligenz geboten wird.

Anlage 2 vom 28. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2325

Bericht über den VII. Parteitag der CDU43

Am Vorabend des Parteitages fanden in Weimar Gottesdienste der evangelischen und katholischen Kirche für die Delegierten statt. Die Predigten wurden von den Bischöfen Mitzenheim44 (evangelisch) und Freusberg45 (katholisch) gehalten. Beide brachten in ihren Predigten negative Tendenzen. Unter anderem erklärte Mitzenheim: »Die Kirche hat einen Anspruch darauf, dass sie das Evangelium unverkürzt und unvermischt verkünden kann. Sie ist eigenständig, ihre Dienste geschehen zum Besten des Volkes. Die Kirche hat Anspruch auf Sonntagsheiligung und darauf, dass man politische Ziele nicht mit religiösen Mitteln zu erreichen versucht«.46

Des Weiteren gingen beide Bischöfe, besonders Freusberg, auf den Entwurf des Familiengesetzes47 ein, z. B. führte dieser u. a. aus, dass die katholischen Bischöfe in der DDR in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten Otto Grotewohl ihre Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf zum Ausdruck gebracht haben.48 Des Weiteren forderte er die anwesenden Minister und Volkskammerabgeordneten der CDU auf, die Kirche in diesem Punkt zu unterstützen. Die Abgeordneten einer christlichen Partei hätten die besondere Aufgabe, ihr Gewissen genau zu prüfen, wenn derartige Gesetze geschaffen werden.

Diese Ausführungen riefen nach dem Gottesdienst heftige Diskussionen unter den Delegierten hervor, wobei sich eine Reihe von Funktionären scharf gegen diese Ausführungen stellte. Zum Beispiel äußerte der CDU-Kreissekretär von Meißen: »Die Predigt des Bischofs war gefährlich und zerschlug viel, was wir mühsam erarbeitet haben.«

Der Kreissekretär von Sebnitz, [Bezirk] Dresden: »Wir müssen nach dem Parteitag sofort unsere Delegierten zusammenrufen und ihnen die vom Bischhof Freusberg so falsch dargelegten Probleme richtig erläutern. Ich verstehe zwar, dass er und auch die katholische Kirche das neue Familiengesetz ablehnen, da sie ja lehren, dass die Frau dem Manne untertan sei.49 Freusberg hat aber ohne jede Begründung zur Stellungnahme gegen das Gesetz aufgefordert.«

In diesem Zusammenhang kam es auch zu einer ganzen Reihe negativer Äußerungen. Zum Beispiel begrüßten zwei westdeutsche Redakteure (»Westdeutsche Allgemeine« und »Stuttgarter Zeitung«) die Ausführungen der beiden Bischöfe. Im Gespräch mit Delegierten äußerte der eine Redakteur, er freue sich, dass sich endlich Männer finden, die »dem Regime in der DDR die Stirn bieten«. Er begrüße besonders die Worte der Prediger, dass es mit dem Kommunismus keine Zusammenarbeit gibt und geben kann. Auch sei es anerkennenswert, dass sich die Bischöfe gegen den Familiengesetzentwurf ausgesprochen haben.

In seiner Begrüßungsansprache an den Parteitag führte Genosse Paul Wandel50 u. a. aus, dass die Kinder bürgerlicher Herkunft bei der Zulassung zum Hochschulstudium nicht benachteiligt werden. Dies löste unter den Delegierten außerhalb der Tagung heftige Diskussionen aus (besonders unter den Delegierten des Bezirksverbandes Leipzig). Zum Beispiel sagte der CDU-Vorsitzende aus Köthen, [Bezirk] Halle, er wäre mit Wandels Ausführungen nicht einverstanden. Sein Vergleich: Pfarrer- und Arbeiterkinder sei ein Beweis dafür, dass der Kampf gegen die Kirche nicht aufhöre. Wörtlich sagte er: »Die von Wandel angeführten Leistungen der Arbeiterklasse sind Mist. Die Arbeiterklasse kann niemals für die Dauer zur führenden Kraft werden, da Arbeiter eben Arbeiter sind und derartige Leistungen nicht vollbringen können.«

Der Rechenschaftsbericht vom Vorsitzenden der CDU, Otto Nuschke,51 sprach bei vielen Delegierten nicht gut an. Man hatte mehr als nur einen allgemeinen Rechenschaftsbericht erwartet. Besonders leitende Funktionäre bezeichneten seine Ausführungen als »alte Phrasen«, die sie schon oft gehört hätten. Zum Beispiel äußerte ein Funktionär des Bezirksverbandes Halle, dass das gleiche Referat vor drei Jahren hätte gehalten werden können, da es nur wenige aktuelle Probleme anschnitt.

Der Generalsekretär der CDU, Götting,52 brachte nach Meinung vieler Delegierter positive Ausführungen. In Diskussionen außerhalb der Tagung wurde jedoch zum Ausdruck gebracht, dass man Götting das Recht absprechen müssen, das CDU-Abzeichen zu tragen, da er sich im Schlepptau der SED befände. Zum anderen sagte ein Delegierter aus Erfurt: »Nuschke ist alt und wird bestimmt bald von Götting in der Führung der Partei ausgeschaltet werden. Ich schätze Götting mehr als Nuschke.«

Im Gegensatz zu den bisherigen Parteitagen herrschte diesmal eine gute Disziplin unter den Delegierten, bis auf wenige Ausnahmen, besonders unter den westdeutschen Gästen. Zum Beispiel verließ während des Rechenschaftsberichtes etwa die Hälfte der westdeutschen Gäste den Saal.

Außerhalb der Tagung wurden eine Reihe negativer Diskussionen u. a. über die bevorstehenden Volkskammerwahlen geführt. Zum Beispiel sagte ein CDU-Funktionär aus Erfurt: »Ich kenne in Erfurt in meiner Partei viele Schlesier, besonders Breslauer, die 100-prozentig die Rückgabe der Ostgebiete um jeden Preis erhoffen. Die DDR ist fertig. Der Westen befindet sich jetzt mit der Aufstellung der 50 Divisionen53 in der Offensive und wird den Russen die Pistole auf die Brust setzen und ihnen seinen Willen aufzwingen.«

Ein Delegierter aus Leipzig: »Die gemeinsame Wahlliste nimmt der Wahl ihren Charakter als Wahl. Ich sehe eine Listenwahl als eine richtige Abstimmung an.«

Der Kreissekretär von Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Die Vorbereitungen der Volkswahlen zeigen, dass die CDU die von der SED in den Dreck gefahrene Karre wieder herausziehen muss. Das ist dadurch deutlich geworden, dass ich in sechs Gemeinden des Kreises Eisenach die Rechenschaftslegung durchführen musste, in denen sich die anderen nicht mehr sehen lassen durften.«

Ein Delegierter aus Weimar: »Jetzt geht es schon wieder los. Wir sollen wieder berichten und den Wählern das Wahlprogramm erläutern. Dabei hat doch in der Zeitung nur ein Wahlaufruf gestanden,54 den man niemals als Wahlprogramm bezeichnen kann. Dieser Aufruf ist ja doch nur der übliche Mist.«

Ein Redakteur der »Westdeutschen Allgemeinen« äußerte gegenüber einem Delegierten, dass er es nicht fassen könne, dass die CDU mit den Einheitslisten zur Wahl einverstanden wäre. Des Weiteren sagte er, dass die Zeitungen in der DDR nicht die Wahrheit brächten, denn in Westdeutschland gäbe es keine derartige Arbeitslosigkeit, wie es diese Zeitungen berichten. Er begrüßte die Aufrüstung Westdeutschlands und äußerte hierzu, dass durch die beschleunigte Aufrüstung der Westmächte die »Russen« nachgeben und vor den Westmächten zu Kreuze kriechen müssten.

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