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Zur Beurteilung der Situation

4. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2197 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Diskussionen der Werktätigen in den Betrieben sind weiterhin noch von den Maifeierlichkeiten bestimmt. Der Umfang dieser Diskussionen geht weiterhin zurück. Der überwiegende Teil der Stimmen ist positiv und bringt Freude über die gute Beteiligung an den Demonstrationen und über die anschließenden Veranstaltungen zum Ausdruck. Ein parteiloser Hauer aus dem »Martin-Hoop«-Werk in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »So habe ich mir den 1. Mai [1954] nicht vorgestellt. Ich war immer gegen Demonstrationen, aber heute bin ich dafür. So schön war es noch nie. Diese Überzeugungen gaben mir auch die Kumpels aus dem Westen.«

Verschiedentlich werden noch Stimmen bekannt, in denen Verärgerung oder Missbilligung über die Auszeichnungen und Prämierungen ausgesprochen werden. Ein Demontagearbeiter vom Wismut-Schacht 238 in Marienberg,1 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte anlässlich der Aktivistenehrung: »Die Demontagearbeiten machen immer nur die Dummen und werden nie ausgezeichnet, obwohl die Demontageabteilung auch am 30.4.1954 eine Sonderschicht fuhr und sie mit 205 Prozent übererfüllte, hat man kein Wort davon bei der Ehrung erwähnt.«

Ein Arbeiter vom Kalk- und Zementwerk Rüdersdorf, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Es wurden zwar allerhand ausgezeichnet und prämiert, aber die höchsten Prämien bekommen die, die auch die höchsten Gehälter haben, nämlich die von der Verwaltung. Es müsste jeder etwas mehr verdienen, dann könnte man das Prämiensystem abschaffen.«

Ein Rohrleger vom VEB Kali-Chemie Berlin: »Hier werden nur die prämiert, die viel Wind machen. Ob sie eine gute Arbeit leisten, spielt keine Rolle. Aber solche Kollegen können nur in einem VEB beschäftigt sein. Im Privatbetrieb wären sie wegen schlechter Arbeit schon rausgeflogen.«

Weiterhin wurden vereinzelt negative bzw. feindliche Diskussionen bekannt, die verschiedenartigen Inhalt haben. Ein Meister aus dem VEB Ifa-Felgenwerk in Ronneburg, [Kreis] Gera: »Ich lehne es ab, in der Kampfgruppe mitzumarschieren und verabscheue es, die rote Armbinde zu tragen.«2 Ein Arbeiter aus dem VEB EMW Eisenach,3 [Bezirk] Erfurt, äußerte, als er ein Bild des Genossen Ulbricht4 im Demonstrationszug sah: »Wenn ich den Graubart schon sehe, da wird mir schlecht.«

Unter den Arbeitern im Buna-Werk5 ist man über das Verhalten der Intelligenz und einiger leitender Kräfte des Werkes empört, die sich an der Maidemonstration schlecht beteiligten und ihre Häuser wenig geschmückt hatten. Als der Demonstrationszug durch die Siedlung der Intelligenzler führte, sagten einige Arbeiter: »Man muss dafür eintreten, dass diese Bande noch mehr Prämien bekommen [sic!], damit sie sich eine Fahne kaufen können.«

Über die Genfer Konferenz wird wenig diskutiert.6 Meist sind es Arbeiter, weniger Angestellte und Intelligenzler, die dazu Stellung nehmen. In den gering bekannt gewordenen Stimmen wird meist Hoffnung auf Entspannung der internationalen Lage zum Ausdruck gebracht. In diesem Zusammenhang äußert man sich positiv über die Teilnahme Chinas an der Konferenz. Mehrere Kollegen der Schuhfabrik »Vorwärts« in Weißenfels, [Bezirk] Halle, sind der Meinung, dass die Regelung der Ost-Asien-Frage in Genf wesentlich dazu beitragen würde, den Weltfrieden zu festigen und zu erhalten. Sie wünschen und hoffen, dass die Genfer Konferenz Beschlüsse fasst, die den Völkern Koreas und Indochinas ihre Freiheit wiedergibt.

Ein Maurer, beschäftigt im VEB Blema Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich glaube bestimmt, dass die Genfer Konferenz dazu beitragen wird, ein besseres Verständnis der einzelnen Völker untereinander herbeizuführen.« Ein Angestellter von der VEB Konservenfabrik Frankfurt/Oder: »Hoffentlich geht es mit der Genfer Konferenz gut aus. Es wird Zeit, dass sie sich auf friedlichem Wege einigen und in Indochina den Krieg beenden. Zur Genüge haben wir ja am 1. Mai [1954] dafür demonstriert.«

Bei den Arbeitern vom VEB Verkehrsbetriebe Dresden besteht die Meinung, dass die Genfer Konferenz größere Erfolge erzielen werde als die Berliner.7 Dies zeige sich darin, dass alle Versuche der USA, die Konferenz zum Scheitern zu bringen, misslungen sind, und dass der Wille der friedliebenden Völker heute das Geschehen in der Welt diktiere. In der Frage des Verbotes der Atom- und Wasserstoffbombe wird sich die USA den Forderungen der friedliebenden Menschheit anschließen müssen.

Eine parteilose Arbeiterin von der Kammgarnspinnerei »Neues Leben« Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Wenn China bei der Konferenz in Genf mit teilnimmt, zweifele ich überhaupt nicht daran, dass die Amis eine große Abfuhr erhalten werden, denn Chinas Vertreter werden den Amerikanern schon den richtigen Standpunkt klarlegen.«

Es wird auch von Arbeitern hervorgehoben, dass sich die Westmächte selbst nicht einig sind. Ein Arbeiter von der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, sagte: »Die Genfer Konferenz zeigt, dass die Amerikaner von ihren bisher Verbündeten schon halb verlassen sind und diese eine aggressive Politik nicht mehr mitmachen.«

Aus dem Wismut-Objekt 29 in Gera wird uns berichtet, dass der Genfer Konferenz wenig Bedeutung beigemessen wird, so hört man z. B. von Agitationseinsätzen im Gegensatz zur Berliner Konferenz überhaupt nichts. Von Partei und Gewerkschaft ist in dieser Woche in Bezug auf Aufklärung noch nichts unternommen worden. Wenn vonseiten eines Genossen eine Diskussion entfacht wird über die Bedeutung, dass China als Großmacht an der Konferenz teilnimmt, weichen die meisten Kollegen einer Diskussion aus.

Über wirtschaftliche und betriebliche Fragen wurden aus mehreren Betrieben Stimmen bekannt, in denen Unzufriedenheit zum Ausdruck kommt. Im VEB Schott Jena,8 [Bezirk] Gera, wird immer noch in stärkerem Maße über die Quartalsprämie diskutiert. Die übergroße Zahl der Kollegen hat kein Verständnis dafür, dass z. B. ein Meister 600 DM Prämien erhält und die anderen 20 Kollegen zusammen nur 500 DM. Eine ähnliche Stimmung herrscht bei der Auszahlung der Brigadeprämien. Dazu sagte ein Gemengearbeiter einer Brigade, dass seine Brigade, bestehend aus 15 Kollegen, zusammen eine Prämie von 125 DM erhalten hätte.

Im VEB Universalwerk [Schmalkalden], Abteilung Dreherei, [Bezirk] Suhl, besteht Missstimmung unter den Kollegen, da es an Aufträgen mangelt und einige Kollegen in andere Abteilungen umgesetzt werden müssen.

Die Arbeiter der Stahlformgießerei im Stahlwerk Riesa sind infolge Auftragsmangel nicht ausgelastet und darüber missgestimmt. Zwei Arbeiter sagten dazu: »Wenn wir zur Schicht kommen und dann nur herumstehen sollen, gehen wir lieber wieder nach Hause.«

Einige Kollegen aus dem VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera, diskutierten darüber, dass bei der Verhaftung der 15 Agenten im Betrieb die Belegschaft nicht aufgeklärt wurde, obwohl man dies versprochen hatte. Dies finden sie nicht richtig und sind der Meinung, dass so etwas die tollsten Gerüchte hervorruft.9

Zu der Verurteilung des Haupttechnologen vom Elmo-Werk Dessau,10 [Bezirk] Halle, zu zehn Jahren Zuchthaus werden vom VEB Maschinenbau Görlitz unterschiedliche Stellungnahmen bekannt. Während die Arbeiter der Produktionsabteilungen dies in Ordnung finden, sind die Intelligenzler der Meinung, dass die Strafe wegen Nichtdurchführung der Verbesserungsvorschläge zu hoch sei. Einige äußerten, dass man deshalb überhaupt nicht bestraft werden dürfe.11

Produktionsstörungen: Im VEB Blechwalzwerk Olbernhau,12 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ist am 3.5.1954 die Karl-Marx-Straße durch Reißen und Platzen der Ketten ausgefallen. Der Produktionsausfall beträgt 15 Tonnen Mittelblech.

In der Druckfederhalle des Federnwerkes Zittau, [Bezirk] Dresden, wurden Kohlendioxydgase festgestellt, wodurch die Halle stillgelegt werden musste. Die Ursache besteht vermutlich darin, dass die Halle auf einen Kohlenflöz ohne festes Fundament gebaut wurde und sich durch die Hitze des Langofens die Kohle entzündete und durch Schwelung die Gase entstanden.

Handel und Versorgung

In der HO Lebensmittel im Kreis Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, lagern 5 Tonnen Schokoladensüßwaren, 2 Tonnen Käse und 1 Tonne Talg, die wegen der Preise weniger gekauft werden, sodass die Gefahr des Verderbens besteht.

In der HO Lebensmittel Zittau, [Bezirk] Dresden, lagern 5 Tonnen Schokolade und größere Mengen Zucker und Nährmittel, die nicht abgesetzt werden. Dadurch sind bereits Schulden in Höhe von 1,5 Mio. sowie Verzugszinsen in der Höhe von 50 000 DM entstanden.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen. Über die Demonstrationen und Veranstaltungen zum 1. Mai [1954] wird überwiegend positiv diskutiert. Ein Bauer aus Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl: »Dieses Jahr war die Beteiligung und Stimmung, die beste seit 1945. Ich weiß, dass wir deshalb diesen Feiertag so schön begehen konnten, weil wir genügend Geld in der Tasche haben. Ich habe noch niemals so viel Geld besessen wie heute.«

Ein Traktorist (parteilos) aus Klein Vielen, [Bezirk] Neubrandenburg: »Es war eine schöne Maifeier in diesem Jahr. Besonders freue ich mich darüber, dass ich Aktivist geworden bin. Daran sieht man doch, dass es beachtet wird, wenn man etwas leistet.«

Ein LPG-Bauer (SED) aus Käselin, [Bezirk] Neubrandenburg: »So eine Beteiligung an der Demonstration wie in diesem Jahr hatten wir noch nie zu verzeichnen. Hierzu trägt wesentlich die vorbildliche Leistung der LPG bei.«

Zur Genfer Konferenz wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt, meist positiv. Ein Landarbeiter aus Großwechsungen, [Bezirk] Erfurt (parteilos): »Dass die Volksrepublik China an der Konferenz teilnimmt, wird den kolonialen Völkern Mut und Hoffnung geben, dass ihre Interessen in Genf vorbildlich vertreten werden.«

Ein Arbeiter der BHG Sayda, [Bezirk] Cottbus:13 »Die amerikanische Delegation wird wohl in Genf nachgeben müssen, wenn sie nicht gar so abgebrüht ist. Der chinesische Außenminister hat ihnen ja einiges klargemacht.«14

Negativ dazu äußerte sich ein Bauer aus Großdrebnitz,15 [Bezirk] Dresden: »Auf der Genfer Konferenz wird man auch zu keinem Erfolg kommen. Jeder behauptet das Seine und einig werden sie nie. Der Russe wird immer sturer, überhaupt jetzt, wo er noch das kommunistische China auf seiner Seite hat.« Ein Bauer aus Eßbach, [Bezirk] Gera: »Etwas Gutes wird bei der Genfer Konferenz auch nicht herauskommen, weil der eine dem anderen sein Teufel ist. Die machen mit ihren Konferenzen nur die ganze Welt verrückt und außerdem, was in Vietnam und Korea vor sich geht, interessiert mich nicht. Die sollen lieber sehen, wie sie die Einheit Deutschlands zustande bringen, wie, das ist ganz egal.«

Im Mittelpunkt des Interesses stehen wirtschaftliche Fragen. Verschiedentlich treten größere Schwierigkeiten bei der Futtermittelbeschaffung in Erscheinung. So z. B. ist in der LPG Wiesendorf, [Bezirk] Cottbus, das Futter aufgebraucht. Dadurch ist die Milchleistung stark gesunken und zwar geben elf Kühe zusammen täglich nur noch 25 l Milch (diese Situation ist in verschiedenen Gemeinden des Bezirkes zu verzeichnen).

Der Viehbestand eines Kleinbauern aus Tornitz, [Bezirk] Cottbus, ist derart abgemagert, dass sich die Tiere bald nicht mehr auf den Beinen erhalten können (innerhalb der Gemeinde kann nicht geholfen werden, da der Vorrat an Futter fast bei allen Bauern sehr knapp ist).

Im MTS-Bereich Tanna, [Bezirk] Gera, klagen Bauern darüber, dass sie die für die Milchablieferung zustehenden Futtermittel nicht in den notwendigen Zeitabschnitten geliefert bekommen. Die Bauern bringen zum Ausdruck, dass ihnen durch die Futterknappheit nicht möglich ist, die Aufzucht ihrer Viehbestände zu sichern.

In den Gemeinden Pirow und Bresch, [Bezirk] Schwerin, ist ein größerer Teil der Bauern ungehalten über die Verordnung, die besagt, dass Kälber nicht unter 50 kg Gewicht abgeliefert werden dürfen.16 Dazu äußerte ein Bauer: »Ich töte lieber meine Kälber sofort und vergrabe sie, ehe ich sie bis zu 50 kg aufziehe. Für ein Kalb bis 50 kg verbrauche ich 400 bis 500 l Milch. Umgerechnet auf freie Spitzen17 erhalte ich dafür 400 DM. Liefere ich das Kalb aufs Soll, bekomme ich 40,00 bis 50,00 DM nur.«

Aus dem Bezirk Schwerin wird berichtet, dass das VEG Cambs durch die schlechte Wirtschaftsführung des ehemaligen Betriebsleiters Ende 1953 1 Million Unterbilanz aufwies. Nach Einsetzung eines neuen Betriebsleiters war anfangs ein gewisser Aufschwung zu verzeichnen, was jetzt wieder abflaut. Ursache: Überheblichkeit und diktatorisches Vorgehen des Betriebsleiters, der vor 1945 Gutsinspektor war.

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Eine Bäuerin aus Grimmen, [Bezirk] Rostock: »Wenn bloß bald mal die Grenzen wegfallen würden, hauptsächlich die Oder-Neiße-Grenze. Damit wir alle wieder einmal nach Hause können.«

Ein Viehaufkäufer aus Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte in angetrunkenem Zustand: »Adolf Hitler hat für die Arbeiter gesorgt, aber heute wird es nicht getan. Die SED ist doch keine Arbeiterpartei.«

Übrige Bevölkerung

Der positive Eindruck, den die Demonstrationen und Kundgebungen hinterlassen haben, ist weiterhin der Gesprächsstoff in der übrigen Bevölkerung. Er kennzeichnet sich auch vereinzelt in den bürgerlichen Kreisen, die davon teilweise beeindruckt sind. Die Frau eines Arztes aus Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Schade, dass manche Menschen den 1. Mai [1954] nicht in Neustrelitz miterlebt haben. Die Demonstration war wirklich sehr eindrucksvoll. So groß aufgezogen und gut organisiert als nie zuvor.«

Ein Angestellter aus Geyer, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der diesjährige 1. Mai [1954] hat in Geyer und auch in anderen Ortschaften mehr Begeisterung und Teilnahme hervorgerufen, als andere Jahre zuvor. Der Grund ist wohl darin zu suchen, dass die Partei und Regierung jetzt besser durch den neuen Kurs die Menschen befriedigt.«18

Teilweise wurden in diesem Zusammenhang Diskussionen über wirtschaftliche Fragen bekannt. Ein Rentner aus Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, äußerte: »Bei den Rentnern ist besonders die Tendenz vertreten, dass sie auch etwas zum 1. Mai [1954] etwas hätten bekommen sollen.« Ein Rentner aus Frankfurt/Oder: »Der 1. Mai, um den man sein Leben lang gekämpft hat, soll vom Arbeiter gefeiert werden. An uns Rentner denkt aber niemand. Die Rentner haben nach den Demonstrationen keine Betriebsvergnügen gehabt und konnten sich kein Bier kaufen oder Fleisch essen. Man hätte die Renten schon am 29. oder 30.4.1954 zahlen können.«

Ganz vereinzelt wurden auch negative und feindliche Stimmen bekannt. Ein Arbeiter aus Frankfurt/Oder äußerte: »Der Arbeiter sollte lieber einen Ruhetag für den 1. Mai haben. Es ist eine große Zumutung, nach der schweren Arbeit den Arbeiter mehrere Stunden lang das Pflaster drücken zu lassen.«

Eine Hausbesitzerin aus Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte sich über einen Mieter, der zum 1. Mai [1954] das Haus geschmückt hatte: »Der ist doch kein Hausbesitzer, wer hat ihm die Erlaubnis dazu erteilt.«

Ein Handwerker aus Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der 1. Mai ist für mich Frühlingsanfang. Da gehe ich in den Wald spazieren. Ob nun 2 000 oder 20 000 Menschen auf der Straße herumgehoppt sind, es wird deshalb auch nicht anders.«

Über die Genfer Konferenz wird nur in ganz geringem Umfang diskutiert. In den bekannt gewordenen Stimmen wird meist die Hoffnung auf eine Entspannung der internationalen Lage zum Ausdruck gebracht. Teilweise wird auch das Verbot der Atom- und Wasserstoffwaffen erwartet und gleichzeitig die Politik der USA abgelehnt. Ein parteiloser Arbeiter aus Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, sagte: »Ich hoffe, dass auf dieser Konferenz Ergebnisse erzielt werden, die eine Entspannung der Lage in der Welt mit sich bringt [sic!]. Vor allem muss der Krieg in Indochina beendet werden, ebenso muss das Verbot der Atom- und Wasserstoffbombe erzielt werden. Der Erfolg der Konferenz wird auch helfen, das deutsche Problem schneller zu lösen.«

Ein Friseur aus Freital, [Bezirk] Dresden: »Nun, was wird die Konferenz bringen? Eines steht jedenfalls fest. Der Amerikaner besitzt keine Sympathien. Die Waage neigt sich zugunsten der Sowjetunion. Durch seine Anwendung der Atom- und Wasserstoffbombe und seine Drohungen hat sich der Amerikaner selbst geschadet und das Gegenteil ist eingetreten.«19

Teilweise wurden Zweifel an der Konferenz zum Ausdruck gebracht. Ein VP-Unterwachmeister (parteilos) aus Burkhardtsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Ich bin der Meinung, dass die Genfer Konferenz nichts Positives für Deutschland bringen wird, denn dort werden ja sowieso nur die Fragen über China und Korea behandelt und das interessiert mich nicht.«

Nur ganz vereinzelt wurden negative und feindliche Stimmen bekannt. Ein Angestellter (ehemaliges NSDAP-Mitglied) aus Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Der Amerikaner wird sich schon durchboxen. Sein Endziel bleibt trotz allem das Gleiche. Er will eine Entscheidung mit aller Gewalt zwischen Ost und West herbeiführen und davon können ihn unsere Politiker auf keinem Fall abhalten.«

Einzelbeispiele

Die Besitzerin der Gaststätte »Gottliebsthal« in Saaldorf, [Bezirk] Gera, äußerte in einem Gespräch über die Genfer Konferenz: »Auf unsere Sender kann man nichts geben. Die andere Seite aber darf man nicht hören, deshalb baut man Störsender ein.20 Ja, die wissen schon, was sie machen.«

Die Deutsche Akademie der Wissenschaften besitzt ein Institut in Neustrelitz,21 [Bezirk] Neubrandenburg, welches von Prof. Dr. Hachenberg22 geleitet wird. In diesem Institut wurde im vergangenen Jahr ein Gebäude im Werte von 40 000 DM gebaut, welches schon seit langer Zeit fertig ist und nicht benutzt wird. Die Bevölkerung der umliegenden Siedlungen vertritt die Meinung, dass man in diesem Gebäude lieber Wohnungen einrichten soll.

Im Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl, wurden zur Vorbereitung des II. Deutschlandtreffens23 109 Mitgliederversammlungen der FDJ mit 2 750 Teilnehmern durchgeführt. 105 Jugendfreunde baten um Aufnahme in die SED.

In einer Versammlung der CDU in Dessau, [Bezirk] Halle, vertraten einige Mitglieder die Meinung, dass die Wahl zur Volkskammer nicht im Block, sondern auf Parteibasis durchgeführt werden soll.24 Man versprach sich davon einen Sieg der CDU. Von einem anwesenden Vertreter des Bezirksvorstandes der CDU wurde diese Auffassung mit dem Argument zerschlagen, dass auch die CDU ihre Vertreter in der Regierung habe und dass nur ein gemeinsames Handeln zum Ziele führen kann.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des Ostbüros der SPD:25 Frankfurt/Oder 30 000, Gera 2 000.

Hetzschriften des Ostbüro des DGB: Frankfurt/Oder 20 000, Suhl 1 000.

Hetzschriften der NTS:26 Karl-Marx-Stadt 59 200, Halle 7 000, Gera 6 000, Neubrandenburg 3 000, Rostock 73.

Hetzschriften der KgU:27 Frankfurt 200.

Hetzschriften in tschechischer Schrift: Dresden 160, Karl-Marx-Stadt 55.

Im Bezirk Dresden wurde ein Karton mit ca. 5 000 Hetzschriften verschiedener Art sichergestellt. 17 000 Hetzschriften (Feindorganisation und Inhalt nicht bekannt) wurden am 2.5.1954 im Bezirk Neubrandenburg sichergestellt. Die aufgeführten Hetzschriften (deren Inhalt bereits bekannt ist) wurden zum überwiegenden Teil durch Ballons eingeschleust und durch Suchkommando sichergestellt.

Antidemokratische Schmierereien und Handlungen wurden aus folgenden Bezirken berichtet: Halle zwei Transparente und elf Fahnen abgerissen, Rostock zwei Fahnen abgerissen und zwei Hakenkreuze28 angeschmiert.

Im VEB Zellstoffwerk Pirna, [Bezirk] Dresden, wurde ein Bild des Genossen Molotow29 beschmiert.

Diversion: In der Nacht vom 1. zum 2.5.1954 wurden in Kamminke, [Bezirk] Rostock, die zum Trocknen aufgehängten Zugnetze der Garngemeinschaft zerschnitten. Schaden ca. 4 000 DM.

Terror: Bei einem Tanzvergnügen zum 1. Mai [1954] wurde der LPG-Vorsitzende aus Bäbelow,30 [Bezirk] Rostock, von drei Personen niedergeschlagen.

Einschätzung der Situation

Die Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen am 1. und 2. Mai [1954], an denen sich die Bevölkerung stärker beteiligte als 1953, haben bei den Teilnehmern einen guten Eindruck hinterlassen.

Nur in verhältnismäßig geringem Umfang zeigt sich Unzufriedenheit, meist wegen der Prämienverteilung und Aktivistenauszeichnung.

Diskussionen über die Genfer Konferenz werden jetzt weniger geführt, dabei hofft man überwiegend auf eine Entspannung der internationalen Lage.

In der Landwirtschaft macht sich weiterhin der Futtermangel besonders bemerkbar.

Die Verbreitung feindlicher Flugblätter mit Ballons hat noch mehr zugenommen.

Anlage (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2197

Eine Gegenüberstellung der Teilnehmerzahlen zu den 1.-Mai-Demonstrationen von 1954 zu 1953

Planzahlen

gezählte Teilnehmer auf Stellplätzen

gezählt beim Vorbeimarsch an der Tribüne

Friedrichshain

20 000

21 400

24 500

Lichtenberg

20 000

19 000

18 500

Weißensee

10 000

12 500

14 700

Köpenick

25 000

23 450

22.900

Prenzlauer Berg

20 000

21 100

16 400

Mitte I u. II

60 000

55 000

50 580

Treptow

20 000

22 000

18 000

Pankow

12 000

13 500

9 100

Junge Pioniere

3 000

3 250

3 250

Sportler und Eisenbahner

5 000

5 800

5 800

Aktivisten

3 000

2 800

2 800

Westbezirke

5 000

8 000

7 900

Sport und Technik

3 000

2 800

2 800

Ministerium

10 000

10 000

9 800

insgesamt

216 000

220 00031

207 030

Teilnehmerzahl am 1. Mai 1953 – 211 000 (In dieser Zahl ist der Marschblock der KVP enthalten.)

Die Aufschlüsselung der Teilnehmerzahlen der Demonstrationen zum 1. Mai [1954] im demokratischen Sektor von Berlin zeigt, dass die Beteiligung im Vergleich zum Vorjahr fast so geblieben ist. Die Teilnahme an den Demonstrationen zum 1. Mai [1954] war in den einzelnen Bezirken der DDR im Vergleich zum Vorjahr allgemein besser.

Nachfolgend ein paar Beispiele:

Bezirke

Magdeburg

450 000 (1954)

330 000 (1953)

Gera

262 500 (1954)

246 950 (1953)

Potsdam

298 800 (1954)

252 000 (1953)

Frankfurt

134 000 (1954)

85 000 (1953)

Neubrandenburg

95 000 (1954)

90 000 (1953)

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    4. Mai 1954
    Analyse vom 16. bis einschl. 30. April 1954 [Nr. 8/54]