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Zur Beurteilung der Situation

1. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2194 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

1. Mai 1954: Teilweise zeigt sich gegenüber dem Vorjahr ein regeres Interesse an den Vorbereitungsarbeiten zum 1. Mai. Von den Werktätigen in den Betrieben wurden die Arbeitsplätze ausgeschmückt. Verschiedentlich wurden Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen. Zum größten Teil zeigt sich eine positive Stimmung und Bereitschaft zur Teilnahme an den Demonstrationen, obwohl sehr wenig darüber diskutiert wird. Ein Arbeiter aus einem VEB in Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin erstaunt, mit welcher Begeisterung und Kampfstimmung meine Kollegen an die Aufgabe der Ausschmückung unserer Abteilung im Zeichen des 1. Mai herangegangen sind. Ich kann behaupten, dass dies seit 1945 noch nicht dagewesen ist.«

Im VEB Werkzeugmaschinenfabrik Treptow ist eine positive Stimmung zum 1. Mai [1954] festzustellen. Fast alle Kollegen erklärten ihre Teilnahme an der Demonstration. Die Ausschmückung der Räume und der Gebäude sind wesentlich besser als zu anderen politischen Ereignissen. Im VEB Tuchwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden, wurden zahlreiche Selbstverpflichtungen übernommen. Unter anderem fuhren die Arbeiter und Arbeiterinnen in verschiedenen Betriebsabteilungen Stoßschichten, die ein Ergebnis bis zu 206 Prozent brachten.

Teilweise zeigt sich, dass der 1. Mai nicht als Kampftag, sondern als eine Selbstverständlichkeit, als ein arbeitsfreier Tag und ein Anlass zum gemütlichen Beisammensein angesehen wird. So sagte z. B. der Schießmeister vom [Wismut-]Schacht 64 in Oberschlema:1 »Na, morgen werden wir einen Anständigen heben.« Ein Arbeiter vom Kunstseidenwerk Pirna, [Bezirk] Dresden: »Der 1. Mai ist ein gesetzlicher Feiertag, an dem sich die Arbeiter ausruhen sollten. Man kann nicht verlangen, wenn sie die ganze Woche arbeiten, dass sie dann auf die Straße gehen und demonstrieren.«

In diesem Zusammenhang wurden auch teilweise über die Teilnahme an der Demonstration negative Meinungsäußerungen bekannt. Ein Kumpel der Wismut AG äußerte: »Ich werde überhaupt nicht mitmarschieren, mich sollen sie in Ruhe lassen. Das ist kein Feiertag der Arbeiter mehr, da geht es nur noch um EVG2 und solchen Kram.«

Im VEB Biomals Berlin3 brachte ein Arbeiter zum Ausdruck, dass für ihn nur die Kundgebung in Westberlin infrage käme. Er brachte weiterhin zum Ausdruck, dass es der Arbeiter in den kapitalistischen Betrieben früher viel besser hatte. Ein Arbeiter aus der Autoreparaturwerkstatt Gera: »Für was sollen wir denn demonstrieren? Am besten für die 40-Stunden-Woche bei gleichem Verdienst wie jetzt. Im Westen wird die 40-Stunden-Woche auch eingeführt und in Frankreich und USA besteht diese schon längere Zeit.«

Teilweise wird Unzufriedenheit über die Vorschläge zur Prämierung zum 1. Mai geäußert. Eine Kollegin aus dem Spezialstrumpfwerk Gelenau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin nicht einverstanden, dass einige Kolleginnen und Kollegen, die schon zwei und drei Mal ausgezeichnet wurden, auch diesmal wieder eine Prämie erhalten.« Dieser Meinung schlossen sich mehrere Kolleginnen an und vertraten die Ansicht, dass allen etwas gegeben werden muss.4

Ein Arbeiter aus dem Guss-Stahlwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Es ist Blödsinn, den 1. Mai als Tag der Arbeiter hinzustellen, wenn die zu Aktivisten vorgeschlagenen Kollegen zum größten Teil Angestellte sind. Die schlucken auch die meisten Prämien.« Ein Kollege aus dem VEB Drahtwebstuhlbau Gera:5 »Ich bin der Meinung, dass wir alle arbeiten und Überschüsse verdienen, dann müssen diese aber auch gerecht verteilt werden.«

Ein Intelligenzler aus dem VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera: »Ich kann nicht verstehen, dass eine Kollegin, die am 17.6.1953 wie viele andere mitdemonstriert hat, sonst aber gut arbeitet, als Aktivist abgelehnt wird. Aktivist kann jeder werden, auch wenn er parteilich nicht organisiert ist und sich nicht aktiv für die DDR einsetzt.«6

Über die Genfer Konferenz7 wird nur in geringem Maße diskutiert. In den bekannt gewordenen Stimmen wird meist die Hoffnung auf Entspannung der internationalen Lage zum Ausdruck gebracht. In diesem Zusammenhang wird das Verbot der Atom- und Wasserstoffwaffen erwartet.

Teilweise wird der Teilnahme Chinas an der Konferenz große Bedeutung beigemessen. Ein Arbeiter aus der Zellstoff- und Papierfabrik Blankenstein, [Bezirk] Gera: »Wir wollen hoffen, dass durch die Genfer Konferenz eine Entspannung der internationalen Lage herbeigeführt wird, was sich auch auf die Lösung der Deutschlandfrage auswirkt, damit endlich die Zonenschranken fallen.«

Ein Arbeiter aus Frankfurt/Oder: »Die Völker haben es geschafft, dass China als gleichberechtigte Großmacht an dieser Konferenz teilnimmt. Also muss es auch gelingen, alle Sprengungsversuche der USA zunichtezumachen, dann kann es auch einmal möglich werden, dass man sich über die Herstellung der Einheit Deutschlands einig wird.«

Ein Hauer vom [Wismut-]Schacht 15 Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Alle Menschen sind gegen die Experimente mit den Wasserstoffbomben der USA.8 Die Genfer Konferenz wird unter der Beteiligung der SU, China und Nordkorea ein Mittel sein, diese kriegerische Politik den Menschen klar aufzuzeigen und die Feinde zu entlarven. Ich hoffe, dass diese Mordwaffen verboten werden.«

Teilweise werden Zweifel an einem Erfolg der Konferenz geäußert. Meist wird zum Ausdruck gebracht, dass die Genfer Konferenz ähnlich wie die Berliner9 »erfolglos« verlaufen wird. Ein Arbeiter aus dem VEB Formenbau Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich sehe es schon kommen, die Genfer Konferenz wird genauso eine Pleite wie die Berliner Konferenz.«

Ganz vereinzelt nur treten negative bzw. feindliche Meinungsäußerungen in Erscheinung. Ein Arbeiter aus dem Privatbetrieb Keil & Co. Wurzen, [Bezirk] Leipzig: »Die Westmächte werden noch Molotow10 allein dort sitzen lassen. Bis jetzt fressen sie nur zusammen, zu einem Ergebnis kommen sie nicht.«

Ein Angestellter im VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera: »Ich glaube nicht, dass sich Dulles11 mit den Chinesen zusammensetzt. Auch hat der westliche Sender gebracht, dass sich jetzt die Chinesen verantworten müssen, da sie in Korea den Aufständigen mit Menschen und Material geholfen haben.«

Produktionsschwierigkeiten traten in einzelnen Betrieben wegen Materialmangel und Fehlen von Facharbeitern auf. Die am Vortage berichteten Mängel12 in den Horch-Werken Zwickau,13 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, über Materialschwierigkeiten haben weiterhin zugenommen. So sind Bleche für Fahrzeugrahmen nur noch für zwei Tage vorhanden.

Im Simson-Werk Suhl14 bestehen laufend Schwierigkeiten in der Belieferung mit Elektroden. Dadurch sind im 1. Quartal 1954 über 528 Arbeitsstunden ausgefallen.

Im VEB Holzindustrie in Güstrow, [Bezirk] Schwerin, fehlen für die Möbelproduktion erfahrene Arbeiter und Meister. Ferner mangelt es an Werkzeugen. Dadurch leidet die Qualität der Möbel, sodass der Betrieb wegen mangelndem Absatz finanzielle Schwierigkeiten haben wird.

Massenerkrankungen: Am 28.4.1954 erkrankten im VEB Federnwerk Zittau, [Bezirk] Dresden, drei Kollegen, am 29.4.1954 acht und am 30.4.1954 26. Bei allen zeigte sich Brechreiz, Durchfall und Fieber. Bisherige Untersuchungen ergaben, dass die Erkrankungen nicht auf das Mittagessen zurückzuführen sind, da auch Kollegen erkrankten, die nicht am Essen teilnahmen.

Handel und Versorgung

Der DHZ Lebensmittel in Zella-Mehlis, [Kreis] Suhl, mangelt es an genügend Fahrzeugen, um eine schnelle und sichere Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Die DHZ ist deshalb gezwungen, private Fahrzeuge zu nehmen, welche enorm hohe Kosten verursachen.

Der HO Kreis Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind in der letzten Zeit rund 400 Stück Fischkonserven verdorben. Es handelt sich um Importware aus der Sowjetunion. Der Preis pro Dose beträgt 3,60 DM.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen. Zur Genfer Konferenz wurden nur gering Stimmen bekannt, meist positiv. Größtenteils wird begrüßt, dass China an der Konferenz teilnimmt. Eine Neubäuerin aus Mallnow, [Bezirk] Frankfurt: »Die Genfer Konferenz ist weit günstiger als die Berliner, weil Volkschina daran teilnimmt. Wenn auch Dulles China nicht anerkennen will, hat er es doch bereits durch die Einladung anerkennen müssen.«

Ein Bauer aus Alikendorf, [Bezirk] Magdeburg: »Die Genfer Konferenz ist ohne Zweifel ein Erfolg der Viermächtekonferenz in Berlin. Es ist gelungen, China zu dieser Konferenz einzuladen. Damit sind wir einen großen Schritt dem Weltfrieden nähergekommen.«

Nur vereinzelt wurden negative Stimmen bekannt. Ein Bauer aus Tausa, [Bezirk] Gera: »Die mit ihren Konferenzen regen mich langsam auf. Ich glaube, die machen auch nur die Konferenzen darum, damit sie mal anständig essen und trinken können. Etwas Gutes ist bisher noch nie dabei herausgekommen, weil die Großmächte alle miteinander stur sind.«

Äußerungen zum 1. Mai wurden folgende bekannt:

Ein Bauer aus Mühlberg, [Bezirk] Cottbus: »Wir müssen uns alle anstrengen, damit es zu keinem neuen Krieg kommt und niemals die Wasserstoffbombe abgeworfen wird. Deshalb muss jeder friedliebende Mensch zum 1. Mai [1954] mitdemonstrieren.«

Ein Brigadier aus Marktgölitz, [Bezirk] Gera: »Der 1. Mai ist schon immer ein Kampftag der Arbeiter und Bauern gewesen und muss deshalb von diesen auch feierlich begangen werden.«

Negativ äußerte sich ein Traktorist der MTS Krölpa, [Bezirk] Gera: »Die Transparente allein können die Arbeiter nicht begeistern. Erst müssen die Preise für die Lebensmittel gesenkt werden, dann kann man auch die Arbeiter für den 1. Mai [1954] begeistern.«

Anlässlich des 1. Mai [1954] kommt es auch unter der Landbevölkerung zu Verpflichtungen. So zum Beispiel übernahmen im Kreis Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, 600 werktätige Bauern die Verpflichtung, Folgendes für den freien Verkauf zu liefern: 25 000 kg Milch, 7 000 Stück Eier, 5 000 kg Rindfleisch, 7 600 kg Schweinefleisch, 109 Stück Schweine, 18 Rinder und 15 Kälber.

Im Mittelpunk des Interesses stehen wirtschaftliche Probleme. Größtenteils sind bestehende Mängel Gegenstand der Diskussionen. In der Gemeinde Schortewitz, [Bezirk] Halle, können Bauern nicht verstehen, dass in der Zuckerfabrik Prosigk 80 Tonnen Trockenschnitzel lagern, während sie kaum etwas für das Vieh zu füttern haben. Sie bringen zum Ausdruck, dass sich wahrscheinlich der Rat des Kreises nicht genügend um die Freigabe bemüht.

Im Bezirk Magdeburg ist verschiedentlich zu verzeichnen, dass die VdgB/BHG Großbauern in der Belieferung mit Saatgut bevorzugen. So z. B. lieferte die BHG Mieste, [Bezirk] Magdeburg, an Großbauern größere Mengen Saatkartoffeln während die anderen Bauern benachteiligt wurden.

Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, wurde festgestellt, dass trotz Verbotes Großbauern Düngemittel gegen Saatkartoffeln eintauschen.15 Als diesbezüglich ein Großbauer aus Meyenburg, [Bezirk] Potsdam, zur Rede gestellt wurde, äußerte er: »Gebt uns doch mehr Düngemittel, dann sind wir auch nicht gezwungen, diese aus anderen Kreisen zu holen, außerdem kann ich es nicht verstehen, dass andere Kreise noch Düngemittel abgeben können, während wir zu wenig haben. Hier muss doch eine verkehrte Planung vorliegen.«

Verschiedentlich wird von den MTS über schlechte Qualität der Traktorenreifen geklagt. Zum Beispiel in der MTS Kölzow, [Bezirk] Rostock, halten die Reifen nur durchschnittlich 300 Arbeitsstunden.

Im Kreis Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind Bauern empört, dass nicht genügend gegen die Erkrankung (Scheidenkatharr) ihrer Rinder getan wird. Es musste schon ein beachtlicher Teil abgeschlachtet werden.

Das VEG Neustadt, [Bezirk] Potsdam, darf aufgrund der Sperre wegen Schweinepest keine Schweine abliefern. Es stehen aber zur Ablieferung ca. 300 Schweine bereit, die verschiedentlich das vorgeschriebene Gewicht zum Teil um 25 kg überschritten haben. Der Leiter des VEG ist der Meinung, dass die Nichtablieferung sich nachteilig auswirken kann, wenn auf dem Gut die Schweinepest ausbrechen sollte.

Durch die Raubvögel haben die örtlichen landwirtschaftlichen Betriebe der Gemeinde Langefeld,16 [Bezirk] Halle, einen laufenden Verlust an Hühnern, sodass sie Schwierigkeiten bei der Ablieferung ihres Eiersolls haben.

Die Bauern in Horla, [Bezirk] Halle, klagen über große Schäden, die von ganzen Rudeln Hirsche (30 bis 40 Stück) verursacht werden, besonders auf den Getreidefeldern.

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Mittelbauer (DBD) aus Koßdorf, [Bezirk] Cottbus: »Wenn es so weitergeht, kommt es wieder wie im vorigen Jahr am 17.6.[1953] Die Arbeiter und Bauern sind ganz schön wieder empört, obwohl die Regierung den neuen Kurs versprochen hat, geht es im alten Lied weiter.17 In Lauchhammer gibt es jetzt schon keine Kartoffeln mehr für die Betriebsküchen. Die Arbeiter werden sich das nicht mehr lange gefallen lassen.«

Ein Großbauer aus Burxdorf, [Bezirk] Cottbus, äußerte gegenüber dem Bürgermeister: »Ich fordere, dass ich auch Kartoffelsaatgut bekomme, nicht nur die LPG-Bauern, den[en] man alles in den Hintern steckt. Wenn ihr mir kein Saatgut gebt, werde ich im Herbst nicht ein Stück abliefern.«

Übrige Bevölkerung

Zu politischen Tagesfragen wird wenig Stellung genommen. Zur Ächtung der Atom- und Wasserstoffbombe sowie zur Genfer Konferenz wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt, meist positiv. Größtenteils lehnt man die Massenvernichtungswaffen ab und fordert deren Verbot und u. a. wird begrüßt, dass China Konferenzteilnehmer ist.

Eine Einwohnerin aus Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Die Ächtung der Wasserstoffbombe ist ein Gebot der Menschlichkeit. Die Konferenz in Genf, welche die koreanische Frage und den schmutzigen Krieg in Vietnam zur Tagesordnung hat, muss ein voller Erfolg werden.«

Eine Lehrerin (parteilos) aus Reinberg, [Bezirk] Rostock: »Ich bin der Meinung, dass auf der Genfer Konferenz die wahren Vertreter Chinas anwesend sind. Diese werden bestimmt die Vorschläge der SU über die Lösung der deutschen Frage unterstützen, denn das chinesische Volk ist doch ebenfalls schwer geprüft durch den langen Krieg wie wir in Deutschland.«

Ein geringer Teil äußert sich zur Genfer Konferenz skeptisch. Dafür ist folgendes Beispiel charakteristisch: Eine Hausfrau aus Niederwiesa, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Bei der Außenministerkonferenz in Berlin ist nicht viel herausgekommen und so wird es auch bei der Genfer Konferenz werden.«

Nur ganz vereinzelt wurden negative Äußerungen zur Genfer Konferenz und zur Ächtung der Massenvernichtungsmittel bekannt. Eine Hausfrau aus Frankfurt: »Ob die in Genf zusammengetreten sind oder nicht. Deswegen bleibt doch alles so wie es war. Die gehen so wieder auseinander, wie sie gekommen sind. Wir sind ein entrechtetes Volk und können nichts dagegen unternehmen.«

Ein Einwohner aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich glaube an gar nichts mehr, diejenigen, die so viel schreiben, dass die Wasserstoffbombe verboten werden soll, besitzen sie gerade. Mir ist alles ganz egal, wir können doch nichts daran ändern.«

Zum 1. Mai [1954] wird überwiegend positiv Stellung genommen. Verschiedentlich wurde die Ausschmückung der Häuser dadurch beeinträchtigt, dass nicht genügend Dekorationsmaterial in den Geschäften vorrätig war. Dazu äußerte ein Geschäftsmann aus Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden: »Ich habe schon so lange Girlanden bestellt. Es wird dauernd danach gefragt. Heute erhielt ich den Bescheid, dass es keine gibt. Man soll dann aber auch nicht sagen, die Stadt wäre schlecht geschmückt.«

Negative Äußerungen zum 1. Mai [1954] wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Eine Verkäuferin von einer Konsumverkaufsstelle in Cottbus: »Jetzt gibt es nicht einmal mehr auf die A-Karte alles Butter,18 da geht bestimmt keiner zum 1. Mai [1954] zur Demonstration.« Ein Kohlenhändler aus Döbeln, [Bezirk] Leipzig: »Für mich gibt es keinen 1. Mai [1954], sondern nur einen 17. Juni [1953].«

Nach wie vor stehen im Mittelpunkt des Interesses wirtschaftliche und persönliche Belange. Die Kürzung des HO-Fleischwarenkontingentes ist verschiedentlich Gegenstand der Diskussionen. Zum Beispiel äußerte ein Angestellter vom Rat des Bezirkes Frankfurt: »Mir ist es unverständlich, dass [es] nicht einmal mehr Bockwürste zu kaufen gibt, da doch der neue Kurs zu einer Verbesserung der Lebenslage führen soll.«

Ein Buchhalter (SED), der beim Kulturbund Berlin angestellt ist, äußerte: »Ich beabsichtige von hier wegzugehen. Es hat jetzt eine Prüfung durch das Finanzministerium stattgefunden, dabei stellte sich heraus, dass manches nicht in Ordnung geht. Wenn z. B. ein Bundessekretär Geburtstag hat, spielen 10 000 DM für Geschenke und Feier keine Rolle. Über die Geschenke beschließt das Bundessekretariat und das sind immer diejenigen, die auch die Geschenke (wie z. B. Musiktruhen) bekommen.«

Aus den Kreisen der bürgerlichen Parteien wurde Folgendes bekannt: Auf einer Arbeitstagung des LDPD-Kreisvorstandes äußerte ein Mitglied aus Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam: »Die LDPD setzt sich doch für die Freiheit der Persönlichkeit ein, aber sie tut zu wenig für die Großbauern, die von der Regierung in jeder Weise benachteiligt werden. Die LDPD-Leitung müsste hier zentral eingreifen, um das Los der Großbauern zu erleichtern. Die SED behauptet immer, wir haben eine Diktatur der Arbeiter und Bauern, in Wirklichkeit ist es aber nur eine Diktatur von einigen SED-Funktionären. Eine freie Wahl würde beweisen, für wen die Arbeiter und Bauern wirklich sind.«

Während eines Gottesdienstes in der evangelischen Kirche in Karlshorst, Berlin, Eginhardstraße, erklärte ein Pfarrer: »Die jetzt laufende Kirchensammlung, die in der DDR, nicht, aber in Berlin durchgeführt werden darf, werden wir auch hier durchführen. Zu diesem Zweck erhielten die Besucher ein Tütchen, das nächsten Sonntag mit einer kleinen Gabe wieder abgegeben werden soll. Die Tüte trägt den Stempel: Evangelische Kirchengemeinde Karlshorst.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des SPD-Ostbüros:19 Dresden 4 400, Schwerin 300, Frankfurt 250.

Hetzschriften der NTS:20 Potsdam 5 000, Berlin 420, Dresden 320, Frankfurt 50.

Hetzschriften der KgU:21 Cottbus 1 000.

In Berlin wurden 20 000 Flugblätter aufgefunden.

Inhalt: Aufruf, am 1. Mai [1954], auf dem Platz der Republik teilzunehmen.22

Außerdem wurden 350 Hetzschriften »Tribüne«23 sichergestellt.

Im Bezirk Rostock wurden am 30.4.1954 20 000 Flugblätter mit dem Inhalt: Hetze gegen Genossen Molotow aufgefunden. Herausgeber unbekannt.

Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurden 47 Hetzschriften in tschechischer Schrift sichergestellt. Inhalt: unbekannt.

Am 29.4.1954 wurden nachmittags im Stadtpark von Magdeburg Hetzschriften des »Sozialdemokrat«24 gefunden, die von einem Radfahrer verbreitet wurden.

In der Oberschule in Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurden mit Maschine geschriebene Hetzzettel sichergestellt. Inhalt: Hetze gegen SED und DDR zum 1. Mai [1954].

Hetzbriefe wurden an BGL-Mitglieder verschiedener Berliner Betriebe versandt, in denen zur Teilnahme an der Demonstration in Westberlin aufgefordert wird.

Einige Hetzparolen wurden am 30.4.1954 in Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, mit folgendem Text angeschmiert: »Ostzone erwache!«, »Pieck25 verschwinde!«

Im Bezirk Gera wurden in Stadtroda am 29.4.1954 und 30.4.1954 von unbekannten Tätern einige rote Fahnen abgerissen.

Einschätzung der Situation

Im Mittelpunkt standen gestern die Vorbereitungen zum 1. Mai [1954], teilweise zeigt sich mehr Interesse wie 1953. Die Stimmung ist größtenteils positiv, besonders unter den Werktätigen der Betriebe.

Der Gegner hat die Verbreitung feindlicher Flugblätter wieder verstärkt.

Anlage 1 vom 30. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2194

Berichterstattung zum 1. Mai 1954

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des Ostbüros der SPD: Potsdam 3 000, Karl-Marx-Stadt 10, Frankfurt einige. Inhalt: Sozialdemokrat zum 1. Mai (und die bereits bekannten).

Hetzschriften der NTS: Frankfurt 5 000, Potsdam 2 500, Karl-Marx-Stadt 22. Inhalt: Freiheit für Truschnowitsch26 (und bereits bekannte).

Hetzschriften der KgU: Karl-Marx-Stadt 7.

In Karl-Marx-Stadt wurden 19 Hetzschriften mit tschechischer Schrift gefunden. Inhalt: unbekannt.

Im Bezirk Rostock wurden 20 000 Flugblätter sichergestellt. Inhalt: Molotow fürchtet sich vor dem Zeichen »W«, weil es Widerstand, Wahrheit, Wahlen und Wiedervereinigung bedeutet. Unser »W« zeigt weiter das wahre Gesicht Mitteldeutschlands.

Wie uns berichtet wurde, liegen auf der Autobahnstrecke von Berlin nach Prenzlau Unmengen von Flugblättern – sogar bündelweise. Herausgeber: NTS. Inhalt: unbekannt.

Weiter wurde uns bekannt, dass der Gegner am 1. Mai [1954] in Berlin Flugblätter verbreiten will. Im Fichtebunker27 und in Steglitz, Wrangelstraße 6 werden Flugblätter und Hetzmaterial ausgegeben.

Am 27.4.1954 wurden in Berlin, S-Bahnhof Wannsee, 108 Hetzbriefe, die an Bewohner der DDR adressiert waren, gefunden und dem VP-Abschnitt (T)28 übergeben. Inhalt: Hetzschriften.

Am 29.4.1954 wurde auf den Personenzug Weimar – Gera von unbekanntem Täter Steine in das Abteil der Roten Armee geworfen. Dabei wurde ein Offizier der Roten Armee verletzt.

Am 30.4.1954 wurden in Zittau, [Bezirk] Dresden, auf dem Platz der Jugend an der Tribüne zwei kleine Verbindungskabel zur Lautsprecheranlage durchgeschnitten. Täter unbekannt.

Antidemokratische Handlungen: In der Nacht vom 29.4.1954 zum 30.4.1954 wurde in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, eine Fensterscheibe des Stalin-Pavillons eingeschlagen. Zurzeit befindet sich dort eine Ausstellung über Ernst Thälmann29 und die KPD. Täter unbekannt.

In Deutzwüstow,30 [Bezirk] Rostock, wurde am 29.4.1954 im Kulturhaus der Eisenbahn ein »Wilhelm Pieck«-Bild heruntergerissen.

Antidemokratische Schmierereien: Aus Neuenhagen bei Berlin wird uns bekannt, dass an einem Hause eines VP-Angehörigen am 30.4.1954 »KVP nee«31 mit Ölfarbe angeschmiert wurde.

Am 29.4.1954 wurde zu zwei verschiedenen Zeiten das Gebiet der DDR Liebau in Richtung Neuhaus – Schierschnitz von einem amerikanischen Beobachtungsflugzeug überflogen.

Tätigkeit der Westsender (RIAS)

Am 30.4.1954 brachte RIAS in den Nachrichten, dass an die 2 800 Angestellten der Mitropa in Berlin Prämien zum 1. Mai 1954 verteilt werden sollen, nach folgendem Schema: Leitende Angestellte erhalten hohe Prämien und alle übrigen Angestellten nur geringe Beträge bzw. nur Kaffee- und Biermarken. Mit dieser Meldung will man Unzufriedenheit erzeugen.

Der RIAS gibt bekannt, dass Bewohner des demokratischen Sektors von Berlin, die an der Demonstration am Platz der Republik teilnehmen, sich am Leopoldplatz um 8.15 Uhr einfinden sollen.

Westberlin

Einsatz der Westpolizei zum 1. Mai 1954: Von der Schutzpolizei kommen 2/3 zum Einsatz, die örtlichen Kriminalinspektionen sollen mindestens 50 Prozent ihrer Beamten stellen. Der Dienst beginnt am 1. Mai 1954 um 6.00 Uhr.

Anlage 2 vom 30. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2194

[ohne Titel]

Quartierwerbung zum II. Deutschlandtreffen32 in Westberlin für FDJler aus der DDR

Am 21.4.1954 sprach der Bürgermeister von Berlin-Neukölln vor den Kriegsopfern und Zivilgeschädigten in Neukölln, wo etwa 280 bis 300 Personen anwesend waren. Im Schlusswort forderte er die Anwesenden auf, zu »Pfingsten nicht nach Außerhalb zu fahren, sondern gute Verbindungen aufzunehmen zu den FDJlern durch gute Quartiere, Geschenke, Familienanschluss und Aufklärung, damit ihnen ein echtes Bild vom freien Berlin vermittelt wird«. Ferner führte er aus, dass der Senat beschlossen habe, in diesem Jahr noch mehr Mittel für die FDJ zur Verfügung zu stellen. Theater, Kinos und andere Belustigungen seien vorgesehen. Quartiere und Bekleidung würden nur auf die FDJ warten.

Zur IV. internationalen Ostertagung des sozialistischen deutschen Studentenverbandes (SDS) in Berlin-Dahlem vom 15.4.1954 bis 21.4.195433

An der Konferenz nahmen ca. 60 deutsche und ausländische Studenten teil. Motto der Tagung: »Der 17. Juni – eine Forderung der deutschen Wiedervereinigung!«

Zweck der Tagung: Die Teilnehmer mit den Problemen der DDR, von westlicher Warte aus gesehen, bekannt zu machen, Vorschläge unterbreiten, um besonders auf dem Sektor der Hochschulpolitik die Errungenschaften der DDR abzuschaffen bzw. für die Zwecke der »sozialdemokratischen Internationale« auszunutzen.

Die Tagungsteilnehmer waren in zwei Fraktionen gespalten: In der »Gewerkschaftsfraktion« (entspricht der amerikanischen Fraktion in der SPD, steht hinter Ollenhauer)34 und in die »Erlerfraktion« (steht hinter Bundestagsabgeordneten Erler,35 wird besonders von österreichischen und jugoslawischen Teilnehmern unterstützt). Beide sind sich einig, dass die DDR abgeschafft werden müsse.

Zu den Referaten waren meist nicht mehr als die Hälfte der Teilnehmer anwesend. Ein Teilnehmer bemängelte den Zustand und sagte: »Man kann der Meinung sein, dass die Teilnehmer mehr Zeit im Ostsektor verbringen als dort, wo sie etwas über den wirklichen Ostsektor erfahren können.«

Die Arbeitsgemeinschaften erarbeiteten einen Vorschlag ans Kaiserministerium,36 damit seitens des SSD auf die hochschulpolitische Entwicklung in der DDR Einfluss genommen werden kann. Näheres hierüber ist nicht bekannt.

KgU und UFJ37 wollen das SfS schwächen

In Flugblättern mit der Überschrift: »An alle Angehörigen des SSD« wendet sich die »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« an die Mitarbeiter des SfS.

Mit einer wüsten Hetze gegen das Staatssekretariat für Staatssicherheit, dem »laufende Verstöße« gegen die Gesetze vorgeworfen werden und mit der Methode der Einschüchterung vor den »Folgen« dieser Tätigkeit, versucht die »KgU«, Mitarbeiter des SfS für die Flucht nach dem Westen, für die Bildung von Feindagenturen im SfS, für den Verrat von Staatsgeheimnissen und für die Aufgabe des Kampfes gegen Saboteure und Agenten zu gewinnen.

Im nachstehenden Text, der auszugsweise dem Flugblatt entnommen wurde, kommt die Absicht des Gegners zum Ausdruck: »Eine Flucht nach dem Westen wäre aber nur dann sinnvoll, wenn Ihr persönlich an Leib und Leben gefährdet wäret. Seid anständig zu den freiheitlichen Menschen eurer Zone. Seid die Keimzelle eines innerlichen Widerstandes. Meldet alle Vorkommnisse an uns. Bildet im inneren Widerstand kleinste Gruppen Gleichgesinnter. Meldet uns mit irgendwelchen Unterlagen die, die blindlings Befehle ausführen und meldet die, die anständig sind. Meldet uns aber auch die, die durch Haft und Terror erlegen sind.«

Mit der gleichen Methode der Einschüchterung arbeitet der »UFJ.« In der Absicht, die Mitarbeiter des SfS von ihrer Tätigkeit abzuhalten, wendet er sich jedoch in persönlichen Schreiben an sie und schickt ihnen Drohbriefe, die u. a. die nachstehenden Sätze enthalten: »In nicht allzu ferner Zeit werden Sie von einem unabhängigen deutschen Gericht zur Rechenschaft gezogen. Sie sind in unserer Belastetenkartei registriert und werden laufend von uns beobachtet.«38

Drohbriefe an Genossen, deren Bilder die Presse veröffentlicht hat

In diesen Briefen versucht die KgU, die Genossen der Partei von ihrer bisher geübten Wachsamkeit und der Unterstützung der Sicherheitsorgane durch Drohungen abzubringen. Sie werden aufgefordert, alle Vorkommnisse in ihr Gedächtnis zurückzurufen, die irgendwie mit der Überantwortung einer Person an das SfS zu tun hatten. Dazu legen sie einen Auszug aus dem Bonner »Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit«39 bei, damit soll sich der Empfänger »selbst sein Strafmaß errechnen«, welches ihm nach der Wiedervereinigung drohen würde.

Zugleich werden die Genossen aufgefordert, bei geeigneter Gelegenheit zur KgU nach Westberlin zu kommen, um sich »rechtfertigen« zu können. Dadurch erhofft sich die KgU, dass ihr einige Genossen ins Garn gehen und nach Westberlin zur KgU kommen bzw. mit ihr anderweitig Verbindung aufnehmen, die sie dann für ihre verbrecherischen Handlungen ausnutzen kann.

Störversuche des RIAS zum II. Deutschlandtreffen

In einer Sendung des RIAS »Jugend spricht zur Jugend« vom 28.4.1954 wurde gegen die Vorbereitung des II. Deutschlandtreffens gehetzt. Man wendet sich an die FDJler und fordert sie auf, sich nicht in die Sammellisten einzutragen bzw. noch damit zu warten, da, so heißt es wörtlich, »1950 und 1951 ebenfalls viel Staub aufgewirbelt wurde und hinterher fragte kein Mensch mehr nach Sammellisten, Beitragszahlung und Teilnehmermeldung. Jeder wurde genommen, nur um die geplante Zahl einigermaßen zu erfüllen.«40

Hiermit bezweckt man, die Vorbereitungsarbeiten zu stören. Weiter soll hierdurch erreicht werden, dass die Begeisterung der Jugend eingeengt wird, bzw. dass die Jugendlichen interesselos werden, da der Gegner sie für seine Zwecke gewinnen kann.

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