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Zur Beurteilung der Situation

30. September 1954
Informationsdienst Nr. 2327 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Ein großer Teil der Werktätigen verhält sich zu den politischen Tagesfragen interesselos. Die Diskussionen zu den Volkskammerwahlen1 haben sich gegenüber dem Vortage nicht verändert. In den positiven Diskussionen begrüßt man die einheitliche Kandidatenliste. Oft werden von den Werktätigen Einzel- und Kollektivverpflichtungen anlässlich der Volkskammerwahl übernommen.

In den negativen Diskussionen vertritt man teilweise die Meinung, dass man ja gar nicht mehr wählen brauchte, denn die Kandidaten seien ja schon aufgestellt. Verschiedentlich tritt auch das Argument auf, dass man schon so oft abgestimmt hätte und heraus kommt doch nichts. Neben diesen Argumenten tritt man immer wieder gegen die Aufstellung der gemeinsamen Kandidatenliste auf und fordert Parteiwahlen. Dabei werden die Wahlen in der DDR als undemokratisch bezeichnet. Zwei Arbeiter (CDU-Mitglieder) aus Erfurt äußerten, dass sie nicht einverstanden sind mit einer Aufstellung gemeinsamer Kandidaten, sondern es müssten Parteien gewählt werden. Die Wahlen sind überhaupt keine Wahlen, jedoch waren die in Westdeutschland stattgefundenen Wahlen demokratisch.2 Es habe überhaupt keinen Sinn mehr, einer Partei anzugehören.3

Ein Jugendlicher aus der Abteilung Werkzeugbau aus dem VEB Berliner Metallhütten und Halbzeugwerke vertritt die Auffassung, man braucht ja gar nicht mehr zu wählen, denn die Kandidaten seien ja schon aufgestellt. Mit Wahlen hätte die »Abstimmung« am 17. Oktober [1954] nichts zu tun.

Einige Arbeiter von der Baustelle Block 4 D Stalinallee vom VEB Hochbau Friedrichshain erklärten zur Volkswahl, es sei Jacke wie Hose, ob sie zur Volkswahl gehen oder nicht. Es gehe sowieso alles nach einem Schema, wie es in der SU üblich ist. Von einigen älteren Arbeitern wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Wahlen, die vor 1933 durchgeführt wurden, freie Wahlen gewesen sind.

In der Werkabteilung »Clara Zetkin« des Braunkohlenwerkes Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, äußerten sich einige Arbeiter, dass am 17. Oktober 1954 ein Tag »X«4 durchgeführt werden soll.

Über das Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR Puschkin5 wird nur ganz vereinzelt diskutiert.6

Über die Explosionskatastrophe in Bitburg/Eifel7 wird von den Werktätigen noch wenig diskutiert, ausschließlich positiv. Bei diesen Diskussionen bringen die Arbeiter ihre Empörung zum Ausdruck und fordern die Einstellung der Wiederaufrüstung Westdeutschlands. Ein Arbeiter (parteilos) vom Meßgerätewerk in Treuenbrietzen, [Bezirk] Potsdam: »Daran sieht man am besten, wie es in Westdeutschland getrieben wird. Es ist traurig, dass bei dieser Explosion wieder zu 90 Prozent Deutsche kaputtgegangen sind. Wenn Adenauer8 und Konsorten draufgegangen wären, dann hätte kein Huhn danach gekräht, denn gerade diese Menschen bringen doch in Westdeutschland die Not und das Elend. Für uns ist dieses Vorkommnis in Westdeutschland wieder ein gutes Argument, denn an diesem Beispiel müssten die Leutchen, die immer noch an den goldenen Westen glauben, jetzt klar und deutlich erkennen, dass es nicht so ist. Das sieht man auch daran, dass nach Treuenbrietzen immer mehr Großbauern zurückkommen, die vom Westen die Schnauze voll haben.«

Ein parteiloser Kollege aus dem VEB Möbelwerk in Pößneck, [Bezirk] Gera: »Es ist schade, dass durch dieses Explosionsunglück in Bitburg deutsche Menschen ums Leben kamen. Es wäre aber richtig, dass auf jedem Flugplatz in Westdeutschland sich eine solche Katastrophe ereignen würde, damit die westlichen Kriegstreiber auf das Schwerste geschädigt würden. Jedoch dürften keine ehrlichen Menschen dabei ums Leben kommen, sondern müssten an diesen Stellen die Kriegstreiber stehen.«

Ein Kollege des Chemischen Werkes »Buna«, [Bezirk] Halle, äußerte: »Die Werktätigen in Westdeutschland sollen doch einen Knüppel nehmen und die Schuldigen an der Katastrophe in Bitburg zum Teufel jagen. Wegen mir können sie eine ganze Masse solchen Benzins stapeln, aber wenn dabei Menschen ums Leben kommen, dann weiter nichts wie raus mit der Besatzungsbande.«

Ein Kollege aus den Chemischen Werken »Leuna«, [Bezirk] Halle: »Es ist eine Schande, obwohl die Wunden des letzten Krieges noch nicht verheilt sind, dass schon wieder Kriegsvorbereitungen getroffen werden. Die Katastrophe von Bitburg zeigt uns deutlich die Vorbereitung eines Krieges, denn der dort lagernde Treibstoff dient ausschließlich der Aufrüstung und einem Krieg.«

Auf einer Versammlung zur Vorbereitung der Volkswahl auf dem Bahnhof Sonneberg, [Bezirk] Suhl, äußerte sich ein Zugführer über das Lohnproblem der Reichsbahn wie folgt: »Die Eisenbahn ist das fünfte Rad am Wagen und wir bekommen den niedrigsten Lohn, trotzdem wir wirtschaftlich arbeiten. Mir scheint, als wenn wir die volkseigenen Betriebe mitfinanzieren müssten.« In seinen weiteren Ausführungen brachte er zum Ausdruck, dass er auch keine Gewerkschaftsbeiträge mehr zahle.

In der Abteilung Wiesenmühle II des VEB Porzellanwerkes Kahla, [Bezirk] Gera, sind die Arbeiter ungehalten darüber, dass der Vorschlag, den Kollegen [Vorname Name] als verdienten Aktivisten auszuzeichnen, von der BGL und Werkleitung mit der Begründung abgelehnt wurde, der Vorschlag kommt zu spät. Dieser Vorschlag wurde jedoch einen Tag später, als die BGL die Kollegen aufgefordert hatte, Vorschläge zu machen, abgegeben. Der Kollege [Name] ist der Initiator der »Frida-Hockauf-Bewegung«9 in der Porzellanindustrie.

Ein Arbeiter vom VEB Gummi- und Textilwerk Bad Blankenburg, [Bezirk] Gera, brachte in einer Diskussion zum Ausdruck, dass in einigen Abteilungen des genannten VEB die Normen ohne Einverständnis der Arbeiter erhöht wurden. Er äußerte weiter, dass diese Maßnahme, gerade jetzt vor der Volkswahl, große Unzufriedenheit unter den Werktätigen des VEB auslöse.

Materialschwierigkeiten

Die Zuckerfabrik Zeitz, [Bezirk] Halle, läuft zzt. nur mit halber Kapazität, da es noch an Zuckerrüben mangelt.

Aus dem Braunkohlenwerk Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus, wird bekannt, dass der Betrieb bereits seit November 1953 auf 12 × 30-mm- und 8 × 30-mm-Schrauben wartet, welche bis heute noch nicht vorhanden sind.

Im VEB Kraftfahrzeugwerk »Ernst Grube« in Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlt es besonders an Tragfedern, Reifen und Verzahnungsteilen.

Im Kreisbaubetrieb Bautzen, [Bezirk] Dresden, fehlt es an Holz und Zement. Darunter leidet besonders der Wohnungsbau.

Im VEB Oberlausitzer Wohnmöbelwerk Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, fehlt es an Leim, Glas und Schrauben. Durch diese Materialschwierigkeiten ist ein Warenstau von Halbertigfabrikaten im Werte von 106 000 DM eingetreten.

Auf der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, besteht ein Engpass an Schrauben und Muttern. In der Tischlerei der Volkswerft mangelt es an Holz.

Im VEB Keramik Gräfenroda, [Bezirk] Erfurt, fehlt es an Zinnoxid, ohne dass der Betrieb die Produktion nicht aufrechterhalten kann.

Im VEB »Minimax« Neuruppin,10 [Bezirk] Potsdam, sind Schwierigkeiten bei der Belieferung mit Blechen eingetreten, sodass die normale Produktion nur noch bis 10.10.[1954] gesichert ist.

Waggonmangel

Im VEB Anhydritwerk Niedersachswerfen, [Bezirk] Erfurt, fehlen Waggons, um den fertigen Baustoffe auszuliefern. Es lagern dort große Mengen dieses Baustoffes, sodass der Finanzplan gefährdet ist. Ein Arbeiter sagte dazu: »Was soll das erst im Winter werden, wenn jetzt schon keine Waggons dasind. Hier müsste doch unbedingt eine Änderung eintreten, denn unser Baustoff wird überall dringend benötigt.«

Der VEB Federnwerk Zittau, [Bezirk] Dresden, erhält wegen stattfindender Reparatur im Gaswerk Hirschfelde täglich 5 000 cbm weniger Gas als sonst. Dadurch treten Schwierigkeiten in der Produktion auf. Die Planerfüllung ist ebenfalls nicht gewährleistet.

Produktionsstörung

In der Betriebsabteilung »Clara Zetkin« des Braunkohlenwerkes Senftenberg entstand durch das Überfahren eines Prellbockes der Bunkerbrücke eine Betriebsstörung, wobei der tägliche Produktionsausfall etwa 540 t Briketts beträgt. Der Einsturz der Bunkerbrücke sowie die Beschädigung eines Förderbandes verursachten außerdem einen größeren Sachschaden, dessen Höhe noch nicht festliegt.

Handel und Versorgung

Schwierigkeiten in der Versorgung mit Kohle bestehen teilweise in den Bezirken Halle, Suhl und Leipzig. Im Kreis Döbeln, [Bezirk] Leipzig, z. B. ist die Belieferung mit Kohlen erst zu 55 Prozent und in Sangerhausen, [Bezirk] Halle, zu 60 Prozent erfolgt. Im Kreis Ilmenau, [Bezirk] Suhl, stehen noch Reste aus dem Monat August aus und die DHZ teilte dort mit, dass die Rückstände nicht mehr geliefert werden, da sie am 30.9.[1954] verfallen. Aufgrund dessen werden einige Bäckereibetriebe schließen müssen.

Im Bezirk Rostock bestehen Engpässe in der Belieferung mit Einkellerungskartoffeln.

Bei einer Bürgermeisterbesprechung in Kamenz, [Bezirk] Dresden, waren fast alle anwesenden Bürgermeister des Kreises darüber empört, dass zzt. Kartoffeln frei verkauft werden. Sie sehen darin eine große Gefahr in der Sicherung unserer Kartoffelversorgung und betrachten diese Maßnahme als Sabotage. Da durch das ungünstige Wetter in diesem Jahr mit keiner überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (Kartoffelernte), können die Bürgermeister und Bauern des Kreises Kamenz nicht verstehen, dass Kartoffeln frei verkauft werden und fordern die Einstellung des Freiverkaufes.

Dem Kreis Quedlinburg, [Bezirk] Halle, wurden für das IV. Quartal statt 42 000 Liter nur 36 000 Liter Benzin zugeteilt. Dadurch entstehen Transportschwierigkeiten für die Einsätze zur Volkswahl und für den Berufsverkehr.

Die Fleischversorgung ist in Gräfenhainichen, Oranienbaum und Bergwitz, [Bezirk] Halle, auf HO-Basis nur mäßig und auf Marken gefährdet. Ab 30.9.1954 wird in sämtlichen Geschäften kein Fleisch mehr vorhanden sein.

In verschiedenen Kreisen des Bezirkes Erfurt und insbesondere im Kreis Worbis wird die mangelhafte Warenstreuung lebhaft diskutiert. Schwerpunkte der Diskussionen sind die mangelhafte Belieferung mit Frischfisch und die unzureichende Versorgung mit rationiertem Fleisch, die sich besonders im staatlichen und genossenschaftlichen Handel bemerkbar machen.

Über mangelhafte Belieferung mit HO-Fleisch- und -Wurstwaren beklagt sich auch der Kreis Hildburghausen, [Bezirk] Suhl. Negative Diskussionen werden in einigen Verkaufsstellen in Meiningen, [Bezirk] Suhl, über die mangelhafte Versorgung des Konsums mit Eiern, Käse, Zucker, Arbeitskleidung und Gummistiefeln geführt. Die Privatgeschäfte werden dort mit diesen Waren besser versorgt.

Im Kreis Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, fehlen Zigaretten und in Neubrandenburg lagern Zigaretten. Der Grund dafür ist, dass der Kraftverkehr nicht genügend Fahrzeuge hat, um alle Landverkaufsstellen ausreichend zu beliefern. (Mit der Salzheringsverteilung verhält es sich ebenso.)

In Zeitz, [Bezirk] Halle, ist die Belieferung mit Speiseöl nach der Preissenkung unzureichend und erfolgt nur stoßweise.11 Außerdem wird von der Bevölkerung kritisiert, dass nach der Preissenkung Speiseöl der teueren Sorten geliefert werden.

Im Kreisgebiet Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, ist zzt. eine äußerst negative Stimmung unter den Konsummitgliedern vorhanden, da die Rückvergütung nur mit einem Prozent ausgezahlt wird.12 Eine erhebliche Anzahl der Mitglieder erklärte schon, dass sie aus dem Konsum austreten werden. Eine niedrige Rückvergütung an die Mitglieder des Konsums treten [sic!] ebenfalls in anderen Kreisen des Bezirkes Leipzig in Erscheinung.

Landwirtschaft

Die Einstellung zur Volkskammerwahl ist überwiegend positiv und findet durch zahlreiche weitere Selbstverpflichtungen ihren Ausdruck. Damit bekundet man die Bereitschaft, unsere Regierung im Kampf um den Frieden, die Einheit Deutschlands und des Wohlstands des deutschen Volkes zu unterstützen. So erklärte ein werktätiger Bauer aus Lausnik,13 [Bezirk] Gera: »Ich kann nur im Frieden meiner Arbeit nachgehen und deshalb will ich alles daransetzen, dass die Einheit Deutschlands herbeigeführt wird. Aus diesem Grunde werde ich mit meiner Frau und meiner Mutter am 17.10.[1954] meine Stimme den Kandidaten der Nationalen Front14 für ein frohes und glückliches Leben geben und [versuche,] mein Kartoffelsoll bis zum 29.9.[1954] mit 50 Prozent zu erfüllen.«

Die feindlichen Meinungen sind nur gering und werden hauptsächlich von Groß- und Mittelbauern und Mitgliedern bürgerlicher Parteien vertreten. Ein Bauer aus Seehausen, [Bezirk] Dresden, sagte: »Wenn meine Sollrückstände aus dem Jahre 1953 nicht gestrichen werden, gehe ich nicht zur Wahl.«

Im Bezirk Schwerin werden in Diskussionen über die Volkswahl von Großbauern und Bürgern aus den freien Ostgebieten immer wieder die Forderungen nach Listenwahlen und der freien Wirtschaft gestellt. Wie z. B. vom Vorsitzenden des VdgB aus Prüzen-Güstrow, [Bezirk] Schwerin, einem Bauern und einem Lehrer (CDU) aus Garden-Güstrow.

Am 26.9.1954 wurde in allen Kreisen des Bezirkes Neubrandenburg ein Landsonntag durchgeführt.15 Hierbei traten besonders negative Diskussionen in der Frage der Oder-Neiße-Friedensgrenze und der »freien Wirtschaft« auf. In der Gemeinde Blumenhagen, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde wie folgt diskutiert: »Stalin hat einmal gesagt: ›Ein guter Mensch ist der, der seine Heimat liebt und sie bis zum Äußersten verteidigt.‹16 Wir sind solche guten Menschen und sind aus Ostpreußen.«

Zu der Explosionskatastrophe in Bitburg/Eifel wurde vereinzelt positiv Stellung genommen. Ein Bauer aus Korbetha, [Bezirk] Halle, sagte: »Die Explosion im NATO-Stützpunkt in Bitburg, wobei 35 Menschen ums Leben kamen, ist das Verschulden der Amerikaner, der Kriegsbrandstifter, die nicht davor zurückschrecken, wenn bei ihren Atomversuchen Menschen ums Leben kommen.17 Es ist Pflicht aller Deutschen, angesichts dieser Katastrophe ihre Stimme den Volkskandidaten der Nationalen Front zu geben.«

Mängel und Missstände

In der MTS Luttowitz, [Bezirk] Dresden, fehlen Reifen, Größe 12 × 75 für Traktoren. Dadurch war die MTS gezwungen, einen Teil der Traktoren auf Eisenräder zu setzen, was einen größeren Materialverschleiß und Senkung der Produktivität bedeutet.

Mehrere werktätige Bauern beklagen sich über die MTS Wittstock, Kreis Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, dass sie noch keinen Dreschsatz erhalten haben, um das Getreide zu dreschen und abzuliefern. Die Bauern sagen: »Bisher wurden von der MTS nur Versprechungen gemacht.«

Im Kreis Zeitz, [Bezirk] Gera,18 sind die Bauern über die Stromabschaltungen verärgert, weil diese gerade in der Zeit von 18.30 bis 20.00 Uhr erfolgen, in der Zeit, wo die Bauern beim Füttern sind. Ebenso sind die Bauern auch im Kreis Pößneck über die Stromabschaltungen, die jetzt häufiger und immer plötzlich einsetzen, sehr verärgert. Diese Maßnahmen erscheinen ihnen gerade jetzt, bei der Vorbereitung der Volkswahlen als unverständlich.

In Schöps, [Bezirk] Gera, herrscht zzt. unter den Bauern eine schlechte Stimmung darüber, dass die 8 bis 10 Bauern, welche im vergangenem Jahr Manöverschäden hatten, diese den zuständigen Stellen meldeten und die Post darüber in der vergangenen Woche unbeantwortet19 zurückerhielten. Die Bauern finden sich damit in keiner Weise einverstanden und diskutieren wie folgt: »Warum schreibt man bei uns so viel in den Zeitungen über die Manöverschäden in Westdeutschland seitens der Amerikaner,20 wenn es hier bei uns genauso ist.«

In der LPG »Morgensonne«, [Bezirk] Magdeburg,21 brach am 28.9.[1954] ein Großbrand aus und zerstörte die Scheune und den Stall, welche größere Mengen landwirtschaftlicher Erzeugnisse enthielten. Brandursache: Spielen von Kindern mit Streichhölzern. Schaden: »ca. 88 000 DM«.

Anlässlich eines Ausspracheabends der Nationalen Front in Mittelstille, [Bezirk] Suhl, zur Vorbereitung der Volkswahl, erklärte ein Bauer, Mitglied des DBD: »Jawohl, 90 Prozent unserer Bauern geht es gut, die würden auch noch mehr leisten und sich noch mehr um unsere Regierung scharen, wenn nicht die Angst vor der Kollektivierung22 wäre.«

In Blankenburg, Kreis Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde fünf Minuten vor Beginn der Versammlung Feueralarm gegeben, weil angeblich die Feldscheune brannte. Der Bürgermeister war von dem Probealarm nicht unterrichtet. Von den ca. 100 erschienenen Teilnehmern wurde dadurch ein großer Teil, besonders Jugendliche, aus der Versammlung herangezogen.

Übrige Bevölkerung

Weiterhin wird nur wenig über politische Probleme gesprochen. Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen stehen die Vorbereitungen zur Volkswahl. Nach wie vor wird darüber überwiegend positiv gesprochen und es wird übereinstimmend zum Ausdruck gebracht, dass die Bevölkerung mit der Aufstellung einer gemeinsamen Kandidatenliste einverstanden ist und dass sie für die Kandidaten der Nationalen Front stimmen wird.

Negative bzw. feindliche Äußerungen stammen meist von Personen aus bürgerlichen Kreisen. Ihre Argumente sind u. a., dass sie mit der Wahlliste nicht einverstanden sind, weil dadurch nicht von einer demokratischen Wahl gesprochen werden könnte oder dass das Ergebnis von vornherein schon feststehen würde. Zum Beispiel sagte ein Arzt aus dem Kreis Bautzen, [Bezirk] Dresden: »Mit der Wahlliste der Nationalen Front bin ich nicht einverstanden. Es ist nicht richtig, dass die Kandidaten im Block gewählt werden. Auf der Wahlliste müsste auch eine Opposition stehen.«

Eine Hausfrau (parteilos) aus Meißen, [Bezirk] Dresden: »Was haben die Volkswahlen schon für einen Zweck. Das Ergebnis liegt doch bereits fest.«

Ein Uhrmacher aus Satow, [Kreis] Doberan, [Bezirk] Rostock, sagte in einer Handwerkerversammlung: »Man müsste jetzt eine andere Partei vorlassen, die würde es besser verstehen, mit Adenauer eine Einigung zu erzielen.«

In letzter Zeit zeigt sich immer wieder, dass Pfarrer, wenn sie wegen einer Stellungnahme oder Mitarbeit zur Wahl angesprochen werden, zum Ausdruck bringen, dass sie selbst nicht frei entscheiden könnten, sondern nur nach Weisung ihrer vorgesetzten Kirchenbehörde handeln würden. Ein Pfarrer aus Frauenwald, [Bezirk] Suhl, sagte z. B.: »Ich gehe zur Wahl, aber den Stimmzettel muss ich ungültig machen, weil ich Anweisung von meiner vorgesetzten Kirchenstelle habe, die mir als Pfarrer meine Handlungen vorschreibt.«

In der Gemeinde Radis, [Kreis] Gräfenhainichen, [Bezirk] Halle, brachte ein Pfarrer zum Ausdruck, dass er von seinem Bischof eine Anweisung erhalten habe, wonach er nicht an der Volkswahl teilnehmen, sondern sich seiner Wahlpflicht durch Verreisen entziehen solle.

Neben den positiven Stellungnahmen aus den Kreisen der bürgerlichen Parteien, die zum Ausdruck bringen, dass sie mit der gemeinsamen Kandidatenliste einverstanden sind, kommt es immer wieder zu ablehnenden Äußerungen sowie zu negativen Haltungen in Bezug auf die Vorbereitungen zur Volkswahl. Zum Beispiel wurden im Kreis Altentreptow, [Bezirk] Neubrandenburg, zum Landsonntag 345 Aufklärer aus Stadt und Land eingesetzt, davon nicht ein einziger von der NDPD und DBD und vonseiten der CDU beteiligte sich nur ein Mitglied.

Bei einer Blockaussprache in Fürstenwerder, [Bezirk] Neubrandenburg, brachte der Vorsitzende der NDPD nach Aufforderung, das Aufklärungslokal zu besetzen, zum Ausdruck: »Ihr könnt mir alle am Hobel blasen, ich gebe mir keine Mühe um die Besetzung des Aufklärungslokales.«

Ein DBD-Mitglied aus Rackow,23 [Kreis] Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte gegenüber einigen anderen Mitgliedern: »Der erste Sekretär der SED ist für mich ein dummer Junge. Die alle oben in den grünen Stühlen sitzen, sind schuld an unserer Lage. Hätten wir sie nur nicht 1950 gewählt.«24

Die ehemalige Sekretärin des Bezirksverbandes der CDU Suhl äußerte vor einigen Tagen gegenüber einem Vertreter der »Neuen Zeit«25 aus Berlin, dass die Volkswahlen bzw. die Listenwahlen großer Mist seien und sie niemals den Interessen der CDU-Mitglieder dienen würden. Auch seien die CDU-Mitglieder von Zella-Mehlis mit dieser Wahl nicht einverstanden.

Bei der Vorbereitung zur Volkswahl zeigt sich, dass verschiedentlich Rentner sich negativ äußern, weil sie mit ihrer Lage unzufrieden sind. Zum Beispiel sagte ein Rentner aus Schönberg, [Kreis] Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock: »Kein Mensch müsste zur Wahl hingehen und wenn, dann nur eine ungültige Stimme abgeben. Das wird nachher doch alles für gültig erklärt. Ich will versuchen, vor der Wahl noch nach Möllen26 zu fahren und dann dort die Wahrheit sagen. Es sind sowieso keine Kandidaten dabei, die uns vertreten. Alles nur welche, die für ihren Lärm bezahlt werden.«

In den Gemeinden Krausnick27 und Zeckerin, [Kreis] Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, treten Tendenzen auf, dass dort die Rentner am 17. Oktober [1954] ihre Stimme nicht den Kandidaten der Nationalen Front geben wollen, da sie zu wenig Rente erhalten würden.

In Versammlungen und Ausspracheabenden mit dem Handwerk kommt es des Öfteren zu negativen Erscheinungen, wie z. B., dass die Referenten durch Zwischenrufe unterbrochen werden oder dass in den Diskussionen negativ zur Lage der Handwerker Stellung genommen wird. Zum Beispiel fand am 27.9.1954 in Magdeburg eine Versammlung des Bäckerhandwerkes statt. Anwesend ca. 200 Personen. Bereits während des Referates, als auf die Bedeutung der Volkswahlen hingewiesen und besonders herausgestellt wurde, dass die Vertreter der Regierung immer die Interessen der Arbeiterschaft und auch des Mittelstandes vertreten haben, wurden Zwischenrufe laut, wie z. B.: »Das stimmt nicht!« In der Diskussion äußerte ein Bäckermeister: »Wenn man hier von Mittelstand spricht, so muss ich sagen, dass der Mittelstand in der Zeit vor dem 17.6.1953 totgemacht worden ist.28 Wo war da die Partei oder Regierung, die die Interessen des Mittelstandes vertritt? Wenn hier davon gesprochen wird, dass Materialsorgen keine Existenzsorgen sind, muss ich sagen, dass das nicht stimmt.« Der Obermeister erklärte in der Diskussion: »Die Erregung, die im Saal herrscht, ist durchaus verständlich. Die Regierung hat bisher noch nichts getan, um die Verdienstspanne des Bäckerhandwerks, die zur Aufrechterhaltung der Existenz dient, zu verändern. Die Verdienstspanne müsste 6 Prozent betragen, liegt zzt. jedoch nur bei 3 Prozent.« (Die ca. 20 Diskussionsredner befassten sich nur mit den Schwierigkeiten der Materialversorgung und der Verdienstspanne.) Die anwesenden Genossen unterstützten den Referenten nicht und ließen der Diskussion ihren Lauf.

Am 29.9.1954 sollte in Halle der Rundfunkkommentator29 Karl Eduard von Schnitzler30 im RAW und abends im Puschkinhaus sprechen. Es waren im RAW ca. 2 000 und im Puschkinhaus ca. 1 000 Personen versammelt und der Referent erschien nicht. Darüber herrschte Empörung unter den Teilnehmern und man forderte eine öffentliche Stellungnahme von Schnitzler.

Wie schon berichtet, kommt es in letzter Zeit wiederholt zu Unzufriedenheit unter der Bevölkerung wegen der Stromabschaltungen. Darüber wurde heute aus den Bezirken Schwerin und Gera berichtet. Dazu äußerte z. B. ein Einwohner aus Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Die Stromabschaltungen werden ja dieses Jahr noch schlimmer als voriges Jahr durchgeführt, obwohl die Verordnung der Regierung besagt, dass keine Stromabschaltungen erfolgen dürfen.31 Es ist unmöglich, wenn man von uns verlangt, dass wir die Zeit der Abschaltungen nach Arbeitsschluss in den Betrieben nacharbeiten müssen. So kam es in den letzten Tagen vor, dass wir drei Stunden in der Spitzenzeit herumsaßen und nichts machen konnten und nach Mitternacht drei Stunden länger arbeiten mussten.«

Aus dem Kreis Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, wird bekannt, dass unter der sorbischen Bevölkerung darüber diskutiert wird, dass sie nicht einverstanden sind, wenn der Deutschunterricht gekürzt wird zugunsten des sorbischen Unterrichtes. Man ist der Meinung, dass das Erlernen der sorbischen Sprache dem einzelnen Schüler freigestellt werden sollte.

In letzter Zeit wird besonders bei Haus- und Straßenversammlungen im Demokratischen Sektor über die Benutzung von Einkaufsbescheinigungen durch Westberliner Bürger diskutiert. Es wurde die Beobachtung gemacht, dass in den Verkaufsstellen Personen aufgrund dieser Bescheinigung Mengen von Lebensmitteln kaufen, die nicht nur für ihren eigenen Bedarf bestimmt sein konnten. Der Missbrauch dieser Einkaufsbescheinigungen wäre eine Verschiebung von Waren nach Westdeutschland auf legalem Wege.32

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:33 Karl-Marx-Stadt 2 057, Halle 1 015, Cottbus 500, Dresden 3, Potsdam einige.

NTS:34 Magdeburg 30 000, Potsdam 9 036, Rostock 8 780, Schwerin verstärkt, Karl-Marx-Stadt 196, Halle 72, Dresden 32, Gera einige.

In tschechischer Sprache: Dresden 60.

Die Flugblätter wurden meist sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Diversion

In der Nacht zum 29.9.1954 haben unbekannte Täter auf dem Stützpunkt der MTS Gerdshagen in Halenbeck, [Bezirk] Potsdam, einen Vorderreifen eines Traktors zerschnitten.

Am 20.9.1954 wurde im VEB Seehafen Wismar am Kran III im Holzhafen das Öl aus dem Motor ausgelassen. Täter unbekannt.

In der Nacht vom 28. zum 29.9.[1954] wurde von unbekannten Tätern die Telefonverbindung der Gemeinde Charlottenhof, [Bezirk] Neubrandenburg, in die LPG Charlottenhof durchgeschnitten.

Antidemokratische Tätigkeit

In der Nacht zum 29.9.[1954] haben unbekannte Täter in Wilhelmshorst bei Potsdam die Karl-Marx-Gedenktafel umgeworfen und beschädigt und am Bahnhof Wahlplakate abgerissen.

Am 28.9.1954 wurde in einem Traglastenabteil eines Personenzuges, der von Magdeburg nach Potsdam fährt, eine Hetzlosung gegen die SED in Potsdam festgestellt.

Gerüchte

In Kleinmachnow bei Berlin wird das Gerücht verbreitet, dass die Parteihochschule verlegt werde, da dieser Ort demnächst dem USA-Sektor angegliedert wird. Damit will man die Bewohner warnen, sich nicht an der Wahl zu beteiligen.

In Malterhausen, Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, wird verbreitet, dass Lebensmittel, u. a. auch Butter, nach der Volkswahl wieder teurer werden.

In drei Gemeinden des Kreises Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, kursiert das Gerücht, dass bis zur Volkswahl die Durchführung von Erntefesten untersagt sei.

In der Gemeinde Löwenberg, Kreis Gransee, [Bezirk] Potsdam, verbreitet man das Gerücht, dass in Kürze ein neues Gesetz herauskommt, wonach das Eigentum aller Personen, die das 70. Lebensjahr erreicht haben, nach deren Tod dem Staat zufällt.

Gefälschte Schreiben zur Störung der Volkswahl

An Kreisvorsitzende der Nationalen Front werden gefälschte Rundschreiben mit dem Kopf des Nationalrats verschickt, die Richtlinien zur Volkswahl enthalten, die unter der Bevölkerung Verwirrung hervorrufen sollen. (Wurden bisher im Bezirk Gera verbreitet.)

Kreisausschüsse der Nationalen Front erhalten gefälschte Schreiben, wonach eine Versorgungskrise in der DDR eintreten soll. Es wird aufgefordert, alle Agitatoren daraufhin zu schulen. Als Absender ist der Nationalrat der Nationalen Front, Büro des Präsidiums, Berlin, angegeben. (Wurden bisher im Bezirk Suhl aufgefunden.)

An Grundschulen werden gefälschte Schreiben vom Zentralvorstand der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung, unterzeichnet mit Albrecht,35 verschickt. Der Inhalt bezieht sich auf die Wahlen und soll Verwirrung unter der Lehrerschaft bringen. (Wurde bisher im Bezirk Suhl verbreitet.)

An die Nationale Front in Greiz, [Bezirk] Gera, wurde ein anonymes Schreiben gesandt, welches sich gegen die Aufstellung von einzelnen Kandidaten richtet. Man bezeichnet sie als »Konjunkturritter« u. a. m. Die SED-Kreisleitung wird für die Aufstellung solcher Kandidaten verantwortlich gemacht und man droht, dass man dies den Abgeordneten der Volkskammer schriftlich mitteilen wolle.

Anlage 1 vom 30. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2327

[Diskussionen zu Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR]

Zum Schreiben des Hohen Kommissars der UdSSR Puschkin an Conant36 wird nur in Einzelfällen diskutiert. Meist ist es der Bevölkerung nicht bekannt. Andere sehen solche Schreiben als zwecklos an, weil die USA sie nicht beachten würde und beschäftigen sich aus dem Grunde nicht damit. Die meisten der einzelnen Äußerungen sind positiv. Man begrüßt, dass es wiederum die SU ist, die Maßnahmen zur Erhaltung des Friedens und der Wiedervereingigung Deutschlands ergreift und unterstützt diese Forderung auf Auflösung der Spionageorganisationen.

Einzelne appellieren in diesem Zusammenhang, die Wachsamkeit zu erhöhen. Ein parteiloser Schlosser aus der Konsum Keks- und Süßwarenfabrik, [Bezirk] Potsdam, sagte: »Ich begrüße die Forderung des hohen Kommissars der UdSSR, denn solange in Westberlin und Westdeutschland feindliche Agenturen bestehen, werden immer Schwierigkeiten zur Erlangung der Einheit Deutschlands vorhanden sein.«

Eine parteilose Sekretärin aus Potsdam äußerte sich: »Man kann wieder einmal sehen, dass es die SU ist, die sich für den Frieden einsetzt, denn durch die Abschaffung der Spionageorganisationen können wir den Frieden sichern.«

Ein parteiloser Kollege aus dem VEB Dampfhammerwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Trotz mehrmaliger Aufforderung haben die Westmächte die in Westberlin bestehenden Terror- und Spionageorganisationen nicht liquidiert. Die müssen erst einmal ein Richtiges aufs Dach kriegen. Zum Glück haben sie aber schon allerhand von der Sorte eingebüßt.«

Ein Angestellter der BHG aus Hohenaue,37 [Bezirk] Potsdam, NDPD, sagte: »Die Forderung auf Auflösung der Spionageorganisationen wird von allen fortschrittlichen Menschen begrüßt. Bisher wurde von den Westmächten das Bestehen dieser Organisationen abgeleugnet. Durch die Entlarvung des Gehlener Geheimdienstes wurden die anglo-amerikanischen Lügen widerlegt und wir erkennen, mit welchen Mitteln der amerikanische Imperialismus einen Dritten Weltkrieg vorbereitet.«38

Der parteilose Maschinenbauer aus Rathenow, [Bezirk] Potsdam: »Die Forderung betreffend der Auflösung der Spionageorganisationen besteht zu Recht, denn das wird mithelfen, die Spaltung Deutschlands zu beseitigen. Solange die Auflösung noch nicht erreicht worden ist, gilt es aber für alle, keinen Augenblick die Wachsamkeit zu vernachlässigen, um alle Anschläge auf unsere Republik zu verhindern.«

Ein parteiloser Kollege aus der Sortierung des Kunstseidenwerkes Premnitz: »Ob über die Abschaffung der Agentenzentralen39 geschrieben wird oder nicht, die Amerikaner machen doch was sie wollen.«

Ein Kollege von der Konsum-Keks- und Süßwarenfabrik, [Bezirk] Potsdam: »Diese Note ist nur eine unnütze Schreiberei, denn so wie die Westlichen die Auslieferung des John40 gefordert hatten,41 was ohne Erfolg blieb, so wird auch die Forderung, die Agentenzentralen aufzulösen, ohne Erfolg bleiben. Agenten und Spione hat es immer gegeben und wird es auch weiterhin geben.«

Anlage 2 vom 30. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2327

Sollablieferung

Unter den Groß-, Mittel- und Kleinbauern steht zurzeit die Frage der Sollablieferung im Vordergrund der Diskussionen, was auch in den Versammlungen immer wieder zur Sprache kommt. Vorwiegend befassen sich damit die Groß- und Mittelbauern und versuchen mit den verschiedenartigsten Argumenten die Sollablieferung zu verhindern, herabzusetzen oder zu verzögern.

Im Bezirk Schwerin z. B. wurde festgestellt, dass großbäuerliche Elemente ihrer Sollablieferung in Getreide nicht nachkommen und versuchen diese durch die Hackfruchtarbeit hinauszuschieben. In der Gemeinde Dobbertin, Kreis Lübz, z. B. sind es besonders drei Großbauern. Einer davon erklärte: »Wenn ich gezwungen werde, das Getreide restlos abzuliefern, werde ich die DDR sofort verlassen.« Die übrigen erklärten: »Wenn wir nicht in der Lage sind, unserer Ablieferung nachzukommen, so kann der Staat unsere Wirtschaften sofort übernehmen.«

Oft versucht man zu begründen, dass es besser sei, wenn das Getreide bei Bauern in der Scheune liegt und dass es noch Zeit mit der Ablieferung hätte, da die Hackfruchternte wichtiger sei. So ist z. B. eine Reihe Mittel- und Kleinbauern im Bezirk Karl-Marx-Stadt mit dem Ablieferungstermin Ende September nicht einverstanden und kann diese Regierungsmaßnahme nie begreifen, wie folgendes Beispiel zeigt: Ein Mittelbauer aus Reifland, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Das Getreide geht doch dem Staat nicht verloren, wenn es in der Scheune liegt. In den Getreidespeichern geht viel mehr verloren als beim Bauern. Außerdem müssen dadurch beim Bauern notwendige Feldarbeiten liegenbleiben.«

Teilweise liegt es aber auch an den Schwächen in der Arbeit der MTS, dass die Sollablieferungen verzögert werden. In einer Einwohnerversammlung der Gemeinde Werenzhain, [Bezirk] Cottbus, beschwerte sich z. B. ein Bauer, der einen Druschvertrag mit der MTS abgeschlossen hatte, dass bis heute bei ihm noch nicht gedroschen wurde und er dadurch auch noch kein Getreide liefern kann.

Unzufriedenheit wegen der Benachteiligung bei Sollstreichungen herrscht unter verschiedenen werktätigen Bauern des Bezirkes Potsdam. In der Gemeinde Diedersdorf, Kreis Zossen, [Bezirk] Potsdam, hat eine Kommission aufgrund von schweren Witterungsschäden Sollherabsetzungen vorgenommen. Dies bei den vier größten Bauern mit über 20 ha Land. Werktätigen Bauern wurde das Soll nicht herabgesetzt. Dadurch sind sie verärgert.

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