Zur Beurteilung der Situation
12. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2205 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Genfer Konferenz steht im Mittelpunkt der politischen Diskussionen.1 Jedoch ist der Umfang der Diskussionen gering. Die uns bekannt gewordenen Stimmen stammen überwiegend von Arbeitern, weniger von Angestellten. Diese sind meist positiv. Die Abreise Dulles’2 von der Konferenz bezeichnet man oft als Schwäche des amerikanischen Imperialismus und als Ausdruck der Stärke des Weltfriedenslagers.3 Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Möbelwerk Eisenberg, [Bezirk] Gera: »Die Stärke des Außenministers Molotow4 hat den USA-Außenminister Dulles gezwungen, aus Genf abzureisen. Es ist sehr erfreulich, dass die Vorschläge Molotows die Zustimmung der anderen Völker gefunden haben.5 Besonders erstaunt bin ich über die Haltung Englands und Frankreichs.«
Mehrere Kumpel vom [Wismut-]Schacht 13 in Aue,6 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Dass Dulles abzog, ist ein großes Plus für uns. Vielleicht gelingt dadurch ein guter Ablauf der Konferenz und die Lösung der Konflikte. Dieses würde einen Schritt weiter zur Einheit Deutschlands bedeuten.«
Teilweise verhält man sich abwartend zur Genfer Konferenz. Ein Reichsbahnangestellter aus Frankfurt/Oder: »In Genf treiben sie schon eine Politik der Zeitgewinnung. Man muss abwarten, was sich in Genf und in der weiteren Weltpolitik ereignet. Auch Hitler ging einstmals nach ›Russland‹, um Zeit zu gewinnen.«
Vereinzelt wurden uns negative Stimmen bekannt. Diese kommen größtenteils von weniger aufgeklärten Arbeitern. Ein Heizer aus dem VEB Kraftwerk Nord in Dresden: »Die Genfer Konferenz brachte das sichtbare Zerwürfnis zwischen den Westmächten. Hauptsächlich zwischen England und den USA. Dies ist aber nur vorläufig und daraus kann man kein positives Moment für die Friedensbewegung sehen.«
Ein Färbermeister (parteilos) aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es mag scheinen, dass Amerika eine Schlappe eingesteckt hat, das glaube ich jedoch nicht. Es ist bestimmt ein Schachzug der Westmächte. Denn das kapitalistische Lager ist immer noch viel stärker. Nicht die Menschen sind entscheidend, sondern die Technik und die hat die Sowjetunion nicht.«
Ein Arbeiter vom VEB (K) Möbel Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Warum lehnt unsere Seite den Waffenstillstand in Indochina ab, welchen der Franzose verlangt?7 Durch die Französischen Vorschläge in Genf könnte es doch zum Frieden in Indochina kommen. Fühlt sich vielleicht die vietnamesische Volksarmee so stark, um weiterzukämpfen? Das Volk fragt man nie. Es muss alles mitmachen und da nützen die Verhandlungen in Genf niemandem etwas. Es ist nur leeres Stroh.«
Missstimmung wird aus verschiedenen Betrieben bekannt. Aus dem Reichsbahnbezirk Saalfeld, [Bezirk] Gera, werden immer wieder negative Stimmen über die Entlohnung bei der Reichsbahn geäußert. So sagt z. B. ein Zugführer vom Bahnhof Saalfeld: »Die Eisenbahner bekommen Hungerlöhne. Ich bin mit dem ganzen Lohngefüge nicht zufrieden. Ich verstehe nicht, dass die Gewerkschaftsvertreter keine Maßnahmen beschließen, um diese Dinge abzuändern.«
In der Schiffsbauwerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, sind die Arbeiter mit der Einführung des Leistungslohnes nicht einverstanden. Ein Arbeiter sagte dazu: »Das war auch eine Ursache für die Vorgänge vom 17. Juni [1953]. Passt nur auf, dass es nicht wieder soweit kommt.«
Im Stahlwerk Riesa, [Bezirk] Dresden, besteht unter den Arbeitern der Stahlformgießerei weiterhin eine schlechte Stimmung wegen Arbeitsmangel. Qualifizierte Arbeiter sind mit Nebenarbeiten beschäftigt. Einige Arbeiter äußerten, dass »man wieder einmal meutern müsse«. Mehrfache Anfragen und Mitteilungen an die Ministerien blieben bisher ohne Erfolg.
Im VEB Jachtwerft Berlin sind die Kollegen missgestimmt, weil von der Betriebsleitung und BGL laufend von der Anwendung des Sparsamkeitsprinzips gesprochen wird, andererseits jedoch dauernd Wartezeiten wegen unregelmäßiger Materialbeschaffung entstehen.
Unter den Kollegen der Baustelle Weitlingstraße, Berlin, besteht eine schlechte Stimmung über die FDGB-Arbeit. Ein BGL-Mitglied, der mit einem Kollegen sprechen wollte, erhielt zur Antwort: »Der FDGB interessiert mich nicht. Und wenn wir in den FDGB eintreten müssen, scheiden wir sofort aus der Bau-Union aus.« Nachdem der Kollege auf seine falsche Auffassung hingewiesen wurde, brach er die Unterhaltung mit den Worten ab: »Am 1.5.1954 ist vom DGB die 40-Stunden-Woche proklamiert worden.8 Hier tut der FDGB für uns gar nichts.«
Im VEB Greizer Kammgarnspinnerei Werk Langenwetzendorf, [Bezirk] Gera, wurden unter den Arbeiterinnen Diskussionen über zu hohe Lebensmittelpreise in der DDR geführt. Eine Ausnäherin sagte: »Es wäre jetzt höchste Zeit, dass unsere Regierung eine neue Preissenkung vorbereitet. Viele Frauen erwarten sie.« Die ihr zuhörenden Kolleginnen betonten, dass sich die Regierung dieser Angelegenheit etwas schneller annehmen müsste.
Produktionsschwierigkeiten bestehen im VEB Wirkwaren Wernesgrün, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wegen schleppender Anlieferung von Perlonseide. Dadurch konnte der Produktionsplan für April nur mit 49 Prozent erfüllt werden.
Betriebsstörung: Am 10.5.1954 fielen in der Spinnerei des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam, 23 Spinnmaschinen wegen Filterbruch aus. Einige Stunden später fielen in der Spinnerei II desselben Betriebes 40 Maschinen aus, weil die Spinnpumpe durch den Bruch des Ritzels versagte. Produktionsausfall: ca. 1 Tonne Kunstseide im Werte von 7 000 DM.
Handel und Versorgung
Im Bezirk Halle erfolgte eine schlechte Verteilung der Fleischmengen, die durch Notschlachtungen (pestbefallener Schweine) anfallen. Zum Beispiel erhielt der Kreis Halberstadt größere Mengen und zum gleichen Zeitpunkt erfolgte von dort eine Lieferung an Frankfurt/Oder.
Im VEB »Deutsche Hydrierwerke« Rodleben, [Bezirk] Halle, lagern größere Mengen Schweineschmalz, der schon verdorben geliefert wurde (die Einlagerung erfolgte im Auftrag des VE-Kontor Import-Lagerung Fleisch–Fett–Molkereiprodukte Berlin).
Im Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, besteht ein Überhang an Schlachtfetten (bereits ein großer Teil verdorben). Diesen Monat wurden deshalb auf die Lebensmittelkarten Schlachtfette aufgerufen. Dadurch besteht die Gefahr, dass größere Mengen Margarine nicht abgesetzt werden können, und deshalb dem Verderb ausgesetzt sind, weil die Margarine innerhalb von 30 Tagen verbraucht werden muss.
Seit 14 Tagen erhielt das Mühlenwerk Weißenfels, [Bezirk] Halle, keine Lieferung an Roggen und Gerste. Die Bestände für die Roggenproduktion reichen nur noch sechs Tage und die Graupenproduktion musste bereits eingestellt werden.
Landwirtschaft
Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen. Zur Genfer Konferenz wurden nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt. Positiv äußerte sich dazu ein Arbeiter vom VEG Ludwigshof, [Bezirk] Gera: »Dulles ist in Genf ziemlich kalt abgefertigt worden. Er hat gemerkt, dass nicht Amerika allein bestimmen kann, denn sonst wäre er nicht so plötzlich abgereist. Ein weiterer Fortschritt ist, dass China und andere östliche Länder an dieser Konferenz teilnehmen, denn es geht nicht allen um Europa, sondern um den Frieden der Welt.«
Negativ äußerte sich ein Mittelbauer aus Kuschkow, [Bezirk] Cottbus: »Es freut mich, dass Dulles von der Konferenz abgereist ist, denn der ›Russe‹ will ja doch nur bestimmen in der Welt. In Genf werden sie sich sowieso nicht einig und es wird sich wohl zum Krieg entwickeln. Damit würde für uns die Lösung kommen. Nur der Krieg könnte uns retten, damit wir wieder freie Menschen würden und vom Kommunismus befreit werden.«
Im Mittelpunkt des Interesses stehen wirtschaftliche und persönliche Belange, deshalb wird mehr über diese Fragen gesprochen. Zur Düngemittelversorgung äußerte ein Bauer aus Hagenow, [Bezirk] Schwerin: »In Zukunft muss unbedingt erreicht werden, dass bis spätestens 15. März die Düngemittel vollständig geliefert werden, besonders Phosphor und Stickstoff. Jetzt erfolgt die Belieferung mitunter erst zur Ernte oder überhaupt nicht.«
In einer Parteiversammlung in Mariendorf, [Bezirk] Schwerin,9 wurde über den Rechenschaftsbericht vom IV. Parteitag diskutiert.10 Dazu erklärten Bauern, »dass sie mit den Aufgaben für die Landwirtschaft einverstanden sind, aber sie sind nicht in der Lage, den Zwischenfruchtanbau durchzuführen, da die BHG keinen Samen vorrätig hat.«
Von den LPG, VEG und MTS
In der LPG Prislich, [Bezirk] Schwerin, sind Landarbeiter beschäftigt, die aus Westdeutschland in die DDR übergesiedelt sind. Diese beschweren sich über die schlechten Wohnverhältnisse. (Sie haben keinen Tisch im Zimmer und schlafen auf Stroh. Ähnliche Verhältnisse sind in der LPG Kremmin und den dortigen örtlichen landwirtschaftlichen Betrieben.)
In der LPG Hagenow, [Bezirk] Schwerin, ist eine schlechte Stimmung unter den Mitgliedern, weil die vorgesehene Bezahlung der Arbeitseinheiten mit 10,00 DM vom Rat des Kreises auf 5,80 DM gekürzt wurde, mit der Begründung, weil die LPG Schulden hat.
In der LPG Ziegendorf, [Bezirk] Schwerin, sind in den letzten Tagen wegen Futtermangel vier Kühe vor dem Kalben verendet.
Im VEG Gustävel, [Bezirk] Schwerin, sind seit Januar 252 Ferkel verendet, und 54 Notschlachtungen erfolgt und zwar durch das Verschulden der Betriebsleiter. Der Schweinemeister hat oft auf verschiedene Mängel hingewiesen, aber ohne Erfolg. (Zu bemerken ist noch, dass die Betriebsleitung am 1. Mai [1954] als Aktivisten ausgezeichnet wurde).
Das VEG Beesen, [Bezirk] Halle, befindet sich in einem sehr schlechten Zustand. Circa 50 Morgen Wintergerste sind stark ausgewintert. Es wird nichts getan, um diese Flächen umzubrechen. (Im vergangenen Jahr zur Ernte blieb das Getreide wochenlang auf dem Felde, bis große Teile ausgewachsen waren.)
Der MTS Wachow, [Bezirk] Potsdam, wurden Pflegemaschinen RS 04/30 geliefert, davon fielen nach ca. vier Wochen drei Maschinen wegen Gehäuseschaden und einem Schaden am Zylinderkopf aus. Bei den übrigen sind fast täglich Ölpumpenschäden zu verzeichnen. Die Originalkeilriemen für die Lichtmaschinen halten kaum zwei Tage (Lieferwerke: VEB Schlepperwerk Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, und Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg).
Im Kreis Belzig, [Bezirk] Potsdam, entstehen laufend Verluste an Küken und anderem Jungfedervieh durch Raubvögel, sodass die Aufzucht von Hühnern gefährdet ist. Da nichts dagegen unternommen wird, weigern sich die Bauern, ihr Eiersoll zu erfüllen.
Übrige Bevölkerung
Die übrige Bevölkerung reagiert weiterhin nur wenig auf politische Tagesfragen. Im Vordergrund der wenigen Diskussionen steht die Genfer Konferenz, zu der meist positiv Stellung genommen wird. So erklärte z. B. der parteilose Angestellte aus Sohra, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Verlauf der Konferenz hat bis jetzt bewiesen, dass die Friedenskräfte sehr stark sind. Dulles musste gehen, weil im imperialistischen Lager die Widersprüche immer stärker werden. Dies kann für uns nur gut sein.«
Ein Teil der Bevölkerung ist daran nicht interessiert. Ein parteiloser Konditormeister aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn sich die Großen in Genf nicht einmal einig werden und nicht wissen, was sie eigentlich wollen, wie soll denn ich dann als kleiner Mann wissen, was dort gespielt wird. Mich interessiert dieses ewige Gerede überhaupt nicht mehr, sollen sie meinetwegen reden, was sie wollen.«
Ein geringer Teil der übrigen Bevölkerung erwartet von den Verhandlungen mit der SU und Volkschinas nichts und äußert sich dazu negativ. Ein Angestellter der Konsumgenossenschaft Forst, [Bezirk] Cottbus, äußerte: »Die Konferenz wird einmal doch noch auffliegen. Der eine ist schon abgereist und die anderen westlichen Außenminister werden wohl bald folgen. Jetzt verhandeln nur noch die Sowjets und die Chinesen und was dabei herauskommt, weiß man schon im Voraus.«
In einzelnen Fällen ist festzustellen, dass die Kirche besonders unter der Jugend mehr Einfluss zu gewinnen versucht. In einer Elternversammlung in der Schule Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, äußerte ein Katechet: »Dass die Arbeitsgemeinschaften der Jungen Pioniere eine Belastung für die Kinder seien, dass sie lieber spielen wollten.«
Der Pfarrer aus der Gemeinde Audenhain, [Kreis] Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, organisiert Zusammenkünfte mit der Jugend des Dorfes und verteilt unter diesen Kakao, Kaffee und Kuchen aus Westpaketen.
Die im Bezirk Halle von Frauen und Müttern entfachte Bewegung zur Ächtung der Atomwaffe hat größeren Umfang angenommen, wie das folgende Beispiel zeigt: Die Bewegung griff auf Quedlinburg, Sangerhausen und die Betriebe VEG Gröbers, Gaswerk Halle, Poliklinik Halle, Ärzteschaft Mansfeld Kombinat »Wilhelm Pieck« über. Sie alle haben zum Protest gegen die Wasserstoffbombe aufgerufen.11
Einzelne Mitglieder bürgerlicher Parteien treten weiterhin für Listenwahlen ein. Ein Mitglied der CDU aus Nonnewitz, [Bezirk] Halle, äußerte in einer Mitgliederversammlung der CDU: »Wenn die Wahlen im Herbst im Rahmen der nationalen Front durchgeführt werden,12 werden diese von mir nicht anerkannt.«13
In Schleiz herrscht unter den Konsumverkäuferinnen eine Verärgerung darüber, dass ihnen die Tage 1. und 8. Mai 1954, wo sie gearbeitet haben, nur als einfache Arbeitstage angerechnet werden. Sie verlangen einen Feiertagszuschlag.14 Eine Verkäuferin äußerte sich: »Wenn das so ist, werden wir uns in Zukunft bei solchen Tageseinsätzen nicht zur Verfügung stellen.«
Die Gruppe »Wissenschaft« der BPO Akademie der Wissenschaften hatte zu einer öffentlichen Versammlung 240 Wissenschaftler persönlich angesprochen und zu dieser Versammlung eingeladen. Von diesen 240 Wissenschaftlern sind jedoch nur 16 Personen erschienen. Alle anderen haben sich mit irgendwelchen Ausreden entschuldigt.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriften der KgU:15 einige Exemplare – Erfurt.
Hetzschriften vom Ostbüro der SPD:16 Dresden, Neubrandenburg einige Exemplare. Potsdam 50 Exemplare.
Hetzschriften der NTS:17 Potsdam 10 100, Dresden 10, Erfurt 4 000.
Hetzschriften Tribüne:18 Magdeburg 5 000, Neubrandenburg 15.
Hetzschriften in tschechischer Schrift: Karl-Marx-Stadt 20.
Feindliche Handlungen und Schmierereien
Auf der Strecke der Friedensfahrer zwischen Loschwitz – Gablenz – Wismut wurden 20 Minuten vor dem Durchfahren der Spitzengruppe eine Handvoll Schusternägel aufgefunden.19
Vorsätzliche Brandstiftung: Im Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, ein Waldbrand, Schaden 4 000 DM.
Fälschung: »Neuer Weg«20 Erfurt, zwei Exemplare. In Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg,21 erhielten drei LPG gefälschte Schreiben, in denen sie aufgefordert wurden, 5 000 DM Prämie vom Rat des Kreises abzuholen.
Drohbriefe: Der Vorsitzende der LPG Papendorf, [Bezirk] Neubrandenburg, erhielt einen Drohbrief mit der Mitteilung, dass er bald gehängt wird.
Terror: An der Demarkationslinie Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde ein sowjetischer Soldat angeschossen. Als Täter wird ein tschechischer Deserteur vermutet.
Provokationen: In Neuendorf, [Bezirk] Potsdam, flaggte ein Großbauer zum 8. Mai [1954] mit einer schwarzen Fahne und behauptete: »Das ist für mich ein Trauertag.«
Vermutliche Feindtätigkeit
In Rocksthal,22 [Bezirk] Dresden, sind 400 Kartoffelkäfer aufgefunden worden, die vermutlich abgelegt23 wurden.
Die aufgefundenen Flugblätter beinhalteten: Hetze gegen Vier-Mächte-Konferenz,24 Hetze gegen den 1. Mai [1954], Hetze gegen das Deutschlandtreffen,25 Hetze gegen VP, Hetze gegen SfS.
Zur Feindtätigkeit wird außerdem mitgeteilt, mit welchen Mitteln der Gegner versucht, Facharbeiter und Spezialisten aus der DDR abzuziehen. Dafür nachstehendes Beispiel: Der Kurier vom 11. Mai 1954 bringt eine Mitteilung, wonach die »Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände« in Deutschland Vorbereitung trifft, um Arbeiter und Angestellte aus der DDR zu veranlassen, nach Westdeutschland zu kommen. »Zur Erholung«. Dieser Aufenthalt in den Erholungsheimen der westdeutschen Betriebe soll »kostenlos« sein. Wörtlich heißt es: »Erholungsbedürftige Arbeitnehmer aus Berlin und der Sowjetzone werden in diesem Sommer Gelegenheit haben, einen kostenlosen Urlaub im Bundesgebiet zu verbringen. … Ein Kölner Werk der chemischen Industrie hat bereits am 1. Tag dieser Aktion 20 Freiplätze angeboten.«26
Einschätzung der Situation
Im Mittelpunkt der politischen Gespräche steht weiterhin die Genfer Konferenz. Größtenteils wird eine Entspannung erwartet.
Für die Friedensfahrt besteht großes Interesse. Dabei werden aber die durch ungeeignetes Material hervorgerufenen Pannen unserer Mannschaft teilweise auch zu feindlichen Argumentationen ausgenutzt.27
Über TASS-Erklärung zur Churchill-Rede wurde gestern nur vereinzelt, aber positiv gesprochen.28
Der Umfang der feindlichen Flugblattverbreitung ist geringer geworden.
Anlage 1 vom 12. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2205
Über die Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen der FDJ
Über die Erfüllung des Werbesolls der Teilnehmer zum II. Deutschlandtreffen wurde uns Folgendes bekannt: Der Bezirk Karl-Marx-Stadt hatte ein Soll von 46 000 Jugendlichen und in die Teilnehmerlisten haben sich bereits 56 982 FDJler eingezeichnet.
Aus dem Bezirk Cottbus wird uns bekannt, dass in den Kreisen Finsterwalde, Guben und Lübben das Teilnehmersoll noch nicht erfüllt ist. Kreis Finsterwalde: Soll 1 000 Teilnehmer, bisher 732 gemeldet; Kreis Guben: Soll 750 Teilnehmer, bisher 250 gemeldet; Kreis Lübben: Soll 750 Teilnehmer, bisher 320 gemeldet.
Über die Teilnahme am II. Deutschlandtreffen wurden folgende Meinungen bekannt. Aus der mechanischen Weberei Nagema,29 [Bezirk] Dresden, dürfen einige Jugendliche von zu Hause aus nicht nach Berlin fahren, mit der Begründung, dass bei den Weltfestspielen zahlreiche unmoralische Dinge vorgekommen sind.
Eine Jugendliche aus Saalfeld, [Bezirk] Gera, äußerte in einer Gruppenversammlung der FDJ zu anderen Jugendlichen: »Fahrt nicht nach Berlin, es wird wie zu den III. Weltfestspielen, ihr werdet in den Westsektor geschickt und werdet dann zusammengeschlagen.«30 Im Zusammenhang mit diesen Äußerungen war bei den HO Industriewaren zu verzeichnen, dass einige Lehrlinge ihre Zusage aus diesem Grunde zurückziehen wollten, wobei sie erklärten, dass ihre Eltern Angst hätten, es ginge ihnen so wie am 15. August [1951]. Ein Jugendlicher aus Cottbus äußerte: »Was sollen wir denn in Berlin, wir haben von den Weltfestspielen genug, wenn wir nur an die schlechte Organisation denken.«
Aus dem Bezirk Potsdam wird uns berichtet, dass Schwierigkeiten in der Beschaffung der FDJ-Kleidung bestehen und dass die Geldmittel vonseiten der FDJler oft nicht aufgebracht werden können.
Quartierwerbung: Stand am 10.5.1954: Soll: 500 000; Ist erfasst: 484 769; Ist überprüft: 459 777.
Bei der Beschaffung von Privatquartieren für 2 000 Westdeutsche, die am Jugendkongress teilnehmen sollen,31 bestehen insofern Schwierigkeiten, da nur [die] Stalinallee infrage kommen soll.32 Bisher 82 Meldungen.
Anlage 2 vom 12. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2205
Feindliche Propaganda und Absichten
In der als »Tribüne« getarnten Hetzschrift des SPD-Ostbüros vom April 1954 gibt der Gegner den feindlichen Elementen in größeren volkseigenen Betrieben unter der Überschrift »Die Konfliktkommission Eure Waffe!« folgenden Hinweis: »Diese Kommissionen im Rahmen vorhandener Möglichkeiten zu einem Instrument gegen das System zu machen«. Es sei deshalb darauf zu achten, dass nur solche Personen in die Kommission entsandt werden, deren feindliche Gesinnung man kennt.
Weiterhin wird versucht, die Bevölkerung der DDR, besonders die Arbeiter in den Betrieben, dahingehend zu beeinflussen, dass diese gegenüber den westdeutschen Arbeiterdelegationen größte Zurückhaltung üben sollten. Das SPD-Ostbüro bezeichnet hierbei diese Arbeiterdelegationen als »SSD-Fallen« und die Teilnehmer als Spitzel.
Der übrige Inhalt dieser Hetzschrift richtet sich gegen die Partei, gegen die Aktionseinheit,33 gegen den Bundesvorstand des FDGB, gegen die Kampfgruppen34 und gegen die Regierung der DDR.
Im Wesentlichen will der Gegner damit die Bevölkerung »überzeugen«, dass die Politik der Partei und unserer Regierung gegen die Bevölkerung gerichtet sei und dass Partei und Regierung vom Volk isoliert und stark geschwächt sind. Mit diesen Argumenten will der Gegner die Bevölkerung für den »Widerstand« gegen die Partei und Regierung gewinnen.
Der UFJ35 schickte Briefe an Treuhänder in der Industrie, Landwirtschaft und Gewerbe, in denen versucht wird, mit Täuschung,36 Einschüchterung und Drohungen die Treuhänder zu veranlassen, diese Betriebe nicht mehr im Interesse unserer Wirtschaft zu verwalten. Es wird verlangt, den Interessen der ehemaligen Besitzer Rechnung zu tragen, dabei alte Betriebsangehörige, die das Vertrauen der ehemaligen Besitzer haben, zu Rate zu ziehen.
Außerdem soll sich der Treuhänder, »der die Möglichkeit hierzu hat … schon jetzt mit dem Eigentümer in Verbindung setzen, ihm einen Bericht über den Stand des Betriebes zu geben und klären, an wen er die Übergabe vorbereiten soll«. Weiterhin wird den Treuhändern »empfohlen«, sich persönlich vom UFJ »beraten« zu lassen.
Den Mitgliedern der »Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft« schickt die KgU neuerdings Hetzschriften mit jeweils einer Beitragsmarke der DSF. Durch gemeinste Sowjethetze versucht der Gegner bei den Mitgliedern der DSF, Zweifel zu erwecken gegen die Freundschaft zur SU.
In neuen Hetzschriften, die das Ostbüro der SPD versucht mit der Post in die DDR zu versenden, wird auf einem Blatt unter dem Titel »Parteitag der Schwäche«37 besonders Genosse Walter Ulbricht38 verleumdet. Weiterhin versucht man die Leser mit Lügen über den Lebensstandard in der DDR, über »Zersetzung«, »Schwäche« und »Isolierung« der Partei von den Massen, für den »Widerstand« im Interesse der imperialistischen Agenturen zu gewinnen. Außerdem versucht man die Arbeiter zu beunruhigen durch angeblich bevorstehende »Normenerhöhungen«, und unter den Bauern will man Unzufriedenheit erzeugen mit der Lüge über eine geplante »weitere Kollektivierungswelle«.