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Zur Beurteilung der Situation

27. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2271 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen über politische Tagesfragen steht der erfolgreiche Abschluss der Genfer Konferenz.1 Darin bringt man zum Ausdruck, dass der Waffenstillstand in Indochina ein großer Erfolg des Friedenslagers ist, insbesondere der Sowjetunion. Weiterhin hat die Konferenz die Möglichkeit bewiesen, dass strittige Fragen durch Verhandlungen gelöst werden können, so auch das Deutschlandproblem, was mehrfach gefordert wird. Der Umfang der Diskussionen ist weiterhin gering. Die meisten Stimmen wurden von Arbeitern, weniger von Angestellten abgegeben und sind positiv. Ein Arbeiter aus Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Ergebnisse der Genfer Konferenz sind nur der Politik der Sowjetunion zu verdanken. Diese Konferenz hat wieder deutlich gezeigt, dass die USA-Imperialisten gegen den Frieden sind.«

Ein Arbeiter aus den Ketten- und Nagelwerken Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Ich und viele Werktätige des Betriebes begrüßen begeistert die Genfer-Vereinbarungen, die den Waffenstillstand in Indochina bringen. Ich war am Anfang sehr skeptisch und glaubte, dass Genf genauso wie Berlin ausgehen wird.2 Ich bin jetzt überzeugt, dass Verhandlungen auf friedlichem Wege vom Erfolg gekrönt sind.«

Ein Angestellter aus dem »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg: »Auf Druck aller friedliebenden Menschen auf der Welt sahen sich die kapitalistischen Staatsmänner gezwungen, alle Fragen durch Verhandlungen zu klären. Es muss nun alles getan werden, um auch in einer Konferenz in der Deutschlandfrage eine Klarheit herbeizuführen.«

Ganz vereinzelt wurden negative Stimmen laut, worin verschieden argumentiert wird. Einige Kollegen aus der Tischlerei der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, äußerten, dass der Abschluss der Genfer Konferenz kein Sieg für das Weltfriedenslager sei, sondern auf die Schwäche lediglich Frankreichs zurückzuführen sei.

Ein Wagenschlosser aus Schneeberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich denke, dass das Übereinkommen über Vietnam in Deutschland nicht möglich wäre. Es liegt nicht an den USA, sondern an unserer Regierung und noch mehr an der Sowjetunion, die nicht daran denkt, solche Schritte zu unternehmen. Besonders bei uns in der DDR haben die Herren Angst, ihre Posten zu verlieren.«

Ein Hilfsarbeiter vom VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera: »Seid mir ruhig mit der Genfer Konferenz. Es ist nur im Moment dort unten Ruhe. Die Westmächte sind ja dazu gezwungen worden. Aber die im Westen sind wachsam und wissen, was sie wollen.«

Ein Brigadier aus dem VEB Sodawerk Buchenau, [Bezirk] Erfurt: »Ich kann es einfach nicht verstehen, dass sich der Amerikaner an die Wand drücken lässt, obwohl er weiß, dass er stärker ist. Der Russe triumphiert natürlich jetzt wieder und wir müssen es letzten Endes ausbaden.«

Über den Besuch des Ministerpräsidenten der Volksrepublik China Tschu En Lai3 wurden bisher nur sehr wenig Stimmen bekannt. Darin wird erklärt, dass dieser Besuch die Freundschaft zwischen den beiden Ländern noch mehr vertiefen wird. Außerdem werden die Verdienste des chinesischen Ministerpräsidenten bei der Genfer Konferenz gewürdigt. Eine Arbeiterin aus der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Der Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten ist für uns eine große Ehre. Diesen Mann müsste die ganze friedliebende Welt als Friedenshelden feiern, denn ihm ist es gelungen, trotz seiner erstmaligen Teilnahme an der Konferenz, die Welt aufhorchen zu lassen und sich die Herzen aller friedliebenden Menschen zu erobern.«

Ein Kumpel aus dem VEB Wolfram-Zinnerz Mühlleithen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der hohe Besuch muss für uns Ansporn sein, mehr als bisher für die Einheit unseres Vaterlandes zu kämpfen.« Die Belegschaft des VEB Messgerätewerkes in Halle4 verpflichtete sich, anlässlich des Besuches alle Exportaufträge für die Volksrepublik China bis zum 30.8.[1954] auszuliefern.

Missstimmung besteht in einigen Betrieben über verschiedene betriebliche Angelegenheiten wie Lohn- und Prämienregelung, unterschiedliches Werkküchenessen und mangelhaften Arbeitsablauf. In der FDJ-Grundeinheit des VEB Ernst Thälmann in Merkers,5 [Bezirk] Suhl, wird von Seilbahnarbeitern folgende Diskussion geführt: »Wenn bis zum 1.8.1954 die Lohnfrage nicht geklärt ist, kündigen alle Seilbahnarbeiter.« Diese Diskussion ist auf eine Äußerung des Werkdirektors bei einer Rechenschaftslegung zurückzuführen, wonach die Löhne der an der Seilbahn Beschäftigten zu niedrig seien.

Die Kollegen vom Werkschutz des VEB Welton in Meiningen, [Bezirk] Suhl, beklagen sich über zu geringen Bruttoverdienst (monatlich 180 DM). In anderen Textilbetrieben wie z. B. in Zeitz, Greiz und Apolda würden ihre Kollegen mehr erhalten.

Beim Straßenbahnhof Berlin-Lichtenberg, Siegfriedstraße kündigen jeden Monat durchschnittlich 30 bis 40 Kollegen. Im Juli sind es bisher 50 Kollegen, sodass zurzeit circa 400 Arbeitskräfte fehlen. Die Hauptursache hierfür ist die Unzufriedenheit über die schlechte Bezahlung.

Bei der Planaufstellung in der BEWAG Berlin hat es an der notwendigen Koordinierung der Finanz- und Planungsabteilung gefehlt, wodurch keine Übereinstimmung des Finanz- und Betriebsplanes vorhanden ist. Trotzdem wurde die Auszahlung der Prämien für das I. Quartal 1954 beantragt. Von der Abteilung Energieinspektion und Wirtschaft beim Magistrat von Groß-Berlin wurde der BEWAG mitgeteilt, dass die verantwortlichen Kollegen für den Betriebsplan nur 50 Prozent ihrer Quartalsprämie erhalten sollen, während die übrigen Personen die volle Prämie bekommen. Dagegen legte die Hauptdirektion der BEWAG Beschwerde ein, die vom stellvertretenden Oberbürgermeister Krebs6 anerkannt wurde, um »unnötige Unruhe im Betrieb zu vermeiden«. Kollegen der BEWAG sind darüber verärgert und vertreten die Meinung, dass Prämien nicht ein Teil des Gehaltes darstellen, sondern nur für vorbildliche Arbeit gezahlt werden.

Im Sprengstoffwerk I Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, sind Kollegen darüber missgestimmt, dass das Werkküchenessen für Grundkarte A und B verschieden ist.7 Die Kollegen mit der Kartengruppe B betrachten ihr Essen als minderwertig.

Die Arbeiter und Angestellten der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, sind über die Termine missgestimmt, die von der Werftleitung herausgegeben werden. Es wird dabei nicht berücksichtigt von der Werftleitung, ob Materialien vorhanden sind oder überhaupt die nötigen Voraussetzungen zur Erfüllung der Termine gegeben sind. Durch die laufenden Änderungen auf der »Sow. Sojus«8 ruht die gesamte Arbeit im Turbinenraum des Schiffes.

Im BKW Sedlitz, Abraum und Grube Südfeld, [Kreis] Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, kann der Hochbagger wegen zu geringer Leistungsfähigkeit nicht schnell genug vorrücken, sodass der nachfolgende Bagger auf diesen aufrückt. Dieser Zustand wirkt sich auf die Planerfüllung sehr hemmend aus. Dies wurde bereits seit längerer Zeit von den Kumpels vorausgesehen und der Revierleitung mitgeteilt, die jedoch keine Abhilfe schaffte. Darüber sind die Kumpels sehr missgestimmt und diskutieren, dass die Revierleitung eine feindliche Absicht damit bezwecken würde.

Eine schlechte Schweißarbeit wurde durch die Schweißer der Werft Wismar, Mathias-Thesen-Werft, bei der Herstellung des Dampfers »Kaliningrad« (Exportauftrag für die SU) geleistet, weshalb sämtliche Schweißnähte ausgeschlagen werden mussten. Dadurch entstand ein Schaden von ca. 10 000 DM.

In den beiden holzverarbeitenden Privatbetrieben Büschel und Göhler9 in Voigtsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ist der größte Teil der Werktätigen aus dem FDGB ausgetreten. Die Arbeiter verlangen, dass sie ein Mittagessen in den Betrieben erhalten. Sämtliche Bemühungen waren jedoch ergebnislos, da nach Mitteilung des Rates des Bezirkes kein Kontingent für das Mittagessen freigegeben wird.

Handel und Versorgung

In Ergänzung des Berichtes vom 26.7.195410 über 567,75 kg verdorbene Margarine, darunter 447,75 kg, Sorte I mit Eigelb aus Rostock und 116 kg Butter aus der KG Bernau, die vermutlich schon ein Jahr alt war, kommt heute die Meldung über 13 t verdorbene Butter aus der DHZ Wismar und 8 t verdorbene Butter aus dem Kontor für Import und Lagerung in Rostock, die an die Öl- und Fettwerke Magdeburg geliefert wurden. Die Belegschaft dieser Werke ist sehr ungehalten über diese Mengen verdorbener Fettwaren, zumal solche Liefermengen des Öfteren ankommen und in der letzten Sendung aus Rostock noch brauchbare Butter unter die verdorbene gepackt war. Die Kollegen sagen, dass auf der einen Seite die Preise für Butter so hoch sind, dass auf Lebensmittelkarten Margarine ausgegeben wird, während auf der anderen Seite die Butter verdirbt. Es wird gefordert, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Schwierigkeiten in der Versorgung mit Frühkartoffeln sind teilweise wieder in den Bezirken Suhl, Potsdam, Dresden, Neubrandenburg und Berlin zu verzeichnen. Vor verschiedenen Verkaufsstellen der Kreisverwaltung Neubrandenburg standen große Menschenmengen an, wo es teilweise zu Schlägereien gekommen ist. Im Bezirk Cottbus macht sich der Mangel an Kartoffeln besonders in den Industriebezirken bemerkbar, vor allem in den Großküchen der Betriebe und den Kinderferienlagern.

In der Betriebsküche des BFG Lauchhammer,11 [Bezirk] Cottbus, z. B. wird infolge des Mangels an Kartoffeln Suppe mit belegten Brötchen ausgegeben.

Fleischknappheit besteht teilweise in den Bezirken Leipzig, Erfurt und Halle. Im Kreisgebiet Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, z. B. werden für das III. Quartal noch 70 t Rind- und Schweinefleisch benötigt. Vom Schlachthof Leipzig können in den nächsten Tagen keine Anlieferungen erfolgen, da der Anfall an Schlachtvieh sehr gering ist. Die Zuteilung an HO-Fleisch im Bezirk Halle wurde um 300 t gekürzt, wovon besonders die Landkreise betroffen sind. Die Fehlmengen, besonders an Rindfleisch, sollen mit Hammelfleisch ausgeglichen werden, welches jedoch von den meisten Kreisen abgelehnt wird.

Im Kreisgebiet Döbeln, [Bezirk] Leipzig, ist großer Benzinmangel für VEAB- und DHZ-Fahrzeuge, wodurch die Lebensmitteltransporte gefährdet sind.

Der Mangel an billigen Zigaretten wie »Turf«, »Ramses«, »Carmen«, »Salem« ist in einigen Kreisen des Bezirkes Erfurt noch nicht behoben.

Landwirtschaft

Die Diskussionen über politische Tagesfragen in der Landbevölkerung sind durch die Beanspruchung mit der Ernte weiterhin sehr minimal. Nur vereinzelt wurde zum Abschluss der Genfer Konferenz diskutiert, wobei die meisten Stimmen als positiv und nur einige wenige negative zu verzeichnen sind. Ein Mittelbauer (parteilos) aus Rockau, [Bezirk] Gera: »Der große Sieg des Friedenslagers in Genf ist vor allem Molotow12 und Tschu En Lai zu verdanken. Der Abschluss des Waffenstillstandes in Indochina bedeutet, dass der Frieden in Asien gesichert ist. Nun müsste es für Deutsche in Ost und West durch neue Verhandlungen auch möglich sein, ohne Krieg die Einheit und einen Friedensvertrag zu erlangen.« Ein Landarbeiter aus Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg: »Freut euch nicht zu früh, es ist noch nicht aller Tage Abend, der Ami wird auch schon wissen, was er macht.«

Im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe13 versuchen einzelne Elemente, besonders Großbauern, Vorteile für sich herauszuschlagen. So gab z. B. ein Großbauer aus Wohlau, [Bezirk] Leipzig, an, dass er durch Hochwasser 1 ha Weizen, 0,25 ha Futterrüben, 0,50 ha Hafer und 0,50 ha Klee eingebüßt hätte. Eine Überprüfung ergab, dass diesem Bauern durch das Hochwasser keinerlei Schaden entstanden ist. Ein ähnliches Beispiel lieferte ein werktätiger Bauer aus der gleichen Gemeinde. Es wurde festgestellt, dass solche Betrügereien vor allem von Bauern versucht werden, die mit ihrem Abgabesoll weit im Rückstand sind.

In der Hauptsache befasst sich die Landbevölkerung mit den Schwierigkeiten und Mängeln auf dem Lande, was aus nachstehenden Beispielen zu ersehen ist.

Die Bauern der Gemeinde Obergräfenhain, [Bezirk] Leipzig, klagen darüber, dass sie in der Woche nur für drei halbe Tage Strom zum Drusch erhalten, obwohl sie bis zum 30.8.1954 30 Prozent ihres Getreides abliefern sollen. In den Gemeinden des Kreises Zeitz, [Bezirk] Halle, klagen die Bauern darüber, dass der Strom zu schwach ist, um den Drusch sauber und schnell durchführen zu können. Ein Großbauer aus Altendorf, [Bezirk] Leipzig, sagte: »Jetzt, wo das Vieh ohne Stroh im Stall liegt, lässt sich kein Erfasser sehen. Wenn wir aber gedroschen haben, sind die bestimmt wieder da.«

In Roßlau, [Bezirk] Halle, mussten die Bauern, die am Sonntag Getreide abliefern wollten, ihr Getreide wieder nach Hause fahren, weil die Dienststelle der VEAB nicht besetzt war.

Die Durchführung des Zwischenfruchtanbaues stößt vielerorts auf Schwierigkeiten, da sie sich durch das schlechte Wetter um vier Wochen verzögert hat und weil vor allem das Saatgut dafür fehlt.

Verschiedene LPG und VEG des Kreises Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, die über Getreidetrockenanlagen verfügen, können diese nicht einsetzen, da die erforderlichen Mengen Benzin und Kohle nicht eingeplant sind. Dadurch können wiederum die Mähdrescher nicht eingesetzt werden, weil dieses Getreide in den Anlagen getrocknet werden muss.

Aus dem Bezirk Frankfurt kommen Klagen über Kräftemangel in der Landwirtschaft, einschließlich MTS. In den MTS fehlen Fahrer für die II. Schicht. Desgleichen könnten größere Einsätze zur Einbringung der Ernte nicht durchgeführt werden, da der Bezirksrat und die Kreisräte nicht die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen haben.

Schwierigkeiten in der Beschaffung von Ersatzteilen bei der MTS der Bezirke Halle und Frankfurt

In Halle z. B. fehlen Ersatzteile für Mähdrescher, Binder und hauptsächlich für sowj. Combine.14 Aus den Bezirken Halle und Rostock kommen auch Klagen über das schlechte Bindegarn. Das Bindegarn wurde als Güteklasse I geliefert, ist aber so schlecht, dass es aufwickelt, knotet und zerreißt, sodass man damit nicht arbeiten kann.

Übrige Bevölkerung

Über politische Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig diskutiert. Im Mittelpunkt der wenigen Diskussionen steht der erfolgreiche Abschluss der Genfer Konferenz. Diese Diskussionen sind überwiegend positiv. Darin bringt man zum Ausdruck, dass der Waffenstillstand in Indochina ein Erfolg des Weltfriedenslagers ist, und dass das Zustandekommen des Waffenstillstandes in Indochina dem Genossen Molotow und den Außenminister Tschu En Lai zu verdanken ist. Oftmals fordert man, dass auch über Deutschland verhandelt werden sollte. Ein Lehrer (LDPD) aus Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Genfer Konferenz hat gezeigt, wie stark die Friedenskräfte sind und dass sie von Tag zu Tag stärker werden. Wenn wir alle so aktiv für den Frieden eintreten wie das französische Volk, dann wird die Einheit unseres Vaterlandes bald hergestellt sein.«

Eine Hausfrau aus Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »In Genf haben sie es geschafft und in Berlin sind sie zu keinem Erfolg gekommen, das liegt daran, weil der Amerikaner zu allem nein sagt. Hoffentlich versteht es die Sowjetunion, auch die deutsche Frage bald zu unserem Gunsten zu lösen.«

Die Kollegen der Abteilung Justiz beim Magistrat diskutierten über den errungenen Sieg des Friedenslagers in Genf. Die Kollegen brachten zum Ausdruck, dass das Zustandekommen des Waffenstillstandes in Vietnam vorwiegend dem sowjetischen Außenminister Molotow sowie den chinesischen Außenminister Tschu En Lai zu verdanken sei. Von einigen Kollegen wurde die Hoffnung ausgesprochen, dass das Deutschlandproblem in absehbarer Zeit, ähnlich wie in Genf das Indochinaproblem, gelöst wird.

Negative Diskussionen zum erfolgreichen Abschluss der Genfer Konferenz wurden uns nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Friseurmeister aus Binz, [Bezirk] Rostock: »In Genf haben die Roten bestimmt den Rückzug angetreten, denn sonst hätten sie sich nicht geeinigt.«

Ganz vereinzelt wird über den Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten und Außenministers Tschu En Lai gesprochen. Diese Stimmen sind nur positiv. Eine Bäckermeisterin aus Zittau, [Bezirk] Dresden: »Die Menschen müssten doch sehen, dass der Besuch Tschu-En Lai von großer Bedeutung für das deutsche Volk sei und die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem chinesischen Volk klar herausstellt. Vor allem muss man begreifen, dass dieser Minister von einer Konferenz kommt, in der er sich für den Frieden eingesetzt hat.« Ein Einwohner aus Pößneck, [Bezirk] Gera: »Es ist sehr erfreulich und noch nie dagewesen, dass ein Außenminister Chinas Berlin einen Besuch abgestattet hat und in den Betrieben mit den Werktätigen sprach. Dadurch wurde die freundschaftliche Verbindung mit dem Deutschen Volk und dem chinesischen Volk weiter gefestigt.«

In einigen Gemeinden des Kreises Lübz, wie Vietlübbe, Zarchlin usw. wird die Arbeit des DFD durch die Werbetätigkeit der Pastoren erheblich erschwert. Diese Pastoren arbeiten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, um die Frauen für die Kirche zu gewinnen. Die Frauen werden kostenlos in Erholungsheime geschickt und mit Kleider- und Geldspenden unterstützt. Es werden Zusammenkünfte, wie z. B. Bibelstunden usw. organisiert, vor allem dann, wenn Versammlungen und Kundgebungen der Massenorganisationen stattfinden sollen.

Im Luftkurort Masserberg, [Bezirk] Suhl, ist das Gerücht in Umlauf, dass in Kürze eine Hungersnot aufgrund der Unwetterkatastrophe eintreten würde, Erholungssuchende aus Leipzig erzählten, dass in Leipzig alles weggeschwemmt sei und die meisten Lebensmittel in den Geschäften ausverkauft seien. Aufgrund dieser Gerüchte hat ein Teil der Bevölkerung von Masserberg sofort Mehl und Gries in größeren Mengen aufgekauft. Die Folge war, dass zwei Tage lang kein Mehl zu bekommen war. Ähnliche Erscheinungen sind auch in verschiedenen anderen Kreisen des Bezirkes Suhl aufgetreten.

Im Bezirk Suhl wird von der Bevölkerung darüber Klage geführt, dass die Bearbeitung von Einreisegenehmigungen ¼ bis ½ Jahr dauern und oft die Antragsteller überhaupt nichts wieder davon hören. Ein Arbeiter aus Suhl stellte den Antrag auf Einreisegenehmigung für seinen Bruder aus Amerika. Der Antrag wurde genehmigt. Dieser teilte es seinem Bruder mit. Jetzt ist der Bruder schon 14 Tage in Westdeutschland und kann nicht in die DDR einreisen, da die Einreisegenehmigung noch nicht von Berlin geschickt wurde. Dieser Arbeiter ist darüber sehr verärgert, da sein Bruder am 12.8.1954 schon wieder zurück nach Amerika muss und bis jetzt noch nicht bei ihm gewesen ist.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:15 Karl-Marx-Stadt 1 956, Potsdam 40, Dresden 25.

DGB-Ostbüro: Karl-Marx-Stadt 200.

FDP-Ostbüro: Erfurt 57.

UFJ:16 Halle 200.

NTS:17 Karl-Marx-Stadt 10, Suhl 34, Potsdam 3 000.

Versch[iedener] Art: Frankfurt 10, Potsdam 22 000, Cottbus 400.

In S-Bahnzügen wurden ca. 3 500 Hetzschriften verschiedener Art gefunden.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Im Schlachthof Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, befand sich ein Hufnagel in einer hochwertigen Fleischverarbeitungsmaschine. Durch die Wachsamkeit eines Arbeiters konnte die Zerstörung der Messer verhindert werden.

Im Kinderferienlager Pionierschule Zschorna, Kreis Großenhain, [Bezirk] Dresden, wurde ein jugendlicher Wachhabender am 25.7.1954, gegen 0.45 Uhr von unbekannten Tätern bewusstlos geschlagen.

Am 24.7.1954 wurde auf dem S-Bahnhof Gesundbrunnen von unbekannten Personen unter Stuposchutz18 die Hetzschrift »Freie Junge Welt«19 verteilt.

Vermutliche Feindtätigkeit

Das Staatliche Kreiskontor für landwirtschaftlichen Bedarf Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, meldet, dass in letzter Zeit mehrfach eingehende landwirtschaftliche Maschinen und Geräte beschädigt sind. Es handelt sich dabei um ca. 80 Prozent. Bei einer Schrotmühle war z. B. der Einlauftrichter vollkommen zertrümmert. Ermittlungen ergaben, dass auf dem Trichter eine zentnerschwere Kiste gelagert worden war.

Die Chemische Fabrik in Draschwitz,20 Kreis Zeitz, [Bezirk] Halle, lieferte an die BHG Kutzleben, [Bezirk] Erfurt, Superphosphat. In den Waggons stand das Wasser, sodass der Dünger wertgemindert wurde. Die Lieferfirma hatte den Schutz der Waggons mit Planen während der Regenfälle unterlassen. Gleiche Lieferungen erhielten auch die BHG Mittelsömmern, Urleben und Ballhausen.

Lage in Westberlin

Zum Fall des Dr. John21 gibt es in Westberlin heftige Diskussionen.22 So wurde z. B. bekannt, dass die Zeitungskioske in den letzten Tagen förmlich gestürmt wurden, um die neusten Meldungen zu erhalten.

Bei Angehörigen der Stupo bestehen verschiedene Auffassungen. Einige glauben an eine Entführung. Andere an sein freiwilliges Aufsuchen des demokratischen Sektors. Sonst ist ein allgemeines Misstrauen entstanden, was die Einzelnen daran hindert, ihre wirkliche Meinung zu äußern.

Der Vorsitzende einer Ortsgruppe der FDP äußerte: »Es ist der schwerste Schlag, den der Westen bisher hinnehmen musste. Es wird eine Panik auslösen und es wird sich niemand mehr bereitfinden, für ihn zu arbeiten.«

Eine Bezirksabgeordnete der FDP und ein weiterer Funktionär der FDP sind der Ansicht, dass die Sache gar nicht so wichtig ist, denn der Mann sei schon längst kaltgestellt gewesen.

Ein Bezirksvorsitzender der FDP und Mitarbeiter im Senat: »Die Folgen sind gar nicht auszudenken. Alles ist korrupt, einer bekämpft durch Intrigen den anderen. Der Mann hat von dem Dreck von seiner Warte aus mehr gesehen als jeder andere. Wahrscheinlich hatte er die Nase voll, außerdem werden ihn auch die Erfolge der anderen Seite beeindruckt haben.«

Ein Westberliner Arbeiter: »Da hört man immer, dass sich laufend aus der Ostzone Menschen nach dem Westen begeben, weil es so schlecht im Osten sein soll und so eine Persönlichkeit wie der John, der bestimmt kein kleines Gehalt hatte, geht nach dem Osten.«

Zur Meldung der Zeitung »Kurier« »John in Hypnose entführt«23 brachten Einwohner von Charlottenburg zum Ausdruck, dass das Quatsch sei, was die da schreiben. »Der Mann ist freiwillig gegangen. Der wird schon seinen Grund gehabt haben, warum er nach dem Osten gegangen ist. Ob Truschnowitsch24 damals entführt wurde, ist auch bis heute noch nicht erwiesen.«

Die Stupo hat ihre Polizisten angewiesen, Stimmungsberichte zu sammeln über das Verschwinden von Dr. John. Personen, die sich dafür aussprechen, dass es richtig ist, wie Dr. John gehandelt hat, sind sofort festzunehmen.

Einschätzung der Situation

Im Allgemeinen ist die Teilnahme der Bevölkerung an politischen Ereignissen gering.

Aufgrund des erfolgreichen Abschlusses der Genfer Konferenz wird zzt. häufiger und überwiegend positiv dazu Stellung genommen.

In vielen Fällen wurde die Überzeugung stärker, dass es auch möglich sein muss, die Deutschlandfrage erfolgreich zu lösen.

Wirtschaftliche Probleme stehen in der Regel an erster Stelle. Dabei finden besonders die verschiedentlich bestehenden Schwierigkeiten in der Industrie, Landwirtschaft und Versorgung die größte Bedeutung und führen teilweise zu Unzufriedenheit.

Anlage 1 vom 27. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2271

Anhang zur Industrie

Produktionsschwierigkeiten, die wegen Materialmangel und Betriebsstörungen auftraten

Im VEB Zemag Zeitz, [Bezirk] Halle, fehlen Kugellager für Rollgänge und Ausrüstungen für Backenpressen. Deshalb kann der Monatsplan für Juli nicht erfüllt werden.

In der Warnow-Werft bestehen laufend Stockungen beim Neubauprogramm wegen mangelhafter Materiallieferungen. So wurden z. B. anstelle von eingeplanten 3 276 t Bleche nur 1 521 t geliefert (im I. Quartal). Im II. Quartal wurden statt 2 250 t Bleche nur 173 t geliefert.

Im Landmaschinenwerk Barth, [Bezirk] Rostock, mangelt es besonders an 30-mm-Wellenstahl.

Im VEB Waggonbau Görlitz fehlen in der Stellmacherei Anschlüsse für Doppelstockwagen, in der Tischlerei Beschlagteile.

Im Berliner Glühlampenwerk mangelt es an Messingsockeln für Lampen (Exportaufträge) sowie an Hartglaskolben für Infrarot-Strahler.

Im Berliner Bremsenwerk fehlen Gussteile für Bremsausrüstungen. Dadurch wird das Kohlennotprogramm25 gefährdet und der Export, den der VEB Waggonbau Niesky abgeschlossen hat. Weiterhin fehlt es an Rundmaterial aller Art aus den Walzwerken der DDR. Bei DIN-Teilen ist bis zum 15.7.[1954] der Plan erst zu 6 Prozent erfüllt worden. Deshalb stellte der Betrieb selbst DIN-Teile her, wodurch die Kapazität jedoch verringert wird.

Der VEB IKA Annaberg,26 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat Materialmangel für die Massenbedarfsartikelproduktion. Der Materialabfall in diesem Betrieb kann für die Massenbedarfsartikelherstellung nicht mehr verwendet werden.

Das Berliner Reifenwerk benötigt für die zusätzliche Herstellung von Fahrradflickzeug 1 kg Beschleuniger, der aus Westdeutschland bezogen werden muss. Die HO-Kunststoffe versprach bereits vor längerer Zeit, dies zu besorgen, hat jedoch bisher noch nichts getan. Im Eisenhüttenwerk Thale bestehen Schwierigkeiten in der Monatssollerfüllung im Walz- und Blockwalzwerk, da vor einiger Zeit verschiedene Walzenbruch- und andere Reparaturen durchgeführt werden müssen.

Betriebsstörungen

Im Kraftwerk Lenin der Buna-Werke fiel am 25.7.[1954] wegen Rohrbruch ein Kessel aus. Produktionsausfall ca. 15 000 MW.

Im Mansfeld Kombinat »Wilhelm Pieck«, [Bezirk] Halle, mussten am 25.7.1954 wegen Ausfall einer Maschine des Kraftwerkes die Öfen der »August-Bebel«- und »Karl-Liebknecht«-Hütte gedämpft werden. Die Ursache ist noch nicht bekannt.

Im Walzwerk Hettstedt fiel am 25.7.[1954] die breite Umkehrwalze aus. Produktionsausfall: ca. 100 t Walzguss, Ursache: noch ungeklärt.

Im Kunstseidenwerk Premnitz fielen am 25.7.[1954] 202 Spinnmaschinen aus. Als Ursache wurde angegeben, dass in einem Zubringerkabel kein Strom war, obwohl keine Turbine ausgefallen ist. Die Ermittlungen werden noch geführt.

Am 24.7.1954 entstand im Braunkohlenwerk John Schehr in Laubusch, [Bezirk] Cottbus, aus noch unbekannter Ursache in der automatischen Zuführung zur Brikettpresse (Redler) ein Brand, wodurch sieben Pressen vorübergehend stillgelegt wurden. Am 25.7.[1954] entstand im selben Redler ein neuer Brand, wodurch die Pressen erneut außer Betrieb genommen werden mussten. Ermittlungen über die Ursache und den Produktionsausfall werden noch geführt.

Am 24.7.[1954] entstand im VEB Hydrocarbon in Bln.-Blankenburg eine Explosion. Sachschaden ca. 300 DM. Produktionsausfall und Ursache noch nicht ermittelt. (Bei diesem Betrieb handelt es sich um den einzigen dieser Art in ganz Deutschland.) Die Produktion ist ausschließlich für den Export bestimmt.

Anlage 2 vom 26. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2271

Einige Missstände, die Unzufriedenheit unter der Landbevölkerung hervorrufen

Die Mitglieder der LPG Kladrum, Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, sind empört darüber, dass der Bau von Wohnraum nicht durchgeführt wird, trotzdem sie die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung haben. Die Ursache liegt im Material- und Kräftemangel. Die LPG-Mitglieder sagten hierzu, dass für den geplanten Bau auch die notwendigen Kräfte und Materialien zur Verfügung gestellt werden müssten.

In der Gemeinde Groß Niendorf, Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, klagen die Bauern darüber, dass sie unbedingt Zwischenfrucht anbauen sollen, aber kein Saatgut dafür vorhanden ist.

Bauern des Kreises Gransee, [Bezirk] Potsdam, klagen über die Wildschwein- und Rotwildplage. Sie bringen dabei zum Ausdruck: »Wenn wir nicht jeden Abend Wache stehen würden, sähe es schlecht mit unserer Ernte aus.«

Bei der Überprüfung der Landgemeinden, welche zur Volksbefragung27 ein schlechtes Wahlergebnis zu verzeichnen hatten, konnte festgestellt werden, dass dies zum Teil auf Verärgerung zurückzuführen ist. So ist in der Gemeinde Bauerbach, [Kreis] Meiningen, [Bezirk] Suhl, schon seit drei Jahren eine Wasserleitung versprochen worden, weil einige Brunnen versiegt sind und das Wasser 500 m weit getragen werden muss. Diese Mängel geben Anlass zu negativen Diskussionen.

In der Gemeinde Penzlin, Kreis Lübz, [Bezirk] Schwerin, gibt es unter den Bauern in wirtschaftlicher Hinsicht große Unstimmigkeiten. Die einzelnen Wirtschaften hatten seit langer Zeit sehr unterschiedliche Bodenklassen.28 Die Bodenklassen der einzelnen Wirtschaften wurden zum Teil von Großbauern festgelegt. Eine Überprüfung und Neueinstufung wurde 1953 festgelegt, ist jedoch bis heute noch nicht in Kraft getreten, sondern soll erst 1955 in Kraft treten. Aus diesem Grunde sind die Bauern sehr unzufrieden. In dieser Gemeinde befinden sich sehr viele ehemalige Ostpreußen, die sich dort neu angesiedelt haben.

Anlage 3 vom 27. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2271

Auswertung der Westsendungen

Industrie

Die Hetzpropaganda der Westsender richtete sich in der letzten Zeit mehrfach gegen die volkseigenen Werften der DDR. In Fortsetzung der vor einigen Tagen erfolgten Sendung über die Lage auf den Werften der DDR berichtet der RIAS, dass außer der in der vorigen Sendung genannten Kommission der SED-Bezirksleitung Rostock eine Kommission vom Ministerium für Maschinenbau die Zustände auf den Werften untersucht habe. RIAS hetzt, dass diese sich entgegen der Kommission der Bezirksleitung »nicht gescheut« habe, die wahren Ursachen der schlechten Produktion der Werften zu nennen. RIAS behandelt dabei aus dem angeblichen Bericht dieser Kommission folgende Probleme:

  • Schwierigkeiten in der Materialversorgung, vor allem aufgrund schlechter Arbeit der Handelspartner,

  • Produktionsumstellungen bei den Zulieferbetrieben,

RIAS schließt mit der Hetze, dass jetzt die Entscheidung unserer Regierung – Senkung der Planauflagen oder »Erzwingung« der Planerfüllung – bestimmen wird, »ob es auf den Werften im 2. Halbjahr eine einigermaßen normale Arbeitsatmosphäre oder ein hektisches Durcheinander von Wettbewerben, Stillstandszeiten, von agitierenden Genossen und fluchenden Arbeitern geben wird«.

Mit den sozialistischen Wettbewerben der VEB befasst sich eine Sendung des Londoner Rundfunks mit Robert Bialek.29 Es heißt, dass »die sozialistischen Wettbewerbe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Verschärfung der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft« stehen. Die Betriebsleitungen würden alles tun, um ihre Pläne zu erfüllen, da sie sonst Gefahr liefen, »wegen Wirtschaftssabotage ins Zuchthaus zu wandern«.

Auch die Arbeiter würden oder müssten die Wettbewerbe mitmachen, da sie aus dem allgemeinen Arbeitsablauf nicht herausbrechen könnten. In längeren Ausführungen will der Sender beweisen, dass die soz. Wettbewerbe die Solidarität der Arbeiter zerstören. Besonders genannt werden dabei Aktivisten, Verdiente Aktivisten und »Helden der Arbeit«. Es heißt dazu: »Durch die Aktivistenbewegung klassifizieren die SED-Machthaber praktisch die Arbeiter und Werktätigen der VEB in ihrer gesellschaftlichen Stellung.«

In den weiteren Ausführungen will R. Bialek beweisen, dass die Solidarität der Arbeiter aber nicht gebrochen werden kann, da die Zahl der Aktivisten immer mehr zunähme, unsere Regierung dadurch nicht in der Lage sei, die »Besserstellung« der Aktivisten einzuhalten und diese dadurch unzufrieden würden. Da sich die Aktivisten ausschließlich aus Facharbeitern und nur zu einem geringen Teil davon aus SED-Mitgliedern zusammensetzten, wäre ein großer Teil »SED-Gegner« unter ihnen.

Über den Verbrauch des Gewinns der VEB wird gehetzt, »dass ein geringer Teil in den Betrieben durch den Leerlauf und die Zeitverluste aufgefressen … und der größte Teil an die Regierung abgeführt« würde. Diese verwende einen geringen Teil für sanitäre, soziale Einrichtungen und für Investitionen, »aber der gewaltigste Teil« würde »von dem unvorstellbar großen Regierungs- und Gewaltapparat der SED-Machthaber aufgefressen«. Besonders genannt wird hierbei die KVP.30

Landwirtschaft

Der Sender »Freies Berlin« hetzt über die Produktion von Traktoren in der DDR. Der Ministerratsbeschluss vom Febr. 1954 habe innerhalb der Traktoren-Produktion keine Erfolge gehabt.31 Als Beispiel wird das volkseigene Schlepperwerk Schönebeck genannt, welches die Traktoren KS 12 nicht produziere, da damit eine »Blamage« zu erwarten gewesen wäre. Auch die Landwirtschaftsausstellung in Leipzig-Markkleeberg32 habe keine neuen Erzeugnisse der Schlepperindustrie gezeigt. Die noch in Produktion befindlichen Typen seien sehr mangelhaft. Abschließend hetzt der SFB, dass jetzt nach dem Westen nach Traktoren ausgeschaut würde, besonders, nachdem die Volksdemokratie Ungarn 800 Ackerschlepper in Westdeutschland gekauft habe.

Staatsorgane

Mit einer angeblichen Mitteilung des FDJ-Zentralrates, dass ca. 140 000 FDJler eine »vormilitärische Ausbildung« in »Ausbildungslehrgängen« und bei der Gesellschaft für Sport und Technik erhalten hätten, will der SFB seine Hetze weiter begründen, dass neben der KVP weitere Einheiten für militärische Zwecke in der DDR geschaffen würden.

In der Hetze wird auch die FDJ im Allgemeinen einbezogen, die »das Becken für den Nachwuchs der KVP« sei. Da die Jugendlichen oftmals nicht der KVP beitreten wollten, würden »Druckmittel« angewandt, wie z. B. »Kündigung und Sperrung der Weitervermittlung beim Arbeitsamt«. An späterer Stelle wird die Werbung als »Tarnung der allgemeinen Wehrpflicht« bezeichnet.33

Zur Arbeit des Staatssekretariats für Staatssicherheit heißt es in einer Sendung des RIAS, dass innerhalb des Reiseverkehrs der Eisenbahn »Staatsbeauftragte« eingesetzt würden, die die Reisenden durch negative Diskussionen provozieren und dann den Streifen übergeben würden.34

SFB meldet, dass im Erzbergbaugebiet weitere 1 500 KVP-Angehörige stationiert würden, da es in der letzten Zeit zu schweren Unruhen gekommen sei, »die oft nur unter schärfster Gewaltanwendung unterdrückt werden konnten«. Gleichzeitig wird gemeldet, dass 2 500 Arbeiter in den Bezirk Magdeburg verlegt werden sollen, wobei die KVP ebenfalls sichern solle.

Gegen unsere demokratische Presse hetzt der RIAS in einer Sendung über das Zentralorgan des FDGB »Tribüne«. Es wäre nicht zu erkennen, wer die verantwortlichen Redakteure seien, da nur mit »Das Redaktionskollegium« gezeichnet würde. Dies wäre eingeführt worden, hetzt der RIAS weiter, nachdem die Chefredakteure des »ND« und der »Tribüne« mehrfach gewechselt hätten. Genannt werden Lex Ende,35 Herrnstadt,36 Erxleben37 und Lowack.38 Anschließend charakterisiert der RIAS in verächtlicher Art und Weise die Mitglieder des Redaktionskollegiums der Tribüne: Waldemar Pose,39 Günter Schabowski,40 Gerhard Bauer41 und Kurt Werner.42

Gegen das neue Familiengesetzbuch43 richtet sich eine Sendung des SFB mit einem Kommentar aus Kreisen der katholischen Kirche. Das Familiengesetzbuch wird scharf angegriffen, was sich über die verschiedensten Varianten erstreckt; u. a. heißt es: »Dieses Gesetz soll dazu dienen, das Leben in der Zone, vor allem in der Familie, entscheidend zu bolschewisieren, … die Familie soll nach den Grundsätzen der kommunistischen Partei geregelt, … unmittelbaren parteipolitischen Zielen dienstbar … und dadurch sich selbst entfremdet werden.«

Es wurden zwei Paragrafen als Beispiel herausgegriffen und kommentiert. So stehe z. B. der § 4 über die Pflichten der Eltern »im unversöhnlichen Gegensatz zum christlichen Gewissen der Eltern«. Zum § 29 über die Ehescheidung heißt es, dass es dem Richter volle Freiheit in der Ehescheidung gebe und bei politischen Konflikten innerhalb der Familie eine Ehe geschieden werden kann.

Die Sendung schließt ab mit der Verleumdung, dass das »neue Familiengesetzbuch der Hilde Benjamin44 nicht wenig dazu beiträgt, in einem entscheidenden Lebensgebiet, der Familie, unser Volk zu spalten« und nicht dazu beitrage, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen.

Anlage 4 vom 24. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2271

Verärgerung unter Seeleuten durch das Auftreten von KVP-Angehörigen

Aus dem Hafen von Warnemünde wurde bekannt, dass das Auftreten der VP unter den westdeutschen und ausländischen Seeleuten großen Ärger erregt. Dazu folgende Beispiele:

Ein Grenzpolizist erzählte einem Makler, dass dieser nur 15 Minuten an Bord bleiben dürfe. Der Makler erklärte dazu, dass dies auf keinen Fall ausreiche, um die geschäftlichen Dinge zu erledigen und dass es auf keinen Fall einen guten Eindruck hinterließe, wenn er, so wie es tatsächlich vorgekommen ist, nach 15 Minuten von der bewaffneten Polizei, im Beisein des Kapitäns, ermahnt wird, er möge sich beeilen. Der Makler erklärte weiter, dass diese Maßnahmen keinesfalls zur Förderung des gesamtdeutschen Gespräches beitragen. Sie haben des Öfteren Gelegenheit, sich mit Kapitänen und Mannschaften über politische Probleme zu unterhalten, werden von diesen jedoch in letzter Zeit höhnisch darauf hingewiesen, dass sie nicht allzu lange an Bord bleiben dürfen. Von den westdeutschen Seeleuten wird dies als »Freiheit der DDR« bezeichnet.

Als weiteres Beispiel wurde bekannt, dass vor kurzer Zeit der Kapitän und ein Offizier des isländischen Dampfers »Hrassafell« sich im Hafengelände die Füße etwas vertreten wollten und am Kai auf und ab gingen. Von den Posten der VP wurden sie aufgefordert, sofort auf das Schiff zurückzukehren oder ganz das Hafengelände zu verlassen. Einige Kapitäne brachten zum Ausdruck, dass sie von einigen Genossen an Land eingeladen wurden, dass sie aber lieber auf dem Schiff blieben, denn was ihnen an Land blühte, das wüssten sie nicht. Die bewaffneten Polizeiposten vor dem Schiff sagten ihnen genug.

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    28. Juli 1954
    Informationsdienst Nr. 2272 zur Beurteilung der Situation

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