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Zur Beurteilung der Situation

9. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2256 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig diskutiert. Zur Volksbefragung1 wurden uns nur noch ganz vereinzelt Stimmen bekannt, die zum Ausdruck bringen, dass ihnen unverständlich sei, dass so viele Menschen in der DDR für die EVG2 gestimmt haben. Eine Reinemachefrau aus dem VEB Baumwollspinnerei Plaue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich kann nicht verstehen, dass es überhaupt noch Menschen gibt, die sich für die EVG entscheiden konnten. Meiner Meinung nach müssen diese Menschen gar keinen klaren Verstand mehr haben, wenn sie sich noch einmal einen Krieg wünschen. Ich als parteilose Frau habe mich bisher noch nicht um Politik gekümmert, aber jetzt kann ich einfach nicht mehr anders, es betrifft mich ja auch mit.«

Unter den Werktätigen wird immer noch über die Fußballweltmeisterschaften diskutiert.3 Hierzu einige charakteristische Beispiele. Ein Arbeiter aus dem »August-Bebel«-Werk in Zwickau,4 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wesdeutschland hat das Spiel gewonnen, aber Ungarn war der Bessere. Die Siege der ungarischen Mannschaft in den letzten Monaten sind keine Zufälligkeiten.« Ein Arbeiter aus dem Leuna-Werk »Walter Ulbricht«: »Der ›Vorwärts‹ hat sich in seinem Artikel abfällig und unsportlich gegenüber der westdeutschen Mannschaft geäußert, darin spürt man nichts, dass Deutsche sich an einen Tisch setzen wollen.«5

Ein Kraftfahrer aus der Bau-Union Zwickau: »Der Ansager des Rundfunks der DDR sprach in seinem Bericht nur noch von der westdeutschen Mannschaft, während der Ansager im Westrundfunk von einer deutschen Mannschaft sprach. Meiner Meinung nach sind wir doch alle für die Einheit Deutschlands und deshalb können wir nicht von einer westdeutschen Mannschaft sprechen, sondern von einer deutschen. Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein. Fußball hat nichts mit Politik zu tun.«

Produktionsschwierigkeiten entstanden in einigen Betrieben wegen Material- und Arbeitskräftemangel. Im VEB Elfa-Werk Elsterwerda, [Bezirk] Cottbus, konnte das Halbjahressoll an Melkanlagen wegen Materialmangel nicht erfüllt werden. Insbesondere fehlt es an Rohr- und Pressglas für Schaugläser. Im VEB Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt, fehlt es an Blech, wodurch auch Exportaufträge nicht erledigt werden können. Die Arbeitskräfte des Stahlbaues werden weiterhin mit Nebenarbeiten beschäftigt, wodurch selbstverständlich eine schlechte Stimmung unter diesen herrscht.

Im VEB Reifenwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt, bestehen ebenfalls Schwierigkeiten in der Materialbeschaffung. Auf den Werften im Bezirk Rostock bestehen nach wie vor Materialschwierigkeiten und Arbeitsmangel. Im Bezirk Gera besteht in allen Verkehrsbetrieben ein großer Mangel an Bereifung (bereits seit fünf Monaten). Die Elektrische Werkstatt der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, hat mit großen Materialschwierigkeiten zu kämpfen. Die Kollegen der Werkstatt sind der Meinung, dass das Material bewusst zurückgehalten wird. In dem VEB Uhrenfabrik Roßla, [Bezirk] Halle, fehlt es schon seit längerer Zeit an 6-mm-Automatenstahl.

Im VEB Zuckerfabrik in Sonneberg,6 [Bezirk] Suhl, ist ein Engpass an Stärkesirup zur Herstellung der Zuckerwaren eingetreten. Das zustehende Kontingent für das II. Quartal ist nicht geliefert worden. Um die Arbeiter nicht zu entlassen oder in Urlaub zu schicken, musste die Produktion umgestellt werden, indem anstelle von Stärkesirup jetzt Essigsäure verwandt wird. Hierbei entsteht der Nachteil, dass diese Waren sehr leicht verderben (Haltbarkeit ca. zehn Tage).

Bei den Wasser- und Entwässerungswerken Berlin bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Gasrohr, Fittings, Durchgangsventilen und Übergangsstücke aus Igelitrohr und Eisen. Das Kabelwerk Berlin-Köpenick, welches vom Ministerium den Auftrag zur Entwicklung und Herstellung von Igelitrohr erhalten hat, versäumte gleichzeitig, die notwendigen Übergangsstücke zu entwickeln und herzustellen.

In der Schuhfabrik »Roter Stern« in Burg, [Bezirk] Magdeburg, wurde die Produktion der Abteilung California-Artikel7 storniert. In der Anlaufzeit der 2. Halbjahresproduktion entstand die Schwierigkeit, dass die benötigten Materialien noch nicht zur Anlieferung gelangten. Circa 300 Arbeiter müssen jetzt kurzarbeiten oder vollkommen mit der Arbeit aussetzen. Die Privatbetriebe nutzen diese Gelegenheit aus und versuchen die Facharbeiter in ihre Betriebe einzustellen.

Im Großkraftwerk Hirschfelde, [Bezirk] Dresden, herrscht noch immer ein Arbeitskräftemangel. Um die Produktion aufrechtzuerhalten, können die Arbeiter nur einen Teil ihres Urlaubs in Anspruch nehmen, was zu großen Verärgerungen führt.

Beim Kreisbaubetrieb Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, ist zu verzeichnen, dass viele Maurer kündigen, um in Berlin zu arbeiten, da sie in Berlin mehr verdienen. 80 Maurer sind bereits nach Berlin abgewandert, demzufolge gehen die Bauten im Kreis Neuruppin nur sehr schleppend voran.

Missstimmungen entstanden in einigen Betrieben wegen Lohnfragen. Im VEB Walzkörper in Bad Liebenstein, [Bezirk] Suhl, ist noch kein geregeltes und gesetzliches Lohnsystem eingeführt. Dadurch entsprach der ausgezahlte Lohn nicht den Leistungen der Kollegen. In der Abteilung Kugelpoliererei wollte die gesamte Brigade ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen, wenn sie nicht entsprechend ihrer schweren körperlichen Arbeit bezahlt wird.

Im VEB Schott Jena,8 [Bezirk] Gera, werden aufgrund des vorhandenen Arbeitskräftemangels von den Kollegen höhere Löhne gefordert. So wollen die ca. 25 Schmelzer der Schmelzhütte einen höheren Lohn haben, obwohl gerade in dieser Abteilung der Lohn für die einzelnen Arbeiter in der Zeit von 1949 bis jetzt um 40 Pfennig bis DM 1,00 pro Stunde gestiegen ist.

Handel und Versorgung

Am 29.6.1954 trafen in Bad Schandau drei Waggons Kirschen aus der Volksrepublik Bulgarien ein, die zu 50 Prozent verdorben und außerdem von der Kirschenfruchtfliege befallen waren. Dazu äußerte ein Zollangestellter: »Ich verstehe unsere Regierung nicht, dass sie die verdorbene Ware annimmt. Wenn unsere Exportware nicht einwandfrei ist, kommt sie auch wieder zurück und wird nicht abgenommen.«

Der Konsumverband Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, weigerte sich, 3,5 t Fischkonserven aus der SU abzunehmen, da im Handel noch genügend vorrätig sind. Außerdem sind sie schwer absetzbar und die Haltbarkeit beträgt nur vier Wochen.

In der HO-Verkaufsstelle in Barenthin, [Bezirk] Potsdam, sind Lebensmittel durch das verantwortungslose Verhalten des Leiters im Werte von ca. 2 [000] bis 3 000 DM verdorben.

Im Kreis Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, verfügt die DHZ Lebensmittel über einen unzureichenden Fuhrpark. (Sechs Fahrzeuge sind reparaturbedürftig – es fehlen dazu Ersatzteile.)

Im Kreis Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, mangelt es an Ersatzteilen und Bereifung für Kraftfahrzeuge und Motorräder. In Köthen, [Bezirk] Halle, ist die Belieferung von Autos, Motor- und Fahrrädern unzureichend. Verschiedentlich warten Personen, die einen Sparvertrag abgeschlossen haben, monatelang auf Motorräder.

An Lebens- und Genussmittel fehlt es im Kreis Hildburghausen (Bohnenkaffee und Hülsenfrüchte) und im Bezirk Rostock (Kindernährmittel Maizena und Frühkartoffeln).

Zur Frage der Versorgung der Bevölkerung mit Frühkartoffeln sagte eine Verkäuferin aus Grimmen, [Bezirk] Rostock: »Mir ist es unerklärlich, warum wir keine Frühkartoffeln bekommen, wo wir doch ein ausgeprochener Agrarkreis sind.« (Im Bezirk Magdeburg ist die Versorgung mit Kartoffeln ebenfalls unzureichend, was eine gewisse Missstimmung unter der Bevölkerung hervorruft.)

In den Landgemeinden des Bezirkes Rostock gelangen fast keine Industriewaren zum Verkauf, was Verärgerung bei der Bevölkerung hervorruft.

Bei dem VEAB Schwedt, [Bezirk] Frankfurt, lagern seit sieben Tagen ca. 250 t Mohrrüben, die sie nicht absetzen können. Täglich kommen ca. 50 bis 100 t dazu.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird wenig zu den politischen Tagesfragen Stellung genommen. Größtenteils sind die wirtschaftlichen Fragen Gegenstand der Diskussionen. Verschiedentlich wird von Bauern zum Ausdruck gebracht, das ist z. B. in den Bezirken Halle und Rostock der Fall, dass aufgrund der ungünstigen Witterung keine gute Ernte zu erwarten sei und dass deshalb das Soll herabgesetzt werden müsste. So sagte z. B. ein Großbauer aus Burxdorf, [Bezirk] Cottbus: »Die Regierung müsste sich jetzt schon Gedanken machen, das Soll bei vielen Bauern zu vermindern, da diese sonst ihren Viehhalteplan in diesem Jahre nicht erfüllen können.«

Im MTS-Bereich Mücka, [Bezirk] Dresden, herrscht unter den Bauern Unzufriedenheit, weil sie ihr Heusoll, das im vorigen Jahr wegen der Dürre nicht erfüllt werden konnte, in diesem Jahr mit aufbringen müssen.9

Im Kreis Kalbe, [Bezirk] Magdeburg, sind Bauern nicht einverstanden, dass sie das Heu abliefern müssen. Sie sehen darin eine Gefährdung ihrer Futtergrundlage. Dazu äußerte eine Bäuerin aus Brunau: »Ich gebe kein Heu ab. Als ich im Frühjahr kein Futter hatte und Schnitzel anforderte, bekam ich keine. Jetzt decke ich mich mit Futter ein, damit ich im Frühjahr für mein Vieh etwas habe.«10

Darüber wird auch im Kreis Burg, vor allem unter den Großbauern diskutiert, die im Bezirk Magdeburg in letzter Zeit etwas mehr mit negativen Äußerungen in Erscheinung treten, wenn auch nur vereinzelt. Ein Großbauer aus Rietzel sagte z. B.: »Heu kann ich in diesem Jahr nicht abgeben. Man soll mir lieber mehr Dünger bringen, damit mehr wachsen kann. Es wird Zeit, dass wir wieder ›freien Handel‹ bekommen wie in Westdeutschland.«

Ein Großbauer aus Bühne, Kreis Kalbe, äußerte gegenüber einem LPG-Mitglied: »Ihr Lumpen von der LPG, ihr wollt das ganze Dorf regieren.« (In dieser Gemeinde brachten Großbauern zum Ausdruck, dass sie bei der Volksbefragung der Regierung die richtige Antwort geben konnten.)11

Der BHG Lommatzsch, [Bezirk] Dresden, fehlt es an Samen für den Zwischenfruchtanbau.12

Übrige Bevölkerung

Unter der übrigen Bevölkerung wird meist über verschiedene wirtschaftliche Fragen diskutiert, die Verärgerung hervorrufen. Mehrfach wird über die Verordnung diskutiert, nach der Besitzer von Kleinflächen keine Kartoffelkarten erhalten, was unter den davon Betroffenen Verärgerung hervorruft.13 Ein Rentner aus dem Kreis Beeskow, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »In unserem Ort stimmten alle für den Frieden. Das ist nun der Dank der Regierung für das gute Ergebnis der Volksbefragung. Damit kann man die Menschen nicht gewinnen und es wird sich auch im Oktober bei der Wahl auswirken.14 Es sieht so aus, als wenn es immer schlechter anstatt besser wird.« Ähnliche Diskussionen werden in einigen Kreisen des Bezirkes Frankfurt/Oder geführt.

Einige Einwohner von Wittenberg, [Bezirk] Halle, erklärten, dass die Volksabstimmung anders ausgefallen wäre, wenn diese Anordnung vorher bekannt gewesen wäre. Andere äußerten, sie könnten nach dieser Anordnung keine Schweine mehr füttern, sich für eine bestimmte Zeit nicht mehr selbst versorgen und keine Schweine auf freie Spitzen liefern.15 Der Staat würde sich dann selbst betrügen und die Bevölkerung hätte davon den Schaden.

Ein großer Mangel an Verpackungsmaterialien macht sich gegenwärtig in Weimar, [Bezirk] Erfurt, bemerkbar. So sollen die Verkaufsstellen des Konsums im III. Quartal kein Packpapier erhalten. Darüber wird vielfach von Käufern geäußert: »Das nennt Ihr das Jahr der großen Initiative?16 Das ist ein schöner neuer Kurs.«17

Aus dem Bezirk Suhl wird Folgendes über eine bürokratische Anweisung berichtet: Vom Staatssekretariat für Erfassung und Aufkauf Berlin wurde eine neue Planabrechnung über die Warenbewegung von Futtermitteln unter der Bezeichnung »FUKA« 1–318 eingeführt. Zu dieser Abrechnung äußerte sich ein Angestellter (SED) von der Abteilung Erfassung beim Rat des Kreises Hildburghausen, [Bezirk] Suhl: »Hierin kommt ein erhöhter Bürokratismus zum Ausdruck, denn nach der neuen Abrechnung wird die drei- bis vierffache Zeit benötigt.«

In einer Anzahl Leipziger Betriebe tritt die Nationale Bedeutung des Kirchentages19 durch die Stellungnahme gegen die Kirche in den Hintergrund. Von einem Teil der Arbeiter wird die Meinung vertreten, dass die Kirche nicht wert ist, von unserem Staat so unterstützt zu werden. Kollegen der Zentralhärterei des RFT-Funkwerkes äußerten: »Bis jetzt haben wir die Kirche nicht gebraucht und auf einmal sollen wir Quartiere zur Verfügung stellen? Das kommt nicht infrage.«

Ein Kollege aus dem VEB Elektrostahlguss: »Ich werde niemals einen Besucher des Kirchentages beherbergen. Die Christen schwimmen in jeder Gesellschaftsordnung oben drauf und das steht fest, dass sie schon in zwei Weltkriegen die Waffen gesegnet haben.« Im VEG Graßdorf, [Bezirk] Leipzig, erklärte der größte Teil der Kollegen: »Es ist ganz schön, was die Regierung denen eingeräumt hat, aber die Pfaffen sind und bleiben trotzdem Lumpen.«

Über feindliche Einstellung gegenüber der DDR aus Kirchkreisen berichten folgende Beispiele: Der Pfarrer der Agneskirche20 zu Köthen, [Bezirk] Halle, führte in einer Predigt unter anderem aus: »Diejenigen, die heute oben sind, werden morgen unten sein. Der Unterschied zwischen Arm und Reich war noch nie so groß wie heute. Die Unterschiede der Klassen sind größer und tiefer als je zuvor.«

Bei der Einfahrt des Interzonenzuges aus München in Probstzella, [Bezirk] Gera, sang ein Kinderkirchenchor aus Leutenberg. Währenddessen sammelte die Gemeindeschwester, bat die Reisenden um Geschenke, wie Schokolade, Bananen, Obst usw., die sie in ihrer Schürze einsammelte und an die Kinder verteilte. Dies löste unter den Reisenden große Diskussionen aus, wegen der »armen hungernden Kinder«.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:21 Gera 9, Erfurt 50, Rostock 4, Karl-Marx-Stadt 430, Dresden 100, Neubrandenburg 12 108.

KgU:22 Cottbus 20 000, Neubrandenburg 7 000.

FDP-Ostbüro: Gera 2, Neubrandenburg 3 500.

NTS:23 Potsdam 300, Neubrandenburg 13.

In tschechischer Sprache: Halle 45, Karl-Marx-Stadt 17, Dresden 129.

»Deutsche der Bundesrepublik«: Neubrandenburg 432.

Diversion: Von der Mathias-Thesen-Werft wurde bekannt, dass auf dem Objekt »Lensowjet«24 beim Öffnen des Diesel-Licht-Generators von der sowjetischen Besatzung zwischen den Zahnrädern der Antriebswelle ein Nietbolzen und zwischen den beiden Polen am Läufer ein Stück Blech gefunden wurde. (Es werden weitere Ermittlungen geführt.)

Antidemokratische Tätigkeit: Nach Bekanntwerden des Ergebnisses des Spieles Ungarn – Westdeutschland organisierte am Sonntag ein Arbeiter (ehemaliges Mitglied der SED) aus Remstädt, Kreis Gotha, [Bezirk] Erfurt, eine Demonstration mit mehreren Personen. Dabei zogen sie durch den Ort und riefen: »Heil Westdeutschland«.

In Rathenow, [Bezirk] Potsdam, wurde der Grabstein des am 17.6.1953 ermordeten Genossen Hagedorn25 durch bisher unbekannte Täter umgeworfen, sodass er in zwei Teile getrennt wurde. (Ermittlungen werden noch geführt.)

Berichtigung: Die Überprüfung des Überfalles auf einen VP-Helfer im Kreis Tonndorf, Kreis Weimar, [Bezirk] Erfurt, ergab, dass dieser unwahre Angaben gemacht hatte und von einem Überfall überhaupt nicht die Rede sein kann (siehe Bericht vom 7.7.1954).26

Anlage 1 vom 9. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2256

Landwirtschaft

Nachfolgend einige Beispiele über bestehende Mängel und Schwierigkeiten, die verschiedentlich im sozialistischen Sektor der Landwirtschaft zu verzeichnen sind.

In der MTS des Kreises Sonneberg, [Bezirk] Suhl, fehlt es an Ersatzteilen für landwirtschaftliche Maschinen, die für die Heuernte benötigt werden. Aus dem Grunde liegt bei der LPG Liebau das Heu noch auf den Wiesen.27

Der MTS Bannewitz, [Bezirk] Dresden, mangelt es an Ersatzteilen, wie zum Beispiel an Getriebefedern, Kurbelwellen u. a. m. Außerdem erhielt die MTS vom staatlichen Kreiskontor Dresden nur zweifasriges Bindegarn geliefert, benötigt wird aber dreifasriges.28

Bei der LPG »Solidarität« in Knehden, [Bezirk] Neubrandenburg, fehlt es an Arbeitskräften, dadurch können die Arbeiten nicht bewältigt werden. Zum Beispiel sind bei 11 ha Kartoffeln die Pflegearbeiten noch zu verrichten, 6 ha Rüben sind noch zu hacken, und von 20 ha Wiesen liegt das Heu noch draußen.

Bei der LPG Radensleben, [Bezirk] Potsdam, wurde im Mai 1954 mit dem Bau eines Stalles begonnen, der bereits im November 1953 beantragt wurde. Bis heute ist das Fundament noch nicht fertiggestellt, weil der Kreisbauhof Neuruppin nicht über genügend Arbeitskräfte verfügt. Die LPG kann dadurch ihren Viehhalteplan nicht einhalten.29

In der ÖLB Stolzenburg, [Bezirk] Neubrandenburg, beeinflusst ein Brigadier die Arbeiter, nicht in Leistungslohn zu arbeiten. Bei denen, wo es ihm nicht gelingt, unternimmt er alles, sie aus dem Betrieb zu ekeln. Zwei Arbeiter haben bereits gekündigt und den Betrieb verlassen.

Am 6.7.[1954] legten die Arbeiter des Gemeindegutes in Gersdorf, [Bezirk] Leipzig, für kurze Zeit die Arbeit nieder, weil sie ihren Monatslohn nicht rechtzeitig erhielten. Der Rat des Kreises hatte vergessen, das Geld zu überweisen – die Auszahlung erfolgte am 7.7.1954.

Anlage 2 vom 8. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2256

Auswertung der Westsendungen und -zeitungen (3.–8.7.1954)

Volksbefragung und Volkskammerwahlen

In Fortsetzung der Hetze über angeblichen »Wahlbetrug« zur Volksbefragung und zur Beeinflussung der Bevölkerung berichtet der RIAS über eine angebliche »Anordnung der SED«, wonach Personen, die sich nach dem Ergebnis der Volksbefragung erkundigen, festzunehmen sind. Stellungnahmen zur bevorstehenden Volkskammerwahl werden immer wieder zur Hetze und Verleumdung unserer Volkskammer benutzt. Unter anderem wird die Volkskammer in einem Kommentar des RIAS als »Scheinparlament« bezeichnet und die Forderung aufgestellt, eine »Volksbefragung … über die Auffassung der Bevölkerung, ihre Wünsche und Interessen« durchzuführen. Die kommenden Wahlen werden als »Scheinwahl wie 1950« bezeichnet.30

Industrie

Sendungen zum »Tag des Bergmanns«31 und zur Festveranstaltung im Kulturhaus der Wismut AG32 werden dazu benutzt, die SU zu beleidigen und über die Wismut AG zu hetzen. Es heißt dazu im RIAS, dass die DDR in der Lage wäre, mit den westlichen Ländern besser Handel zu treiben, wenn sie die Uranerze, »die jetzt an die SU verschenkt werden«, als Gegenleistung böte. Die Hetze über die Wismut AG gipfelt in der Verleumdung, dass die DDR die gesamte Finanzierung tragen müsse. Die Sendung verfolgt ganz offensichtlich das Ziel, die Arbeiter und Angestellten der Wismut AG gegen unsere Regierung aufzuputschen, was auch in der Feststellung zum Ausdruck kommt, dass »aber über das Verhältnis der DDR zur Wismut AG auf der Festveranstaltung nicht gesprochen« worden sei. Die Beunruhigung der Bevölkerung hat auch eine Meldung zum Ziel, wonach »254 Betriebsunfälle mit tödlichem Ausgang« sich in den Betrieben der Wismut AG in der 1. Hälfte 1954 ereignet hätten.

Die Ausführungen des Ministers Selbmann33 zur Energieversorgung34 werden ebenfalls zur Hetze gegen die SU benutzt, indem man verleumderisch behauptet, dass die Lage in der Energiewirtschaft auf die »Demontage von mehr als der Hälfte« der Energieanlagen zurückzuführen sei.

Immer wieder treten in den Sendungen Meldungen über Unzufriedenheiten der Arbeiter in den VEB auf. Am 8.7.1954 beschäftigte sich der RIAS mit dem VEB Ifa Phänomen Zittau, [Bezirk] Dresden. Es wird geschildert, dass am 17. Juni 1954 im Betrieb Ruhe herrschte; dass aber kurze Zeit danach plötzlich eine große Ausschussproduktion besonders bei »Mannschaftspritschenwagen, die für die VP und China bestimmt waren«, festgestellt wurde. Die Ursache wird vom RIAS damit erklärt, dass infolge schlechter Arbeit der Werksleitung der Lohnfond überzogen wurde, jetzt die Arbeiter durch eine »Leistungssteigerung von 11 Prozent« das verändern sollen und deshalb schlechte Arbeit lieferten. RIAS fordert, die »Arbeitsproduktivität nicht auf Kosten der Arbeiter zu steigern, sondern … durch Abbau der Wirtschaftsbürokratie, Reduzierung der überhöhten Planauflagen und die Verwirklichung des Mitbestimmungsrechtes in der volkseigenen Industrie …«.

Gleichzeitig wird diese Sendung zur Verleumdung unserer Regierung benutzt, die die Mechanische Weberei in Zittau »als Musterbetrieb mit besseren Maschinen usw.« versorge.

Über die Planwirtschaft heißt es in der gleichen Sendung, dass ab 1956 die »Planung der SU, der Volksdemokratien (außer Bulgarien und China) und der DDR in gleichem Rhythmus« verlaufe und jetzt dazu die Pläne »unter Ausschluss der Öffentlichkeit« ausgearbeitet würden.

Über Produktionsschwierigkeiten infolge Materialmangel wird in hetzerischen Worten von dem VEB Bergmann-Borsig (Berlin) und dem Transformatoren- und Röntgenwerk Dresden gesprochen.

In der Sendung »Werktag in der Zone« brachte der RIAS Hinweise für die Antragstellung an die Konfliktkommissionen in den VEB; danach soll eine rege Beschäftigung der Kommissionen erreicht werden.

Handel

Eine Sendung über den Interzonenhandel wird dazu benutzt, die »begrenzte Lieferfähigkeit« der DDR anhand mehrerer Beispiele beweisen zu wollen und die Bestrebungen der DDR zu einer Einigung in Bezug auf den Interzonenhandel zu verhöhnen.

Der Sender »Freies Berlin« verleumdet in einer Sendung über die Überplanbestände der HO und des Konsums die Freundschaftspolitik der DDR auf das Ärgste. Es wird erklärt, dass die Regierung der DDR »die Ladenhüter der HO und des Konsums« nach Korea als »Freundschaftsgeschenk« schicken wolle.

Landwirtschaft

In Entgegnung auf die Aufforderung des Ministeriums des Innern der DDR zu erhöhter Wachsamkeit gegen die Brandgefahr in der Landwirtschaft stellt der RIAS Forderungen nach besserer Ausrüstung der Feuerwehren usw., um zu beweisen, dass angeblich »mittelalterliche Zustände im Feuerlöschwesen« die Ursache vieler Brände in der DDR seien.

FDJ

Mit dem Ziel der Verleumdung der FDJ-Arbeit werden immer wieder von den westlichen Rundfunkstationen Meldungen über ein »Zurückgehen der Aktivität der FDJ-Mitglieder« gebracht. Der RIAS versucht das zu unterstützen, indem er auffordert, mehr die Motorsportgemeinschaften der Gesellschaft für Sport und Technik zu besuchen, da »die Funktionäre nichts dagegen haben können … und Motorräder interessanter sind als Gewehre«.

Volkspolizei

Immer wieder treten in der westlichen Hetze Meldungen über Verstärkung der VP-Einheiten u.  Ä. auf. »Militärische Bauarbeiten für die KVP35 werden auf der Insel Rügen seit Mitte vorigen Monats im verstärkten Umfange weitergeführt.« Die Einheiten der Deutschen Grenzpolizei an der Staatsgrenze nach der ČSR seien in den letzten zwei Wochen verstärkt worden. Zur Beunruhigung der Bevölkerung wird die Meldung durch die Lüge ergänzt, dass im Bezirk Karl-Marx-Stadt »in unmittelbarer Nähe der Grenze gelegene Ortschaften geräumt« werden sollen.

Demokratische Schule

Der RIAS brachte in einer Sendung zu »Erziehungsproblemen« ein Gespräch über die »Arbeitsgemeinschaft ostzonaler Lehrer« mit dem Ziel der Werbung. Lehrer der DDR werden aufgefordert, in die Beratungsstunden zu kommen. Es werden gleichzeitig Ausführungen über den »Ostkundeunterricht« gebracht, womit in den Unterricht an den Westberliner Schulen »überall wo es notwendig ist, Probleme des Ostens hineingestreut« werden sollen. Die »Arbeitsgemeinschaft …« charakterisiert sich selbst, »dass sie schärfstens den Marxismus als Weltanschauung ablehnt und stark auf christlichem Boden stehe«.

In einer Sendung des RIAS zur Ferienaktion der FDJ wird in der bereits bekannten Art erneut versucht, die Eltern zu beeinflussen, dass sie ihre Kinder nicht zur Ferienaktion lassen.36 Gleichzeitig wird unsere demokratische Schule in übelster Weise verleumdet.

Anlage 3 vom 9. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2256

Über die Stimmung westdeutscher Teilnehmer am Kirchentag

Eine große Anzahl westdeutscher Teilnehmer am Kirchentag bringt in Gesprächen besonderes Erstaunen über die Entwicklung und das Leben der Bevölkerung in der DDR zum Ausdruck. Vielfach wird von ihnen betont, dass sie sich nach den Mitteilungen der Westpresse ein ganz falsches Bild über die DDR gemacht haben. Besonders positive Diskussionen werden über den Empfang und die Ausgestaltung der Messestadt Leipzig geführt. Nach Äußerungen der westdeutschen Teilnehmer sind sie besonders erfreut über den reibungslosen und unbürokratischen Ablauf an den Sektorengrenzen sowie über das freundliche und hilfsbereite Auftreten der Volkspolizisten in Leipzig selbst. So waren z. B. Teilnehmer aus Holstein verwundert, dass unsere Einwohner so gut gekleidet gehen und wir genügend zu essen haben. Sie waren besonders erstaunt, dass bei uns die Bauarbeiten so gut vorwärtsschreiten und sprachen ihre Bewunderung über die Grünanlagen aus. Sie gaben offen zu, dass sie mit falschen Vorstellungen hierher gekommen sind und hatten sich deshalb reichlich mit Selbstverpflegung versorgt.

Ein Kirchentagsbesucher aus Nürnberg, Gewerbetreibender, äußerte: »Ich bin angenehm überrascht, über den Empfang in der DDR. Das Essen ist gut und reichlich und auch sonst gefällt es mir ausgezeichnet.«

Ein Pfarrer aus Kassel brachte zum Ausdruck: »Ich bin wirklich erstaunt über das Leben in der DDR. Ich bin zum ersten Mal hier. Besonders überrascht bin ich über die herrlichen kulturellen Einrichtungen.«

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