Zur Beurteilung der Situation
7. August 1954
Informationsdienst Nr. 2281 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Diskussionen über politische Tagesfragen werden im geringen Umfange geführt. Bei diesen wenigen Diskussionen wurden uns Stimmen über den Schritt von Dr. John,1 zu den Volkskammerwahlen2 und ganz vereinzelt zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten3 Otto Grotewohl4 bekannt.
Die Diskussionen zum Fall Dr. John haben sich gegenüber dem Vortage nicht verändert. Meist sind die Diskussionen positiv und bringen nach wie vor zum Ausdruck, dass durch die Handlungsweise von Dr. John wieder vielen Menschen die Augen geöffnet wurden.
Die Diskussionen zur Volkskammerwahl sind noch gering. Ein Teil der Stimmen ist positiv, dabei äußert man sich zustimmend zur Aufstellung einer gemeinsamen Kandidatenliste. Solche Äußerungen stammen meist von fortschrittlichen Arbeitern. Ganz vereinzelt werden auch Produktionsverpflichtungen anlässlich der Volkskammerwahl übernommen. Eine Kollegin vom Textilwerk Spremberg, [Bezirk] Cottbus, äußerte, dass die gemeinsame Aufstellung der Kandidaten zu begrüßen sei, da unser Friedenskampf nicht durch Parteienstreitigkeiten gestört werden soll.5
Ein Arbeiter aus dem Chemiewerk Greiz, [Bezirk] Gera: »Wir haben früher genug Parteien und Grüppchen im Wahlkampf gesehen, wo jeder eine eigene Liste aufstellte, aber kein Kandidat konkrete Aufträge erhielt und durchführte. Sie haben nur an der Zersplitterung gewirkt. Gemeinsame Listen der Parteien bedeuten auch gemeinsame Interessen am Aufbau unserer Friedenswerke. Genauso dringend ist eine einheitliche Front in Europa nötig, wie es die Note der Sowjetregierung zum Ausdruck bringt.«6
Im VEB Kalikombinat Ernst Thälmann in Merkers, [Bezirk] Suhl, verpflichtete sich die Brigade Zeiß, im Monat August und September zu Ehren der im Oktober stattfindenden Volkskammerwahlen je 200 t Rohsalz über ihren Brigadeplan zu fördern.
In den negativen Diskussionen lehnt man die gemeinsame Kandidatenliste ab und fordert Kandidatenlisten der einzelnen Parteien. Solche Meinungen werden oft von Mitgliedern bürgerlicher Parteien sowie anderen kleinbürgerlichen Menschen vertreten, vereinzelt auch von Arbeitern. Ein Arbeiter aus dem BKW Plessa, [Bezirk] Cottbus (Mitglied der LDP): »Meine Partei ist ja nun auch mit im Block, dass ist nicht richtig, jede Partei muss extra auf einem Stimmzettel stehen.« Ein Schleifer aus Marienburg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Meiner Meinung nach müssten Parteiwahlen durchgeführt werden und nicht, wie man es vorsieht, eine gemeinsame Liste aller Blockparteien aufstellen.«
Ganz vereinzelt wurden uns Diskussionen bekannt, in denen man die Aufklärungsarbeit unterschätzt. So äußerte der 1. Betriebswirtschaftler des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, als er von einer Sitzung des Initiativkomitees kam: »Nun haben sie sich aber ganz verrückt mit ihrer Volkswahl. Da soll man am liebsten in jedes Haus und in jeden Hühnerstall kriechen, um die Leute aufzuklären. Das ist eigentlich Sache der hauptamtlichen Parteifunktionäre, denn die bekommen ja dafür Geld.«
Missstimmung besteht in einigen Betrieben wegen Lohnfragen u. Ä.
Unter dem Zug- und Begleitpersonal des Bahnhofes Magdeburg ist die Stimmung nicht gut. Die Kollegen sind darüber verärgert, dass die Urlaubsabwicklung sehr schleppend vor sich geht, da ein Personalmangel zu verzeichnen ist. Es ist sehr schwer, neue Kollegen für die Arbeit bei der Reichsbahn zu gewinnen, da die Löhne gegenüber den Industriebetrieben sehr niedrig sind. Ein Zugführer erklärte hierzu: »Ich habe immer geglaubt, dass die neuen Lohngruppenkataloge schon in Berlin liegen. Nun musste ich erfahren, dass wir mit Lohnerhöhung nicht rechnen können. Solange der Straßenfegerverein 1,08 DM bekommt, dazu Schmutzzulage und Leistungslohn, das macht zusammen ein Bruttogehalt als Zugführer aus, sehe ich mich gezwungen, meine Arbeitskraft in den Industriebetrieben, wo ich mehr bekomme, einzusetzen.« Ähnliche Erscheinungen sind im Bezirk Erfurt zu verzeichnen.
Unter einigen Schaffnerinnen in Magdeburg wurde folgende Diskussion geführt: »Hast du schon gehört von den Straßenbahnstreiks in Hamburg?7 Dieser Streik wird von uns noch unterstützt. Die in Westdeutschland bekommen schon DM 1,78 und wir nur 1,12 DM. Wollen wir denen mal schreiben, ob sie uns unterstützen, wenn wir streiken? Wenn wir nämlich 1,78 DM bekommen würden, dann wären wir froh und uns ginge es herrlich, nirgends wird so schlecht bezahlt wie in Magdeburg.«
Im VEB Hermann-Matern-Werk in Roßwein, [Bezirk] Magdeburg, sind Schwierigkeiten in der Lohnzahlung, da einige Kollegen der Lohnbuchhaltung im Urlaub sind und demzufolge die Abrechnung noch nicht durchgeführt werden konnte. Die Arbeiter sind darüber verärgert, und es werden folgende Diskussionen laut: »Wir wollen unser Geld haben. Wir haben ja auch unsere Arbeit dafür geleistet. Den Plan sollen wir erfüllen. Was man von uns Arbeitern verlangt, können wir auch von den Kollegen der Verwaltung verlangen.«
Die Angestellten des VEB Braunkohlenwerkes Zipsendorf, [Bezirk] Leipzig, sind mit ihren Gehältern unzufrieden und vertreten die Meinung, dass ihre Arbeitsleistungen in finanzieller Hinsicht mehr anerkannt werden müssten. Die Angestellten erhalten im Durchschnitt DM 319 bis 400.
Im VEB Walzkörper Bad-Liebenstein, [Bezirk] Suhl, sind die Arbeiter mit ihren Löhnen nicht zufrieden. Demzufolge besteht eine große Fluktuation von Arbeitskräften.
In der Warnow-Werft Rostock sind die Angestellten des Konstruktionsbüros (Ingenieure) mit der unterschiedlichen Bezahlung nicht einverstanden.
Im Buna-Werk,8 [Bezirk] Halle, werden negative Diskussionen geführt, weil 80 Kollegen von der Lebensmittelkarte »C« auf »E«9 zurückgestuft werden sollen. Die Kollegen verstehen nicht, dass diese Maßnahmen jetzt durchgeführt werden, wo wir einen höheren Lebensstandard erreicht haben.
Ein Zimmermann von der Bau-Union Berlin, Baustelle Johannisthal, äußerte bei einer Aussprache, dass die Stimmung unter den Bauarbeitern sehr schlecht und mit dem Zustand vor dem 17. Juni 1953 zu vergleichen ist. Er äußerte: »Die Normen befinden sich heute wieder auf dem Stand wie vor dem 17.6.1953. Aber wenn die Arbeiter damals diesen Normenstand öffentlich kritisierten, so hüllen sie sich jetzt in Schweigen.« (VP-Meldung)
Produktionsstörungen
Im BKW »Freundschaft« Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus, war im Tagebau ein Erdrutsch zu verzeichnen. Es fielen etwa 4 000 t Erde auf die Fahrwege der Förderbrücke. Die Freilegung der Fahrbahn wird zwei Tage in Anspruch nehmen.
Am 3.8.1954 brach im EKM Rohrleitungsappartebau Finow, [Bezirk] Frankfurt, ein Brand aus. Die Halle, welche aus Holz war, wurde zu 90 Prozent vernichtet. Die in dieser Halle befindliche Maschinerie der Sandstrahlbläserei wurde ebenfalls durch den Brand zerstört. Schaden: ca. 8 900 DM.
Am 3.8.[1954] berichteten wir, dass vom Bahnhof Brandenburg 40 Lehrlinge ihren Urlaub in Westdeutschland verbringen wollen.10 Ähnliches wird auch von 88 Lehrlingen des Bahnbetriebswerkes Seddin, [Bezirk] Potsdam, bekannt, nur mit dem Unterschied, dass deren Reiseziele ganz verschieden sind.
Handel und Versorgung
Überplanbestände, verdorbene und dem Verderb ausgesetzte Lebensmittel
Im Kreis Quedlinburg sind Überplanbestände an Fett und Schmalz, die nach Aussagen der Schlächtermeister dem Verderb ausgesetzt sind, wenn nicht eine baldige Belieferung auf Marken erfolgen kann. Im Konsumzentrallager Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, wurden 500 kg verdorbene Butter und 300 kg verdorbener Käse festgestellt. Der Lagerleiter versteckte diese Ware, um den Verderb zu verheimlichen. Er wurde vorläufig festgenommen. In den Molkereien des Kreises Parchim, [Bezirk] Schwerin, lagern zzt. große Mengen an Käse, die trotz ständiger Nachfrage für die HO nicht freigegeben werden.
Mängel in der Belieferung
Von der Zentrale für Import und Lagerung in Berlin wurden für die Feriensaison im Bezirk Suhl acht Waggons Importkäse zugesagt. Bisher sind jedoch nur zwei Waggons geliefert worden, sodass die Versorgung der Ferienlager und Bevölkerung mit Käse sehr mangelhaft ist.
Die Frühkartoffelversorgung geht im Bezirk Cottbus noch sehr schleppend vor sich. In Saßnitz, [Bezirk] Rostock, ist die Versorgung mit Frühkartoffeln ungenügend. Die Werktätigen dieses Kreises klagen, dass sie am Abend keine Kartoffeln mehr bekommen, obwohl im Bezirk Rostock Frühkartoffeln in ausreichendem Maße vorhanden sind.
Zigarettenmangel besteht nach wie vor in Stadtroda, [Bezirk] Gera, und in mehreren Kreisen des Bezirkes Halle. Zigarettenmangel an billigen Zigaretten besteht im Bezirk Suhl, wozu ein Arbeiter sich wie folgt äußerte: »Die teuren Zigaretten können die Neukapitalisten rauchen. Ich als Arbeiter verlange eine billige Sorte.« Die DHZ Zella-Mehlis hat keinerlei Zigaretten und wenig Aussicht auf Neueingänge.
Fleisch und Wurst: Bis auf den Mangel an Rindfleisch ist der Mangel an Fleisch im Bezirk Halle mit Importfleisch behoben worden. Im Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl, bemängeln die Hausfrauen die Wurstwaren wie folgt: »Es gibt immer nur ein und dieselben Wurstwaren, obwohl die Regierung versprochen hat, 100 verschiedene Sorten in den Handel zu bringen.«11
Von den Handelsorganen im Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, wurde die Lieferung einer großen Menge Hammelimportfleisch aus dem Kontor für Import und Lagerung Schwerin abgelehnt, weil es im nassen Zustand geliefert wurde und weil noch große Bestände aus der letzten Lieferung vorhanden sind.
Nährmittel
In verschieden Kreisen des Bezirkes Cottbus mangelt es an Hülsenfrüchten, Graupen und Haferflocken.
In den Kreisen Wittenberg und Halle wurde ein Mangel an Kindernährmittel Maizena festgestellt, und zwar kaufen die Hausfrauen Maizena zum Stärken ihrer Wäsche, weil ihrer Meinung nach sich Maizena besser dazu eignet als die anderen Stärkemittel für Wäsche.
Verwaltungsangestellte des BKW Plessa, [Bezirk] Cottbus, haben festgestellt, dass ihrer Meinung nach eine Rationierung an Brot kommen müsse, weil sie festgestellt haben, dass die Landwirte viel Schwarzbrot verfüttern.
Landwirtschaft
In Bezug auf politische Tagesfragen ist aus der Landwirtschaft nichts Neues zu berichten. Das Interesse daran ist auch weiterhin sehr gering und wird durch die Inanspruchnahme bei der Ernte begründet. Zur Genfer Konferenz, zur Sowjetnote und zum Schritt Dr. Johns sind daher nur vereinzelte Stimmen mit dem bereits bekannten Inhalt berichtet worden. Weit mehr Interesse zeigt die Landbevölkerung12 für die Rechenschaftslegung der Volkskammerabgeordneten,13 die sehr begrüßt wird, wie folgende Beispiele zeigen.
Eine parteilose LPG-Bäuerin aus Tausa, [Bezirk] Gera, sagte: »Es ist sehr schön, dass die Abgeordneten Rechenschaft ablegen. Es ist dies ein Zeichen dafür, dass unsere Regierung wirklich mit den Werktätigen verbunden ist, wenn die Abgeordneten der Volkskammer in eine so kleine Gemeinde wie Tausa kommen und Rechenschaft ablegen.«
Ein Landarbeiter aus dem VEG Luchau, [Bezirk] Dresden: »Die Rechenschaftslegung der Abgeordneten ist eine sehr gute Sache. Dabei erfährt man wenigstens was über die Arbeit, die von der Volkskammer geleistet wird. Meiner Meinung nach müsste Derartiges öfters durchgeführt werden.«
Das Hauptinteresse der Landbevölkerung bezieht sich jedoch auf die wirtschaftlichen Fragen, was aus den nachstehenden Beispielen zu ersehen ist.
Die Bauern der Gemeinde Brunow, [Kreis] Perleberg, [Bezirk] Schwerin, beklagen sich darüber, dass von dem zuständigen Tierarzt nicht genügend Sorge für die Heilung ihrer Tiere getragen wird. 30 Prozent der Kühe in dieser Gemeinde sind erkrankt und es besteht die Gefahr, dass die Milchleistung sehr nachlassen wird.
Die Mitglieder aus der LPG Usedom, [Bezirk] Rostock, und aus dem VEG Gleichenhof, [Bezirk] Erfurt, beschweren sich über die Vernachlässigung der Bauten von Stallgebäuden. In der LPG Usedom fehlt das Material zum Bau von Viehställen, in der VEG Gleichenhof fehlen die Gelder dazu.
In den Gemeinden [Groß] Rünz, [Bezirk] Schwerin, und in der LPG Lanz beklagen sich die Erntehelfer aus Thüringen, dass ihnen Lohnausgleich versprochen wurde, der jedoch nicht ausgezahlt wird. Die Erntehelfer aus Thüringen beabsichtigen zu kündigen.
Die Einzelbauern des MTS-Bereiches Frießnitz klagen darüber, dass sie in den Vormittagsstunden bis 13.00 Uhr nicht dreschen dürfen.14
Über die mangelhafte Versorgung mit Zigaretten in einigen Kreisen des Bezirkes Frankfurt,15 wie Seelow und Bad Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt, werden lebhafte Diskussionen geführt. Ein Traktorist der MTS Sachsendorf, [Bezirk] Frankfurt: »Der Neue Kurs hat sich verschlechtert.16 Nicht einmal Zigaretten für 0,08 DM bekommt man mehr.«
Ein Genossenschaftsbauer der LPF Friedrichsaue, [Bezirk] Frankfurt: »Es ist wie beim Militär, jetzt bekommen wir jeden Tag eine Zigarette zugeteilt. Das nennt sich nun Neuer Kurs.«
Schwierigkeiten in der Ersatzteilbeschaffung berichten die MTS im Bezirk Frankfurt und im Bezirk Potsdam, wodurch Maschinen und Fahrzeuge nicht einsatzfähig sind.
In einigen Gemeinden im Kreis Bernburg gibt es Diskussionen über die Regierungsverordnung: – Streichung der Sollrückstände aus den zurückliegenden Jahren.17 Ein Teil der Bauern ist der Meinung, dass man sein Soll nicht erfüllen braucht, denn nach einer gewissen Zeit werden die Rückstände sowieso gestrichen. Wir sehen nicht ein, äußern sie sich, dass diejenigen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, auch noch belohnt werden.
Übrige Bevölkerung
Zu politischen Tagesfragen wird unter der übrigen Bevölkerung nur in ganz geringem Umfang diskutiert. Dabei wird zum erfolgreichen Abschluss der Genfer Konferenz fast gar nicht mehr gesprochen.
Die Meinungen zur Note der Sowjetregierung und zum Fall Dr. John sind im Umfang und Inhalt unverändert. Vereinzelt nimmt man zu den bevorstehenden Volkskammerwahlen Stellung, wobei der Umfang der Stimmen noch sehr gering ist. Neben den positiven Stimmen, in denen eine einheitliche Kandidatenliste begrüßt wird, wird verschiedentlich eine Parteiwahl gefordert. (Hierzu zeigt sich die feindliche Argumentation des RIAS.) Solche Meinungen stammen überwiegend von Mitgliedern bürgerlicher Parteien sowie anderen kleinbürgerlichen Menschen.
Drei LDPD-Mitglieder vom Institut für Theoretische-Physik in Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärten, dass es nicht demokratisch sei, wenn zu den Volkswahlen eine Einheitsliste aufgestellt wird. Dadurch könnten sie sich nicht ihre Leute aussuchen. Sie fordern eine Listenwahl. Eine ähnliche Meinung wird vom Vorsitzenden der CDU in Bützow,18 [Bezirk] Neubrandenburg, vom Vorsitzenden der NDPD aus Lüskow,19 [Bezirk] Neubrandenburg, sowie von verschiedenen Mitgliedern der LDP aus dem Kreis Lübben, [Bezirk] Cottbus, vertreten.
Der Kreisvorsitzende der LDP aus Forst, [Bezirk] Cottbus, ein Tischlermeister will sämtliche Funktionen niederlegen, wenn es nicht zu Parteiwahlen kommt.
Im Kreis Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärten mehrere CDU-Mitglieder, dass in den Orten, wo die CDU die Mehrheit in der Gemeindevertretung hat, die Wahlvorstände ausschließlich von der CDU besetzt werden sollen.
Am 4.8.1954 wurden in Berlin, Schönhauser Allee von Hausfrauen Angsteinkäufe getätigt. Als Begründung hierfür wurde angegeben, dass es bald zu einem neuen Krieg kommen würde. Bei dieser Vermutung nahm man Bezug auf die Regierungserklärung vom 5.8.[1954], worin es u. a. heißt, man solle verhandeln, bevor es zu einem Bruderkrieg kommt.20
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:21 Halle 1 000.
KgU:22 Dresden 25 000, Potsdam 3 000.
UFJ:23 Schwerin 50, Potsdam 524.
NTS:24 Suhl 10 000.
In tschechischer Sprache: Dresden 13.
Versch[iedener] Art: Cottbus 167, Potsdam 7 000.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Diversionen: In der MTS Dassdorf,25 Kreis Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock, wurden sämtliche Messer des Dreschkastens beschädigt, da sich eine 5 cm starke Eisenstange in einer Getreidegarbe befand.
In Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, wurde bei der Überprüfung eines Neubaues festgestellt, dass ein Schornstein und eine Schleuse durch Bretter u. a. verstopft waren, um bei Benutzung Schaden herbeizuführen.
Im Kaliwerk Sollstedt, [Bezirk] Erfurt, wurde von unbekannten Tätern die Sprengleitung angezapft und unter Strom gesetzt, noch bevor alle Sprengvorbereitungen getroffen waren.
Im Kalksteinbruch des VEB Sodawerk »Karl Marx« in Bernburg, [Bezirk] Halle, wurde in den Zylinder einer Werkslokomotive Mörtel geworfen.
Von einem Mähbinder des VEG Damm, Kreis Kyritz, [Bezirk] Potsdam, wurde ein Transportrad entwendet.
Vermutliche Feindtätigkeit
Im Kreis Rathenow, [Bezirk] Potsdam, trat in zwei Fällen eine unbekannte männliche Person bei Angehörigen der Intelligenz auf und gab bekannt, dass für sie eine Vorladung zum VPKA vorliegt, was aber nicht den Tatsachen entsprach. Da vor der Volksbefragung vier Angehörige der Intelligenz aus dem Kunstseidenwerk Premnitz republikflüchtig wurden, wird vermutet, dass durch diese Maßnahmen weitere Fluchten veranlasst werden sollen.
Im Kreis Grimma, [Bezirk] Leipzig, erhielten sechs Familien in den letzten Tagen Lebensmittelpakete von unbekanntem Absender aus Westdeutschland.26
Am 4.8.1954, gegen 23.20 Uhr entdeckte eine Bäuerin in der LPG »Neues Leben« in Garsebach, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, einen glimmenden Lappen auf dem Dach des Kälberstalles. Es wird Brandstiftung vermutet. In dem Gehöft der LPG befindet sich noch das Treibstofflager der MTS Schletta.
Lage in Westberlin
Die faschistische Jugendorganisation der Deutschen Partei »BJD«27 stößt Jugendliche aus ihren Reihen aus, die dann mit einer entsprechenden Bescheinigung versuchen sollen, in der FDJ Anschluss zu finden.
Im Lager Marienfelde28 befinden sich zzt. täglich ca. 400 Personen, wovon ein großer Teil um Auskunft über das Ostbüro der CDU29 ersucht; nur vereinzelt wird nach dem Ostbüro der SPD gefragt. Angestellte des Lagers sprechen von einer »CDU-Flucht«.
Einschätzung der Situation
Zu den aktuellen politischen Fragen wird weiterhin nur in geringem Umfang Stellung genommen, die Diskussionen darüber sind vorwiegend positiv.
Feindliche Argumente zu politischen Fragen richten sich hauptsächlich gegen die Volkswahl (Einheitsliste); zu anderen politischen Tagesfragen nimmt der Gegner nur vereinzelt Stellung.
Anlage 1 vom 7. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2281
Stimmung zur Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 24.7.1954
Zur Note der Sowjetregierung werden nur noch ganz vereinzelt Diskussionen geführt. Die meisten sind positiv. Der Inhalt dieser positiven Stimmen hat sich gegenüber dem Vortag nicht verändert. Sie stammen von Kollegen aus volkseigenen Betrieben sowie in einem Fall von einem Genossenschaftsbauern.
Ein Weichenwärter aus dem Bahnbetriebswerk Buchholz/Annaberg: »Dadurch, dass die SU wieder die Initiative zur Einberufung einer Konferenz betreffs eines Vertrages zur kollektiven Sicherheit in Europa ergriffen hat, können wir die Hoffnung tragen, dass auch das deutsche Problem bald gelöst wird. Wenn nicht vonseiten der Sowjetunion Vorschläge gemacht werden, von westlicher Seite kommt so etwas nie.«
Im RAW Berlin-Schöneweide brachten einige Kollegen (SPD) zum Ausdruck: Sie hoffen auf eine baldige Zusammenkunft der Europäischen Staaten, aber die Amerikaner werden immer Störversuche machen, sodass eine Konferenz entweder nicht stattfindet oder nicht den gewünschten Erfolg bringen wird.
Negativ äußerten sich ein Kraftfahrer sowie ein Großbauer wie folgt: Ein Omnibusfahrer aus Salzwedel äußerte zu seinen Fahrgästen: »Die neue Note der Russen über einen Sicherheitspakt ist weiter nichts als ein Atlantikpakt, nur von anderer Seite.« Ein Großbauer aus Illeben, [Bezirk] Erfurt, lachte in einem Gespräch über die Sowjetnote höhnisch und sagte nur: »Die Kloßköpfe bezwecken mit ihren Noten doch nicht viel.«
Anlage 2 vom 7. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2281
[Produktionsschwierigkeiten]
Produktionsschwierigkeiten bestehen in einigen Betrieben wegen Material- und Arbeitskräftemangel sowie wegen schlechter Qualität des Materials.
Im VEB Schuhfabrik Großharthau, [Bezirk] Dresden, fehlt es an 15 t Zwischenfilz. Die Hauptverwaltung und das Ministerium konnten dem Betrieb keine weiteren Lieferungen versprechen, da keine freien Kontingente vorhanden sind.
Im VEB Porzellanmanufaktur Meißen, [Bezirk] Dresden, sind Schwierigkeiten aufgetreten, da sie schlechtes Kapselmaterial erhalten und die Qualität des Porzellans darunter leidet.
In den chemischen Buna-Werken, [Bezirk] Halle, besteht ein Mangel an Arbeitskräften. Es fehlen Transportarbeiter, Kesselreiniger und andere Hilfsarbeiter, sodass oft Fachkräfte für die Hilfsarbeiten eingesetzt werden müssen.
Im VEB Blankschrauben Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, fehlt es an Stahl. Durch diesen Materialmangel konnten in letzter Zeit mehrere Aufträge nicht erfüllt werden.
Anlage 3 vom 7. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2281
Auswertung der Westsendungen
Volkswahlen
Im Zusammenhang mit der Volkskammertagung am 4.8.1954 beschäftigt sich der RIAS mit dem vorgelegten Wahlgesetz30 und der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl. Das Wahlgesetz wird als »in Paragrafen verkleidete Anweisung zur Unterdrückung der Volksmeinung« bezeichnet und sei ein Mittel, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu verhindern. Besonders behandelt werden die §§ 25 und 37,31 nach denen der Wähler das Recht hat, Kandidaten abzulehnen bzw. auf dem Stimmzettel Veränderungen vorzunehmen, die nur im Wahlgesetz enthalten wären, um die Wähler irrezuführen. Es wird dann geschildert, wie in Wirklichkeit die Anwendung des § 25 eine Einengung der Rechte der bürgerlichen Parteien bedeute, da z. B. in »Wählerversammlungen mit ausgewählten SED-Funktionären« ein Kandidat einer bürgerlichen Partei abgelehnt werden kann. RIAS spricht dann über Manipulationen, die mit dem § 37 durchgeführt werden könnten. Wenn ein Wähler seinen Stimmzettel z. B. mit einer Hetzlosung verändert, wäre das jetzt eine »legale Handlung« und der Stimmzettel bliebe gültig und würde dann als »Ja-Stimme« gezählt werden. Die Sendung schließt mit der wiederholten Bemerkung, dass die Liste feststehe und »durch die Wähler nicht zu beeinflussen ist«.
Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl gibt der RIAS auszugsweise in verleumderischer Form wieder ohne konkrete Tatsachen zu behandeln. Lediglich über die Angaben betreffend der Besatzungskosten in der DDR und in Westdeutschland sagt er, dass die Besatzungskosten in der DDR um fünf Dollar pro Kopf höher lägen als in Westdeutschland.32
Zur Durchführung der Volkskammertagung33 hetzt der RIAS einleitend in dieser Sendung über die Anfahrt der einzelnen Abgeordneten und stellt u. a. fest, dass die Wachposten in einer »ungepflegten Kleidung« dort stünden.
Arbeit des Ministeriums des Innern
In einer Stellungnahme zu den Veröffentlichungen des MdI über die weiteren Verhaftungen von Agenten der westlichen Geheimdienste,34 besonders durch die Angaben von Kapahnke,35 versucht der Sender »Freies Berlin« die in der DDR befindlichen Agenten zu beruhigen, indem er behauptet, dass die Meldung über Verhaftungen nur gemacht wäre, um »Unruhe ins Lager derjenigen tragen zu können, die in der Zone echte Widerstandsarbeit leisten« und er fährt fort: »Auf alle Fälle muss der Meldung des Innenministeriums mit der allergrößten Skepsis begegnet werden«.
Handel und Versorgung
Bezug nehmend auf die Lebensmittelversorgung in der DDR hetzt der Sender »Freies Berlin« über den Handelsapparat der DDR. Es heißt, dass »der Staatshandel das schwächste Glied … in der Zwangswirtschaft« ist. Der private Großhandel sei »nahezu völlig verschwunden«. Die Konsumgenossenschaften seien »keine echten Genossenschaften mehr …, sondern im Grunde nur eine anders betitelte und organisierte Form des Staatshandels«. Der Handelsapparat sei, heißt es abschließend, viel zu bürokratisch usw. und könnte deshalb die an ihn gestellten Anforderungen nicht erfüllen.
Der »Telegraf-Wochenspiegel« verbreitet in seiner letzten Nummer Meldungen unter der Überschrift »SED bereitet Preiserhöhungen vor«.36 Danach sollen mit der Begründung »Preiserhöhungen für Qualitätswaren« die Preise für Textilien, Industriewaren, Rind- und Kalbfleisch, Butter, Gries, Teigwaren, Linsen, Bohnen usw. erhöht werden. Die »Preiserhöhung« solle gleichzeitig dazu dienen, »die für Oktober angesetzte Preissenkung auszugleichen«.37 Die Zeitung führt dann einzelne Maßnahmen an, durch welche die Bevölkerung gegen unsere Regierung beeinflusst werden soll; das bezieht sich insbesondere auf die agitatorischen Maßnahmen, durch die angeblich die Bevölkerung über »Preiserhöhung« hinweggetäuscht werden soll. Zur weiteren Beunruhigung der Bevölkerung wird noch von einer »katastrophalen Kartoffelversorgung« gesprochen, wonach ein großer Teil der Bevölkerung keine Kartoffeln einkellern könne und im Winter auch keine erhalte.
Hetze gegen den FDGB
Die Stellungnahme unserer Funktionäre zum Hamburger Streik benutzten die Westsender zu einer Hetze gegen den FDGB mit dem Hauptinhalt, dass bei uns das verfassungsmäßig festgelegte Recht auf Streik nicht ausgeübt werden könnte38 und der FDGB dabei die entscheidende Rolle spiele. RIAS hetzt dazu, dass der FDGB im Namen seiner Mitglieder folgende Forderungen stellen sollte:
- –
Erhöhung des Angebotes von Konsumgütern durch gesteigerte Importe,
- –
Überprüfung der Außenhandelsbeziehungen der DDR,
- –
Revision der Exportvereinbarungen mit der SU,
- –
Verwirklichung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter in den VEB,
- –
Veranstaltung von Produktionsberatungen mit der gesamten Belegschaft,
- –
Neuregelung der Prämienauszahlung.
Der Sender »Freies Berlin« verbreitet zur Beunruhigung der Arbeiter die Meldung, dass nach einer Anweisung des Ministeriums für Arbeit Entlassungen in den VEB erfolgen, wenn ein Arbeiter nach dreimaliger Verwarnung wegen zu späten Eintreffens am Arbeitsplatz wieder zu spät kommt.39
Im Zusammenhang mit den vor einigen Tagen festgestellten gefälschten Schreiben an Notare und Rechtsanwälte betreffs Aufhebung ihrer Zulassung verbreitet der RIAS eine Meldung des »Untersuchungsausschusses der freiheitlichen Juristen«.40 Danach habe das Ministerium der Justiz diese Schreiben selbst in Umlauf gesetzt und auch die Schreiben mit der Bekanntgabe der Fälschung, um »die ohnehin bestehende Unsicherheit der selbstständigen Notare und Anwälte zu verstärken und ihr Vertrauen zu den freiheitlichen Organisationen des Westens zu untergraben«. Der UFJ fordert die Notare und Rechtsanwälte auf, »ihre Tätigkeit solange wie möglich zum Wohle der Bevölkerung fortzuführen«.