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Zur Beurteilung der Situation

20. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2265 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen steht weiterhin die Hochwasserkatastrophe,1 worüber im Anhang berichtet wird. Die übrigen Diskussionen befassen sich meist mit wirtschaftlichen und betrieblichen Fragen. In der Kampfgruppe V2 der Warnow-Werft Rostock hat die Beteiligung der Genossen stark nachgelassen. Von den 60 Genossen sind nur ca. 20 anwesend. Eine Ursache hierfür ist die schlechte Vorbereitung der Schulungen. Die Genossen sagen dazu, dass es um die Zeit schade ist, wenn sie dorthingehen.

Die Kollegen des Kreisbaubetriebes Guben, [Bezirk] Cottbus, äußerten Missfallen über die planlose Bauweise des Kinos in Guben. So fand z. B. im April 1954 die Grundsteinlegung statt und jetzt soll vom Stadtbauamt angewiesen worden sein, dass der gesamte Bau um 11 m zu verlegen ist. Bemerkenswert ist, dass dies innerhalb eines viertel Jahres bereits die 3. Projektierung für dieses Objekt ist.

Im VEB Rheinmetall-Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, fordern verschiedene Kollegen, dass die 3. Schicht abgeschafft wird. Als Grund geben sie an, dass die Kollegen, die bereits zwei oder drei Jahre in dieser Schicht arbeiten, kein Privatleben mehr führen können und die Sorge um den Menschen dadurch vernachlässigt wird.

Am 14.7.1954 fand im VEB Transformatorenwerk Oberspree Berlin eine Versammlung für die Kollegen der TAB-Werkstätten3 (Betriebserhaltung) statt, wo bekannt gegeben wurde, dass die Handwerker des TAB-Bereiches keine Sonntagsarbeit mehr bezahlt bekommen, da ab sofort der Sonntag zur Arbeitswoche gehöre und die Kollegen dafür einen Tag in der Woche frei bekommen. Diese Anordnung der Betriebsleitung rief starken Protest hervor. Die BGL wurde als Arbeiterverräter bezeichnet. Die Kollegen verlangen eine Wiederholung der Versammlung im Beisein der Werkleitung.

Im VEB Drehmaschinenwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera, wurde von verschiedenen Kollegen negativ über die Entlohnung der Intelligenz diskutiert. So äußerte z. B. ein Schlosser: »Mit den hohen Gehältern der Intelligenz bin ich nicht einverstanden. Unserem Betriebsleiter hält man 15 000 Mark hin. Man sollte lieber den Rentnern, die 75,00 DM bekommen, etwas mehr geben.«

Im VEB Berliner Glühlampenwerk sind besonders die Kollegen des Feinzuges III mit ihrer Entlohnung nicht zufrieden, da sie »nur eine Normerfüllung von durchschnittlich 110 bis 115 Prozent erreichen können«. (Andere Züge erreichen zum Teil 125 Prozent.) Nach ihrer Meinung sind bei ihnen die Normen zu hoch gesetzt. Deshalb haben bereits mehrere Kollegen gekündigt und andere tragen sich mit der gleichen Absicht.

Im Kreisbauhof Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg, sind die Kollegen mit den Normen nicht mehr einverstanden, da sie zu hoch seien. Deshalb verließen bereits sechs Maurer die Arbeitsstelle und arbeiten jetzt in Privatbetrieben. Der Betrieb arbeitet mit ca. 200 000 DM Unterbilanz.

Produktionsstörungen

Im Schwefelsäurewerk Coswig, [Bezirk] Halle, platzte am 19.7.[1954] ein Schwefelsäurebehälter, vermutlich durch Materialbruch. Der Schaden beträgt ca. 12 000 DM. Untersuchungen werden noch geführt.

Im VEB Braunkohlenwerk Königsaue, [Bezirk] Halle, ist am 18.7.1954 ein Leerzug auf einen Lastzug aufgefahren. Ursache: Falsche Weichenstellung. Sachschäden: ca. 12 000 DM. Am 17.7.1954 explodierte im BFG Lauchhammer4 ein Kompressor. Ursache: Die Kühlwasserzuleitung hatte eine Bruchstelle, wodurch der Kompressor durch Überschwemmung des Luftschaftes Wasser ansaugte. Schaden ca. 12 000 DM.

Handel und Versorgung

In den Bezirken Suhl, Rostock, Schwerin und Berlin sind teilweise Schwierigkeiten in der Versorgung mit neuen Kartoffeln zu verzeichnen. So berichtet z. B. Suhl über eine schlechte Belieferung mit Frühkartoffeln und Gemüse des Kreises Hildburghausen, in dem sich ein Ferienlager der Jungen Pioniere und andere Feriengäste befinden. Berlin berichtet, dass die aufgerufenen Frühkartoffeln bei Weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken.

Die Bezirke Suhl, Dresden und Schwerin berichten über Schwierigkeiten in der Versorgung mit 10-Pfennig-Zigaretten, die teilweise sehr knapp sind. In einigen Kreisen des Bezirkes Dresden gibt es keine 10-Pfennig-Zigaretten mehr zu kaufen. Im Bezirk Suhl ist die vielgefragte Zigarette »Turf« teilweise kaum noch erhältlich.

In der HO Lebensmittel Weißenfels, [Bezirk] Halle, lagern 7 t Heidelbeeren, 5 t Tomaten und 2 t Gurken. Ursache: Transportschwierigkeiten bzw. das Fehlen der Unterstützung durch den genossenschaftlichen Handel. So besitzt die HO z. B. nur eine Transportmöglichkeit von 1,5 t und der genossenschaftliche Handel 46 Fahrzeuge.

Im Bezirk Neubrandenburg sind Margarine und Nährmittel knapp. In der Stadt Altentreptow z. B. gibt es schon seit Tagen keine Margarine mehr.

Landwirtschaft

Die Diskussionen über politische Tagesfragen sind nach wie vor nur gering. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Hochwasserkatastrophe, worüber im Anhang berichtet wird. Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen. Im Kreis Rostock klagen die Bauern über das sonderbare Verhalten des Energiebezirkes Nord, der in den Gemeinden alle Stecker abgebaut hat, um Zähler einzubauen. Jetzt, wo die Bauern bald dreschen wollen, sind weder Stecker noch Zähler vorhanden.5

Verschiedentlich wird von den MTS Klage über das Fehlen der Ersatzteile für landwirtschaftliche Maschinen und Traktoren geführt. In der MTS Brohm, [Bezirk] Neubrandenburg, z. B. sind zwei »IFA-Pionier«-Traktoren nicht einsatzfähig, weil die Bereifung fehlt. Die zuständigen Verwaltungsstellen erklärten, dass sie erst im III. Quartal oder IV. Quartal liefern können.6

In der LPG Burgwerben, Kreis Weißenfels, [Bezirk] Halle, wurde vor ca. einem Jahr ein vollmechanisierter Rinderstall in Bau genommen und bis heute nicht fertiggestellt. Die Abteilung Aufbau beim Rat des Kreises kümmert sich nicht um diesen Bau, obwohl die Geräte zur vollen Mechanisierung bereits angeliefert wurden.7

Die LPG des MTS-Bereiches Neckanitz, [Bezirk] Dresden, beschweren sich darüber, dass sie keine Holzstangen für die Viehweiden erhalten und gezwungen sind, Stacheldraht anzubringen, woran sich die Tiere verletzen.8

Aus der LPG Boberow, [Bezirk] Schwerin, haben in den letzten Tagen 13 Mitglieder ihren Austritt aus der LPG mit der Begründung erklärt, dass die LPG unrentabel arbeite. Initiator dieser Austrittsbewegung ist ein Brigadier, der mit Großbauern Umgang hat und von ihnen beeinflusst wird, die LPG aufzulösen und die Werte aufzuteilen.9

Vereinzelt, wie z. B. in verschiedenen Gemeindeversammlungen des Bezirkes Cottbus, lehnen die Bauern den gemeinsamen Druschplatz ab. Einige Bauern im Bezirk Rostock verhalten sich ablehnend gegen die Druscharbeiten während der Nacht.10

Im VEAB-Lager Stößen, [Kreis] Weißenfels,11 [Bezirk] Halle, steht ein Getreidesilo mit einer Kapazität von 2 600 Tonnen wegen Maschinenschaden unbenutzt.12

Übrige Bevölkerung

Über politische Tagesfragen wird ganz selten gesprochen. Im Mittelpunkt stehen die Diskussionen über die Hochwasserkatastrophe, worüber im Anhang berichtet wird.

Verkleinerung des Wismutsperrgebietes:13 Die in der Presse veröffentlichte Einschränkung des Wismut-Sperrgebietes hat besonders unter der Bevölkerung des Wismutgebietes eine große Freude ausgelöst. Es wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass nunmehr die Möglichkeit besteht, Verwandte aus Westdeutschland zu empfangen. Ein parteiloser Frisör aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin der Meinung, dass man aufgrund der Aufhebung des Sperrgebietes den Westdeutschen die Möglichkeit gegeben hat, sich über unsere DDR zu informieren. Dadurch wird es möglich sein, einen Teil der westlichen Propaganda zu zerschlagen.«

Im Bezirk Magdeburg wird ganz vereinzelt über den Prozess des VEG Polßen im Bezirk Frankfurt diskutiert, wo einige Saboteure zum Tode bzw. zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt wurden.14 Eine Hausfrau aus Genthin, [Bezirk] Magdeburg: »Ich denke es gibt keine Todesstrafen mehr.15 Die verurteilen so, wie sie es gerade brauchen.«

In einer Versammlung der Gemeinde Untermaßfeld, [Bezirk] Suhl, führt die Bevölkerung Beschwerde darüber, dass seit einiger Zeit keine Veranstaltungen im Clubhaus der VP durchgeführt werden dürfen. Diese Anordnung wurde von zwei Kollegen aus Berlin gegeben. Alle Nachfragen und Beschwerden vonseiten des Bürgermeisters blieben ohne Erfolg.

In den HO-Gaststätten in Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, wird das Gesetz zum Schutze der Jugend16 nicht beachtet. Dort müssen Jugendliche in der Regel 60 Stunden arbeiten und werden auch zum Nachtdienst herangezogen, die Beschwerden der Jugendlichen hatten bis jetzt keinen Erfolg. Die BGL kümmert sich überhaupt nicht um diese Angelegenheiten.

Im Kreis Sonneberg mehren sich die Republikflüchtigen. So ist zu verzeichnen, dass im Juli bereits 40 Personen flüchtig geworden sind.

Einige Beispiele über wirtschaftliche Belange, die häufig unter der übrigen Bevölkerung diskutiert werden. Im DS von Berlin wird von den Hausfrauen häufig zum Ausdruck gebracht, dass die Zuteilungen an neuen Kartoffeln zu gering sind. Die bisher aufgerufenen Kartoffeln reichten auch bei Weitem nicht aus, um ihren Bedarf zu decken. Von berufstätigen Frauen aus Groß-Berlin wird diskutiert, dass es schwierig ist, am Abend gutes Gemüse zu bekommen und sie so praktisch das nehmen müssen, was am Tage nicht verkauft werden konnte. Diese Meinung ist besonders in der Zentralmarkthalle aufgetreten.

In Magdeburg mussten ca. zehn Konsumverkaufsstellen geschlossen werden, da großer Mangel an Verkaufspersonal besteht. Ein großer Teil ist erkrankt oder im Urlaub und zum anderen werden Diskussionen geführt, dass sich die gelernten Verkäufer lieber in der Industrie Arbeit suchen wollen, da sie im Handel zu wenig verdienen. Gleiche Erscheinungen zeigen sich in HO-Geschäften.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro17: Karl-Marx-Stadt 34 224, Potsdam 100, Neubrandenburg 2 060, Gera 4 300, Halle 5.

KgU:18 Frankfurt 4 000.

UFJ:19 Berlin 20.

NTS:20 Potsdam 75.

Diversion: Im VEB Heinrich Rau Wildau,21 [Bezirk] Potsdam, wurde bei der Kontrolle der produzierten Wellen Ausschuss festgestellt. Eine Überprüfung ergab, dass die zum Messen verwandte Bügel-Mikrometerlehre an einer Seite 15 mm von unbekannten Tätern abgearbeitet wurde.

Antidemokratische Tätigkeit: In der Nacht vom 18. zum 19.7.1954 wurden in einer Gaststätte in Groß-Lieskow, [Bezirk] Cottbus, drei Personen wegen Singen faschistischer Lieder u. a. des Deutschlandliedes festgenommen.

Im VEB Porzellanwerk Neuhaus-Schirschnitz, [Bezirk] Suhl, wurde am 18.7.1954 ein Hakenkreuz im Klosett angeschmiert.

Im VEB Elektrowärme Sörnewitz, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, wurden mehrere Hetzparolen angeschmiert.

In der Nacht vom 16. zum 17.7.1954 beschädigten unbekannte Täter in Leipzig W 3322 zwei Aushangkästen der CDU.

Brandstiftung: In der Nacht vom 18. zum 19.7.1954 wurde durch bisher unbekannte Täter eine Scheune der LPG Krippehna, Kreis Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, in Brand gesteckt. Der oder die Täter zündeten einen Wagen voll Stroh in der Scheune an. Wie jetzt erst bekannt wird, soll dies in der letzten Zeit die 3. Brandstiftung in dieser Gemeinde sein (wird noch überprüft).23

Vermutliche Feindtätigkeit

In der LPG Groß-Sedlitz, Kreis Pirna, [Bezirk] Dresden, wurde zum Verputzen des Pferdestalles unter den Wandputz Geserol24 gemischt. Dadurch wurde der dort beschäftigte Bauarbeiter durch den Einfluss des Geserols ohnmächtig.

Im neuerbauten Krankenhaus Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam, stehen verschiedene Räume unter Wasser, weil eine Pumpe abgesoffen ist. Von der VP wird angenommen, dass es sich hier um eine bewusste Feindtätigkeit handelt (weitere Überprüfungen erfolgen).

Anlage 1 vom 20. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2265

Produktionsschwierigkeiten, die durch Material- und Arbeitskräftemangel auftraten

Die Produktion im Waschmittelbetrieb der Leuna-Werke musste eingestellt werden, da die Chlorlieferungen ausblieben.

Die Belieferung der Brikettfabrik Völpke, [Bezirk] Magdeburg, mit Rohbraunkohle von Königsaue, [Bezirk] Halle, ist mangelhaft. Außerdem enthält die Rohkohle Ton, Sand, Mauersteine und andere Fremdkörper, wodurch in der Brikettfabrik Betriebsstörungen verursacht werden. Trotz mehrmaliger Rücksprache mit Königsaue ist noch keine Änderung in der Qualität eingetreten.

Im VEB Blechbearbeitung Berlin NO 5525 (der einzige Betrieb der DDR und des DS von Berlin, der Filter und Zyklone für die Kraftfahrzeugindustrie und den Bergbau herstellt), mangelt es an Materialien. Wenn keine Änderung eintritt, kommt ab August die Produktion zum Erliegen.

Im VEB Segeltuchweberei Pulsnitz, [Bezirk] Dresden, bestehen Materialschwierigkeiten, da die Spinnerei Spranitz26 Betriebsferien hat und somit keine Garne liefert.

Bei der Wohnungsbaugenossenschaft Riesa, [Bezirk] Dresden, fehlt es an Ziegelsteinen und Trägern für den Wohnungsbau.

Im VEB Walzgießerei Coswig, [Bezirk] Dresden, sind in der Produktion von Walzen hohe Ausschüsse entstanden, da es an Spiegeleisen und Holzkohleisen mangelt.

Beim VEB Bau Güstrow, [Bezirk] Schwerin, fehlt es für die Bauvorhaben in den LPG besonders an Eisenträgern.

Im VEB Vereinigte Wäschefabriken Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ist ein starker Arbeitskräftemangel vorhanden, wodurch die Produktion ernstlich gefährdet ist.

Anlage 2 vom 20. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2265

Großkundgebung auf dem Marx-Engels-Platz27

Trotz des unbeständigen Wetters folgten ca. 100 500 Berliner und Berlinerinnen nach Meldung der VP dem Aufruf des Berliner Ausschusses der Nationalen Front zur Teilnahme an der Kundgebung für die Verständigung der Deutschen gegen den Militärstaat der Heuss28 und Adenauer.29 Aus allen Bezirken ist zu verzeichnen, dass die Beteiligung gegenüber der Demonstration am 1. Mai geringer war. Im Bezirk Mitte z. B. nahmen am 1. Mai 50 580 Werktätige an der Demonstration teil, während sich diesmal ca. 31 000 Personen beteiligten. Die geringe Beteiligung ist hauptsächlich auf das schlechte Wetter zurückzuführen.

Die Begeisterung der Demonstranten entsprach nicht der Bedeutung dieser Großkundgebung, die sich gegen den Militärstaat Adenauers und Heuss’ richtete, zumal die Redner es auch nicht verstanden, die Menschen zu begeistern. Bei einem Teil der auf dem Karl-Marx-Platz anwesenden Personen hatte man den Eindruck, dass sie ohne Interesse und Überzeugung an der Kundgebung teilnahmen. Dies kam darin zum Ausdruck, dass sie sich während der Ansprachen mit nebensächlichen Dingen beschäftigten. Als bei Beendigung der Kundgebung die Nationalhymne gesungen wurde, konnte man das Gleiche feststellen, da nur ein geringer Teil die Hymne mitsang.

Da die Tribüne nicht voll besetzt war, brachten Teilnehmer der Kundgebung zum Ausdruck, dass man in Zukunft bei der Ausgabe der Tribünenkarten darauf hinweisen sollte, dass diese Karte zur Teilnahme verpflichtet, da eine Tribüne in diesem großen Ausmaß keinen guten Eindruck macht, wenn sie nur halb besetzt ist.

Anlage 3 vom 20. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2265

Bericht über die Hochwasserkatastrophe

Die Hochwasserkatastrophe steht im Mittelpunkt der Diskussionen unter der gesamten Bevölkerung. Meist wird über die Solidaritätsaktionen gesprochen. Bei diesen Aktionen kommt die Einheit der Bevölkerung der DDR zum Ausdruck. Die Arbeiter, Angestellten und Intelligenzler stellten Prozente ihres Gehaltes zur Verfügung, verschiedentlich übernahmen sie auch Produktionsverpflichtungen. Unter der Landbevölkerung wurden uns sehr viele Beispiele bekannt, wo Getreide und Futtermittel gespendet wurden.

In der Gemeinde Nienstedt, [Bezirk] Halle, wurden 1 526 DM gesammelt. Ferner wurden von den Werktätigen Bauern 585 l Milch zur Verfügung gestellt. Die in der Gemeinde erst neu gegründete LPG spendete für die Hochwassergeschädigten ein Schwein. Außerdem wurden zahlreiche Sachspenden, wie Textilien und Schuhwaren, für die Hochwassergeschädigten gegeben.30

Im Kaliwerk »Ernst Thälmann« in Merkers, [Bezirk] Suhl, spendeten die Arbeiter 9 217 DM. Die Belegschaftsmitglieder des VEB Kugellager-Werkes in Zella-Mehlis, [Bezirk] Suhl, leisten eine Sonderschicht von fünf Stunden. Den Erlös stellen sie den Hochwassergeschädigten zur Verfügung, dieser wird ca. 8 [000] bis 10 000 DM betragen.

Ein Arbeiter aus dem VEB Lederfabrik Hirschberg, [Bezirk] Gera, äußerte, als die Kollegen sich bereiterklärten, einen Stundenlohn für die Hochwassergeschädigten zur Verfügung zu stellen: »Einen Stundenlohn zu spenden ist viel zu wenig. Ich spende zehn Stundenlöhne.«

In den Chemischen Werken Buna und Leuna ist die Beteiligung an der Hilfsaktion für die Hochwassergeschädigten eine sehr gute. So spendeten die Genossen der Grundorganisation 23 des Buna-Werkes 111 DM und arbeiteten 192 Stunden für die Hochwassergeschädigten. Die Genossen der Grundorganisation 32 im gleichen Werk sammelten 1 500 DM und stellten 620 Stundenlöhne zur Verfügung.

Die Großbetriebe des Kreises Eisleben, [Bezirk] Halle, spendeten bisher ca. 10 000 DM. Die Kumpel des Mansfeld Kombinates, [Bezirk] Halle, spendeten bisher eine Gesamtsumme von ca. 42 300 DM. Mit einem weiteren Ansteigen der bisher bekannt gewordenen Teilergebnisse in diesem Betrieb ist zu rechnen. Weiter verpflichteten sich 127 Brigaden des Mansfeld Kombinates, zwei Solidaritätsschichten zu fahren.

Im VEB Ankerwerk in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, wurde die Prämie von 4 000 DM, welche vom Betrieb durch den Sieg im Wettbewerb errungen wurde, gespendet. Die Meinung unter den Arbeitern ist, dass den Betroffenen der Unwetterkatastrophe unbedingt geholfen werden muss, es können aber von der Betriebsleitung nicht einfach 4 000 DM gespendet werden, ohne die Arbeiter davon in Kenntnis zu setzen oder diese vorher zu fragen. Ähnliche Erscheinungen traten im VEB Feinprüf in Schmalkalden auf, wo man, ohne mit den Belegschaftsmitgliedern zu diskutieren, eine Sonderschicht von einem Tag festgelegt hat. Mit diesen Methoden der Betriebsleitung sind die Arbeiter nicht einverstanden.

Ganz vereinzelt traten negative Diskussionen zur Spendensammlung auf. Ein Arbeiter aus dem VEB TEWA,31 wohnhaft in Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich gebe keine Spende für die Hochwassergeschädigten, denn diese sind durch Gottes unerforschlichen Ratschlag bestraft worden.« Eine Hausfrau aus Reppensgrün32: »Die Hochwasserkatastrophe, die wir jetzt durchmachen müssen, ist eine Strafe Gottes, deshalb beteilige ich mich nicht an der Spendensammlung.«

Diskussionen über die Ursachen der Unwetterkatastrophe

Diese Diskussionen sind etwas geringer geworden. Trotzdem steht nach wie vor ein großer Teil der Bevölkerung auf dem Standpunkt, dass die Atombombenversuche der USA die großen Regenfälle ausgelöst hätten.33 Einzelne Personen bringen die Regenfälle mit der Sonnenfinsternis in Verbindung.34 Andere Menschen verneinen vorstehende Ursachen mit der Begründung, dass es schon immer Hochwasser gegeben hätte. Besonders aus religiösen Kreisen kommen Stimmen, dass das Unwetter eine Strafe Gottes sei.

Eine Arbeiterin aus Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt: »Den Ami müsste man endlich fortjagen, denn er ist der Schuldige, dass jetzt so viele Menschen obdachlos sind und wir ein schlechtes Wetter und auch eine schlechte Ernte haben. Ich habe im vergangenen Krieg alles verloren und möchte meine Sachen durch einen neuen Krieg nicht wieder verlieren. Hoffentlich lernen die Deutschen auch im Westen daraus.«

Eine Hausfrau aus Frankfurt/Oder: »Die großen Überschwemmungen und der Regen sind bloß darauf zurückzuführen, weil die verfluchten Banausen von Amerikanern die Wasserstoff- und Atombomben abgeworfen haben. Durch diese großen Explosionen kann sich das Wetter nicht mehr richtig bilden.«

Ein parteiloser Arbeiter aus Kamenz, [Bezirk] Dresden: »Es ist unmöglich, dass die Unwetterkatastrophe durch die Wasserstoffbombenexperimente verursacht wurden, es ist die Sonnenfinsternis.«

Ein Arbeiter aus Fürstenwalde: »1947 und auch 1929 gab es schon große Hochwasserkatastrophen,35 1929 dachte aber noch keiner an Atome. Es sind eben Natureinwirkungen, die man nicht ändern kann. Auch die Sonnenfinsternis kann der Grund sein. Deshalb soll man nicht gleich die Sachen für politische Zwecke ausnutzen.«

Im Wasserwerk Magdeburg wurde von Arbeitern des Kreisbaubetriebes das Gerücht verbreitet, dass wieder Brotmarken eingeführt werden sollen. Das gleiche Gerücht kursiert im Rasthof an der Autobahn bei Barleben, [Bezirk] Magdeburg. Eine Konsumverkäuferin aus Pulsnitz, [Bezirk] Dresden, berichtete, dass die Bevölkerung Masseneinkäufe in Mehl tätige. Es tauchte das Gerücht auf, dass das Mehl teurer wird, aufgrund der schlechten Witterungsverhältnisse.

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