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Zur Beurteilung der Situation

30. März 1954
Informationsdienst Nr. 2168 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen weiterhin betriebliche Fragen.

Über die Regierungserklärung der SU vom 25.3.19541 wird von den Werktätigen wenig diskutiert. Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen sind positiv und bringen zum Ausdruck, dass die SU mit dieser Erklärung erneut ihr großes Vertrauen zu uns beweist.

Die Stimmen zum IV. Parteitag der SED2 haben in den letzten Tagen etwas zugenommen, sind jedoch in der Mehrzahl nur allgemein und befassen sich mit wirtschaftlichen Fragen. (Verbesserung der Lebenslage). Von einem Teil der Werktätigen werden Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen. Von der VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, wurden bisher zu Ehren des IV. Parteitages 4 500 Selbstverpflichtungen übernommen. Die Belegschaft des Ziegelkombinates Zehdenick, [Bezirk] Potsdam, verpflichtete sich, 3 Millionen Steine zusätzlich zu produzieren. Diese Verpflichtung wurde bereits zu 50 Prozent erfüllt.

Von einem großen Teil aller Schichten der Werktätigen wird über den IV. Parteitag dahingehend diskutiert, dass man vom Parteitag Vorschläge erwartet, die eine weitere Verbesserung der Lebenslage mit sich bringen, besonders hofft man auf eine Preissenkung und die Abschaffung der Lebensmittelkarten, ohne Erhöhung der Preise. Ein Arbeiter vom VEB Bekleidungswerk Burg, [Bezirk] Magdeburg: »Ich hoffe, dass auf dem IV. Parteitag der Beschluss gefasst wird, wirtschaftliche Verbesserungen durchzuführen. Die gleiche Meinung haben bei uns alle Kollegen.«

Ein Schmelzer vom Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden: »Von den Arbeitern sind genügend Selbstverpflichtungen übernommen worden, sodass man jetzt auch eine Preissenkung durchführen kann.«

Ein Fördersteiger vom Wismut-Schacht 513 Johanngeorgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (ehemaliger Offizier): »Im letzten Jahr ist es im Allgemeinen bedeutend besser geworden und ich erwarte jetzt, dass eine Preissenkung eintritt und hoffe, dass für die alten Rentner eine Erhöhung ihrer Renten erfolgt.«

Verschiedentlich werden Diskussionen dahingehend geführt, dass man befürchtet, dass bei einer Abschaffung der Lebensmittelkarten die Preise erhöht werden. Unter den Kollegen des Flachglaswerkes Aken, [Bezirk] Halle, diskutiert man darüber, dass, wenn die Lebensmittelkarten wegfallen, eine Erhöhung der Fleisch- und Wurstpreise eintritt. Dann könnte sich eine kinderreiche Familie nicht mehr so viel kaufen, um satt zu werden. Man ist der Meinung, dass diese Maßnahmen nicht für Arbeiter gut seien und man soll den Arbeitern weiter so helfen wie bisher.

Zu politischen Fragen des IV. Parteitages wird wenig diskutiert. Die Mehrzahl dieser Diskussionen stammt von Mitgliedern unserer Partei. Dort, wo eine gute Aufklärungsarbeit durchgeführt wurde, werden auch mehr politische Diskussionen geführt.

Ein Hauer vom Schacht 6 der Wismut in Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Abschnitt über Kritik und Selbstkritik im neuen Parteistatut ist sehr gut, besonders zu beachten ist, dass derjenige, welcher Kritik und Selbstkritik unterdrückt oder Missstände in der Arbeit vertuscht, streng zur Verantwortung gezogen wird.4 Mir kommt dies ganz besonders wichtig vor, weil man noch oft schöne Berichte schreibt und damit die wahren Tatsachen bemäntelt.«

Negative und feindliche Diskussionen wurden nur vereinzelt bekannt.

Ein Arbeiter vom VEB Tiefbau Berlin, welcher sich anlässlich des IV. Parteitages verpflichtete, die gesamte Brigade als Kandidaten für die Partei zu gewinnen, versuchte, da sich einige Kollegen weigern in die SED einzutreten, sie durch Druck dazu zu bewegen. Dieser Genosse will die Kollegen, die nicht in die Partei eintreten, aus der Brigade entfernen und will sie durch Genossen ersetzen. Die Arbeiter der gesamten Baustelle sind darüber sehr verärgert und bringen zum Ausdruck: »Wenn wir nicht in die SED eintreten, fliegen wir.«

Ein Arbeiter vom Kreisbaubetrieb Grimma, [Bezirk] Leipzig: »Wenn es einmal anders kommt, dann bin ich der erste, der die Roten erschießt.«

Materialmangel besteht in der Elbewerft Boizenburg, [Bezirk] Schwerin. Es fehlen schon seit längerer Zeit für fünf Logger5 die RFT-Anlagen, obwohl sie in anderen Werften auf Lager liegen.

Produktionsstörung: Am 29.3.1954 trat im »Martin-Hoop«-Werk Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, eine Stromstörung ein. Der Strom wird vom »Karl-Marx«-Werk in Zwickau bezogen. Die Ermittlungen ergaben, dass auf Anordnung der Abteilung Hauptmechanik der Hauptverwaltung Steinkohle Berlin eine planmäßige Reparatur einer Turbine im Karl-Marx-Werk vorgenommen wird. Ebenfalls wird im Kombinat Espenhain eine Turbine repariert, sodass das »Martin-Hoop«-Werk auch von dort keinen zusätzlichen Strom beziehen kann. Aufgrund der zu geringen Stromspannung ist die gesamte Förderung des Werkes gefährdet. Die Kumpels sind verärgert, da sie dadurch ihre Verpflichtung, zu Ehren des IV. Parteitages, Hochleistungsschichten zu fahren, nicht einhalten können.

VP-Werbungen:6 Bei der VP-Werbung treten des Öfteren Schwierigkeiten auf, da sich jugendliche Arbeiter und Angestellte weigern, freiwillig in die VP einzutreten. Zur Begründung werden verschiedenste Argumente angeführt. Ein Jugendlicher vom VEB Feuerlöschgerätewerk Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam: »Ich nehme kein Gewehr mehr in die Hand, warum sollen wir kämpfen. Die Franzosen haben auch nicht gekämpft und gehören trotzdem zu den vier Großmächten.« Eine Angestellte [vom] Kreisbaubetrieb Rangsdorf, [Bezirk] Potsdam: »Warum wird denn jetzt für die VP geworben. Bei uns wird ja auch das Wehrgesetz zur Geltung kommen und dann müssen wir alle eintreffen.«7

Erkrankungen: Am 26.3.1954 erkrankten im Walzwerk Hettstedt, [Bezirk] Halle, nach Einnahme des Werkküchenessens an Durchfall 47 Arbeiter des Walzwerkes, 20 Angestellte des Betriebsschutzes des Walzwerkes, 26 Teilnehmer eines Betriebsschutzlehrganges und 14 Teilnehmer der Betriebsparteischule.

Handel und Versorgung

Vom Rat des Kreises Ilmenau, [Bezirk] Suhl, wird bemängelt, dass nach den neuen Richtlinien des Staatssekretariats für Erfassung und Aufkauf für die Eiererfassung (vom 16.2.1954)8 ein großer Umweg vom Aufkauf bis zum Verbraucher entsteht. So werden z. B. die Eier von der VEAB aufgekauft, in das Kühlhaus Weimar transportiert und dann über das DHZ-Zentrallager zu den einzelnen Verkaufsstellen nach dem Kreis Ilmenau zurückgeleitet. Dies dauert mindestens 14 Tage, sodass die Verbraucher niemals frische Eier erhalten.

Landwirtschaft

Unter der Landbevölkerung wird wenig über politische Tagesfragen gesprochen. Zur Regierungserklärung der Sowjetunion vom 25.3.1954 wurden ganz vereinzelt Stimmen bekannt. Über den IV. Parteitag wird ebenfalls nur in geringem Maße diskutiert, überwiegend positiv. Meist von Angehörigen der MTS und LPG. Vereinzelt werden Beschlüsse zur weiteren Verbesserung der Verhältnisse auf dem Lande erwartet. Über die politische Bedeutung des IV. Parteitages wird wenig gesprochen. Der Vorsitzende der LPG Severin, [Bezirk] Schwerin: »Ich erwarte, dass der IV. Parteitag wichtige Beschlüsse für die Landwirtschaft fasst und dass danach eine bessere Anleitung durch den Rat des Kreises erfolgt.« Ein Kleinbauer aus Glaubitz, [Bezirk] Dresden: »Ich erwarte, dass auf dem IV. Parteitag wichtige Beschlüsse gefasst werden zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bauern.«

In Verbindung mit dem IV. Parteitag wird verschiedentlich das Gerücht verbreitet, dass die Aufhebung des Kartensystems9 erfolgt und dass dadurch die freien Spitzen ganz wegfallen oder die Preise dafür bedeutend gesenkt werden.10 Das hat zur Folge, dass Bauern, wie z. B. in verschiedenen Gemeinden des Kreises Apolda, [Bezirk] Erfurt, jetzt ihr Übersoll an Vieh verkaufen, obwohl es noch gemästet werden müsste.

Zu Ehren des IV. Parteitages kommt es auch unter der Landbevölkerung zu Verpflichtungen. In der MTS Breitungen, [Bezirk] Suhl, verpflichtete sich die Brigade 4 ihr Quartalssoll mit 115 Prozent zu erfüllen. Die Brigade 5 will in freiwilligen Arbeitsstunden ihren Brigadestützpunkt ausbauen und der LPG »Einigkeit« in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, durch Leistungen von Sonntagsschichten zur schnelleren Beendigung der Frühjahrsbestellung beitragen. Werktätige Bauern des Kreises Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, verpflichteten sich, 600 kg Kartoffeln, 40 Schweine, 15 Rinder, 305 Stück Eier, 2 788 kg Schweinefleisch, 3 022 kg Rindfleisch über das Soll hinaus zu liefern.

Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frühjahrsbestellung, deshalb wird mehr über wirtschaftliche Fragen gesprochen. In einigen Gemeinden des Bezirkes Potsdam fehlt es noch immer an Saatkartoffeln. Die Ursache dafür ist, dass unter anderem circa 30 bis 40 Prozent Saatkartoffeln in den Mieten erfroren sind. Der Antrag auf Zuteilung von Saatgut wurde abgelehnt. Aus diesem Grunde weigerten sich Bauern der Gemeinde Karlshof, mit der Aussaat zu beginnen.

Die unzureichende Futtergrundlage ist des Öfteren Gegenstand der Diskussionen. Verschiedentlich wird zum Ausdruck gebracht, dass die Bauern ihre Pflicht gegenüber dem Staat erfüllen, aber die verantwortlichen Stellen ihnen gegenüber nicht.

Von den MTS und LPG

In einigen MTS des Bezirkes Leipzig ist zu verzeichnen, dass Arbeiter mit ihrer Entlohnung nicht zufrieden sind. Dazu äußerte der Brigadeleiter der MTS Nöbdenitz, [Bezirk] Leipzig: »Für den Lohn, den ich erhalte, mache ich die Arbeit nicht mehr. Da gehe ich lieber in einem Privatbetrieb, da weiß ich wenigstens, dass ich am Monatsende meine 400 DM habe.«

Die LPG Kränzlin, [Bezirk] Potsdam, ist mit den Arbeiten zur Frühjahrsbestellung im Rückstand, weil es an Arbeitskräften mangelt. Es sind schwer welche zu bekommen, da sie vorziehen, bei den örtlichen landwirtschaftlichen Betrieben zu arbeiten.11 Es wird damit begründet, dass sie dort ihren Lohn restlos ausgezahlt bekommen, hingegen in der LPG nur zu 70 Prozent.

Übrige Bevölkerung

Zur Regierungserklärung der Sowjetunion wird wenig diskutiert. Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind meist positiv. Ein größerer Teil der übrigen Bevölkerung erhofft vom IV. Parteitag eine weitere Verbesserung der Lebenslage (HO Preissenkung, Wegfall der Lebensmittelkarten).

Nur ganz vereinzelt wird zur politischen Bedeutung des IV. Parteitages Stellung genommen. Eine Hausfrau aus Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Es wird viel vom IV. Parteitag erwartet, ganz gleich, ob in politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht. Ich hoffe stark, dass neue Wege zur Beseitigung der Spaltung Deutschlands gefunden werden, aber auch eine Preissenkung müsste von der Regierung durchgeführt werden. Die erhöhte Produktion dürfte dazu auch die Voraussetzungen geschaffen haben.« Ähnlich diskutiert ein Fleischer aus Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, und fügte noch hinzu: »Die Delegierten des IV. Parteitages werden sicherlich der Regierung den Vorschlag auf Wegfall der Lebensmittelkarten machen.«

In Erfurt taucht das Gerücht über eine umfassende Preissenkung im Verlauf des IV. Parteitages auf. In Grünhainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, tritt das Gerücht auf, dass im Mai 1954 die Lebensmittelkarten wegfallen und ein Stück Butter [dann] DM 2,50 kostet.

Zu Ehren des IV. Parteitages wurden uns aus dem Bezirk Suhl berichtet, dass 20 FDJler um Aufnahme als Kandidat in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands gebeten haben.

Nur ganz vereinzelt wurden uns negative Meinungsäußerungen bekannt. Anlässlich einer Unterschriftensammlung für eine Grußadresse an den IV. Parteitag lehnte der NDPD-Angehörige (Abteilungsleiter des Kraftwerkes Halberstadt) seine Unterschrift ab, mit der Begründung, er könne die Unterschrift nicht geben, da er einer anderen Partei angehöre und ein Demokrat sei.

Ein Tierarzt aus Meyenburg, [Bezirk] Potsdam, äußerte: »Wir Tierärzte zählen ja nicht zur Intelligenz, wenn wir dagegen die anderen Ärzte betrachten, so sehen wir schon einen Unterschied darin, dass diese die Lebensmittelkarte A bekommen, wir Tierärzte aber nur die Lebensmittelkarte C.12 Weiter werden wir Tierärzte gegenüber den anderen Ärzten in Bezug auf Kohlen und Fahrzeuge ebenfalls benachteiligt. Unter diesen Umständen bekommt man schlecht wissenschaftlichen Nachwuchs für Tierärzte, weil die guten Fachkräfte dann lieber nach dem Westen gehen.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des SPD-Ostbüros:13 Rostock 7 000, Dresden 3 600, Karl-Marx-Stadt 850, Erfurt zwei. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR, SED, »Freie Wahlen – langsam arbeiten.«

Hetzschriften der NTS:14 Suhl 15 000, Potsdam 2 800, Dresden 39, Karl-Marx-Stadt 11. Inhalt: Hetze gegen die SU, Aufforderung zum Desertieren.

Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Potsdam 11 000.

Im Bezirk Gera wurden vereinzelt Hetzschriften der NTS und des SPD-Ostbüros aufgefunden. Der überwiegende Teil der aufgeführten Hetzschriften wurde durch Ballons eingeschleust und gebündelt aufgefunden.

Am 30.3.1954 wurden in Berlin bei der Werner-Seelenbinder-Halle und in Hohenschönhausen, Freienwalder Straße, Flugblätter gefunden. Inhalt. Forderung nach »freien Wahlen«.

Terror: Am 28.3.1954 wurde der Verwalter des Volkseigenen Gutes in Auschkowitz, [Bezirk] Dresden, von einem Mittelbauern tätlich angegriffen und beschimpft.

Diversion: Vor einigen Tagen wurde in der Gemeinde Oberhinrichshagen, [Bezirk] Rostock, in einem neuen Wagen der LPG ein Nagel in die Gummibereifung von unbekannten Tätern eingeschlagen. Im gleichen Ort wurde während einer Vollversammlung der Konsumgenossenschaft das Verdeck des Pkw, der den Referenten gebracht hatte, durch zwei Messerschnitte zerschlitzt.

Antidemokratische Schmierereien: Am 26.3.1954 wurde im VEB Ernst Thälmann in Saalfeld,15 [Bezirk] Gera, an gut sichtbarer Stelle von unbekannten Tätern eine Hetzparole angebracht, die sich gegen aktive Genossen der Partei richtet. In Köthen, [Bezirk] Halle, wurden einige Hetzparolen aufgefunden mit folgendem Inhalt: Nieder mit Pieck,16 hoch lebe Adenauer!17

In der Nacht vom 27. zum 28.3.1954 wurden in der Gemeinde Mechow, [Bezirk] Neubrandenburg, von unbekannten Tätern sämtliche Plakate zum IV. Parteitag abgerissen. In Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, wurden drei Plakate mit Emblemen des IV. Parteitages von unbekannten Tätern zerfetzt.

Folgende Hetzbriefe wurden sichergestellt: Im Bezirk Potsdam 53 (von der »Widerstandsgruppe Mecklenburg«). Inhalt: Drohungen gegen aktive gesellschaftliche Beteiligung, vier vom UFJ,18 drei von der KgU.19 Inhalt: Hetze gegen SED-Mitglieder.

Nachsatz: Am 30.3.1954 wurden in Berlin, Clara-Zetkin-Straße (Nähe Brandenburger Tor), in der Umgebung des Amtes für Wasserwirtschaft Flugblätter gefunden. Anzahl und Inhalt noch nicht bekannt.

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 25.3.1954 wurden an Bord des Schiffes »Sovetskiy Soyuz«20 auf der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, 200 l Wasser anstelle von Regleröl gebracht. Die Ermittlungen werden noch geführt.

Am 29.3.1954 entstand im Konsumlager Borkheide, [Bezirk] Potsdam, ein Großbrand. Der Schaden beträgt ca. 600 000 DM. Die Ursache wird noch ermittelt.

Westberlin

Laut Meldung des »Tag«21 vom 30.3.1954 spricht am 1.4.1954 um 20.00 Uhr auf einer FDP-Versammlung in Kliems Festsälen in der Hasenheide der Bundesminister und stellvertretende Vorsitzende der FDP, Dr. Hermann Schäfer,22 zum Thema: »Deutschland zwischen Ost und West«.

Zum Deutschlandtreffen der Freien Deutschen Jugend23 hat die Stupo24 die Anweisung erhalten, in Westberlin besonders auf die Tätigkeit der FDJ zu achten. Als Begründung gibt man an, dass die FDJ in den kommenden Wochen Terror und Diversionsakte in den Westsektoren durchführen soll. Mit diesen Aktionen wolle man die Westberliner Behörden zwingen, die FDJ zu verbieten, damit die zum Pfingsttreffen zu erwartenden Jugendlichen aus der DDR nicht in Versuchung geraten, den Westsektor aufzusuchen.25

Nachtrag zur Stimmung der Bevölkerung aus Berlin. Die Angestellten des Ministeriums der Finanzen können ihr Mittagessen ab 29.3.1954 nur in der Zeit von 11.00 bis 13.00 Uhr einnehmen, da 400 Genossen (Delegierte des IV. Parteitages) dort verpflegt werden. Ein kleiner Teil der Angestellten hat sich beschwert, dass sie in ihren Rechten beschränkt werden und an zusammengerückten Tischen essen müssen. Weiterhin muss Beachtung finden, dass in dem gesamten Küchenbetrieb sich nicht ein einziger Genosse befindet.

Einschätzung der Situation

Über die Erklärung der Sowjetregierung wird meist nur in den Betrieben in kleinem Umfange diskutiert, auf dem Lande nur vereinzelt und unter der übrigen Bevölkerung sehr wenig. Die Meinungen sind fast alle positiv.

In den Betrieben erhöht sich das Interesse am IV. Parteitag, wobei auch die Produktionsverpflichtungen zunehmen. In allen Kreisen der Bevölkerung stehen dabei die Erwartungen für eine Verbesserung der Lebenslage im Vordergrund. Im Allgemeinen findet der IV. Parteitag noch nicht in allen Schichten der Werktätigen in genügendem Umfang Beachtung. Negative und feindliche Meinungen werden weiterhin nur in geringem Umfang festgestellt.

Anlage 1 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2168

Stimmen der Bevölkerung zur Regierungserklärung der UdSSR v. 25.3.1954

Über die Regierungserklärung der UdSSR wird unter den Werktätigen nur verhältnismäßig wenig diskutiert. Die Stimmen kommen aus allen Schichten, jedoch meist von Arbeitern und sind in der Mehrzahl positiv. In den Diskussionen kommt allgemein zum Ausdruck, dass damit die SU erneut ihre Freundschaft zum deutschen Volk beweist, indem sie die DDR als gleichberechtigten souveränen Staat betrachtet. Im Buna-Werk, [Bezirk] Halle, findet die Regierungserklärung der SU die Zustimmung des größten Teiles der Belegschaft.

Ein Arbeiter (parteilos) vom Wismut-Schacht 6 b in Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Erklärung der UdSSR ist ein erneuter Beweis des Vertrauens der SU zur Regierung der DDR und insbesondere auch der Bevölkerung unserer Republik, was im Punkt 1 und 2 zum Ausdruck kommt.26 Als Weiteres bedeutet dies einen Beitrag zur Wiedervereinigung Deutschlands, was von uns am meisten gewünscht wird.«

Ein Schiffbauer (parteilos) von der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock: »Die SU hat damit wieder bewiesen, dass sie den Frieden will und ich denke, dass dies ganz besonders für die Bevölkerung ein Ansporn ist, den Kampf um die Einheit Deutschlands stärker zu führen.«

Ein Arbeiter der Abteilung Ankerwickelei des VEB IKA Suhl: »Als Rückwanderer aus Westdeutschland begrüße ich die Erklärung der SU. Vor allem, dass wir jetzt die volle Unabhängigkeit zurückbekommen haben. Im Gegensatz dazu sind die Maßnahmen der Westmächte eine Knebelung unserer westdeutschen Brüder und Schwestern. Ich kann das besonders gut verstehen, da ich die kapitalistische Ordnung drüben am eigenen Leibe verspürt habe.«

Ein Angestellter der Lohnbuchhaltung des VEB Kaliwerkes »Marx Engels« in Unterbreitenbach, [Bezirk] Suhl: »Wir begrüßen alle den Beschluss der SU, da hiermit die DDR als völlig souveräner Staat im Weltfriedenslager aberkannt [sic!] wird. Damit wird das Vertrauen zur SU immer mehr gestärkt. Wir sind in unserer Abteilung geschlossen in der deutsch-sowjetischen Freundschaft organisiert.«

Ein Angestellter des Fernmeldeamtes Meißen, [Bezirk] Dresden: »Ich bin mit der neuen Erklärung der SU einverstanden und begrüße sie.« Der Personalleiter des gleichen Betriebes: »Aus der letzten Erklärung der SU ersieht man wieder einmal die Großzügigkeit dieses Landes. Ich begrüße diese Erklärung und hoffe vom IV. Parteitag Maßnahmen zur schnellen Herbeiführung der Einheit Deutschlands.«

Ein Angestellter der Abteilung Wohnungszuweisung des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam. »Die Erklärung der SU besagt, dass wir entgegen der Westzonen jetzt frei sind, während die da drüben noch 50 Jahre unter dem Amijoch leben müssen.«27

Ein Intelligenzler vom VEB Kali-Werk »Marx Engels« in Unterbreitenbach, [Bezirk] Suhl: »Die Erklärung der Regierung der SU hat mich tief beeindruckt, hier kommt wieder einmal das große Vertrauen der Sowjetmenschen zu unserem Volk, der demokratischen Entwicklung in der DDR und zur Politik der Arbeiter und Bauern zum Ausdruck. Darauf können wir Deutsche stolz sein. Wir müssen aber erkennen, dass uns daraus eine große Verpflichtung erwächst, nämlich konsequent den beschrittenen Weg weiterzugehen und den Kampf für Frieden und Einheit unseres Vaterlandes zur Sache eines jeden friedliebenden und fortschrittlichen Deutschen zu machen.« (Er ist parteilos und ehemaliges Mitglied der NSDAP.)

Negative und feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt.

Ein Arbeiter vom VEB BBG in Leipzig:28 »Wir als DDR können auch aufgrund dieser Erklärung nichts machen mit unseren 18 Millionen Einwohnern. Drüben sind es 40 Millionen. Man soll doch freie Wahlen durchführen.« Ein Arbeiter des gleichen Betriebes: »Ich habe für alles nur ein Lächeln übrig, denn wo man hinsieht ist alles trübe, es klappt doch sowieso nicht. Auch die Erklärung der Sowjetregierung wird uns nicht weiterhelfen.« Ein Arbeiter (SED) aus Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Westdeutschland ist schon lange ein souveräner Staat.«29

Unter der Landbevölkerung wird wenig über politische Tagesfragen diskutiert. Zur Regierungserklärung der SU vom 25.3.1954 wurden nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt. Ein werktätiger Bauer aus Bündigershof, [Bezirk] Neubrandenburg: »Auf der Viererkonferenz30 hat sich schon gezeigt, wer unser wahrer Freund ist. Besonders findet dies seinen Ausdruck in der Regierungserklärung der SU. Immer wieder ist es die SU, die sich für die Interessen des deutschen Volkes einsetzt.«

Ein Bauer aus Gersdorf, [Bezirk] Leipzig, äußerte sich negativ wie folgt: »Die Sache ist ein verschleierter separater Friedensvertrag. Er kann nicht die normalen Beziehungen zwischen den Großmächten gewährleisten. Als vergangenes Jahr die USA mit Japan einen ähnlichen Separatvertrag abschloss, wurde das vom Osten nicht gutgeheißen.«31

Zur Regierungserklärung der UdSSR wurden unter der übrigen Bevölkerung vereinzelt Stimmen bekannt, die meist positiv sind. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass die Regierungserklärung ein erneuter Freundschaftsbeweis ist. Hierzu einige Beispiele:

Wie aus dem Bezirk Suhl berichtet wird, überbrachten zahlreiche Delegationen aus den Betrieben, Verwaltungen, Parteien und Massenorganisationen Dankbotschaften an den Vertreter des Hohen Kommissars in Bad Salzungen.

Ein Mitglied der CDU aus Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Keinesfalls darf man die Erklärung der Sowjetregierung vergessen, die der DDR die volle Souveränität wiedergibt.« Hierin komme die wahre Freundschaft der SU zur DDR voll zum Ausdruck.

Eine parteilose Hausfrau aus Ehrenfriedersdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärte: »Man erkennt ganz klar, dass in der DDR und in der SU Arbeiter und Bauern an der Macht sind, die alles erdenklich Gute für das Volk tun. Umso mehr wird jetzt das schändliche Treiben der Westmächte klar.«

Ein Mitglied der LDPD aus Stockhaym,32 [Bezirk] Erfurt: »Die Erklärung der SU ist nur eine Angelegenheit von pro forma. Damit will man unserer Bevölkerung Sand in die Augen streuen. In Wirklichkeit diktieren sie uns nach wie vor.«

Ein Angestellter des Fernmeldeamtes aus Dessau, [Bezirk] Halle, äußerte sich: »Solange Besatzungstruppen im Land sind, kann es keine wirkliche Souveränität geben, die Regierung kann niemals unbeeinflusst arbeiten. Wo Besatzung ist, steht die Regierung auch unter dem Einfluss dieser Kräfte. Von einer wirklichen Freiheit der Regierung kann also keine Rede sein. Es herrscht noch ein gewisses Recht der Bajonette. Aber die ganze Sache hat ja mehr agitatorische Bedeutung.«

Ein Friseurgehilfe aus Altenburg, [Bezirk] Leipzig, äußerte auf die Frage, was seine Meinung zur Regierungserklärung sei: »Ach, lasst mich mit der ewigen Politik zufrieden. Darum kümmere ich mich nicht mehr, ich will nichts mehr davon wissen.«

Anlage 2 vom 30. März 1954 zum Informationsdienst Nr. 2168

Die Westsender zu der Erklärung der Sowjetregierung über die Souveränität der DDR (26.3.1954)

RIAS

Das Ziel der Hetze der Westsender ist offensichtlich. Einmal soll dadurch die SU verleumdet werden, indem sie als Unterdrücker des deutschen Volkes hingestellt wird, dem die Interessen des deutschen Volkes gleichgültig sind – damit wollen sie ihre eigene Politik der SU unterschieben. Zum anderen wird die Regierung der DDR als unfähig hingestellt, die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten. Sie wollen also die Sowjetregierung sowie die Regierung der DDR in den Augen der Bevölkerung herabsetzen und das Vertrauen der Bevölkerung untergraben.

Der RIAS versucht, die Regierung der SU zu verleumden, indem er die letzten Maßnahmen der SU als taktischen Schachzug hinstellt. Sie wollen der SU unterschieben, dass sie sich der Verantwortung gegenüber der Lösung der Deutschlandfrage entzieht. Gleichzeitig verbinden sie damit die »Feststellung«, dass durch die KVP in der DDR der »Militarismus im Osten voll verwirklicht ist, während die Sowjetpropaganda ganz Europa mit dem Schreckgespenst eines neuen deutschen Militarismus im Westen in Atem halten will«. Der RIAS versucht also die Bevölkerung irre zu führen [sic!], indem er die Machenschaften der Westmächte in Bezug auf die Militarisierung der DDR in die Schuhe schiebt.

Auf der anderen Seite behauptet der RIAS, dass sich an dem bestehenden Zustand in der DDR aufgrund der jüngsten Erklärung der SU praktisch nichts ändern würde, sondern dass die DDR von der SU abhängig ist und die »Befehle« derselben auszuführen hätte. Der RIAS erklärt, »dass die Regierung der DDR sich souverän nicht halten könne, denn sie wäre am 17. Juni [1953] von der Bevölkerung davongejagt worden, wenn nicht sowjetische Panzer eingegriffen hätten«.

Hamburg

Ähnliche Argumente brachte der Hamburger Sender33 und erklärte weiter, dass trotz aller Souveränitätserklärungen der gewaltige Komplex der Wismut AG bleiben wird, mit deren Hilfe die SU in Deutschland Uran für ihre »Atombombenherstellung« schürft. Mit diesem Argument versucht der Hamburger Sender nicht nur die Bevölkerung gegen die SU aufzuhetzen, sondern gleichzeitig Panik und Widerstand in der Bevölkerung hervorzurufen, indem er weiter erklärt, dass bei vorhandenen Erzvorkommen die Gebiete geräumt werden und niemand sich um eine neue Unterkunft für die von der Räumung betroffenen Familien kümmern würde.

Südwestfunk (26. und 28.3.1954)

Der Südwestfunk ist ebenfalls bemüht, die Regierung der DDR zu verleumden, sie als eine volksfeindliche Regierung hinzustellen und so das Vertrauen der Bevölkerung zur Regierung zu untergraben. Sie ergehen sich in noch schärferen Verleumdungen wie: »Die DDR wolle die Spaltung Deutschlands verewigen, und da sie nun souverän sei, sei überhaupt keine Möglichkeit zur Einigung mehr vorhanden.«

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