Zur Beurteilung der Situation in der DDR
18. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2395 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über die Moskauer Deklaration1 und den Versuch der Ratifizierung der Pariser Verträge2 sowie die sich daraus ergebenden Aufgaben stehen weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen über politische Tagesfragen.
In Schweriner Betrieben wird zzt. das Weihnachtsgeld ausgezahlt.3 Dabei kommt es immer wieder zu Diskussionen, dass die 500-DM-Grenze bei den Produktionsarbeitern ungerechtfertigt sei. Solche Diskussionen treten besonders im VEB Abus Schwerin, VEB Zellwolle und VEB Ölwerke Wittenberge auf. Ebenfalls wurde in größerem Umfang im VEB Schlachthof Schwerin darüber gesprochen. Hier waren einige Arbeiter besonders verärgert, da sie 500,50 DM erhalten und deshalb kein Weihnachtsgeld bekommen.4
Unter einem Teil der Arbeiter aus Magdeburg wird das Warenangebot zu den Weihnachtsverkäufen als nicht zufriedenstellend bezeichnet. Besonders bemängelt man, dass die Zuteilungen an Südfrüchten, Kinderspielsachen und Konfektionswaren unzureichend sind. So äußerte z. B. ein Kontrolleur aus dem Kesselhaus II des »Karl-Liebknecht«-Werkes Magdeburg: »In diesem Jahr ist das keine richtige Weihnachtsmesse. Alles, was es in den Verkaufsständen gibt, ist auch in der HO zu haben. Das Wort Südfrüchte über die Bude zu schreiben ist überhaupt paradox, denn es gibt ja überhaupt gar keine.«
Ein Arbeitsmangel besteht im Schiffbau der Warnow-Werft Warnemünde. Die Meister können ihren Arbeitern keine Arbeit geben. Seit Tagen sind die Kollegen mit Aufräumen und Säubern der Halle beschäftigt und wissen nicht mehr, was sie noch aufräumen sollen. Dadurch besteht unter den Arbeitern eine unzufriedene Stimmung.5
Im Bahnbetriebswerk Schwerin wird unter den Kollegen darüber diskutiert, dass sie in Sonderschichten und Wettbewerben die Reparaturen an den Waggons vorzeitig fertiggestellt haben, jedoch stehe ein Teil dieser Waggons längere Zeit auf dem Bahnhof Schwerin, ohne eingesetzt zu werden. Die Arbeiter sind darüber ungehalten.
Bei den Stoßschichten, die im EHW Thale6 in letzter Zeit aus besonderen Anlässen gefahren wurden, zeigt sich, dass die Qualität sehr vernachlässigt wird. Nicht selten müssen bei solchen hergestellten Erzeugnissen 30 bis 40 Prozent verschrottet oder der Nachbearbeitung zugeführt werden. Von den Kollegen werden solche Schichten gern gefahren, weil dabei eine Normerfüllung bis zu 40 Prozent7 möglich ist, wodurch ihr Verdienst sehr hoch ist und außerdem dann noch eine Prämie hinzukommt.8
Kohlenmangel besteht im VEB Ziegelkombinat Zehdenick, [Bezirk] Potsdam. Für Monat Dezember stehen noch sämtliche Lieferungen offen. Wenn nicht schnellstens Abhilfe geschaffen wird, muss in etwa zehn Tagen die Produktion eingestellt werden. Andererseits sind bei der DHZ Kohle in Königs Wusterhausen genügend Kohlen vorhanden, jedoch fehlt es an dem erforderlichen Schiffsraum für den Transport.
Materialmangel besteht im VEB Möbel- und Polsterwarenfabrik in Zehdenick, [Bezirk] Potsdam. Im Auslieferungslager Bernau, [Bezirk] Frankfurt/Oder, ist genügend Material (Sperrholz und Furniere) vorhanden, jedoch weigert man sich dort, Vorlaufskontingente zu beliefern. Die Arbeiter der Möbelfabrik sind darüber sehr empört.
Im VEB Flachsspinnerei Hirschfelde, [Bezirk] Dresden, sind nur noch Rohstoffe für einige Tage vorhanden. Dem Betrieb wurde deshalb empfohlen, Arbeitskräfte zu entlassen oder zur Kurzarbeit überzugehen. Nach Mitteilung der VVB Bastfaser in Leipzig beträgt die neue Planauflage für Rohstoffe nur 40 Prozent, sodass der Produktionsplan 1955 nur mit 40 Prozent erfüllt werden kann, wenn keine Änderung eintritt.9
Im VEB Stoffdruckerei Großenhain wird bereits Rohware aus dem Kontingent des Jahres 1955 verarbeitet, was sich im ersten Quartal 1955 auf die Produktion hemmend auswirken wird. Die zuständige VVB hat davon Kenntnis.
Produktionsstörungen
Am 15.12.1954 fiel in der Keulahütte [Krauschwitz, Kreis] Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, Abteilung Maschinenbau die Bohrstraße II aus, an welcher Zylinderköpfe für Exportaufträge an die SU gebohrt werden. Ursache: Fahrlässiges Verhalten eines Schlossers. Produktionsschaden: 30 Zylinderköpfe konnten nicht angefertigt werden.10
Am 16.12.1954, gegen 23.00 Uhr entstand im Geräteschuppen des VEB Schiffsbergung und Taucherbetrieb in Lübz, [Bezirk] Schwerin, ein Brand. Gründe unbekannt. Fünf Taucheranzüge mit Zubehör verbrannten.
In der Werkstatt des Seifensiederbetriebes in Bischofswerda11 brach ein Brand durch Fahrlässigkeit aus. Schaden ca. 6 000 DM.
Handel und Versorgung
Trotz der gegenwärtig besseren Belieferung bestehen in einzelnen Bezirken noch Mängel in der Versorgung der Bevölkerung. Zum Beispiel kann im Bezirk Schwerin der Bedarf an Schokoladenerzeugnissen, Südfrüchten, Butter und Käse nicht gedeckt werden. Der Verkauf von Schlachtfetten wurde eingestellt, da die zustehende Menge überzogen ist.
Im Bezirk Neubrandenburg kann die Bevölkerung nicht ausreichend mit Eiern und Schmalz versorgt werden.
Die Landbevölkerung im Bezirk Erfurt bekommt keine Südfrüchte und die Stadt Magdeburg kann die Bevölkerung vor Weihnachten nicht restlos mit Markenfleisch beliefern, da sie den Bedarf vor dem Feiertag in den Lieferverträgen nicht berücksichtigt hat.
Benzinmangel besteht im Kreis Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, wovon teilweise lebenswichtige Betriebe, Ärzte und die VP betroffen werden.
Im Bezirk Rostock sind der Bevölkerung von den angelieferten Einkellerungskartoffeln 300 Tonnen verfault, wofür sie Schadenersatz in Höhe von 30 000 DM verlangen.
Landwirtschaft
Die Moskauer Konferenz und die damit im Zusammenhang stehenden Fragen sind weiterhin der Mittelpunkt der politischen Diskussionen.
Über die 3. Konferenz der LPG-Vorsitzenden wird noch verhältnismäßig wenig, aber meist positiv gesprochen.12 Im Allgemeinen werden die Beschlüsse dieser Konferenz begrüßt. Ein großes Interesse ist teilweise an dem Eintritt der loyalen Großbauern in die LPG vorhanden, das zum Teil von den Großbauern und teils von den Genossenschaftsbauern befürwortet wird.13 So sagte z. B. ein Meisterbauer aus Aschersleben, [Bezirk] Halle, welcher Vorsitzender der LPG »Banner des Friedens« in Kochstedt ist: »Es muss innerhalb jeder Genossenschaft ein streng kollektiver Geist entwickelt werden, der die Voraussetzung zur Festigung der LPG gibt!« Zur Frage der Aufnahme der Großbauern und zur Verrechnung ihrer Bodenanteile sagte er nach den Worten Walter Ulbrichts,14 dass es hierbei an jeder LPG selbst liegt. Man kann 90 Prozent Arbeitseinheiten und 10 Prozent Bodenanteil und auch 50 [Prozent] Arbeitseinheiten und 50 Prozent Bodenanteile verrechnen. Es richtet sich danach, wie der Genossenschaftsbauer seine Arbeitseinheiten erhöht.15
In der LPG Winningen, Kreis Aschersleben, [Bezirk] Halle, wird besonders über die Übernahme der ÖLB16 in die LPG [positiv]17 diskutiert.
Ein Großbauer aus Naunhof, [Kreis] Döbeln, sagte: »Ich begrüße die Maßnahmen der 3. LPG-Konferenz, dass die Großbauern in die LPG aufgenommen werden können. Ich kann aus meiner jahrelangen Praxis selbst beurteilen, dass unsere Wirtschafterei nicht rentabel ist. Ich werde demnächst als Großbauer den Schritt unternehmen und als einer der ersten in die LPG eintreten.«
Ein Großbauer aus Lutschütz, [Kreis] Altenburg: »Jetzt habe ich wieder Vertrauen bekommen. Man braucht keine Angst mehr zu haben, dass man seinen Betrieb verlassen muss, denn die Frage der Arbeitskräfte wird leichter und es ist mehr aus dem Boden herauszuholen.«
In der LPG Weitersroda, [Kreis] Hildburghausen, wurde von den Mitgliedern besonders die Einführung des Prämiensystems in den LPG ab 1955 begrüßt.18 Die Viehzuchtbrigade und auch die Frauen der LPG sind der Meinung, dass dadurch jeder bestrebt sein muss, die Erträge zu steigern, damit sie in den Genuss einer Prämie kommen.
Vereinzelt wird gegen die Aufnahme der Großbauern in die LPG Stellung genommen. Aus Unkenntnis der ökonomischen Entwicklung auf dem Lande beteiligen sich sogar Parteifunktionäre daran und ziehen Vergleiche mit den falschen Theorien der SPD. So äußerte sich der Parteisekretär der MTS Greußen, [Bezirk] Erfurt: »Bisher waren wir gegen das friedliche Hineinwachsen in den Sozialismus. Wenn wir jetzt dazu übergehen und die Großbauern in die LPG aufnehmen, so bedeutet dies, dass wir das friedliche Hineinwachsen in den Sozialismus anstreben.«19
Ein Parteisekretär aus Ossig, [Bezirk] Halle, erklärte hierzu: »Der Klassenkampf in der DDR ist abgeschwächt und eine Art Klassenharmonie ist eingetreten.«20
Unzufriedenheit herrscht unter der Landbevölkerung im Bezirk Frankfurt/Oder, wo in fast allen Gemeinden die schlechte Kohlenbelieferung kritisiert wird.21
Im Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, kritisieren die Bauern den Kreisrat, dass er ihnen bis heute das Ablieferungssoll aufgrund des Hagelschadens noch nicht herabgesetzt hat. Zu bemerken ist, dass dort (50 bis 80 Prozent) [der] Wirtschaften Hagelschaden erlitten haben.22
Im VEG Freienbissingen, Kreis Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, wo sich eine Biogasversuchsanlage befindet, ist der Ofen der Anlage durch eine Gasexplosion am 14.12.1954 zerstört worden. Schaden: 15 000 [DM]. Ursache: Vermutlich Nichtbeachtung der Entlüftung.23
Viehseuchen: In der Gemeinde Dobbin, [Kreis] Lübz, [Bezirk] Schwerin, wurde in der dortigen ÖLB die Schweinepest festgestellt. Der Bestand von 202 Tieren ist davon befallen. Ein weiteres Auftreten der Schweinepest wurde auch in Seehof, Kreis Schwerin, bekannt, wo bei einem Mittelbauern 36 Tiere befallen wurden.24
Übrige Bevölkerung
Im Mittelpunkt der politischen Gespräche steht weiterhin die gegenwärtige internationale Lage unter besonderer Berücksichtigung der Ergebnisse der Moskauer Konferenz bei bevorstehenden Diskussionen über eine eventuell notwendig werdende Aufstellung Nationaler Streitkräfte und die Machenschaften westlicher Kreise zur Ratifizierung der Pariser Verträge.
Die Gespräche über wirtschaftliche Fragen im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für Weihnachten haben etwas nachgelassen. Diskussionen über Mängel in Handel und Versorgung bestehen jedoch weiterhin. Zum Beispiel beschwerte sich ein Kraftfahrzeugschlosser darüber, dass er nur ungenügend Ersatzteile erhält. Hierzu führte er aus, dass er es manchmal nicht mehr verantworten kann, Fahrzeuge für den Verkehr freizugeben. In Westberlin gäbe es Ersatzteile in Hülle und Fülle, man dürfe jedoch nicht dort kaufen, sonst käme man mit den Staatsorganen in Konflikt.
Die Tätigkeit der Kirche richtet sich in den letzten Tagen verstärkt gegen die beabsichtigten Jugendweihen.25 Daneben wird aber vielfach auch zu anderen gegenwärtigen Problemen negativ Stellung genommen. Zum Beispiel erklärte ein Pfarrer aus Zerbst, [Bezirk] Magdeburg: »Die Kirche ist mit der Durchführung der Jugendweihen nicht einverstanden und sieht darin einen Kampf gegen sich.« Er schlug vor, die Jugendweihen in Verbindung mit der Schulentlassung durchzuführen und nicht zum Zeitpunkt, wo die Konfirmation stattfindet.
In einer Elternversammlung der kirchlichen Gemeinde am 15.12.[1954] in Staßfurt erklärte der Pfarrer zu dem Thema »Jugendweihe in Sicht«: »Schon nach dem Ersten Weltkrieg wurde versucht, Jugendweihen durchzuführen. Desgleichen in der Hitlerzeit und nach 1945. Aber bisher ist noch keinem gelungen, die Jugendweihen zu einem Erfolg zu bringen.«26
Der Superintendent von Berlin und ein Pastor aus Magdeburg sagten, dass die Kinder, welche nicht konfirmiert werden, alle kirchlichen Rechte verlieren und sie appellierten an die Eltern, ihre Kinder nicht zur Jugendweihe zu schicken. In einer Besprechung des Männerkreises der vereinigten Altstadtgemeinde Magdeburg legten die Pfarrer fest, dass sie von Haus zu Haus gehen wollen, um die Eltern vor der Jugendweihe zu warnen, da hier die Kinder nur für den Kommunismus reif gemacht würden.
Vonseiten der evangelischen und katholischen Pfarrer im Bezirk Erfurt werden in der letzten Zeit besonders Frauen von Funktionären und Mitgliedern der SED aufgesucht, um die Kinder dieser Genossen für die Kirche zu gewinnen. In der Aussprache führen die Pfarrer aus, dass die Kirche schon immer bestehe und nicht wegzubringen sei, aber die heutigen Gesellschaftsformen der Menschheit beständen nicht mehr lange.
Ein Pfarrer aus Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg, brachte bei einer Beerdigung zum Ausdruck, dass man den Umsiedlern ihren Glauben an die Heimat nicht nehmen darf. Außerdem sei es eine Ehre, sich für das Vaterland einzusetzen, wobei er Bezug auf die Gefallenen der beiden Weltkriege nahm.
Die Pastoren des Kreises Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg, beschwerten sich bei einer Aussprache, dass ihre Predigten abgehört werden z. B. sagte ein Pfarrer aus Penkun: »Wenn der Staat ein gutes Verhältnis zwischen ihm und der Kirche anstrebt, warum werden dann unsere Predigten abgehört. Das bringt eine große Beunruhigung unter die Kirchengemeinde.«
Aus den Reihen der bürgerlichen Parteien werden immer wieder Tatsachen bekannt, dass sich einzelne Mitglieder bzw. Gruppen gegen unsere demokratische Staatsmacht stellen.27 Zum Beispiel haben in der Stadt Pausa, [Kreis] Zeulenroda, CDU-Mitglieder die Forderung gestellt, bis Weihnachten keinerlei politische Veranstaltungen mehr durchzuführen, da sie mit der Vorbereitung für Weihnachten beschäftigt wären.
In Kreisen der LDPD in Seelow, [Bezirk] Frankfurt, wird negativ über die LPG und VEG diskutiert. Zum Beispiel sagte der Kreisvorsitzende: »Die Mitglieder bzw. Beschäftigten der LPG fühlen sich als Angestellte und faulenzen nur. Die LPG werden bald eingehen. Deshalb ist es ratsam, sie vorher aufzulösen, um einen völligen Misserfolg zu vermeiden.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:28 Dresden 2 300 (Hetze gegen Nationale Streitkräfte), Basdorf, [Bezirk] Frankfurt 1 000, Rostock 530, Potsdam, Kreis Kyritz, 1 000, Erfurt und Karl-Marx-Stadt einige.
NTS:29 Dresden 45, Karl-Marx-Stadt 28, Potsdam, Kreis Jüterbog, 2 000.
In tschechischer Spr[ache]: Dresden 471, Halle 26.
»Tribüne«:30 Halle, Bernburg 1 000.
»Tarantel«:31 Potsdam, Kreis Jüterbog, 1 000.
Die Hetzschriften wurden zum Teil mit Ballons eingeschleust und sichergestellt.
Antidemokratische Tätigkeit
In Meißen, [Bezirk] Dresden, wurde ein Schaukasten der Partei demoliert. In der Molkerei Meißen, [Bezirk] Dresden, wurden Bilder der Genossen Pieck32 und Grotewohl33 beschädigt.
Im Treppenhaus eines Grundstückes in Dresden wurde mit Kopierstift die Hetzlosung »Die Kommunisten sind Lumpen« angeschrieben.
Diversion
Im VEB Vereinigte Gießereien Torgelow, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde durch unbekannte Täter die Pressluftanlage, welche die Former zu ihrer Arbeit benötigen, zerstört. Es wurden neun Schläuche im Durchmesser von 2 cm zerschnitten.
Gegenüber dem Bahnhof vor dem Objekt Peenemünde,34 [Bezirk] Rostock, wurden ca. 10 m Erdkabel entwendet. An diesem Objekt ist das VP See Objekt Peenemünde,35 das Kraftwerk, Bürgermeisterei, Konsum und die Bau-Union angeschlossen.
Im Keller der Bürgermeisterei Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam, wurden an der Alarmanlage der freiwilligen Feuerwehr die Plomben entfernt und zwei Kontaktschrauben gelöst, sodass die Alarmanlage versagte.
Gefälschte Benzinmarken: Am 16.12.1954 wurden zwischen den Gleisen der Strecke Wildpark – Potsdam 96 gefälschte Kraftstoffmarken á 5 l gefunden.
Anlage vom 18. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2395
Stellungnahmen zur Moskauer Deklaration
Weiterhin stehen im Mittelpunkt der politischen Gespräche die Moskauer Deklaration und die damit zusammenhängenden Probleme. Zur Bonner Bundestagsdebatte36 sagte z. B. ein Arbeiter aus dem VEB Jenapharm Jena: »Ollenhauer37 hat Adenauer38 ganz schön zu schaffen gemacht. Trotzdem traue ich dem ganzen Schwindel nicht, denn auf die SPD ist kein Verlass. Sie sind zu weich.«
Ein Einwohner aus Waltersdorf, [Kreis] Zittau, [Bezirk] Dresden: »Bei der Bundestagsdebatte kam wieder ganz deutlich zum Ausdruck, dass die Herren von Bonn machen, was sie wollen. Der ganze Protest der Bevölkerung ist zwecklos, das sieht man schon in der vergangenen Zeit, indem die Arbeiter dort drüben nichts zu bestimmen haben und die Polizei alles niederknüppelt.«
Über die letzte Sowjetnote an Frankreich wurde unter den Mitgliedern der NDPD in Halle wie folgt diskutiert:39 »Die neue Note zeigt, dass sich die durch die Moskauer Konferenz geschaffene neue Lage verschärft. Man stellt jetzt Frankreich vor die Alternative, hauptsächlich den Ministerpräsidenten Mendès France,40 der, wie sich zeigt, zuerst seine Außenpolitik der Verständigung eingeschlagen hatte und jetzt aber mit den Westmächten stärker liebäugelt. Das französische Volk wird aber auf dieses Freundschaftsbündnis mit der SU nicht verzichten wollen.«
Durch die in der letzten Zeit zahlreich durchgeführten Versammlungen, vor allen in den Betrieben, mehren sich die Stimmen derer, die gegen die Pariser Kriegsverträge Stellung nehmen, da durch die Aufklärung die Gefahr der Kriegsverträge immer mehr erkannt wird. In den Äußerungen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es den Kriegstreibern nicht gelingen darf, ihre schmutzigen Pläne in die Tat umzusetzen, und dass deshalb der Kampf um den Frieden verstärkt geführt werden muss. In diesem Rahmen kommt es immer wieder zu Erklärungen, dass man die Notwendigkeit der Sicherungsmaßnahmen in der DDR im Falle der Ratifizierung der Pariser Verträge einsieht. In den Betrieben organisieren Arbeiter teilweise von sich aus eine Korrespondenz nach Westdeutschland oder es werden Briefe an Abgeordnete des Bundestages gerichtet.
Demgegenüber diskutiert noch immer ein Teil – besonders Arbeiter, Angestellte und Jugendliche sowie in der Landwirtschaft Beschäftige – losgelöst von den übrigen Problemen über die Aufstellung Nationaler Streitkräfte und zwar in der Form, als ob dies unmittelbar bevorstünde. Die Argumente der Ablehnung sind nach wie vor die gleichen. Zum Beispiel vertritt im Bahnwerk Gera die Mehrzahl der Kollegen die Meinung, dass wir keine »Wehrmacht« brauchten und dass sie kein Gewehr anfassen wollten. Auch unter den Kollegen des Bahnhofes Crossen werden ähnliche Diskussionen geführt. Zum Beispiel sagt man: »Wenn wir keine Streitkräfte schaffen, kommt es auch nicht zum Krieg.«
Ebenfalls im VEB Zeiss Jena – besonders in der Photofaserei – wird überwiegend ablehnend zu der Frage Nationaler Streitkräfte Stellung genommen. Vor allem unter den Jugendlichen sind starke pazifistische Ansichten vorhanden. Unter anderem wird folgendermaßen diskutiert: »Wenn wir hier in der DDR Streitkräfte aufstellen, so gehen wir nach Westdeutschland. Es ist egal, ob wir durch Kriegskanonen oder Friedenskanonen sterben müssen. Tod ist Tod!« Dazu ist zu bemerken, dass die Jugendlichen teils von älteren Kollegen in ihrer Meinung beeinflusst bzw. bestärkt werden. Zum Beispiel erklärte ein Mechaniker gegenüber den Jugendlichen: »Wenn ihr zur Wehrmacht geht, was habt ihr denn da eigentlich zu verteidigen. Einen Frieden haben wir ja doch noch nicht in Deutschland. Auch sollen sich die Amis und die Sowjets bekriegen und uns in Ruhe lassen.«
Im Gaswerk des VEB Böhlen, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, ist unter den Arbeitern stark die Meinung vertreten, nie wieder ein Gewehr in die Hand zu nehmen und wenn sie dazu gezwungen werden, wollen sie überlaufen.
Verschiedentlich kommt es vor, dass in Versammlungen die negativen Stimmen überwiegen und dass Resolutionen nicht einstimmig angenommen werden. Zum Beispiel stimmten in einer Versammlung in der Universität Jena verschiedene Studenten gegen eine Resolution. Sie begründeten es damit, dass dies ein Bekenntnis zum freiwilligen Eintritt in die Nationalen Streitkräften sei, sie aber wollten keinen Bruderkrieg und würden keine Waffe in die Hand nehmen. Außerdem würde der Kapitalismus, wenn man noch zehn Jahre wartet, von allein zugrundegehen.41
In einer Versammlung des Elternbeirates in der Gemeinde Wenddorf, [Kreis] Tangerhütte, [Bezirk] Magdeburg, wurde den Anwesenden vorgeschlagen, eine Resolution gegen die Pariser Verträge anzunehmen. Darauf erklärte ein Mittelbauer: »Wegen so eines Quatsches sind wir nun heute zusammengekommen.« Eine Landarbeiterin sagte: »Dass wir den Frieden wollen, dürfte allen klar sein, auch ich weiß nicht, wozu man diesen Quatsch verfassen will.« Außer diesen beiden stimmte noch ein Bauer gegen diese Resolution.
In der Gemeinde Kogel, [Kreis] Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg, fand eine Versammlung statt, in der mehr negativ als positiv diskutiert wurde. Zum Beispiel wurde Folgendes zum Ausdruck gebracht: »Warum wird der RIAS und die anderen Westsender gestört.42 Es sind doch auch deutsche Sender; die wollen wir hören.« »Wir sagen immer, im Westen wird aufgerüstet, aber bei uns ist es doch dasselbe«, oder »Wir reden immer vom Ruhrgebiet, dass dort die Kohle von fremden Mächten rausgeschleppt wird, bei uns haben sie dagegen Schlesien verschachert.« In der Hauptsache brachten Einzelbauern diese Argumente vor. Von den anwesenden 23 Personen stimmten nur acht einem Protestschreiben gegen die Pariser Verträge zu.
Feindliche Elemente benutzen die Situation weiterhin zur Hetze gegen die SU und die DDR. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus dem VEB EBAWE Eilenburg, [Bezirk] Leipzig: »Es wird nicht mehr lange dauern und die Zeit kommt, wo der Faschismus wieder die Macht in die Hände nimmt und alle, die jetzt kommunistisch eingestellt sind, müssen dafür büßen.«
Ein Maschinist vom Fischkombinat Saßnitz, [Bezirk] Rostock: »Das mit der Verteidigung stimmt nicht, denn die Russen haben 150 Divisionen und die NATO bloß 49.43 Daraus ersieht man, dass die Russen angreifen wollen.«
Im Gaswerk Salzwedel, [Bezirk] Magdeburg, sagte ein Arbeiter: »Bei Ausbruch eines Krieges werden bestimmt 100 Mio. Asiaten abgeschlachtet und dann ist alles vorbei. Das Kapital hat immer gesiegt und wird auch weiter siegen«.
Ein Arbeiter des VEB Fahrzeugwerkes Waltershausen, [Kreis] Gotha, [Bezirk] Erfurt: »Wenn wir erst wieder eine Wehrmacht haben, dann machen sie mit uns ganz und gar was sie wollen und die Diktatur wird dann bei uns noch größer als bei Hitler.«
Ein Bauer aus Baumgarten, [Kreis] Gransee, [Bezirk] Potsdam: »Die Russen sollen erst einmal ihre KZ abschaffen und dann können wir uns weiter über Politik unterhalten. Jetzt ist man sich ja nicht sicher, wenn man mal seine Meinung klar zum Ausdruck bringt, ob man in den nächsten Tagen in eines dieser KZ wandert.«
In der Gemeinde Gaschow,44 [Kreis] Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, erklärten zwei Großbauern, dass die Zeit kommen würde, wo die freie Wirtschaft wieder eingeführt werden müsse, denn die KVP45 würde dem Druck des Westens nicht standhalten und wenn es soweit wäre, würden sie überlaufen.