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Forderung nach Streichung der Sollrückstände (1)

10. August 1956
Information Nr. 121/56 – Betrifft: Forderung nach Streichung der Sollrückstände [1. Bericht]

Aus den Bezirken – vorwiegend Rostock, Schwerin, Potsdam, Frankfurt/O., Magdeburg, Halle, Karl-Marx-Stadt und Suhl – wurde berichtet, dass die Forderungen nach Streichung der Sollrückstände bzw. Streichung des Solls der von Hochwasser überschwemmten Flächen einen beachtlichen Raum einnehmen.1 Bemerkenswert ist, dass solche Forderungen verstärkt auf Versammlungen erhoben werden. Auch bei den Räten der Kreise bzw. in Gemeindeämtern werden Delegationen wegen dieser Frage vorstellig. Zum großen Teil wird von den Bauern an eine Streichung des Solls nicht geglaubt, da aus dem Vorjahr zahlreiche Beispiele bekannt geworden sind, wo von Hochwasser betroffene Bauern das noch fällige Soll auf 1956 geschrieben bekamen. In den einzelnen Bezirken ist die Lage wie folgt:

Bezirk Rostock

Unter den Bauern nehmen die Diskussionen über die Streichung der Sollrückstände zeitweilig eine aggressive Form an. Verschiedene Äußerungen lassen außerdem erkennen, dass eine Reihe von Bauern »die freie Wirtschaft« als besser erklären und von einer gewissen »Unfreiheit« und »kommunistischen Zwangsherrschaft« gesprochen wird.

Bezirk Schwerin

Im Kreis Perleberg stellten einzelne Bauern, die noch von den letzten Jahren Sollrückstände haben, im verstärkten Maße beim Rat des Kreises Anträge auf Streichung der Sollrückstände. Zzt. liegen 200 Anträge vor. In der Gemeinde Tangendorf2 und Hohenvier werden solche Anträge besonders von Großbauern gestellt. In der Gemeinde Boberow3 haben von 66 Betrieben 40 Ablieferungsschulden.

Durch formale Festlegung des Solls – die Bodenklassen4 wurden nicht berücksichtigt – ist ein großer Teil der Bauern mit der Ablieferung von Jahr zu Jahr mehr in Rückstand geraten, sodass sie nicht in der Lage waren, Erzeugnisse dem freien Aufkauf zuzuführen bzw. in den Genuss der Frühdruschprämie zu kommen. Trotzdem diese Angelegenheit des Öfteren in Gemeindeversammlungen behandelt wurde und auch der Rat des Kreises, Abteilung Landwirtschaft, davon Kenntnis hatte, wurde bisher keine Klärung dieser Frage erreicht. Da der Rat des Kreises trotz mehrmaliger Forderungen nichts unternahm, wurde von einer unbekannten Person auf einer Gemeindeversammlung Anfang Juni der Vorschlag gemacht, sich an das Staatssekretariat für Erfassung und Aufkauf zu wenden. Eine Delegation, die den Auftrag hatte ein Schreiben vorzulegen und die Bitte um Streichung der Sollrückstände vorzutragen, fuhr am 25.7.1956 nach Berlin. Im Staatssekretariat für Erfassung und Aufkauf erhielten sie von einem Angestellten die Mitteilung, dass das 28. Plenum Maßnahmen zur Erleichterung der Arbeit in der Landwirtschaft beschließen wird.5 Der Angestellte erklärte der Delegation weiter, dass der Rat des Kreises Anweisung erhalten wird, die Verhältnisse in Boberow zu überprüfen. Auf einer Versammlung der VdgB/BHG am 26.7.1956 berichtete ein Delegationsmitglied über die Ergebnisse der Reise. Seine Ausführungen wurden von allen Bauern positiv aufgenommen. Zurzeit wird in der Gemeinde Boberow fast nicht mehr über diese Angelegenheit gesprochen, da jeder Bauer in kürzester Zeit eine Klärung der Frage erwartet.

Im Kreis Lübz liegen ca. 100 Anträge vor. Die Ursachen liegen darin, dass ein Vertreter des Rates des Bezirkes im Zusammenhang mit der Streichung der Schulden für Heu und Stroh erklärte, dass noch mehr hätte gestrichen werden können. Die Bauern nahmen dies zum Anlass, weitere Anträge zu stellen. In der Gemeinde Granzin, [Kreis] Lübz, schlug ein Vertreter des Rates des Kreises der Bürgermeisterin vor, sich endlich von den Sollschulden zu befreien und Anträge beim Rat des Kreises einzureichen. Hierbei sollten besonders die Bauern, die in die LPG eingetreten sind, berücksichtigt werden.

Bezirk Frankfurt/O.

Im Kreis Angermünde treten Bauerndelegationen häufiger an den Rat des Kreises heran und bitten um Ermäßigung des Ablieferungssolls. Im Kreis Beeskow wollen die Bauern u. a. das Kartoffelsoll gestrichen haben. Im Kreis Seelow wollen die von Hochwasser geschädigten Bauern das Abgabesoll ermäßigt haben.

Bezirk Magdeburg

In Velsdorf, [Kreis] Haldensleben, äußerten werktätige Bauern, man soll die Sollveranlagung abschaffen und »die freie Wirtschaft« einführen, weil diese gesünder sei.

Bezirk Suhl

Während einer Bauernversammlung in Unterkatz, [Kreis] Meiningen, sagte ein Bauer, »dass er die Schnauze voll habe, er könne seinen Kindern keine Butter mehr zu essen geben. Das Soll sei viel zu hoch geschraubt, sodass er es nicht erfüllen könnte. Wenn das so weiterginge, wollte er alles stehen und liegen lassen und nach Westdeutschland gehen.« Alle anwesenden Bauern pflichteten diesem bei. In seinen weiteren Ausführungen brachte er zum Ausdruck, dass er in diesem Jahr schon dreimal sein Feld bestellt hätte, weil es durch das Wild immer wieder vernichtet worden sei. Vor 1945 – bei der Herzogin von Meiningen6 – sei es besser gewesen, die hätte wenigstens den Schaden ersetzt. Aber jetzt würde das Ablieferungssoll bei Schaden nicht verändert. Die Bauern pflichteten auch diesem bei. In der Gemeinde Heyda, [Kreis] Ilmenau, haben allgemein nur Mittelbauern bis zu 20 ha Sollschulden.

Bezirk Karl-Marx-Stadt

In Königswalde, Kreis Werdau, versuchen Bauern ihre Sollablieferung herabzumindern. Z. B. kaufte ein Kleinbauer zu seinen 9 ha Land noch Land auf, wo er jedoch seine Mutter pro forma als Eigentümerin einsetzte, damit er nicht das Soll eines Mittelbauern angerechnet bekam. Ähnlich machte es noch ein Kleinbauer aus dem selben Ort.

Im Stadtkreis Schneeberg waren die Bauern über die SDAG Wismut stark verärgert, weil diese durch Vermessungen und geologische Untersuchungen Felder und Flure stark verwüstete. Ein Bauer war darüber so empört, dass er, als der Vermessungstrupp auf seinen Feldern war, tätlich wurde. Aufgrund dieses Vorfalles wurde von dem Vorsitzenden der VdgB/BHG an den Rat des Bezirkes ein Schreiben gesandt, in dem u. a. gefordert wurde, das Getreidesoll flächenmäßig abzusetzen7 und eine finanzielle Entschädigung zu entrichten. Gegenwärtig wurden die Vermessungsarbeiten auf den Getreidefeldern eingestellt. In Besprechungen zwischen Objektleitung und Rat der Stadt sollen Schadenersatzleistungen geregelt werden. Die Bauern sind mit Arbeiten auf den Feldern einverstanden, wenn sie vorher davon in Kenntnis gesetzt werden. Die Objektleitung hatte es versäumt, den Rat der Stadt, Abteilung Landwirtschaft, zu verständigen. Um weitere Vorkommnisse zu vermeiden wurde der Generaldirektor verständigt, der entsprechende Maßnahmen trifft. Inzwischen wurde diese Angelegenheit geregelt und den Forderungen der Bauern weitestgehend Rechnung getragen. Es hat sich herausgestellt, dass der Rat des Kreises von der Objektverwaltung über den Bau in Kenntnis gesetzt worden war, nur der Rat des Kreises hatte es versäumt, den Bauern dieses mitzuteilen.

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    10. August 1956
    Information Nr. 133/56 – Betrifft: Vorkommnisse an der Grenze

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    9. August 1956
    Information Nr. 132/56 – Betrifft: Stimmung in der Gemeinde Lentzke, [Kreis] Neuruppin, [Bezirk] Potsdam