Aktion »Rose« – 11 (Reaktionen des Westens, Stimmungslage)
[ohne Datum]
11. [Einzel-Information] Nr. 429/61 über westliche Reaktionen auf die Maßnahmen zur Sicherung der DDR [Aktion »Rose«]
Es gibt im Vergleich mit der Einschätzung der Reaktion der führenden politischen Kreise der Westmächte, Bonns und Westberlins auf die Maßnahmen der DDR vom 14.8. noch keine grundsätzlich neuen Momente. In verschiedenen offiziellen Äußerungen wird weiterhin betont, dass dem formellen Protest der Westberliner Stadtkommandanten, der am Nachmittag des 15.8. übergeben wurde,1 »adäquate Gegenmaßnahmen« des Westens folgen müssten, ohne dass bisher offiziell oder intern konkret etwas darüber bekannt wurde.
In den gleichlautenden Protestschreiben der Westmächte werden die Maßnahmen der DDR als die »flagranteste Verletzung der Viermächtevereinbarung über Berlin seit der Blockade« bezeichnet. Die sog. Viermächteverantwortung für Berlin wird erneut unterstrichen.
Es mehren sich in den Äußerungen führender Bonner und Westberliner Politiker und den Kommentaren westdeutscher und Westberliner Blätter die kritischen Vorwürfe an die Adresse der Westmächte, in denen zum Ausdruck gebracht wird, dass die westliche Politik wertvolle Zeit verstreichen lasse und Anzeichen der Hilflosigkeit zeige. Diese Vorwürfe sind verbunden mit einer weiteren Steigerung einer kommunistischen Hetze besonders der Westberliner Publikationsorgane und einiger führender Politiker wie beispielsweise des Vorsitzenden der Gesamtdeutschen Partei in Westberlin Heynitz,2 der forderte, die Bevölkerung der DDR zu einem »neuen 17. Juni 1961« aufzurufen, da die Zeit dafür reif sei.3
Der Bundesvorstand der Gesamtdeutschen Partei in Bonn warnte jedoch entsprechend der allgemeinen Linie der Äußerungen der Mehrzahl der führenden Bonner Politiker vor Unbesonnenheit und Provokationen.
Es mehren sich andererseits die Stimmen in politischen Kreisen der Westmächte, dass durch die Maßnahmen der DDR wesentliche Hindernisse auf dem Wege zu neuen Ost-West-Verhandlungen beseitigt und den Westmächten derartige Verhandlungen erleichtert wurden. Regierungskreise in London erklärten, die Entwicklung laufe nunmehr eindeutig in Richtung der Festlegung eines neuen Berlin-Status.
Meinungsverschiedenheiten über die weiteren Methoden des Reagierens auf die Maßnahmen der DDR gibt es offensichtlich auch zwischen CDU und SPD im Zusammenhang mit den bevorstehenden Bundestagswahlen. Brandt nahm am 15.8. eine Äußerung Adenauers vom Vortage, in der er auf Brandts politische Vergangenheit anspielte, zum Anlass, eine Sondersitzung des Senats abzubrechen.4 Zu der vonseiten der SPD erhobenen Forderung, die Bundestagswahlen angesichts der gegenwärtigen Situation zu verschieben,5 erklärte Gerstenmaier, es komme keine Verschiebung, sondern höchstens eine Vorverlegung infrage. Gleichzeitig appellierte der Bundestagspräsident jedoch an die gemeinsamen Auffassungen der Parteien.
Das »Kuratorium Unteilbares Deutschland« forderte eine Volksabstimmung im »freien Deutschland.«6 Die Fragestellung soll auf dem sog. Selbstbestimmungsrecht aufbauen und die Forderung nach einer »einheitlichen« statt »gespaltenen Hauptstadt« einschließen.
Das Bundeskabinett tagte in einer Sondersitzung am 15.8. und plant eine weitere Sondersitzung für den 16.8.;7 Einzelheiten darüber wurden noch nicht bekannt. Am 16.8. findet in Bonn auch eine gemeinsame Sitzung des Außenpolitischen und »gesamtdeutschen« Bundestagsausschusses statt. Damit wurde der Forderung vor allem führender FDP- und SPD-Politiker nicht entsprochen, diese Sitzung in Westberlin durchzuführen. Am 18.8. wird eine Bundestagssondersitzung in Bonn stattfinden.
In Hinweisen auf sogenannte Gegenmaßnahmen wurde bisher offiziell bekannt, dass der Westberliner Senat dem Stadtkommandanten vorgeschlagen hat, die Zuzugsgenehmigungspflicht für Westberlin abzuschaffen, eine Kommission zur »Klärung der Reichsbahnangelegenheiten« in Westberlin zu bilden und die Lohnausgleichskassen für im demokratischen Berlin arbeitende Westberliner Bürger zu schließen. Die Büros der SED in Westberlin werden scharf überwacht und die Repressalien gegen SED-Mitglieder fortgesetzt.
Der Ausschuss Selbstständiger Unternehmer in Bonn erhob offiziell die Forderung nach Kündigung des Abkommens über den innerdeutschen Handel. In Stellungnahmen dazu nahmen jedoch das Kölner Industrie-Institut und der Bundesverband der Deutschen Industrie eine abwartende Haltung dazu ein. Noch vor Bekanntwerden der Erklärung der DDR, dass Maßnahmen gegen den IDH die Verbindungswege Westberlins gefährden würden, wandte sich das SPD-Parteipräsidium offiziell gegen wirtschaftliche Sanktionen. Der BDI-Präsident Berg beabsichtigt, sich in der nächsten Zeit selbst von der wirtschaftlichen Lage Westberlins ein Bild zu verschaffen.
Es gibt allerdings verschiedene Anzeichen dafür, dass der Besuch der Leipziger Herbstmesse durch westdeutsche Interessenten unterbunden werden soll. Bundeswohnungsbauminister Lücke forderte, alle Reisen von Sportlern, Künstlern und Geschäftsleuten in die DDR zu unterlassen.
Im Zusammenhang mit den Repressalien gegen die Westberliner SED und deshalb erwarteten Maßnahmen gegen die SPD im demokratischen Berlin ist es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den SPD-Funktionären im demokratischen Berlin und dem Westberliner SPD-Landesvorstand gekommen. Aus einer Reihe zuverlässiger interner Informationen geht hervor, dass die SPD-Funktionäre ihre Hauptaufgabe darin sehen, die SPD-Organisation im demokratischen Berlin zu erhalten und deshalb für Zurückhaltung eintreten. Die Forderung von Funktionären des Landesvorstands, diese Organisation aufzulösen wenn ihr Gefahr drohe, gleichgeschaltet zu werden, wird von den Funktionären im demokratischen Berlin zurückgewiesen.
Die 2-mal verschobene Kundgebung auf dem Rudolf-Wilde-Platz wurde nunmehr für den 16.8., um 16.00 Uhr angesetzt. Am 16.8., um 20.00 Uhr wird Bischof Dibelius einen Bittgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche abhalten.
Aus mehreren Stimmungsberichten aus der Westberliner Bevölkerung geht hervor, dass die allgemeine Auffassung zunehmend dahin tendiert, sich mit der bestehenden Situation abzufinden. Es wird von Unentschlossenheit und Hilflosigkeit der Westmächte gesprochen. Der verantwortliche Polizeirat für die Schutzpolizei im amerikanischen Sektor Hammer erklärte resignierend, dass er keine einschneidenden westlichen Gegenmaßnahmen mehr erwarte. Die Westmächte hätten dazu nicht den Mut. Senatsangestellte äußerten, dass man sich langsam nach einer Arbeitsstelle in Westdeutschland umsehen müsse. Deutsche Angestellte der britischen Besatzungsmacht erhoben die Forderung, allen Westberlinern zu verbieten, das demokratische Berlin zu betreten. Es kursiert das Gerücht, dass Bundeswehrtruppen nach Westberlin eingeflogen werden.
Vom Flugplatz Tempelhof wurde gemeldet, dass der starke Andrang nach Flugkarten für Westdeutschland anhält. Platzkarten für Schlaf- und Liegewagen in den Zügen nach Westdeutschland sind auf längere Zeit hinaus ausverkauft.
Große Geschäfte und Kaufhäuser haben eine beträchtliche Absatzminderung zu verzeichnen. Verschiedene Kinos verzeichneten bedeutend geringere Besucherzahl[en].
Zur Stimmung der Bevölkerung der DDR
Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich die allgemeine Stimmung in der DDR gegenüber dem letzten Bericht nur wenig geändert hat. Für die gegenwärtige Situation ist weiterhin charakteristisch, dass die positiven Stellungnahmen überwiegen.
Die Stimmung in den an der Aktion beteiligten Einheiten der NVA, DGP, BP und des Wachregimentes des MfS ist als positiv einzuschätzen. Die Einsatzbereitschaft in den bewaffneten Organen ist gut. In den letzten Tagen haben viele Angehörige der bewaffneten Kräfte ihre Aufnahme als Kandidat der SED beantragt.
Vereinzelt treten verschiedene unklare Fragen auf. An solchen Problemen sind zu nennen:
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Verkennung der Gefährlichkeit der NATO,
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Zweifel an der Stärke der bewaffneten Kräfte der DDR,
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Befürchtungen, dass die Maßnahmen der DDR die Kriegsgefahr verschärfen könnten.
Die notwendige lange Einsatzdauer hat nur in sehr wenigen Fällen zu einer gewissen Unzufriedenheit geführt (z. B. bei einigen Mitarbeitern des VPKA Karl-Marx-Stadt).
An den letzten beiden Tagen wurden in zahlreichen Betrieben in der DDR Kurzversammlungen durchgeführt, in denen die Maßnahmen zur Sicherung der DDR begrüßt und Produktionsverpflichtungen übernommen wurden. Es sind nur wenige Fälle bekannt, in denen einzelne Brigaden bzw. eine geringe Zahl von Arbeitern ihre Zustimmung zu den Maßnahmen der Regierung verweigerten. Eine ablehnende Haltung nahmen die Brigade Gollwitz, VEB Elektroprojekt Berlin-Lichtenberg, fünf Brigaden des VEB Herrenmode Großenhain und die Brigade Naumann vom Bahnhof Magdeburg-Rothensee ein.
In einigen kleineren Betrieben gelang es dem Gegner, die Mehrheit der Beschäftigten gegen die Maßnahmen der Regierung zu beeinflussen. Derartige Erscheinungen traten beispielsweise in dem halbstaatlichen Betrieb Plattenverarbeitung Mietsch Dresden auf.
Zur »Begründung« der Ablehnung wurde in der Regel behauptet, die Maßnahmen würden eine »Einengung der Freiheit« bedeuten und die verwandtschaftlichen Beziehungen nach Westberlin unterbrechen.
Insgesamt ist – zweifellos im Zusammenhang mit der verstärkten gegnerischen Hetze – ein gewisses Ansteigen ablehnender Äußerungen festzustellen.
Die bereits in den letzten Berichten angeführten negativen »Argumente« sind auch weiterhin verbreitet. Dabei ist allgemein zu bemerken, dass in den ablehnenden Stellungnahmen in vielen Fällen die feindlichen Argumentationen der westlichen Hetzsender und des westdeutschen Fernsehens zum Ausdruck kommt, die die schwankende Haltung und gewisse Unklarheiten von Teilen der Bevölkerung für ihre Argumentation ausnutzen.
Das gilt z. B. für die verschiedentlich auftretende Forderung nach »freien Wahlen« und die immer wiederkehrende Behauptung, dass durch die Maßnahmen der Regierung der DDR die Kriegsgefahr erhöht werde. Auch die Meinungen, dass die »Berlin-Frage« vor die UNO gebracht werden sollte, gehen auf feindliche Argumentationen zurück.
Vereinzelt gibt es Äußerungen von DDR-Bürgern, dass sie aufgrund der Maßnahmen der Regierung der DDR am 17.9.1961 nicht zur Wahl gehen würden.8 Die Teilnahme an der Wahl wird dabei teilweise davon abhängig gemacht, dass Reisegenehmigungen für Westdeutschland bzw. Westberlin ausgegeben werden.
Teile der Intelligenz der DDR verhalten sich nach wie vor abwartend. Angehörige der Intelligenz, die für ihre schwankende Haltung bekannt sind, nehmen vielfach keine Stellung. Dessen ungeachtet ist insgesamt ein gewisses Ansteigen der positiven Stellungnahmen festzustellen. Wie bereits berichtet, spielt die Frage der zukünftigen Möglichkeiten weiterhin zu wissenschaftlichen Veranstaltungen und zu Veranstaltungen nach Westberlin, Westdeutschland und in das kapitalistische Ausland reisen zu dürfen, in Kreisen der Intelligenz eine große Rolle.
Beispielsweise verlangte Prof. Dr. Scheinost, Werkdirektor und Chefkonstrukteur des VEB Entwicklungsbau Pirna einen Dauerpassierschein für Westberlin, sonst werde er seine Arbeit nicht fortsetzen. Ähnliche Erpressungsversuche sind auch in Kreisen der medizinischen Intelligenz aufgetreten. Ferner treten verschiedentlich Befürchtungen auf, dass in Zukunft keine Medikamente und medizinischen Instrumente aus Westdeutschland mehr bezogen werden können.
Negative Stellungnahmen aus den Kreisen der Intelligenz liegen außerdem auch in ähnlicher Form wie aus anderen Kreisen der Bevölkerung vor, wobei die Behauptung, dass die Maßnahmen der DDR die Spaltung vertiefen und gegen die Bürger der DDR gerichtet sind, im Vordergrund stehen. Prof. Dr. Dr. Satorius, Direktor des Instituts für Serumforschung Berlin, Wollankstr, wandte sich besonders gegen angebliche »Holzhammermethoden« in der Argumentation der DDR. Er bezog sich dabei besonders auf das Auftreten des Genossen Eisler9 im Deutschen Fernsehfunk.
Zur Stimmung der ehemaligen Grenzgänger
Für die Stimmung dieser Kreise ist charakteristisch, dass Teile der ehem. Grenzgänger,10 besonders Facharbeiter, sich weiterhin abwartend verhalten. Sie äußern sich, dass man zunächst sehen müsse, wie sich alles weiter entwickelt, wobei sie vor allem auf Gegenmaßnahmen der Westmächte hoffen. Zunächst könne man ja längere Zeit Urlaub machen und von den Ersparnissen leben. Es häufen sich auch Versuche der ehem. Grenzgänger, sich krankschreiben zu lassen.
Die bisher vorliegenden Zahlen deuten darauf hin, dass die Zahl der ehem. Grenzgänger, die sich registrieren lassen, am 15.8. zurückgegangen ist.
Auch von den Grenzgängern, die sich zum Registrieren gemeldet haben, hat bisher nur ein Teil die Arbeit im demokratischen Berlin aufgenommen. Die in den Betrieben für Grenzgänger vorgesehenen Stellen sind nach den vorliegenden Berichten im Durchschnitt bisher nur zu 15 % besetzt. In verschiedenen Betrieben verlangten ehem. Grenzgänger eine höhere Entlohnung (z. B. Werk für Fernmeldetechnik/Fernsehelektronik), bzw. sie lehnten die Schichtarbeit ab (z. B. Werk für Bildröhren). Da ihre Forderungen nicht akzeptiert wurden, nahmen sie die Arbeit nicht auf.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass von Grenzgängern verschiedentlich erklärt wurde, sie würden Westberliner Personalausweise erhalten und könnten damit nach Westberlin gelangen.
Es gibt Anzeichen dafür, dass die Grenzgänger, die im demokratischen Berlin zu arbeiten beginnen, versuchen, Konzentrationen von Grenzgängern in bestimmten Betrieben zu erreichen bzw. geschlossene Brigaden von ehem. Grenzgängern zu bilden.
Besonders bei den älteren Grenzgängern spielt in den Diskussionen die Frage eine Rolle, ob und in welcher Weise die Rentenansprüche, die sie in den Jahren ihrer Tätigkeit in Westberlin erworben haben, im demokratischen Berlin berücksichtigt werden. Unter den ehem. Grenzgängern werden ferner Gerüchte verbreitet, dass für die Arbeiter und Angestellten, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Westberliner Betrieben gearbeitet haben, angeblich Sonderregelungen getroffen werden sollen.
In einzelnen Betrieben (z. B. Berliner Glühlampenwerk) lehnten es Arbeiter ab, mit ehem. Grenzgängern zusammenzuarbeiten. Unter den Grenzgängern wird in diesem Zusammenhang die Parole verbreitet, dass sie in den Betrieben beschimpft würden.
Stimmung unter den Westberlinern, die im demokratischen Berlin arbeiten
Im Zusammenhang mit den vom Westberliner Senat geplanten Maßnahmen zur Einstellung des Lohnumtausches für im demokratischen Berlin beschäftigte Westberliner ist die Haltung dieser Kreise von besonderem Interesse. Es handelt sich hierbei vor allem um Angehörige der medizinischen und technischen Intelligenz und um Künstler, deren Ausfall zu gewissen Schwierigkeiten führen könnte.
Der weitaus größte Teil dieser Westberliner ist am 14.8. und 15.8. zur Arbeit im demokratischen Berlin erschienen. Beispielsweise sind bei der Forschungsgemeinschaft der naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Institute der Deutschen Akademie der Wissenschaften 87 Westberliner tätig, von denen am 14.8. lediglich vier unbegründet der Arbeit fernblieben. Diese Westberliner sind im Allgemeinen bereit, ihre Arbeit im demokratischen Berlin fortzusetzen. Es gibt allerdings vielfach Befürchtungen, dass der Westberliner Senat ihnen die Tätigkeit im demokratischen Berlin unmöglich macht und sie als Kommunisten »verleumdet.« Die Bereitschaft zur Übersiedlung in das demokratische Berlin besteht nur in Einzelfällen.
Diese Kreise machen sich vor allem Sorgen, dass sie nach der wahrscheinlichen Einstellung des Westgeldumtausches große finanzielle Nachteile haben werden. Es wird gefordert, dass vonseiten der DDR Unterstützungsmaßnahmen eingeleitet werden müssten, weil sie sonst ihre Arbeit im demokratischen Berlin aufgeben müssten.
In Kreisen der Theaterschaffenden gibt es Befürchtungen, dass der mögliche Ausfall der in Westberlin lebenden Künstler eine Gefährdung des Spielbetriebes bedeuten könnte. In besonders starkem Maße diskutieren die Westberliner Künstler des Deutschen Theaters und des Friedrichstadtpalastes über die Fortsetzung ihrer Arbeit im demokratischen Berlin.
Gegnerische Tätigkeit und Vorkommnisse
Bei der gegnerischen Tätigkeit und den Vorkommnissen im demokratischen Berlin und in den Bezirken der DDR sind heute folgende Hauptrichtungen festzustellen:
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Im Gegensatz zu den größeren Menschengruppen, die sich gestern auf westlicher Seite der Sektorengrenze zusammenrotteten, waren heute nur kleinere Menschengruppen festzustellen (bis zu 400 Teilnehmer). Dabei handelt es sich in der Hauptsache um Jugendliche, die nur zum Teil aktiv mit Schmährufen und Hetzplakaten in Erscheinung traten. Vereinzelt wurden Grenzprovokationen auf Westberliner Seite festgestellt. Kundgebungen und Demonstrationen in der gestrigen Form fanden nicht statt. Für morgen, 15.00 Uhr ist eine Hetzkundgebung auf dem Rudolf-Wilde-Platz in Westberlin geplant.
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Diversions- und Gewaltakte haben sich seit heute morgen auf dem Reichsbahngelände in Westberlin verstärkt.
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Aus den Grenzbezirken häufen sich die Meldungen, wonach sich die Grenzübertritte von der DDR nach den Westzonen über die Staatsgrenze West verstärken und Personen auf diesem Wege versuchen, »republikflüchtig« zu werden. Schätzungsweise erfolgen auf diese Weise täglich etwa bis zu 30 »Republikfluchten.« Schwerpunkte der Durchbruchstellen sind noch nicht zu erkennen.
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Besonders im demokratischen Berlin, aber auch in den Randgebieten Berlins und in fast allen Bezirken der DDR haben heute die sog. »Angsteinkäufe« angehalten und zugenommen.
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Seit gestern wird im demokratischen Berlin und in den Bezirken der DDR ein Ansteigen der Hetztätigkeit feindlicher Elemente, die zum Teil noch ermittelt werden müssen, festgestellt. Es handelt sich dabei in der Hauptsache um Hetze in mündlicher Form. Auch durch Verstreuen selbstgefertigter Hetzschriften und durch Anschmieren von Hetzparolen an Häuserwände usw. ist eine Zunahme der Hetztätigkeit zu verzeichnen. Der überwiegende Teil dieser Hetzschriften richtet sich gegen führende Persönlichkeiten der Partei und des Staatsapparates, insbesondere aber gegen den Genossen Walter Ulbricht. In diesem Zusammenhang haben Beobachtungen ergeben, dass sich das Abhören westlicher Rundfunkstationen und Fernsehsender verstärkt hat. Wegen der Hetzdelikte wurden von den Sicherheitsorganen eine Reihe von Festnahmen durchgeführt.
An der Sektorengrenze im demokratischen Berlin waren heute keine besonderen Vorkommnisse zu verzeichnen. An einigen Grenzübergängen (Sonnenallee, Bornholmer Straße) bildeten sich heute in den frühen Morgenstunden kleinere Menschenansammlungen bis zu 300 Personen, die jedoch schnell von unseren Sicherungskräften zerstreut werden konnten.
In den Stadtbezirken Johannisthal, Köpenick, Adlershof, Berlin-Schöneweide und Friedrichstraße wurden jeweils kurze Zeit Diskussionsgruppen von Jugendlichen (bis zu 50 Personen) festgestellt. In der Friedrichstraße wurde von Jugendlichen in den heutigen Abendstunden versucht, eine Schlägerei mit Volkspolizisten zu organisieren. Das Vorkommnis wurde von Personen, die nicht mehr ermittelt werden konnten, fotografisch festgehalten.
Mehrere Quellen berichteten, dass seit gestern Spekulationen und Schiebereien mit Westwaren im demokratischen Berlin versucht werden. Bei den Schieberwaren handelt es sich um Zigaretten und andere kleinere Produkte. Sie werden zu einem höheren Betrag der Deutschen Notenbank verkauft, als er in den Westberliner Geschäften verlangt wird.
Bei den an der Sektorengrenze westlicherseits auftretenden Provokationsgruppen handelt es sich offensichtlich um gesteuerte Gruppen.
Dazu wurden uns folgende auswertbare Einzelmeldungen bekannt:
Nach einer glaubwürdigen Information wurden bereits gestern und vorgestern von Mitarbeitern der Westberliner Dienststelle des Lemmer-Ministeriums11 Westberliner Studenten in einem Weinlokal in der Johannisthaler Straße zusammengefasst und zur Durchführung von Provokationen gegenüber unseren Sicherungskräften angehalten. Die beteiligten Studenten sollen namentlich erfasst worden sein und über die Tusma12 für diesen Einsatz je 20,00 DM West erhalten. Die Finanzierung dieses Auftrages soll das Lemmer-Ministerium übernommen haben.
Der ASTA hat am 14.8.1961 durch Plakatanschläge in den Gebäuden der Freien Universität alle Studenten aufgefordert, täglich um 21.00 Uhr am Brandenburger Tor zu erscheinen, um gegen die Maßnahmen der DDR zu demonstrieren. Da sich zzt. wegen der Semesterferien nur eine geringe Anzahl von Studenten in Westberlin befindet, ist es den Institutionen bisher nicht gelungen, eine größere Gruppe für die Demonstration zu bilden. Es ist zu erwarten, dass die Demonstrationen, nachdem die Absperrung des Brandenburger Tors erfolgte, an einer anderen Stelle organisiert werden.
Im Zusammenhang mit der Reaktion des ASTA (Allgemeiner Studentenausschuss) der Westberliner Universität ist von Bedeutung, dass die ASTA beabsichtigen, eine Petition zu verfassen, die dem Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR, Girnus, übergeben werden soll. Die Petition soll mit einer Unterschriftensammlung verbunden sein und dem Zweck dienen, für Studenten der FU mit dem Wohnsitz im demokratischen Berlin die Genehmigung zur Fortsetzung des Studiums zu erwirken.
Unüberprüfte Meldungen besagen, dass von bestimmten Westberliner Bürgern versucht wird, auch im demokratischen Berlin Provokationen gegen die Berlin-Maßnahmen zu inszenieren. So sollen sich heute in den Gaststätten »Frankfurter Tor« und »Gulaschküche« Westberliner Bürger aufgehalten haben, die für Jugendliche Zigaretten und Alkohol bezahlten und als Gegenleistung Provokationen im demokratischen Berlin verlangten.
Die heute festgestellten Grenzprovokationen von Westberliner Seite her bestanden im Eindringen in unser Gebiet, im Beschimpfen unserer Posten und im Werfen von Steinen nach unseren Grenzposten. (Onckenstraße, Sonnenallee, Inselstraße, Melchiorstr., Lohmühlenbrücke) Einige Rädelsführer, die bis auf unser Gebiet vorgedrungen waren, konnten von Sicherheitskräften festgenommen werden. Am Brandenburger Tor westlicherseits wurden gegen Westberliner Rowdys, die sich in Gruppen der Grenzsperre näherten, von der Stupo Wasserwerfer eingesetzt.
Am Kontrollpunkt Onckenstraße gelang es Westberliner Jugendlichen, den Stacheldrahtverhau unwesentlich zu zerstören. Sie bedrohten unsere Volkspolizei-Posten mit Mordhetze. Eine weitere Provokation war an der Onckenstraße zu verzeichnen, wo der Westberliner Bürgermeister Kressmann die Sektorengrenze zu überfahren versuchte und von unseren Kontrollposten zurückgeschickt werden musste. Westlicherseits wurde die Rückkehr des K. durch Reporter erwartet.
Die Diversions- und Gewaltakte haben sich auf dem Westberliner Reichsbahngebiet verstärkt. Durch versuchte Störungen im reichsbahneigenen S-Bahn-Gelände soll eine weitere Ablehnung der Westberliner Bürger gegenüber den Maßnahmen der Regierung der DDR erreicht werden. So wurde z. B. das Einfahrtsignal A auf dem Bahnhof Wannsee gewaltsam zerstört. Durch die umsichtige Haltung des Bahnpersonals ist es bisher zu keinen Unfällen und Störungen gekommen. Außerdem verschafften sich Stupo-Angehörige im Laufe des heutigen Tages unberechtigt Zutritt zu zahlreichen S-Bahnhöfen in Westberlin, rissen dort Bekanntmachungen über die Maßnahmen unserer Regierung, Wahlplakate usw. von den Anschlagsäulen und zerstörten zahlreiche Aushangkästen. Von unbekannten Tätern wurden mehrfach Hetzparolen, faschistische Runen und Hakenkreuze in S-Bahn-Zügen, die in Westberlin verkehren, angebracht.
Am westdeutschen Kontrollpunkt Helmstedt fand gestern in den späten Abendstunden eine Hetzveranstaltung statt, an der sich ca. 1 000 Personen, vorwiegend Jugendliche, beteiligten. Davon forderten einige in Sprechchören die Beseitigung der Staatsgrenze und eine Rückgängigmachung der Maßnahmen in Berlin usw. An einigen Kontrollpunkten wurde festgestellt, dass eine verstärkte vorfristige Rückreise westdeutscher Besucher eingesetzt hat.
Die sog. »Angsteinkäufe« haben sich gegenüber dem Vortage verstärkt, sodass vom Handel eine Reihe Maßnahmen eingeleitet werden musste, um den Nachschub zu sichern. Neben Lebensmitteln, wie Nährmittel, Hülsenfrüchte, Brot, Zucker, Salz, Fleischkonserven u. a., wurde heute auch Bett- und Tischwäsche aufgekauft. Zum vollkommenen Ausverkauf einiger Warensorten an Lebensmitteln ist es nur in Einzelfällen gekommen. Eine sofortige Nachlieferung wurde von den Handelsorganen jeweils veranlasst. In einigen Berliner Stadtbezirken war vorübergehend in den Nachmittagsstunden eine Brotknappheit aufgetreten, da ungewöhnlich viel Brot gekauft wurde. In Friedrichshain wurden z. B. in Waschkörben bis zu 15 Brote von einer Familie gekauft.
Heute wurde von der Bevölkerung des demokratischen Berlin bis zu 30 % der angeführten Lebensmittel mehr gekauft als normal. Bei Fleisch- und Wurstwaren – hauptsächlich Konserven – stieg der Bedarf von 7 t auf 20 t. Der Nachschub ist gewährleistet.
Feindtätigkeit auf dem Gebiet der Versorgung wurde in der Richtung bekannt, dass unbekannte Personen – bisher in zwei Fällen – in den Lebensmittelverkaufsstellen auftraten, sich mit falschen Papieren als Handelsfunktionäre auswiesen und die Anweisung gaben, dass die DPA beim Einkauf ab sofort nicht mehr verlangt werden brauchen und nur noch ein Pfund von jeder Ware abgegeben werden dürfe. Die betreffende Person konnte noch nicht ermittelt werden.
Nach Einschätzungen der Sparkassen im demokratischen Berlin, sei eine Erhöhung der Abhebungen von Sparkassenbüchern festzustellen.
Bei Hetzdelikten (anonyme Anrufe, mündliche Hetze, Verteilung von Hetzschriften, Anschmieren von Hetzparolen usw.) zeichnet sich ein gewisser Schwerpunkt im Bezirk Halle ab.
Selbstgefertigte Hetzschriften in geringerer Menge wurden auch in den Bezirken Rostock, Erfurt und Magdeburg sowie im demokratischen Berlin verstreut. In diesem Zusammenhang wird noch einmal an die mit Ölfarbe angebrachten gut sichtbaren Hetzparolen in der Schönhauser Allee im demokratischen Berlin und in Rostock erinnert.