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Einleitung 1961

Einleitung 1961
Daniela Münkel

Das bestimmende Thema des Jahres 1961 war der Mauerbau. Dies spiegelt sich auch in den geheimen Berichten des MfS wider, die die Zentrale Informationsgruppe (ZIG)1 und ihre Vorläufer seit dem Juni-Aufstand 1953 regelmäßig für die SED und Staatsführung verfassten. Sehr viele der 260 überlieferten und hier edierten Berichte des Jahrgangs 1961 haben direkt oder indirekt mit dem Mauerbau zu tun. Die Berichterstattung des MfS im Jahr 1961 veranschaulicht eine für die Existenz der DDR mehr als schwierige Situation, in die sich die Partei- und Staatsführung hineinmanövriert hatte und deren Lösung sie vor allem in der Schließung des sogenannten »Berliner Grenzlochs« und somit in der Einsperrung der eigenen Bevölkerung sah. Die Berichte zeigen einen Staat, dessen Stabilität erheblich beeinträchtigt war. Die Lektüre vermittelt den Eindruck, dass in der DDR so gut wie überhaupt nichts mehr funktionierte: Versorgungsprobleme auf allen Gebieten, eine katastrophale Wohnungssituation, eine marode Ökonomie, chaotische Verhältnisse in den neu gegründeten LPG, ein unfähiger und ineffektiver Funktionärsapparat auf allen Ebenen und eine unzufriedene Bevölkerung. Hinzu kam vor dem 13. August die massenhafte Fluchtbewegung Richtung Westen. Besonders fatal für die DDR war die Abwanderung von gut ausgebildeten Arbeitern und Angehörigen der Intelligenz. Die Berichte zeigen aber auch, dass die Grenzschließung – außer der Massenflucht – die Probleme der DDR natürlich nicht löste, sondern im Gegenteil neue schuf. Insbesondere entwickelten sich auf breiter Front Proteste unterschiedlichster Art, getragen von allen Bevölkerungsgruppen, worauf die SED mit verschärfter Repression reagierte.

Das MfS stellte sich in dieser krisenhaften Situation – auch dies wird durch die Berichte mehr als deutlich – als Instanz dar, die den Überblick über sämtliche Fehlentwicklungen hatte, Probleme schonungslos benannte, Handlungsoptionen und Verbesserungsvorschläge aufzeigte oder manchmal gleich selbst eingriff, um Schwierigkeiten zu beseitigen. Hier tritt bereits der Allzuständigkeitsanspruch, der für die Staatssicherheit in späteren Jahren zur Selbstverständlichkeit werden sollte, deutlich zutage. Aber noch etwas anderes wird klar: die Partei- und Staatsführung war durch das MfS schonungslos über die reale Lage im Land informiert.

Der Jahrgang 1961 enthält auch 17 bisher völlig unbekannte Dokumente, die die dramatische Zeit während und unmittelbar nach der Grenzsperrung betreffen. Im Zuge der Recherchen zum Berichtsjahrgang 1961 konnten diese bisher als nicht überliefert geltenden Dokumente an einem eher ungewöhnlichen Ort im Archiv der BStU gefunden werden – in einem noch unerschlossenen Teilbestand, der innerhalb des MfS-Bestandes als Presseausschnittsammlung firmierte. Die neuen Dokumente schließen eine Lücke in der Überlieferung zur Phase unmittelbar nach der Grenzschließung. Vor allem im Bereich der Stasi-Unterlagen war diese bislang eher mager. Die bisherige Forschung stützte sich überwiegend auf den gut dokumentierten SED-internen Informationsstrang, in dem sich vor allem die Bevölkerungsstimmung abbildet.2

1. Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Am 27. November 1958 löste Chruschtschow mit der Verkündung des Berlin-Ultimatums, welches auf die Aufhebung des Viermächtestatus’ von Berlin und die Übertragung der verbliebenen sowjetischen Hoheitsrechte an die DDR zielte, die zweite große Berlin-Krise der Nachkriegszeit aus.3 Das Ultimatum war mit einer Drohung versehen, die letztlich auf den Abschluss eines separaten Friedensvertrages zwischen der Sowjetunion und der DDR hinauslaufen würde – was Chruschtschow dann auch im Januar 1959 konkretisierte. Die Westmächte reagierten einstimmig ablehnend.4 Ihr Gegenangebot ging einzig in die Richtung, den Status von Berlin im Rahmen von Verhandlungen über die Deutschlandfrage insgesamt und die europäische Sicherheit zu erörtern. Im März 1959 ruderte Chruschtschow leicht zurück und war nun bereit, die Berlin- und Deutschlandfrage zusammen zu behandeln. Die daraufhin am 11. Mai 1959 beginnende Genfer Außenministerkonferenz endete am 5. August 1959 im Prinzip ohne Ergebnis. Auch Gespräche auf höchster Ebene zwischen Chruschtschow und Eisenhower im September 1959 in den USA brachten keine Annäherung. Eine Gipfelkonferenz in Paris im Mai 1960 scheiterte noch bevor sie richtig begonnen hatte. Die Westmächte waren nicht bereit, ihren Status in Berlin aufzugeben und betonten ihre Garantien für Westberlin; die Sowjetunion beharrte weiter auf der Aufhebung des Viermächtestatus’ der Stadt und drohte mit einem Separatfriedensvertrag.

Im Januar 1961 trat John F. Kennedy sein Amt als amerikanischer Präsident an. Unter Kennedy änderten sich die »essentials« amerikanischer Außenpolitik, die mit dem Schlagwort »balance of power« und der Verlagerung des Schwerpunktes von Europa und der Deutschlandfrage hin zur sogenannten »Dritten Welt« beschrieben werden können.5 Die Deutschlandpolitik der US-Regierung reduzierte sich nun auf eine Anerkennung und Sicherung des Status quo – das Postulat einer deutschen Wiedervereinigung stand nicht mehr auf der Agenda Amerikas. Ein Treffen Chruschtschow – Kennedy am 3./4. Juni 1961 verdeutlichte die gegensätzlichen Positionen und verschärfte in den nächsten Wochen die Blockkonfrontation nochmals. Zusätzlich wurde die Situation durch öffentliche Verlautbarungen Kennedys, die u. a. eine Verstärkung der Aufrüstung sowie Garantien für Westberlin, die Präsenz der Westalliierten Truppen und den freien Zugang zur Stadt beinhalteten, angeheizt.

Wann die DDR aus Moskau die endgültige Genehmigung zur Schließung der Grenze in Berlin erhielt, war in der Forschung lange umstritten: Die SED-Führung hatte schon vor 1961 mit einer solchen Lösung geliebäugelt. Seit Beginn des Jahres 1961 verstärkten sich entsprechende Vorstöße Ulbrichts bei der sowjetischen Führung – da angesichts der Probleme und der ständig steigenden Fluchtzahlen die Existenz der DDR zunehmend infrage gestellt war. Die Lösung sah Ulbricht in der endgültigen Abriegelung der Grenzen und damit dem gewaltsamen Stopp des Exodus. Da die Sowjetunion nicht bereit war, die DDR als strategisch wichtiges Terrain im Rahmen der Blockkonfrontation aufzugeben, gab Chruschtschow schließlich der DDR-Regierung grünes Licht. Die offizielle Zustimmung wurde lange zwischen dem 3. und 5. August während einer Konferenz der Führer der Warschauer-Pakt-Staaten datiert.6 Die Einbeziehung weiterer Quellen und Memoiren sowie die genaue Rekonstruktion der Vorbereitungen in der DDR für den Tag der Grenzsperrung ergeben allerdings einen früheren Termin. Die Zustimmung auf der Moskauer Tagung wird damit primär als formaler Akt eingestuft. Demnach ist in direkter Abstimmung zwischen Ulbricht und Chruschtschow die Entscheidung zum Bau der Mauer Anfang bis Mitte Juli gefallen.7

Die Vorbereitungen zur Grenzschließung liefen unter strengster Geheimhaltung, was implizierte, dass nicht einmal die engste Führungsriege der SED informiert war.8 Neben Ulbricht selbst, der die Federführung nicht aus der Hand gab, waren Erich Mielke als Minister für Staatssicherheit, Innenminister Karl Maron, Heinz Hoffmann als Verteidigungsminister, Erwin Kramer als Verkehrsminister, Willi Stoph (stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats) sowie Paul Verner (1. Parteisekretär Berlin) und Alois Pisnik (1. Parteisekretär Magdeburg) involviert.9 Als Stabschef und später Leiter des unmittelbar vor dem 13. August einberufenen »Zentralen Einsatzstabes« fungierte Erich Honecker. Erst am 12. August zwischen 21.00 und 22.00 Uhr wurden die übrigen Mitglieder des Ministerrats und des Staatsrates von Ulbricht persönlich über die bevorstehende Aktion in Kenntnis gesetzt.

2. Themenfelder der Berichte

Die von der Zentralen Informationsgruppe des MfS in den Berichten des Jahres 1961 aufgegriffenen Themenfelder beleuchten – wie bereits erwähnt – das gesamte Spektrum der Problemlagen, mit der die DDR-Führung in dieser Zeit konfrontiert war. Insgesamt war der Informationsstand der Staatssicherheit außerordentlich gut. Sie zeichnet ein relativ differenziertes Bild der Situation, benennt die Schwachstellen und schlägt Maßnahmen vor, die auf eine Stabilisierung der Lage zielen. Die Berichterstattung erfolgte zu Einzelfällen oder durch thematisch gegliederte Einzel- bzw. Mehrfachberichte zu diversen Themen. Darüber hinaus fertigte die ZIG auch ausführliche Stimmungsberichte zu einzelnen Bevölkerungsgruppen oder mit regionalen Schwerpunkten an. Im Folgenden werden exemplarisch einige zentrale Themen der Berichterstattung der ZIG im Jahr 1961 herausgegriffen und näher analysiert. Dabei geht es zunächst um die naheliegenden Fragen: Was berichtete die Stasi? Wie und mit welcher Zielsetzung berichtete sie?

2.1 Versorgungslage, Wohnraummangel

Ein Dauerbrenner in den Berichten der Staatssicherheit ist die schlechte Versorgungslage und die daraus resultierenden Unzufriedenheiten in der Bevölkerung. Dies gilt nicht nur für das Jahr 1961, sondern für die gesamte Zeit der Berichterstattung von 1953 bis 1989. Dabei spielen einerseits die realen Versorgungslücken und mangelnden Konsummöglichkeiten in der DDR und andererseits die Konsumverheißungen »des Westens« eine zentrale Rolle.

Am 29. Mai 1958 wurden in der DDR die Lebensmittelkarten abgeschafft, und auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 hatte Walter Ulbricht in Anlehnung an eine sowjetische Parole vollmundig den Slogan »Überholen und Einholen« ausgegeben. Ziel war es, bis 1961 die Bundesrepublik im Pro-Kopf-Verbrauch von Lebensmitteln und Konsumgütern zu überflügeln. Dies wurde am 4. November 1958 nochmals in einem Kommuniqué des Politbüros zu Fragen der Versorgung und des Handels und der Verkündung des Siebenjahrplans 1959 bekräftigt.10 Wie utopisch derartige Vorhaben und Verlautbarungen waren, sollte sich bereits 1960 offenbaren. Die Industrie hatte mit Rohstoffproblemen zu kämpfen, und die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln wies zusehends Lücken auf.11 Die Situation verschärfte sich Anfang 1961 nochmals: Die Kündigung des Interzonenhandelsabkommens durch die Bundesrepublik zum Jahresende 1960, die negativen Auswirkungen der forcierten Kollektivierung der Landwirtschaft – worauf noch ausführlich einzugehen sein wird – und der Vergenossenschaftlichung von Handwerk und Handel zeitigten nun ihre Wirkung. Im ersten Vierteljahr 1961 wurden sogenannte »Kundenlisten« für Butter eingeführt und versucht, den Verbrauch verstärkt auf Margarine umzulenken.12 Dies führte durch eine ungerechte Verteilung und Missbrauchsversuche zu breitem Unmut und löste das Problem mitnichten. Über Hamsterkäufe, Meckereien, aber auch offene Proteste berichtet die Staatssicherheit aus den unterschiedlichsten Gegenden der DDR: In einem langen Bericht zur Versorgungslage vom Mai 1961 heißt es u. a.:

»In der Mehrzahl der Bezirke wurden zur ordnungsgemäßen Verteilung der Butter Kundenlisten eingeführt. Dadurch werden u. a. auch Angst- und Hamstereinkäufe in größerem Ausmaß vermieden. Durch diese Einschränkung im Verkauf von Butter in den meisten Kreisen und Bezirken kommt es jedoch in den Orten (vor allem in größeren Städten), in denen noch keine Kundenlisten für Butter bestehen, zu erheblichen Abkäufen durch ortsfremde Personen.«13

Auch unter der Hand erzählte Witze griffen das Thema Buttermangel auf: »Äußerungen wie ›Gagarin befände sich auf der Milchstraße auf der Suche nach Butter‹ oder ›Westdeutschland treibe den Straßenbau voran, damit wir endlich überholen könnten‹ halten sich hartnäckig«,14 wurde berichtet. Hier witterte man wie fast überall negative westliche Einflüsse. In diesem Zusammenhang beunruhigte die Staatssicherheit auch, dass »in Briefen nach Westdeutschland um die Zuteilung von Butter- und Wurstpaketen gebettelt wird und solche Pakete auch hier eintreffen«.15 Auf diese Weise wurde das Versagen der DDR-Planwirtschaft nicht nur durch westliche Medien in der Bundesrepublik verbreitet, sondern konnte mit eigenen Erfahrungen untermauert werden, was wohl kaum im Sinne der DDR-Propaganda vom prosperierenden Sozialismus sein konnte – weder in der DDR noch im Westen. Nicht alle beließen es beim Meckern, Witze erzählen oder dem Bestellen von Westpaketen. In einem Bericht aus den Bezirken über die Feiertage am 1. und 8. Mai beispielsweise wurde – wie in anderen Fällen auch – eine Verbesserung der Lebens- oder Arbeitssituation für politisches Wohlverhalten eingefordert:

»Im geringen Umfang machten Hausfrauen u. a. Kreise ihre Teilnahme an der Demonstration oder Beflaggung der Häuser von einer Erhöhung des Butterverkaufs abhängig. Dabei kritisierten sie die zzt. vorhandene Butterknappheit, den dadurch erforderlichen Verkauf der Butter auf Kundenlisten und die angeblich zu geringe Butterabgabe der Molkereien an die Milchlieferanten (nach Berichten aus den Bezirken Magdeburg, Halle, Suhl, Schwerin).«16

Weiter ging ein offener Protest in der Gemeinde Hennigsdorf im Norden von Berlin. Hier wurde im VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke von einem Ingenieur eine Resolution zur Versorgungslage verfasst:

»Mit großer Besorgnis beobachten wir die Wiedereinführung der Rationierung von Butter (Abgabe eines achtel Kilogramms nach Kundenliste pro Familie) und die mangelhafte Versorgung mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Brot, Obst, Gemüse sowie Fleisch und Wurstwaren. Wir fordern: 1. sofortige Beseitigung dieses anormalen Zustandes, 2. eine konkrete Stellungnahme zur Entstehung der Missstände – u. E. durch die übereilte Kollektivierung der Landwirtschaft hervorgerufen, 3. die Absetzung der für die Missstände Verantwortlichen. Soll das der Lohn für unsere jahrelange intensive Mitarbeit am Aufbau der Volkswirtschaft der DDR sein?«17

Das MfS trat daraufhin sofort auf den Plan, um eine weitere Verbreitung zu verhindern. Bis zur Beschlagnahmung der Resolution hatten bereits 30 Personen unterschrieben. Einen Tag später tauchten im gesamten Ort handgefertigte Plakate mit ähnlichem Inhalt auf. Das Vorgehen der Staatssicherheit in diesem Fall ist typisch für die Phase vor dem Mauerbau: Einerseits reagierte sie mit repressiven Mitteln, andererseits analysierte sie die Situation, ermittelte die Problemlagen und versuchte, Abhilfe zu schaffen, um die Lage wieder zu beruhigen. Im Fall Hennigsdorf bedeutete dies, dass sich auf der einen Seite der Initiator der Resolution einer »Aussprache« stellen musste und von der Stasi weiter genau beobachtet wurde. Außerdem wurden die Urheber der Unterschriftenaktion verfolgt. Im August 1961 wurden sechs Männer festgenommen, die an den diversen Aktionen beteiligt waren, und im Januar 1962 zu langen Haftstrafen verurteilt.18 Auf der anderen Seite wurde festgestellt, dass die Versorgungslage »tatsächlich nicht in Ordnung ist« und dies genauer vom MfS untersucht werden müsse. Bemerkenswert ist, dass das MfS zudem ein Versagen der Partei in den beiden Hennigsdorfer Großbetrieben feststellte: »Die Parteiorganisationen in beiden Betrieben standen diesen Diskussionen fast völlig passiv gegenüber. Es gab sogar einen Teil Genossen, die selbst negativ mitdiskutierten.« Um die Lage zu entschärfen, reagierte das MfS schnell und initiierte, dass nur zwei Tage nach dem Auftauchen der Resolution zusätzlich eine Tonne Butter und täglich 1 000 Brote an die Verkaufsstellen in Hennigsdorf geliefert wurden.19

Die Versorgungslücken und die daraus resultierenden Unzufriedenheiten und Protestbekundungen bezogen sich jedoch nicht nur auf Butter, sondern auf fast alle Verbrauchsgüter, besonders Molkereiprodukte, Fleisch, Wurst, Frischfisch, Geflügel, Kartoffeln, Gemüse, Backwaren, Edelspirituosen und Bekleidung.20 Auch in der zweiten Jahreshälfte waren die Probleme nicht geringer:

»Schwierigkeiten in der Versorgung zeichnen sich zurzeit in der Kartoffelbelieferung der Haushalte, in der kontinuierlichen Belieferung der Bevölkerung mit Fleisch- und Wurstwaren sowie bei Waschmittel, Edelgewürzen (insbesondere Pfeffer), Bohnenkaffee und zum Teil bei einigen anderen Warenarten wie Reis, Salz, Streichhölzer und Glühbirnen ab«,21 hieß es beispielsweise am 9. November 1961. Ende Oktober wurde berichtet, dass Gerüchte über Preiserhöhungen und anstehende Lebensmittellieferungen ins Kraut schossen. Ebenso seien Hamsterkäufe bei Mangelprodukten an der Tagesordnung.22 Diese wurden zur Abschreckung erneut strafrechtlich verfolgt.

Neben den fehlenden Produkten gab es immer wieder Überschussproduktionen, Fehlproduktionen, -planungen und -importe. Diese aus den Steuerungsdefiziten der Planwirtschaft resultierenden Dysfunktionen waren konstitutiv für das Versorgungssystem in der DDR.23 So fehlte es eigentlich an Textilien, gleichzeitig gab es »Überplanbestände« in unbekanntem Ausmaß, die als Ladenhüter in den Regalen liegen blieben.24 Ähnliches meldete die Stasi über die Vernichtung eines größeren, angeblich nicht zu verkaufenden Schuhbestandes, was zu erheblicher Kritik seitens der Bevölkerung geführt habe.25 Geflügelfleisch war knapp, zeitgleich verdarb es in größerem Umfang in Neubrandenburg wegen mangelhafter Lagerungsmöglichkeiten.26 Im Oktober 1961 machte das MfS auf einen anderen Fall, der den Import von Lebensmitteln betraf, aufmerksam. So wurden massenhaft Gemüsesorten importiert, die entweder ausreichend vorhanden waren oder – wie Paprika – nicht dem Geschmack der Bevölkerung entsprachen.27 Fehlende Gemüsesorten wurden hingegen nicht geordert. Diesen Bericht nutzte die Staatssicherheit zur Kritik an den für die Fehlimporte verantwortlichen staatlichen Stellen.

Weniger verhalten kritisierte und agierte das MfS in einigen Fällen von Beschwerden über die Wohnsituation. Die Wohnraumlage in der DDR zu Anfang der sechziger Jahre war katastrophal. Die Wohnungsbewirtschaftung funktionierte nicht, bei der Verteilung grassierte Vetternwirtschaft, der Wohnungsneubau ging nicht voran, da es an Materialien, Investitionen und Arbeitskräften fehlte. Die Instandsetzung des Altbaubestandes scheiterte aus den gleichen Gründen. Das Wohnraumproblem wurde bis zum Ende der DDR nie ganz gelöst. Wohnraumfragen aller Art bestimmten bis zu 50 Prozent der Eingaben von DDR-Bürgern, egal zu welchem Zeitpunkt.28 Und noch im Jahr 1971 hatten 92 Prozent der Wohnungen keine moderne Heizung, 66 Prozent waren ohne Bad und WC, 29 Prozent hatten kein fließendes Wasser und 19,5 Prozent galten als unbewohnbar.29 Ausstattung und Größe der Wohnungen waren ein weitverbreitetes Unzufriedenheits- und Konfliktpotenzial. Nicht selten war es die schlechte bis unzumutbare Wohnungssituation, die sich trotz zahlreicher Eingaben und Beschwerden nicht änderte, die den Entschluss zur Flucht in den Westen begünstigte, wenn nicht gar auslöste.

Einerseits wurden grundsätzliche Analysen der Mängel in der Bauwirtschaft angefertigt. So konstatierte das MfS bereits im März 1961: »Nach vorliegenden Hinweisen sind beim Anlauf des Bauwirtschaftsplanes 1961 trotz verhältnismäßig günstiger Witterung bereits wieder erhebliche Rückstände in der Erfüllung der Bauproduktion und in der Baustofferzeugung aufgetreten.«30 Andererseits griff sich die Staatssicherheit offenbar gezielt Fälle von Leistungsträgern heraus, die in nicht zumutbaren Wohnverhältnissen leben mussten und trotz zahlreicher Eingaben und Beschwerden an der »bürokratische[n] und herzlose[n] Arbeitsweise« der zuständigen Stellen gescheitert waren.31 Um nur zwei Beispiele herauszugreifen: Der erste Fall betrifft einen Physiker, der aus der DDR flüchtete: »Nach seiner Heirat im Frühjahr 1960 stellte [Name 2] Antrag auf eine Wohnung. Im Mai 1960 wurde ihm vom Betrieb eine Wohnung zugesichert, aber von seinem Beitritt in den FDGB abhängig gemacht. Als sich [Name 2] einen Monat später nochmals wegen einer Wohnung erkundigte, erklärte ihm der BGL-Vorsitzende: ›Sie haben hier nichts zu sagen, Sie sind nicht Mitglied des FDGB.‹«32 Beim zweiten Fall handelt es sich um einen Diplom-Geologen vom Geologischen Dienst in Schwerin, der die Absicht hatte, die DDR zu verlassen. »[Name 1] bewohnte mit seiner Ehefrau nur ein kleines Zimmer ohne Ofen und wartete bereits seit zwei Jahren auf die Zuweisung einer Wohnung. Seine Ehefrau ist hoch schwanger. Trotz aller Bemühungen bekamen sie keinerlei Unterstützung von den staatlichen Stellen und wandten sich deshalb mit ihrer Bitte an das MfS33 Das MfS löste diesen Einzelfall, und der Geologe blieb in der DDR. Mit solchen exemplarischen Fällen konnte das MfS bei den Adressaten der Berichte in der Staats- und Parteiführung zweierlei erreichen: Zum einen machte es auf das Fehlverhalten von unteren und mittleren Amtsträgern aufmerksam, das dazu führen konnte, hochqualifizierte Leute aus dem Land zu treiben. Zum zweiten konnte sich das MfS als Krisenmanager profilieren, indem nicht nur Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, sondern konkret gehandelt und Abhilfe geschaffen wurde.

Indirekte, aber vor allem direkte und dezidierte Kritik am Fehlverhalten von Funktionären aller Art und aller Hierarchieebenen seitens des MfS ist in vielen Berichten des Jahres 1961 zu finden. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu der Berichterstattung der späteren Dekaden. Die formulierte Kritik geht in der Regel mit Verbesserungsvorschlägen einher. Dies gilt auch und in besonderem Maße für die Probleme in Industrie, Versorgung und Landwirtschaft.

2.2 Probleme in der Landwirtschaft

Ein wichtiges Themen- und Problemfeld im Berichtskorpus des Jahres 1961 betrifft die Landwirtschaft. Dabei stehen drei thematische Schwerpunkte im Mittelpunkt: Schwierigkeiten bei der weiteren Etablierung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), die mangelhaften Ertragsergebnisse in Feld- und Viehwirtschaft und das zu scheitern drohende »Rinder-Offenstallprogramm«.

Die meisten Probleme standen im Zusammenhang mit der im Vorjahr erfolgten weitgehenden Vollkollektivierung der Landwirtschaft. Auf der 7. ZK-Tagung im Dezember 1959 hatte die SED-Führung Rückstände in der landwirtschaftlichen Produktion konstatiert. Das Politbüro wurde mit der Erarbeitung eines Papiers zur vollständigen Kollektivierung beauftragt; Mitte Januar 1960 gab es den Startschuss zum baldigen Vollzug.34 In den folgenden Wochen und Monaten gewann der Kollektivierungsprozess aufgrund eines Wettbewerbs der mittleren und unteren Funktionärsebene eine Dynamik, die wohl sogar über das hinausging, was die politische Führung beabsichtigt hatte. Mit Pressionen aller Art und teilweise auch mit falschen Versprechungen gelang es, bereits nach drei Monaten einen Zustand zu erreichen, der es erlaubte, im April das offizielle Ende der Kampagne zu verkünden. Gleichzeitig stieg die Zahl der Bauern, die sich den Zumutungen des DDR-Regimes und seinen Kollektivierungsplänen durch Flucht in die Bundesrepublik entzogen, im Jahr 1960 rapide an und erreichte bald einen Höhepunkt. Im ganzen ersten Halbjahr 1960 wurden 5 590 Fälle von Republikflucht verzeichnet, das bedeutete eine Steigerung gegenüber dem 1. Halbjahr 1959 um 130 Prozent, gegenüber 1958 sogar um 280 Prozent.35

In der Zeit vom 1. Dezember 1959 bis 31. Mai 1960 wurden 524 083 Neueintritte von Bauern in eine LPG verzeichnet. Die meisten von ihnen traten dem Typ LPG I bei, bei dem lediglich der Boden in die Genossenschaft eingebracht werden musste. In nur drei Monaten – von März bis Mai 1960 – wurden zwei Drittel der LPG Typ I neu gegründet.36 Allerdings waren zahlreiche LPG nur rein formal gegründet worden, ohne dass es zu einer gemeinschaftlichen Bewirtschaftung des Bodens kam. Hinzu kamen vielfältige Protest- und Verweigerungsformen sowie ökonomische Schwierigkeiten, die mit dem Umstellungsprozess zusammenhingen.37

All diese Probleme zogen sich in das Jahr 1961, verstärkten sich teilweise noch und neue kamen hinzu. Die LPG funktionierten nicht, da viele Bauern wieder austraten oder nur zum Schein Mitglied blieben, ihre Höfe und den Boden aber nach wie vor in Eigenregie bewirtschafteten. Hinzu kam ein eklatanter Mangel an Produktionsmitteln und qualifizierten Arbeitskräften. Beklagt wurde konkret: Futtermittelknappheit, Düngemittelmangel, Ersatzteilmangel, zu wenig Maschinen, hohe Viehsterblichkeit, Fachkräftemangel.38 Bauern, die zwangsweise zu einer LPG Typ I zusammengefasst worden waren, weigerten sich teilweise nach wie vor, die genossenschaftliche Arbeit tatsächlich aufzunehmen und führten dabei folgende Argumente an: »die unterschiedlichen Bodenwertzahlen verteuerten die genossenschaftliche Arbeit (besonders im Bezirk Potsdam); der Maschinenpark der MTS reiche nicht aus (in allen Bezirken); das Prinzip der Freiwilligkeit sei verletzt und die Bauern wären gezwungen worden, in die LPG einzutreten (in allen Bezirken); die sozialistische Umgestaltung wäre verfrüht und das Bewusstsein der Menschen noch nicht so weit entwickelt gewesen (in allen Bezirken); starke Familienbetriebe würden eine höhere Produktion bringen als die LPG (besonders noch im Bezirk Dresden).«39 Häufig – so das MfS – verwiesen die Betroffenen auf Polen. Dort wurde 1956 die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft unterbrochen.40 Um gegen die »Auflösungserscheinungen« in den LPG vorzugehen, bedienten sich SED und Staatssicherheit einer Doppelstrategie: Einerseits versuchten sie – allerdings selten erfolgreich – die Rahmenbedingungen zu verbessern, also mehr und bessere Produktionsmittel oder Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Andererseits reagierten sie mit Druck und Repression. Beispielsweise hieß es in einem Bericht vom Juli 1961:

»Im Kreis Görlitz lagen 64 Austrittserklärungen vor. Nach Einsatz von Partei, Ministerium für Staatssicherheit und anderen Stellen des Staatsapparates nahmen 60 Bauern die Austrittserklärung zurück. Das Ministerium für Staatssicherheit Berlin hat erfahrene Spezialisten in die Schwerpunktkreise gesandt, um in kürzester Frist die Hintermänner und Organisatoren aufzudecken und im richtigen Moment Festnahmen zu tätigen.«41

Besonders bedrohlich für das DDR-Regime war, dass sich nun – anders als noch 1960 – die Folgen der rückläufigen und schlechten Bewirtschaftung durch den erheblichen Rückgang der Erträge bemerkbar machten. Zusätzlich verschärft wurde die Lage bei der Fleischerzeugung durch die ideologisch begründete Auflegung des sogenannten Offenstallprogramms. Auf der 33. Tagung des ZK am 16./17.10.1957 war die Errichtung von Offenställen für Rinder nach sowjetischem Vorbild beschlossen worden. Anders als intendiert, führte dies angesichts der spezifischen Bedingungen in der DDR zu einem Produktionsrückgang. Durch fehlendes Baumaterial wurden die Ställe nicht fertig oder hygienisch nur unzureichend ausgestattet.42 Die Folgen waren eine wesentlich höhere Viehsterblichkeit als normal. Kaum verwundert, dass das Programm bei den Bauern in der Kritik stand. So stellte die Stasi resigniert fest: »Neben dem ökonomischen Schaden muss der eingetretene große politische Schaden gesehen werden.«43

2.3 Weitere wirtschaftliche Defizite

Auch die mangelnde Funktionstüchtigkeit anderer Zweige der DDR-Wirtschaft wird in der Berichterstattung des Jahres 1961 thematisiert. Es geht dabei vor allem um die mangelhafte Versorgungslage und Probleme der Produktion. Zudem wird über Einzelprobleme wie Havarien oder den Ersatzteilmangel in Betrieben oder ganzen Wirtschaftszweigen berichtet.44 Zum dritten ist die Umsetzung von Kampagnen wie die »Störfreimachung der Wirtschaft« Gegenstand der Berichterstattung.45 Zum vierten geht es um die 1961 erfolgte Umorganisation der Planungsinstanzen.

Im Juli 1961 wurde – nach sowjetischem Vorbild – die Leitung der Wirtschaft organisatorisch aufgeteilt. Es wurde ein Volkswirtschaftsrat (VWR) gegründet, der für die jährlichen Wirtschaftspläne und die alltägliche operative Leitung der Industrie zuständig war. Die Zentrale Staatliche Plankommission (SPK), die bis dahin die zentrale Instanz zur Steuerung der DDR-Wirtschaft gewesen war, wurde auf die Perspektivplanung und die Abstimmung der Jahrespläne beschränkt.46 Der langjährige Vorsitzende der SPK, Bruno Leuschner, wurde im Zuge der Umstrukturierung durch Karl Mewis abgelöst. Gerade in Wirtschaftsfragen galt, dass die SED-Führung die Richtlinien vorgab. Es entschieden letztlich Politbüro und Sekretariat der Partei. Zentral waren dabei Walter Ulbricht in seiner Funktion als Erster Sekretär des ZK und der jeweilige Sekretär für Wirtschaftsfragen. Seit Juli 1961 hatte Erich Apel, der 1963 dann auch Vorsitzender der SPK wurde, dieses Amt inne.47 Die Umorganisation der Wirtschaftsplanung erschien notwendig, da die 1958 auf dem V. Parteitag und im Siebenjahrplan postulierten Ziele immer weniger realistisch erschienen. Im Mai 1961 hatte die Staatliche Plankommission aus diesem Grund bereits den Siebenjahrplan geändert, indem sie die bisherigen Planziele nach unten korrigierte. In diesem Zusammenhang legte die Staatssicherheit im Juni 1961 einen langen Bericht über »Mängel und Missstände in der Leitungstätigkeit der Staatlichen Plankommission« vor.48 Einführend wurden grundlegende Schwächen in der Wirtschaftsplanung konstatiert:

»Im Wesentlichen wird die gegenwärtige Situation so eingeschätzt, dass die Organisation der Arbeit, die Systematik bei der Planaufstellung, -bilanzierung und -abrechnung sowie die Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit der Planerarbeitung eine rückläufige Tendenz aufweisen. Die Pläne werden zu überhastet und unvollkommen aufgestellt, sodass sich zwangsläufig später Korrekturen notwendig machen. Die mangelhafte Planung und Anleitung wird dabei oft zum Hemmnis einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation.«49

Es folgten ausführliche Beschreibungen der Lage in der Staatlichen Plankommission, der Grundstoffindustrie, der Chemischen Industrie, dem Maschinenbau sowie der Leicht- und Lebensmittelindustrie. In allen Bereichen machte das MfS grundsätzliche Mängel aus, die von der Nichterfüllung der Planvorgaben, über fehlerhafte Produktion, den Mangel an Produktionsmitteln bis hin zu Kritik am Personal und den zentralen und regionalen Planungsinstanzen gingen. Darüber hinaus, so das Fazit, täusche die Plankommission die politische Führung:

»Einzelne Hinweise lassen aber auch die Schlussfolgerung zu, dass auf Anregung leitender Funktionäre der SPK bestimmte, für das ZK der SED bestimmte Dokumente über die Versorgung der Bevölkerung so erarbeitet und redigiert werden, dass sie nicht mehr die reale Lage widerspiegeln, sondern Disproportionen, objektive und subjektive Mängel verschleiern.«50

Ein derart schonungsloser Hinweis auf Fehlverhalten eines zentralen Ministerratsorgans und seines Führungspersonals ist eher ungewöhnlich. Er ist wahrscheinlich im Kontext der bereits geplanten strukturellen und personellen Veränderungen im Bereich der zentralen Wirtschaftsorgane zu sehen, zu denen hier gleichsam Begründungen geliefert wurden. Der Bericht weist allerdings keinen Verteiler auf, sodass davon auszugehen ist, dass er nicht extern verschickt wurde. Dass er aber Walter Ulbricht durch Erich Mielke direkt zur Kenntnis gegeben wurde, ist nicht auszuschließen.

Am 10./11.10.1961 fand dann in Ostberlin eine Wirtschaftskonferenz des ZK statt. Thema waren »Fragen der Verbesserung und Vervollkommnung der Planung und Leitung der Volkswirtschaft«. Auch hierüber berichtete das MfS ausführlich.51 Vor allem die Kritikpunkte der einzelnen Teilnehmer an wirtschaftspolitischen Einzelmaßnahmen werden detailliert aufgelistet – u. a. wurde zur Optimierung der Planung die Ausschaltung der SPK diskutiert. Es entsteht der Eindruck, dass die Berichterstatter zweierlei mit diesem Bericht erreichen wollten: zum einen die Schwächen des Planungssystems aus Sicht von Wirtschaftsexperten mit dem Ziel einer Verbesserung Ulbricht zur Kenntnis bringen. Zum anderen wurden so Informationen zu Amtsträgern an die politische Führung gegeben, die zu einem anderen Zeitpunkt gegebenenfalls gegen sie verwendet werden konnten.

2.4 Unfähigkeit und Verfehlungen im Staatsapparat

Auch leitende Kader und Amtsträger auf allen Ebenen waren im Visier des MfS. Im Fokus standen »Verfehlungen« aller Art: »unmoralischer« Lebenswandel, Alkoholkonsum, Korruption, politische »Unzuverlässigkeit« und fachliche Mängel. Die Erkenntnisse wurden selten sofort nach Bekanntwerden gegen die entsprechenden Personen eingesetzt, sondern häufig – oft über einen langen Zeitraum – gesammelt und erst dann eingesetzt, wenn die entsprechenden Personen ihrer Ämter enthoben oder gemaßregelt werden sollten.

Das Spektrum der Berichte, die eine Kritik an Amtsträgern enthalten, reicht von den Ministerien bis hinunter zur Kreis- und Ortsebene. Sogar vor einer grundsätzlichen und offenen Kritik an einem Minister – ein eher seltener Vorgang – scheute das MfS im Jahr 1961 bei der Berichterstattung nicht zurück. Im Dezember 1961 wurde in einer Information über »Mängel in der Leitungstätigkeit des Ministeriums für Verkehrswesen« Verkehrsminister Erwin Kramer persönlich für die Missstände verantwortlich gemacht.52 Ansatzpunkt für den Bericht waren Planrückstände und »der ungenügende Kampf um die Durchsetzung der Parteibeschlüsse«. So wurde Kramer für Fehlinvestitionen verantwortlich gemacht. Darüber hinaus wurde ihm schlechtes und unorganisiertes Führungsverhalten und mangelnde fachliche Kompetenz unterstellt.

»Nach übereinstimmenden Einschätzungen von Teilnehmern an dieser [Parteiaktiv-]Tagung war auch das vom Genossen Minister Kramer gehaltene Referat unqualifiziert, ohne konkrete Schlussfolgerungen für das Verkehrswesen und gab damit keine Orientierung. Die Aktivtagung musste deshalb abgebrochen und zu einem späteren Termin fortgesetzt werden.«53

Im Dokumentenkopf des betreffenden Berichts findet sich ein handschriftlicher Vermerk von Erich Apel mit folgendem Wortlaut: »Zurück an Gen. Mielke. Gen. Stoph ist von Gen. W. Ulbricht beauftragt, entspr. Maßnahmen durchzuführen. Ich habe Gen. Stoph internes Material gegeben.«54 Dennoch hatte die MfS-Kritik offenbar keine weitreichenden Konsequenzen für Erwin Kramer – er blieb bis 1970 sowohl Verkehrsminister als auch Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn.

Neben dem Verkehrsministerium stand das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel in der Kritik. Hier wurden vor allem der unkoordinierte und verschwenderische Umgang mit Devisen, eine Einflussnahme der westlichen Industriekonzerne auf die DDR-Wirtschaft und Korruption bemängelt.55 Als Ursache wurde die »ungenügende Führungs- und Leitungstätigkeit […] sowohl in politisch-ideologischer als auch in rein fachlicher Hinsicht […] vieler mittlerer Funktionäre bis hinauf zu den Bereichs-Ministern«56 ausgemacht.

Weitere Aufschlüsse über das Verhältnis von MfS, SED und Staatsapparat auf Bezirks- und Kreisebene geben zwei Berichte.57 Hier tritt die Kontroll- und Überwachungsfunktion des MfS gegenüber dem Staatsapparat zutage. In besonderen Fällen, wie dem Bericht über »Mängel der politischen Führungsarbeit im Bezirk Karl-Marx-Stadt«, scheint sogar Kritik am regionalen Parteiapparat auf.58

Die aufgeführten Beispiele aus den Bezirken und Kreisen der DDR verweisen auf das Selbstverständnis des MfS als allgemeinem Kontrollorgan. Dieses wird auch in einleitenden Formulierungen deutlich wie: »Eine Reihe wichtiger Hinweise veranlassen das MfS, zur Lage im Staatsapparat Stellung zu nehmen. Die vielseitigen Mängel in der Arbeitsweise des Staatsapparates auf den unterschiedlichen Verwaltungsebenen zeigen bei der Analyse des vorliegenden Materials folgende Schwerpunkte.«59 Gleichzeitig versäumt das MfS es nicht, deutlich zu machen, dass es im Auftrag der Partei handelt. So wird hervorgehoben, dass bei »allen angeführten Fragenkomplexen […] das Einwirken der Parteiorgane zu bestimmten Problemen mit beachtet« wurde.60 Der Inhalt der Berichterstattung dürfte für die Parteiführung unangenehm gewesen sein – so gut wie auf allen Ebenen – Räte, Kreistage, Bürgermeister usw. – werden Schwierigkeiten, Unvermögen, politische Unzuverlässigkeit und Eigensinn, der sich in einer kreativen Umsetzung oder Nichtbefolgung der Beschlüsse von Partei und Regierung niederschlug, festgestellt. Neben der fehlenden oder mangelnden »Anleitung« durch die Partei verweist das MfS auf die schädlichen Einflüsse der westlichen »politisch-ideologischen Diversion«. Die ideologische Situation im Staatsapparat sei dadurch »charakterisiert, dass ein Teil der Mitarbeiter in den Grenzkreisen und Bezirken sich laufend die Programme des Westfernsehens ansieht und damit den politischen Einflüssen des Klassengegners unterliegt«.61

Ein anderes Problem, das die Staatssicherheit in Bezug auf die Verhaltensweisen von Amtsträgern sah, hatte neben der politisch-moralischen auch eine geheimdienstliche Dimension. Einleitend zu einem Bericht »über unmoralisches Verhalten von mittleren und leitenden Kadern des Staatsapparates und seine Auswirkungen« heißt es:

»Vom MfS wurden eine Reihe Hinweise auf unmoralisches Verhalten mittlerer und leitender Kader des Staatsapparates zum Anlass näherer Untersuchungen dieses Komplexes genommen, weil diese den Forderungen der Partei entgegenstehenden und allein schon vom Standpunkt der sozialistischen Moral und Ethik zu verurteilenden Erscheinungen wiederholt auch andere äußerst schädliche Auswirkungen zur Folge hatten. Sie führten z. B. zu Republikflucht und Verrat, zur Nichterfüllung der fachlichen Aufgaben, zu unkritischer und versöhnlerischer Atmosphäre und stellen ferner in ihrer Gesamtheit einen nicht zu unterschätzenden Anknüpfungspunkt für feindliche Zentralen und Geheimdienste dar. Dem MfS liegen sowohl aus der Vergangenheit als auch aus jüngster Zeit zahlreiche Materialien vor, die beweisen, dass die Ausnutzung moralischer Schwächen eine der Hauptmethoden des Gegners ist, um Bürger der DDR, besonders aber mittlere und leitende Funktionäre (in den meisten Fällen SED-Mitglieder) unter Druck zu setzen und sie für eine feindliche Tätigkeit anzuwerben oder auszunutzen.«62

Diese Befürchtungen des MfS waren nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn ein solches Vorgehen entsprach durchaus den geheimdienstlichen Usancen in Ost und West. Im weiteren Verlauf des Berichtes wurden dann auch konkrete Beispiele angeführt. Bemerkenswert ist das Vorblatt zu diesem Bericht, aus dem hervorgeht, dass man nur gegenüber Ulbricht bereit war, die Fakten offenzulegen. Denn, so hieß es: »Eine Reihe der im vorliegenden Bericht genannten Personen wird vom MfS operativ bearbeitet, und in vielen Fällen besteht auch die Gefahr einer Dekonspiration unserer Quellen, falls die im Bericht angeführten konkreten Fakten bekannt werden.«63 Bei einem größeren Verteiler müsse der Bericht in »anonymer Form gehalten werden«. Dies verweist einmal mehr auf die strengen Regeln der Konspiration bei der Berichterstattung, welche auch im Hinblick auf höchste Funktionsträger galten, sowie auf die Exklusivität des Verhältnisses zwischen SED-Chef und Staatssicherheit.

»Eine moralische Versumpfung«64 stellte das MfS insbesondere im Kultur- und Medienbereich fest. Dies galt für führende Redakteure von »Radio DDR« genauso wie für Angehörige des Führungspersonals der »Hochschule für angewandte Kunst«.65 Einen ähnlichen Tenor hat ein langer Bericht mit der Überschrift »Gesichtspunkte zur Verbesserung der Spielfilmproduktion der DEFA«, der die »politisch-kulturellen Unzulänglichkeiten« bei der DEFA zum Gegenstand hat. Hier wird politische Unzuverlässigkeit von Führungspersonal in unterschiedlichen Bereichen gepaart mit moralischem Fehlverhalten in Form von unehelichen Verhältnissen, erhöhtem Alkoholkonsum und westlichen Einflüssen für die Nichteinhaltung der Vorgaben der SED-Kultur- bzw. Filmpolitik verantwortlich gemacht:

»Ebenfalls ein Ausdruck der ungesunden Atmosphäre im DEFA-Studio für Spielfilme ist der nach wie vor schlechte moralische Zustand unter einem Teil der künstlerischen Mitarbeiter. Eine Vielzahl außerehelicher Verhältnisse, Trinkgelage und regelrechter Orgien sexueller Art beweisen das. Obwohl sich diese unmoralischen Erscheinungen in starkem Maße hemmend auch auf die fachlichen Aufgaben auswirken, gibt es keine konsequenten Auseinandersetzungen darüber, sondern die fachliche und politische Leitung, die in den meisten Fällen und seit langer Zeit von diesem unmoralischen Verhalten wissen, duldet diesen Zustand mehr oder weniger stillschweigend.«66

Die Lösung der Misere sah man in der Ablösung des Studiodirektors und der nachdrücklicheren Durchsetzung der Parteilinie.67

2.5 Fluchtbewegung

Die anhaltende Fluchtbewegung Richtung Westen war der entscheidende Grund für den Bau der Berliner Mauer. Dem SED-Regime war es weder durch die Schließung der Westgrenze im Jahr 1952 noch durch Zugeständnisse, Propaganda oder polizeiliche Maßnahmen gelungen, den Strom Richtung Bundesrepublik zu stoppen. Die Zahl der Flüchtlinge entwickelte sich seit Beginn der fünfziger Jahre in einer Art Wellenbewegung – vor allem abhängig vom jeweiligen politischen Kurs der SED-Führung und der ökonomischen Lage der DDR.68

Von 1951 bis Ende Juli 1961 verließen 2 613 370 Personen die DDR.69 Nachdem vor allem rechtliche Maßnahmen und eine gewisse ökonomische Konsolidierung in den Jahren 1958 und 1959 zu einem Rückgang der Abwanderung geführt hatten, stiegen die Fluchtzahlen 1960 u. a. als Folge der forcierten Kollektivierung in der Landwirtschaft wieder an. In den ersten sieben Monaten des Jahres 1961 verließen 124 242 und allein im August noch einmal 49 000 Personen die DDR. Neben den politischen Motiven gab es ein ganzes Bündel von Gründen, die DDR zu verlassen70 – manche waren gruppenspezifisch, andere allgemeiner Art. Eine gewisse Rolle spielten persönliche Motive im engeren Sinn wie Familienzusammenführungen und Liebesbeziehungen. Unzufriedenheit mit der Versorgungslage, den Verdienstmöglichkeiten und den Arbeits- und Lebensbedingungen waren allgemein verbreitet. Daneben gab es Auslöser, die gruppenspezifisch waren wie die Zwangskollektivierung für die Bauern oder die Vergenossenschaftungen für Handwerker und kleine Gewerbetreibende. Eine besondere Rolle spielte auch die Situation im Gesundheitswesen und der niedergelassenen Ärzte. Für viele Akademiker war darüber hinaus ein wichtiges Motiv, ihren Kindern ein Studium und damit eine bessere Zukunft zu ermöglichen, von dem sie in der DDR aus gesellschaftspolitischen Gründen häufig ausgeschlossen wurden. Oft war jedoch eine Gemengelage von Ursachen für den Entschluss, in die Bundesrepublik zu gehen, ausschlaggebend.

Wie reflektierte die Stasi den erneuten Anstieg der Fluchtzahlen im Jahr 1961? In den zusammenfassenden Quartalsberichten über die »Entwicklung der Republikflucht« wurden neben den aktuellen Zahlen eine Aufgliederung nach Berufsgruppen, eine Analyse der Fluchtgründe, Bekämpfungsmaßnahmen – Erfolge und Misserfolge – sowie Möglichkeiten der Ursachenbehebung dargelegt. Exemplarisch sei hier der Bericht vom 18. Mai 1961 herausgegriffen.71 Zunächst wurden »Ärzte, Lehrer, Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker, Handwerker, Gewerbetreibende, Genossenschaftsbauern und -mitglieder sowie Arbeiter und Angestellte der Industrie« als diejenigen benannt, bei denen ein Anstieg der Fluchten festgestellt worden war.72 Als Maßnahmen zur wirkungsvollen »Bekämpfung der Republikflucht« wurden vom MfS »Aussprachen« mit den Betreffenden bevorzugt, um sie so – mit Drohungen und Versprechungen – von ihrem Vorhaben abzubringen. Auch »Mängel bei der Bekämpfung« wurden ausgemacht – diese aber natürlich nicht beim MfS, sondern bei den »verschiedenen örtlichen Organen«, der Volkspolizei und den Massenorganisationen. Bei der ausführlichen Analyse der Gründe für die Fluchten wird an erster Stelle mangelnde politische Überzeugung verantwortlich gemacht:

»Übereinstimmend wird in vorliegenden Materialien eingeschätzt, dass bei der Mehrzahl der untersuchten Republikfluchten die Ursachen wiederum darin liegen, dass das Bewusstsein dieser Personen mit der Entwicklung in der DDR nicht Schritt gehalten hat. Bei einer großen Anzahl dieser Personen waren erhebliche politisch-ideologische Schwankungen und Unklarheiten vorhanden. Außerdem bestanden überwiegend bereits Verbindungen zu Verwandten oder bereits flüchtigen Personen nach Westdeutschland. Vielfach waren diese Personen auch ständige Hörer des West-Rundfunks und West-Fernsehens, wodurch die Unklarheiten noch verstärkt wurden.«73

Der Verweis auf den Einfluss des Westens und der Westmedien findet sich – entsprechend dem MfS-Konzept der »politisch-ideologischen Diversion« – in vielen Berichten. Bezogen auf die Fluchten kommt allerdings ein besonderes Thema hinzu, das auch in der SED-Propaganda eine große Rolle spielte: die »Abwerbung« von DDR-Bürgern durch westliche Firmen, Forschungseinrichtungen, Universitäten oder staatliche Stellen. Diesem hoch ideologisierten Thema ist sogar ein eigenständiger Bericht gewidmet.74 »Dem MfS wurden in letzter Zeit erneut Hinweise bekannt, die beweisen, dass der Gegner im Rahmen der psychologischen Kriegsführung gegen die DDR weiterhin bestrebt ist, durch umfangreiche und vielseitige Maßnahmen Republikfluchten zu organisieren«,75 hieß es im März 1961. Bei den diesbezüglichen Beobachtungen scheint es sich allerdings nicht nur um ideologische Konstruktionen des MfS zu handeln. Bundesdeutsche Firmen und andere Einrichtungen haben offenbar auch durchaus gezielt um DDR-Bürger geworben. Als weitere Fluchtgründe wurden die schlechten Wohnverhältnisse, »Verärgerung durch herzloses und sektiererisches Verhalten von Mitarbeitern des Staatsapparates und der Betriebsleitungen«, Angst vor Bestrafungen sowie die Flucht vor »zerrütteten Familienverhältnissen« genannt. Darüber hinaus wurden Motivationslagen einzelner Berufsgruppen aufgelistet: Bei Ärzten die schlechte Ausstattung der Kliniken mit Planstellen, schlechte Bezahlung, Mangel an hochwertigen Konsumgütern; bei der »technischen Intelligenz« mangelnde berufliche Perspektiven, zu geringer Lohn sowie die schlechte Versorgungslage in der DDR. Entsprechende Versäumnisse und Fehlverhalten machte das MfS bei anderen Organen aus:

»Die Bekämpfung der Republikflucht wird weiterhin dadurch behindert oder führt dadurch noch nicht zu den möglichen Erfolgen, dass die Organe des Staatsapparates, die Parteien und Massenorganisationen ungenügend die Erscheinungen beseitigen, die die Republikflucht begünstigen. Zu den wesentlichsten Problemen zählen dabei weiterhin bürokratische und administrative Arbeitsweise, ungenügender Kontakt zur Bevölkerung, Nichtbeachten von Kritiken und Vorschlägen und diktatorisches und herzloses Verhalten. In einer Reihe von Fällen konnten aus diesen Gründen geplante Republikfluchten durch klärendes Eingreifen der Organe des MfS verhindert werden.«76

Neben den zusammenfassenden Quartalsberichten wurden zu wichtigen Einzelfällen Berichte gefertigt. Dies war dann der Fall, wenn es sich bei den »Republikflüchtigen« um Prominente oder Personen, deren Arbeit für die DDR als zentral eingeschätzt wurde, handelte. Gleiches gilt für Bürger, die als politisches »Risiko« eingestuft wurden. Einzelfälle sind u. a der Leiter des »Heinrich-Hertz-Institutes«, ein führender Chemiker aus dem Chemiekombinat Bitterfeld, der designierte Direktor des Leipziger Zoos, ein Mitarbeiter des DDR-Außenministeriums, ein Mitarbeiter der SED-Kreisleitung Wismar, Funktionäre von CDU und LDPD oder der Sohn eines stellvertretenden Ministers.77 In solchen Fällen wurde versucht, die Gründe für die Flucht zu ermitteln, das persönliche und betriebliche Umfeld auszuleuchten und nicht selten, die Betreffenden zur Rückkehr zu bewegen. Auch in Einzelberichten zur Situation von Jugendlichen oder der Intelligenz spielte die Frage einer latenten bzw. realen »Republikfluchtgefahr« und deren Verhinderung eine wichtige Rolle.

Insgesamt setzte das MfS bei seinen »Empfehlungen« zur »Eindämmung der Republikflucht« nicht nur auf repressive Maßnahmen, sondern versuchte, Missstände zu beheben, allerdings ohne politische Kompromisse einzugehen. Dabei war die Staatssicherheit ganz offensichtlich bemüht, sich auf Kosten anderer staatlicher Stellen zu profilieren. Dies sollte sich während und nach dem Mauerbau noch verstärken.

2.6 Der Mauerbau und die unmittelbaren Reaktionen

Die Staatssicherheit verfasste über die Aktion »Rose« – so der Codename für den im Zusammenhang mit der Grenzschließung am 13. August 1961 stehenden Maßnahmenkomplex – und die »Reaktion auf die Maßnahmen zur Sicherung der DDR« bis zum 16. August zwölf Berichte, davon allein fünf am 13. und vier am 14. August. Von da an wurde bis zum 3. September zu diesem Thema nur noch einmal täglich berichtet. Wichtigster externer Adressat war – neben den sowjetischen Verbindungsoffizieren – der sogenannte Zentrale Einsatzstab, der für die Umsetzung der Abriegelungsmaßnahmen zuständig war und unter der Leitung von Erich Honecker (ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen) stand.78 SED-Chef Walter Ulbricht steht nur selten im Verteiler; ihm dürften die Berichte aber von Honecker oder Mielke, dem oftmals mehrere Exemplare zur Verfügung standen, zugänglich gemacht worden sein.

Die Themenschwerpunkte der Berichterstattung variieren je nach Zeitphase. Noch während der ersten »Grenzsicherungsmaßnahmen« versäumte es die Staatssicherheit nicht, ihre eigene Rolle ins rechte Licht zu rücken. Dabei kam ihr eine ernste Panne gleich in der Nacht der Grenzschließung entgegen: »Der Gesamtverlauf der Aktion«, die um 1.00 Uhr nachts ausgelöst wurde, sei »bisher zufriedenstellend, bis auf den Einsatz der Transportpolizei, die wegen falscher Einsatzzeit (X+4) ausfiel«79, heißt es im ersten Bericht vom frühen Morgen des 13. August. Im zweiten Bericht des Tages – wenige Stunden später – schob das MfS die Information nach: »Der Einsatz der Trapo erfolgte auf mehreren Bahnhöfen später als der Einsatz des MfS. Wodurch die Maßnahmen in den meisten Fällen vom MfS allein durchgeführt wurden.«80 Diese Formulierung ist fast schon unterkühlt, denn die Kappung des U-Bahn-, S-Bahn- und Fernbahnverkehrs war eine der zentralen Maßnahmen zur Sperrung der Grenze. Als die Einheiten der Transportpolizei nach 5 Uhr endlich an ihren Einsatzorten eintrafen, war die Arbeit im Wesentlichen getan. Zwölf S- und U-Bahnlinien zwischen Ost- und Westberlin wurden unterbrochen, die Bahnhöfe der »Westlinien«, die durch den Ostsektor fuhren, geschlossen.

Die Staatssicherheit hob jedoch nicht nur ihre Fähigkeit hervor, Versäumnisse anderer Sicherheitsorgane zu kompensieren, sondern empfahl sich auch als übergeordnete Kontrollinstanz, die in jeder Situation den Überblick behielt und die richtigen Entscheidungen traf. So wusste sie zu berichten: »Gegen 3.00 Uhr kam es im Raum Mahlow auf Westberliner Boden zu einer Konzentration von Bürgern aus der DDR, die sich in Westberlin aufgehalten hatten und zunächst von der VP [Volkspolizei] an der Rückkehr in die DDR gehindert wurden. Lage wurde durch entsprechende Anweisungen des MfS, diese Personen sofort in die DDR einzulassen, normalisiert.«81

Die Staatssicherheit war zeitnah über die interne Meinungsbildung sowohl bei den Westalliierten als auch in der Westberliner und Bonner Politik informiert. In den Berichten werden zum einen die offiziellen Verlautbarungen bundesdeutscher, britischer, amerikanischer oder französischer Politiker sowie ein Teil der Berichterstattung der Westmedien zusammengefasst. Zum anderen werden Informationen aus, wie es hieß, »internen« oder »verlässlichen« Quellen, also von Agenten beschafftes Material, präsentiert.

Am 13. August war die Stasi hinsichtlich einer möglichen westlichen Antwort noch vorsichtig: »In der ersten offiziellen Reaktion führender politischer Kreise Bonns, Westberlins und der Westmächte wird von schärfsten Protesten gegen die Maßnahmen der DDR und von sogenannten Gegenmaßnahmen gesprochen, jedoch zugleich vor ›Unbesonnenheit‹ gewarnt.«82 Auch in »führenden Westberliner CDU-Kreisen« herrsche, so das MfS, »eine gewisse Unsicherheit. Man glaube einerseits nicht mehr daran, dass die ›Berlinkrise‹ mit friedlichen Mitteln beigelegt werden kann. […] Andererseits glaube man nicht daran, dass die USA in ihrer Politik in der Westberlinfrage bis zum äußersten gehen würden.« Ein »Offizier des Bundesnachrichtendienstes« wird von einer »zuverlässigen Quelle« mit der Aussage zitiert, »die Amerikaner in Westberlin müssten jetzt zeigen, was ihre Versprechen wert sind. Man müsse jetzt auf alles vorbereitet sein«.83

Erst im Laufe des 14. Augusts wurde die Berichterstattung entspannter. Jetzt stellte das MfS die Bereitschaft der Westmächte infrage, Forderungen der Bundesregierung und des Berliner Senats nach entschlossenen Gegenmaßnahmen und Rückgängigmachung der Grenzschließung nachzukommen. Mitarbeiter des englischen Geheimdienstes hätten die Auffassung geäußert, »dass man sich mit den gegebenen Tatsachen abfinden müsse. Einen Krieg würden die Westmächte aufgrund der Maßnahmen der DDR keinesfalls riskieren«84. In einem weiteren Bericht wurde die Information nachgeschoben, dass der amerikanische Stadtkommandant von Berlin, Albert Watson, bereits am 13. August bei führenden CDU-Politikern (unter anderem Ernst Lemmer und Franz Amrehn) mit einer zynischen Äußerung für Empörung gesorgt hatte: Bei der Grenzschließung – so Watson laut MfS – handle es sich »nur um eine Verkehrsbehinderung innerhalb Berlins, von der die Freiheit der Bevölkerung Westberlins nicht betroffen werde«85. Das MfS vermutete, dass in diesem Zusammenhang »möglicherweise auch die verschiedenen widersprüchlichen Meldungen über den Grad der Einsatzbereitschaft der amerikanischen Streitkräfte in Westberlin zu sehen«86 seien. Bald verdichteten sich in den Berichten der Staatssicherheit die Hinweise, dass mit keiner für die DDR in irgendeiner Form bedrohlichen Situation zu rechnen sei. Dass das MfS »Entwarnung« geben konnte, lag nicht zuletzt an Top-Meldungen aus »führenden Westberliner SPD-Kreisen«. Bereits am 15. August wusste die Staatssicherheit zu berichten, »Brandt habe sich mit den westlichen Kommandanten darüber geeinigt, dass alles unternommen werden soll, um von Westberlin aus keinerlei Anlass für weitere Komplikationen zu geben«87. Aus gleicher Quelle meldete das MfS am 17. August, »dass Brandt erstmalig seit längerer Zeit zum Sitz der westlichen Militärkommandanten bestellt und ihm dabei klargemacht wurde, wer in Westberlin zu bestimmen hat. Brandt sei noch einmal darauf hingewiesen worden, dass die Westmächte ›nur ihre Rechte‹ in Westberlin verteidigen würden.«88

Auch die SED befürchtete eine heftige Reaktion der DDR-Bevölkerung. Ulbricht hatte den Beginn der Aktion »Rose« nicht zufällig auf die Nacht von einem Samstag auf einen Sonntag gelegt. Als die Kunde von der Grenzschließung die Runde machte, waren die meisten »Werktätigen« zuhause. Ein von Betriebsbelegschaften ausgehender Aufruhr wie am 17. Juni 1953 war an diesem Tag auszuschließen. Noch saß das »Juni-Trauma« beim SED-Chef tief, was auch dem BND nicht verborgen blieb: »Der ›17. Juni-Komplex‹ ist unter den führenden Ostberliner Funktionären größer denn je«89, wurde am 18. August gemeldet. Dies entspricht auch den Erinnerungen des sowjetischen Diplomaten Julij A. Kwizinskij, wonach Ulbricht einige Wochen zuvor gegenüber Botschafter Michail G. Perwuchin geäußert hatte, »man müsse mit Massenaufläufen, offenen Versuchen des Ungehorsams, Schlägereien und vielleicht sogar mit Schießereien«90 rechnen. Es lag somit auf der Hand, dass die Staatssicherheit Stimmungen und aufkeimende Proteste in der Phase unmittelbar nach der Grenzschließung genauestens in den Blick nahm.91

Am Morgen des 13. Augusts meldete das MfS zunächst: »Nach der bisherigen Übersicht ist die Lage an den Grenzübergängen als ruhig einzuschätzen. Es ist sogar auffällig, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch keine oder kaum neugierige Passanten sich von den eingeleiteten Maßnahmen überzeugten.«92 Diese »abwartende Haltung« der Bevölkerung würde von Erkenntnissen aus abgehörten Telefonaten bestätigt. Doch schon wenige Stunden später musste die Geheimpolizei berichten: »An einer Reihe von Grenzübergängen zwischen dem demokratischen Berlin und Westberlin gab es Ansammlungen von ca. 50 bis 100 Personen, die sich teilweise negativ über die von der Regierung der DDR getroffenen Maßnahmen äußerten. Vielfach wird dabei erklärt, dass der Westen diese Schritte nicht hinnehmen werde. Deshalb würden die Maßnahmen der DDR nur kurze Zeit aufrechterhalten werden können.«93 Um 9.30 Uhr bildete sich auf dem Bahnhof Friedrichstraße eine Traube von 20 bis 30 Personen, die versuchte, auf den Bahnsteig A zu gelangen, der seit den frühen Morgenstunden für Ostberliner nicht mehr zugänglich war.94

Einen besonderen Unruheherd bildeten naturgemäß die sogenannten Grenzgänger – Ostberliner, die bisher in Westberlin gearbeitet hatten und die jetzt nicht mehr zu ihren Arbeitsstellen gelangen konnten. Bereits am Morgen des 13. Augusts bildete sich vor dem Rathaus Pankow eine »Zusammenrottung von Westgängern«, die, obwohl es Sonntag war, »Auskunft über neue Arbeitsverhältnisse im demokratischen Berlin forderten«95. Auch Protesthandlungen, die sich bereits in den frühen Morgenstunden ereignet hatten, wurden nachträglich von der Staatssicherheit gemeldet. So hatte der Tankwart der Tankstelle Grünau (im äußersten Süden des Ostberliner Bezirks Treptow) »einem Mitarbeiter der Sicherheitsorgane« den Verkauf von Benzin mit den Worten verweigert, »wenn alle streiken, streike er auch«. »Die Schließung der Grenzen nach Westberlin richte sich gegen die Arbeiter.«96 Aus dem östlich von Berlin gelegenen Kreis Straußberg wurde das »Anschmieren von Hetzlosungen« und die Festnahme von Jugendlichen gemeldet, »die gegenüber Angehörigen der Grenzpolizei provokatorisch auftraten«97.

Im letzten noch am 13. August verfassten Bericht stellte die Staatssicherheit fest, »die Maßnahmen der Regierung« würden »in allen Bevölkerungskreisen lebhaft diskutiert« und versuchte die Stimmung zu bilanzieren. Es sei zwar nicht möglich, das Verhältnis zwischen positiven und negativen Stimmen umfassend einzuschätzen, doch »aufgrund der bisher vorliegenden Informationen« würden »die positiven Stellungnahmen weit überwiegen«98. Diese rituelle Feststellung einer zustimmenden Haltung der Bevölkerungsmehrheit zur Politik der Führung ist typisch für MfS-Stimmungsberichte. Ebenso typisch für diese Textgattung ist, dass zuerst die »positiven Stimmen« wiedergegeben werden. Es werde begrüßt, dass der »Republikflucht ein Riegel vorgeschoben« und den »Grenzgängern und Schiebern das Handwerk gelegt«99 worden sei. Die Maßnahmen seien »ein Schlag gegen die Agententätigkeit und gegen die von Westberlin ausgehende Unterminierung der DDR«. Hier wurden offensichtlich die Äußerungen von Funktionären und SED-Mitgliedern wiedergegeben, die auf Geheiß der Ostberliner Parteileitungen den ganzen Tag zu »Agitationseinsätzen« ausgeschwärmt waren, um an den Hauptbrennpunkten die Stimmung zu beeinflussen. Wie so oft dienten dem Regime die eigenen Inszenierungen als Beleg für einen Konsens, den es in Wirklichkeit nicht gab.

Doch ungeachtet dieses obligatorischen, diktaturimmanenten Selbstbetrugs nehmen die »negativen« Äußerungen in der MfS-Berichterstattung einen deutlich breiteren Raum ein. An erster Stelle stehen »Vergleiche mit der Situation am 17. Juni 1953«, die in Berlin unter anderem in »Ansammlungen« an S- und U-Bahnhöfen und an »mehreren Grenzübergängen« angestellt würden.100 Es fiel auch der Begriff KZ. Das scheint kein Einzelfall gewesen zu sein, denn in einem Bericht des Folgetages heißt es, »Provokateure« würden »in einer Reihe von Fällen die Maßnahmen der DDR mit faschistischen Maßnahmen vergleichen«. Vielfach wurde geäußert, durch diesen Schritt werde die »Spaltung vertieft«. Auch der Ruf nach freien Wahlen wurde immer wieder laut. Vereinzelt kam es zu »Aufforderungen an Arbeiter, am Montag den Betrieben fernzubleiben«.

Wie stark die Befürchtungen waren, dass es zu Streiks kommen könnte, zeigt die Berichterstattung des 14. Augusts, bei der vor allem die Ostberliner Großbetriebe unter verstärkter Beobachtung standen.101 Die Staatssicherheit stellte umgehend fest, »dass Beschäftigte volkseigener Betriebe zu Beginn der Arbeitsaufnahme unentschuldigt fehlten«. Beim VEB Bergmann-Borsig waren zum Beispiel nur 60 Prozent der Belegschaft erschienen. Zwar konnte das MfS Entwarnung geben. Es ermittelte, dass »die fehlenden Arbeitskräfte aus den Randgebieten Berlins, vorwiegend aus dem Kreis Oranienburg«, stammten und wegen Schwierigkeiten im S-Bahnverkehr und verschärfte Kontrollen (als Begleiterscheinungen der Grenzschließung) nicht pünktlich zur Arbeit kommen konnten. Gleichwohl blieb es in den Betrieben nicht durchgängig ruhig: Im Betonwerk Berlin-Grünau versuchten Arbeiter gleich zu Schichtbeginn »eine Resolution gegen den Regierungsbeschluss zu verfassen«. Im Ostberliner VEB Kühlautomat wurde der Parteisekretär nach einer Diskussion niedergeschlagen, »bei der er positiv aufklärend auftrat«. Im Oranienburger VEB Holzbau streikten Arbeiter gar mit der Forderung »Rückgängigmachung der Maßnahmen um Berlin«.

Das MfS kam schon am Tag nach der Grenzsperrung nicht umhin zu bilanzieren: »Allgemein ist festzustellen, dass bei negativen Erscheinungen in der DDR und im demokratischen Berlin die Jugendlichen eine besondere Rolle spielen.« Viele ostdeutsche Jugendliche orientierten sich an der westlichen Freizeitkultur und konnten, zumindest wenn sie in Ostberlin und im Berliner Umland wohnten, bei ihren Besuchen in Westberlin daran noch direkt teilhaben. Als dieser Weg versperrt war, reagierten sie vielfach wütend. Aus dem nördlich von Westberlin liegenden Hennigsdorf berichtete die Staatssicherheit am 14. August etwa, Jugendliche hätten gedroht, »sie würden einen Grenzdurchbruch unternehmen, wenn sie nicht mehr nach Westberlin gelassen werden«.

2.7 Fluchten nach der Grenzsperrung

Auch nach dem 13. August 1961 beschäftigte das Thema Fluchten das MfS. Noch im September 1961 verließen 27 311 Personen die DDR.102 Die Zahlen gingen dann im Oktober auf 6 721 und im Dezember auf 2 369 zurück. Darunter waren im Zeitraum von August bis Dezember 1961 8 507 »Sperrbrecher«.103 Bei der Berichterstattung standen nun – neben der Beschreibung von konkreten Fällen – die vom Westen ausgehende Fluchthilfe, die weitere Effektivierung der Grenzsicherung sowie die Verschärfung der Repression im Vordergrund.

Unter denjenigen, die die Flucht durch die anfangs noch keineswegs hermetisch abgesperrte Grenze wagten, waren viele jüngere Menschen. Vor allem das Durchschwimmen der Berliner Grenzgewässer war in den ersten Tagen nach den Sperrmaßnahmen noch ein aussichtsreicher Fluchtweg. Am 17. August meldete die Staatssicherheit gleich mehrere solche Fluchten durch die Spree und den Teltowkanal. Sie war in diesem Zusammenhang auch darüber beunruhigt, dass »ein verstärkter Ankauf von Sporttaucherausrüstungen erfolgt«. Auch zu Fluchten über die Ostsee z. B. unter der Ausnutzung der Fährverbindung von Saßnitz auf Rügen nach Trelleborg in Schweden wurden Berichte gefertigt.104 Über einige spektakuläre Fluchtfälle berichtete das MfS – jedoch nicht ohne die Versäumnisse der anderen Sicherheits- und Parteiorgane sowie lokaler Amtsträger zu betonen und darauf zu verweisen, dass man nun selbst Untersuchungen anstelle. So wird z. B. der Fall des Ortes Böseckendorf, Kreis Worbis, ausführlich erörtert.105 Dort waren am 2. Oktober 53 Personen mit einem Wagen und zwei Pferden geflohen.106 Ende September 1961 konnten DDR-Bürger in die Enklave Steinstücken flüchten und wurden von dort mit einem US-Militärhubschrauber ausgeflogen,107 und Anfang Dezember durchbrach ein Personenzug mit 50 Personen die Absperrung des im Bezirk Potsdam gelegenen DDR-Endbahnhofes Albrechtshof und gelangte so in den Westberliner Bezirk Spandau.108 Der Lokomotivführer und 30 Reisende blieben in Westdeutschland, die übrigen kehrten zu Fuß in die DDR zurück.

Großes Kopfzerbrechen machte den MfS-Verantwortlichen auch die Tatsache, dass die Flucht mithilfe von falschen oder gefälschten Westberliner Personalausweisen zunächst offenbar nicht besonders schwierig war.109 Bei einer stichprobenartigen Überprüfung von sieben Personen, die am 15. August zwischen 5 und 7 Uhr den Ostsektor am Übergang Brunnenstraße mit einem Westberliner Ausweis verlassen hatten, erwies sich, dass vier von ihnen auf diese Weise geflohen waren »und bei der Befragung nach dem Aufenthalt falsche Angaben machten«.110 Das Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs, zu dieser Zeit noch für die Passkontrolle zuständig, war offenbar vollkommen überfordert. Wenig später wurde dieses Aufgabenfeld vom MfS übernommen. Gegen Ende des Jahres wurden dann die Fluchten verstärkt mit ausländischen Pässen organisiert. In diesem Zusammenhang berichtete das MfS von zahlreichen Festnahmen.111

Besorgniserregend für die Verantwortlichen waren auch die zahlreichen Fahnenfluchten von Polizisten, die an den Berliner Grenzsperren eingesetzt waren. Am 17. August schreibt die Geheimpolizei in Stasi-typischer Dialektik: »Obwohl die Kampfmoral und Disziplin der am Einsatz beteiligten Sicherungskräfte insgesamt als gut eingeschätzt werden muss, weisen doch die weiter ansteigenden Desertionen auf einige Mängel hin.«112 Täglich musste sie über diese Fahnenfluchten berichten, die sich in der ersten Woche auf nicht weniger als 24 Fälle summierten. Bis zum Jahresende war die Zahl der Desertionen aus den um Westberlin eingesetzten Grenzbrigaden auf 152 – DDR-weit waren es über 300 – angewachsen. Die Grenzpolizisten erwiesen sich als erstaunlich unzuverlässig,113 was dem Überwachungsanspruch des MfS gegenüber den »bewaffneten Organen« zusätzliche Nahrung gab. Erich Mielke betonte Ende 1961 auf einer Kollegiumssitzung des MfS die besondere Bedeutung des Ministeriums bei der Bekämpfung der Fahnenfluchten:

»Auch jede einzelne Fahnenflucht muss genau untersucht werden, und die Mitarbeiter des Ministeriums müssen an die Untersuchung so herangehen, als sei ihre Arbeit das Entscheidende und als würden sie die Verantwortung für das gesamte Ministerium tragen. Jede Fahnenflucht schwächt die Autorität der DDR und muss so behandelt und gesehen werden.«114

Die Entschlossenheit und Brutalität, mit der die Schließung der Berliner Grenze durchgesetzt wurde, zeigte sich bereits am 24. August 1961. An diesem Tag wurde der erst 24 Jahre alte Günter Litfin bei dem Versuch, durch die Spree nach Westberlin zu flüchten, von der Transportpolizei erschossen.115 Litfin war das erste Gewaltopfer an der Berliner Mauer. Fünf Tage später, am 29. August, wurde eine weitere Person beim Fluchtversuch erschossen. In dem Bericht wird Litfin abschätzig als »Grenzgänger« und Mitglied der »illegalen ›Jungen Union‹« der »Adenauer-CDU« bezeichnet. Außerdem habe er den Spitznamen »Puppe« und werde als »homosexuell eingeschätzt«. Diese Informationen wurden dann später eingesetzt, um eine negative Pressekampagne gegen ihn zu initiieren – die einerseits abschreckend wirken, andererseits die Flüchtenden als Außenseiter der Gesellschaft marginalisieren sollte.116 Die öffentliche Diffamierung von DDR-Flüchtlingen war schon vor dem Mauerbau gängige Praxis, an der das MfS entscheidenden Anteil hatte.117

2.8 Disziplinierung und Repression

Mit der Grenzschließung am 13. August setzte in der DDR eine der härtesten Repressionsphasen in ihrer Geschichte ein, die ihren Ausdruck vor allem in hohen Verhaftungs- und Verurteilungszahlen sowie in ungewöhnlich harten Strafzumessungen fand.118 Neben Fluchtversuchen wurden Proteste und politisch abweichende Meinungsäußerungen aller Art mit erheblichen Strafen verfolgt. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Berichterstattung nach dem 13. August wider. Bis zum 31. Dezember 1961 wurden 2 141 Personen wegen »Staatsverleumdung« und »Staatsgefährdender Propaganda und Hetze« verhaftet.119

Daneben kam es zu vorbeugenden Maßnahmen gegen als unzuverlässig eingeschätzte Personen. Wie schon nach der Schließung der Westgrenze im Jahr 1952 wurden einige Wochen nach der Berliner Grenzsperrung solche Personen aus dem an der Westgrenze liegenden Sperrgebiet zwangsumgesiedelt.

»Durch die […] erfolgte Einengung des Störzentrums Westberlins, gewann das Grenzgebiet an der Staatsgrenze West für die aggressiven Kräfte aller Schattierungen, einschließlich imperialistischer Geheimdienste, verstärkt an Bedeutung. Deshalb wurde es erforderlich, neben den getroffenen militärischen Sicherungsmaßnahmen, Vorkehrungen zu treffen, um den Bereich des 5 km Schutzstreifens an der Staatsgrenze von vorhandenen Unsicherheitsfaktoren – feindlichen Elementen und Personen mit faschistischer Vergangenheit – zu säubern«,120 hieß es in der vertraulichen »Dokumentation« über die sogenannte »Aktion Festigung«.121 Im Rahmen dieser »Aktion« mussten im Oktober 1961 DDR-weit 916 »belastete Personen« und ihre Angehörigen, das waren insgesamt 3 165 Betroffene, ihren Wohnort im Grenzbereich verlassen.122 Das MfS war federführend daran beteiligt. Im Vorfeld wurde auf die Bedeutung der »Informationstätigkeit« für den Erfolg der Aktion hingewiesen. Die Zentrale Informationsgruppe hat drei Berichte am 3. Oktober und einen Abschlussbericht am 6. Oktober zur Durchführung der »Aktion Festigung« verfasst.123 Gleichsam routinemäßig wurden die Berichte zwar mit der Formel eingeleitet, dass alles »ohne größere Schwierigkeiten« verlaufen sei, daran anschließend folgte dann aber eine Aufzählung von Fällen, wo sich die Betroffenen zur Wehr gesetzt oder gar mit Selbstmord gedroht hatten. Ebenso wurde auch auf einige Pannen seitens der Einsatzkräfte hingewiesen. Natürlich fehlte zum Schluss auch die übliche Selbstbeweihräucherung nicht: »Alle eingesetzten Mitarbeiter des MfS versahen begeistert und diszipliniert ihren Dienst, und es gab keinerlei Schwankungen oder ähnliche Vorkommnisse.«124

In den Berichten wenige Wochen nach dem Mauerbau bildet sich das ganze Spektrum von Widerstandshandlungen und nonkonformen Verhaltensweisen sowie der entsprechenden Reaktionen der Machthaber ab: Hervorzuheben sind hier die Berichte über die Ausweisung von Präses Kurt Scharf oder Propst Heinrich Grüber125 als Reaktion auf die Proteste der evangelischen Kirche gegen den Mauerbau. Aufschlussreich sind auch die Informationen über Unmutsäußerungen von Vertretern der Intelligenz nach der Grenzsperrung und die verbreiteten Proteste im Zusammenhang mit den Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen vom 17. September 1961.126

Besonders Protestverhalten von Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Studenten war im Fokus der Stasi. Hier wurde mit großer Härte vorgegangen und auch nicht unbedingt politisch motiviertes Verhalten kriminalisiert. Überall witterte das MfS »Bandenbildung« und »Rowdytum«. Direkt nach dem Mauerbau machte das MfS allein die Gründung von 23 »feindlichen Jugendgruppen« aus.127 Viele dieser vermeintlichen »Jugendbanden« wurden strafrechtlich verfolgt, wie etwa eine Jugendgruppe, die sich in einem »Ted-Herold-Club« zusammengefunden hatte. Sie war bereits 1960 dem MfS aufgefallen, »weil sie Störaktionen anlässlich der Jahresabschlussfeier an der Oberschule Strausberg plante, die jedoch durch eingeleitete Absicherungsmaßnahmen im Wesentlichen verhindert werden konnten«.128 Nach dem Mauerbau hatten die Jugendlichen Parolen wie »Macht das Tor auf«, »SED – Nee«, »Nazis und Kommunisten raus« und »Freie Wahlen« an verschiedene Orte gepinselt. SED und MfS wollten hier ein Exempel statuieren. Die Jungen wurden wegen »dringenden Verdachts einer staatsfeindlichen Tätigkeit« festgenommen und am 15.9.1961 zu hohen Haftstrafen verurteilt: Michael Gartenschläger129 und Gerd Resag zu lebenslänglich, Karl-Heinz Lehmann zu 15 Jahren, Gerd-Peter Riediger zu zwölf Jahren und Jürgen Höpfner zu sechs Jahren Zuchthaus.130

Zur Abschreckung und zur Unterstützung der Kampagne, die die FDJ unmittelbar nach dem Mauerbau zum »freiwilligen« Eintritt in die NVA gestartet hatte,131 wurde gegen Schüler einer Oberschule in Anklam, Neubrandenburg, die gegen die »freiwillige« Meldung zur NVA protestiert hatten, vorgegangen: Drei Schüler wurden wegen »staatsfeindlicher Hetze« zu hohen Haftstrafen verurteilt, 27 Schüler relegiert und vier Lehrer entlassen.132 Diese Kampagne ist auch in den größeren Zusammenhang der verstärkten Militarisierung der DDR-Gesellschaft, die nach dem Mauerbau einsetzte, einzuordnen.133

Im September 1961 wurden die Mitglieder des FDJ-Studentenkabaretts der Universität Leipzig »Rat der Spötter« wegen »staatsgefährdender Hetze und Verleumdung« festgenommen und zu hohen Haftstrafen verurteilt.134 Den Anlass bot ein neues Programm mit dem Titel »Wo der Hund begraben liegt«, welches – so die Stasi – »in seiner Gesamtheit ein einziger Angriff gegen die Politik der Partei und Regierung und Genossen Walter Ulbricht darstellt und indirekt bis zu konterrevolutionären Forderungen reicht«.135

3. Entwicklung der Zentralen Informationsgruppe (ZIG) bis zum Jahr 1961

Die Auseinandersetzungen zwischen Walter Ulbricht und dem Minister für Staatssicherheit, Ernst Wollweber, die 1957 zu dessen Absetzung führten, hatten weitreichende Auswirkungen auf die Informationstätigkeit des MfS.136 Ulbricht kritisierte das Berichtswesen massiv und bezeichnete es als legale Verbreitung feindlicher Hetze. Er war wohl besonders darüber ungehalten, dass im Rahmen der Stimmungsberichterstattung Kritik an seiner Person und Politik schwarz auf weiß an andere Mitglieder der Parteiführung gegangen war, unter denen er in dieser Zeit noch Gegner hatte – namentlich das Politbüromitglied Karl Schirdewan. Als Folge wurde die Berichtstätigkeit eingeschränkt, das Personal in der Abteilung Information der MfS-Zentrale reduziert und die Informationsgruppen in den Bezirken aufgelöst. Der Mitarbeiterstand fiel von 16 im Jahr 1956 auf sieben im Jahr 1958.137 Dieser Zustand sollte allerdings nicht von langer Dauer sein. Bereits 1959 begann sich das Blatt wieder zu wenden. Durch Umstrukturierungen bei der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) wurde deren bis dahin eigenständiges Berichtswesen in die allgemeine Berichtstätigkeit überführt. Mit dieser Maßnahme gingen strukturelle und personelle Veränderungen einher: Die Abteilung Information hieß nun »Zentrale Informationsgruppe« (ZIG). Robert Korb, der stellvertretende Leiter der HV A, dort für Informationswesen und Schulung zuständig, wurde neuer Leiter der ZIG. Der bisherige Leiter, Werner Irmler, musste als Stellvertreter ins zweite Glied zurücktreten, war aber de facto derjenige, der die ZIG auch in folgenden Jahren konzeptionell prägte. 1960 wurden auch wieder Informationsgruppen in den Bezirken verbindlich vorgeschrieben. 1961 hatte die ZIG 13 Mitarbeiter – damit war der Stand von 1955 (12 Mitarbeiter) wieder leicht überschritten.

Zuständigkeiten der einzelnen Mitarbeiter der ZIG Ende 1960138

Mitarbeiter

Bezirksverwaltungen/Verwaltungen

Linien/Arbeitsfelder

Hptm. Werner Irmler

Berlin, Potsdam, Cottbus

(keine differenzierte Zuständigkeit)

Oltn. Manfred Laszczak

Leipzig, Halle, Magdeburg

(keine differenzierte Zuständigkeit)

Oltn. Alfred Hennig

(keine differenzierte Zuständigkeit)

Auswertung Westpresse und Westrundfunk

Hptm. Wolfgang Röhlig

Neubrandenburg, Schwerin, Rostock, Frankfurt/O.

Linie III, Republikflucht

Major Heinz Seidel

Dresden, Karl-Marx-Stadt, »W« (Wismut)

Linien V, VII, XIII, Grenze

Oltn. Rudi Taube

Suhl, Erfurt, Gera

(keine differenzierte Zuständigkeit)

Ultn. Ingrid Ziehm

(keine differenzierte Zuständigkeit)

Stimmung, »Hetzschriften«

An das Personal der ZIG wurden relativ hohe Anforderungen gestellt. Sie sollten mindestens eine Hoch- oder Fachhochschulausbildung haben. So erklärt es sich, dass die oben aufgeführten Personen – mit einer Ausnahme – alle den Rang eines Referatsleiters (ohne ein Referat zu leiten) und die Dienstgrade Major, Hauptmann oder Oberleutnant hatten.139

Ende 1960 wurde die Informationstätigkeit auf neue Grundlagen gestellt, die eine Aufwertung und Systematisierung der Berichterstattung zum Ziel hatten. Der entsprechende Befehl 587/60 »Verbesserung der Informationstätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit«140 wurde von Erich Mielke am 7. Dezember 1960 erlassen. Einleitend wurde die Aufgabe der Berichterstattung an die politische Führung definiert:

»Die Informationsarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit hat die Aufgabe, den Minister, die führenden Funktionäre der Partei, des Staates und der Regierung der DDR qualifiziert und objektiv über die Lage in der DDR und besonders über die Absichten und Pläne der Feinde des Friedens und des Sozialismus gegen die DDR zu unterrichten. Die Informationstätigkeit muss als wichtiger Bestandteil der politisch-operativen Tätigkeit des MfS gleichzeitig Ergebnis und wesentlicher Gradmesser der gesamten operativen Arbeit sein.«141

Neben den Bezirksverwaltungen wurden nun auch in allen wichtigen operativen Diensteinheiten Informationsgruppen gegründet. In der ZIG liefen alle Informationen zusammen, wurden ausgewertet und zusammengestellt.

Auch Halbjahresplanungen wurden eingeführt – allerdings war die Informationstätigkeit nur sehr bedingt planbar, da es ja neben strukturellen Problemen, vor allem auch darauf ankam, aktuelle Entwicklungen, Stimmungen usw. aufzugreifen. Auf der unteren Ebene ergaben sich durch solche Festlegungen eher Probleme. So bemerkte der Leiter der Informationsgruppe der Bezirksverwaltung Gera im Juni 1961:

»Nach Herausgabe des Informationsarbeitsplanes für das I. Halbjahr 1961 an die Kreisdienststellen mussten wir einen Rückgang in der bis dahin sich gut entwickelten Informationsarbeit hinsichtlich des selbstständigen Reagierens auf die im Kreis ergebenden Fakten und Schwerpunkte feststellen. Ein Teil der Kreisdienststellen befasste sich vorwiegend nur noch mit der Erarbeitung der geforderten Analysen und den von uns geforderten Stimmungsberichten […] Die Informationsarbeit im Sinne des Erkennens und der Berichterstattung von sich an der Basis ergebenden wesentlichen Erscheinungen war nicht mehr im erforderlichen Maße gewährleistet.«142

Als Konsequenz aus derartigen Problemen wurde in den Planungen für das II. Halbjahr 1961 das Themenspektrum wesentlich kleiner gehalten.

4. Die Berichtsarten des Jahres 1961

Im Zuge der Reform von 1960 wurden fünf unterschiedliche Berichtsformen definiert: Sofortmeldung, Ergänzungsmeldung, Einzelinformation, Bericht und militärische Sonderinformation.143 Für die hier edierten Inlandsberichte sind allerdings nur zwei davon relevant:

  • 1.

    Die »Einzelinformation«: »Dazu zählen alle Informationen, die a) aufgrund ihrer Wichtigkeit mitzuteilen sind, ohne dass alle Zusammenhänge bekannt sein müssen, b) ihrem Charakter und Inhalt nach Einzelerscheinungen sind und daher oder gegenwärtig noch keine analytische Darstellung ermöglichen. In der Regel werden Einzelinformationen in später zu fertigenden Berichten analysiert bzw. durch weitere Einzelinformationen ergänzt.«144

  • 2.

    Der »Bericht«: »Dazu zählen alle Informationen, die a) umfassende Materialien zu einem bestimmten Problem, zu mehreren zusammenhängenden Problemen, b) zu analytischen Darstellungen enthalten.«145

Allerdings scheint in der Praxis diese Definition nicht immer strikt durchgehalten worden zu sein. Beispielsweise firmierten die Berichte zur Aktion »Rose« unter dem Etikett »Einzelinformation«, obwohl sie eher die Kriterien des »Berichtes« erfüllen. In der Editionsdatenbank sowie in der Benennung im Dokumentenapparat und in den Fußnoten werden beide Berichtsarten (wie es im MfS später gehandhabt wurde) einheitlich als »Informationen« (plus laufende Nummer/Jahr) bezeichnet.

Seit 1960 wurden wieder verstärkt Stimmungsberichte angefertigt – was sich auch im Jahrgang 1961 niederschlägt. So ist eine Vielzahl von Stimmungsberichten im Zusammenhang mit Einzelereignissen überliefert. Eine ganz besondere Rolle spielen die Stimmungsberichte unmittelbar nach der Grenzsperrung. Unter anderem finden sich eine Reihe von längeren Stimmungsberichten aus den Bezirken, die allerdings im MfS verblieben. In dieser brisanten Phase schien es der Geheimpolizei besonders wichtig, über die Stimmung im Lande im Bilde zu sein.

Ein Spezifikum der Berichtstätigkeit des Jahres 1961 ist, dass in der besonderen sicherheitspolitischen Lage unmittelbar nach der Grenzsperrung, als die innenpolitische Situation und die Reaktion des Westens in einem engen Zusammenhang standen, das MfS von der Trennung seiner Berichterstattung in In- und Auslandsberichte abging. Die Berichte weisen zumeist eine thematische Dreiteilung auf: westliche Reaktionen, gegnerische Tätigkeit (unter dieser Rubrik sind Meldungen aus dem Westen und dem Osten gemischt) sowie Bevölkerungsstimmung in der DDR.

Allgemein zeichnen sich die Berichte des Jahres 1961 durch eine recht differenzierte Wahrnehmung und Bewertung der Lage aus. Gut zehn Tage vor der Grenzsperrung, am 2. August 1961, betonte Werner Irmler auf einer Dienstkonferenz der ZIG mit den Leitern der Informationsgruppen, wie wichtig qualitativ hochwertige Informationen im Hinblick auf die Herausforderungen der nächsten Zeit seien.146

»Es wird – und das lässt sich jetzt schon absehen – eine Zeitperiode sein, in der die Informationsarbeit des MfS ihre erste wirkliche Feuerprobe bestehen muss. […] es darf keine Fehl- oder Falscheinschätzungen geben, da auf dieser Grundlage große politische, ökonomische und militärische Schäden eintreten können […] Wir müssen erreichen, dass in dieser Zeit […] die Stimmung der Bevölkerung gewissenhaft eingeschätzt und die Partei darüber informiert wird.«147

Irmler hob hier einmal mehr die bedeutende Rolle der Berichterstattung als Teil der »politisch-operativen Arbeit« des MfS hervor. Gleichzeitig verwies er auf Schwächen, die es zu beseitigen gelte. Er nannte vor allem den Zeitverlust bei den Meldungen. Darüber hinaus forderte er neben der Information eine Analyse der Ursachen und Veränderungsvorschläge ein – diese sollte bereits von den berichtenden IM geleistet werden.

5. Kommunikation und Rezeption

Die Berichte waren schon auf dem Formblatt als »Streng geheim!« klassifiziert. Ebenfalls war dort vermerkt: »Um Rückgabe wird gebeten!«. Was den Zeitrahmen der Rückgabe betraf, so war man offenbar den Umständen entsprechend flexibel:

»Es ist klar, die Genossen müssen mit den Informationen arbeiten und Maßnahmen einleiten, sodass es nicht möglich ist, dass sie in einer Woche zurückkommen. Also nur in bestimmten Zeitabständen die Informationen zurückfordern«,148 so Werner Irmler auf einer Besprechung mit den Leitern der Informationsgruppen der Bezirke im Januar 1961. Die Verantwortlichkeit der ZIG für »den Rücklauf« der von der MfS-Zentrale verteilten Berichte war durch den Befehl 584/60 festgeschrieben.149 Die Rückgabe der ausgeteilten Exemplare wurde sehr ernst genommen und der Empfänger bei Nichtbefolgung gemahnt. Überlieferte Rückgabeexemplare geben teilweise Auskunft über die vom betreffenden Bericht ausgelöste Reaktion: Für das Jahr 1961 sind mehrere Berichte mit ausführlichen Kommentaren der Empfänger vorhanden.150 Besonders Erich Apel versah die Texte mit Randbemerkungen zum Inhalt und Gesamtkommentaren auf dem Deckblatt, die Konsequenzen und Vorschläge zum weiteren Vorgehen enthielten, die von der Edition im Dokumentenapparat bzw. in entsprechenden Fußnoten wiedergegeben werden.

Einen weiteren Hinweis auf die Rezeption der Berichte geben Hinweise, dass sieben Berichte gleichsam als Auftragsarbeit zur Information des Präsidiums des Ministerrats gefertigt wurden.151 Die unmittelbare Behandlung der entsprechenden Themen in den jeweiligen Sitzungen lässt sich in vier Fällen nachweisen. Ein Abgleich mit den Protokollen der Politbürositzungen des Jahres 1961 ergibt, dass in zehn Sitzungen ein Bezug zu insgesamt 15 ZIG-Informationen erkennbar ist.152 Ebenso dürften die Berichte in der Phase unmittelbar nach der Grenzsperrung eine Rolle für die Entscheidungen des Zentralen Einsatzstabs und bei der Beurteilung der innen- und außenpolitischen Lage durch die Parteiführung gespielt haben.

Die Rezeption von ZIG-Informationen durch die höchsten Partei- bzw. Staatsorgane ist beim Jahrgang 1961 somit besser nachvollziehbar als für die bereits edierten Berichtsjahrgänge 1976 und 1988.

6. Verteiler

Die Verteiler der ZIG-Informationen wurden je nach Thema und Relevanz festgelegt. Sie setzten sich aus MfS-internen und externen Adressaten zusammen (siehe Anhang, Tabelle 1 und Anhang, Tabelle 2 zur Einleitung). Auffällig bei den externen Empfängern ist die Dominanz von Inhabern höchster Parteiämter gegenüber Ministern und anderen Angehörigen des Staatsapparates. Dies unterstreicht die Hegemonie der SED im DDR-Herrschaftsgefüge und die Rolle der Staatssicherheit als faktischer Parteigeheimdienst.

Die jeweiligen Verteiler waren handschriftlich auf dem (internen) Ablageexemplar vermerkt, sodass außerhalb des MfS mit Ausnahme von Walter Ulbricht keiner über die anderen Empfänger im Bilde war. Streichungen im Verteiler deuten auf eine kurzfristige Dispositionsänderung durch Erich Mielke hin. Erich Mielke behielt sich ebenfalls vor, die Weiterleitung der Berichte an externe Adressaten ganz zu stoppen – diese Berichte erhielten den Vermerk »nicht rausgegangen«.153 Im Jahr 1961 tragen 14 Informationen diesen Vermerk, darüber hinaus enthalten die Verteiler 48 weiterer Informationen keinen Hinweis auf eine externe Versendung – dies ist im Vergleich zu den bisher edierten ZAIG-Jahrgängen viel. Eine Erklärung könnte in den sich zeitweise überschlagenden Ereignissen nach dem Mauerbau liegen. Dafür spricht, dass mehr als zwei Drittel der nicht extern versandten Berichte die Zeitspanne vom 19. August bis 30. Dezember betreffen. Auffällig ist, dass alle Berichte, die die »Sicherheitslage« in den einzelnen Bezirken nach der Grenzsperrung zum Thema haben, nicht extern verteilt wurden. Sie gingen lediglich intern an den Minister und an die »Arbeitsgruppe Anleitung und Kontrolle«, zu deren wichtigstem Aufgabenbereich die Anleitung der Bezirksverwaltungen gehörte. Ansonsten liegt der thematische Schwerpunkt der Berichte, die im MfS verblieben, bei Grenzvorfällen und Widerstandshandlungen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass ein Teil der laut Verteiler nicht extern versandten Berichte Walter Ulbricht durch Erich Mielke persönlich zur Kenntnis gebracht wurde. Dies dürfte ebenso für Berichte gelten, in deren Verteiler Walter Ulbricht nicht explizit aufgeführt wurde. Dieser Umstand erklärt auch, dass nicht Walter Ulbricht (68), sondern Erich Honecker (86) die meisten ZIG-Informationen im Jahr 1961 zur Kenntnis bekam. Die Dominanz von Erich Honecker unter den Adressaten ergibt sich aus der angespannten sicherheitspolitischen Situation während und nach der Grenzsperrung. Honecker war als ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen und als Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates sowie als Leiter des Zentralen Einsatzstabes während des Mauerbaus einer der zentralen sicherheitspolitischen Handlungsträger. Bei 45 Berichten wird der KGB in Berlin-Karlshorst unter der Sigle »AG« bzw. dem Pseudonym »Freunde« als Empfänger ausgewiesen. Dies unterstreicht nicht nur die enge Verbindung zwischen MfS und KGB, sondern verweist auch auf die begrenzte Souveränität der DDR, die insbesondere in zentralen sicherheitspolitischen Fragen nicht ohne Rückendeckung aus Moskau handeln konnte. Die gilt in besonderem Maße für die Wochen nach dem 13. August, in der der Berliner Viermächtestatus und die Weltpolitik im Spiele waren. Die überwiegende Zahl der Informationen, die an den KGB gingen, stammt aus dieser Zeitspanne.

Willi Stoph führte als stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats de facto die DDR-Regierung für den schwer erkrankten Otto Grotewohl. So erklärt es sich, dass ihm 29 Berichte mit einem breiten Themenspektrum zugingen. Wie bereits in der Analyse der Themenschwerpunkte des Berichtsjahrganges 1961 betont wurde, waren neben dem Flucht- und Grenzthema, wirtschaftspolitische Fragen im engeren oder weiteren Sinn eines der zentralen Berichtsfelder des MfS. Diese Tatsache spiegelt sich auch in den Verteilern wider: So bekamen Alfred Neumann als ZK-Sekretär und (ab Juli) Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates 28, Erich Apel als ZK-Sekretär für Wirtschaft 21, Gerhard Grüneberg als ZK-Sekretär für Landwirtschaft 19 und Bruno Leuschner als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission 18 Berichte zur Kenntnis. Letztlich spiegeln die Verteiler der Berichte die thematischen Schwerpunkte der MfS-Berichterstattung und die politischen Brennpunkte des Jahres 1961 wider.

7. Zur Druckauswahl und Formalia

Der Korpus der MfS-Berichte für die politische Führung im Jahr 1961 hat (umgerechnet auf das Buchformat) einen Umfang von ca. 1 500 Seiten, der auf der beiliegenden CD vollständig und in einer der elektronischen Volltextrecherche zugänglichen Form vorliegt. Aus diesem in seinen vielen Facetten zeitgeschichtlich hoch interessantem Material konnte für die Druckfassung des Buches nur eine sehr begrenzte Zahl von Berichten ausgewählt werden. Die getroffene Auswahl hat einerseits den Anspruch, einen möglichst repräsentativen Querschnitt der Themenfelder zu präsentieren. Andererseits wurden einige herausragende Fälle ausgewählt. Ebenso wurden 13 der bisher völlig unbekannten Berichte aus den Tagen nach der Berliner Grenzsperrung (»Aktion Rose«) in das Buch aufgenommen. Acht Berichte, die laut einer Aufstellung der ZAIG existiert haben müssen, sind nicht überliefert und konnten – trotz intensiver Recherche – bisher nicht ermittelt werden. Ein thematischer Schwerpunkt ist hierbei nicht erkennbar.

Durchgängig weisen die Originalberichte erhebliche formale Mängel in punkto Orthographie, Grammatik und Stil aus. Dies gilt besonders für die häufig fehlerhafte Schreibweise von Personen- und Ortsnamen. Diese Fehler wurden ebenso wie sonstige Schreibfehler stillschweigend korrigiert, wenn sie geringfügiger Natur waren. Sind die Abweichungen von der korrekten Schreibweise erheblich, wird dies in einer Fußnote kommentiert. Kleinere Grammatikfehler, etwa falsche Endungen, wurden wie Orthographiefehler behandelt. Größere Grammatikfehler und stilistische Unebenheiten wurden aus Gründen der Quellenauthentizität unverändert ediert. Datenschutzrechtlich begründete Streichungen sind mit eckigen Klammern gekennzeichnet. Mit der eindeutigen Kennzeichnung von anonymisierten Personen (meistens Nummerierung) wird dabei ein möglichst unbeeinträchtigter Nachvollzug der Berichtsinhalte gewährleistet. Wenn aus rechtlichen Gründen ganze Informationszusammenhänge weggelassen werden mussten, ist das ebenfalls in eckigen Klammern angezeigt. In zahlreichen Fällen mussten Personen der Zeitgeschichte sowie ehemalige Inhaber politischer Funktionen oder staatlicher Ämter gemäß den Regelungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes über die beabsichtigte Publikation der zu ihnen in den Berichten vorhandenen Informationen benachrichtigt werden. Einige Betroffene, die nicht zu diesen Personenkreisen gehören, wurden darüber hinaus um eine Einwilligung zur Publikation der in den Berichten zu ihrer Person enthaltenen Daten gebeten. In den betreffenden Antworten wurden teilweise wichtige und interessante inhaltliche Anmerkungen zu den in den Quellen thematisierten Sachverhalten gemacht, die ganz oder auszugsweise in den Fußnoten dokumentiert sind.

8. Schlussbemerkungen

»Die DDR im Blick der Stasi 1961« zeigt einen von krisenhaften Erscheinungen geprägten Staat: eine unzufriedene Bevölkerung, eine hohe Abwanderung ins westliche »Wirtschaftswunder«, erhebliche ökonomische Probleme, vor allem Versorgungsdefizite auf allen Gebieten, eine miserable Wohnraumsituation und eine funktionsuntüchtige Planung, dazu eine unter den Folgen der rabiaten Vollkollektivierung des Vorjahres ächzende Landwirtschaft, zunehmende Defizite in der Gesundheitsversorgung und allerorts überforderte Funktionäre. In der Summe entsteht das Bild einer Partei- und Staatsführung, der es nicht gelingt, die Probleme in den Griff zu bekommen und die als letztes Mittel das Einsperren der eigenen Bevölkerung auf dem eigenen Territorium durch den Bau der Berliner Mauer und den Ausbau des Grenzregimes sieht. Die Berichte zeigen aber auch, dass es Proteste und Widerstand sowie viel Eigensinn in der DDR des Jahres 1961 bis hinein in die Kreise der Funktionsträger gab. Der 13. August 1961 beseitigte außer der Massenflucht kein einziges Problem, im Gegenteil – er schuf noch neue. In allen Schichten der Bevölkerung artikulierte sich Widerspruch, und das Regime reagierte jetzt mit noch größerer Härte. Einhergehend mit den veränderten Herrschaftsbedingungen nach der Grenzsperrung erfolgte auch ein Wechsel im geheimpolizeilichen Vorgehen. Vor dem Mauerbau verfolgte das MfS zuweilen eine durchaus vorsichtige Strategie und bemühte sich auffallend intensiv um die Behebung von Missständen aller Art – das entsprach den politischen Vorgaben der SED, der es in dieser Phase vor allem um die Eindämmung der Republikflucht ging. Nach der Grenzsperrung – auch das spiegelt sich deutlich in der MfS-Berichterstattung wider – beginnt eine ein gutes halbes Jahr andauernde, auch für DDR-Verhältnisse ungewöhnlich kompromisslose Phase, die durch harte Repression und umfassende Disziplinierung gekennzeichnet ist.

Die Berichte der Zentralen Informationsgruppe des Jahres 1961 zeichnen sich durch einen großen Themenreichtum, zuweilen erstaunlicher Differenziertheit und im Vergleich mit den Berichtsjahrgängen der Honecker-Ära durch eine bemerkenswerte Meinungsfreude aus. Auch ideologische Überfrachtungen und Floskeln spielen eine geringere Rolle als später.154 Zwar finden sich am Anfang der Lageberichte häufig die obligaten Feststellungen, dass alles im Prinzip in Ordnung sei und die Linie der Partei auf Zustimmung stoße, aber anschließend folgt in der Regel eine relativ ungeschminkte Benennung der Problemlagen. Allein die immer wieder vorkommende Hervorhebung der westlichen »politisch-ideologischen Diversion« als Ursache für abweichende politische Haltungen entspricht bereits den Deutungsschablonen der späteren Jahrzehnte. Allerdings muss hier angemerkt werden, dass die damit verbundenen Interpretationen und Unterstellungen in dieser Zeit noch nicht so realitätsfern waren wie später, einige der in diesem Zusammenhang benannten Sachverhalte trafen Anfang der sechziger Jahre in Teilen durchaus zu.

Bemerkenswert ist das Selbstbewusstsein, mit dem die Staatssicherheit in den Berichten des Jahres 1961 auftritt. Sie spart nicht mit Kritik an Staatsfunktionären und nimmt auch Minister davon nicht aus. In einigen Fällen kritisiert sie auch untergeordnete Parteiinstanzen, hohe Parteifunktionäre bleiben jedoch in aller Regel tabu. Die Berichterstattung des MfS für die politische Führung verdeutlicht somit nicht zuletzt auch das Selbstverständnis und die Rolle der Geheimpolizei im DDR-Herrschaftsgefüge. Die Inhalte der Berichterstattung, die Adressaten der Berichte, die formulierte Kritik und die Handlungsvorschläge zeigen eines sehr deutlich: das Selbstverständnis des MfS als faktischer Parteigeheimdienst. Im Vordergrund stand immer die Machtsicherung der SED. Gegenüber dem (restlichen) Staatsapparat trat das MfS als herausgehobenes Kontrollorgan auf, das – mit besonderen Kompetenzen ausgestattet – im Auftrag der Partei agierte. Aus dieser Rolle zog die DDR-Geheimpolizei ihr starkes Selbstbewusstsein. Offenbar sah die MfS-Leitung, namentlich Erich Mielke, die Krisensituation des Jahres 1961 als Chance, die Stellung der Staatssicherheit im Herrschaftsgefüge des SED-Staates weiter auszubauen. Nicht zuletzt durch ihre spezifischen Mittel der Informationsbeschaffung besaß die Geheimpolizei eine Art Gesamtüberblick. Sie benannte Entwicklungen, die im Hinblick auf die Herrschaftssicherung und die Stabilität der DDR Probleme aufwarfen und versuchte dies – wie sich bald zeigen sollte – teilweise in eigene Kompetenzerweiterungen umzumünzen.155 Dies gilt nicht erst für die Zeit nach dem Mauerbau, sondern schon in der gesamten krisenhaften Situation der Jahre 1960/61. Die Staatssicherheit war ständig bemüht, die eigene Überlegenheit gegenüber den anderen Sicherheitsorganen und dem Staatsapparat im Allgemeinen zu betonen.

Auf einer Kollegiumssitzung seines Ministeriums im Dezember 1961 sagte Erich Mielke: »In der Vergangenheit wurden den verschiedensten staatlichen Organen vom MfS gute und brauchbare Vorschläge übergeben. Wir müssen jetzt zur Kontrolle der Durchsetzung dieser Vorschläge übergehen.«156

Die hier gemachten Aussagen zu Art und Qualität der Berichte des Jahres 1961 können im Großen und Ganzen auch für die folgenden Jahrgänge gelten. Es wird somit bereits vor Abschluss der Pilotphase des Editionsprojekts, die neben den schon erschienenen Jahrgängen 1976 und 1988 auch den als nächstes erscheinenden Jahrgang 1953 umfasst, deutlich: Die Berichterstattung des MfS veränderte sich über die Jahrzehnte nicht nur formal, sondern auch im Hinblick auf ihre Themenvielfalt, ihren Informationsgehalt und ihren analytischen Wert. Unter allen diesen Gesichtspunkten ist der Berichtsjahrgang 1961 von herausragendem Wert – hinzu kommt die besondere Bedeutung und Dramatik der historischen Ereignisse und Entwicklungen dieses Jahres, die sich in den Berichten eindrucksvoll widerspiegeln. An dieser historischen Zäsur erweist sich einmal mehr der große Wert dieser Quelle für die Herrschafts-, Gesellschafts- und Alltagsgeschichte der DDR.

Anhang

Tabelle 1: Adressaten der Berichte außerhalb des MfS

Name, Vorname, Funktion

Information Nr.

Anzahl

Apel, Erich (Jg. 1917)

Kandidat des SED-PB und Sekretär SED-ZK für Wirtschaft (ab Juli 1961), Leiter der Wirtschaftskommission beim SED-PB

14, 26, 125, 173, 174, 234, 253, 264, 305, 306, 341, 353, 373, 380, 535, 628, 710, 728, 744, 749, 786

21

Axen, Hermann (Jg. 1916)

Mitglied des SED-ZK, Chefredakteur des »Neuen Deutschland«

792

1

Baumann, Edith (Jg. 1909)

Kandidatin PB, Leiterin der Abt. Frauen beim SED-ZK, danach Sekretär des SED-ZK (Handel/Versorgung u. a.)

479, 578, 660, 666, 696, 749

6

Borning, Walter (Jg. 1920)

Leiter Abt. Sicherheit beim SED-ZK

562, 563, 757

3

Grüneberg, Gerhard (Jg. 1921)

Kandidat des SED-PB – Sekretär des SED-ZK (Landwirtschaft)

13, 21, 79, 98, 123, 133, 188, 214, 243, 278, 286, 297, 351, 379, 389, 640, 676, 677, 743

19

Hager, Kurt (Jg. 1912)

Kandidat des SED-PB, Sekretär des SED-ZK (Wissenschaft, Bildung, Kultur)

77, 270, 302, 353, 391, 732, 751, 780

8

Herber, Richard (Jg. 1911)

Leiter des Büros Ulbricht im SED-ZK

704

1

Hoffmann, Heinz (Jg. 1910)

Mitglied des SED-ZK, Minister für Nationale Verteidigung (ab Februar 1961: Armeegeneral)

90, 157, 310

3

Honecker, Erich (Jg. 1912)

Mitglied SED-PB, Sekretär des SED-ZK (Sicherheit und Kader) Sekretär des NVR

26, 38, 55, 75, 88, 90, 132, 133, 139, 158, 173, 192, 202, 207, 216a, 219, 239, 244, 247, 253, 263, 272, 279, 280, 281, 286, 292, 295, 297, 302, 304, 310, 331, 356, 439, 440, 440a, 441, 447, 449, 457, 459, 462, 472 (mündlich), 480, 481, 490, 492, 499, 502, 505, 507, 512, 583, 587, 588, 613, 614, 615, 616, 619, 647, 659, 660, 671, 676, 686, 704, 709, 717, 718 (mündlich), 721, 723, 725, 732, 744, 750, 751, 754, 758, 759, 766, 769, 78, 788, 807

86

Honecker, Margot (Jg. 1927)

Kandidatin des SED-ZK, stellv. Ministerin für Volksbildung

270

1

KGB

Komitee für Staatssicherheit der SU, Berlin-Karlshorst (»AG« bzw. »Freunde«)

139, 207, 392, 403, 414, 415, 416, 417, 418, 419, 420, 421a, 421b, 423, 429, 440, 447, 448, 449, 457, 466, 470, 475, 477, 482, 486, 489, 491, 494, 500, 502, 507, 510, 514, 530, 532, 546, 554, 560, 583, 671, 686, 717, 759, 769

45

Kosel, Gerhard (Jg. 1909)

Mitglied des SED-ZK, Staatssekretär im Ministerium für Aufbau

264

1

Kramer, Erwin (Jg. 1902)

Mitglied des SED-ZK, Minister für Verkehrswesen, Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn

14, 174, 234

3

Kurella, Alfred (Jg. 1895)

Kandidat SED-PB, Leiter der Kulturkommission beim SED-PB

358

1

Lemmnitz, Alfred (Jg. 1905)

Mitglied der Kommission für Ideologie bei SED-PB, Minister für Volksbildung

200, 270

2

Leuschner, Bruno (Jg. 1910)

Mitglied des SED-PB, Vorsitzender SPK und stellv. Vorsitzender des Ministerrats (bis Juli 1961)

26, 125, 158, 166, 170, 173, 174, 190, 214, 234, 252, 253, 341, 349, 479, 535, 552, 786

18

Maron, Karl (Jg. 1903)

Mitglied des SED-ZK, Minister des Innern (Generaloberst), Mitglied im Stab des NVR für den Mauerbau

38, 310

2

Matern, Hermann (Jg. 1893)

Mitglied des SED-PB, Vorsitzender der ZPKK

321, 378, 807

3

Menzel, Robert (Jg. 1911)

stellv. Minister für Verkehrswesen, Leiter der pol. Verwaltung der Reichsbahn

234

1

Mewis, Karl (Jg. 1907)

Kandidat des SED-PB, 1. Sekretär SED-BL Rostock/Leiter SPK (ab Juli 1961)

535, 628, 652, 666, 749, 786

6

Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten

467

1

Neumann, Alfred (Jg. 1909)

Mitglied des SED-PB, Sekretär des SED-ZK (Wirtschaft)/Minister und Vors. des Volkswirtschaftsrates (ab Mitte 1961)

26, 55, 77, 131, 132, 167, 173, 200, 202, 207, 216a, 239, 247, 373, 380, 391, 522, 535, 552, 628, 648, 652, 666, 728, 749, 762, 763, 772

28

Reichelt, Hans (Jg. 1925)

Mitglied im Parteivorstand der DBD, Minister für Land- und Forstwirtschaft

243 (als »Reichel«)

1

Rodenberg, Hans (Jg. 1895)

Mitglied der Kulturkommission beim SED-PB, stellv. Minister für Kultur

358

1

Schumann, Horst (Jg. 1924)

Mitglied des SED-ZK, 1. Sekretär des FDJ-Zentralrates

200

1

Schwab, Sepp (Max Joseph) (Jg. 1897)

stellv. Minister für Auswärtige Angelegenheiten, SED

659

1

Seibt, Kurt (Jg. 1908)

Mitglied des SED-ZK, 1. Sekretär der SED-BL Potsdam

14, 243

2

Selbmann, Erich (Jg. 1926)

Sekretär der SED-BL Berlin (1959–1964)

792

1

Sindermann, Horst (Jg. 1915)

Kandidat des SED-ZK, Leiter der Abt. Agitation und Propaganda im SED-ZK

75

1

Stoph, Willi (Jg. 1914)

Mitglied des SED-ZK, stellv. Vorsitzender des DDR-Ministerrats (Sicherheit, Technik, Kernforschung)

26, 98, 123, 138, 142, 147, 166, 170, 188, 190, 202, 207, 213, 214, 216a, 264, 305, 306, 341, 349, 660, 676, 677, 696, 710, 728, 743, 758, 772

29

Ulbricht, Walter (Jg. 1893)

Erster Sekretär des SED-PB, Vorsitzender des NVR und des DDR-Staatsrats

26, 35, 38, 55, 62, 75, 87, 90, 123, 124, 125, 139, 173, 202, 207, 243, 272, 278, 279, 280, 283, 286, 292, . 302, 331, 350, 351, 353, 379, 390, 392, 419, 427, 441, 444, 449, 480, 481, 492, 505, 561, 583, 587, 628, 632, 659, 660, 671, 673, 676, 686, 704, 710, 718 (mündlich), 722, 732, 744, 751, 757, 758, 759, 766, 769, 772, 780, 786, 788, 807

68

Verner, Paul (Jg. 1911)

Kandidat des SED-PB, 1. Sekretär der SED-BL Berlin

167, 200, 292, 449, 480, 492, 505

7

Warnke, Herbert (Jg. 1902)

Mitglied SED-PB, Vorsitzender des FDGB-Bundesvorstandes

14, 55, 131, 279, 647

5

Winzer, Otto (Jg. 1902)

Mitglied des SED-ZK, Staatssekretär und 1. stellv. Außenminister (Außenminister Lothar Bolz, NDPD)

75, 771, 792

3

Wittkowski, Margarete (Jg. 1910)

Kandidatin SED-ZK, stellv. Vorsitzende des Ministerrates für Handel, Versorgung und Landwirtschaft (ab Febr. 1961)

142, 170, 349, 660, 666, 696

6

Zentraler Einsatzstab Berliner Mauerbau beim NVR

(Honecker, Stoph, Hoffmann, Maron, Mielke, Kramer, Paul Verner u. a.)

421b, 423, 429

Außerdem: Information durch Mielke als Mitglied der Einsatzleitung wahrscheinlich:

Information (13): 413, 414, 415, 416, 417, 418, 419, 420, 421a, 436.

Allgemeine Lageberichte (21): 440, 447, 457, 466, 470, 475, 477, 482, 486, 489, 491, 494, 496, 500, 510, 514, 530, 532, 546, 554, 560.

3

Tabelle 2: Name und Funktion der Adressaten innerhalb des MfS 1961 (ohne ZIG)

Name, Vorname

Funktion

Beater, Bruno (Generalmajor)

Stellvertreter Mielkes für Spionageabwehr, Untergrund, Beobachtung/Ermittlung, Technische Bereiche u. a.

Grünert, Werner

Leiter der Spionageabwehr im MfS (HA II)

Harnisch, Gerhard

Stabsoffizier für Koordination der Fluchtabwehr, (ab 1962: BdL II)

Kleinjung, Karl

Leiter der Militärabwehr (HA I)

Otto, Walter

Leiter der Arbeitsgruppe Instruktion (Anleitung und Kontrolle)

Scholz, Alfred

Leiter der Arbeitsgruppe für Mobilmachung (AGM), Leiter des MfS-Einsatzstabs zu Mauerbau und -sicherung

Walter, Otto (Generalleutnant)

1. Stellvertreter Mielkes (u. a. für Wirtschaft und Verkehr)

Wichert, Erich

Leiter der MfS-Verwaltung Groß-Berlin

Wolf, Markus

Stellvertreter Mielkes und Leiter der Auslandsspionage (HV A)