Vorfälle mit US-Alliierten an Berliner Grenzpunkten (1)
23. Oktober 1961
Einzel-Information Nr. 659/61 über schwere Grenzprovokationen durch Angehörige der amerikanischen Besatzer in Westberlin
In den letzten Tagen kam es an der Staatsgrenze der DDR nach Westberlin und an der Grenze zur Westberliner Enklave Steinstücken zu einigen schweren Grenzprovokationen, die durch Angehörige der in Westberlin stationierten amerikanischen Besatzer ausgelöst wurden.
Am 22.10.1961, gegen 19.15 Uhr fuhr das Fahrzeug B 2000 der amerikanischen Luftwaffe am KP Friedrichstraße in das demokratische Berlin ein.1 Die Insassen des Pkw – eine männliche und eine weibliche Person in Zivil (nach westlichen Pressemeldungen soll es sich um den Leiter der US-Mission in Westberlin, Allan Lightner, gehandelt haben) – lehnten es ab, sich auszuweisen. Einer weiteren Aufforderung, den KP zu verlassen, kamen sie ebenfalls nicht nach, sondern blieben mit ihrem Pkw stehen.
Gegen 19.45 Uhr fuhr der Pkw plötzlich an, sodass die Grenzposten schnell zur Seite springen mussten, um nicht überfahren zu werden. Durch Signale wurde der Posten an der Krausenstraße aufmerksam gemacht, der dann das Fahrzeug erneut stoppte. Von der sowjetischen Dienststelle, die über den Vorfall informiert wurde, kam die Auskunft, dass die Sicherungskräfte der VP in eigener Zuständigkeit verfahren sollten.
In der Zwischenzeit erschienen ein amerikanischer Oberst (Chef der amerikanischen Militärpolizei in Westberlin) in Zivil und ein amerikanischer Soldat am KP Friedrichstraße. Der amerikanische Oberst, offensichtlich im angetrunkenen Zustand, begann am Kontrollpunkt eine wüste Schimpferei, forderte die sofortige Weiterfahrt und drohte im Weigerungsfalle mit der Auffahrt amerikanischer Panzer. Anschließend fuhr ein amerikanisches Militärfahrzeug bis zu dem gestoppten Pkw vor, wobei noch ein Posten der VP eingeklemmt und verletzt wurde. (Der Posten musste dem VP-Krankenhaus zur Behandlung zugeführt werden.) Gegen 21.00 Uhr erschien ein weiteres amerikanisches Militärfahrzeug. Gleichzeitig wurde durch den amerikanischen Oberst eine Gruppe von neun US-Soldaten alarmiert, die ihre Waffen durchluden, zu den amerikanischen Fahrzeugen marschierten und den Pkw B 2000 flankierten. Die US-Soldaten hatten im demokratischen Berlin ihre Seitengewehre aufgepflanzt. In der angeführten Formation bewegten sich die drei amerikanischen Fahrzeuge und die neun US-Soldaten bis kurz vor die Leipziger Straße, wendeten dort und fuhren nach Westberlin zurück.
Gegen 21.20 Uhr wiederholten die amerikanischen Besatzer ihre Provokation und fuhren am KP Friedrichstraße mit den gleichen Fahrzeugen, erneut von der neun Mann starken Gruppe amerikanischer Soldaten begleitet, in das demokratische Berlin bis zur Ecke Krausenstraße ein.
Gegen 21.30 Uhr erschien eine Gruppe sowjetischer Offiziere am Kontrollpunkt und verhandelte mit dem amerikanischen Oberst. Ein Oberstleutnant der sowjetischen Streitkräfte bestätigte den Grenzposten der VP, richtig gehandelt zu haben. Er wies an, bei weiteren Vorkommnissen der geschilderten Art die Fahrzeuge passieren zu lassen. Die weiteren Maßnahmen würden von sowjetischer Seite veranlasst.
Neben dem Einsatz amerikanischer Militärfahrzeuge – es handelt sich um die zwei Wagen der amerikanischen Militärmission mit den Kennzeichen BC 125 und BC 137 – und Soldaten wird auch durch die Reaktion der Westpresse und durch die Anwesenheit zahlreicher westlicher Bildreporter am Grenzübergang bestätigt, dass es sich hier um vorbereitete Provokationen gehandelt hat.2
Bereits am 15.10., gegen 17.45 Uhr hatten sich fünf Frauen in Zivil, die mit dem Wagen B 3413 den KP Friedrichstraße passierten, geweigert, sich auszuweisen. Den Aufforderungen der Wageninsassen sowie eines später hinzugekommenen amerikanischen Offiziers, dass sich unsere Grenzposten mit sowjetischen Vertretern in Karlshorst in Verbindung setzen sollten, kamen unsere Grenzposten nicht nach, mit dem Hinweis, dass die amerikanischen Stellen selbst eine Dienstleitung nach Karlshorst haben. Kurze Zeit später erschien ein bewaffneter US-Soldat, setzte sich ans Steuer und fuhr den Wagen in das demokratische Berlin. Er kam nach etwa acht Minuten wieder zurück. Auch hier standen auf westlicher Seite Reporter und Fotografen, um den Vorgang festzuhalten.
An der Grenze zur Westberliner Enklave Steinstücken kam es bereits am 9.10. in der Zeit von 9.20 Uhr bis 11.00 Uhr zu mehreren Provokationen der dort stationierten amerikanischen Besatzer. Neben der wiederholten Beschimpfung unserer Grenzsicherungsposten (»Russenknechte« usw.) überstieg je ein US-Besatzer an zwei Stellen unsere Grenzsicherungsanlage und begab sich einige Meter auf das Territorium der DDR. In beiden Fällen richtete ein anderer amerikanischer Besatzer die durchgeladene MPi auf unsere Grenzsicherungsposten.
Am 23.10.1961, gegen 19.45 Uhr kam es am KP Friedrichstraße zu einer weiteren Provokation. Die Insassen des Pkw B 2016 lehnten es ab, sich den Grenzposten der VP gegenüber zu legitimieren. Während dieses Vorfalles befanden sich in der Nähe des KP auf Westberliner Gebiet ein Pkw der amerikanischen Besatzer und sechs Angehörige der US-Armee. Neben den Posten, die normalerweise dort stehen (3 US-Soldaten, 3 Stummpolizisten und 3 Zöllner), hielten sich in etwa 75 m Entfernung noch sechs bis sieben Westberliner Bereitschaftspolizisten auf. Da von den Grenzposten der VP bereits wenige Minuten vorher etwa sechs Bildreporter auf Westberliner Seite festgestellt wurden und damit der provokatorische Charakter offensichtlich war, konnte das Fahrzeug unkontrolliert passieren. Beim Passieren des Kontrollpunktes auf der Rückfahrt nach Westberlin lehnten die Insassen des genannten Pkw es erneut ab, sich auszuweisen.
Aus dem Charakter der geschilderten Provokationen geht hervor, dass es sich um eine zentral organisierte Aktion handelt, um die angebliche Gültigkeit des Viermächtestatus in Berlin zu demonstrieren. Offensichtlich soll damit erreicht werden, dass unsere Bestimmungen für das Betreten des demokratischen Berlin durchlöchert werden und die sowjetischen Organe sich wieder unmittelbar in die Kontrolle zumindest am KP Friedrichstraße einschalten. Nach den für das Betreten des demokratischen Berlin geltenden Bestimmungen haben sich alle Zivilpersonen bei der Einfahrt in das demokratische Berlin zu legitimieren. Alle Angehörigen der westlichen Besatzungsstreitkräfte dürfen nur dann unkontrolliert passieren, wenn sie als Militärangehörige zu erkennen sind und die für das Betreten des demokratischen Berlin geltenden Bestimmungen einhalten.
In diesem Zusammenhang muss auch gesehen werden, dass die am KP Friedrichstraße eingesetzten amerikanischen Militärpolizisten jetzt in demonstrativer Weise den Eindruck hervorzurufen versuchen, als ob sie selbst die Kontrollfunktionen übernommen hätten.
Der organisierte Charakter dieser Provokationen geht ebenfalls aus den uns bekannt gewordenen Vorschriften des französischen Stadtkommandanten von Westberlin, General Lacomme, über die in der Einzelinformation Nr. 658/613 berichtet wird, hervor.
In Verbindung mit dem MdI wurde über ADN eine kurze sachliche Darstellung der Provokationen vom 22.10.1961 gegeben. Es wird vorgeschlagen, dass darüber hinaus das MfAA aufgrund dieser Vorkommnisse offiziell bei der Regierung der USA Protest erhebt. Die sowjetischen Freunde wurden im Interesse der Einleitung geeigneter Maßnahmen über den genauen Hergang der Provokationen informiert.