Leitung und Organisation des Verkehrsministeriums
5. Dezember 1961
Bericht Nr. 710/61 über Mängel in der Leitungstätigkeit des Ministeriums für Verkehrswesen
Die auf dem 13. Plenum und auf der Wirtschaftskonferenz der SED 1961 getroffenen Feststellungen,1 dass die Planung und Leitung unserer Wirtschaft noch nicht den erhöhten Anforderungen und komplizierten Bedingungen entspricht, treffen, nach übereinstimmenden Einschätzungen und Ansichten zahlreicher in den verschiedensten mittleren und leitenden Funktionen des Verkehrswesens – besonders im MfV selbst – tätigen Personen, zu einem großen Teil auf die Leitung des Ministeriums für Verkehrswesen (MfV) zu.
Das Verkehrswesen der DDR hat weder in den vergangenen Jahren die Transportpläne erfüllt, noch zeichnet sich für das Jahr 1961, wo eine Steigerung des Güterverkehrs um 6,4 % gegenüber dem Vorjahr vorgesehen ist (insgesamt 548 Mio. t Güter) eine annähernde Planerfüllung ab. Hinzu kommen noch die aus der Unabhängigmachung und aus den Sicherungsmaßnahmen des 13.8.1961 sich ergebenden zusätzlichen Aufgaben für das gesamte Verkehrswesen, u. a. die Erhöhung der Transporte aus der Sowjetunion und bestimmte vom Kohle- und Energieprogramm abhängige Verlagerung der Transportaufgaben.2
Neben einigen objektiven Ursachen, liegen die Hauptursachen der Nichterfüllung der Transportpläne in der mangelhaften Leitungstätigkeit des Ministeriums für Verkehrswesen, besonders des Ministers für Verkehrswesen, Genossen Kramer.3
Die Erfüllung der Transportpläne wird durch eine Reihe sich schädlich auswirkender Erscheinungen gehemmt, besonders durch die ungenügende Betriebssicherheit bei der DR und durch ernsthafte Mängel im Investgeschehen.
Vorwiegend durch Schlamperei, Abweichung von den Dienstvorschriften und ähnliche Ursachen ist die Zahl der Bahnbetriebsunfälle auch jetzt noch sehr hoch, wobei sich besonders solche Unfälle häufiger zeigen, die neben einem hohen materiellen oder Personenschaden auch größere Betriebsstörungen zur Folge haben.4
Diese Unfälle wirken sich in hohem Maße schädlich auf die gesamte Wirtschaft aus, besonders durch zahlreiche und oft langanhaltende Streckensperrungen sowie Reduzierung des Wagenparks.
Obwohl dies der Leitung des MfV bekannt ist und sie wiederholt auch vom MfS durch Informationen – z. B. nach dem schweren Unfall in Leipzig im Mai 19605 – auf die unbedingte Notwendigkeit der Erhöhung der Betriebssicherheit aufmerksam gemacht wurde, hat die Leitung des MfV nicht systematisch an der Lösung dieser Hauptaufgabe gearbeitet.
Im Kollegium desMfV erfolgte eine grundsätzliche Beratung über Fragen der Betriebssicherheit letztmalig im Oktober 1959 (!).6
Aufgrund der Informationen des MfS wurde auch vom Präsidium des Ministerrats die Leitung des MfV beauftragt, vor dem Ministerrat über die Betriebssicherheit zu berichten. Dazu war für den 27.6.1960 eine Beratung im Kollegium vorgesehen. Nach dreimaliger Verschiebung wurde diese auf Anweisung des Genossen Minister Kramer schließlich gänzlich von der Tagesordnung des Kollegiums abgesetzt, weil vom Ministerrat die »Berichterstattung« abgesagt wurde.
Als die Präsidenten der Reichsbahndirektionen Halle und Dresden eine Beratung über Fragen des Oberbaues und der Betriebssicherheit forderten, erfolgte diese zwar Anfang Mai 1961 mit den Präsidenten aller Reichsbahndirektionen, doch war diese Beratung ungenügend vorbereitet und bezeichnenderweise »zwanglos und ohne Tagesordnung« durchgeführt. Wichtige Fragen, die die Präsidenten in ihrer täglichen Arbeit bewegen, wurden nicht geklärt. Es wurde festgelegt, einen Monat später eine weitere Beratung durchzuführen. Zu ihrer Vorbereitung wurden leitende Funktionäre mit der Erarbeitung einer Konzeption beauftragt, die jedoch nur allgemeinen Charakter trug und zurückgewiesen werden musste. Dadurch wurden auch in der zweiten Beratung keine wesentlichen Ergebnisse erzielt, sodass diese Zusammenkünfte nicht den Charakter grundsätzlicher Beratungen über Betriebssicherheit trugen.
Für die administrative Arbeitsweise des MfV ist typisch, dass ein von der Leitung des MfV geforderter Maßnahmeplan zu Fragen der Betriebssicherheit, Ordnung und Disziplin auf dem Gebiet der Deutschen Reichsbahn zwar unter großem Aufwand ausgearbeitet und im Juni dem ZK übergeben, im MfV selbst aber bis jetzt noch nicht zur Grundlage operativer7 Maßnahmen gemacht wurde, um die ernste Situation der Betriebssicherheit zu verändern. D. h., man beschäftigte sich teilweise damit, spürt aber in der Praxis keine oder nur geringe Auswirkungen davon.
Eine weitere ernste Erscheinung sind die seit Jahren bestehenden Mängel im Investitionsgeschehen des Verkehrswesens. So wurde der Plan der Investitionen8 im Jahre 1960 nur mit 91 % und einem Rückstand von 67 Mio. DM erfüllt. Insbesondere waren dabei Staatsplanvorhaben betroffen.
Im Jahre 1961 ist wiederum ein erheblicher Rückstand in der Realisierung des Investitionsprogramms zu verzeichnen.
Von der Leitung des Verkehrswesens wurden aus den Plänen sowie der Wirtschaftskonferenz nicht die notwendigen Schlussfolgerungen für das Investgeschehen gezogen. Durch das Fehlen einer straffen Ordnung9 im Investitionsgeschehen besteht eine ungenügende Perspektivplanung und Koordinierung der Investitionen zwischen den einzelnen Hauptverwaltungen – gesetzliche Bestimmungen werden umgangen.
Da keine klare Abgrenzung der Verantwortlichkeit10 besteht, werden wichtige Entscheidungen nicht getroffen. So besitzt die Abteilung Investitionen11 außer einem selbst aufgestellten Strukturplan keine weiteren Arbeitsanweisungen, und der Leiter hat keinen fest umrissenen Verantwortungsbereich.
Charakteristisch dafür, dass sich selbst von den leitenden Funktionären niemand für Investfragen verantwortlich fühlt, ist auch das folgende Beispiel:
Aufgrund von Hinweisen des MfS an die Parteiführung, wurde vom Sekretär des ZK der SED, Genosse Dr. Apel, am 3.6.1961 die Leitung des MfV aufgefordert, bis zum 20.6.1961 die Investitionstätigkeit des MfV zu untersuchen.Ohne Stellungnahme der Leitung des Ministeriums wurde der Brief erst nach zehn Tagen der Abteilung Planung zwecks Beantwortung zugeleitet. Vom Leiter der Abteilung Planung wurde die Beantwortung des Briefes jedoch abgelehnt, worauf der Stellvertreter des Ministers, Genosse Leiser (verantwortlich für Baugeschehen und Investitionen) damit beauftragt wurde. Dieser bat den 1. Sekretär der Zentralen Parteileitung um Auskunft, wie er den Brief beantworten soll.12
(In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass sich seit März 1961 eine Kommission der Zentralen Parteileitung von sich aus mit dem Investitionsgeschehen befasste, weil sie die Wichtigkeit des Problems und die Mängel, die es dabei im MfV gibt, erkannte.13 Dies war der Leitung des Ministeriums bekannt, trotzdem nahm sie vorher keine Verbindung zur Zentralen Parteileitung auf.)
Nach den Sicherungsmaßnahmen vom 13.8.1961 wurden vom Genossen Minister Kramer, ohne mit seinen Stellvertretern oder den Leitern der Hauptverwaltungen grundsätzlich zu beraten, die Investmittel für das Jahr 1961 wegen Durchführung von Sonderbaumaßnahmen für die ursprünglich vorgesehenen Projekte gänzlich gestrichen. Die für das Jahr 1962 zur Verfügung stehenden Investgelder sollen fast ausschließlich für Sonderbaumaßnahmen verwendet werden.
Leitende Funktionäre des MfV sind mit dieser Entscheidung, obwohl die Notwendigkeit von Sonderbaumaßnahmen von ihnen anerkannt wird, nicht einverstanden. Sie verurteilen die eigenmächtige und von anderen Hauptaufgaben losgelöste Entscheidung vom Genossen Minister Kramer, eine Oberbauerneuerung erst in den Jahren 1963 bis 1965 durchzuführen. Nach ihrer Ansicht hätte dies eine weitere Verschlechterung der Betriebssicherheit und Beschränkung der Transportleistungen zur Folge.
Die zzt. bestehenden Langsamfahrstellen von 400 km würden sich durch diese Entscheidung auf 700 km im Jahre 1962 – bei weiterer Senkung der Durchlassfähigkeit – erhöhen.14
Durch die von Minister Kramer ebenfalls festgelegte gänzliche Streichung auch der Investmittel der Hauptverwaltung Sicherungs- und Fernmeldewesen für 1962 würden sich nach Meinung des Hauptverwaltungsleiters besonders im Basa-Netz Schwierigkeiten ergeben und Investruinen auftreten.15
Es muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass über die einzelnen Probleme bereits grundsätzlich in ausführlichen Informationen berichtet wurde, z. B. Fragen der Betriebssicherheit (Inf.-Nr. 770/60 vom November 1960), Investgeschehen (Inf.-Nr. 174/61 vom April 1961 und 305/61 vom Juni 1961)16 und deshalb in diesem Bericht nicht noch näher darauf eingegangen wird. Ebenfalls wurde am 20.11.1960 in diesem Zusammenhang über Materialwirtschaft beim MfV informiert.
Die Tatsachen, dass trotz konkreter Hinweise und Vorschläge seitens des MfS bisher auf diesen Gebieten keine nennenswerten Veränderungen erfolgten, beweist gleichzeitig, dass bei einigen Funktionären des MfV offensichtlich eine gewisse Sorglosigkeit gegenüber Missständen und Mängeln herrscht.17 Diese Tatsachen beweisen ferner, dass die Leitungstätigkeit im MfV insgesamt nicht den Anforderungen genügt und als Hauptursache dieser schädlichen Erscheinungen angesehen werden muss.
Ein Hauptmangel der Leitungstätigkeit im MfV ist die teilweise ungenügende Auswertung der Beschlüsse von Partei und Regierung und ihre schwache Anwendung auf die Probleme des Verkehrswesens.18
So wurde die Störfreimachung des Verkehrswesens vom MfV19 nur schleppend in Angriff genommen und nicht konsequent verfolgt. Dem MfV durch das Zentralkomitee, das Präsidium des Ministerrates und die Staatliche Plankommission übertragene Aufgaben wurden in den seltensten Fällen termingerecht erfüllt. Z. B. sollte dem Ministerrat bis Februar 1961 ein Bericht über die Sicherung der Transportaufgaben im Jahre 1961 und eine zu erarbeitende Transportverordnung vorgelegt werden, was aber trotz mehrmaliger Mahnungen durch Genossen Stoph vom MfV bis Juli 1961 hinausgezögert wurde.
Der ungenügende Kampf um die Durchsetzung der Parteibeschlüsse20 zeigte sich auch bei der Auswertung des 13. Plenums des ZK der SED auf der Parteiaktivtagung21 des MfV.22 Die Parteiaktivtagung war durch die Parteiorganisationen nicht genügend vorbereitet und die Teilnehmer mit der Problematik der Tagung ungenügend vertraut. Nach übereinstimmenden Einschätzungen von Teilnehmern an dieser Tagung war auch das vom Genossen Minister Kramer gehaltene Referat unqualifiziert, ohne konkrete Schlussfolgerungen für das Verkehrswesen und gab damit keine Orientierung. Die Aktivtagung musste deshalb abgebrochen und zu einem späteren Termin fortgesetzt werden.
Eine ähnliche Unterschätzung der Parteibeschlüsse stellen die vom Genossen Minister Kramer aus der Wirtschaftskonferenz des ZK der SED im Oktober 1961 gezogenen Schlussfolgerungen dar, bei denen er sich davon leiten ließ, dass das Verkehrswesen dreimal und davon zweimal positiv genannt wurde und man damit zufrieden sein kann. Die in diesen Beispielen zum Ausdruck kommende Unterschätzung der Beschlüsse von Partei und Regierung zeigt sich aber besonders auch darin, dass sie nicht im Mittelpunkt der gesamten Leitungstätigkeit des MfV stehen.
So ist typisch, dass die von der Fachabteilung des ZK dem Ministerium übergebenen konkreten Ausarbeitungen über eine »Ordnung für die Leitungstätigkeit« zwar Ende 196023 vom Minister zur Grundlage einer vorläufigen Arbeitsordnung genommen wurden, aber gearbeitet wird nach dieser Ordnung nicht. Das Kollegium kommt z. B. seiner Aufgabe, Grundsatzfragen der Verkehrspolitik zu beraten, Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung zu beschließen und die Kontrolle über die Erfüllung aller Planaufgaben auszuüben, nicht im notwendigen Maße nach. Die Sitzungen tragen vorwiegend informatorischen Charakter, und vom Genossen Minister Kramer und z. T. auch von seinen Vertretern wird trotz mehrfacher Kritik in Parteiaktivtagungen und Parteileitungssitzungen nichts unternommen, um das Kollegium wirklich arbeitsfähig zu machen. Teilweise machen sich die Kollegiumsmitglieder erst bei Beginn der Sitzung mit der Tagesordnung und dem Material vertraut.24
Im Arbeitsplan des Kollegiums aufgenommene Probleme werden nicht behandelt und dadurch ihre Lösung verzögert.
Als Folgeerscheinung wurde z. B. im Jahre 1960 der Lohnfond der Deutschen Reichsbahn durch ungenügende Vorbereitung der lohnerhöhenden Maßnahmen mit 25 Mio. DM überzogen.25
Seitens des Kollegiums besteht die Tendenz, Grundsatzfragen und wichtige Probleme, die eigentlich vom Kollegium entschieden werden müssten, in Dienstbesprechungen der einzelnen Fachabteilungen behandeln zu lassen.
Aber auch bei den Dienstbesprechungen traten im Wesentlichen die gleichen Fehler in der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung wie bei den Kollegiumssitzungen in Erscheinung. Probleme untergeordneter Bedeutung werden dort oft stundenlang und ohne Nutzeffekt diskutiert, während andererseits bedeutende Aufgaben ungelöst bleiben.
So hat die Deutsche Reichsbahn, als einer der größten Valuta-Träger der DDR, entsprechend dem 11. Plenum des ZK der SED die Aufgabe,26 durch Beschleunigung des Fremdwagenumlaufes auf dem Streckennetz der DR die Zahlung von Devisen auf ein Minimum zu senken.27
Dieser Forderung wurde bisher nicht entsprochen, und die Fremdwagen werden nach wie vor wie die reichsbahneigenen Güterwagen behandelt.28 Der Leitung des MfV ist diese Situation seit Langem bekannt, Maßnahmen zur Veränderung wurden jedoch nicht eingeleitet.
Durch die Hauptverwaltung Sicherungs- und Fernmeldewesen wurden für Devisen aus der Westzone und der Volksrepublik Polen Blockfelder und Induktoren aufgekauft, obwohl diese in einer großen Anzahl in einer Sicherungs- und Fernmeldewerkstatt seit 1958 lagern.
Der Hauptverwaltungsleiter ließ sich zwar über diese und andere bei Überprüfungen festgestellte Mängel informieren, Veränderungen traf er jedoch ebenfalls nicht.29
Diese Beispiele sind außerdem Ausdruck der ungenügenden Anleitung und Kontrolle. Besonders deutlich zeigt sich dies seit Jahren auch bei den dem Minister bzw. seinem 1. Stellvertreter unmittelbar unterstellten zentralen Abteilungen, wo seit 1951 nur zwei Dienstbesprechungen über die prinzipiellen Aufgaben durchgeführt wurden. Seit30 Jahren erfolgt z. B. keine Analysierung der internationalen Arbeit, um die Perspektive für die internationale Arbeit festlegen zu können.
Ein weiterer Mangel der Leitungstätigkeit ist die ungenügende Koordinierung, sowohl unter den Verkehrsträgern selbst, als auch zwischen dem Verkehrswesen und den einzelnen Zweigen der Industrie, der Landwirtschaft sowie den Ministerien für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, als einer wesentlichen Voraussetzung bei der Lösung der Aufgaben des MfV.
Eine solche Zusammenarbeit ist äußerst schwach entwickelt und wird von der Leitung des Ministeriums für Verkehrswesen auch nicht gefördert. Dadurch entstand der DDR sowohl politischer als auch finanzieller Schaden. So wurden durch die Hauptverwaltung Wasserstraßen mit großem finanziellen Aufwand alle Voraussetzungen zur durchgehenden Nachtschifffahrt geschaffen, von der Hauptverwaltung Schifffahrt dagegen wird nichts zu ihrer Verwirklichung unternommen.31
Auf der gleichen Linie liegt die Tendenz, einseitig die Belange der Deutschen Reichsbahn zu sehen, aber zu wenig die Entwicklung und Probleme der anderen Verkehrsträger zu beachten, was besonders bei den leitenden Funktionären ausgeprägt ist.
Als eine Folge sind z. B. bei der Deutschen Lufthansa zzt. für ca. 11,2 Mio. DM Überplanbestände vorhanden, die zu einem großen Teil erst nach Übernahme der Deutschen Lufthansa durch das MfV beschafft wurden, ohne Verwendungsmöglichkeiten dafür zu haben.32
Diese Überplanbestände sind seit längerer Zeit bekannt, ohne dass der Forderung unserer Partei entsprochen wird, Material einzusparen und Überplanbestände zu beseitigen. Im Gegenteil zeigen sie seit Angliederung der Deutschen Lufthansa an das MfV eine zunehmende Tendenz.33
Obwohl von leitenden Funktionären des ZK der SED in den letzten Jahren mehrmals die Kaderarbeit des Ministeriums für Verkehrswesen kritisiert wurde und auch das MfS die Leitung des MfV über Missstände informierte, wird nach wie vor von der Zentralen Kaderabteilung ungenügend grundsätzlichen Problemen der Kaderarbeit Rechnung getragen.
So wird u. a. die Schaffung einer Kaderreserve unterschätzt, und wichtige Funktionen blieben dadurch längere Zeit unbesetzt.
Vorschläge der Zentralen Kaderabteilung werden vom Genossen Minister Kramer oft ignoriert. Stattdessen setzt er Kraft seiner Autorität als Minister seine eigenen Vorschläge durch, auch wenn sie nicht richtig sind, ohne dass eine kollektive Beratung darüber erfolgt.34
Der Einsatz von Kadern – besonders in den Verkehrsvertretungen in kapitalistischen Ländern, – erfolgt nicht planmäßig und zielstrebig auf Perspektive. Der Forderung des MfS, solche Kader ein Jahr vor ihrem Einsatz festzulegen, wurde bisher in keinem Falle entsprochen. In der Regel werden solche Kader erst dann festgelegt, wenn eine Ablösung durchgeführt wird.35
Bei der Attestierung aller Eisenbahner 1960/61 traten durch mangelhafte politische und organisatorische Vorbereitung dieser Maßnahmen erhebliche Schwächen auf, die zu Unzufriedenheit unter den Beschäftigten führten. Dadurch musste ein Lohnausgleich von ca. 1 Mio. DM gezahlt werden. Der Beschluss des ZK der SED, die Attestierung bis zum »Tag des Eisenbahners« 1961 abzuschließen, wurde nicht realisiert.
Im Sommer 1961 wurde von einer Kaderkommission unter Leitung des MdI eine Kontrolle durchgeführt, die ergab, dass sich in den leitenden Funktionen der überprüften Bereiche Konzentrationen ehem. NSDAP-Mitglieder, Dienstgrade der faschistischen Wehrmacht, vor allem jedoch alte Beamte und Angestellte der DR befinden.36
Dies trifft bei 30 % aller leitenden Kader des MfV zu und ist in der Hauptverwaltung Wagenwirtschaft, Maschinenwirtschaft sowie Sicherungs- und Fernmeldewesen bei 50 % aller Funktionäre nachweisbar. Die Kommission stellte fest, dass dies bekannt ist, aber gegenüber solchen Erscheinungen Sorglosigkeit herrscht. Aber auch aus diesen Feststellungen wurden im MfV bisher noch keine Schlussfolgerungen gezogen.
Ferner liegen dem MfS eine Reihe Hinweise vor, dass sich die Mitarbeiter der Zentralen Kaderabteilung insgesamt inkonsequent und unkritisch verhalten. Unmoralische und disziplinlose Erscheinungen einzelner Beschäftigter werden von den leitenden Funktionären der zentralen Kaderabteilung geduldet.
Die Hauptursachen der dargelegten Schwächen in der Leitungstätigkeit und der Gesamtsituation im Verkehrswesen überhaupt sind nach übereinstimmenden Ansichten und Einschätzungen sowohl leitender und mittlerer Funktionäre als auch einer Vielzahl anderer Beschäftigter des MfV fast ausnahmslos subjektiver Natur und in erster Linie auf die Haltung und den Arbeitsstil des Ministers für Verkehrswesen, Genossen Kramer, zurückzuführen.37
Als ausschlaggebend für diese Einschätzung wird die Vernachlässigung der grundsätzlichen Orientierung, der konkreten Anleitung, Kontrolle und Koordinierung der Arbeit des MfV durch den Genossen Minister Kramer und die ungenügende Kollektivität der Leitung angesehen.38
Dadurch werden wichtige Verkehrsprobleme nicht kollektiv beraten sondern einseitig vom Genossen Minister Kramer entschieden, wobei oft die Richtigkeit dieser Entscheidungen von leitenden Funktionären des Verkehrswesens angezweifelt wird. Durch diese Praxis war es aber auch andererseits möglich, dass wichtige Verkehrsprobleme unbeachtet blieben und nicht entschieden wurden.
Vom 1. Sekretär der Zentralen Parteileitung des Ministeriums für Verkehrswesen wird eingeschätzt, dass zwischen dem Minister und der Parteileitung keine Zusammenarbeit erfolgt. Oftmals entstünde der Eindruck, als ob der Minister gar nicht weiß, dass es im Ministerium eine Grundorganisation der Partei gibt.
Daraus resultiert u. a. mit, dass vom Kollektiv der Leitung die Beschlüsse der Partei und Regierung nicht in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt werden. Kritiken an seiner Person werden vom Genossen Minister Kramer – teilweise in unsachlicher Art – unterdrückt, und es ist bezeichnend, dass er in Hinweisen und Kritiken Angriffe auf seine Person sieht und darauf auf eine von den kritisierenden Personen angeblich betriebene Ablösung als Minister schlussfolgert.
Infolge dieses nicht parteimäßigen Verhaltens bestehen zwischen Genossen Minister Kramer und den leitenden Funktionären des MfV ein ungesundes Verhältnis und Spannungen, was sich nachteilig auf die Leitungstätigkeit insgesamt auswirkt. Von leitenden Funktionären des Ministeriums für Verkehrswesen sowie der Zentralen Parteileitung wurde Genosse Minister Kramer mehrmals aufgefordert, das Verhältnis zu seinen Stellvertretern zu verbessern und bestehende Unstimmigkeiten zu beseitigen.39 Trotz seines Versprechens, Aussprachen zur Verbesserung der Leitungstätigkeit und kollektiven Zusammenarbeit durchzuführen, veränderte sich bisher nichts.
Außerdem wird seine oft extrem einseitige Einstellung zu bestimmten Problemen kritisiert, die bis zur Vernachlässigung aller anderen Aufgaben führt. Z. B. befasste sich seit dem 13.8.1961 Genosse Minister Kramer fast ausschließlich mit den Grenzsicherungsmaßnahmen, wobei er selbst kleinste Objekte und Teilfragen, wie die Durchführung einzelner Projektierungen und Entwürfe, selbst entscheiden will und sich in Einzelheiten verliert. Er wird deshalb von leitenden Funktionären bereits belächelt, und sie bemängeln, dass sich der Minister nicht um Grundsatzfragen kümmert.
In ähnlicher Weise ist Genosse Minister Kramer bestrebt, seine technischen Interessensgebiete einseitig in den Vordergrund zu stellen. Dabei werden von ihm mitunter Maßnahmen eingeleitet und Entscheidungen getroffen, für deren Verwirklichung nicht immer die gesetzlichen, materiellen und finanziellen Voraussetzungen gegeben sind. (Typisch hierfür war das Spurwechselradsatzprogramm.)
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass Genosse Minister Kramer durch moralische Schwächen, besonders durch übermäßigen Genuss von Alkohol, ständig mehr an Autorität verliert. U. a. hat er sich nach Genuss von Alkohol nicht mehr in der Gewalt.40
Die Schwächen und Mängel in der Arbeit des Genossen Ministers Kramer übertragen sich auf die gesamte Leitungstätigkeit des Ministeriums für Verkehrswesen, besonders durch sein oft diktatorisches Verhalten, das keine andere Meinung gelten lässt.
Durch die fehlende Kollektivität der Leitung fühlt sich keiner für die Einleitung wirksamer Maßnahmen zur Beseitigung von Missständen und Unzulänglichkeiten verantwortlich, wodurch diese geduldet und indirekt gefördert werden.41
Mielke [Unterschrift]