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Probleme in der Volksbildung (u. a. Lage der Lehrer)

1. Juni 1961
Bericht Nr. 270/61 über einige Probleme der Volksbildung, speziell zur Lage unter den Lehrern nach Veröffentlichung des Kommuniqués des Politbüros der SED und in Vorbereitung des VI. Pädagogischen Kongresses

Aus den dem MfS vorliegenden Materialien geht eindeutig hervor, dass neben den bisherigen positiven Ergebnissen auf allen Gebieten der Volksbildung, neben den ernsthaften Anstrengungen zur Verwirklichung des Kommuniqués1 und den dabei bereits erreichten Erfolgen noch immer verschiedene Mängel und Schwierigkeiten vorhanden sind, die die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der DDR hemmen.

Diese Erscheinungen, auf die im nachfolgenden Bericht hauptsächlich hingewiesen werden soll, sind in den meisten Fällen auf mangelnde politisch-ideologische Klarheit eines Teiles der Lehrer, aber auch verschiedener Funktionäre des Staatsapparates zurückzuführen, was sich bei letzteren vor allem in der mangelhaften Auswertung des Kommuniqués zeigt.

1. Einige Hinweise zur politisch-ideologischen Situation unter den Lehrern

Zu einem großen Teil werden die politisch-ideologischen Schwankungen bei den Lehrern durch die systematischen feindlichen Beeinflussungsversuche und die Hetze über den westlichen Rundfunk, durch zahlreiche private Verbindungen nach Westdeutschland, selbst auch zu republikflüchtigen Lehrern usw., verstärkt bzw. hervorgerufen, begünstigt durch eine Reihe bei den Lehrern noch vorhandener kleinbürgerlicher und religiöser Ansichten.

Ausdruck dieser Haltung sind die negativen Diskussionen zu verschiedenen Fragen der Schulpolitik von Partei und Regierung, zum Kommuniqué des Politbüros, zu anderen politischen Fragen, liberales und versöhnlerisches Verhalten, Tendenzen des Revisionismus, Nichterkennen des Charakters der beiden deutschen Staaten und die nach wie vor beträchtliche Anzahl von Republikfluchten aus Kreisen der Lehrer. Das zeigt sich aber auch gleichermaßen in dem noch relativ weit verbreiteten Bestreben, politisch-ideologischen Meinungsstreit überhaupt aus dem Wege zu gehen, wie es besonders bis zu Beginn der Pädagogik-Diskussion der Fall war. Aus der Vielzahl der vorliegenden Beispiele sollen nur einige typische angeführt werden, die diese Unklarheiten, Vorbehalte und teilweise auch feindlichen Ansichten zeigen, und es ist offensichtlich, dass die solche und ähnliche Argumente vertretenden Lehrer eine sozialistische Erziehung der Schülerinnen und Schüler nicht garantieren können.

Z. B. erklärte die Magdeburger Lehrerin [Name 1]: »Wir müssen den Kindern etwas lehren, wovon wir selbst nicht überzeugt sind.«

Genosse Meutzner, Direktor der 1. Oberschule Meißen und Genosse Fleischer, Direktor der 8. Oberschule, waren der Ansicht, es sei nicht richtig, dass alle Lehrer die Dokumente des 11. Plenums2 und der Moskauer Erklärung3 studieren. Genosse Fleischer sagte, er habe keine Zeit dafür, zumal er nicht wisse, ob nicht schon übermorgen eine »Pekinger Erklärung« komme.

Der Direktor der Goethe-Oberschule in Stendal, Ruhnau, ließ beim Thema »Demokratische Parteien im Block« folgende charakteristische Merkmale erarbeiten:

  • CDU: Entwickelt Nächstenliebe,

  • LDPD: Für den Mittelstand verantwortlich,

  • NDPD: Tritt für die Einheit ein,

  • DBD: Arbeitet für die Verbesserung der Lage der Bauern.

Die Lehrer [Name 2], [Name 3] und [Name 4] aus verschiedenen Gemeinden des Bezirkes Rostock äußerten zur Auswertung der allrussischen Lehrerkonferenz, man könne von der SU nichts lernen, da man dort vor den gleichen Problemen stehe, wie bei uns. In der SU gäbe es pro Kreis nur eine Schule, die Oberschulcharakter habe, bei uns aber drei. Außerdem liege in der DDR der Butterverbrauch wesentlich höher als in der Sowjetunion.

Der Lehrer [Name 5] ließ in der 8. Klasse der Polytechnischen Oberschule Pulsnitz einen Aufsatz schreiben »Was wünsche ich mir vom Jahr 1961«. Die Schüler gaben meist Aufsätze mit politischem Inhalt ab. Bei der Auswertung der Aufsätze schrie [Name 5] die Kinder an, ob sie verrückt seien, solche politischen Aufsätze zu schreiben. Er habe sich vorgestellt, sie wünschten sich einen Fünfer im Zahlenlotto oder etwas Ähnliches.

Weit verbreitet sind Diskussionen über das Abhören westlicher Rundfunkstationen. So forderte der Lehrer [Name 6] (SED) aus Trantow, Kreis Demmin, man müsse den RIAS hören, um sich allseitig zu informieren. [Name 6] erhält Westpakete und verkauft ihren Inhalt in der Gemeinde.

Der Lehrer [Name 7] von der Oberschule Barth befürwortete vor Schülern das Abhören von Radio Luxemburg.

Ein Lehrer der Alfred-Leuschke-Schule aus Zwickau erklärte, Luxemburg sei ein neutraler Staat, der Sender Luxemburg bringe schöne Musik, und man dürfe deshalb diesen Sender hören.

Bei verschiedenen Lehrern, die den Blockparteien angehören, gibt es negative Diskussionen über die Rolle der DDR und der Partei. So äußerte ein Lehrer aus Flöha, der der NDPD angehört: »In der DDR wird die parlamentarische Opposition unterdrückt. Gibt es keinen dritten Weg? In den Schulbüchern ist nur von der Partei – SED die Rede. Es gibt bei uns aber fünf Parteien.«

In Weißenfels äußerte ein NDPD-Lehrer, man könnte in der Wiedervereinigung ein großes Stück weiter sein, wenn wir (die DDR) nicht so hartnäckig wären. Die DDR habe eine Armee und auch Westdeutschland, bei uns gäbe es Kampfgruppen, und in Westberlin stelle man ähnliche Einheiten auf usw.

In Barby forderten zwei Lehrer »freie Wahlen« und erklärten, ihre Partei, die LDPD, schwimme im Fahrwasser der SED.

An der Karl-Marx-Schule in Karl-Marx-Stadt verbreitete eine Gruppe von Lehrern die Parole »Vermenschlichung des Staates« und »Nichtverstaatlichung des Menschen«.

Eine Gruppe von Lehrern an der Oberschule Born im Kreis Ribnitz fordert: Westreisen, Bezug von Westliteratur, Stundenminderung für Fernstudenten.

Die Lehrer [Name 8] und [Name 9] von der gleichen Schule erklärten, sie seien froh, eine Möglichkeit gefunden zu haben, um ihre Funktionen loszuwerden. Beide sind Mitglieder der SED. Der Schulleiter Genosse Neumann tritt versöhnlerisch in Erscheinung. Der Lehrer [Name 10] (SED) ist Anhänger der Begabten-Theorie.4

Auch in vielen anderen Schulen gibt es trotz der Auseinandersetzungen, die die Partei gegen die Begabten-Theorie führt, zahlreiche Anhänger dieser bürgerlichen Auffassung. So erklärte Dr. [Name 11] aus Herrnhut5, es würde immer Sitzenbleiber geben. Auch die Zensurenskala könne nicht die Tatsache aus der Welt schaffen, dass es Dumme gibt. Tendenzen der Begabten-Theorie gibt es auch an der Erweiterten Oberschule Radebeul. Der Lehrer [Name 12] aus Ellefeld sagte, man solle nicht so auf die Zehnklassenschule dringen; viele Schüler würden ja sowieso nur die 8. Klasse erreichen.

In der Schule Osternienburg, Kreis Köthen tauchte das Gerücht auf, in Dessau gäbe es bereits Begabten-Klassen.

An der Schiller-Oberschule Weimar war der Lehrer [Name 13] der Auffassung, der Marxismus sei seinerzeit zwar recht gut gewesen, habe heute aber keinen Anspruch mehr auf volle Gültigkeit. Der Lehrer [Name 14] von der Oberschule Dingelstedt forderte die Anwendung von kapitalistischen Wirtschaftsmethoden in der DDR, um die Entwicklung schneller vorwärts zu treiben.

Hinzu kommen bei einer Reihe von Lehrern noch erhebliche Mängel theoretischer und fachlicher Art, häufig ohne dass die Notwendigkeit der weiteren Qualifizierung auf diesen Gebieten eingesehen wird.

Als ernsthaftes Problem sind auch noch immer die zahlreichen Republikfluchten von Lehrern einzuschätzen, die mit den höchsten Prozentsatz aller Berufsgruppen aufweisen und in den Jahren 1960/61, auch nach Veröffentlichung und Auswertung des Kommuniqués, noch nicht wesentlich zurückgegangen sind.

Als Ursachen treten dabei neben den bereits erwähnten politisch-ideologischen Schwankungen und der teilweise prowestlichen Haltung noch immer gewisse Diskrepanzen zwischen der beruflichen Tätigkeit und den gesellschaftlichen Anforderungen auf, wie z. B. Untersuchungen in den Bezirken Halle und Erfurt ergaben. Entgegen den Weisungen der Partei werden auch von einer Reihe Schulfunktionären persönliche Belange der Lehrer noch nicht genügend berücksichtigt, was bei verschiedenen Lehrern zu Konflikten und bei längerer Dauer schließlich zur Republikflucht führte. Auch eine Reihe in Diskussionen vertretene Forderungen nach besserer Entlohnung, besserer ärztlicher Betreuung, nach mehr Ferienschecks und Urlaub, mehr Wohnraum, mehr Reisen nach Westdeutschland und Gleichstellung mit der medizinischen Intelligenz überhaupt, wie sie z. B. in der II. Oberschule in Eisleben/Halle vertreten wurden, stellen mitunter Gründe für das Verlassen der DDR dar.

In den meisten Fällen jedoch unterliegen Lehrer den feindlichen Beeinflussungs- und Abwerbeversuchen, die neben der Propagierung der »Perspektive« für Lehrer in Westdeutschland mit den verschiedensten Mitteln erfolgen. In starkem Maße erfolgt dabei die Beeinflussung und Abwerbung durch republikflüchtig gewordene Lehrer unter Eingehen auf die von den Lehrern diskutierten Argumente.

So schrieb z. B. ein republikflüchtiger Direktor, er habe sofort eine Anstellung bekommen und brauche nur vormittags zu unterrichten. Die Nachmittage habe er zu seiner freien Verfügung.

Ein republikflüchtiger Lehrer schrieb, jeder Lehrer könne seine eigene Methode anwenden, verdiene mehr als in der DDR und lebe besser.

Die Lehrerin [Name 15] aus Nordhausen veranlasste nach ihrer Republikflucht zwei andere junge Lehrer, die bei ihr zur Untermiete wohnten, dazu, ebenfalls republikflüchtig zu werden.

Der Lehrer [Name 16] aus Sangerhausen wurde durch einen republikflüchtigen Kollegen zum illegalen Verzug bewegt. Er erhielt von diesem Briefe über höhere Verdienst- und günstigere Arbeitsmöglichkeiten im Westen.

Genosse [Name 17] aus Gotha wurde bei der Beerdigung seiner Mutter in Westdeutschland vom dortigen Pfarrer aufgefordert, nicht wieder in die DDR zurückzukehren. Ihm wurden eine Lehrerstelle, Kredit und eine Wohnung versprochen.

An der 4. Oberschule Lichtenberg wurde eine »schwierige« 8. Klasse vom Pädagogischen Rat6 »aufgegeben«, die Erziehungsarbeit überließ man allein der Klassenlehrerin. Die Schulparteiorganisation und die FDJ verhielten sich abwartend. Die Lehrerin konnte aber nicht mit den Schwierigkeiten fertigwerden und verließ die DDR.

Von der Oberschule Gardelegen wurde das Lehrerehepaar Mai republikflüchtig. Mai war Kreisfachberater und arbeitete gut. Für seine Doktordissertation benötigte er eine Beurteilung von der Schule. Der Direktor zögerte die Beurteilung ständig hinaus, weil Mai der NDPD angehörte. Auf diese Weise wurde Mai in seiner Entwicklung um ein Jahr gehemmt und verließ die DDR.

2. Mängel bei der Verwirklichung des Kommuniqués des Politbüros

Das Kommuniqué über die Arbeit des Lehrers wurde von der großen Mehrzahl der Lehrer sehr begrüßt. Es traten aber auch verschiedene Zweifel auf, ob das Kommuniqué auch in der Praxis verwirklicht würde. Bei der Realisierung des Kommuniqués zeigten sich verschiedene einseitige Auslegungen, vor allem eine Überbetonung der materiellen Seite. Z. B. trat dies beim Rat des Kreises Güstrow in Erscheinung. Im Kreis Neustrelitz führte die Abteilung Volksbildung eine »Bedarfsermittlung« über Autos, Fernsehapparate und Kühlschränke durch und forderte die Lehrer auf, Liefertermine anzugeben.

Auch die Abteilungen Volksbildung der Berliner Stadtbezirke orientierten in erster Linie auf eine materielle Besserstellung der Lehrer, ohne den politischen Inhalt des Kommuniqués und die Hilfe des Staatsapparates für die unmittelbare Verbesserung der Unterrichtsarbeit zu diskutieren.

Es gibt aber auch Beispiele für das andere Extrem: An der Erweiterten Oberschule Anklam erfolgte nur eine oberflächliche Auswertung. Das Kommuniqué wurde theoretisch erläutert. Praktische Maßnahmen für die Verbesserung der pädagogischen Arbeit wurden aber auch hier nicht festgelegt.

Ferner waren Tendenzen zu verzeichnen, das Kommuniqué zum Vorwand zu nehmen, um jegliche gesellschaftliche Arbeit abzulehnen. So wollten z. B. in Burghammer alle Lehrer ihre Funktionen niederlegen. Die Berufsschullehrer [Name 18] und [Name 19] aus Ehrenfriedersdorf hatten die gleiche Absicht. Der Genosse Vogelmann aus Nedlitz, Kreis Zerbst, wollte seine einzige Funktion als Parteisekretär abgeben. Meist kamen derartige Bestrebungen von Lehrern, die in der Vergangenheit gar nicht übermäßig viel gesellschaftliche Arbeit geleistet hatten. Die Mehrzahl der gesellschaftlich aktiven Lehrer betrachtete den Beschluss jedoch als eine wirkliche Hilfe und arbeitete in dem Maße weiter, wie es im Interesse einer guten schulischen Arbeit vertretbar war.

Auf der anderen Seite gibt es aber viele Beispiele für die ungenügende Entlastung der Lehrer. Der Lehrer Dobes (SED) aus Bernburg/Halle hat elf Funktionen, die meisten wurden ihm übertragen, ohne dass er gefragt wurde. Er ist Vorsitzender des Kreiskomitees Luftschutz, Vorsitzender des Rates für Berufsausbildung, Vorsitzender der Kommission für Berufswettbewerb, Vorsitzender des Kreisaktivs »Junger Neuerer«, Vorsitzender der Gehaltskommission, Mitglied der Schulkommission, Mitglied der Plankommission, Propagandist des Parteilehrjahres, Volksvertreter und persönlicher Beauftragter für die Gemeinde Biendorf, Beauftragter für die Jugendweihe in Neugattersleben, Verantwortlicher für sämtliche Berufsschulen. Außerdem ist Genosse Dobes Fernstudent.

Ein Lehrer der Gemeinde Zoppoten unterrichtet in vier Klassen und übt außerdem 17 gesellschaftliche Funktionen aus.

In vielen Schulen gibt es unzufriedene Diskussionen über die Bereitstellung von Urlaubsplätzen für Lehrer: In Kamenz wurde der Erweiterten Oberschule ein Ferienplatz für 25 Lehrer zur Verfügung gestellt.

Der Direktor der Oberschule Bad Berka erklärte: »Es muss endlich erreicht werden, dass Urlaubsplätze während der Sommerferien zur Verfügung stehen. Von den 32 Lehrern unserer Schule erhalten nur zwei in den Sommerferien und evtl. vier in den anderen Ferien einen FDGB-Urlaubsplatz. Das bedeutet, dass jeder Lehrer nur etwa alle 12 bis 15 Jahre einen Urlaubsplatz in den Sommerferien bekommen kann. Das klingt zwar lächerlich, erregt aber die Lehrer jedes Jahr aufs Neue.«

Bestimmte Schwierigkeiten haben sich auch bei der Unterstützung der Lehrerinnen ergeben. In Jena z. B. sind ca. 70 % aller Lehrer Frauen, und es wird als sehr schwierig eingeschätzt, jeder Lehrerin urlaubsfreie Nachmittage zur Verfügung zu stellen, da der Unterrichtsablauf dadurch gefährdet wäre.

Die größten Schwierigkeiten ergaben sich jedoch bei der Unterstützung der Lehrer in Wohnungsfragen. Hierzu einige Beispiele:

In Jena gibt es insgesamt 6 000 Wohnungssuchende, darunter eine große Zahl von Wissenschaftlern, Angehörigen der medizinischen, technischen und pädagogischen Intelligenz, ohne die entsprechenden Wohnungen zur Verfügung zu haben.

900 Lehrer des Bezirkes Magdeburg benötigen eine neue bzw. größere Wohnung. Darunter befinden sich 300 Notstandsfälle. Die Räte der Kreise konnten aber auch hier nur ungenügende Maßnahmen treffen. In Magdeburg erhielt zwar die Volksbildung für zwei Quartale 32 Wohnungen, es gibt aber noch 70 weitere dringende Fälle. Beim Rat der Stadt Wernigerode wurde erklärt, eine Bevorzugung der Lehrer sei nicht möglich.

In der Stadt Rostock lagen im November 1960 100 Anträge von Lehrern auf Zuweisung einer Wohnung vor. Die Abteilung Volksbildung erhielt aber durchschnittlich nur drei bis vier Wohnungen jährlich. Vom November bis zum Februar 1961, also nach dem Kommuniqué, wurden der Volksbildung in Rostock zwei Zimmer und eine Wohnung zugewiesen. Gegenwärtig liegen 200 Wohnungsanträge von Lehrern in der Stadt Rostock vor, aber nur ca. 50 können 1961 erfüllt werden. Es gibt Verärgerung, weil man Wohnungen von Republikflüchtigen, die Lehrer waren, nicht wieder der Volksbildung zur Verfügung stellt. Im Kreis Rostock-Land gibt es 27 dringende Fälle, im Kreis Ribnitz liegen 90 Anträge vor, davon 35 dringende.

In der Stadt Potsdam erhielt die Volksbildung von 20 Wohnungen, in denen republikflüchtige Lehrer gewohnt hatten, nur drei wieder. Insgesamt liegen aber 90 Wohnungsanträge vor.

Die Abteilungen Wohnraumlenkung beim Rat der Stadt Güstrow und beim Rat des Kreises lehnen die Unterstützung der Lehrer ab. Verschiedene Dozenten des Güstrower Pädagogischen Instituts, die seit mehr als zwei Jahren von ihren Familien getrennt leben, haben gekündigt.

3. Zu einigen gegenwärtigen fachlichen und politischen Aufgaben und Problemen der Volksbildung

10-Klassen-Schule

Es ist bisher in keinem Bezirk gelungen, die geplante Zahl von Schülern beim Aufbau der Zehnklassenschule zu erreichen. Eine bestimmte Rolle spielt seitens der Eltern nach wie vor das Argument des »Geldverdienens«. Hinzu kommen Maßnahmen verschiedener Betriebe, die dem Aufbau der Zehnklassenschule schaden. Es gibt VEB, die Werbungen bei den Schülern der 8. Klassen durchführen, um sie als Lehrlinge zu gewinnen (z. B. der VEB Kalikombinat »Werra« in Merkers/Rhön, verschiedene VEB des Bezirkes Erfurt). Das Kombinat »Schwarze Pumpe« stellt sofort Schulabgänger ein, obwohl die Abteilungen Arbeit der Kreise Bischofswerda, Kamenz und Bautzen keine Lehrverträge für achtklassige Schulabgänger ausstellten. Der VEB (K) Bau Greiz wirbt Maurerlehrlinge, die SDAG Wismut im Bezirk Gera gibt kleine Broschüren heraus, in denen sie die Schulabgänger der 8. Klasse für den Schlosserberuf anspricht. Das Kfz- und Karosseriewerk Werdau annonciert in der Presse, dass es Schulabgänger der 8. Klasse einstelle. Im Kreis Reichenbach gibt es ca. 300 Schulabgänger, aber 600 Lehrstellen.

In einer Elternversammlung in Wismar wurde zu diesem Problem erklärt, die Anlernlinge verdienten zu viel. Wenn die Zehnklassenschüler die Lehre aufnehmen, habe sich der Anlernling bereits über das System der Erwachsenenqualifizierung entwickelt und in der Zwischenzeit viel Geld verdient.

Ein anderer Faktor, der sich ungünstig auf den Aufbau der Zehnklassenschule auswirkt, ist der Raummangel an verschiedenen Schulen (siehe Abschn. Schulbauprogramm).

Lehrermangel

Gegenwärtig gibt es einen besonderen Mangel an ausgebildeten Mittel- und Oberstufenlehrern. Es sind bestimmte Disproportionen entstanden, da durch den Aufbau der Zehnklassenschule der Bedarf an derartigen Lehrkräften stark angestiegen ist. In einem Bezirk der DDR werden z. B. für das Schuljahr 1961/62 317 Mittelstufenlehrer benötigt, es wurden aber nur 126 eingewiesen. Der Bedarf an Unterstufenlehrern dagegen betrug 200, es wurden aber 400 Unterstufenlehrer eingewiesen. Dadurch unterrichten gegenwärtig zahlreiche Unterstufenlehrer in den Oberstufen, ohne die nötige Qualifikation zu haben, was sich stark auf das Niveau des Unterrichts auswirkt.

Gleichzeitig besteht fast überall ein großer Mangel an Fachlehrern, sodass in vielen Fällen Nichtfachlehrer in den einzelnen Fächern unterrichten müssen. Die Folge davon ist, dass der Unterricht nicht den Anforderungen entspricht, das Leistungsniveau gefährdet ist und der Lehrplan in vielen Fällen nicht erfüllt wird.

In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass verschiedene Direktoren und Lehrer ihre Weiterbildung vernachlässigen und in der DDR ein allgemeiner Rückgang beim Besuch der Lehrerweiterbildungsveranstaltungen zu verzeichnen ist. Z. B. nahmen an den letzten Veranstaltungen in Güstrow im Fach Chemie gar keine Lehrer und bei den Fächern Geschichte und technischen Zeichnen nur wenig Lehrer teil.

Kritiken werden am Fernstudium der Pädagogischen Hochschule Potsdam geübt, die einen Teil der Seminarkurse und Lehrveranstaltungen, die früher in den Ferien stattfanden, in die Unterrichtszeit verlegte. Durch diese Änderung wird der planmäßige Ablauf des Unterrichts beeinträchtigt, und aus Lehrerkreisen kommt der Vorschlag, bestimmte Herbst- und Winterferienkurse einzurichten, weil die Lehrer dann nicht in Kinderferienlagern eingesetzt sind.

Polytechnischer Unterricht

Die Diskussionen um das Für und Wider des Unterrichtstages in der Produktion haben im Wesentlichen aufgehört. Verschiedentlich wird vorgeschlagen, die einzelnen Unterrichtstage in der Produktion zu einem 3-wöchigen Betriebsbesuch im Jahr zusammenzufassen.

Außerdem wird vereinzelt vorgeschlagen, den Unterrichtstag in der Produktion erst ab 8. Klasse einzuführen bzw. nur alle 14 Tage durchzuführen, um eine Überlastung der Schüler zu vermeiden. (In der 7. Klasse gibt es z. B. 34 Wochenstunden Unterricht, dazu kommen ca. drei Stunden für Englisch, 10 Stunden für Hausaufgaben, für den Unterrichtstag in der Produktion und den Schulweg werden etwa 4 Stunden verwendet. Das bedeutet einen Durchschnitt von etwa 51 Wochenstunden.)

Größere Mängel zeichnen sich aber noch beim polytechnischen Unterricht in der Landwirtschaft ab. Dort werden die Schüler zum Teil noch zweckentfremdet eingesetzt, mitunter trägt eine schlechte Arbeitsorganisation einzelner LPG oder VEG mit dazu bei, dass die Kinder auf keinen Fall einen landwirtschaftlichen Beruf erlernen wollen. Nachstehend nur einige Beispiele für die Unterstützung des Unterrichts in der Landwirtschaft:

  • Bis März wurde im Bezirk Magdeburg die Volksbildung nur mangelhaft unterstützt. Die Abteilung Landwirtschaft und der Wirtschaftsrat des Bezirkes hatten keine konkreten Festlegungen getroffen, wie die polytechnische Ausbildung durch die Betriebe verbessert werden kann.

  • Im Kreis Zerbst nahmen die Abteilung Landwirtschaft und der LPG-Beirat trotz mehrfacher Anfrage nicht zur polytechnischen Ausbildung Stellung.

  • Anfang 1961 fand mit allen RTS-Direktoren, den Vorsitzenden und Parteisekretären der LPG des Bezirkes Rostock eine Aussprache über den polytechnischen Unterricht statt. Zu dieser Aussprache war nicht ein LPG-Vorsitzender erschienen.

  • In Tannenbergsthal, Kreis Klingenthal werden die Schüler beim Unterrichtstag in der Produktion regelmäßig zum Stallausmisten und anderen Arbeiten eingesetzt.

  • Die LPG »Karl-Marx« in Ilmenau setzte die Schüler beim Thema »Ernten und Silieren des Maises« zum Straßenbau ein.

Vielfach ist nur ungenügend Arbeitskleidung für den Unterricht in der Produktion vorhanden.

Weitere Schwierigkeiten gibt es bei der Durchführung des Grundlehrganges Elektrotechnik in den ländlichen Bezirken der DDR, weil dort nicht genügend Produktionsstätten dieser Art vorhanden sind.

Ganztagserziehung

Über die Ganztagserziehung gibt es noch relativ viele Diskussionen mit den bereits bekannten Argumenten. Vor allem geht diese Auseinandersetzung von religiös gebundenen Kreisen aus. So diskutierten z. B. die Pastoren des Kreises Stralsund, es würde nicht mehr lange dauern bis man Wochenschulen einrichtet, in denen die Kinder von Montag bis Samstag dem elterlichen Einfluss entzogen seien.

Die Lehrer [Name 20] und [Name 21] aus Weißenfels äußerten im engsten Kreis, die Ganztagserziehung bedeute eine »völlige Unterwerfung der Kinder unter die sozialistische Ideologie« und entfremde sie dem Elternhaus, um sie zu »willfährigen Dienern des Staates« zu machen.

Die Dresdner Schulärzte Dr. [Name 22] und [Name 23] nahmen »vom medizinischen Standpunkt aus« gegen die Hortklassen Stellung. Deshalb beschloss man im Stadtbezirk Dresden-West, in fünf Schulen ab September 1961 keine Hortklassen zu bilden.

Die Tatsache, dass von der Partei und vom Ministerium für Volksbildung im Vorjahre die Überspitzungen bei der Ganztagserziehung kritisiert wurden, hat zum Teil dazu geführt, dass man diesem Problem gar keine Beachtung mehr schenkt. So erhielt die Tagesheimschule des Bezirkes Schwerin weder von der Abteilung Volksbildung beim Rat der Stadt noch beim Rat des Bezirkes Anleitung und Unterstützung.

Hemmend auf die Entwicklung der Hortklassen und der Ganztagsschulen wirken sich vor allem auch ungenügende Räumlichkeiten (die teilweise zu unhygienischen Verhältnissen führen), mangelnde finanzielle Möglichkeiten auf örtlicher Ebene und die zu geringe Qualifizierung der Erzieher aus. So besaßen z. B. von 116 Horterziehern des Kreises Suhl nur 16 eine abgeschlossene Ausbildung.

Zensurenskala

Weit verbreitet sind noch unklare Auffassungen über Inhalt und Anwendung der neuen Zensurenskala. Im Bezirk Magdeburg wird vor allem die breite Auslegung der Zensur »genügend« kritisiert. Es treten Meinungen auf, die Vier sei eingerichtet worden, um jede Fünf zu vermeiden. Man wolle damit auf administrativem Wege das Sitzenbleibertum beseitigen. Tatsächlich ändere sich aber nichts am Leistungsstand, der nach wie vor unbefriedigend sei.

Im Bezirk Potsdam wurde geäußert, die Zensurenskala sei eher ein Hemmnis als ein Ansporn und man erwarte eine Leistungsminderung.

Dr. [Name 24] von der Oberschule Herrnhut7 erklärte, die neue Zensurenskala sei eine Notlösung und das Eingeständnis der Volksbildungsorgane, dass es immer Sitzenbleiber gegen würde.

Zum Teil werden die neuen Zensuren nur sehr zögernd angewendet, man ist sich noch nicht darüber im Klaren, bei welchem Fehlergrad die einzelnen Noten gegeben werden.

Teilweise wurden die Eltern nicht genügend über die Einführung der Zensurenskala unterrichtet. Im Kreis Pirna z. B. waren die Eltern plötzlich erschreckt über die vielen »schlechten« Zensuren ihrer Kinder und bestraften sie entsprechend, weil sie die Bedeutung der einzelnen Zensuren nicht kannten. Lehrer vertraten die Meinung, die Zensurenskala habe den »Export der Prügelstrafe ins Elternhaus« zur Folge.

In diesem Zusammenhang wird Kritik an der anleitenden Tätigkeit des Ministeriums für Volksbildung geübt, das es nicht verstanden habe, in kurzer Zeit Klarheit über die Bedeutung der Zensurenskala zu schaffen.

Fragen des Lehrplanes

Gegenwärtig gibt es an zahlreichen Schulen besonders durch den Lehrermangel, durch Krankheit usw. Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Stundenzahl. So gab es z. B. in der Pestalozzie-Schule8 Demmin 1 030 Ausfallstunden, in der Heinrich-Zille-Schule Demmin 1 080 Ausfallstunden, in der Karl-Marx-Oberschule Magdeburg 1 000 Ausfallstunden usw.

Durch den Lehrermangel bedingt, werden auch Absolventen vor Abschluss ihrer Ausbildung im regulären Unterrichtsprozess eingesetzt, die aber – bedingt durch ihre Ausbildung – nicht die volle Stundenzahl unterrichten können, andererseits aber Planstellen für Lehrer blockieren.

Eine große Zahl von Auseinandersetzungen gibt es über den Inhalt und den Umfang des Lehrprogramms. Diese Diskussion wird in allen Bezirken der DDR geführt. Vor allem betrifft sie die Fächer Mathematik, Physik und Chemie.

Der Schulinspektor Bremer vom Rat des Kreises Schwerin erklärte, der Lehrplan sei zu umfangreich. Es fehle Zeit zu einer gründlichen Erarbeitung des Stoffes und zur systematischen Übung. Ähnliche Diskussionen gibt es in Bützow, Güstrow, Perleberg, Dresden, Wismar, Eldena, Karl-Marx-Stadt usw.

Die Argumentation, »man überlaste die Schüler und senke das Leistungsniveau« leitet man von Zensur-Vergleichen ab. In den 8. Klassen des Bezirkes Magdeburg wurde z. B. eine Mathematikvergleichsarbeit geschrieben. Dabei lag der Zensurendurchschnitt zwischen 3,5 und 4.

Eine Kontrollarbeit in der Klasse 8a der Gerhart-Hauptmann-Schule I in Schwerin ergab einen Klassendurchschnitt von 4,3, in der Klasse 8b von 4,4. In Chemie lag der Klassendurchschnitt bei 4 und in Biologie bei 4,6. Bei den schriftlichen Mathematikprüfungen zum Abitur schrieben 50 bis 60 % aller Prüflinge die Noten 4 und 5.

Als eine Ursache für die schlechten Ergebnisse beim Mathematikabitur wird auch zum Teil das Versäumnis der Genossen Dr. Weiss und Krohnitz vom Ministerium für Volksbildung angesehen, die Aufgaben unter prüfungsmäßigen Bedingungen an den Schulen zu testen. Vom MfV mussten diese Abiturergebnisse faktisch annulliert werden.

Vereinzelt wird auch vorgeschlagen, bestimmte Fächer aus dem Lehrplan herauszunehmen. Dr. [Name 25] von der »Karl-Marx-Schule« Magdeburg schlug vor, das Fach Trigonometrie zu streichen, der Lehrer [Name 26] aus Magdeburg forderte die Streichung der darstellenden Geometrie u. Ä.

Vor der Fülle des Lehrplanes kapituliert ein Teil der Lehrer und sieht keinen Weg, die Lehrplanziele zu erreichen und das Wissen der Schüler zu sichern. Auf der anderen Seite stehen den vielen Beispielen ungenügender Lehrplanerfüllung aber auch einzelne Beispiele gegenüber, dass Lehrer am Beispiel ihrer eigenen überlegten und methodischen Unterrichtsgestaltung die Realität der Lehrplanforderungen nachweisen, wenn sich alle Lehrer gründlich mit dem Stoff vertraut machen und sich sorgfältig auf jede einzelne Stunde vorbereiten. (Lehrer [Name 27], Oberschule Neuhaus – Rechtschreibung, Lehrer [Name 28], Oberschule Güstrow-Tettmannsdorf – Deutsch, Lehrer [Name 29], Oberschule 4 Wittenberge – Chemie, Dr. [Name 30], Erweiterte Oberschule Ludwigslust – Mathematik)

Arbeit der örtlichen Volksbildungsorgane

Nach dem Kommuniqué vom 22.11.1960 gab es bei verschiedenen Kreis- und Bezirksfunktionären der Volksbildung folgende Ansichten:

  • Sie als Mitarbeiter des Staatsapparates seien doch auch Lehrer.

  • Sie sollten für alle ein offenes Ohr haben und allen helfen, selbst aber den Buckel hinhalten.

  • Mit ihnen spreche niemand über die eigenen Probleme.

  • Die Lehrer, die sich früher geweigert hätten, in den Staatsapparat zu gehen, hätten jetzt wissenschaftliche Grade.

Aus diesem Grunde versuchten und versuchen verschiedene Schulfunktionäre aus dem Staatsapparat auszuscheiden. Solche Erscheinungen gibt es z. B. im Bezirk Magdeburg, im Bezirk Erfurt, im Bezirk Neubrandenburg und in verschiedenen Kreisen anderer Bezirke, wo dadurch unbesetzte Stellen entstanden.

Gleiche Schwierigkeiten gibt es bei den Versuchen, Lehrer für den Staatsapparat zu gewinnen. Viele der angesprochenen Lehrer vertreten die Ansicht, im Schuldienst gäbe es mehr Rechte, mehr Freizeit, mehr Geld und weniger Verantwortung.

Teilweise zeigt sich auch, dass die Funktionäre der Volksbildung ihre eigene Qualifizierung vernachlässigt haben und nicht den Anforderungen gewachsen sind, was zu formaler Arbeitsweise und zu Erscheinungen des Bürokratismus führte.

Die Anleitung der Kreisschulräte wird im Bezirk Gera zu sehr auf organisatorische Fragen beschränkt.

Der Schulrat Genosse Krüger aus dem Kreis Gransee leistet keine operative Arbeit an den Schulen. Er ordnet nur an, ohne sich um die Realisierungsmöglichkeiten bzw. die persönlichen Sorgen der Lehrer zu kümmern.

Im Bezirk Magdeburg wird die formale Arbeit der einzelnen Kreisbeauftragten kritisiert, die sich meist nur einmal im Monat mit einen Fragespiegel sehen lassen, anstatt unmittelbar Kontakt mit den Lehrern zu haben.

In Berlin gibt es eine starke Fluktuation der Schulinspektoren. Der Stadtrat Lengsfeld,9 der für Volksbildung verantwortlich ist, gibt, nach Einschätzung der im Volksbildungswesen beschäftigten Mitarbeiter, eine ungenügende Anleitung, dafür aber zahlreiche und kurzfristige Terminstellungen, ohne dabei die Arbeit und die Termine der einzelnen Mitarbeiter der Volksbildung zu berücksichtigen. Der Stadtschulrat muss darum bitten, wenn er mit einem Abteilungsleiter der Volksbildung in den Stadtbezirken eine Aussprache führen will.

Die Abteilung Volksbildung beim Rat des Bezirkes Rostock unterstützte die Schulen nur ungenügend durch ihre Arbeit an der Basis. Das Referat Haushalt leistete eine schlechte Arbeit und versäumte es, im Herbst 1960 Kartoffeln einzulagern. Jetzt treten aus diesem Grunde Schwierigkeiten in der Schulspeisung auf. Im Kreis Ribnitz wurden durch eine Fehlplanung neun Oberstufenlehrer als Unterstufenlehrer eingesetzt, obwohl besonders Oberstufenlehrer fehlen.

Im Bezirk Magdeburg herrschte bisher im Bereich der Volksbildung ein ausgeprägtes Berichtswesen vor. Z. B. versandte die Abteilung Volksbildung vom Rat des Kreises Stendal Rundschreiben an alle Direktoren mit der Aufforderung, schriftliche Analysen über jede Klasse im halbjährlichen Abstand anzufertigen. Es werden immer noch zu viel Statistiken verlangt, z. B. die durchschnittliche Zahl der NAW-Stunden, wie viel Abiturienten gehen zur NVA, wie viel Eltern nehmen an den Versammlungen teil usw. In den Kreisen Magdeburg, Schönebeck, Wernigerode, Wanzleben, Stendal werden ebenfalls viele Berichte durch die Räte der Kreise, Kreisleitungen der Partei und andere gesellschaftliche Organisationen angefordert und damit die Schulfunktionäre stark belastet.

Im Bezirk Erfurt müssen die Abteilungen Volksbildung bei Auszeichnungsvorschlägen Berichte in 5- bis 8-facher Ausfertigung schreiben. Z. B. sind bei einem Oberschullehrer durchschnittlich 30 Bogen Papier, bei einem Studienrat durchschnittlich 48 Bogen Papier erforderlich.

Der stellvertretende Kreisschulrat von Perleberg führt eine schlechte Kaderarbeit durch: Der Leiter der polytechnischen Station in Dergenthin, der Lehrer Fürstenberg, leistete eine vorbildliche Arbeit. Vom stellv. Kreisschulrat wurde einfach ein weiterer Lehrer eingesetzt, der sein persönlicher guter Bekannter ist. Jetzt sind zwei vertraglich gebundene Leiter der Station vorhanden.

Schulbauprogramm

Bei der Realisierung des Schulbauprogramms treten große Mängel auf, die durch fehlende Baukapazitäten, fehlende Materialien und Streichungen bei den bereitgestellten Mitteln hervorgerufen werden. In verschiedenen Bezirken und Kreisen gibt es bereits Anzeichen dafür, dass durch die ungenügende Verwirklichung des Schulbauprogramms der weitere Unterricht gefährdet wird. Oft sind Schichtunterricht und der Aufenthalt in ungeeigneten Räumen (Gaststätten, Bodenräume u. Ä.) die Folgen. Auf dem Lande lässt sich aber diese Frage zum Teil auch nicht mit Schichtunterricht lösen, weil zahlreiche Schüler an den Fahrplan des Kraftverkehrs und der Eisenbahn gebunden sind. Durch das Fehlen geeigneter Fachunterrichtsräume leiden besonders der naturwissenschaftliche und der Turnunterricht, was ein Absinken der Leistungen zur Folge hat.

Im Bezirk Potsdam ist im Schulbauprogramm ein Jahr Rückstand gegenüber der Planung im Volkswirtschaftsplan. In einer Gemeinde im Kreis Königs Wusterhausen wird z. B. der Unterricht seit 15 Jahren in zwei Baracken durchgeführt.

1960 wurden nur 62,9 % der Schulbauprogramme im Bezirk Schwerin erfüllt. In Bützow findet z. B. Unterricht in Bodenräumen statt.

Im Bezirk Frankfurt/O. waren nach den Zahlen des Siebenjahrplanes10 für 1960/61 21 Mio. DM vorgesehen. Nach der Kürzung blieben 13 Mio. übrig. Von den 11 Mio., die 1960 zur Verfügung standen, wurden 3,2 Mio. gestrichen. Durch die verspätete Lieferung der Typenprojekte und die mangelnde Baukapazität konnten nur 5 Mio. voll ausgelastet werden. Auch 1961 wurden 2,1 Mio. gestrichen.

Im Bezirk Suhl wurde die Investitionssumme 1961 von 3,7 Mio. auf 2,4 Mio. herabgesetzt. Dadurch können nicht einmal alle 1960 begonnenen Bauten in diesem Jahre fertiggestellt werden. Ähnlich ist es in fast allen Bezirken, und aus der Vielzahl der Beispiele sollen nur einige angeführt werden, die die Auswirkungen auf örtlicher Ebene zeigen:

In Bernau wurde ein Schulneubau stark propagiert. Es standen 6 Mio. DM zur Verfügung. Das ND führte eine Leserkonferenz durch, und die Bevölkerung brachte große Leistungen im NAW. Jetzt sind die Mittel gestrichen worden, und es gibt negative Diskussionen unter den Lehrern und der Bevölkerung über dieses Thema.

Seit August 1960 stand der Schulerweiterungsbau in Oechsen, Bezirk Suhl, still, weil neun Tonnen Rundeisen fehlten. Der Anbau Katzhütte stand seit Juli 1960 still, weil die notwendigen DIN-Balken fehlten.

In Remtendorf, Bezirk Gera, wird seit sieben Jahren um den Bau einer neuen Schule diskutiert. Für acht Klassen stehen dort sechs Räume zur Verfügung, die in drei verschiedenen Gebäuden liegen. Der Werkraum ist in einem vierten Gebäude untergebracht, und der Sport muss unter äußerst ungünstigen Bedingungen in einer Gaststätte durchgeführt werden. Für die Einrichtung eines Schulhortes wurde in einem 5. Gebäude ein Raum gemietet. Die Bevölkerung schaffte im Jahr 1960 für eine neue Schule Werte von DM 17 000 im NAW. Als die Schule gebaut werden sollte, waren keine Investmittel vorhanden, und obwohl im Volkswirtschaftsplan 1961 der Schulplan ebenfalls festgelegt ist, ist es fraglich, ob der Bau in diesem Jahr begonnen wird.

Schulbuchversorgung

Bereits im vergangenen Jahr wurden die Schulbuchversorgung, aber auch der Inhalt und Aufbau verschiedener Lehrbücher von den Lehrern stark kritisiert. So fehlten z. B. an den Berufsschulen in Mühlhausen Lehrbücher für Geschichte und Staatsbürgerkunde. Im Kreis Artern wurden nur 70 % der Bücher »Unsere Muttersprache« für das 4. Schuljahr ausgeliefert. Auch in den Kreisen Wittenberg und Eisleben trat Mangel an Lehrbüchern auf. Der Verlag »Volk und Wissen« konnte folgende Lehrbücher bis Dezember 1960 nicht mehr fertigstellen, obwohl sie für das laufende Schuljahr gebraucht wurden: Erdkundelehrbücher, 6. Klasse, »Sowjetunion«, »Sozialistische Länder« und das Erdkundelehrbuch für die 12. Klasse und die 7. Klasse. Ferner fehlten Lehrbücher über organische Chemie und Materialien für den Literaturunterricht der 8. Klasse.

Die Kritik über unverständliche bzw. mangelhafte Lehrbücher richtet sich vor allem gegen das Geschichtslehrbuch für die Klassen 8 bis 10, gegen das Lehrbuch »Unsere Muttersprache« u. a. An den Mathematiklehrbüchern 1960/61 wird kritisiert, dass in ihnen Aufgaben stehen, die zum Teil zu schwer oder nicht zu lösen sind. In Berlin wurden die alten Lehrbücher verwendet, die nicht mehr dem neuesten Stand entsprechen.

Es taucht die Forderung nach einem Lehrbuch für den Werkunterricht auf. Die Fachkommission Wismar hatte vor über einem Jahr ein Manuskript dazu erarbeitet und es dem Bezirkskabinett zur Verfügung gestellt. Bisher erfolgte jedoch keine Antwort darauf.

Im Bezirk Gera wird gefordert, Lehrbücher für Staatsbürgerkunde zu schaffen.

Außer den Schwierigkeiten bei der Lehrbuchversorgung gibt es bestimmte Engpässe in der Belieferung anderer Schulmaterialien, die allerdings meist örtlicher Art sind. (Winkelmesser, Hefte, Zeichenblocks, Schulmöbel, Kreide)

4. Diskussionen zur Vorbereitung des VI. Pädagogischen Kongresses11

Die Diskussionsgrundlage des Ministeriums für Volksbildung wurde von der pädagogischen Intelligenz allgemein begrüßt und war Anlass lebhafter Diskussionen über die angesprochenen Probleme.

Verschiedentlich wurden bereits konkrete Maßnahmen festgelegt. Zur Verbesserung der Unterrichtsarbeit gaben die Kreise Reichenbach und andere z. B. Forschungsaufträge aus:

  • Wie kann der Schüler mehr zur Verbesserung des Unterrichts einbezogen werden?

  • Wie kann die Einbeziehung des Elternhauses verbessert werden?

  • Wie fördert der Lehrer die Lernbereitschaft bei den Schülern?

Im Kreis Waren wurde ein koordinierter Plan für die Erziehungsmaßnahmen aufgestellt, um den Erziehungsprozess einheitlich zu gestalten. Daran waren Klassenlehrer, Patenbrigaden und Klassenelternaktivs beteiligt. Ein Mangel war lediglich die ungenügende Berücksichtigung der Pionierorganisation.

In den bisherigen Vorbereitungsperioden bildeten die Kreislehrerkonferenzen einen Höhepunkt. Im Bezirk Magdeburg beteiligten sich ca. 10 000 Lehrer, Erzieher, Betreuer, Partei- und Staatsfunktionäre an diesen Zusammenkünften. Positiv erwies sich auch die Tätigkeit der einzelnen Arbeitsgruppen, z. B. im Bezirk Rostock. Diese Arbeitsgruppen haben aber nicht immer die Unterstützung der gesellschaftlichen Organisationen, z. B. in Stadtroda und Pößneck, wie überhaupt die Unterstützung durch den Staatsapparat und die gesellschaftlichen Organisationen in vielen Fällen noch recht mangelhaft war. Im Bezirk Magdeburg z. B. erfolgte eine gute Hilfe durch den DFD und die Jungen Pioniere, während es große Mängel bei der Unterstützung durch die Gewerkschaft gibt, und auch die FDJ noch ungenügenden Anteil an der Diskussion nimmt.

Unterschätzung und mangelhafte Vorbereitung zeigt sich z. B. in den Kreisen Tangerhütte, Kalbe/Milde, Magdeburg u. a., wo man die pädagogischen Kreiskonferenzen zum Teil dem Selbstlauf überließ.

In Berlin-Treptow war einem großen Teil der Lehrer nicht einmal der Karin-Brief12 des ND bekannt.

Ausgesprochen negative oder feindliche Stimmen zur Diskussionsgrundlage als Gesamtkomplex wurden nur in geringem Umfang bekannt.

Z. B. bezeichneten die Lehrerinnen [Name 31] und [Name 32] von der Oberschule Reick die Diskussionsgrundlage als pädagogische Bankrotterklärung. Auch der Direktor der 6. Oberschule Weißensee verstand die Grundlage falsch und orientierte in Richtung Fehlerdiskussion. Er sagte: »Der Kongress wird durchgeführt, weil es sehr große Mängel in der Volksbildung gibt und die müssen auf den Tisch gelegt werden.« Ähnliche Auffassungen vertrat auch Prof. Jögst aus Berlin.

Zu den speziellen Fragen der pädagogischen Diskussion wurden hauptsächlich folgende Meinungen geäußert:

In Greifswald erklärten die Lehrer, Aussprachen mit Schülern seien gewagte Sachen, da man dort Lehrer kritisiere und das der Autorität schade. Die Schüler hätten sowieso keine Ahnung.

Dass aber Aussprachen mit Schülern sehr richtige und ernsthafte Gedanken in der Diskussion bringen können, zeigt das Beispiel der 9. und 10. Klasse in der Wolfgang-Heinze-Schule in Stralsund. Im Mittelpunkt des Gespräches standen Fragen des Vertrauens und die Schüler äußerten:

  • Man solle sie als Schüler achten und ernst nehmen und ihnen nicht mit Ironie begegnen.

  • In bestimmten Situationen müsse ein Lehrer mehr Selbstbeherrschung üben.

  • Ein Lehrer müsse den Pionieren und FDJlern helfen ihre Probleme zu lösen.

Lebhafte Diskussionen hat die Frage ausgelöst, wie weit die Schule vor allem in Staatsbürgerkunde die Jugend auf das Leben vorbereitet und nicht die Wirklichkeit idealisiert darstellt. Hierüber gibt es die verschiedensten Auffassungen und Vorschläge. Der Direktor der Erweiterten Oberschule Bützow und der Lehrer [Name 33] forderten den Wegfall der Zensurengebung in Staatsbürgerkunde. Die gleiche Meinung vertritt auch der Schulrat Hartmann aus dem Kreis Schwerin-Land. Ihr Ziel ist dabei, eine lebhaftere Diskussion und wirkliche Auseinandersetzungen in Staatsbürgerkunde zu erreichen und die wahre Meinung der Schüler zu erfahren. Ähnliche Erscheinungen gibt es auch in anderen Kreisen. In Berlin gibt es gerade den entgegengesetzten Vorschlag, bei Staatsbürgerkunde in der Zensierung auch die gesellschaftliche Leistung und die Haltung des Schülers mit zu werten. Als dieser Vorschlag auf der Lehrerkonferenz in Weißensee gemacht wurde, gab es beim größten Teil der Anwesenden heftige Diskussionen und in der Mehrzahl Ablehnung. Es wurde argumentiert, man könne dem Schüler doch keine »Gesinnungszensur« geben, sondern nur eine Zensur für das erworbene Wissen.

Bei der Methodikdiskussion treten zu sehr reine fachmethodische Fragen in den Vordergrund und die politisch-ideologischen Grundfragen werden zu wenig berücksichtigt. Das ist mit eine der Ursachen, dass der Geschichtsunterricht und die Staatsbürgerkunde zum Teil noch zu lebensfremd und wenig jugendgemäß Wissen vermittelt. Besondere Mängel in der Unterrichtsmethodik treten besonders bei jungen Lehrern auf, die erst kurze Zeit unterrichten. Diese Lehrer machen einen erheblichen Prozentsatz aus. Z. B. im Kreise Lübz sind ein Drittel aller Lehrer erst ein bis drei Jahre im Schuldienst. Diese Lehrer erhalten oft die schwierigsten Klassen, ohne selbst genügend Erfahrungen zu haben.

Die verschiedenen Lehrerausbildungseinrichtungen, vor allem an den Universitäten, vermitteln dem zukünftigen Lehrer offensichtlich nicht genügend methodische und pädagogische Kenntnisse, was sich bei der Arbeit der Absolventen im Unterricht zeigt. Kritiken dieser Art wurden an Absolventen der Universität Halle, der Universität Jena, der pädagogischen Hochschule Potsdam u. a. geübt.

Die Durchführung von Lernwettbewerben an den Schulen ist noch nicht überwunden. An der Oberschule Boitzenburg erhalten z. B. die Schüler für die Disziplin Punkte. Auch an der Oberschule Diekhof, Kreis Güstrow, besteht ein Punktsystem. Die Selbsttätigkeit der Schüler wird oft noch zu einseitig im Schülerexperiment gesehen, ohne andere Formen zu entwickeln.

Kritische Diskussionen gab es an verschiedenen Sonder- und Berufsschulen, z. B. in Magdeburg, weil die Diskussionsgrundlage nur die Oberschulen anspreche und die Probleme der anderen Schulen nicht berücksichtigt. Auseinandersetzungen traten auch auf über die Festlegung der Delegierten zum pädagogischen Kongress. In Magdeburg-Kreis sind z. B. von acht Delegierten sieben Direktoren und Schulfunktionäre, es befindet sich nur ein Lehrer unter den Delegierten des Kreises. Die Abteilung Volksbildung hatte von Anfang an darauf orientiert, dass verdiente Lehrer des Volkes, Oberstudienräte, Schulräte u. a. zu delegieren seien, sodass der Kreis der noch zu wählenden Lehrer recht klein wurde. Auch der Schlüssel bei Auszeichnungen wurde beanstandet. Diese Meinung kam aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt, da durch den Schlüssel ein bestimmter Prozentsatz von parteilosen Lehrern und Mitgliedern der Blockparteien mit auszuzeichnen ist. Aktive Genossen mussten dadurch zurückgesetzt werden.

Im Verlaufe der Diskussionen wurden u. a. folgende Vorschläge unterbreitet:

Zur Verbesserung des Russischunterrichts und einer guten Ausbildung der Sprachfertigkeit wird vorgeschlagen, Deutsch-sowjetische Ferienlager für die Schüler und Lehrer einzurichten. An der Fritz-Reuter-Oberschule wird vorgeschlagen, für die Versetzungen von Schuljahr zu Schuljahr Gesamtprädikate einzuführen. Außerdem soll die Pionierorganisation Auszeichnungen und Medaillen für gute Lernergebnisse schaffen.

Aufgrund der Stofffülle des Lehrplans gibt es verschiedene Vorschläge, einzelne Stoffgebiete einzuschränken, vor allem in Physik, Chemie und Mathematik, um eine festere Aneignung von Kenntnissen zu ermöglichen. Diese Stoffgebiete könnten dafür die Lehrpläne der Berufsschulen bereichern. Dann brauchte man in den Berufsschulen nicht mit dem Stoff des 5., 6. und 7. Schuljahres wieder zu beginnen, sondern könnte auf den Ergebnissen der 8. bzw. 10. Klasse aufbauen.

Im Deutschunterricht wäre es günstig, auch bei den Arbeiten in anderen Fächern die Rechtschreibung bei der Zensierung mit zu berücksichtigen, um die Rechtschreibkenntnisse der Schüler zu erhöhen. In den 5. und 6. Klassen müsste man den Deutschunterricht verstärken und dafür in den 10. Klassen nur noch Literatur behandeln. Ferner gibt es Kritiken, dass der Deutschunterricht der 9. und 10. Klasse zu tragisch sei. Am Beispiel der Streichung von Kellers »Kleider machen Leute« sehe man, dass die Psyche der Jugendlichen und seine Lebensbejahung zu wenig berücksichtigt würde. Man müsse mehr Humor und Optimismus in den Unterricht bringen. Es fehlten die neuesten Werke unserer sozialistischen Schriftsteller.

Zur Qualifizierung der Lehrer wird vorgeschlagen, Klassenleiterstunden einzuführen. Die »Zirkel für aktuelle Politik« seien stärker auszubauen, um auch bei den Lehrern ideologische Unklarheiten zu beseitigen. Außerdem erleichtern diese Zirkel die Verbindung von politischen und Tagesfragen mit dem Unterricht.

In verschiedenen Orten wurde gefordert, die Elternbeiratswahlen doch in größeren Zeitabständen, z. B. zweijährlich, durchzuführen. Dadurch könnte sich der Elternbeirat besser einarbeiten. Außerdem bedeute das eine wesentliche Entlastung der Lehrer. Man könnte trotzdem jährlich Rechenschaftslegungen der Beiräte durchführen.

Bei den Diskussionen in den Bezirken wurden als wesentliche Mängel die Arbeit des Ministeriums für Volksbildung eingeschätzt:

Die Bezirksschulinspektoren im Bezirk Erfurt haben in den letzten drei Jahren keine Anleitung mehr bekommen. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen für ihre Tätigkeit wurden aufgehoben und neue Bestimmungen sind noch nicht erschienen. Im Bezirk Suhl wurde die mangelhafte Planung des Lehrernachwuchses kritisiert. Gegenwärtig gibt es Schwierigkeiten, um über 200 Absolventen (Unterstufenlehrer) der Lehrerbildungsanstalten des Bezirkes unterzubringen. Gegenwärtig unterrichten im Bezirk 500 Lehrer mit Unterstufenqualifikation in der Oberstufe. Bemängelt wird ferner, dass häufig Mitarbeiter der Abteilung Volksbildung nach Berlin bestellt werden, sich aber nur wenig Vertreter des MfV im Bezirk sehen lassen. In Berlin bekomme man nur eine allgemeine Aufgabenstellung, weil dort die notwendigen Kenntnisse über die Lage im Bezirk fehlten. Vertreter der Abteilung Volksbildung beim Rat des Bezirkes wiederum erklärten: »Diese Anleitung und Hilfe bei der Lösung der Aufgaben dürfen wir den Kreisen und zentralgeleiteten Schulen nicht geben.«

Kritik wird allgemein an dem noch zu starken Schriftverkehr und an zu kurzfristigen Terminen des MfV geübt. Z. B. erhielt der Bezirk Erfurt am 10.3.1961 Anweisung, alle hervorstehenden Bauvorhaben und Investitionen schnellstens einzuschätzen (Termin 13.3.1961).

Im März 1961 musste in Berlin zur Vorbereitung des VI. Pädagogischen Kongresses innerhalb einer Woche viermal über das gleiche Problem an das MfV berichtet werden. Die Mitarbeiter der Abteilung Volksbildung waren dadurch nur mit Berichterstattung beschäftigt und mussten andere Dinge, z. B. den Schulinspektionsbereich, vernachlässigen.

1960/61 traten große Schwierigkeiten bei der termingerechten Auslieferung der Zeugnisformulare an die Schulbereiche auf. Durch die äußerst kurzfristige spätere Anlieferung gab es an verschiedenen Schulen Nachtarbeit für die Lehrer bzw. konnten die Zeugnisse zum Teil erst nach den Ferien ausgegeben werden.

»Anlage« zur Information Nr. 270/61

[Anschreiben zur Rückgabe des 2. Exemplars]

Deutsche Demokratische Republik | Ministerium für Volksbildung | Der Minister

Berlin W1, den 20.6.1961 | Wilhelmstraße 68 | Tel. 22 07 | App. 2000

An den | Minister für Staatssicherheit | Genossen Mielke | Berlin

Sehr geehrter Genosse Minister!

Kurz vor dem VI. Pädagogischen Kongress übersandten Sie mir den Bericht über einige Probleme der Volksbildung, speziell zur Lage unter den Lehrern nach Veröffentlichung des Kommuniqués der SED und in Vorbereitung des VI. Pädagogischen Kongresses.

Besten Dank für die im Bericht enthaltenen wichtigen Hinweise, die für eine erfolgreiche Arbeit mit den Lehrern und Erziehern beachtet werden müssen. Wie Sie wissen, haben wir zur Vorbereitung des VI. Pädagogischen Kongresses zahlreiche Aussprachen mit Lehrern, Erziehern, Wissenschaftlern, Eltern, Schülern, Arbeitern und Bauern über die Fragen des Unterrichts und der Erziehung unserer jungen Generation durchgeführt. Dabei spielten auch viele im Bericht erwähnten Fragen eine Rolle.

Der gemeinsame Beschluss des Politbüros der SED und des Ministerrates der DDR über die weitere Förderung und Sicherung der schöpferischen Arbeit der Lehrer vom 22.11.1960 hat uns, wie auch aus unserem Bericht ersichtlich ist, sehr geholfen, die Lage der Lehrer zu verbessern und ihr Vertrauen zu unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat zu verstärken.

Aber wie ebenfalls Ihr Bericht aussagt, ist an vielen Orten der Beschluss noch nicht wirksam und das Verhalten leitender Staatsfunktionäre der örtlichen Organe noch nicht in Ordnung.

Wir üben seit Bekanntgabe dieses Beschlusses eine laufende Kontrolle aus. Bezirksschulräte und stellvertretende Ratsvorsitzende mussten vor dem Kollegium berichten, und mithilfe des Sekretariats des Ministerrates wurden auch die Vorsitzenden der Räte der Bezirke auf die Beseitigung der ernstesten Verstöße hingewiesen.

Auf der Grundlage unserer eigenen Übersicht und eines Berichts der zentralen Kommission für staatliche Kontrolle werden wir im Kollegium des Ministeriums vor den Bezirksschulräten einen Gesamtbericht mit Schlussfolgerungen erstatten.

Diese Tagung gibt dann die Grundlage für eine Information an das Politbüro über den Stand der Durchführung und zu einem Bericht an den Ministerrat.

Daneben laufen spezielle Maßnahmen über die Verbesserung des Gesundheitszustandes bzw. die medizinische Betreuung der Lehrer und Erzieher, der Regelung der Wohnungsfragen, die Entwicklung des geistigen und kulturellen Lebens, die Schaffung erweiterter Reisemöglichkeiten in die sozialistischen Länder usw.

Die Regelung aller dieser Fragen steht selbstverständlich im engsten Zusammenhang mit der Auswertung des VI. Pädagogischen Kongresses, wobei außer den pädagogischen Aufgaben auch die Aufgaben einer geordneten materiellen Versorgung der Schulen, der Durchsetzung der Schulordnung usw. gelöst werden müssen.

Ich sende Ihnen anbei den Bericht, aus dem wir die zu regelnden Fragen entnommen haben, zurück.

Mit sozialistischem Gruß

Prof. Dr. Lemmnitz [Unterschrift]

  1. Zum nächsten Dokument Proteste im LEW Hennigsdorf (1)

    2. Juni 1961
    Einzel-Information Nr. 272/61 über Provokationen in Hennigsdorf/Bezirk Potsdam

  2. Zum vorherigen Dokument Probleme bei der Mechanisierung im Bauwesen

    31. Mai 1961
    Bericht Nr. 264/61 über die Mechanisierung im Bauwesen, unter besonderer Beachtung der Probleme, die mit dem Einsatz sowjetischer Baumaschinen und Aggregate verbunden sind