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Reaktion von Schriftstellern und Künstlern zum VI. Parteitag der SED

22. März 1963
Einzelinformation Nr. 196/63 über die Reaktion von Kulturschaffenden der DDR auf den VI. Parteitag der SED

Mit den nachstehenden Hinweisen soll auf einige typische Reaktionen von Kulturschaffenden auf den VI. Parteitag1 aufmerksam gemacht werden. Eine Gesamteinschätzung ist vor allem deshalb noch nicht möglich, weil die Tendenz des »Abwartens« weit verbreitet ist und konkrete Stellungnahmen besonders von den Profiliertesten und Einflussreichsten dieser Kreise oft vermieden werden.

Im Prinzip werden von einem großen Teil der Kulturschaffenden einseitig nur die kulturellen Probleme – und selbst sie nur mit Einschränkungen – diskutiert. Die außenpolitischen, nationalen und ökonomischen Probleme werden oft mit dem Hinweis abgetan, dass diese Fragen auf dem Parteitag richtiggestellt wurden und in völliger Übereinstimmung mit ihrer eigenen Meinung stehen würden.

Während vom großen Teil der Kulturschaffenden, besonders von den jungen und von den progressiven Kräften, positiv auf die Behandlung der Kulturprobleme reagiert wird, lässt aber im Gegensatz dazu ein ebenfalls beträchtlicher Teil in Gesprächen immer wieder durchblicken, dass diese Übereinstimmung bei der Behandlung der kulturpolitischen Fragen2 nicht oder nur teilweise vorhanden sei.

So erklärte eine große Anzahl von Schriftstellern einschließlich solcher, die am Parteitag teilnahmen (u. a. Günther Rücker,3 Christa Wolf,4 Kohlhaase,5 Strittmatter,6 Apitz,7 Seghers8), dass sie schockiert und deprimiert und mit dieser Behandlung noch nicht zufrieden seien. Sie erwarten noch eine gründliche und differenzierte Auseinandersetzung.

Nach ihrer Ansicht wurden die Auseinandersetzungen mit einigen Künstlern zu sehr hochgespielt, wodurch sich die Mehrzahl aller Schriftsteller und Kulturschaffenden angesprochen fühlt, angeblich aber ungerechtfertigt. (In dieser Form äußerten sich u. a. auch Brigitte Reimann9 und Siegfried Pitschmann.10)

Aus dem Umfang, den kulturelle Probleme auf dem Parteitag einnahmen, schlussfolgern sie zum Teil, dass man ihnen misstraut.

In einzelnen Fällen werden die Auseinandersetzungen als Symptom für ein »Anziehen der Zügel« (Dr. Böttcher,11 Verlag Volk und Wissen) und als Bestrebung der Partei gewertet, »die Künstler gefügiger zu machen«.

Fast ausnahmslos werden diese Ansichten geäußert, ohne sich mit den eigentlichen auf dem Parteitag in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Problemen näher auseinanderzusetzen oder konkrete Begründungen für ihre Argumentation anzuführen.

Auf der gleichen Linie »allgemeiner Einschätzungen« liegen auch die Feststellungen, dass »in der Kulturpolitik der DDR etwas nicht in Ordnung und die ganze Situation untragbar« sei (Seghers, Christa Wolf, Strittmatter u. a.).

In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass Seghers und Strittmatter abgelehnt hatten, auf dem Parteitag zur Diskussion zu sprechen.

Außerdem zeichnet sich in den Reaktionen ab, dass die Diskussionen auf dem Parteitag selbst differenziert aufgefasst werden.

In zahlreichen Fällen wird den Ausführungen12 der Genossen Walter Ulbricht13und Paul Verner14 offen zugestimmt, weil man sie als sachlich, prinzipiell und zugleich als real einschätzte (z. B. auch Hermlin15).

Von den Schriftstellern Kant,16 Wolf und vom Sekretär des Schriftstellerverbandes Braun17 wird darauf hingewiesen, dass Paul Verner die eigentlichen Probleme der Schriftsteller sehr richtig erkannt und auch richtig beantwortet habe. Als sehr gut wird auch die Tatsache gewertet, 14 % der Genossen Schriftsteller die Möglichkeit einer Teilnahme am Parteitag gegeben zu haben.

Die Ausführungen der Genossen Paul Fröhlich,18 Mäde,19 Bredel20 und Kuba21 werden aber zu einem großen Teil abgelehnt, selbst von der Mehrzahl der Schriftsteller, die am Parteitag teilnahmen.

Nach ihrer Meinung habe sich z. B. Genosse Paul Fröhlich in der Schärfe seines Tones vergriffen und zu sehr auf alle Schriftsteller verallgemeinert.22

Bredel habe sich auf billige Art und Weise aller Verantwortung zu entziehen versucht und (z. B. die Kritik an der Zeitschrift »Sinn und Form«23 betreffend) einzig und allein dem parteilosen Schriftsteller Huchel24 die Schuld in die Schuhe schieben wollen.25 Bredel habe sich damit lächerlich gemacht und blamiert.

Daran anknüpfend wurde die Deutsche Akademie der Künste26 als eine überlebte bürgerliche Einrichtung hingestellt, wo nur Leute verkehren, die keine aktive künstlerische Arbeit mehr leisten würden. (Auf der anderen Seite wird von der Gruppe »Junge Berliner Künstler« und ihren Förderern wie Graetz,27 Sandberg,28 Classen,29 Paris30 zum Ausdruck gebracht, dass »sachliche Diskussionen über persönliche und künstlerische Freiheit« nur noch in der Akademie der Künste möglich wären, weil dort die Parteiorganisation »nicht so schematisch und dogmatisch« sei.)

Unter Verlagsmitarbeitern wird die Kritik an Bredel im Prinzip als berechtigt angesehen, aber es wird darauf hingewiesen, dass man Bredel nicht für alles verantwortlich machen könne. So würden z. B. auch die Ursachen für die gegenwärtige Situation in der Kulturpolitik weiter zurückreichen, und ein »Alarmzeichen« sei, dass Genosse Kurella31 nicht wieder ins Politbüro kam.

Zum Diskussionsbeitrag von Kuba wird von den gleichen Kreisen erklärt, dass er auf billige Effekthascherei ausging.32 Von einem ZK-Mitglied hätte man mehr erwarten können.

Ebenfalls war man mit den Ausführungen Mädes nicht einverstanden, die man als »Schau-Diskussionsbeitrag« bezeichnete. Besonders seine Bemerkungen gegen Anna Seghers werden abgelehnt.33

Aufgrund dieser Ansichten und anderer noch als weit verbreitet einzuschätzender ideologischer Unklarheiten unter Kulturschaffenden leiten viele Vertreter dieser Kreise für sich die Schlussfolgerung ab, ihre »Unsicherheiten und Hemmungen« nach außen hin nicht zu zeigen und keine feste Position zu beziehen. Sie wollen jetzt keine Werke veröffentlichen und erst abwarten, bis sich abzeichnet, in welche Richtung die Entwicklung weitergeht.

In diesem Sinne äußerten sich z. B. Schriftsteller Kant und Grafiker Seewald.34

Auch Sandberg hielt sich zurück und erklärte, er könne dazu im Augenblick nichts sagen, weil er aus Zeitmangel den Parteitag nicht so intensiv verfolgt habe. Man müsse das »klärende Gespräch in einem bestimmten Kreis von Künstlern weiterführen«.

Hermlin äußerte sich außer [mit] einer »allgemeinen Zustimmung« anfangs ebenfalls nicht konkret zu den Problemen des Parteitages und vertrat (z. B. auf der Parteiversammlung der Berliner Gruppe des Deutschen Schriftstellerverbandes) nach wie vor die Meinung, dass die Lyrikveranstaltung in der Deutschen Akademie der Künste35 gut und parteilich gewesen wäre. Nach seiner Ablösung erklärte er allerdings, allmählich zu der Einsicht zu kommen, dass sein Verhalten vor dem VI. Parteitag nicht richtig war. Er beginne, die Kritik an seiner Arbeit in der DAK teilweise anzuerkennen.

Auch Jan Petersen36 ignorierte die wirkliche Problematik des Parteitages und versuchte mit der Feststellung, er sei alter Kommunist und wenn einmal andere Zeiten wären, würde sich zeigen, wer für unsere Sache eintritt, den Problemen auszuweichen.

Von Mitarbeitern des Deutschen Fernsehfunks37 wird das Verhalten der Kulturschaffenden so interpretiert, als hätten sie eine »große Verbeugung« vor der Partei gemacht und wüssten nun gar nicht mehr, welche Linie in der Kunst richtig sei; das habe der Parteitag gezeigt.

Von Sprechern der »Berliner Welle«38 wird dagegen eingeschätzt, auf dem Parteitag sei endgültig der Stab über eine Reihe von Schriftstellern (z. B. Bredel und Hermlin) gebrochen worden und ihr Parteiausschluss sei nur noch eine Frage von Tagen. Die wirklichen Ergebnisse des Parteitages auf dem Gebiet der Kulturpolitik würden sich erst in Zukunft zeigen.

Solche und ähnliche falsche Ausgangspunkte sind auch für eine Reihe weiterer Diskussionen typisch, durch die sich nach wie vor die Auffassungen von einer »Enge der Kulturpolitik in der DDR« und von deshalb »notwendigen Veränderungen« ziehen.

Dabei soll mit einer Reihe dieser Diskussionen auch ganz offensichtlich in versteckter Form die führende Rolle der Partei negiert werden.

Im Kunsthistorischen Institut der Humboldt-Universität wurde vom Direktor des Instituts für Kunstgeschichte Prof. Strauss39 vor einem größeren Personenkreis folgende Meinung vertreten: Die Auffassung der Partei zur Kultur sei dogmatisch. Es habe keinen Zweck, etwas dagegen zu sagen. Es sei das Beste, den Mund zu halten. Unter den gegenwärtigen Bedingungen sei er außerstande, etwas zu publizieren. (Diese Auffassungen wurden auch von einer größeren Anzahl Mitgliedern der SED in diesem Institut vertreten. Das Theaterstück »Die Sorgen und40 die Macht«41 wurde von diesem Personenkreis als künstlerisch wertvoll bezeichnet).

Johannes Bobrowski,42 Cheflektor des Union-Verlages und freischaffender Schriftsteller, vertritt die Auffassung, dass die Kultur von der SED vergewaltigt würde und der letzte Rest eines freien Gedankens abgeschafft werden solle. Die Schriftsteller dürften künftig nur noch schreiben, was von der Partei vorgeschrieben würde.

W. Nölle,43 Redaktionsleiter bei Radio Berlin International,44 äußerte, vom Parteitag sei keine Änderung zu erwarten gewesen. Das wäre nur möglich, wenn die jetzige »Parteimannschaft« abgelöst und Leute wie Norden45 und Apel46 an die Spitze kämen. (Dieser Hinweis ist nur zur persönlichen Information bestimmt.)

Der gleiche Nölle bezeichnete, ebenso wie die Mitarbeiter Netzeband47 und Jähner48 von der Redaktion des »Sonntag«49 und andere Kulturschaffende, die Ausführungen Iljitschows50 als »Rückkehr zu scharfen Methoden und Unfreiheit«.51 Der leitende Redakteur für Belletristik im Verlag Kultur und Fortschritt [Name] erklärte dazu u. a., Formalismus sei für uns gar nicht so schlimm, er würde niemandem schaden.

Auf der anderen Seite werden die »großen Freiheiten«52 in der Sowjetunion als Vorbild angeführt und damit gleichzeitig versucht, in Diskussionen einen gewissen Druck auszuüben und die angebliche Enge in der DDR nachzuweisen.

Dabei wird vor allem auf sowjetische Bücher (Jewtuschenko,53 Solshenizyn54) und Filme verwiesen, die zwar in Westdeutschland, aber nicht in der DDR übernommen würden. Diese Fragen spielten vor allem bei Regisseuren der DEFA wie Frank Vogel,55 Frank Beyer,56 Gerhard Klein57 bei ihren Diskussionen über »Ehrlichkeit« (Aktivtagung der DEFA) aber auch bei anderen Kulturschaffenden eine Rolle.

Von Turek58 und Koplowitz59 wird die Meinung vertreten, dass die Zensur in der DDR zu stark sei. Werke von Koplowitz würden z. B. in der DDR nicht herausgegeben, erschienen aber u. a. im »Daily Worker« und in der ČSSR.

In Verlegerkreisen wird gegen die Formulierungen »es ist alles erlaubt, was dem Sozialismus nützt und nicht Abklatsch spätkapitalistischer Kunstauffassungen ist« Stellung genommen. Damit würden von vornherein Grenzen gesetzt, die aber nicht klar erkennbar sind und darum eine gewisse Enge bedingten. In der Sowjetunion sei es leichter, zu den neuen Problemen Stellung zu nehmen, weil dort die Aufgaben freimütiger und klarer gestellt würden als bei uns.

Eine Gruppe junger Maler, Grafiker und Bildhauer, unter ihnen Goltzsche,60 Berlin-Köpenick, und Fitzenreiter,61 die vor dem 13.8.196162 regelmäßig nach Westberlin fuhren, ziehen sich spürbar von der Öffentlichkeit zurück. Ihre Argumente dafür beinhalten, dass es praktisch der Entscheidung von SED-Funktionären überlassen ist festzulegen, was Kunst sei und was nicht. Der sozialistische Staat gäbe ihnen auch kein Brot. Im Westen dagegen könnten sie immerhin noch nach Herzenslust schaffen.

Die Schriftsteller Kirsch63 und Wohlgemuth64 aus Halle vertraten die Meinung, es wäre noch gar nicht erwiesen, ob die Künstler oder die »Funktionäre« Recht hätten. Die Funktionäre könnten wohl »kehrtmachen«, aber die Künstler nicht.

Die Schriftstellerin Probst65 wüsste nicht mehr, wie sie ein Thema anfassen soll, ohne als staatsfeindlich bezeichnet zu werden. Zum Beispiel habe sie einen Studentenroman geschrieben, der vom Ministerium für Kultur als »zu grau« abgelehnt, von Gerald Götting66 und vom Union-Verlag67 aber als gut bezeichnet wurde.

Von einigen älteren Künstlern wurden mit der Begründung Anträge auf »Ehrenrente« gestellt, dass dies nach dem VI. Parteitag der einzig mögliche Weg sei.

Diese Tendenz, gegen die führende Rolle der Partei mit dem Argument der »Entscheidung durch Parteifunktionäre über Fragen der Kunst und Literatur« zu polemisieren, ist keine Einzelerscheinung.

In Orchestern, Chören und bei Tonmeistern des Berliner Rundfunks wird darüber gesprochen, dass es auch in der Kunst bestimmte Entwicklungsstufen gibt, die man nicht überspringen könne. Die Partei sei schuld, dass nicht alle diese Entwicklungsstufen von den Künstlern durchgemacht werden. Damit soll offensichtlich allen dekadenten Spielarten das Wort geredet werden.

Ähnliche Rechtfertigungsversuche für Dekadenz und Formalismus gibt es an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. Dort wird erklärt, die Diskussionen auf dem Parteitag wären nur vom rein politischen Aspekt getragen gewesen. Der eigentliche ästhetische Problemkreis sei vernachlässigt worden, z. B. die Beziehungen zwischen Mensch und Technik, einmal die gesellschaftlichen Beziehungen und zum anderen die individuellen Beziehungen. Davon werden eine Reihe falscher Ansichten abgeleitet wie: Die Technik führe zur inneren Verkümmerung des Menschen und sei sein Verhängnis, man müsse eine Verminderung des technischen Fortschritts in Kauf nehmen. Außer den Klassenauseinandersetzungen gebe es zwischen den Menschen der Erde auch allgemeine Verbindungen einer höheren idealistischen Daseinsform und Weltbeziehung. Die Künstler stünden auf solch einer höheren Plattform außerhalb eines bestimmten Milieus (und brauchten deshalb auch nicht die unmittelbare Verbindung mit der Basis). In dieser und ähnlicher Form werden eine Reihe weiterer wirrer und schädlicher Vorstellungen entwickelt. Sie wurden nur deshalb angeführt, weil sie unter Studenten der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee ständig an der Tagesordnung sind.

Andererseits wurde ebenfalls aus Kreisen junger Künstler, besonders Mitgliedern der SED, zu denen unter anderem Ernest Reuter68 und [Vorname Name] gehören, bekannt, dass sie bemüht sind, die Linie der Partei auch in Fragen der Kunst und Literatur durchzusetzen und nach ihrer Meinung das Beste wollen. Sie konnten sich jedoch in der Vergangenheit nicht behaupten, weil z. B. in den Partei- und sonstigen Versammlungen die Diskussionen von Genossen wie Sandberg, Graetz, Classen, Ingeborg Hunzinger69 und anderen bestimmt wurden, die von den tatsächlichen Problemen ablenkten. In letzter Zeit hielten sie sich aber merklich zurück. Von den Letztgenannten würde ständig versucht, die jungen Genossen Künstler aufgrund ihrer oft noch nicht befriedigenden künstlerischen Qualitäten mundtot zu machen.

Neben den bisher erwähnten Fragen standen besonders noch die Kritiken an Peter Hacks70 und Günter Kunert71 im Mittelpunkt der Diskussionen.72 Aber auch hier wurde in den meisten Fällen gegen die »Form«, wie die Partei auf die entsprechenden Werke dieser Künstler reagiert habe, polemisiert. Die eigentliche Problematik, die der Anlass für die Kritiken war und die prinzipielle Fragen betraf, wurde nur in den seltensten Fällen diskutiert. In der Redaktion des »Sonntag« z. B. wurde Kunerts Oper »Fetzers Flucht«73 als »gewiss kein Meisterwerk« eingeschätzt, aber immerhin sei sie mit einem Diplom der OIRT ausgezeichnet worden und Baumerts Artikel74 im ND sei abzulehnen. Man dürfe Kunert nicht so behandeln.

Auch unter breiten Kreisen der Schriftsteller wird die Art der Auseinandersetzung mit Kunert als empörend bezeichnet. Kunert würde »fertiggemacht«, während man den eigentlichen Verantwortlichen der Sendung – deren Arbeit es wäre, zu entscheiden, was gesendet werden kann und was nicht – kein Wort sagt. Dass die Fernsehoper nicht in Ordnung ist und man sich auch ideologisch damit auseinandersetzen muss, ist richtig. Es dürfe aber nicht auf diese Art und Weise geschehen.

Ähnlich reagieren diese Kreise auf die Absetzung von Hacks’ »Die Sorgen und75 die Macht«. Sie würden sich nicht mit dem Werk selbst identifizieren, weil es einfach schlecht sei und sich nach ihrer Ansicht von allein totgelaufen hätte. Aber eine »von oben angeordnete Absetzung« sei nicht zu billigen (Berliner Ensemble). Die Reaktion von Hacks selbst ist noch abwartend. Er will sehen, wie man ihn weiter behandelt. Er betonte, er sei mit der Absetzung seines Theaterstückes zwar nicht einverstanden, wolle aber zu dieser Frage nichts weiter unternehmen. Zu seiner Rechtfertigung, dass er nicht daran gedacht habe, etwas Feindliches gegen die DDR auszusagen, führte Hacks an: Er hätte eine Einladung für die Evangelische Akademie76 erhalten, lehnte aber eine Teilnahme ab, weil nach seiner Meinung dort die »Konterrevolutionäre« sitzen. Außerdem wollte er unter den gegenwärtigen Umständen vermeiden, dass eine eventuelle Teilnahme als Demonstration aufgefasst wird.

Die Reaktion Kunerts ist in vielen Fragen ähnlich. Während er vor dem Parteitag noch äußerte, dass »die da oben« nichts von den wirklichen Problemen der Kunst und Literatur verstünden, sondern höchstens etwas von Gartenzwergen, erklärte er nach dem Parteitag, die Darlegungen seien gut, durchdacht und sinnvoll gewesen. Die objektive und sachliche Kritik sei für ihn »eine innere Befreiung« gewesen, weil er sich schon aufgrund verschiedener Anfragen, Meinungen und Gerüchte als »Konterrevolutionär« gefühlt habe. Tatsächlich wollte er aber nichts Feindliches gegen die DDR unternehmen. Das hieße jedoch nicht, dass er mit der Kritik an ihm schon fertig sei. Besonders deprimiert sei er über Baumert, der einen Tag vor seinem Artikel im ND noch zu ihm gekommen sei und ihn »zu der großartigen Oper« beglückwünscht habe.

In diesem Zusammenhang sind die unter Kreisen der Kulturschaffenden kursierenden Behauptungen interessant, wonach gleiche Glückwünsche auch Genosse Adam77 (Kulturabteilung im ZK) und Heinz Adameck78 (Intendant des Deutschen Fernsehfunks) ausgesprochen hätten, später aber eine völlig gegensätzliche Stellung bezogen hätten. Von Harald Hauser79 wird behauptet, der Genosse Reginald Grimmer80 hätte das Theaterstück »Die Sorgen und die Macht« mit »Schlacht unterwegs«81 gleichgesetzt, später dann aber ebenfalls seine Meinung grundsätzlich verändert. Ebeling82 von der Dramaturgie beim Deutschen Fernsehfunk betonte, dass Mäde in der Zeit, als er mit ihm zusammen am Theaterinstitut in Weimar studierte, davon geschwärmt habe, unmittelbar nach Beendigung seines Studiums »im Westen« zu arbeiten.

Offensichtlich sollen diese Behauptungen das Ansehen der Kulturfunktionäre und der Partei herabsetzen und nachweisen, dass es auch in diesen Kreisen »falsche Auffassungen« gegeben habe.

Außerdem gibt es direkte Versuche, die von der Partei kritisierten Künstler in ihrer falschen Meinung zu bestärken und feindlich zu beeinflussen mit dem Ziel, sie gegen die Partei aufzuwiegeln.

So versuchte der freischaffende Mitarbeiter des Staatlichen Rundfunkkomitees und Journalist Schollak83 den Schriftsteller Kunert zu beeinflussen, in aggressiver Form gegen die veröffentlichten Kritiken Stellung zu nehmen. Zu diesem Zweck gab er Kunert den Hinweis, dass der Verfasser der Kritik in der »Ostsee-Zeitung«,84 Prof. Geerdts85/Greifswald, SA-Mann gewesen sei, während Kunert in dieser Zeit im KZ86 gesessen habe.

Auf der gleichen Linie liegen die Diskussionen, dass der Hermlin kritisierende Chefredakteur des »Sonntag«, Bernt v. Kügelgen,87 ehemals faschistischer Offizier war, Hermlin aber im KZ88 saß.

Nach der Kulturveranstaltung89 zum VI. Parteitag, auf der Heinz Quermann90 kritische Bemerkungen vorbrachte, setzten sich einige Mitarbeiter und freischaffende Autoren des »Eulenspiegels«91 mit Kunert in Verbindung. Trotz seiner Zurückhaltung beeinflussten sie ihn in negativer Form und legten fest, sobald als möglich unter Ausnutzung ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Stellung den »Eulenspiegel« zu missbrauchen, um gegen Quermann vorzugehen. In der ersten Ausgabe dieser Zeitschrift nach dem VI. Parteitag wurde das auch unter der Spalte »Fernseheule«92 in ziemlich offener Form Quermann unterstellt, dass er von Kunst nichts verstünde.

Statt Kunert zu helfen, die Kritik der Partei zu verstehen, versuchten die Schriftsteller Jens Gerlach,93 Irmtraud Morgner94 und ihr im Aufbau-Verlag als Lektor tätiger Ehemann Joachim95 Schreck ebenfalls, ihn gegen die Partei zu beeinflussen.

Die bisher angeführten Reaktionen und Erscheinungen wurden hauptsächlich bis zum Zeitpunkt der Rede des Genossen Chruschtschow96 über Fragen der Kunst und Literatur97 bekannt.

Die zu den Auseinandersetzungen mit Kulturschaffenden in der Sowjetunion, besonders zu dieser Rede, bisher bekannt gewordenen Reaktionen beinhalten einerseits die Argumentation vom »härteren Kurs in der Kulturpolitik jetzt auch in der Sowjetunion« und andererseits folgende, aber weitaus öfters aufgetretene Argumentation:

Die Behandlung der sowjetischen Künstler durch die KPdSU werde trotz aller Konsequenz sachlicher und mit größerer erzieherischer Wirkung geführt. Bei den Auseinandersetzungen berücksichtige man auch die positiven Seiten der Künstler und ließe sie in der Öffentlichkeit zu Wort kommen. In der DDR dagegen würden einige Kulturschaffende öffentlich kritisiert, erhielten jedoch nicht die Möglichkeit, öffentlich zu antworten bzw. ihre Arbeiten zu veröffentlichen. In ähnlichem und abgewandeltem Sinne, aber mit der gleichen Grundtendenz, äußerte sich eine Reihe von Schriftstellern und Journalisten, u. a. auch Gerlach und Kunert.

Anlage 1 zur Information Nr. 196/63

[Information über ein Gespräch zwischen Stefan Heym und Stephan Hermlin]

Der nachstehende Sachverhalt war Gegenstand eines internen Gesprächs zwischen den Schriftstellern Stefan Heym98 und Hermlin und wird nur zur persönlichen Information mitgeteilt:

Nachdem Heym von der Ablösung Hermlins als Sekretär der Sektion Dichtung und Sprachlehre99 erfahren hatte, sprach er sofort mit Hermlin, um zu fragen, ob diese Mitteilung stimmt.

Heym sagte wörtlich: »… Diejenigen, die das getan haben, sollen vergessen sein, sodass sie den letzten Furz gelassen haben. Was die Schriftsteller gemacht haben, das wird bestehen bleiben …«

Hermlin entgegnete ihm, dass man in dieser Situation vernünftig und sachlich denken müsse und er (Hermlin) selbst diesem Beschluss zugestimmt habe, wie es seine Parteidisziplin verlange. Er habe bereits vor zwei Monaten diese Funktion zur Verfügung stellen wollen. Dies sei aber von seiner Partei abgelehnt worden. Jetzt habe seine Partei ihn aber doch dieses Postens enthoben.

Nach dieser Bestätigung wiederholte Heym sinngemäß seine erste Äußerung mit dem Kommentar, dass man dazu weiter nichts sagen könne.

Hermlin wies ihn darauf hin, dass man sich bald einmal sehen müsse, um sachlich über diese Dinge zu diskutieren. Darauf erklärte Heym, dass er seine Äußerung als sachliches Gespräch gewertet wissen will.

Anlage 2 zur Information Nr. 196/63

[Kritische Diskussionen unter Kulturschaffenden über den sozialistischen Realismus]

Nachträglich wurde uns noch der Bericht eines Angehörigen der künstlerischen Intelligenz bekannt, der zahlreiche Verbindungen innerhalb dieser Kreise unterhält. Wir geben nachstehend diesen Bericht wörtlich wieder, möchten aber darauf hinweisen, dass es sich dabei um die persönlichen Auffassungen dieser Person zu den aufgeworfenen Problemen handelt.

Mitte 1960 kristallisierte sich heraus, dass die Stellung Berlins zwischen den Fronten nicht mehr von langer Dauer sein kann. Die Errungenschaften des Sozialismus waren nicht mehr zu erschüttern. In verschiedenen Kreisen der Intelligenz entstand ein Gefühl der Unruhe. Manch einer hatte die Möglichkeit eines 3. Weges erhofft. Hinzu kam, dass der Gegner diese schwankende Haltung erkannte und eine konzentrierte Propaganda mit dem Ziel entfaltete, die Künstler und Intellektuellen in Opposition zu der Kulturpolitik unserer Partei zu bringen. Die Basis für solche Einwirkungen war natürlich, dass viele Künstler ideologisch und gefühlsmäßig noch nicht die Positionen der sogenannten »Moderne« völlig überwunden hatten, umso mehr als in den letzten Jahren in der westlichen Welt diese Kunstrichtung eine gewaltige Verbreitung erlebte. Die »Moderne« drang in Länder ein, die bisher auf diesem Gebiet noch keine Rolle spielten. Durch ständige Zeitungspropaganda, durch eine Unzahl von Publikationen wurde ein breiteres Publikum ergriffen. Ich denke besonders an die Länder Norwegen, Schweden, Indien, Ägypten.

Es wäre auch falsch zu verkennen, dass die Abrechnung mit dem Personenkult bei vielen Künstlern eine gewisse Unsicherheit ausgelöst hat.

Viele haben den Weg zum Sozialismus und Kommunismus als eine gerade Straße angesehen, nun sahen sie, dass dieser Weg, obwohl von den Klassikern des Marxismus in großen Zügen vorgezeichnet, in der Praxis des Lebens, in der Auseinandersetzung mit dem Gegner, Schritt für Schritt gefunden und erkämpft werden muss. Viele sahen mit der Entthronung Stalins zugleich die Möglichkeit, dass alle Prinzipien des Marxismus-Leninismus möglicherweise revisionsbedürftig sein könnten, so auch die Kulturpolitik der Partei.

Hinzu kam, dass nach dem XX. Parteitag100 die Führung der Partei auf dem Gebiet der Kunst weniger in Erscheinung trat und dass z. B. in Polen möglich wurde, dass die Künstler einen Rückfall auf die Positionen der »Moderne« durchsetzten, und zwar anscheinend so, ohne dass dort die Partei kritisch dazu Stellung nahm.

Diese hier aufgezeigte Situation fand ihren Niederschlag in der Akademieausstellung »Junge Kunst«.101 Die Ausstellung, die ursprünglich nur eine größere Breite der künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten unserer gegenwärtigen Künstler zeigen sollte, wurde binnen Kurzem zum Programm erhoben, indem man die dort gezeigte »eigentliche Kunst« im Gegensatz zu der sozialistischen-realistischen Malweise stellte, in Gegensatz der Künstler, die auf dem Boden der Kulturpolitik unserer Partei standen.

Für diese Letzteren wurde die diffamierende Bezeichnung »Musterknaben«102 geprägt.

Eine große Stütze fanden die Gruppen, die in Opposition der Parteilinie standen, in den modernistischen Arbeiten der polnischen Künstler und darin, dass sich offenbar auch aus der ČSSR und teilweise Ungarn ähnliche Auffassungen breitmachten. Seit ungefähr 1½ Jahren schließlich wurde mehr und mehr eine Mundpropaganda entfaltet, dass auch nun in der Sowjetunion der sozialistische Realismus103 nicht mehr die einzige Kunstform sei. Untermauert wurde diese Mundpropaganda unter anderem mit dem Hinweis auf die Verleihung des Friedenspreises der Sowjetunion an Picasso104 und auf die Ausstellung von abstrakten Bildern in der SU.

Solche Nachrichten wurden mit der Absicht verbreitet, die Anhänger des sozialistischen Realismus zu beunruhigen, welche auch bis zu einem gewissen Grade erreicht wurde.

So herrschte z. B. unter den fortschrittlichen Künstlern aus Leipzig vor der Eröffnung der V. Deutschen Kunstausstellung105 eine ziemliche Unsicherheit, umso mehr als auch einige Kulturfunktionäre, der Leiter der Abteilung bildende Kunst und Museen beim Ministerium für Kultur, Genosse Dr. Bartke106 und Genosse Klaus Weidner107 vom Zentralkomitee, den Weg der Leipziger Künstler als Irrweg bezeichneten. Genosse Weidner kritisierte den Genossen Hagen108 von der Zeitschrift »Bildende Kunst« scharf, weil er kurz vorher positiv über die Ausstellung der Leipziger Künstler109 einen Artikel110 geschrieben hatte. Die Leipziger Bezirksausstellung hatte Walter Ulbricht besucht und den Weg der Leipziger Künstler als richtig bezeichnet. Mit Ausnahme von einigen Überspitzungen von dem Maler Witz111 und das Bild Viehzuchtbrigadier, welche man als Experimente bezeichnen kann.

Vor der V. Deutschen Kunstausstellung orientierte man sich auf die Hallenser Künstler mit modernistischem Einschlag gegen die Leipziger. Zu dieser Zeit erreicht die Konfusion einen gewissen Höhepunkt.

Trotzdem wirkte sich in der Jury der V. Deutschen Kunstausstellung diese Konfusion wenig aus. Dank der Führung einiger marxistisch klar blickender Künstler und Kulturfunktionäre, und wahrscheinlich auch dadurch, dass ein großer Teil der Jury aus Werktätigen und Arbeitern bestand, kam es zu keinen Fehlentscheidungen. Jedoch bei der Auswertung der Kunstausstellung treten diese Unklarheiten noch einmal deutlich zutage.

Einige sahen die Bedeutung der Ausstellung in einer angeblichen Verstärkung der auf die Form orientierten Künstler. Andere wieder in einem offensichtlichen Scheitern der Konzeption der Leipziger Künstler (Ausjuryrung von zwei Bildern des Malers Witz und des Bildes Chemiezirkel von Klaus Weber112).

Der Bericht von dem Besuch113 des Genossen Chruschtschow von der Ausstellung von Werken Moskauer Künstler, besonders seine Ausführungen über abstrakte Bilder sowie der Artikel114 von Genossen L.F. Iljitschow, Sekretär des ZK der KPdSU, brachte dann große Unruhe und Verwirrung unter den Künstlern, die sich bereits mehr oder weniger auf die angekündigte und als sicher erwartete »weiche Welle« aus Moskau orientiert hatten.

Die erste Reaktion dieser Künstler war der Versuch, die darin vertretene Meinung als eine von vielen darzustellen und zu behaupten, die Diskussion sei in diesen Fragen noch durchaus offen und noch nicht abgeschlossen, d. h., es könnte noch zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Von allen diesen eben geschilderten Künstlern ist natürlich die letzte Rede115 des Genossen Chruschtschow eine gesunde Enttäuschung. Auf der anderen Seite wäre es aber meines Erachtens falsch, wenn man glauben würde, dass diese Klarstellung der prinzipiellen Position der KPdSU auf dem Gebiet der Kunstpolitik sehr bald zu einer Schlussfolgerung bei den Künstlern führen würde, die in all den Jahren mit einer Aufwertung der sogenannten »Moderne« geliebäugelt haben.

Auf der anderen Seite ist es für die Künstler, die sich um eine volksverbundene Kunst bemühen und sich durch nichts haben beirren lassen, eine bedeutende und notwendige Stärkung, denn es wäre ebenso verfehlt zu glauben, dass es zur Unterstützung dieser Künstler in ihren nicht leichten Kampf genügen würde, wenn hin und wieder in allgemeinen Worten von der Seite der Partei aus der sozialistische Realismus gefördert wird.

Man muss bedenken, dass solche Künstler von den immer noch zahlreichen Anhängern einer liberalistischen Kunstauffassung unter den Künstlern, wie auch anderen Kreisen der Intelligenz, ständig moralisch unter Druck gesetzt werden.

  1. Zum nächsten Dokument Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Bethel

    25. März 1963
    Einzelinformation Nr. 203/63 über die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom 10. bis 14. März 1963 in Bethel bei Bielefeld

  2. Zum vorherigen Dokument Verhalten der westlichen Besatzungsmächte in Ostberlin, 1. Quartal ’63

    21. März 1963
    Einzelinformation Nr. 199/63 über provokatorisches Verhalten von Angehörigen der westlichen Besatzungsmächte bei Fahrten mit Militärfahrzeugen in das demokratische Berlin