Direkt zum Seiteninhalt springen

Reaktion zur Beratung des Politbüros mit Schriftstellern und Künstlern

17. April 1963
Einzelinformation Nr. 247/63 über die Reaktion auf die Beratung des Politbüros mit Künstlern und Schriftstellern

Die Beratung des Politbüros mit Schriftstellern und Künstlern findet in diesen Kreisen außerordentlich großes Interesse.1 Vom überwiegenden Teil der Schriftsteller und Künstler wird die Durchführung dieser Tagung begrüßt.

Dabei wird besonders das Referat2 des Genossen Hager3 und das Schlusswort4 des Genossen Ulbricht5 als positiv eingeschätzt sowie als grundsätzlich und richtungsweisend anerkannt.

Von vielen Kulturschaffenden wird hervorgehoben, die Tagung habe weitgehend zur Klärung der Grundfragen auf kulturellem Gebiet beigetragen und sei im Wesentlichen dazu geeignet, positive Veränderungen auf dem Gebiet der Literatur und der Kunst herbeizuführen. Unklarheiten, wie sie nach dem VI. Parteitag6 bei einigen Künstlern zunächst aufgetreten seien, wären im Wesentlichen beseitigt worden. Während der Tagung sei zu spüren gewesen, dass es nicht darum geht, jemanden zu verurteilen, sondern jedem zu helfen. (z. B. Meinung von Kurt Stern,7 Wito Eichel,8 Herbert Nachbar,9 Heiner Carow,10 Walter Kaufmann,11 Helmut Hauptmann,12 Hermlin,13 Wischnewski,14 K.-H. Jakobs15/Autor, Deicke16/Mitarbeiter des Verlages der Nation u. a.).

Besonders im Schlusswort des Genossen Walter Ulbricht sei zu erkennen gewesen, dass nicht die Absicht bestehe, bestimmte Leute zu vernichten, und unter den Anwesenden habe man beobachten können, wie »erleichtert sich ›einige‹ fühlten«. Viele hätten von der Beratung eine schärfere Kritik erwartet, von der »eine baldige Erholung« nicht möglich gewesen wäre. Jetzt sei die Atmosphäre »gereinigt«, die Tagung sei »scharf« gewesen, »aber rostfrei«. Der Ton in der Beratung sei »gemäßigt« gewesen, und es sei zu begrüßen, dass Worte wie »Revisionismus« und »Konterbande« nicht gefallen sind (z. B. Meinung von Caspar17/Lektor).

Strittmatter18 äußerte seine Zufriedenheit mit der Konferenz; seine Zweifel, mit den revisionistischen Erscheinungen werde nicht konsequent Schluss gemacht, seien verflogen.

Typisch ist die Meinung von St. Hermlin nach dem 2. Konferenztag: »Ich bin doch recht optimistisch geworden, weil auf der Tagung aufrichtig gesprochen wurde und keine Phrasen, sondern Tatsachen von der Partei gewertet werden.«

Viele Künstler und Schriftsteller sind von der Anwesenheit des gesamten Politbüros während der zwei Beratungstage beeindruckt. Damit sei die Wichtigkeit der Beratung und die Aufmerksamkeit, die die Partei den Kulturschaffenden widmet, unterstrichen worden. Die Diskussionen vor allem der Genossen Ulbricht und Hager hätten bewiesen, dass die leitenden Funktionäre die Probleme dieser Kreise verstehen und richtig einschätzen können (z. B. Wendemuth19/Redakteur bei »Kultur und Fortschritt«).

Bei einigen Anwesenden (u. a. E. Schall,20 Gysi21/Leiter des Aufbau-Verlages) spielte die Auffassung eine Rolle, Genosse Ulbricht habe den Genossen Hager den Künstlern in der richtigen Form vorgestellt, indem er auf die grundlegenden Ausführungen des Genossen Hager verwies. Die Künstler würden sich mit Genossen Hager eine bessere und konkretere Zusammenarbeit versprechen als mit Genossen Kurella.22

Im Gegensatz zur Zustimmung zu den Referaten der Genossen Hager und Ulbricht werden die Beiträge der Genossen Girnus23 und teilweise auch des Genossen Abusch24 abgelehnt.

Gen. Abusch habe sich in seinem Ton vergriffen,25 und die vom Genossen Girnus vorgetragenen Beispiele »Heine« – »Biermann« seien unrichtig und unsachlich.26 Biermann27 habe neben schlechten Arbeiten auch sehr gute herausgebracht, wobei seine Gedichte vom sozialistischen Helden – vorgetragen während des 1. Lyrikabends28 – als unbedingt positiv eingeschätzt werden müssten. Genosse Girnus, der die Angehörigen der sogenannten Gruppe »zurechtstauchen« wollte, habe sich bereits zu Beginn seiner Ausführungen als dazu nicht in der Lage erwiesen (z. B. Meinung von Müncheberg29/DFF).

Der Beitrag des Genossen Minister Rodenberg30 wird besonders von Filmschaffenden abgelehnt. Er sei nicht prinzipiell und nicht sachlich gewesen. Wera Küchenmeister31 und Franz Fühmann32 wollen ihre Stoffe daraufhin zurückziehen; sie fühlen sich den Anforderungen nicht mehr gewachsen. Beide seien nach dem Beitrag des Genossen Rodenberg äußerst unsicher geworden.

Einige Kulturschaffende sind der Ansicht, die positiven Seiten unserer kulturellen Entwicklung seien während der Beratung zu wenig herausgearbeitet worden. Viele und vor allem Außenstehende müssten den Eindruck gewinnen, unsere Schriftsteller und Künstler hätten in der Vergangenheit nur Negatives hervorgebracht und seien dem Pessimismus verfallen (z. B. Meinung von Regisseur Gass33).

An positiven Werken seien nur alte Arbeiten, wie die von Brigitte Reimann34 z. B., genannt worden.35 Es gäbe jedoch auch neuere und bessere Arbeiten von anderen Schriftstellern und Künstlern, die unsere Funktionäre eventuell noch nicht kennen würden (Lilly Becher36).

Ein Teil der Schriftsteller und Künstler äußerte nach der Beratung Bedenken, dass »in der mittleren und unteren Ebene« der von der Parteiführung dargelegte Standpunkt zu den »noch irrenden Künstlern« nicht verstanden wird. Das beweise z. B. die noch bestehende Unsicherheit in Verlagen über »die neue Linie«. So sei mehreren Schriftstellern bekannt geworden, dass der Kinderbuchverlag zunächst die 2. Ausgabe eines Märchenbandes von Hacks37 »aus Angst vor Fehlentscheidungen« zurückgestellt habe. Dieses Beispiel zeige die dogmatische und schematische Auslegung in der Praxis, auf der einen Seite stehe eben die Theorie und auf der anderen die praktische Ausführung, und die sei für die Künstler manchmal schockierend.

Ähnlich schematisch sei die Reaktion der Redaktion »Neue Deutsche Literatur«,38 die nach Kenntnis des Referates des Genossen Hager sofort drei Seiten der am nächsten Tag zu erscheinenden Ausgabe deponiert habe. Auf diesen Seiten sollten Gedichte von solchen Schriftstellern veröffentlicht werden, die im Referat des Genossen Hager kritisiert wurden.

Ein Teil der Mitarbeiter und Schriftsteller des Deutschen Schriftstellerverbandes lehnt das Auftreten des Sekretärs für Literatur Genossen Lewin39 (zeitweise Stellvertreter des Genossen Braun40) ab, der dem Ehepaar Stern41 eine Unterschriftsleistung (Unterschriftensammlung für ehemalige Spanienkämpfer) untersagte mit der Betonung, sie dürften jetzt nicht unterschreiben, weil sie gegenwärtig stark kritisiert werden. Die Unterschriftensammlung war von Jeanne Stern auf Anregung einer gesellschaftlichen Organisation durchgeführt worden, wobei u. a. auch Genosse Bredel,42 Uhse43 usw. unterschrieben haben.

(Die Parteileitung des DSV wird sich mit der Haltung des Genossen Lewin auseinandersetzen.)

Die »Unsicherheit« darüber, ob zur Veröffentlichung vorgesehene Werke einer Kritik im Sinne der Kulturkonferenz standhalten, sei unter vielen Kulturschaffenden festzustellen (Biermann, Regisseur Röwekamp44 u. a.). Als eine Regiearbeit von Röwekamp in der Dramatischen Kunst zwecks Überarbeitung zurückgestellt wurde, kommentierte dies Röwekamp mit der Äußerung: »Nach der Kulturkonferenz weiß kein Mensch mehr, was er tun soll. Alles wird verboten, und die Dramatische Kunst steht Kopf. Sendungen werden abgesetzt, die irgendwie den Hang haben zum Schiefliegen.« In seiner Meinung wird er auch von anderen Künstlern bestärkt.

Dass trotz der im Wesentlichen positiven und zustimmenden Reaktion einige Schriftsteller und Künstler den Inhalt der Beratung des Politbüros mit Kulturschaffenden noch nicht begriffen haben, zeigen u. a. vereinzelte ironische Bemerkungen, wonach diese Probleme in der DDR nur deshalb auf die Tagesordnung gesetzt worden seien, nachdem die Sowjetunion dazu aufgerufen habe. Deshalb sei die Tagung unseres Politbüros eine »billige Nachahmung« der sowjetischen Initiative.45 Dabei würde Genosse Ulbricht die Rolle des Genossen Chruschtschow46 und Genosse Hager die Rolle des Genossen Iljitschow47 übernehmen (z. B. Meinung von Müncheberg/DFF).

Besonders von einem Teil der Kulturschaffenden, der nicht direkt an der Beratung teilnahm, wird der Inhalt der Kritik nicht restlos verstanden.

So fühlt sich Biermann »verkannt« und »unverstanden«. In einer Unterredung Biermanns mit Hermlin teilte Hermlin jedoch nicht diese Ansicht, sondern wies ihn auf die Notwendigkeit der äußersten ideologischen Wachsamkeit hin. Biermann ersuchte Hermlin im Verlaufe dieser Unterredung um Rat, welche Lieder er während des 2. Lyrikabends48 in Berlin vortragen könne, da er sich nicht darüber im Klaren sei, welche nach der geübten Kritik noch »ankämen«. Hermlin riet ihm zu solchen mit einer klaren politischen Aussage.

»Unverstanden« fühlt sich auch der Lyriker Helmut Richter49/Leipzig, dessen Skeptizismus parteiliche Auseinandersetzungen am Institut für Literatur/Leipzig erforderten. Richter will jetzt »spezielle Gedichte« für einen kleinen Kreis und »allgemeine Gedichte« für die breite Masse schreiben.

Auch unter anderen Leipziger Kulturschaffenden sind in einigen Fällen Unklarheiten über den Inhalt der Beratung und damit im Zusammenhang über den Charakter unserer Epoche, den Inhalt der nationalen Frage in Deutschland, die Rolle unserer Republik und die Bedeutung der sozialistischen Revolution auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur nicht beseitigt. Dabei stellen sich einzelne Kulturschaffende des Bezirks Leipzig auf die Position kapitalistischer Ideologen (z. B. Schriftsteller und Lyriker Hasso Grabner50) oder sie nähern sich (wie die Schriftsteller Kurt Herwarth Ball51 und Klaus52 Walther) mit ihren Auffassungen und Forderungen nach »absoluter Freiheit des künstlerischen Schaffens« weitgehend einer solchen Stellung.

Einige Künstler stellen sich gegen unsere Kulturpolitik oder äußern »Bedenken« aus »Sorge um die Qualität der Stücke und ihren künstlerischen Gehalt« (z. B. Schauspieler Delmare53 und Schmidtchen54).

Unter Literaturwissenschaftlern werden vereinzelt ideologisch falsche Auffassungen vertreten. Sie spiegeln sich u. a. in solchen Argumenten wider wie:

  • die Partei ist für Fragen der Kultur nicht kompetent (z. B. Dr. Lachmann55/LDPD, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Pädagogik, Abt. Kunsterziehung);

  • um die westliche dekadente Kunst beurteilen zu können, muss man sie kennen und richtig auswerten (z. B. Oberassistent Dr. Letsch56/SED, Philosophische Fakultät, Abt. Ästhetik).

Beim Direktor des Instituts für Deutsche Literaturgeschichte der Philosophischen Fakultät der Karl-Marx-Universität, Prof. Dr. Hans Mayer57 (Teilnehmer der Tagung der Evangelischen Akademie in Berlin-Weißensee im Januar 196358) und bei einigen anderen Literaturwissenschaftlern ist der Totalitätsanspruch auf ihre »einzig gültige Meinung« besonders ausgeprägt. Prof. Mayer vertritt u. a. die Auffassung, die Parteilichkeit habe – wie sich nach Lenins Tod immer mehr erweisen würde – im sozialistischen Staat nur für Mitglieder der Partei Gültigkeit.

Einige andere Literaturwissenschaftler erklären den »Widerspruch zwischen theoretischen Kenntnissen über politische und kulturpolitische Probleme einerseits und formalistischem Schaffen andererseits« damit, dass es nicht nur ein politisches, sondern auch ein moralisches oder andere Arten von Bewusstsein gebe. Daraus leite sich eine »allgemeine Position«, eine »Kunstposition« und eine »Vermittler-Position« ab; letztere würde von der Kunstwissenschaft eingenommen.

Ähnliche wirre Vorstellungen und Verdrehungen unserer ideologischen Konzeption werden von einigen Aspiranten kultureller Institute und Kunsthochschulen zum Ausdruck gebracht. So wird u. a. polemisiert, »die Ursache des Abstraktionismus liege im Wesen der Kunst begründet. Die meisten Arbeitsprozesse in der DDR seien technologisch primitiv und unschön und könnten deshalb auch künstlerisch nicht schön gestaltet werden.«

Die Forderung, gemäß dem Klassenstandpunkt und für »das Volk« zu schreiben und künstlerisch wirksam zu werden, führe zum »mittelmäßigen Niveau« in der Kunst, da Arbeitern und Bauern ein »gehobenes Niveau« und »künstlerische Urteilsfähigkeit« nicht zugetraut werden könnten. Im Westen wäre ein Klassenstandpunkt nicht vorgeschrieben, daher sei die Westqualität der Kunst Weltniveau und Maßstab.

Die Meinung einzelner Kulturschaffender zur Beratung läuft darauf hinaus, der »Kurs« in unserer Kulturpolitik werde »härter«, unsere Literatur und Kunst werde »enger«, nachdem vorher eine »weiche Welle« vermutet wurde. Jetzt kämen lediglich Schriftsteller wie Hans Oliva-Hagen59 und Joachim Wohlgemut60 heraus; Brigitte Reimann sei »hochgespielt« worden (z. B. Meinung von Hans Schneider,61 Böttcher62/Regisseur bei der DEFA).

In ihrem künstlerischen Schaffen fühlen sich einige »gegängelt« und »bevormundet« (Böttcher und die Bildhauer Stötzer63 und Riehl64). Wer schöpferisch arbeitet, könne jetzt nur noch für seinen eigenen Schreibtisch produzieren; er fände keine Abnehmer, besonders dann nicht, wenn er sich mit der Kulturpolitik nicht einverstanden erkläre (Meinung von Riehl). Von einigen Künstlern wird die Theorie des »Berufsrisikos« in Diskussionen geworfen (u. a. Mitglieder des Leipziger Kabaretts »Die Pfeffermühle«).

Einige Leipziger Schriftsteller sind der Auffassung, der Künstler in der DDR habe nicht genügend Freiheiten; er dürfe nicht schreiben was er möchte, sondern werde auf bestimmte Probleme und Konzeptionen der Darstellung »gelenkt«. Das sei auch nach Auffassung anderer Schriftsteller eine »Einengung der künstlerischen Freiheit«. Die Bemühungen unserer Parteiführung zur Schaffung einer klaren Konzeption in der Kunst werden von einigen Kulturschaffenden als »Reglementierung« aufgefasst, wobei eine angebliche Liberalisierung in der Sowjetunion bisher nur ungenügenden Einfluss auf die DDR erkennen ließe.

Die Diskussionen über die Erarbeitung und Veröffentlichung sogenannter Lagerliteratur65 ist nicht abgeschlossen und diese Frage ist bei einigen Kulturschaffenden noch unklar. Es sei unverständlich, warum bestimmte Bücher z. B. aus der Sowjetunion in der ČSSR und in Polen gedruckt würden, in der DDR jedoch abgelehnt werden müssten. In den Nachbar-Volksdemokratien seien ebenfalls keine anderen Voraussetzungen zur Veröffentlichung vorhanden als bei uns. Die Erklärung leitender Funktionäre während der Beratung gebe keine ausreichende Antwort auf diese Fragen. Auch in der DDR müsse die Diskussion geführt werden, welchen Schaden Personenkult angerichtet habe und wie er überwunden wird. Durch das Verlegen derartiger Werke in der DDR könne man den schädlichen Einflüssen aus Westdeutschland entgegenwirken. Jeder, der Lagerliteratur lesen wolle, könne sie sich sowieso aus Westdeutschland schicken lassen.

Die Haltung der Partei zur »Lagerliteratur« bewirke, dass unsere Verlage jetzt »mindestens zehn Jahre benötigen würden«, um ein annehmbares Buch mit dieser Thematik herauszubringen (Meinung von den Redakteuren Braumann,66 Jelenski,67 Geßler68).

In einzelnen Diskussionen von Kulturschaffenden wird daraus die Tendenz abgeleitet, die Rolle der Partei und die Führungstätigkeit durch leitende Funktionäre zu negieren. So wäre die »Ablösung« des Genossen Kurella69 zwar bemerkenswert, lasse aber darauf schließen, dass die Kulturpolitik unserer Partei nicht in Ordnung und »zu eng« sei. In diesem Zusammenhang erachten es einige Schriftsteller und Künstler als angebracht, zunächst einmal zu schweigen und abzuwarten (Cremer,70 Herbert,71 Sandberg,72 Dr. Noch73/Leipzig, Dr. Hoyer74/Leipzig, Dr. Tornius75/LDPD/Leipzig). Auch warte man auf die Entscheidung der Parteiführung, stark Kritisierte zu Wort kommen zu lassen; nicht nur die Partei könne entscheiden, welche Werke man ablehnen und welche man annehmen sollte. Durch »Korrekturen in der Kulturpolitik der Partei« sei »ihre Unfähigkeit«, Kultur- und Kunstfragen betreffend, bewiesen (u. a. Schauspielerin Elfriede Née76/Deutsches Theater, Hasso Grabner, Kurzinski77 und Werner Rouvel78/Progreß).

Einzelne Kulturschaffende sind mit dem Diskussionsbeitrag des Genossen Siegfried Wagner79 nicht einverstanden. Seine eigene Führungstätigkeit habe er ungenügend kritisch untersucht. Der Irrtum des Einzelnen sei zwar nicht stichhaltig, weil die gesamte Kulturabteilung des ZK nicht geführt habe, aber es sei bemerkenswert, dass nicht einmal die Kulturkommission des ZK zu prinzipiellen Fragen Stellung genommen habe (z. B. Meinung von G. Schulmeister80/DKB, Dr. Bär81/Cheflektor des Insel-Verlages).

Man hoffe auch auf eine Verbesserung der Führungstätigkeit durch das Ministerium für Kultur. Es sei unverständlich, dass leitende Kader des MfK nicht oder nur wenig kritisiert worden seien, obwohl durch sie die bisherige Linie in Kunst und Literatur gebilligt worden sei. Dabei wird wiederholt auf die Aufführungen »Die Sorgen und die Macht«82 und »Fetzers Flucht«83 verwiesen (u. a. Meinung von Wolfgang Langhoff,84 G. Schulmeister85).

Wolfgang Langhoff erklärte u. a.: »Wenn wir schon von Offenheit und Ehrlichkeit sprechen, verstehe ich nicht, dass Rodenberg nicht offen gesprochen hat. Er war es doch, der bei der Abnahme des Stückes von Hacks zu mir sagte, dass es dagegen keine politischen Einwände gibt.«

Andere Kulturschaffende (z. B. Mitarbeiter des Aufbau-Verlages) sind der Ansicht, verantwortliche Funktionäre des MfK und der HV Verlage86 würden infolge ungenügender Kritik weiterhin in ihrer schwankenden und unsicheren Haltung verharren. Das zeige sich u. a. darin, dass der Leiter der HV Verlage Genosse Haid87 während der Beratung zu keinem Problem Stellung genommen habe. Auch während des 1. Lyrikabends, dem er beiwohnte, habe Genosse Haid keine Stellung bezogen.

Mitarbeiter der HV Verlage und des MfK würden weder ihrer Verantwortung als Funktionär noch als SED-Mitglied gerecht werden (Meinung von Gysi, Leiter des Aufbau-Verlages). Wenn Haid durch Schweigen seine Unfähigkeit eventuell verdecken wolle, so sei das unehrlich (z. B. Auffassung von Voigt,88 Aufbau-Verlag).

Bemerkenswert sei, dass auch die HA Dramatische Kunst des DFF bisher keine klare Stellungnahme zu »Fetzers Flucht« bezogen habe. Offensichtlich würden auch diese Mitarbeiter nicht durch Kritik zur ehrlichen Erklärung aufgefordert.

Die Kritik an der Zeitschrift »Sinn und Form«89 wird überwiegend anerkannt. Die Gespräche darüber lassen aber die Tendenz einer Unzufriedenheit erkennen. Es wird die Frage aufgeworfen, warum die Kritik so spät erfolge, nachdem jahrelang Form und Inhalt unangefochten geblieben seien. Die Kritik der Partei habe erst eingesetzt, nachdem entsprechende Veröffentlichungen über diese Zeitschrift in der Westpresse90 ausgewertet wurden. Es entstehe der Eindruck, wir müssten erst von außen »einen Anstoß erhalten«, um bei uns Fehler nachweisen zu können.

Ähnlich verhalte es sich mit dem Deutschen Theater. Erst jetzt werde kritisiert, was sich seit Langem anhäufe. Nicht erst seit Kurzem sei bekannt, dass das Deutsche Theater die Gegenwartsdramatik unterschätze und seiner Bedeutung als Staatstheater nicht gerecht werde.

Starke Beachtung finden einige während der Beratung mit dem Politbüro gegebene Diskussionsbeiträge.

Der Diskussionsbeitrag91 der Genossin Mathilde Danegger92 wird wiederholt als positiv bezeichnet. Darin sei zu erkennen gewesen, dass sie wirklich um eine bessere Arbeit im Deutschen Theater bemüht ist und ehrlich zu ihrer Haltung Stellung genommen habe.

Auch der Beitrag des Genossen Kurt Stern93 wird überwiegend als ehrlich und aufrichtig gewertet.

Dagegen werden andere Diskussionsbeiträge – hauptsächlich ist dabei von den am 1. Beratungstag gehaltenen die Rede – so eingeschätzt, dass sich verschiedene Künstler lediglich »Asche aufs Haupt« gestreut haben. Oftmals wisse man nicht, ob die Erklärungen aufrichtig gemeint waren oder ob sich die Redner lediglich durch die geübte Kritik »unter Druck gesetzt« fühlten. (In diesem Zusammenhang werden Beiträge von Hermlin,94 Hauser,95 Baumert,96 Stahnke,97 Sandberg98 und teilweise Langhoff99 genannt.)

Die Stellungnahmen dieser Personen seien unparteilich, unqualifiziert und schwach gewesen und hätten ihr Prestige ungeheuer abgetragen (z. B. Meinung von Herbert Nachbar, Chefdramaturg Klaus Wischnewski, u. a.).

Die Beiträge dieses Personenkreises seien Elaborate und dürftige Rechtfertigungsversuche gewesen, bei denen sich die Anwesenden gelangweilt hätten (Lilly Becher).

Unter anderem äußerte Fühmann die Ansicht, es sei für diese Schriftsteller und Künstler durchaus fördernd, wenn sie während der Auseinandersetzungen wieder einmal den Gesamtüberblick bekämen, dann würden sich bei vielen die bisherigen Vorstellungen verschieben. Bei der Kenntnisnahme pessimistischer Werke – z. B. Gedichte – könnte man zunächst zu der Annahme kommen, »der hatte mal einen sauren Tag«. Wenn der Pessimismus aber bei verschiedenen zur Linie wird, wäre das ernster und gefährlicher und sei zu verurteilen. In diesem Sinne seien die Kritiken durchaus berechtigt.

Der Dramaturg des Berliner Ensemble Manfred Wekwerth100 wird aufgrund seines Diskussionsbeitrages von einigen Schriftstellern und Künstlern als überheblich bezeichnet. Er habe nur Brecht zitiert, keine eigenen Gedanken und Meinungen geäußert und den Eindruck hinterlassen, dass er von Erfolgen berauscht ist (z. B. Meinung von Wendemuth/Redakteur im Verlag »Kultur und Fortschritt«).

Vereinzelt wird versucht, die Kritik des Politbüros an verschiedenen Kulturschaffenden zu bagatellisieren, in einigen Fällen stellen sich Schriftsteller oder Künstler hinter die Konzeption dieses Personenkreises.

So wird das Auftreten z. B. Hermlins und Sandbergs als »mutig« bezeichnet, da sie »gut und abgewogen formuliert« auch weiterhin ihre eigene Konzeption vertreten hätten. Daher hätten die Sympathien vieler Konferenzteilnehmer aufseiten dieser Sprecher und gegen das Politbüro gestanden (Müncheberg). Es habe eben zu allen Zeiten Intellektuelle gegeben, die schöpferisch suchen. Hermlin habe sich nur »ein paar Krümel Asche aufs Haupt gestreut«, sonst würde er aber so weitermachen wie bisher, und man habe den Eindruck, dass er »nicht kapitulieren« würde (z. B. Jelenski/Deutschlandsender).

Zum Fernbleiben Hacks’ und Kunerts101 von der Tagung besteht vielfach Ablehnung. Die Haltung der beiden Autoren wird mehrfach als »feige« bezeichnet und die Meinung geäußert, beide wollten sich dadurch jeglicher Verantwortung entziehen. Es mache sich überhaupt eine solche Tendenz bemerkbar (das ist die Meinung mehrerer Schriftsteller), zunächst einmal krankzumachen und abzuwarten. Ehrlicher sei, vor dem Gremium seinen Standpunkt entweder zu vertreten oder die Fehler einzusehen. Von der Gelegenheit, auch vor der Öffentlichkeit zu bestehen, hätten beide Autoren keinen Gebrauch gemacht.

Der Sekretär des Schriftstellerverbandes Braun äußerte, er sei über die Kritik an ihm nicht überrascht gewesen;102 einiges habe sich schon vorher abgezeichnet. Die Kritik sei für ihn hart und schmerzhaft, vor allem, weil er sich im Verband durch eine offene Kritik viele Feinde geschaffen habe. Ironisch meinte er, er hätte eben so diskutieren müssen wie Stephan Hermlin.

Der Intendant des Deutschen Theaters Langhoff äußerte die Meinung, er wisse, dass besonders sein erster Beitrag nicht gut angekommen sei. Er ärgere sich sehr über die verunglückte Stellungnahme, er habe jedoch nichts anderes zu sagen gewusst, »da ihm zu schwer ums Herz« gewesen sei. Es freue ihn, dass sein zweiter Beitrag besser gefallen habe. Er fühle sich alt und verbraucht, aber aufgeben wolle er nicht. (Einige Schriftsteller äußern im Zusammenhang mit der Kritik an Langhoff die Ansicht, Langhoff hätte auch jetzt noch keine klare Position zu Hacks103 bezogen; das sei aus seinen Beiträgen klar zu erkennen gewesen.)

Mitarbeiter des Deutschen Fernsehfunks verhalten sich ablehnend gegenüber dem Auftreten ihrer Sprecher in der Beratung. Besonders mit Baumert müsse man sich auseinandersetzen, da er die Proportionen völlig durcheinandergebracht habe. Es sei nicht ehrlich, die volle Verantwortung für Fernsehspiele den Autoren zu übertragen, wie Dramaturg Baumert ausgeführt habe. Bei den Autoren habe dieser Beitrag eine starke Unsicherheit hervorgerufen, und ihre Initiative sei gehemmt (z. B. freischaffender Autor Richter,104 Renner105/Dramaturg DFF).

Konferenzteilnehmer meinten, Baumert habe die Kernfrage umgangen und keine klare Antwort auf die Frage nach der Verantwortlichkeit des Fernsehens – speziell Kohlus,106 Fehlig107 betreffend – gegeben. Es sei eine Zumutung, der Konferenz nur mitzuteilen, der Fernsehfunk habe analysiert, aber zu verschweigen, was nun eigentlich diese Analyse erbracht habe.

Einige Mitarbeiter des Deutschen Fernsehfunks erwarten nach der Politbüroberatung noch eine differenzierte Auswertung mit den Verantwortlichen des Deutschen Fernsehfunks. Sie verstehen nicht, warum z. B. Kohlus und Fehlig »ungeschoren« bleiben. Das sei verwunderlich, wenn man bedenkt, dass z. B. der »Monolog eines Taxifahrers«108 eine halbe Mio. DM109 gekostet habe – so viel wie sonst zehn Fernsehspiele.

Auch nach Ansicht von Mitarbeitern der DEFA müsse der Klärungsprozess in ihren Studios fortgesetzt werden, um endgültig Klarheit zu erlangen. Erste Ergebnisse der Beratung würden sich im Arbeitsstil der DEFA aber bereits abzeichnen. So habe Slatan Dudow110 kurz nach der Beratung ein Kollektiv zur Aussprache über seinen Film, der zzt. gedreht wird, zusammengerufen. Da dieser Film erst in den Anfängen der Produktion stecke und Dudow früher eine kollektive Beratung immer sehr spät durchführte, sei seine Aktivität jetzt bemerkenswert.

Vereinzelt wurde von Künstlern bemerkt, sie hätten Ausführungen über das Musikschaffen in der DDR vermisst. Ironisch wurde dazu kommentiert, den Musikern sei eben nichts nachzuweisen. Von einigen Künstlern und Konferenzteilnehmern wurde die Sinfonie von Meyer111/Kochan112 (Konzertabend nach der Beratung) als unverständlich und unmelodiös abgelehnt (u. a. von Wangenheim113). Der betreffende Personenkreis bemerkte, sie hätten nur aus Höflichkeit applaudiert, fänden die Musik jedoch keinesfalls volkstümlich. Verwunderung bestand darüber, dass Genosse Ulbricht und Mitglieder des ZK sich zustimmend zur Musik geäußert haben.114

Anlage zur Information Nr. 247/63

[Bericht über kritische Gespräche des Künstlerehepaares Christa und Fritz Cremer mit anderen Künstlern]115

Der nachstehende Sachverhalt war Gegenstand interner Gespräche zwischen dem Bildhauer Prof. Fritz Cremer, seiner Ehefrau116 und einigen anderen Künstlern (Theo Balden,117 Herbert Sandberg). Er wird nur zur persönlichen Information mitgeteilt und darf wegen Gefährdung der Quellen keinesfalls ausgewertet werden.

Cremer erklärte in einer internen Unterredung, er wolle jetzt zu keiner Sitzung in der Akademie der Künste118 mehr gehen. Ihn interessiere jetzt überhaupt nichts mehr; er warte, bis man ihn »rausschmeißt«. Überhaupt sei die Kritik an ihm »auf Lügen aufgebaut«.119 »Sie« würden bewusst lügen; aber diese Lügen seien auch erst aus der Situation entstanden.

In einem internen Gespräch teilte die Ehefrau des Cremer dem Theo Balden mit, ihr Mann habe seinen Austritt aus dem Verband Bildender Künstler Berlin erklärt. Dabei ließ sie durchblicken, die Austrittserklärung erfolge unter dem Aspekt, zu ergründen, wie die Reaktion darauf sei und »abzuwarten«.

In einem anderen internen Gespräch zwischen Frau Cremer und Herbert Sandberg bezeichnete Frau Cremer »den Artikel von Hager im ›ND‹« (gemeint ist die Rede des Genossen Hager auf der Beratung mit Schriftstellern und Künstlern120) »als fürchterlich und teuflisch«, worin sie bei Sandberg Bestätigung fand. Frau Cremer meinte, ihr Mann wolle es sich auch nicht gefallen lassen, dass er zur Beratung in Dresden nicht eingeladen wurde; sie finde diese Behandlung »unerhört« und es habe ihren Mann »sehr getroffen«.

Herbert Sandberg bezog sich in einem internen Gespräch am 28.3.1963 mit Frau Cremer auf Veröffentlichungen des ND121 (am gleichen Tag) über die erweiterte Vorstandssitzung des Verbandes Bildender Künstler in Dresden. Sandberg entschuldigte sich dabei indirekt für seine Kritik, die er während dieser Beratung an Cremer üben »musste«. »Sie« hätten ihm »in den Mund gelegt«, dass er das Schweigen des Genossen Prof. Cremer in Dresden verurteilte.122 Beide fanden im Gespräch die »Verurteilung« des Cremer während seiner Abwesenheit in Dresden »unglaublich«. Auch Herbert Sandberg wolle jetzt immer schweigen und »kein Wort mehr sagen«.

Auf eine Frage Sandbergs an Cremer, ob er den Bericht in der Zeitung über die Dresdner Tagung gelesen habe, antwortete Cremer, dies sei überhaupt kein Bericht; er wisse überhaupt nichts, ihm würde nur alles von Dritten zugetragen. Überhaupt würde ihm das Ganze »zum Halse raushängen«.

  1. Zum nächsten Dokument Flucht nach Westberlin mittels Schützenpanzerwagen der NVA

    18. April 1963
    Einzelinformation Nr. 250/63 über einen schweren Grenzdurchbruch mittels Schützenpanzerwagen der NVA am 17. April 1963 um 19.42 Uhr in Berlin-Treptow, Elsenstraße, nach Westberlin

  2. Zum vorherigen Dokument Einreisen nach Ostberlin durch Westdeutsche und Ausländer über Ostern

    17. April 1963
    Einzelinformation Nr. 246/63 über den Besuch des demokratischen Berlin durch Westdeutsche und Ausländer in der Zeit vom 11. bis 15. April 1963