Ablehnende Haltung von Tierärzten zum Gewerkschaftswechsel
19. Februar 1964
Einzelinformation Nr. 132/64 über die ablehnende Haltung von Tierärzten zur Übernahme aus der Gewerkschaft »Gesundheitswesen« in die Gewerkschaft »Land- und Forstwirtschaft«
Dem MfS wurden aus einigen Bezirken der DDR Hinweise darüber bekannt, dass eine ganze Anzahl Tierärzte zur geplanten Übernahme in die Gewerkschaft »Land- und Forstwirtschaft« eine ablehnende Haltung einnimmt. Das zeigt sich in teils offenen, teils internen Stellungnahmen von Tierärzten, wobei – zumindest nach außen hin – oftmals persönliche bzw. materielle Gründe angegeben werden. Ihrem Wesen nach stimmen derartige Diskussionen in der Regel überein mit den Bestrebungen vieler Tierärzte, keine Verantwortung innerhalb der tierischen Produktion unserer sozialistischen Landwirtschaft übernehmen zu wollen. Die Übernahme in die Gewerkschaft »Land- und Forstwirtschaft« hätte aber eine engere Bindung an die Landwirtschaft zur Folge, was nicht mit dem »Berufsethos als Humanmediziner« in Einklang stände.
Unabhängig von einigen äußerst unsachlichen Meinungen stehen folgende »Argumente« im Mittelpunkt der Diskussionen:
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Jeder Tierarzt fühle sich als Mediziner, und die Veterinärmedizin sei von der Humanmedizin nicht zu trennen.
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Die Überführung in die Gewerkschaft »Land- und Forstwirtschaft« sei höchstwahrscheinlich mit einer niedrigeren Gehaltseinstufung verbunden.
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Die Übernahme in die Gewerkschaft »Land- und Forstwirtschaft« sei eine Zurücksetzung gegenüber den Humanmedizinern und verstoße gegen das »Kommuniqué des Politbüros über die Arbeit mit der medizinischen Intelligenz«.1
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Die Überführung in eine andere Gewerkschaft sei nicht nutzbringend, zumindest aber sinnwidrig.
Der Inhalt der von verschiedenen Tierärzten in einigen Bezirken vorgebrachten Äußerungen lässt in einigen Fällen darauf schließen, dass bereits vor den offiziellen Versammlungen mit Tierärzten innerhalb der bezirklichen Gewerkschaftsgruppen unten eine gewisse Abstimmung der »Argumente« erfolgte. So wurde beispielsweise auf einer solchen Versammlung in Frankfurt/O. als »Begründung« für eine ablehnende Haltung angeführt, dass »der Schularzt ja auch nicht Mitglied der Lehrergewerkschaft sei, sondern Mitglied der Gewerkschaft ›Gesundheitswesen‹«. Aus Halle wurde dem MfS bekannt, dass dort diskutiert wurde, ein »Landschullehrer dürfe jetzt auch nicht mehr Mitglied der Gewerkschaft ›Unterricht und Erzieher‹ sein, da das praktisch das gleiche Verhältnis sei«.
Aus Diskussionen einzelner Tierärzte geht hervor, dass sie bei einer Durchsetzung der geplanten Übernahme in die Gewerkschaft »Land- und Forstwirtschaft« ihren Austritt erklären wollen. Diesen geplanten Schritt versuchen verschiedene Tierärzte damit zu erklären, dass die Gewerkschaft »Land- und Forstwirtschaft« niemals die Interessen der Tierärzte als Mediziner vertreten könne. Bisher sei doch jahrelang erklärt worden, die Gewerkschaft »Gesundheitswesen« vertrete die Berufsinteressen der Tierärzte sehr gut. Das müsse doch auch jetzt noch der Fall sein. Auf jeden Fall – so wird weiter »argumentiert« – schließe eine enge Verknüpfung mit der Landwirtschaft die Verbindung zur Humanmedizin aus. Eine Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft sei nicht abzulehnen, aber eine »Abhängigkeit« wäre noch nie gut gewesen. Aber als Gewerkschaftsmitglied würde man ja »vor vollendete Tatsachen gestellt«.
In Halle und Leipzig wurden im Zusammenhang mit dem genannten Problem vor allem Gehaltsfragen diskutiert. Der Anschluss an eine andere Gewerkschaft »bezwecke lediglich eine Herabsetzung der Tierarztgehälter«, die sich gegenwärtig an den Tarif der Humanmedizin anlehnen.
Verstärkte Bemühungen zur Ablehnung der Übernahme in die Gewerkschaft »Land- und Forstwirtschaft« wurden aus dem Bezirk Rostock bekannt. Es gibt dort Bestrebungen, unter den Tierärzten Stimmung zu machen mit dem Ziel, recht viele Unterschriften für eine »Resolution« zu bekommen, die für einen Verbleib in der Gewerkschaft »Gesundheitswesen« plädiert. Man »könne die Tierärzte nicht der Willkür der Landwirtschaft ausliefern, man müsse etwas dagegen tun«. Es ist geplant, in dieser Richtung auch mit anderen Bezirken Verbindung aufzunehmen, um eine »recht breite Basis« zu schaffen. Das solle sehr schnell geschehen, zumindest bevor die Eingliederung der Tierärzte in eine andere Gewerkschaft als »Anweisung« herauskäme. Der Widerstand vieler Tierärzte könne die geplante Maßnahme bestimmt noch verhindern. (Solche Auffassungen bestehen im Bezirk Rostock nicht nur unter den in der Praxis tätigen Tierärzten, auch verschiedene Haupttierärzte bei den örtlichen Organen vertreten ähnliche Meinungen.)