Arbeitsniederlegung im VEB Starkstromanlagenbau Karl-Marx-Stadt
23. April 1964
Einzelinformation Nr. 345/64 über eine Arbeitsniederlegung im VEB Starkstromanlagenbau Karl-Marx-Stadt am 10. April 1964 und über geplante provokatorische Durchsetzung von Lohnforderungen im VEB Kraftwerk »Völkerfreundschaft«
Am 10.4.1964 legten 17 Arbeiter und Arbeiterinnen im Meisterbereich FM 9 Handfließreihe 1 und 2 des VEB Starkstromanlagenbaus Karl-Marx-Stadt – Betriebsteil Heinrich-Lorenz-Straße – in der Zeit von 11.30 bis 13.00 Uhr die Arbeit nieder.
Die Ermittlungen des MfS über die Ursachen der Arbeitsniederlegung haben folgendes Ergebnis: Seit Januar 1964 veränderte sich das Sortiment an beiden Handfließreihen (Ausrüstungen für Werkzeugmaschinen). Die Sortimentsveränderung bedingt eine Verringerung der zu produzierenden Stückzahlen bei gleichzeitiger Verlängerung der Taktzeiten. Aus diesem Grund konnten die Arbeiter und Arbeiterinnen seit Januar 1964 die vorgegebenen Normzeiten nicht mehr erfüllen.
Kritische Hinweise an die Funktionäre der Fertigungsleitung, an die Abteilung Arbeitsnormung und Abteilung Technologie sowie an den Bereichsleiter wurden nur ungenügend beachtet. Eine Klärung des Sachverhaltes wurde von diesen Funktionären nicht zielstrebig herbeigeführt. Auch die APO-Leitung, die Kenntnis von diesem Problem hatte, setzte sich nicht für eine Klärung ein.
Nach der Arbeitsniederlegung wurde die Kritik als berechtigt anerkannt. Die Arbeiter und Arbeiterinnen brachten in der Aussprache u. a. zum Ausdruck, ihnen sei nicht bewusst, dass eine Arbeitsniederlegung sich gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht richten würde. Sie waren der Meinung, dass ihre Arbeitsniederlegung nichts mit einem Streik gemeinsam hätte, sie wollten nur der »Saumseligkeit« einiger Wirtschaftsfunktionäre Einhalt gebieten.
Durch den Betrieb wurden in der Zwischenzeit Maßnahmen eingeleitet, die garantieren, dass ab 1.5.1964 die Normzeitvorgabe in Abhängigkeit von der Losgröße und der Taktzeit differenziert vorgegeben wird. Das Einverständnis der Arbeiterinnen und Arbeiter zu dieser Neuregelung liegt vor.
Weiterhin wurde dem MfS bekannt, dass Arbeiter der Elektrowerkstatt im VEB Kraftwerk »Völkerfreundschaft« Hagenwerder, [Bezirk]Dresden, am 1. Mai 1964 mit »eigenen Losungen« marschieren wollen, wenn bis zu diesem Zeitpunkt nicht eine Entscheidung über die Lohnforderungen gefällt wird.
Im genannten Kraftwerk »Völkerfreundschaft« besteht zzt. eine unterschiedliche Entlohnung zwischen der Elektrowerkstatt und der Mechanischen Werkstatt, die Anlass zur Unzufriedenheit und Missstimmung unter den Arbeitern der Elektrowerkstatt ist. Die Arbeiter der E-Werkstatt sind der Auffassung, dass auf offiziellem Verhandlungsweg ihre Forderungen nicht verwirklicht werden. Sie begründen weiterhin ihr Verhalten mit angeblichen Streikerscheinungen im Kraftwerk »Elbe«, in deren Ergebnis Geldzulagen gewährt worden sein sollen. Außerdem beabsichtigen sie, aus dem FDGB auszutreten sowie die Beitragszahlungen einzustellen.
Durch die Werkleitung des Kraftwerkes »Völkerfreundschaft« und die zuständige VVB wurden erste Sondermaßnahmen eingeleitet. Außerdem wird eine Neuregelung zur Entlohnung im Prämienzeitlohn vorbereitet, die die bestehenden Differenzen in der Entlohnung zwischen der E- und M-Werkstatt einschränken sollen und eine stufenweise Angleichung zwischen beiden Werkstätten zulassen werden.
Durch das MfS wurden gleichzeitig Maßnahmen eingeleitet, die gewährleisten, dass die Maidemonstration ohne provokatorische Zwischenfälle verlaufen kann.