Verhalten des nigerianischen Studenten Ofodile (2)
24. April 1964
Einzelinformation Nr. 347/64 über das Verhalten des nigerianischen Studenten Ofodile an der Schule der Solidarität in Buckow (Märkische Schweiz)
Dem MfS liegen über den in Ihrer Information Nr. 119 vom 14.4.1964 genannten Ofodile, Gilbert,1 geboren [Tag, Monat] 1938 in Omitsha/Nigeria, Heimatanschrift Lagos, [Nr., Straße], ehemaliger Mitarbeiter der »Nigerian Morning Post«, folgende Hinweise vor:
Ofodile wurde von der »Union of Nigerian Journalistik« zur Teilnahme an einer zehnmonatigen journalistischen Ausbildung delegiert. Seit dem 7.7.1963 befand er sich in der DDR und nahm am 25.11.1963 seine theoretische Ausbildung an der »Schule der Solidarität« in Buckow (Märkische Schweiz) auf. (Bei dieser Schule handelt es sich um eine vom »Verband Deutscher Journalisten« unterhaltene Institution.)2 Ofodile ist der Sohn eines nigerianischen Textilkaufmanns. Brüder von ihm sind in den nigerianischen Botschaften in New York und Bonn und im Hochkommissariat für Nigeria in London tätig.
Nach dreijähriger Tätigkeit für die »Nigerian Morning Post« bereiste Ofodile einige Zeit Westeuropa und wohnte dabei u. a. in der nigerianischen Botschaft in Bonn. Während dieses Aufenthaltes in Westdeutschland hat er eine Mitarbeiterin der Bonner Geheimdienstzentrale »Sicherungsgruppe Bonn« näher kennengelernt. Nach seinen Angaben hat er auch während der Zeit seines Aufenthaltes in der DDR noch engen Kontakt zu ihr unterhalten mit der Absicht einer späteren Heirat. An der Schule zeigte sich O. bis Anfang 1964 als guter und interessierter Schüler,3 vertrat aber stets kapitalistische Auffassungen und verband sich mit anderen Schülern, die ähnliche Auffassungen hatten.
Als Ende Februar 1964 im Unterricht die Aufgabe gestellt wurde, ein Flugblatt zu entwerfen, verfasste Ofodile, der am 24.2.1964 einen Besuch in Westberlin abgestattet hatte, zwei Entwürfe mit hetzerischem Inhalt gegen die Sowjetunion. (Diese Entwürfe enthielten u. a. Proteste gegen den Tod eines ghanesischen Studenten in Moskau.) Am Schluss der Hetzschrift erfolgte ein Aufruf an alle afrikanischen Studenten, eine Protestdemonstration durchzuführen.
Verschiedenen Personen gegenüber äußerte er sich dahingehend, dass in Buckow »die Nachfolger von Hitler und Göring leben würden«. Über diese Diskussion entstand unter den Einwohnern Buckows große Verärgerung.
Seit der Herbstmesse 19634 unterhielt Ofodile auch enge Verbindung zur chinesischen Botschaft.
In der Nacht vom 6. zum 7.3.1964 wurde ein anderer nigerianischer Student mit Namen [Name] höchstwahrscheinlich wegen einer Frau im angetrunkenen Zustand in eine Schlägerei verwickelt, bei der er Verletzungen erlitt. Trotz intensiver Ermittlungen konnten die beteiligten Personen nicht festgestellt werden, weil der Student [Name] keine bzw. widersprüchliche Aussagen zu dem Vorfall machte. Es konnte auch nicht ermittelt werden, ob Ofodile, der mit [Name] gemeinsam ein Zimmer bewohnte, in irgendeiner Form beteiligt war. Ofodile fotografierte aber die Verletzungen des [Name] und fuhr am 10.3.1964 mit dem entwickelten Film nach Berlin.5 Da der Verdacht bestand, dass O. den Film nach Westberlin bringen wollte, wurden Maßnahmen eingeleitet, um das zu verhindern.
Im März 1964 wurde dem Ofodile zur Ableistung seines Praktikums ein Arbeitsplatz in Erfurt zugewiesen, womit er nicht einverstanden war. In einem Schreiben an den Direktor der »Schule der Solidarität« vom 23.3.1964 forderte er nach einer entsprechenden Rücksprache mit dem nigerianischen Geschäftsträger in Westberlin seine Heimreise nach Nigeria, da er angeblich die Zuweisung des Praktikumsplatzes in Erfurt als Diskriminierung seiner Person ansehen müsse.
Am 25.3.1964 wurde ihm daraufhin durch den »Verband Deutscher Journalisten« bekannt gegeben, dass dem Wunsche auf Rückkehr in seine Heimat stattgegeben würde. Als Begründung für die sofortige Gewährung der Rückkehr des Ofodile nach Nigeria wurde Folgendes erklärt: – Ablehnung des zugewiesenen Arbeitsplatzes in Erfurt, in Berlin könne ihm keine entsprechende Beschäftigung zur Ableistung seines Praktikums nachgewiesen werden; – durch die Anfertigung eines antisowjetischen Flugblattes sowie die Beleidigung des Schulpersonals habe er gegen die Gastfreundschaft verstoßen.
Ihm wurde eine Bescheinigung ausgehändigt, wonach er an einem Journalistenlehrgang in der DDR teilgenommen und das Studium auf eigenen Wunsch unterbrochen habe. Am 26.3.1964 wurde Ofodile vom demokratischen Berlin aus nach Westberlin geleitet.
Bis zum 1.4.1964 wurden vom »Verband Deutscher Journalisten« mit allen Studenten der »Schule der Solidarität« in Buckow kollektive und Einzelaussprachen über die Ausreise des Ofodile durchgeführt und ausführliche Begründungen für die Ausweisung abgegeben.
Die Reaktion der afrikanischen Studenten war allgemein positiv, es gab keine gegenteiligen Äußerungen. Selbst [Name] distanzierte sich im Gespräch mit einem Vertreter des »Verbandes Deutscher Journalisten« von Ofodile. Weiter äußerte [Name] einem Vertreter des »Verbandes Deutscher Journalisten« gegenüber die Absicht, dem Chefredakteur seiner Zeitung zu schreiben, den wahren Sachverhalt darzulegen und eine entsprechende Stellungnahme dazu abzugeben. In ähnlicher Weise will er auch an seinen Bruder schreiben. Weiter will er an die Zeitungen, die Ofodiles Artikel abdrucken, eine Mitteilung senden und sie um Richtigstellung der verleumderischen Angaben des Ofodile zu ersuchen und um seine Distanzierung von diesen Angaben zu dokumentieren.
Am 27.3.1964 wurde eine kurze ADN-Mitteilung über die Ausweisung von Ofodile von allen Rundfunksendern und dem Deutschen Fernsehfunk verbreitet; die Zeitung »Neues Deutschland« veröffentlichte den gleichen Wortlaut am 29.3.1964.6
Erst am 9.4.1964 wurde vom westdeutschen DPA-Auslandsdienst eine Meldung verbreitet, die Folgendes beinhaltete: – Der afrikanische Student O. habe nach seiner Ausweisung DPA gegenüber erklärt, dass er in der DDR zu Handlungen gegen sein Heimatland gezwungen werden sollte und aus diesem Grunde aus der DDR »geflohen« sei; – anlässlich des »Überfalls« auf einen anderen nigerianischen Studenten ([Name]) sei er aufgefordert worden, verschiedene Erklärungen zu unterschreiben, u. a. dass [Name] von Westberliner Gangstern zusammengeschlagen worden sei.7
Aufgrund dieser DPA-Meldung wurde am 11.4.1964 vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten eine ausführlichere Meldung zum tatsächlichen Sachverhalt an ADN gegeben und noch am gleichen Tage über den ADN-Auslandsdienst sowie Radio Berlin International8 gesendet.
Am 11.4.1964 wurde von ADN und Radio Berlin International mit den in Leipzig zum Praktikum eingesetzten afrikanischen Studenten der »Schule der Solidarität« in den Räumen der »Leipziger Volkszeitung« ein Pressegespräch bzw. Interview durchgeführt, das von Radio Berlin International in zwei Teilen gesendet wird.