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Auffassungen von Kulturschaffenden der DDR zur Kulturpolitik

Februar 1964
Bericht Nr. 107/64 über einige Auffassungen und das Verhalten von Kulturschaffenden der DDR zu Grundfragen der Kulturpolitik von Partei und Regierung

Die nachstehenden Angaben sind als Hinweise zu einigen Hauptproblemen des Verhaltens von Kulturschaffenden zur Kulturpolitik von Partei und Regierung gedacht. Sie stellen keine Einschätzung der gesamten Problematik dar, wie sie sich aus der Bitterfelder Konferenz,1 dem VI. Parteitag2 und der im Anschluss daran stattgefundenen Konferenzen3 und Auseinandersetzungen ergeben haben.

Ebenfalls wurde auf eine breite Darlegung der positiven Entwicklung verzichtet und dafür der Schwerpunkt auf eine Reihe dem MfS bekannt gewordener unklarer und negativer Ansichten und Verhaltensweisen gelegt, die sich schädlich und hemmend auf die Durchsetzung der Kulturpolitik von Partei und Regierung auswirken.

Die Angaben beschränken sich im Wesentlichen auf die Zeit seit dem VI. Parteitag, wobei auf die Erscheinungen, die sowohl unmittelbar nach dem VI. Parteitag eine große Rolle spielten als auch zzt. noch im Mittelpunkt stehen, notwendigerweise nochmals mit eingegangen wird.

Nach den dem MfS vorliegenden Berichten über Meinungsäußerungen von Künstlern und Schriftstellern ist einzuschätzen, dass insbesondere in der weiteren Diskussion über den Inhalt der Bitterfelder Konferenz und über die Tagung des Politbüros mit Künstlern und Schriftstellern im März 19634 eine positive Entwicklung und Stärkung in politischer und künstlerischer Hinsicht vor sich gegangen ist. Dabei wird von vielen Kulturschaffenden hervorgehoben, die Diskussion in Auswertung dieser Tagungen habe weitgehendst zur Klärung der Grundfragen auf kulturellem Gebiet beigetragen und sei im Wesentlichen auch weiterhin dazu geeignet, positive Veränderungen auf dem Gebiet der Kunst und Literatur herbeizuführen.

Für den stattfindenden politisch-ideologischen Wachstumsprozess sprechen die Beispiele von aktiver gesellschaftlicher Arbeit, wertvollen künstlerischen Schaffens u. a. auch in der Anleitung und Unterstützung von Zirkeln künstlerisch tätiger Arbeiter.

Auch nach Ansicht zahlreicher Kulturschaffender selbst beweisen neue Werke und neue Veröffentlichungen, dass größere Teile der Künstler und Schriftsteller die Lehren aus der Bitterfelder Konferenz gezogen haben und versuchen, das Neue unseres sozialistischen Aufbaus und Lebens zu erfassen und in enger Verbindung mit den Werktätigen zu gestalten. Hervorgehoben werden das Schaffen zahlreicher Arbeitertheater, die Zirkel schreibender Arbeiter, die Veröffentlichung einer Reihe wertvoller Bücher und dergleichen mehr (Unter anderem »Ole Bienkopp« von Erwin Strittmatter;5 »Der Bus hält an der Brücke«, das erste Schauspiel des schreibenden Bauern Stürzebecher).6

Gleiches gilt für das Schaffen junger Komponisten. Typisch für den Inhalt besonders auch jüngster sinfonischer Kompositionen ist häufig die musikalische Gestaltung des Neuen, der Verbindung mit den Werktätigen. So arbeitet z. B. der Komponist Kurt Richter aus Langebrück7 für den 15. Jahrestag der DDR an einer »Senftenberger Kantate«, die den sozialistischen Aufbau in diesem Gebiet und die Heldentaten der Werktätigen widerspiegeln soll. Ein zeitgenössisches Orchesterwerk mit dem Titel »Afrikanische Sinfonie«8 wurde von Karl-Rudi Griesbach9 geschaffen. Weitere Werke ähnlichen Inhalts schufen Otto Reinhold10 u. a. Bemerkenswert, insbesondere auch für das Schaffen des Komponisten Kurt Richter, ist, dass junge Komponisten in Auswertung der Bitterfelder Konferenz bestrebt sind, während der Schaffung ihrer Werke in engem Kontakt mit den Werktätigen zu bleiben.

Charakteristisch für die positive Entwicklung ist nach den dem MfS auch inoffiziell vorliegenden Hinweisen, dass eine Reihe weiterer Künstler und Schriftsteller – besonders der jüngeren Generation –, die bisher oft eine abwartende Haltung zur Politik der DDR, insbesondere zur Kulturpolitik einnahmen, immer mehr nach einem klaren politischen Standpunkt im Interesse unserer sozialistischen Gesellschaft ringen.

Obwohl auf der Linie des Bitterfelder Weges von den Kulturschaffenden viele gute Ergebnisse erzielt und eine weitere Festigung des Vertrauensverhältnisses zur Partei und zum Staat erreicht wurden, gibt es bei einem wenn auch relativ kleinen Kreis von Kulturschaffenden noch ernste Vorbehalte gegenüber der Politik von Partei und Regierung, insbesondere zur Kulturpolitik, die sich teilweise sogar noch verschärft haben.

Aus den Argumenten dieser Personen ist zu erkennen, dass sie den Inhalt der Auseinandersetzungen über die Kulturpolitik der DDR während der Bitterfelder Konferenz, auf dem VI. Parteitag der SED und der Tagung des Politbüros mit Kulturschaffenden im März 1963 nicht oder nur ungenügend verstanden haben.

Von ihnen werden noch immer ideologisch falsche Auffassungen vertreten, die sich in solchen Argumenten widerspiegeln wie – die Partei sei für Fragen der Kultur nicht kompetent; – um die westliche dekadente Kunst beurteilen zu können, müsse man sie kennen und richtig auswerten.

Die Bemühungen unserer Parteiführung zur Schaffung einer klaren Konzeption in der Kunst werden von einigen als »Reglementierung« aufgefasst, wobei die »Liberalisierung« in anderen sozialistischen Ländern – angeführt werden die Sowjetunion, die ČSSR und die VR Polen –11 bisher nur ungenügenden Einfluss auf die DDR erkennen ließe.

Einige Schriftsteller sind der Auffassung, der Künstler in der DDR habe nicht genügend Freiheiten; er dürfe nicht schreiben was er möchte, sondern werde auf bestimmte Probleme und Konzeptionen der Darstellung »gelenkt«. Das sei auch nach Auffassung anderer Schriftsteller eine »Einengung der künstlerischen Freiheit«.

In ihrem künstlerischen Schaffen fühlen sich einige »gegängelt« und »bevormundet«. Wer schöpferisch arbeitet, könne jetzt nur noch für seinen eigenen Schreibtisch produzieren; er fände keine Abnehmer, besonders dann nicht, wenn er sich mit der Kulturpolitik nicht einverstanden erkläre. (Unter anderem Meinung von der inzwischen republikflüchtigen Christa Reinig,12 Bobrowski,13 Huchel.14)

Von einigen Schriftstellern wird größere Toleranz des Staates gegenüber den Künstlern gefordert.

Eine gewisse Ablehnung von Künstlern und Kulturschaffenden gegen unsere Kulturpolitik zeigt sich auch in folgenden Erscheinungsformen:

  • Ablehnung des sozialistischen Realismus, künftig mit der Begründung, er ließe keine freie Entwicklung der künstlerischen Fähigkeiten zu und führe zum toten Naturalismus oder zur Fotografie der Wirklichkeit;

  • Schaffung abstrakter oder formalistischer Arbeiten und Verherrlichung der Dekadenz;

  • Aufgreifen von Diskussionen über den »Schematismus« in der Kulturpolitik;

  • offene oder indirekte Ablehnung des Bitterfelder Weges und der Aussprachen der Parteiführung mit Kulturschaffenden; Ablehnung der Arbeit an der Basis und der Verbindung mit den Werktätigen mit der Begründung, Arbeiter würden die »Tiefe des künstlerischen Schaffens« nicht erfassen;

  • Ablehnung der führenden Rolle der Partei und Leugnung der Parteilichkeit in der Kunst; Leugnung des Kunstverständnisses der führenden Partei- und Staatsfunktionäre.

Begünstigt durch die indifferente Haltung einzelner Künstler, durch die politisch-ideologische Diversionstätigkeit des Gegners und durch die oben dargelegten Erscheinungsformen kam es auch in jüngster Vergangenheit – wenn auch nicht mehr in dem gleichen Umfang wie z. B. vor einem Jahr – zu gegnerischen und feindlichen Äußerungen, z. T. zur staatsgefährdenden Hetze und Propaganda gegen die Kulturpolitik von Partei und Regierung. Überwiegend werden jedoch solche Meinungsäußerungen entweder in versteckter Form oder im internen Kreise Gleichgesinnter dargelegt.

Nicht alle angeführten Meinungsäußerungen sind objektiv auf eine feindliche Einstellung der Betreffenden zurückzuführen, sondern zum Teil haben sie ihre Ursache in den bereits genannten ideologischen Unklarheiten und Schwankungen, in bestimmten Vorbehalten. Diese Meinungsäußerungen sind jedoch – wenn auch nicht immer beabsichtigt – dazu geeignet, den Gegner zu unterstützen.

Durch die Maßnahmen der Partei- und Staatsorgane wurde jedoch die Einflussnahme dieser negativ eingestellten Personenkreise (besonders unter den Schriftstellern) auf andere Literatur- und Kulturschaffende und auf die Entwicklung der Kulturpolitik wesentlich eingeschränkt. So übt keiner der Betreffenden mehr Funktionen als Mitglied des Vorstandes des DSV oder in anderen leitenden Gremien und Institutionen aus.

Nach den Auseinandersetzungen des Politbüros mit Kulturschaffenden hat sich auch der Anteil der Mitglieder der SED, die vordem mit negativen Tendenzen aufgetreten waren, wesentlich verringert.

Während unter einem bestimmten Kreis ablehnend und feindlich eingestellter Literaturschaffender bis Frühjahr 1963 teilweise offen negative Auffassungen vertreten und Versuche unternommen wurden, Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit zu betreiben, sind derartige Tendenzen unter dem gleichen Personenkreis gegenwärtig fast ausschließlich nur noch im kleinen Kreis unter vertrauten Personen zu beobachten.

In diesem Rahmen werden vorwiegend Diskussionen über Probleme der sozialistischen und kulturellen Entwicklung geführt und Überlegungen angestellt, wie dagegengewirkt werden könne. Die Auswirkungen bestehen nach bisherigen Feststellungen besonders in der gegenseitigen Bestärkung der negativen und feindlichen Auffassungen; sie sind aber auch dazu geeignet, die anderen Anwesenden zu passivem und aktivem Widerstand aufzuwiegeln. Neben den bereits erwähnten Tendenzen der negativen Diskussionen richten sich die Argumente vor allem auch

  • gegen »Einschränkungen« der Verbindung mit westdeutschen Literaturschaffenden;

  • gegen die Schutzmaßnahmen vom 13.8.1961 und die damit verbundenen Einschränkungen des Reiseverkehrs nach Westdeutschland und Westberlin;

  • gegen führende Funktionäre der Partei und Regierung und gegen einen angeblich in der DDR noch nicht überwundenen Personenkult (unter anderem Meinungen von Bobrowski, Manfred Bieler,15 Huchel, Christa Reinig, Kunert16);

Die gleichen Personen treten in der Öffentlichkeit häufig mit »positiven« und – wie sie äußern – »linientreuen« Ansichten auf, um einer »öffentlichen Kritik« durch führende Gremien aus dem Wege zu gehen.

Besonders Bobrowski z. B. versteht es, sich in seiner beruflichen und gesellschaftlichen Tätigkeit zu tarnen. In einem vor einer CDU-Versammlung gehaltenen Referat agitierte er z. B. unter Verwendung zahlreicher Zitate Walter Ulbrichts im Sinne des sozialistischen Aufbaus und unserer Kulturpolitik. Unmittelbar nach der Versammlung argumentierte er aber in dem ihm bekannten Personenkreis ablehnend und ging bis zur Verleumdung der Kulturpolitik der DDR.

Eine ähnliche Haltung nimmt auch Manfred Bieler ein, der nach außen hin fortschrittlich auftritt und als einer der erfolgreichsten Hörspielautoren des demokratischen Rundfunks bekannt ist. Dabei behandeln seine Hörspiele überwiegend sozialistische Themen und sind überzeugend gestaltet. Nach eigenen Äußerungen sei dies jedoch nur sein »Broterwerb«, während sein in der DDR mit vielen Vorbehalten erschienener Roman »Bonifaz«17 sein eigentliches Anliegen und sein Bedürfnis sei.

In den letzten Wochen gab es auch Anzeichen, dass einige Literaturschaffende weiter auf ihren alten schädlichen Auffassungen beharren und die auf dieser Grundlage entstehenden Arbeiten verteidigen.

An Kunerts Stellung zur Kulturpolitik der DDR hat sich nichts geändert.18 Er vertritt u. a. die Ansicht, der Wert einer künstlerischen Arbeit könne nie durch Funktionäre, sondern nur durch die Künstler selbst gemessen werden. Die Preise der DDR (Nationalpreise und andere staatliche Auszeichnungen) seien bisher nur »für Tageskunst weggeworfen« worden; die Beurteilung von Kunstwerken erfolge nicht durch Fachleute, sondern durch »politisch Vorbelastete«, die nur den politischen Wert einer Arbeit suchen würden. Die Beteiligung an der »großen Lyrikdiskussion«19 lehnt Kunert ab, aus Angst, wieder kritisiert zu werden und nicht die Kraft aufbringen zu können, dieser Kritik zu begegnen.

Gleichzeitig lehnt er es aber auch ab, wenn »gewisse Kreise« versuchen sollten, durch »Auf-die-Schulter-klopfen« Mitleid zu bekunden und seine Ideen in den Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzungen zu stellen. Der Bonner Staat sei durchaus nicht sein Staat, er sei gegen Faschismus und gegen jeden Krieg; er glaubt sich aber auch in der DDR immer noch »verfolgt« und »beobachtet«.20 Bestrebungen der Leitung des Deutschen Schriftstellerverbandes, auf Kunerts Arbeiten Einfluss zu gewinnen, werden äußerst erschwert durch die Praxis, Aufträge an Literaturschaffende direkt von den einzelnen literaturverbreitenden Institutionen (Fernsehen, DEFA, Theater, Verlage usw.) zu vergeben, ohne Kenntnis des Deutschen Schriftstellerverbandes. Das gegenwärtig noch vorherrschende Nebeneinanderarbeiten und die mangelhafte Koordinierung zwischen der staatlichen Leitung (HV Verlags- und Literaturwesen),21 den Verlagen, Theatern und anderen kulturellen Institutionen und dem DSV als gesellschaftliche Organisationen für die Erziehung und Entwicklung der Schriftsteller wirken sich hemmend auf die Arbeit unter den Kulturschaffenden aus. Dadurch kann der Umstand eintreten, dass z. B. auch indifferente oder sogar ablehnend eingestellte Schriftsteller durch gleichzeitig und unabhängig voneinander vergebene Aufträge von verschiedenen Institutionen unter die bekanntesten Autoren avancieren. Andere progressive und fähige Schriftsteller dagegen bleiben durch die Zufälligkeiten in der Auftragserteilung und durch eine in der gesamten DDR fehlende zentrale Lenkung vorhandener Aufträge mehr oder weniger unter den unbekannteren Autoren und werden nicht entsprechend gefördert.

Durch diese Praxis ist z. B. eine Einflussnahme auf die Aufträge an Kunert und den Inhalt seiner Arbeiten durch den Schriftstellerverband kaum möglich. Außerdem sind auch die Aufträge der verschiedensten Institutionen z. B. an Kunert – wie auch an andere Literaturschaffende – nicht immer dazu geeignet, fortschrittliche und realistische Arbeiten zu fördern. So trat z. B. das Deutsche Theater an Kunert mit dem Auftrag heran, er solle ein satirisches Kriminalstück schreiben, dass nicht aus der Gegenwart stammen und nicht in der DDR handeln müsse und leistete damit der Haltung Kunerts Vorschub, einer klaren literarischen Stellungnahme auszuweichen.

Neben Kunert sind vor allem aus dem Berliner Raum und aus den Bezirken Leipzig und Potsdam noch kleinere Gruppen bisher weniger in Erscheinung getretener Schriftsteller oder Lyriker bekannt, die vorwiegend – wenn auch bisher im kleineren Personenkreis – bürgerliches Gedankengut verbreiten und politisch schwankende und negative Auffassungen vertreten.

Nach vorliegenden Informationen bilden im Bezirk Leipzig das Institut für Literatur »Johannes R. Becher« (hier besonders eine Gruppe von Studenten des derzeitigen 3. Studienjahres) und die Hochschule für Musik weiterhin – trotz Aussprachen z. B. mit leitenden Funktionären der SED-Bezirksleitung Leipzig – bestimmte Schwerpunkte für das Verbreiten von Ansichten, die in ihrem Wesen auf Auffassungen einer »friedlichen Koexistenz« von sozialistischer und bürgerlicher Ideologie hinauslaufen. Begünstigt wird dieser Umstand durch eine mangelhafte und labile Leitungstätigkeit an diesen Instituten. Der Direktor des Instituts für Literatur, Genosse Zimmering22 z. B. hält sich sehr selten im Institut auf und seine Vertreter, Genosse Max Walter Schulz23 und Genosse Kanzog,24 werden mehrfach von Studenten nicht anerkannt.

Beeinflusst durch die »Kafka-Konferenz« im Herbst 1963 in Prag25 (an der einige Studenten des Instituts für Literatur teilnahmen) orientiert sich besonders eine Gruppe Studenten des 3. Studienjahres des Literaturinstituts (insbesondere [Name 1], Helmut Richter/SED,26 Karlheinz Oplustil27 u. a.) in internen Diskussionen auf die philosophischen, ästhetischen und künstlerischen Ansichten von Kafka. (Die gleiche Gruppe war auch 1962/63 mit »Tauwetter«-Diskussionen und prinzipienlosen Ansichten über den »zornigen Jungen«28 Jewtuschenko29 und über Peter Hacks’30 »Die Sorgen und die Macht«31 aufgetreten.) In ihren Diskussionen über Kafka32 werten die Studenten die anarchistisch-individualistische »Empörung« Kafkas, seinen individuellen »Protest« als Künstler, der – wie sie meinen – in seiner Verzweiflung über das »Grau des Tages« für den Kapitalismus völlig annehmbar wird, falsch. Sie legen Kafka u. a. so aus, dass das in seinen Werken »aus Angst vor dem Leben« (Alexander Abusch)33 sich widerspiegelnde Problem der »Entfremdung des Individuums gegenüber der Gesellschaft und dem Staat« auch für den Sozialismus – speziell die DDR – zutreffe. Verneinend wird dabei die Frage diskutiert, ob auch der »einfache Mensch« in der DDR in vollem Maße erfasse, was im »Überbau« vor sich gehe, ob auch der »kleine Mann« die Politik der Partei und Regierung »durchschaue«.

In Auswirkung der Teilnahme einiger Studenten des Instituts an der Prager »Kafka-Konferenz« und der danach verstärkt einsetzenden (internen) »Kafka-Diskussionen« – und auch der Diskussionen über die »Huchel-Geburtstagssendung« im ČSSR-Fernsehen – zeichnen sich erste Absichten dahingehend ab, bestimmte literarische Erzeugnisse, die in der DDR wegen ihres unrichtigen oder zweifelhaften ideologischen Gehalts nicht veröffentlicht werden können, in der ČSSR herauszubringen. (Wiederholt wurde in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass z. B. Manfred Bielers Roman »Bonifaz« bedenkenlos in der ČSSR – und auch in einigen anderen sozialistischen Ländern – verlegt worden sei, während in der DDR zunächst noch umfangreiche Vorbehalte dagegen bestanden.)

Neben einigen Studenten des Literatur-Instituts Leipzig – u. a. Helmut Richter und [Vorname Name 2] – bemühte sich auch Günter Kunert um Veröffentlichungen in der ČSSR.

Die Argumente von Studenten und Literaturschaffenden laufen unter diesen Gesichtspunkten darauf hinaus, die »Enge«-Auffassungen über die sozialistische Kunst und Literatur seien in der ČSSR im gewissen Umfang überwunden, dort werde den Forderungen nach »absoluter Freiheit des künstlerischen Schaffens«, nach »Gedankenfreiheit«, nach »Auflockerung der Prinzipien des sozialistischen Realismus« in Maßen nachgekommen. Dadurch werde der Beweis erbracht, dass in den einzelnen sozialistischen Ländern verschiedene Auslegungen der »großen Linie Kulturpolitik« getroffen würden. Einige Studenten verbreiten intensiv Äußerungen des Chefredakteurs der ČSSR-Literaturzeitschrift, Hájek,34 der während der »Kafka-Tagung« in Prag angeblich die DDR einer zu engstirnigen Kulturpolitik bezichtigt habe. Diesen Äußerungen wird von einem großen Personenkreis unter den Studenten lebhaftes Interesse entgegengebracht.

Die Kulturpolitik der DDR führe nach Auffassung einiger Studenten und Schriftsteller zur Nichtanerkennung der DDR-Literaturschaffenden. Dagegen seien westliche Autoren in den sozialistischen Ländern anerkannt und würden mit entsprechender Hochachtung behandelt. Diese Feststellung musste angeblich bei Studienreisen von DDR-Schriftstellern (z. B. Delegation, der auch der Leipziger Schriftsteller Max Walter Schulz/Dozent für Prosa am Institut für Literatur angehörte) getroffen werden. Bei einigen Autoren bestand Verwunderung, dass in der Sowjetunion angeblich mehr westdeutsche als DDR-Schriftsteller verlegt würden. Aus dieser Tatsache müsse die Schlussfolgerung gezogen werden, künftig die westdeutsche Literatur intensiv im Original zu studieren.

Andere Literaturschaffende der DDR führen die angebliche Missachtung und Nichtanerkennung von DDR-Schriftstellern in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Ländern auf ein – wie sie erklären – Fehlen wirklich fähiger Schriftsteller in der DDR zurück. International anerkannte DDR-Schriftsteller brächten infolge ihres Alters keine bedeutenden Werke mehr heraus und Nachwuchskräfte kämen über eine bestimmte »Mittelmäßigkeit« nicht hinaus. Internationale Buchmessen, in denen im Verhältnis zu anderen Ländern nur ungenügend DDR-Schriftsteller vertreten seien, würden diese »Feststellungen« bestätigen.

Einige Schriftsteller verweisen in Diskussionen auf die Resonanz, die die Auseinandersetzungen mit Schriftstellern Anfang 196335 bei Anna Seghers36 hinterlassen habe. Anna Seghers habe sich aus der Öffentlichkeit vollkommen zurückgezogen, versuche aber in einigen Arbeiten indirekt »gegen das totalitäre System« zu opponieren. So habe sie in einer der letzten Nummern »Sinn und Form« 1963 einen Artikel über Dostojewski veröffentlicht,37 der alle Seiten Dostojewskis hervorkehre, die sich zu einer Stellungnahme gegen die Verhältnisse in der DDR eignen würden. Da sie damit gezeigt habe, wie man Stellung nehmen könne, ohne sich der Gefahr von Kritiken auszusetzen, sei dieser Artikel – nach Meinung einiger Schriftsteller und Journalisten – als »Beispiel für andere« geeignet. (Unter anderem Diskussion unter einigen Mitarbeitern von »Sinn und Form« und der »Wochenpost«.)

Die selbst bei bekannten und »parteiverbundenen« Künstlern und Schriftstellern auftretenden Schwankungen seien – nach Meinung einer ganzen Reihe von Literaturschaffenden – in erster Linie darauf zurückzuführen, dass bisher nicht ausdiskutiert worden sei, worin eigentlich die Linie des Bitterfelder Weges bestehe. Nach den bisherigen Auslegungen durch die Partei bedeute er die engere Verbindung der Schriftsteller mit dem Leben; diese Definition reiche aber für den Künstler nicht aus, und es wäre ihrer Ansicht nach notwendig »klar umrissene Fronten zu schaffen«. Der Bitterfelder Weg – so meinen z. B. Schriftsteller aus dem Bezirk Potsdam – erfahre durch die Partei zu verschiedenen Zeiten und unter den verschiedensten Umständen immer wieder andere Auslegungen.

Von Schriftstellern wird in den letzten Wochen wiederholt ausgeführt, die »Uneinigkeit« führender Partei- und Kulturfunktionäre über den Bitterfelder Weg zeige sich in letzter Zeit in Kritiken an Strittmatters Werk »Ole Bienkopp«. Dabei wird auf eine in der Hallenser »Freiheit« erschienene Rezension verwiesen,38 die das Anliegen des Romans im Gegensatz zu anderen offiziellen Beurteilungen vollkommen zerredet habe.

In weiteren Diskussionen über den Bitterfelder Weg wird die Frage aufgeworfen, ob die Meinungen der Partei von einem Künstler immer akzeptiert werden müssten. Unter Schriftstellern und Verlagsmitarbeitern im Berliner Raum wird argumentiert, nicht der sei ein Künstler, der sich die Auffassungen anderer zu eigen mache, sondern die eigene Meinungsbildung sei Voraussetzung jeden künstlerischen Schaffens. Ein Schriftsteller müsse kritisch die Entwicklung verfolgen, »damit er die Partei vor Fehlern bewahren könne«.

Der Bitterfelder Weg gebe nur ungenügend Auskunft über handwerkliche Probleme. Besonders die Fragen der Traditionen und des Neuerertums, an welche Künstler der Vergangenheit – insbesondere des 19. Jahrhunderts – angeknüpft werden könne, mit welchen neuen künstlerischen Mitteln der sozialistische Inhalt ausgedrückt und das ästhetische Niveau gehoben werden müsse, seien – sowohl für Schriftsteller, Komponisten und bildende Künstler – ungenügend behandelt und erst recht nicht ausdiskutiert worden.

Ohne das Wesen des Bitterfelder Weges begriffen zu haben, hätten sich – nach Meinung einiger Schriftsteller – einzelne Literaturschaffende unter Ausnutzung der »neuen Linie« persönliche Vorteile verschafft, indem sie mit mehreren Betrieben Verträge abgeschlossen hätten und von diesen laufend finanzielle Unterstützung erhielten. (Das träfe z. B. auf Horst Selbiger39 und Edgar Grunau40 zu.)

Trotz teilweise guter Beispiele der Mitarbeit von Schriftstellern in Arbeitsgemeinschaften schreibender Arbeiter sei – nach Meinung einiger Kulturschaffender – bisher keine breite Basis erreicht worden. Nur langsam würden vorhandene Beispiele aufgegriffen, und die Ergebnisse gemessen an den Möglichkeiten seien noch zu gering. Auffassungen von Schriftstellern, mit der Bewegung schreibender Arbeiter solle lediglich die »Produktionspropaganda«, das Führen von Brigadetagebüchern und die Korrespondenz in den Betriebszeitungen angeschürt werden, sind mehrfach verbreitet (besonders im Bezirk Halle), u. a. vom Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes Halle, Erich Neutsch.41 Ferner wird von Schwierigkeiten gesprochen, die sich für Schriftsteller und Künstler in Betrieben aus Vorbehalten gegen sie ergeben würden. Die Zirkel würden vielfach von den Betrieben (Betriebsleitung, BGL o. ä.) überfordert; Laienkünstler brauchten aber selbst unter fachgerechter Anleitung längere Zeit, um zu einem künstlerisch vertretbaren Ergebnis zu kommen. Vulgarisierungen aus Unverständnis der Verbindung von Ökonomie und Kultur seien in den Betrieben häufig. Von den Betrieben dürfe auch nicht eine sofortige Auswirkung der künstlerischen Tätigkeit auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität erwartet werden; der Entwicklungsprozess ginge unter der Vielgestaltigkeit nur langsam vor sich. Die Verträge zwischen Betrieben seien außerdem zu allgemein gehalten; seien sie abgeschlossen, kümmere sich niemand von der Betriebsleitung mehr um den Künstler oder Schriftsteller und er sei auf sich allein angewiesen (z. B. im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld).

Besondere Beachtung verdient die verstärkte politisch-ideologische Diversionstätigkeit des Gegners zur Beeinflussung der Schriftsteller, die vor allem auf die Störung des Vertrauensverhältnisses der Literaturschaffenden zur Partei und Regierung, des sozialistischen Aufbaus und der aktiven Mitarbeit der Literaturschaffenden gerichtet ist.

Rundfunk- und Fernsehstationen werden zur Durchführung der politisch-ideologischen Diversion am stärksten ausgenutzt. Ferner werden durch Organisationen und Einzelpersonen Presseerzeugnisse und literarische Produkte an DDR-Schriftsteller versandt. In geringerem Maße wird durch individuelle Kontakte Zersetzungstätigkeit betrieben. In den letzten Monaten werden die sogenannten individuellen Kontakte mit den unterschiedlichsten Mitteln und Methoden stärker angewendet als vordem.

Die Sendungen des westdeutschen und Westberliner Rundfunks und Fernsehens sowie westliche Druckerzeugnisse finden bei der Mehrzahl der Literaturschaffenden – auch bei Mitgliedern der SED und großen Teilen der Schriftsteller, die in ihrer persönlichen Haltung und in ihren literarischen Arbeiten positiv und parteilich zur DDR Stellung nehmen – reges Interesse. Als Begründung für das Interesse an diesen Sendungen wird angegeben, sie seien »weltoffener« und »informativer« als die der DDR.

Das seit Oktober 1963 gemeinsam von RIAS und SFB gesendete 3. Rundfunkprogramm findet starke Beachtung, zumal in diesen Sendungen vorwiegend die Kulturschaffenden angesprochen werden. (Zielgerichtet werden bürgerlich dekadente Ideologien und Zweckpropaganda verbreitet, wobei u. a. auch ehemalige DDR-Literaturschaffende – z. B. Hans Mayer42 – zu Wort kommen.)

Literaturschaffende machen sich gegenseitig auf das Programm, auf Wellenlänge und Empfangszeiten aufmerksam, und in privaten Zusammenkünften bilden diese Sendungen häufig die Diskussionsgrundlage.

Durch republikflüchtige Schriftsteller oder durch verschiedene Institutionen (Literaturkreise, Verlage) werden vor allem negativ eingestellte oder in der Öffentlichkeit kritisierte DDR-Schriftsteller mit literarischen Produkten aus Westdeutschland und dem kapitalistischen Ausland versorgt. Das eingeschleuste Material wird unter Bekannten weiterverbreitet, sodass ein größerer Personenkreis unbefugt in zeitweiligen Besitz dieses Materials gelangt.

Neben verschiedenen literarischen Produkten spielt die Kulturzeitschrift »Wiener Tageblatt«43 in Diskussionen unter Kulturschaffenden eine Rolle. Die Zeitschrift tritt intensiv in der gegenwärtigen Kafka-Diskussion auf und nimmt in diesem Zusammenhang gegen die DDR Stellung. In dieser Zeitschrift sind einige Arbeiten von Hermlin44 und Heym45 erschienen.

Zu republikflüchtigen Schriftstellern, die DDR-Schriftsteller mit westlichen Druckerzeugnissen »versorgen«, gehört u. a. der Renegat Jokostra46 (jetzt Sinz/Rhein), der außerdem im Auftrage eines westdeutschen Verlages weitere Kontakte zu DDR-Schriftstellern herzustellen versucht.

Ein weiterer Schwerpunkt – besonders ausgeprägt in letzter Zeit – ist die Aufrechterhaltung persönlicher Kontakte westdeutscher Literaturschaffender zu Schriftstellern der DDR, wobei insbesondere zwei Linien auftreten:

  • Verbindungsaufnahme durch Literaturkreise und Verlage mittels persönlicher Besuche und Briefverkehr zu ihnen bekannten DDR-Schriftstellern, wobei versucht wird, über diese Personen den Bekanntenkreis in der DDR und somit den Einfluss ständig zu erweitern,

  • Anschreiben von Schriftstellern, von denen erwartet wird, dass sie an einer Verbindung zu westdeutschen Literaturkreisen und an der Veröffentlichung entsprechender Literaturbeiträge – möglichst mit pessimistischer politischer Aussage – in Westdeutschland interessiert sind.

Die »Gruppe 47«47 unterhält durch ihre Vertreter Hans-Werner Richter48 und Dr. Klaus Wagenbach49 intensive persönliche Verbindungen zu den Anhängern dieser Gruppe in der DDR (u. a. Johannes Bobrowski, Peter Huchel, Manfred Bieler, Erich Arendt,50 Henryk Bereska51 und Christa Reinig – vor deren Republikflucht). Das Ziel der »Gruppe 47« besteht (obwohl die Gruppe zum Zeitpunkt der Gründung eindeutig progressiven Charakter trug) nach den bisherigen Feststellungen darin, die negativen und schwankenden Kräfte in ihrer Haltung und Arbeit gegen die DDR zu unterstützen, insbesondere durch die Herausgabe von Publikationen dieser DDR-Schriftsteller in Westdeutschland. Dabei handelt es sich um solche literarischen Arbeiten, die in der DDR aufgrund ihrer negativen und teilweise feindlichen Tendenzen nicht oder nur vereinzelt mit großen Vorbehalten veröffentlicht werden (z. B. Arbeiten von Huchel, Bieler und Bobrowski, ein Gedichtband von Christa Reinig im Fischer-Verlag mit stark humanistisch abstrakten, dekadenten Tendenzen).52

Die zielgerichtete Förderung bestimmter DDR-Schriftsteller durch die »Gruppe 47« findet u. a. auch darin seinen Ausdruck, dass während einer Tagung der Gruppe im Oktober 1963 in Westdeutschland eine literarisch weniger wertvolle Arbeit von Bobrowski herausgestellt wurde,53 während gegenüber einem guten Roman von Max Walter Schulz Ablehnung bestand.54

Die Bestrebungen, die bei einem Teil hauptsächlich jüngerer DDR-Schriftsteller vorhanden sind, Arbeiten in Westdeutschland herauszubringen, werden von den Angehörigen und Anhängern der »Gruppe 47« zu weiteren Kontaktaufnahmen und zur Erweiterung ihres Anhängerkreises ausgenutzt.

In ähnlicher Weise arbeiten Vertreter verschiedener westdeutscher Verlage (u. a. leitende Mitarbeiter der Verlage S. Fischer, Luchterhand, Carl Hanser/München), die z. T. bei Reisen in die DDR ihre persönlichen Kontakte zu DDR-Schriftstellern noch erweitern. Zu weiteren Treffen zwischen diesen Personen werden mitunter auch Reisen in sozialistische Länder benutzt. (Zum Beispiel traf sich Manfred Bieler in der ČSSR mit einem westdeutschen Verlagsmitarbeiter.)

Ein anderer westdeutscher Verlag bedient sich einer solchen Methode, bestimmte – in der DDR als negativ bekannte – Schriftsteller oder Lyriker unbekannterweise anzuschreiben und um Manuskripte zur Veröffentlichung zu ersuchen, wobei aufgefordert wird, Adressen bisher noch unbedeutender aber fähiger junger DDR-Schriftsteller mitzuteilen. Der betreffende Verlegerkreis in Westdeutschland erhielt auch Antwortschreiben, teilweise mit Manuskripten und der Empfehlung bestimmter Adressen.

Der »Junge Literaturkreis«55 Hannover verschickt seit kurzer Zeit an DDR-Schriftsteller und Redaktionen Einladungen zur Mitarbeit an einer Lyrik-Dokumentar-Sammlung, die unter dem Arbeitstitel »Deutsche Teilung 62« steht.56 Die Sammlung, die auf der Buchmesse 1964 im Limes-Verlag Wiesbaden erscheinen soll, habe den Sinn, eine objektive, auch für spätere Zeiten aufschlussreiche Dokumentation mit literarischem Anspruch zu erarbeiten, die Autoren aus beiden Teilen Deutschlands und aus dem Ausland trotz gegensätzlicher Auffassungen »vereint«. Der »Junge Literaturkreis« gibt die Zeitschrift »Die Horen« heraus, deren Inhalt sich in stark antikommunistischer Tendenz mit literarischen Problemen befasst, wobei sich ein wesentlicher Teil der Ausgaben gegen die Kulturpolitik der DDR und gegen unsere führenden Funktionäre richtet. Von den durch diesen Kreis angeschriebenen DDR-Schriftstellern scheinen einige einer Mitarbeit nicht ablehnend gegenüberzustehen.

Neben den bisher angeführten Hinweisen besonders zu Schriftstellern wird auch auf ähnliche Erscheinungen bei bildenden Künstlern aufmerksam gemacht.

Ein noch immer beachtlicher Teil der Maler z. T. auch der Bildhauer beharrt mehr oder weniger offen auf seinen oft nicht mit der Kulturpolitik von Partei und Regierung übereinstimmenden Ansichten über Kunst.

Nach wie vor wird von diesem Teil

  • gegen die führende Rolle der Partei auch in der Kunst (Funktionäre verstünden etwas von Politik, aber nicht von Kunst),

  • gegen den sozialistischen Realismus (er ließe keine freie Entwicklung der künstlerischen Fähigkeit zu),

  • für abstrakte, die sogenannte Moderne und andere dekadente Kunstrichtungen und

  • gegen eine Reihe sich aus der Kulturpolitik von Partei und Regierung ergebende einzelne Maßnahmen (Kunstausstellungen, Praxis der Jury, Auftragserteilung u. a.)

argumentiert.

Hingewiesen werden soll auf eine ziemlich starke Gruppe von Malern in Dresden, die sich besonders deutlich auf dieser Linie, vor allem der offenen Ablehnung des sozialistischen Realismus, bewegt. Im Einzelnen werden von ihnen Auffassungen vertreten wie:

  • so revolutionär wie (die DDR) in der Politik sei, so reaktionär seien wir in der Kunst;

  • Vorbilder in unserer künstlerischen Gestaltung müssten französische, spanische und mexikanische Maler sein, weil diese das Moderne zum Ausdruck bringen;

  • Menschen zu malen, hätte nichts mehr mit Kunst zu tun.

Eine ganze Reihe dieser Maler hat über Jahre hinweg »illegale« Ausstellungen und Zusammenkünfte organisiert. Dort stellten sie ihre abstrakten oder andere dekadente Werke aus, die zu öffentlichen Ausstellungen meist ausjuriert wurden oder die sie wegen ihres Inhalts gar nicht erst einschickten. Zu diesen Ausstellungen hatte nur ein ausgesuchter und begrenzter Kreis Zutritt, neben Malern vorwiegend Ärzte, Architekten, Angehörige der technischen Intelligenz, Angehörige der TU, Musiker, Schauspieler usw. (Entsprechende Maßnahmen wurden von der Bezirksleitung der Partei aufgrund unserer Hinweise bereits eingeleitet.)57

Eine ähnliche Tendenz zeigt sich in dem Bestreben verschiedener Künstler, sich in ihre Ateliers zurückzuziehen und die Forderung nach einer engen Verbindung zur Basis zu ignorieren. Zum Beispiel ist die Zahl der Künstler, die im Betrieb die verschiedensten künstlerischen Zirkel anleiten, noch zu gering. Die beispielhafte Arbeit verschiedener Künstler auf diesem Gebiet (z. B. im Bezirk Halle die von Walter Dötsch58 und Bernhard Franke59) wird nicht als Maßstab für die eigene Arbeit herangezogen.

Nach Ansicht einer Reihe bildender Künstler wirke sich auf sie und besonders auf junge Künstler und solche, die »noch keinen Namen« haben, das starke »In-den-Vordergrund-Spielen« bereits anerkannter progressiver Künstler oftmals deprimierend und bremsend aus. Dies werde noch verstärkt durch die Tatsache, dass sich solche Künstler (in Dresden werden z. B. Grundig,60 Bergander,61 Arnold62 angeführt) oft in den Jurys befinden und dort ihre Meinung durchsetzen, weil sich keiner getraut, gegen sie aufzutreten. So finde man z. B. in der Abteilung »sozialistische Gegenwartskunst« die Gemäldegalerie Dresden sehr viele Arbeiten der Genossin Grundig. Eine Reihe Arbeiten anderer Künstler aber, die noch Berechtigung hätten, in dieser Ausstellung zu hängen, waren abgelehnt worden. Man spricht deshalb von einer »Grundig-Ausstellung«. Ähnliche Meinungen gab es auch zur V. Deutschen Kunstausstellung.63

Eine »schlechte« Jury-Arbeit habe es auch zum Kunstpreis des FDGB gegeben. Die Fachleute konnten sich lange nicht einig werden, welche Werke in die Ausstellung kommen. Nachdem dann ein Standpunkt erreicht worden war, sei er nach Diskussionen mit Vertretern des FDGB wieder umgeworfen worden. Konkret ging es um Arbeiten von den Bildhauern Graetz,64 Hunzinger65 und Kies.66 Während Graetz einmütig abgelehnt worden sei, habe man sich dann für eine Plastik von Hunzinger entschieden, die aber wieder herausgenommen wurde, nur weil man »Kies dann auch« mit berücksichtigen müsse.

Viele Jury-Mitglieder seien bei der Jury-Arbeit oft gar nicht anwesend und würden nur im Katalog geführt. Ferner wird nicht verstanden (z. B. von Hunzinger, aber auch von anderen), warum immer die gleichen Personen in die Jurys benannt würden, zumal wenn es sich um solche Personen wie Drake67 und Thieme68 handle. Thieme gebe abfällige und verletzende Urteile als Jurymitglied ab und Drake sei neben seiner ablehnenden Haltung und Reserviertheit den Gegenwartsproblemen gegenüber noch unehrlich dazu. Als Beispiel wird angeführt, dass Drake als Verbandsfunktionär die Aufnahme eines seiner Schüler in den Verband ablehnte, obwohl er ihm vorher in seiner Funktion in der Schule das Diplom zuerkannte.

Zur Arbeit des Verbandes gibt es eine Reihe Kritiken, die besonders die Fragen der kulturpolitischen Erziehungsaufgabe, der Auftragserteilung und der Aufnahmepraxis von Mitgliedern betreffen. Der Verband nehme z. B. zu wenig auf die wirklich kulturpolitische Erziehung Einfluss. Eine seiner Praktiken sei vielmehr, zu sehr mit finanziellem Anreiz zu wirken. Zum Beispiel greife der Verband mit Geldmitteln ein, wenn er feststellt, dass für irgendeine Ausstellung bestimmte Genres fehlen und beauftragt dann kurzfristig Künstler, diese Lücken mit schnell geschaffenen Werken zu schließen. Das führe nicht zur wirklich künstlerischen und politischen Entwicklung der Künstler, sondern fördere das Bestreben nach finanziellen Vorteilen. Ferner täusche diese Methode vor, dass die Kunst schon in die Darstellung der geforderten Thematik eingedrungen sei.

Daraus ergebe sich auch, dass im Verband Diskussionen über bestimmte kulturpolitische Probleme nicht in dem Maße stattfinden, wie es notwendig wäre. Eine Reihe jüngerer Künstler befürchtet, sich einer finanziellen Quelle zu berauben, obwohl sie zu vielen Dingen etwas zu sagen hätten. Kritische Worte äußerten im Verband nur solche Personen, die finanziell unabhängig sind.

Eine größere Anzahl bildender Künstler äußert sich unzufrieden und verärgert darüber, dass die Auftragserteilung an bildende Künstler nicht ausreiche, um die auf diesem Gebiet vorhandene Kapazität auszulasten. Vereinzelt hätten Künstler infolge fehlender Aufträge Schwierigkeiten, ihre künstlerischen Fähigkeiten im ausreichenden Maße in Anwendung bringen zu können; zum anderen stünden sie aber auch mitunter vor schwierigen Situationen, um für sich und ihre Familien einen ausreichenden Lebensstandard zu sichern. Nach der Meinung der bildenden Künstler würden sich daraus größere Probleme ergeben, die den teilweise vorhandenen Pessimismus und die Unzufriedenheit über ihre Perspektive im Sozialismus rechtfertigen.

Kritisiert wurde ferner, dass über die von den Künstlern im Auftrage geschaffenen Werke von den Auftraggebern oft kein Urteil abgegeben wird, sondern dass die Auftraggeber erst warten, was die vorgesetzte Stelle oder das ZK dazu sagen werden. Der Maßstab für den politischen Wert und den Preis des Werkes sei das Urteil durch das ZK. Es zeichne sich jedoch ab, dass dieser Maßstab immer niedriger angelegt werde.

Zu einigen Erscheinungen auf dem Gebiete der Musik

Besonders junge Komponisten äußern sich in letzter Zeit häufig unzufrieden über die Unterstützung vonseiten des Komponistenverbandes. Wirklich gefördert würden nur Komponisten mit »Namen«, wobei Meyer,69 Spieß,70 Butting71 und Kochan72 genannt werden, während Nachwuchs-Komponisten mitunter »verlacht würden«, sobald sie von ihren Arbeiten an größeren Kompositionen sprächen. Letzteres sei auch der Grund dafür, dass junge Komponisten nicht aktiv im Komponistenverband mitarbeiten und sich mehr und mehr zurückziehen würden. So habe sich z. B. Siegfried Matthus73 vollkommen vom Verband zurückgezogen und spreche nicht mehr über seine Arbeiten, nachdem ihm anlässlich eines Gesprächs über seine neue Oper das »Unsinnige« seines »Bemühens« – da er sowieso keine Chancen habe, herausgebracht zu werden – aufgezeigt worden sei. Ähnlich verhält sich der junge Komponist Andre Asriel,74 der bis vor einiger Zeit noch aktiv im Verband mitarbeitete. Asriel ist außerdem ungehalten über das Ausbleiben »entsprechender Anerkennungen« für junge talentierte Komponisten. (Er selbst hatte mit einer Auszeichnung vom Verband gerechnet.)

Die mangelnde Aktivität junger Komponisten sei weiterhin auf den Umstand zurückzuführen, dass der Verband auf die Veröffentlichung zeitgenössischer Musik fast keinen Einfluss hat. Selbst bei einem positiven Urteil seitens der Verbandsleitung über die Arbeit eines jungen Komponisten, seien die Komponisten bei dem Bemühen nach Veröffentlichung auf sich selbst angewiesen. Rundfunk und Orchester würden sich bei der Popularisierung zeitgenössischer Musik fast ausschließlich auf bekannte Namen berufen und Nachwuchskünstler mit »Vertröstungen« ablehnen.

Nach Meinung einiger Komponisten würden Butting und Spieß – schon durch ihren großen Bekanntenkreis beim Rundfunk und bei Orchesterleitern – die besten finanziellen »Geschäfte« machen.

Aus mehreren Hinweisen geht hervor, dass unter einer Anzahl von Studenten der Hochschule für Musik Leipzig (vor allem auch unter Studenten mit religiöser Bindung) Diskussionen zu Problemen der dekadenten Komponistentechnik an Einfluss gewinnen, wobei besonders die Richtung des »Punktualismus«75 vertreten wird und Aspekte Kafkas, Jaspers’76 (moderne reaktionäre Ästhetik) sowie Blochs77 idealistisches »Prinzip Hoffnung«78 die Grundlage der Gespräche bilden. Mitunter lassen diese Diskussionen die Schlussfolgerung zu, als wäre den Studenten keinerlei Grundwissen des Marxismus-Leninismus vermittelt worden. Lehrkräfte, die von diesen Diskussionen Kenntnis haben, greifen ungenügend klärend ein (z. B. Prof. Meyer79). Nach ihrer Meinung seien derartige Diskussionsrichtungen und der häufig noch dominierende Subjektivismus auf das Fehlen einer marxistisch-leninistischen Ästhetik auf dem Gebiete der Musik zurückzuführen.

Auch in der Schlagerkomposition sind trotz sichtbarer Erfolge im nationalen und internationalen Maßstab die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten bzw. Unklarheiten unter den Schlagerkomponisten noch nicht überwunden. Besonders bei jungen Schlagerkomponisten ist weiterhin die Tendenz der Ablehnung an westliche »Vorbilder« vorhanden. Unterstützt werden diese Tendenzen mitunter noch von Fachkräften, wie z. B. von Prof. Knepler,80 Direktor des Instituts für Musikforschung der Humboldt-Universität, der in einer Sitzung des Komponistenverbandes (November 1963) die Darstellung gab, 82 % der Jugendlichen der DDR würden nur Westschlager und 8 % die Musiksendungen des »Freiheitssenders« bevorzugen.

Von Tanzmusikautoren – aber verschiedentlich auch von Lektoren, Redakteuren u. a. – wird immer wieder versucht, in den Schlagern nur Themen zu behandeln, die »international« gültig seien. Sie wollen sich durch unverbindliche Texte den westdeutschen Markt offenhalten.

Einzelne Autoren vertreten die Ansicht, sie müssten sich von »Westkompositionen« inspirieren lassen, wobei sie auf »Kanal 7«81 und Radio »Luxemburg«82 verweisen. Die »Modelinie« – Orient- und Cowboythematik – sei von dort übernommen worden (u. a. Meinungen von W. Schöne,83 Schneider84).

International bekannt würden nur die Autoren und Komponisten, die auf dieser Grundlage arbeiten, die enge »Beziehungen« zum Rundfunk, Fernsehen, VEB Deutsche Schallplatte haben oder die auf dem Gebiet der Tanzmusik verantwortlich tätig sind. In der DDR geförderte Schlagerkomponisten und -autoren seien vielfach auch in Westdeutschland und in anderen westlichen Ländern bekannt, äußerst selten jedoch in den Volksdemokratien. Zurückzuführen sei das einmal auf das Interesse dieses Personenkreises, selbst mit Verlagen in Westdeutschland in Verbindung zu kommen – wobei sie von rein ökonomischen Betrachtungen ausgehen würden – und zum anderen auf Bestrebungen von Westverlagen, Arbeiten von DDR-Komponisten zu erhalten.

Fortschrittliche Schlagerkomponisten kritisieren, dass sich keine Institutionen in der DDR für diesen Zustand verantwortlich fühlen. Dadurch kämen auch brauchbare Titel von Laienautoren, die z. B. im Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig vorliegen sollen, nicht zur Veröffentlichung.

Nach Meinung junger Komponisten und Textautoren fehle eine zentrale Institution, die eine koordinierende Tätigkeit zwischen den musikverbreitenden Institutionen durchführt und bisherige »Zufälligkeiten« beim Verlegen neuer förderungswürdiger Titel ausschaltet. Die bis Sommer 1963 vorhandene »Zentrale Arbeitsgemeinschaft für Tanzmusik«85 als Instrument des Ministeriums für Kultur hätte nach Ansicht junger Komponisten diese Aufgabe übernehmen können. (Die Tätigkeit der Zentralen Arbeitsgemeinschaft sei an mangelhaften Vollmachten und an der ungenügenden Durchsetzung gegenüber den musikverbreitenden Institutionen gescheitert.)

Die Hoffnung zahlreicher junger Autoren, während eines ursprünglich vorgesehenen Tanzmusikfestivals der DDR »Chancen« zu bekommen, zerschlage sich durch strittige Fragen unter den Verantwortlichen über den Zeitpunkt der Veranstaltung, wodurch das Festival verzögert werde. Die Forderung von Vertretern des Verbandes Deutscher Komponisten, das Festival anlässlich des Deutschlandtreffens der Jugend86 durchzuführen, stoße auf heftige Ablehnung verschiedener Autoren (u. a. G. Honigs,87 Wolfram Schönes – aber auch Heinz Quermann88), die ein Tanzmusikfestival nicht mit einer »politischen Veranstaltung« koppeln wollen.

Unter Filmschaffenden ist die 1963 aufgetretene lebhafte Diskussion über geänderte Filme – »Preludio 11«, Buch Schreyer,89 Regie Kurt Maetzig;90 »Verliebt und vorbestraft«, Buch Kahlau,91 Regie Erwin Stranka;92 »Julia lebt«, Buch Nestler93 und Schwalbe,94 Regie F. Vogel95 – im Wesentlichen abgeebbt. Aus verschiedenen Äußerungen der Schöpfer muss jedoch geschlossen werden, dass sie von der an ihren Filmen geübten Kritik weiterhin nicht überzeugt sind. Ihrer Ansicht nach seien die Probleme nicht grundsätzlich, offen und parteilich ausdiskutiert worden und es fehle die richtige Form der Aussprache über das politische und künstlerische Anliegen der Streifen. Ähnlich verhalte es sich mit den Filmen »Fetzers Flucht«96 und »Taxifahrer«97, Buch Kunert, Regie Stahnke98 und dem geplanten Streifen von Kunert »Ein Yankee am König Artus Hof« [sic!].99 Stahnke habe zwar öffentlich Selbstkritik geübt, im internen Kreis zeige er jedoch seine wahre Haltung und äußere sich nach: »Taxifahrer, das war ein Kunstwerk … gegen die Filme von heute«.

Obwohl die Leitung des DEFA-Spielfilmstudios festlegte, den Kunert-Stoff »Ein Yankee am König Artus Hof« nicht zu drehen, bemühte sich Stahnke weiterhin um Dreherlaubnis. Überwiegend wird im DEFA-Spielfilmstudio die Ansicht vertreten, sogenannte »heiße Eisen« oder »politisch schräge Streifen« gäbe es bei der DEFA nicht mehr. Während einige Mitarbeiter darüber ihr Bedauern ausdrücken, begrüßt die Mehrzahl das Bemühen der besten Regisseure – wie z. B. Wolf,100 Beyer101 und Klein102 – nach guten Gegenwartsstoffen aus unserem Leben.

Unverständnis besteht zzt. über die Weigerung Stefan Heyms, die Rechte für die Verfilmung der »Papiere des Andreas Lenz«103 an die DEFA abzutreten. (Die DEFA sei an der Verfilmung sehr interessiert und auch in finanzieller Hinsicht nicht kleinlich gewesen.) Heym habe alle Rechte der Bearbeitung Peter Hacks übertragen (für Film, Bühne, Funk und Fernsehen) und beabsichtigte eine englische Verfilmung. Verhandlungen mit dem englischen Verlag »Gassel« seien im Gange. (Hacks’ Stück »Frieden«104 werde in London inszeniert.) Stefan Heym sei äußerst verärgert über die Ablehnung seines Stückes über den 17. Juni 1953,105 daher seine Absage an die DEFA.

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    15. Februar 1964
    Einzelinformation Nr. 112/64 über einige Ursachen der Viehverluste in der Landwirtschaft der DDR

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    12. Februar 1964
    Einzelinformation Nr. 103/64 über Aussprachen des IRK-Vertreters Beckh mit Bonner Politikern zur Passierscheinfrage