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Festlegung weiterer Maßnahmen nach Flucht Prof. Barwichs

22. September 1964
Einzelinformation Nr. 801/64 über die Festlegung weiterer Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Republikverrat des Prof. Barwich

In den seitens des MfS mit Prof. Hertz1 geführten Gesprächen über den Republikverrat des Prof. Barwich2 verurteilte er die Haltung von Prof. Barwich und erklärte sich bereit, sich auch öffentlich von dessen Verhaltensweise zu distanzieren.

Prof. Hertz gab in diesen Gesprächen zu erkennen, er sei über die Notiz, die im »Neuen Deutschland« zum Verrat des Prof. Barwich erschien,3 befriedigt. Allerdings halte er die Formulierung, »von den Wissenschaftlern entschieden verurteilt«, als zu harmlos, da es sich seiner Meinung nach um einen schweren Vertrauensbruch durch Prof. Barwich handele, für den er, was die Ursachen und Motive betrifft, noch keine Erklärung gefunden habe.

Im Ergebnis der Gespräche erklärte sich Prof. Hertz bereit, in persönlichen Briefen und Erklärungen an verschiedene Wissenschaftler und Gremien eine persönliche Stellungnahme zum Republikfluchtverrat des Prof. Barwich abzugeben. Der Inhalt dieser Briefe und Stellungnahmen soll sich darauf konzentrieren, Prof. Barwichs Funktionen, Ehrungen und Vertrauensstellung sowie seine Nominierung als Delegationsleiter für Genf einzuschätzen, um daran seine Forderung nach politischem Asyl bloßzustellen. Prof. Hertz wird aus persönlicher Kenntnis die in der Westpresse formulierte »Deportation« Barwichs in die Sowjetunion4 als Lüge entlarven und insgesamt davor warnen, einem Menschen, der eines solchen Vertrauensbruches fähig ist, Glauben zu schenken.

Prof. Hertz beabsichtigt an folgende Persönlichkeiten und Gremien entsprechende Erklärungen zu richten. Briefe richtet er

  • an Prof. Hahn,5 Prof. Heisenberg,6 Prof. Lise Meitner7 und Prof. Gerlach,8 als seine Freunde;

  • an Prof. Dirac,9 Frankreich, Prof. Rosenfeld,10 Dänemark, als internationale Zentren der Physik;

  • an Prof. Butenandt11 als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und

  • an Prof. Walcher12 als Vorsitzenden des Nationalkomitees der Internationalen Vereinigung der Physikalischen Gesellschaften (IUPAP).

Prof. Hertz wird ferner Ende September in der Klasse für Physik der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin sprechen. Dabei will er eine Stellungnahme durch die Angehörigen dieser Klasse erreichen. Diese Stellungnahme wird dem Vorstand der Internationalen Pugwash-Gruppe13 sowie persönlich den Professoren Szilárd14 und Pauling,15 beide USA, übersandt. Ferner sieht Prof. Hertz vor, diese Stellungnahme den in Westdeutschland lebenden Mitgliedern der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu übersenden.

Prof. Hertz wird außerdem eine persönliche Stellungnahme formulieren, die im Mitteilungsblatt der Physikalischen Gesellschaft der DDR erscheinen soll. Dieses Mitteilungsblatt wird wie üblich im Austauschverfahren dem Vorstand des Verbandes Physikalischer Gesellschaften in Westdeutschland zugestellt, sodass die 2 000 Mitglieder des Verbandes Physikalischer Gesellschaften in Westdeutschland davon Kenntnis erhalten.

Durch diese Bereitschaft von Prof. Hertz wäre eine weitgehende Information der internationalen Fachkreise gewährleistet.

Es wird eingeschätzt, dass mit diesen persönlichen Schreiben und Erklärungen Prof. Hertz’ an einflussreiche Persönlichkeiten und Gremien eine wirksame Entgegnung des Verrats durch Prof. Barwich erfolgen kann mit dem Ziel, die eventuell auftretende Resonanz zum Verhalten Prof. Barwichs von vornherein einzudämmen. Das Ansehen, das Prof. Hertz in den von ihm anzuschreibenden Kreisen genießt, spricht für eine günstige Aufnahme seiner Erklärungen, sodass diese Maßnahmen im Wert offensichtlich über kollektiven Maßnahmen zur Verurteilung der Person von Prof. Barwich stehen dürften.

Prof. Hertz erklärte in dem Gespräch mit dem MfS, dass er sich bei der Durchführung dieser Maßnahmen mit Prof. Rompe,16 zu dem er großes Vertrauen habe, konsultieren wolle.

Bei der Erörterung der Frage, inwieweit auch andere namhafte Spezialisten bzw. ehemalige Mitarbeiter Prof. Barwichs zu ähnlichen Schritten – Veröffentlichungen persönlicher Stellungnahmen u. a. – herangezogen werden sollten, wies Prof. Hertz darauf hin, es wäre angebracht, bei einer Inanspruchnahme ehemaliger SU-Spezialisten seinen Rat einzuholen, da er sowohl die fachliche als auch die charakterliche Eignung dieser Wissenschaftler kenne. In diesem Zusammenhang machte er darauf aufmerksam, dass sich z. B. Prof. Hartmann,17 Dresden, für eine solche Aufgabe nicht eignen würde, da er u. a. auch mit der Verarbeitung des Stoffes der Molekularelektronik Schwierigkeiten habe.

Es wird gebeten, im Interesse einer schnellen und reibungslosen Durchführung dieser Schritte eine Entscheidung zu treffen, ob die dargelegten Maßnahmen in dieser Form durchgeführt werden sollen.

  1. Zum nächsten Dokument Entfernen roten Fahnen bei der Reichsbahn in Westberlin

    23. September 1964
    Einzelinformation Nr. 803/64 über das Entfernen von roten Fahnen mit Trauerflor auf S-Bahnhöfen und anderen Dienststellen der Deutschen Reichsbahn in Westberlin durch Angehörige der Westberliner Polizei

  2. Zum vorherigen Dokument Versuchte Abwerbung eines wissenschaftlichen Mitarbeiters

    22. September 1964
    Einzelinformation Nr. 800/64 über versuchte Abwerbung des wissenschaftlichen Mitarbeiters im Staatssekretariat für Forschung und Technik, Diplom-Ingenieur [Name], während der Weltkraftkonferenz in der Schweiz